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Academic year: 2022

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Zurich Open Repository and Archive

University of Zurich University Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2021

Der Tier-Mensch Unterschied – analog zum Unterschied zwischen Pflanzen und Tieren?

Kottmann, Astrid

Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-205808

Dissertation Published Version

Originally published at:

Kottmann, Astrid. Der Tier-Mensch Unterschied – analog zum Unterschied zwischen Pflanzen und Tieren? 2021, University of Zurich, Faculty of Arts.

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Der Tier-Mensch Unterschied – analog zum Unterschied

zwischen Pfanzen und Tieren?

Abhandlung zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät

der

Universität Zürich

vorgelegt von Astrid Kottmann

Angenommen im Herbstsemester 2015 auf Antrag der Promotionskommission

bestehend aus

Prof. Dr. Hans-Johann Glock (hauptverantwortliche Betreuungsperson) Prof. Dr. Sebastian Rödl

Zürich, 2021

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Danksagung

Die vorliegende Dissertation ist bei Prof. Dr. Hans-Johann Glock entstan- den; für die regelmässigen Besprechungen und Anregungen sowie die Mög- lichkeit, Abschnitte an Kolloquien und Tagungen vorzutragen, bedanke ich mich sehr. Insbesondere wäre diese Dissertation nicht möglich gewesen ohne die Offenheit für eine Position, die im Diskurs nicht etabliert ist und somit in gewissen Belangen wenig bekanntes Terrain betritt. Ebenfalls bedanke ich mich bei Prof. Dr. Rödl, der das Zweitgutachten übernommen hat.

Beim SNF bedanke ich mich für die Unterstützung im Rahmen des Projekts „Die Anthropologische Differenz: Denken, Sprechen, Handeln“.

Der grössere Rahmen des SNF-Pro*Doc „Menschliches Leben“ war sehr wertvoll und hat in Retraiten wichtigen Austausch ermöglicht.

Bei Dr. Christian Steiner bedanke ich mich für die Zusammenarbeit und für Gespräche, die teilweise die Ausgangslage für diese Arbeit bildeten.

Um mehr Klarheit im zweiten Teil zu fnden (zu Pfanzen und ihrem Unter- schied zu Tieren) bedanke ich mich bei Dr. Wolfram Gobsch, der sich mehrmals Zeit genommen hat, Gedanken dieses Teils mit mir zu diskutie- ren.

Ebenfalls danke ich Dr. Franz Kottmann, Dr. Ina Serif und Daniel Schwyzer für das Gegenlesen und wichtige Hinweise.

Mein grösster Dank geht an Michael Steiner – Vater unserer ge- meinsamen Kinder – der diese Arbeit möglich gemacht und stets unterstützt hat.

(5)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort...1

1. Teil – Anliegen hinter assimilationistische und differenzialistischen Positionen...6

1.1 Hintergründe und Anliegen der exceptionalistisch-differenzialistischen Alltagsintuition...22

1.2 Hintergründe und Anliegen der assimilationistisch-animalistischen Alltagsintuition...38

1.3 Desiderat...54

2. Teil – Zoologische Differenz...58

2.1 Zwischenformen und alltägliche Unterscheidungspraxis...60

2.2 Alltägliche Unterscheidung und Biologie...67

2.3 Wie unterscheiden wir Pfanzen und Tiere?...74

2.4 Einwände aus der (Zell-)Biologie...92

2.5 Intelligente Pfanzen? – Einführung...97

2.6 Wachstumsverhalten: „automaton, rote and invariant“ oder doch ‚intelligent‘?...109

2.7 Wie können Pfanzen Gründe haben, die für sie selbst Gründe sind?...124

2.8 Pfanzen forieren: Wenn es einer Pfanze gut geht, wächst sie gut...143

2.9 Pfanzen und Tiere, die Unterschiede (begriffich)...146

3. Teil – Eine anthropologische Differenz?...162

3.1 Gründe von Menschen und Gründe empfndender Tiere...163

3.2 Denken ‚Tiere‘ oder assoziieren sie bloss? – ein falscher Dualismus...167

3.3 Das Rätsel...190

3.4 Unterschiedliche Konstellationen von Fähigkeiten bei empfndenden Tieren und rationalen Tieren...209

3.5 ‚Pure desire‘...225

3.6 Schluss...234

Literaturverzeichnis...250

(6)

Vorwort

Gibt es einen Unterschied zwischen Menschen und ‚anderen Tieren‘? Und wenn ja, worin würde er bestehen? Dies ist die Frage, um die es in der vor­

gelegten Auseinandersetzung gehen wird – heute spricht man in der Philo­

sophie von der Frage nach der ‚anthropologischen Differenz‘.

Hans­Johann Glock macht darauf aufmerksam, dass der Unter­

schied zwischen Menschen und anderen Tieren in der Philosophie zuweilen nicht aus einem Interesse an diesem Unterschied per se diskutiert wird, son­

dern dass diese Frage oft nur deswegen auftaucht, weil man versucht zu klären, was ‚der Mensch‘ sei, so dass entsprechend ‚andere Tiere‘ bloss als

„objects of comparison“ eine Rolle spielen.1 Bei der Frage nach dem Menschen werden in der Philosophie oft Abgrenzungen vorgenommen, denn solche Abgrenzungen helfen uns, ‚den Menschen‘ besser zu verstehen. Dass Tiere bloss als Vergleichsobjekte auftauchen heisst, dass solche Abgrenzungen so begriffen werden, als ob sie potentiell bereits Tiere erklären. Wenn wir nach dem Menschen fragen, können wir etwa darüber nachdenken, was unsere geistigen Fähigkeiten ausmacht und dabei sind Vergleiche und Abgrenzun­

gen tatsächlich erhellend. Aber nichts spricht dafür, dass wir mit solchen Ab­

grenzungen bereits erfasst haben, wie es mit ‚anderen Tieren‘ steht; eine ent­

sprechende Annahme ist ein Kurzschluss.

In der vorliegenden Arbeit gilt das Interesse der Frage nach einem Unterschied zwischen Menschen und anderen Tieren als solchen und nicht vorrangig dem Menschen. Erst wenn unser Bild zu Tieren Sinn ergibt, kann man vernünftig nach einem Unterschied zwischen Menschen und ‚anderen Tieren‘ und nach der Art dieses Unterschieds fragen.

Jedes Bild, das wir uns zu Tieren machen, bringt eine bestimmte Sichtweise zum Unterschied zwischen Menschen und Tieren mit sich. Seit der frühen Kindheit werden unterschiedlichste Bilder zu Tieren an uns herangetragen.

Und damit werden auch unterschiedliche Sichtweisen dazu, wie sich Men­

schen und Tiere unterscheiden, an uns herangetragen. Im BilderbuchBetty hat Geburtstag von Gyo Fujikawa wacht die Bärin Betty am Morgen ihres Geburtstags im Bettchen des Waldhauses, wo sie wohnt, auf. Sie kleidet sich adrett, küsst ihre Eltern, isst aus einem Schüsselchen Honig und Jo­

ghurt und bricht dann zu einem Waldspaziergang auf. Betty feiert darauf­

hin zusammen mit ihren Freunden ein grosses Fest. Die Bärin Betty unter­

scheidet sich von ‚Menschen‘ fast nur darin, dass Betty eine ausgeprägte Vorliebe für Honig hat und in etwa so aussieht wie ein Teddybär. Entspre­

1 Vgl. Glock, 2012, S. 108.

(7)

chende Bilderbücher suggerieren, dass es keinen relevanten Unterschied zwischen Menschen und anderen Tieren gibt. Nicht einmal äusserlich. Dass ein solcher aber besteht, dass Bären sich nicht adrett kleiden, bleibt uns trotz entsprechenden frühkindlichen Eindrücken klar.

Während Bilderbücher oft ein Bild von Tieren zeichnen, bei dem der Abstand von Menschen und anderen Tieren nichtig wird, zeigt sich in unse­

rem Gesetz eine entgegengesetzte Sichtweise auf Tiere. Gemäss diesem sind Tiere Sachen (ich werde im ersten Teil kurz auf diesen Punkt zu sprechen kommen und will ihn hier nicht weiter erörtern). Dieser Sichtweise ent­

spricht ein Umgang mit Tieren, bei dem Tiere als Ware gelten und der durch das entsprechende Gesetz legitim und richtig erscheint. Aber wie jedes Kind weiss, dass Bären sich nicht Kleidchen überziehen und dazu weiss­rote Ringelsöckchen anziehen, weiss es auch, dass Tiere keine Sachen und keine Ware sind.

Klar ist, dass sich die Bilder von Tieren in zwei Richtungen dehnen lassen: Tiere werden anthropomorphisiert oder versachlicht. Entsprechend scheint sich bei diesen Bildern eine anthropologische Differenz aufzuheben, oder aber diese scheint übertrieben zu werden. Es ist interessant, dass wir uns von all diesen Sichtweisen, die bereits in früher Kindheit an uns heran­

getragen werden, erstaunlich wenig verwirren lassen. Doch gleichzeitig scheint zu gelten, dass die Frage nach ‚den anderen Tieren‘ eine ist, auf die wir, auch wenn wir dem Bilderbuch­Alter entwachsen sind, nicht ohne Wei­

teres eine gute Antwort wissen. Wir wissen zwar, dass weder das Gesetz noch die Bilderbücher recht haben, aber wir verbleiben in einer gewissen Ratlosigkeit. Ich will dies an einem Beispiel veranschaulichen: der Lebens­

weise der Biber.

Biber haben – wie alle Tiere – eine ganz eigene Lebensweise. Sie fäl­

len etwa mit ihren Zähnen Bäume,2 um damit Dämme anzulegen und mit weiterem angeschlepptem Material Bäche zu stauen. Im gestauten Bereich bauen die Biber sogenannte Burgen, deren Eingang etwa 60 cm unter der Wasseroberfäche liegt, was sie sehr effektiv vor Feinden schützt. Der Wohnbereich derselben Biberburgen befndet sich etwa 20 cm über dem Wasserniveau, was wiederum sehr gut ist für die Wohnsituation, weil damit kleine Schwankungen des Wasserniveaus nicht zum Problem werden.

Steigt das Wasser stärker an, beginnen Biber, Material aus dem Damm zu entfernen und regulieren so den Wasserstand.

Dies scheint sehr ausgeklügelt. Offenbar wissen Biber, dass sie zu­

erst Wasser stauen müssen, um dann eine Biberburg bauen zu können.

Überlegen sich Biber das im Voraus? Geht ihrem Bauen eine Vorstellung in

2 Vgl. Wikipedia, Eintrag „Biber“ (Stand 13.4.2015).

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ihrem Kopf vorher? Vielleicht eher nicht? Wollen wir dann sagen, dass dies vielleicht den Bibern eher ‚passiert‘? Sie wären dann gewissermassen inner­

lich programmiert, ihre Bauten in dieser Weise zu bauen? Aber ich denke, wir wollen eigentlich auch nicht sagen, dass Tiere programmiert sind. Wir sagen, dass sich Tiere ‚instinktiv‘ verhalten, aber wenn wir uns fragen, ob dies heisst, dass sie innerlich programmiert sind, scheinen wir dies vielleicht eher aus einer mangelnden Alternative heraus zu behaupten?

Dass wir nicht ohne Weiteres eine gute Antwort auf die Frage nach der Lebensweise von Bibern geben können, scheint mir kein Einzelfall.

Auch wenn eine Amsel ein Nest baut, kann man sich fragen, ob sie einen raffnierten Plan vor Augen hat oder ob wir lieber sagen wollen, dass sie dies einfach ‚automatisch‘ macht, ohne dafür Gründe zu haben. Und wenn das Eichhörnchen Nüsse versteckt, könnten wir ebenfalls eine entsprechen­

de Frage stellen. Beim Verstecken von Nüssen befriedigt ein Eichhörnchen nicht unmittelbar ein Bedürfnis. Deswegen drängt sich die Frage auf: Plant das Eichhörnchen für den Winter oder läuft einfach ein Verhalten automa­

tisch ab? Und wenn wir keinen dieser Vorschläge wirklich überzeugend fn­

den und uns nicht sogleich eine interessante Alternative einfällt, dann müs­

sen wir zugeben, dass wir offenbar nicht ohne Weiteres eine gute Antwort wissen auf die Fragen nach der Lebensweise der ‚anderen Tiere‘. Und damit scheint auch die Frage nach einem Unterschied zwischen ‚den Menschen‘

u n d ‚anderen Tieren‘ eine sehr offene Frage zu sein. Die vorliegende Dissertation ist ein Versuch, eine Antwort zu fnden auf die Frage, was es für Tiere heisst, sich instinktiv zu verhalten. Damit wird schliesslich auch beantwortet, wie sich Tiere und Menschen unterscheiden, was das eigentli­

che Thema meiner Dissertation ist.

Interessant ist, dass die Vorschläge, die wir uns zunächst vor Augen halten, um das Verhalten von Tieren zu erklären (‚nach Plan‘ oder ‚automa­

tisch‘), eine gewisse Korrelation aufweisen zu den Sichtweisen, die wir in Bilderbüchern fnden und zur Sichtweise, die in unserem Gesetz enthalten ist. Denn hätte das BilderbuchBetty hat Geburtstag recht, dann müsste gel­

ten, dass Bären planen können, sie würden etwa den Geburtstag ihrer Kin­

der und Freunde planen. Und auch der Biber, der in diesem Bilderbuch tatsächlich auch an das Fest eingeladen wird, würde planen, er würde etwa überlegen, was er Betty für ein Geschenk bringen wird. Eine solche Bilderbuchperspektive würde sich entsprechend gut mit dem Vorschlag vereinbaren lassen, dass Biber ihre Bauten in ausgeklügelter Weise vorab durchdenken. Wenn wir hingegen annehmen, dass das Bauen von Stauseen und Biberburgen einfach ein Abspulen eines innerlich programmierten Verhaltens ist, dann sind wir der Sichtweise unseres Gesetzes, das von

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Tieren annimmt, dass sie Sachen sind, recht nahe.

Auf ähnliche Sichtweisen treffen wir auch in der philosophischen Debatte zu einer anthropologischen Differenz. Sogenannte Assimilationis­

ten betonen die Nähe zwischen Menschen und anderen Tieren und gehen davon aus, dass Tiere im Grunde in derselben Weise überlegen wie wir, so dass Assimilationisten wohl behaupten würden, dass alles dafür spricht, dass Biber das Anlegen ihrer Bauten planen.3 Differenzialisten hingegen be­

tonen den Unterschied zwischen Menschen und anderen Tieren und gehen davon aus, dass Biber nicht in einer Weise überlegen können, wie wir dies können. Viele Differenzialisten legen sich nicht auf eine Sichtweise fest, die etwa erklären würde, wie es zu Biberburgen kommt. Teilweise wird aber von Differenzialisten explizit angenommen, dass sich entsprechenden Tie­

ren die Gründe ihres Verhaltens entziehen und somit könnten Biberburgen nur zustande kommen, indem ein Programm abgespult wird (vgl. dazu 1.3 und 3.2).4

Die differenzialistische Position ist meist dadurch motiviert, dass sie der Intuition, dass der Mensch ein besonders intelligentes Tier oder ein Tier mit besonderen mentalen Fähigkeiten sei, Rechnung tragen will. Die assimi­

lationistische Position ihrerseits ist meist dadurch motiviert, dass evolutio­

nären und biologischen Sichtweisen Rechnung getragen werden soll, sowie neueren Ergebnissen der empirischen Forschung zur Intelligenz von Tieren.

Zudem will der Assimilationist der Intuition Rechnung tragen, dass Tiere Bewusstsein haben. Gemeinhin begreifen sich Assimilationisten und Diffe­

renzialisten als Kontrahenten und ihre Gesichtspunkte als unvereinbar.

Im ersten Teil werde ich zu zeigen versuchen, dass – wenngleich die Positionen sich als konträr auffassen – diejenigen Anliegen, die diesen Posi­

tionen zugrunde liegen, nicht konträr sind und dass diese Anliegen Sinn er­

geben. Daraus ergibt sich das Desiderat, eine Position zu fnden, die diesen Anliegen gerecht wird. Dies werde ich im zweiten und dritten Teil versu­

chen.

Und zwar werde ich vorschlagen, zunächst unsere alltägliche Unter­

scheidung von Pfanzen und Tieren genauer zu betrachten (2. Teil). Denn hier ist klar, dass ein qualitativer Unterschied vorliegt, an dem wir festhalten, auch wenn wir Zwischenformen und somit eine quantitative Abstufung an­

nehmen (z. B. Schwämme). Das heisst, auch wenn wir in Bezug auf einen Unterschied zwischen Pfanzen und Tieren einen graduellen Unterschied annehmen, halten wirzugleich an einem qualitativen Unterschied fest, d. h.

wir gehen weiterhin davon aus, dass wir Pfanzen und Tiere unterscheiden

3 Vgl. Wild, 2012. (Zu einer Auseinandersetzung mit der Position von Wild vgl.

1. Teil und 3.1).

4 Vgl. Brandt, 2012 – in Replik auf Wild 2012.

(10)

können. Deswegen werde ich im zweiten Teil unsere alltägliche Unterschei­

dung von Pfanzen und Tieren genauer in den Blick fassen. Dabei wird sich zeigen, dass sich unsere alltägliche Unterscheidung von Pfanzen und Tie­

ren als Unterscheidung in den Konstellationen von Fähigkeiten fassen lässt.

Bei Pfanzen liegt grundsätzlich eine Tätigkeit vor, Wachstum, die Regis­

trieren, Reagieren und Stoffwechsel als Aspekte enthält. Bei Tieren hinge­

gen liegen die Fähigkeiten Wahrnehmung und motorisches Verhalten vor, die ermöglichen, dass Tiere sich so auf ihre Umwelt beziehen, dass sie ihre Bedürfnisse befriedigen können, d. h. den tierischen – vom pfanzlichen zu unterscheidenden – Stoffwechsel ermöglichen. Im Verlaufe des zweiten Teils und in Auseinandersetzung mit einer Debatte aus der Botanik, wird sich zeigen, dass unterschiedliche Konstellationen von Fähigkeiten auch be­

deuten, dass Tiere und Pfanzen der Art nach unterschiedliche Gründe ha­

ben. Schliesslich lässt sich am Ende des zweiten Teils zeigen, dass eine Un­

terscheidung von Pfanzen und Tieren anhand unterschiedlicher Konstella­

tionen von Fähigkeiten und entsprechender Gründe mit Zwischenformen zwischen Pfanzen und Tieren vereinbar sein kann. Vor diesem Hinter­

grund wird es daher interessant zu fragen, ob wir eine anthropologische Differenz nicht auch als unterschiedliche Konstellation von Fähigkeiten und diesen Konstellationen entsprechenden Gründen denken können. Dies wird die Frage des dritten Teils sein. Ob wir damit zudem etwas Interessantes zur Lebensweise der Biber sagen können, wird sich zeigen.

(11)

1. Teil – Anliegen hinter assimilatio- nistischen und diferenzialistischen Positionen

Die Überlegungen meiner Dissertation sind, wie gesagt, motiviert durch die Frage, was es mit der anthropologischen Differenz auf sich hat, also einer Differenz zwischen Menschen und anderen Tieren, oder wie ich lieber sa­

gen würde, einer Differenz zwischen den „sprachlichen“ oder „vernünftigen Tieren“ und den „empfndenden Tieren“. Warum ich diese Ausdrücke be­

vorzuge, werde ich unter 1.2 (Disanalogie) thematisieren. Anfänglich werde ich von „Menschen“ und „anderen Tieren“ sprechen, weil dies im deutsch­

sprachigen Raum meist so gehandhabt wird, wenn es um die Frage nach ei­

ner anthropologischen Differenz geht.

Bei einer Auseinandersetzung mit dem Thema der anthropologischen Differenz scheint es sich anzubieten, die Positionen von Differenzialisten und Assimilationisten genauer zu betrachten, ihre Argumente zu prüfen und zu überlegen, für welche Position man sich entscheiden sollte. Dies ist auch der Raum in dem sich der philosophische Diskurs zur anthropologischen Differenz bewegt. Die meisten seit der Neuzeit bis heute vertretenen Positionen von Differenzialismus und Assimilationismus fassen sich als kon­

trär auf. Das heisst, um sich für eine dieser Positionen entscheiden zu kön­

nen, müsste man davon ausgehen, dass die Gegenposition falsch ist. Und das heisst auch, dass die Anliegen, die diese Position motiviert haben, aufge­

geben werden können. Dies bezweife ich. Auch Hans­Johann Glock – Be­

treuer dieser Dissertation und wichtiger Autor zum Thema anthropologi­

sche Differenz – hat dies kürzlich implizit in Frage gestellt. Er erwägt in

„The Anthropological Difference: What Can Philosophers Do to Identify the Differences Between Human and Non­human Animals?“, ob ein quali­

tativer Unterschied (Differenzialismus) zwischen Menschen und anderen Tieren aus einem grossen graduellen Unterschied (Assimilationismus) her­

vorgehe.5 Damit wird implizit der Vorschlag geäussert, über eine Möglich­

keit der Vereinbarkeit von quantitativem und qualitativem Unterschied nachzudenken. Damit wird implizit in Frage gestellt, was für viele Assimila­

tionisten und Differenzialisten klar scheint: dass es sich um konträre, einan­

der ausschliessende Positionen handelt.

Die Frage, ob sich die beiden Positionen denn wirklich ausschliessen, drängt sich dann auf, wenn man sich klar macht, dass von den Anliegen, die

5 Vgl. Glock, 2012, S. 131.

(12)

den Positionen zugrunde liegen, keines leichthin aufgegeben werden kann.

Im ersten Teil verfolge ich das Ziel, dies zu zeigen. Ich denke, dass die An­

liegen, die einer assimilationistischen Position und einer differenzialistischen Position zugrunde liegen, je berechtigte Anliegen sind. Beide philosophi­

schen Positionen scheinen sich aus Alltagsintuitionen zu speisen (wie ich thematisieren werde), die im philosophischen Rahmen mit Argumenten un­

termauert werden und erst in diesem Rahmen zu Positionen werden, die einander ausschliessen. Wenn aber die Anliegen, die diesen Positionen zu­

grunde liegen, berechtigt sind, stellt sich nicht mehr die Frage, welche der bestehenden konträren Positionen richtig ist oder bessere Argumente vor­

bringt. Vielmehr scheint dann die entscheidende Frage zu sein, ob es nicht eine Position geben könnte, mit der man beiden Anliegen gerecht werden könnte. Im zweiten und dritten Teil werde ich versuchen, eine solche Positi­

on zu entwickeln.

Auch in der derzeitigen Debatte zur anthropologischen Differenz fnden sich vermehrt Überlegungen darüber, ob die bestehenden Positionen von Differenzialisten und Assimilationisten überhaupt weiterführen kön­

nen. So schreibt etwa Geert Keil, dass er „den grossformatigen Streit zwi­

schen Assimilationisten und Differenzialisten für unfruchtbar und nahezu gehaltlos“ halte.6 Etwas eigenartig ist, dass Keil diesen Satz gegen Ende ei­

ner Replik zu Markus Wild schreibt, in der er sich klar als Differenzialist positioniert und bei besagtem Streit eindeutig mitmacht – und das auch noch mit den üblichen Argumenten, die in diesem Streit auf Seiten der Dif­

ferenzialisten vorgebracht werden. Gerade dort, wo Wild jenseits dieses Streits vernünftige Voten für das Verständnis von Tieren einbringt, kriti­

siert Keil diese als zu wenig begründet. Wenn sie zu wenig begründet sind, dürfte dies gerade daran liegen, dass sie nicht Teil des Streits sind und des­

wegen noch wenig erprobt sind. Gerade diese Voten sind meines Erachtens aber äusserst interessant und es scheint mir, dass sie, wenn man vom Streit und von Positionierungen absieht, vielleicht sogar mit einigen Ideen verein­

bar wären, die Keil wichtig sind – allerdings muss hier gesagt werden, dass Wild nicht eine unabhängige Position jenseits der beiden Sichtweisen ein­

nimmt, sondern sich ebenfalls klar positioniert: als Assimilationist.7

In seiner Refexion über den Streit zwischen Assimilationisten und Differenzialisten macht Keil darauf aufmerksam, dass für ihn eigentlich of­

fen ist, was der Meta­Unterschied zwischen einem quantitativen (bei Keil:

„graduellen“) und einem qualitativen (bei Keil: „prinzipiellen“) Unterschied sei:

6 Keil, 2012, S. 56.

7 Vgl. Wild, 2012.

(13)

Zwischen den kognitiven Vermögen von Menschen und nichtmensch­

lichen Tieren gibt es unleugbarfrappante Gemeinsamkeiten undfrap­

pante Unterschiede. In dieser Situation darüber zu streiten, ob die Un­

terschiede „graduell“ oder „prinzipiell“ sind, setzt voraus, dass es zwi­

schen graduellen und prinzipiellen Unterschieden einen prinzipiellen Unterschied gibt. Aber worin sollte der bestehen? [...] Worin besteht der Unterschied zwischen einem riesigen graduellen Unterschied und einem «prinzipiellen» oder «kategorialen»? Sowohl erklärte Differen­

zialisten als auch erklärte Assimilationisten müssen diesen Meta­Un­

terschied angeben können, um ihre Position zu formulieren.8

Wie bereits festgehalten, positioniert sich Keil klar als Differenzialist, und zwar ohne das von ihm gewünschte Desiderat zu erfüllen, d. h. den Unter­

schied zwischen „graduellem“ (quantitativem) und „prinzipiellem“ (qualita­

tivem) Unterschied anzugeben. Liest man obiges Zitat, könnte die Frage aufkommen, ob denn die Idee, dass entweder ein qualitativer oder aber ein quantitativer Unterschied vorliegen müsse, völlig absurd ist und nicht viel­

mehr jedem klar sein muss, dass ein grosser quantitativer Unterschied einen qualitativen Unterschied ausmacht. Aber warum passiert es dann selbst Keil, dass er sich klar als Differenzialist positioniert, und zwar ohne mit ei­

ner Meta­Unterscheidung eine mögliche Positionierung überhaupt plausibel zu machen?

Wild antwortet auf die verschiedenen Kommentare zu „Tierphiloso­

phie“ und liefert in einer Antwort auf Keil die erwünschte Meta­Unterschei­

dung:

Nun, ein prinzipieller Unterschied zwischen A und B ist ein kategori­

scher Unterschied und dies bedeutet: Es gibt Eigenschaften von A, die nicht auf Eigenschaften von B zurückgeführt oder nicht mit denselben Mitteln erklärt oder verstanden werden können, wie die Eigenschaften von B.9

Somit würde dem gegenüber dann ein bloss gradueller Unterschied vorlie­

gen, wenn die Eigenschaften von A auf die Eigenschaften von B zurückge­

führt werden können.10

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Rede von „Eigenschaften von A, die nicht auf Eigenschaften von B zurückgeführt oder nicht mit denselben Mit­

teln erklärt oder verstanden werden können, wie die Eigenschaften von B“, auszulegen. Und wie ich zeigen werde, müssen wir eine dieser Auslegungen

8 Keil, 2012, S. 68.

9 Wild, 2012 (Replik), S. 109.

10 Ich selbst werde zur Frage nach einer anthropologischen Differenz im Folgen­

den eine Position vertreten, die bei Wilds Unterscheidung nicht so klar unterzu­

bringen ist, da sie einschliesst, dass man gewisse Eigenschaften bzw. Fähigkeit­

en, und zwar sowohl von Menschen als auch von anderen Tieren, nur im Kon­

trast zueinander philosophisch sinnvoll erfassen kann (vgl. 3.6).

(14)

zurückweisen, so dass nur eine Auslegung möglich bleibt. Auf den ersten Blick scheint es, dass wir Wild etwa so verstehen können: Wenn wir sagen, dass Menschen Eigenschaften zukommen, die wir nicht erklären können in Rückgriff auf diejenigen Erklärungen, die wir zu Eigenschaften von an­

deren Tieren geben, dann handelt es sich um einen prinzipiellen Un­

terschied und somit um eine differenzialistische Position. Nun gilt auch für viele Eigenschaften innerhalb des Tierreichs, dass wir sie nicht auf die Eigenschaften anderer Tiere zurückführen können oder verständlich machen können anhand von Erklärungen, die wir zu anderen Tieren geben.

So haben etwa Handfsche eine besondere Eigenschaft, nämlich Flossen, die Händen ähnlich scheinen (‚Hände‘ an armähnlichen, gestielten Brustfossen, mit denen sie sich in den meisten Fällen aufstützen können). Um diese Eigenschaft und die mit ihr einhergehenden Fähigkeiten zuerklären, müssen wir eine Erklärung heranziehen, die wir nicht antreffen bei den Erklärungen zu anderen Tieren. Denn wir werden diese Art von Flossen anhand ihrer Funktion für die Handfsche erklären. Wir können etwa fra­

gen: Warum haben Handfsche diese Art von Flossen? Und antworten: „Sie können, zusammen mit den Brustfossen, zu einer gangartigen Fortbewegung auf dem Boden benutzt werden.“11 Eine solche Erklärung zu den Flossen der Handfsche geben wir nun einmal nur zu den Flossen von Handfschen, weil sie nur bei diesen vorkommen.

Auch viele weitere Eigenschaften von Tiergruppen und sogar von einzelnen Spezies lassen sich nicht durch einen Rückgriff auf Erklärungen zu anderen Eigenschaften aus dem Tierreich erklären. Das Säugen der Säu­

getiere etwa können wir nicht anhand der Eigenschaften eierlegender Tiere oder Beuteltiere erklären. Es kann zwar helfen, wenn wir hier eine Abgren­

zung vornehmen und über biologische Generationenwechsel etc. reden, aber das Säugen per se wird nur anhand einer Erläuterung zum Säugen selbst verständlich gemacht werden können. Ein Beispiel wäre auch die Ei­

genschaft des Bibers, Bäume mit seinen Zähnen fällen zu können.12 Es nützt nichts, wenn wir sämtliche Erklärungen zu Rehen oder anderen Tie­

ren durchgehen, wir werden damit diese Eigenschaft des Bibers nicht erklä­

ren können. Wenn wir Wilds Meta­Unterscheidung so auslegen, würde sich ein eigenartiges Bild einer differenzialistischen Position ergeben. Ein quali­

tativer oder prinzipieller Unterschied würde dann an allerlei Orten inner­

11 Vgl. Wikipedia Eintrag „Handfsche“ (Stand: 13.5.2014).

12 Wenn Wild solche Eigenschaften und die mit ihnen einhergehenden Unter­

schiede bereits als prinzipiellen Unterschied ansehen würde, würde eine ent­

sprechende Differenz nur besagen, dass eine Differenz besteht, das ist aber be­

reits dann klar, wenn es überhaupt Klassen und unterschiedliche Spezies gibt (vgl. zu einer ausführlicheren Diskussion dieses Problems vor anderem Hinter­

grund auch weiter unten).

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halb des Tierreichs auftreten und natürlich auch zwischen Menschen und anderen Tieren. Eine entsprechende differenzialistische Position wäre dann problemlos mit einer assimilationistischen Haltung vereinbar.

Nun kann dies aber nicht eine gute Auslegung von Wilds Meta­Un­

terscheidung sein, weil vor diesem Hintergrund unverständlich werden wür­

de, was eine assimilationistische Haltung sein könnte. Denn bei denselben Grundannahmen würde ein Assimilationist im Gegenzug ja behaupten, dass die Eigenschaften von Tieren mit„denselben Mitteln“ erklärt werden kön­

nen. Und bei der soeben versuchten Auslegung, was„dieselben erklärenden Mittel“ meinen könnte, würde dies zu einer absurden Position bei einem As­

similationisten führen. Denn dieser würde dann sagen, dass wir die ‚Hände‘

von Handfschen inhaltlich gleich erklären wie die Zähne von Bibern, und letztlich würde dies besagen, dass sämtliche Erklärungen zu allen Tieren auch inhaltlich identisch sind, was als Position sicherlich nicht haltbar ist, sprich, einen Assimilationisten könnte es in diesem Falle nicht geben.

Es kann Wild also nicht um die Frage gehen, ob wir eine Eigenschaft von A erklären können, indem wir dem Inhalt nach auf Erklärungen zu­

rückgreifen, die eine Eigenschaft von B erklären. Aber was heisst es dann, dass wir eine Eigenschaftmit denselben Mitteln erklären können oder eben nicht? Keil schlägt vor, dass wir, um die Frage von graduellem und prinzi­

piellem Unterschied anzugehen, zuerst über das Sorites­Paradox nachden­

ken sollten.13

Er macht darauf aufmerksam, dass wir häufg einen qualitativen Un­

terschied aus einem quantitativen Unterschied ableiten:14 Wenn jemand mehr und mehr Haare verliert, sagen wir irgendwann, er habe eine Glatze.15 Wild hält dem entgegen, dass mit ‚qualitativ‘ in der Debatte um eine anthro­

pologische Differenz ein sogenannt kategorischer Unterschied gemeint sei, bei der Frage, ob eine Glatze vorliege, hingegen nicht.16 Hiermit hat er zwar Recht, die Rückfrage an ihn wäre aber, was es bedeutet, dass wir es mit ei­

nem „kategorischen Unterschied“ zu tun haben. Dazu gibt Wild implizit eine vage Antwort, indem er die Grundlage für seine assimilationistische Position liefert. Diese gehe davon aus, dass die „Eigenschaften des Men­

schen mit denselbentheoretischen Mitteln erklärt werden können wie die [...]

Eigenschaften von Tieren (explanatorische Kontinuität)“ [Hervorhebung A.

K.].17 Das heisst, wenn Wild davon ausgeht, dass eine Eigenschaft mit „den­

selben theoretischen Mitteln“ erklärt werden kann wie eine andere, geht es

13 Vgl. Keil, 2012, S. 88.

14 Vgl. ebd.

15 Vgl. ebd.

16 Vgl. Wild, 2012 (Replik), S. 109.

17 Ebd.

(16)

nicht darum, dass es sich um inhaltlich identische Erklärungen handelt, son­

dern darum, dass die Erklärungen in theoretischer Hinsicht gleich ausfallen, und offenbar gilt für Erklärungen, die in theoretischer Hinsicht gleich aus­

fallen, dass sie eine Kategorie bilden. Aber was heisst das? Wild gibt dazu eine Antwort hinsichtlich seiner eigenen assimilationistischen Position. Er geht davon aus, dass sowohl für Tiere als auch für Menschen gilt, „dass bei­

der mentale Eigenschaften durch strukturelle Eigenschaften (Repräsentati­

on) und biologische Eigenschaften (Funktion) erklärt werden können (Te­

leosemantik).“18 Auf Grund dieses Textausschnittes können wir uns noch­

mals fragen, was Wild unter „denselben theoretischen Mitteln“ versteht. Es scheint, dass dann „dieselben theoretischen Mittel“ vorliegen, also eine assi­

milationistische Position, wenn Erklärungen demselben Erklärungsmodell entnommen sind, etwa der Teleosemantik.

Damit ist meines Erachtens aber noch nicht genug gesagt. Denn je nachdem, was unter „Erklärungsmodell“ verstanden wird, ergibt sich noch nicht eine assimilationistische Position, wenn die Erklärungen zu Tieren und Menschen „demselben Erklärungsmodell“ entnommen sind. Und noch nicht einmal, wenn innerhalb eines Erklärungsmodells dieselben „theoreti­

schen Mittel“ verwendet werden. Meines Erachtens ist es durchaus möglich oder sogar naheliegend, dass wir zur Erläuterung zweier unterschiedlicher Arten von Erklärung dieselben „theoretischen Mittel“ herbeiziehen. Ich denke, wir könnten etwa dafür plädieren, dass wir sowohl das Verhalten von Menschen als auch das Verhalten von Tieren als intentional auffassen.

Dann könnte ‚Intentionalität‘ in beiden Fällen als ‚theoretisches Mittel‘ auf­

treten. Nun spricht potentiell nichts dagegen, dass ‚Intentionalität‘ in ganz unterschiedlichen Formen vorliegen könnte, wenn wir von Tieren und Menschen sprechen und dass somit bei demselben ‚theoretischen Mittel‘

auch unterschiedliche Formen der Erklärung auftreten. Man könnte viel­

leicht meinen, dass zur Erläuterung eines Unterschieds in unterschiedlichen Formen von ‚Intentionalität‘ weitere ‚theoretische Mittel‘ herbeigezogen werden müssen; dann würden Wilds Vorschlag und meiner auf dasselbe hinauslaufen. Das ist aber bei kategorischen oder, wie ich eher sagen wür­

de, „kategorialen“ Unterschieden nicht der Fall (vgl. 3. Teil, insbesodere 3.6).19

Ich will vorschlagen, dass ein kategorischer Unterschied einen Un­

terschied in den Formen von Erklärungen meint.20 Wenn wir etwa das Ver­

halten von Tieren mit derselben Art von Erklärung erklären würden wie das Verhalten von Menschen, würde in Bezug auf das Verhalten kein kate­

18 Ebd.

19 Vgl. ebd.

20 Vgl. Steiner/Kottmann, 2012.

(17)

gorischer Unterschied vorliegen (ich werde im 2. und 3. Teil solche Arten von Erklärungen antreffen und ich werde in 3.6 kurz rückblickend anspre­

chen, was ich darunter verstehe). Beim Vorschlag, dass ein kategorischer Unterschied bedeutet, dass wir es mit unterschiedlichen Erklärungsformen zu tun haben, würde eine assimilationistische Position demnach dann vorlie­

gen, wenn dieselbe Form von Erklärung für Menschen und andere Tiere herangezogen würde, etwa wenn wir das Verhalten von Tieren und dasjeni­

ge von Menschen anhand der gleichen Art von Erklärungen erläutern. Ein prinzipieller Unterschied würde demnach dann vorliegen, wenn die Erklä­

rungen, die der Differenzialismus etwa zum Verhalten von Menschen und Tieren gibt, verschiedene Erklärungsformen aufweisen.

Möglicherweise ist dies in Wilds Sinn. Mir scheint allerdings, dass Wild nicht klar zwischen einer „Erklärungsform“ und „theoretischen Mit­

teln“ unterscheidet. Ich denke, man kann fragen, ob Millikans „teleoseman­

tische“ Position – auf die Wild sich bezieht – denn wirklich zu einer assimi­

lationistischen Position führt oder ob sich bei Millikans Position nicht gera­

de unterschiedliche Erklärungsformen etwa zum Verhalten von Tieren und zu gewissem Verhalten von Menschen ergeben, auch wenn dieselben ‚theo­

retischen Mittel‘ eingesetzt werden. Man könnte also fragen, ob die Teleose­

mantik zwar dieselben „theoretischen Mittel“ zur Erklärung für Menschen und Tiere einsetzt, aber trotzdem zwei unterschiedliche Formen von Erklä­

rungen etwa zu gewissem Verhalten von Menschen und zum Verhalten von Tieren verwendet. Diese Frage will ich aber auf den dritten Teil verschie­

ben, in dem Millikans Ansatz zu einer anthropologischen Differenz eine Rolle spielen wird (vgl. 3.4 und 3.5).

Man kann aber hier noch eine allgemeinere Anmerkung zu Wilds Meta­Unterscheidung machen: Natürlich müssen die Erklärungen zu Tie­

ren und Menschen zumindest insofern demselben Erklärungsmodell ent­

nommen sein, als es sich um ein Erklärungsmodell handeln muss, das sich auf die Erklärungen von Lebendigem bezieht. Es wäre nicht überraschend, wenn dabei auch dieselben ‚theoretischen Mittel‘ zum Einsatz kämen. Und höchstwahrscheinlich werden sich darin ähnliche Formen von Erklärungen fnden. Die Teleosemantik versucht, solche Erklärungen zu geben. Aber ähnlich wie bei der Teleosemantik heisst dies auch bei anderen Erklärungs­

modellen noch nicht zwingend, dass wir deswegen dieselbe Erklärungsform verwenden, wenn wir etwa über das Verhalten von Tieren und über das Verhalten von Menschen sprechen (vgl. Teil 3, 3.1 und insbesondere 3.6).

Jedenfalls scheint mir, dass Wild der Sache nicht ganz auf den Grund geht.

Trotzdem werde ich seinen Vorschlag zu einer Meta­Unterscheidung zwi­

schen graduellem und prinzipiellem Unterschied vorerst übernehmen und

(18)

sie erst im dritten Teil nochmals thematisieren. Ich denke, ein klassischer Differenzialist, wie etwa Davidson, dürfte in Wilds Vorschlag einwilligen, und vielleicht dürfte dieser Vorschlag sogar für Keil erhellend gewesen sein.

Jedenfalls scheint er für Assimilationisten brauchbar, denn Wild erachtet sich ja als solchen.

Mit den obigen Ausführungen ist deutlich geworden, wie wir eine Meta­

Unterscheidung zwischen graduellem und prinzipiellem Unterschied ma­

chen können. In der Debatte um eine anthropologische Differenz werden aber zuweilen weitere Positionen genannt: der Exceptionalismus und der Animalismus. Der Exceptionalismus vertritt, dass der Mensch nicht bloss ein Tier unter Tieren ist, sondern ein besonderes Tier. Der Animalismus vertritt die Gegenposition, dass der Mensch ein Tier unter Tieren ist und das heisst, nicht in irgendeiner Weise eine Art von Besonderheit aufweist, die ihn aus den anderen Tieren herausheben würde.21 Es kommt vor, dass Exceptionalisten auf eine animalistische Position erwidern, dass für sie auch klar sei, dass der Mensch ein Tier sei und dass dies nicht mit sich bringe, dass man einen wichtigen Unterschied leugne.22 Damit haben sie aber den Punkt des Animalisten nicht verstanden. Denn wenn ein Exceptionalist oder Differenzialist sagt, dass für ihn der Mensch auch ein Tier sei, meint er, dass der Mensch in der Biologie unter den Tieren eingeordnet wird (als heterotrophes Lebewesen, vgl. 2.2.a)23 oder dass der Mensch als ‚sprachli­

ches Tier‘ eine bestimmte Ausprägung des Tierseins darstellt. Wenn aber der Animalist davon spricht, dass der Mensch ein Tier unter Tieren ist, geht es ihm nicht um einen dieser zwei Standpunkte, sondern darum, dassnur und ausschliesslichein Spezies­Unterschied zwischen Menschen und anderen Tieren besteht wie zwischen sämtlichen anderen Tieren auch. Somit muss ein Animalist, wie es Wilds Assimilationist ist, davon ausgehen, dass die Er­

klärungen, die wir etwa zum Verhalten von Tieren geben und die Erklärun­

gen, die wir etwa zum Verhalten von Menschen geben, von der gleichen Art sind. Sonst gäbe es ja einen interessanten Unterschied, der mehr wäre als ein Speziesunterschied, und der animalistische Standpunkt wäre paradox.

Das heisst, die animalistische Vorstellung, dass der Mensch ein Tier unter Tieren ist, schliesst ein, dass seine Eigenschaften anhand derselben Erklä­

rungsarten wie die Eigenschaften anderer Tiere erklärt werden können.

21 Vgl. Wild, 2012, S. 21f.

22 Vgl. Schark, 2012, S. 93f., und Wilds Replik: Wild, 2012 (Replik), S. 110.

23 Vgl. ebd. Der Animalismus, so wie Wild ihn vorstellt, d. h. als Gegenposition zum Exceptionalismus, hat nichts mit der Frage zu tun, ob der Mensch biolo­

gisch gesehen ein Tier ist (weil er sich heterotroph ernährt). Denn auch der Ex­

ceptionalismus geht häufg davon aus, dass der Mensch biologisch gesehen ein Tier ist.

(19)

Demnach wären Assimilationismus (die Vorstellung, dass, wenn überhaupt, nur ein quantitativer Unterschied besteht zwischen Menschen und anderen Tieren) und Animalismus (die Vorstellung, dass der Mensch ein Tier unter Tieren ist) zwei verschiedene Varianten, in der sich dieselbe Grundannah­

me äussert. Diese Ansicht teilt auch Wild, denn er hält fest, dass, wer sich zum Assimilationismus bekennt, sich auch zum Animalismus bekennen muss.24 Angesichts von Wilds Meta­Unterscheidung ist dies nur logisch konsequent.

Ich will aber zumindest erwähnen, dass zuweilen die Idee eines qua­

litativen Unterschieds anders aufgefasst wird, und zwar so, dass einerseits eine differenzialistische Position nicht konträr zu einer assimilationistischen Position sein muss und dass andererseits gelten kann, dass beispielsweise ein Animalismus und ein Differenzialismus vereinbar sind.25 Man kann etwa annehmen, dass ein Differenzialismus darin besteht, dass die Men­

schen sich so von anderen Tieren unterscheiden, wie die Handfsche sich von anderen Tieren unterscheiden, was einem dann ermöglicht, einerseits eine qualitative, aber nicht kategoriale Differenz anzunehmen (auf Grund einer besonderen Fähigkeit) und gleichzeitig davon auszugehen, dass der Mensch ein Tier unter Tieren ist. Man würde demnach einen Differenzialis­

mus bereits darin sehen, dass überhaupt ein Unterschied gemacht wird, auch wenn es sich nicht um einen kategorialen Unterschied handelt. Als wirkliche Position ist dies wohl wenig attraktiv, weil ja ohnehin klar scheint, dass ein Spezies­Unter­schied zwischen Menschen und anderen Tieren be­

steht und es nicht scheint, dass wirdiese Annahme als differenzialistisch auf­

fassen würden. Ich werde daher Wild vorerst folgen und davon ausgehen, dass es sich beim Animalismus lediglich um einen anders formulierten Assi­

milationismus handelt und beim Exceptionalismus um einen anders formu­

lierten Differenzialismus.

Wild selbst geht implizit davon aus, dass seine Bemerkung, dass der Diffe­

renzialismus einen kategorischen Unterschied annimmt, auch dazu führt, dass Differenzialismus und Assimilationismus einander ausschliessen. Dies scheint grundsätzlich richtig, denn es kann nicht sein, dass zugleich ein ka­

tegorscher Unterschied besteht und kein kategorialer Unterschied besteht.

Oder dass eine Erklärung anhand derselben „theoretischen Mittel“ gegeben werden kann und nicht. Und trotzdem: Auch wenn ich mit Wild einig bin, dass der Differenzialismus eigentlich einen kategorischen Unterschied meint, schliesse ich nicht aus, dass es möglich sein könnte, eine Position zu fnden, in der sowohl einem qualitativen Unterschied Rechnung getragen

24 Wild, 2012, S. 21f.

25 Vgl. Lurz, 2009, S. 13.

(20)

werden kann als auch eine graduelle Abstufung angenommen werden kann.

Ich denke sogar, dass gerade darin die entscheidende Herausforderung be­

steht. Und zwar aus folgendem Grund: Wenn wir uns die Anliegen ansehen, die dem Differenzialismus zugrunde liegen und die Annahme eines qualita­

tiven Unterschieds stützen und die Anliegen, die dem Assimilationismus zu­

grunde liegen und die Annahme eines quantitativen Unterschieds stützen, dann zeigt sich, dass wir beide nicht leichthin aufgeben können. Ich werde dies des Weiteren in diesem Kapitel zu zeigen versuchen.

Aber wie soll es möglich sein, eine Position zu fnden, die beiden An­

liegen gerecht werden könnte und die sowohl einen qualitativen als auch ei­

nen quantitativen Unterschied denkbar macht? Wenn ich in Wilds Meta­

Unterscheidung einwillige, scheint dies bereits unmöglich; ich habe ja be­

reits darauf hingewiesen, dass es dann nicht möglich sein kann, dass sowohl ein kategorischer Unterschied vorliegt als auch kein kategorischer Unter­

schied vorliegt. Dies aber heisst noch nicht, dass es angesichts eines katego­

rischen Unterschieds unmöglich ist, eine quantitative Abstufung für möglich zu erachten. Wir würden damit nicht sagen, dass sowohl ein kategorischer Unterschied vorliegt als auch nicht vorliegt, sondern dass ein kategorischer Unterschied vorliegt, dass dies aber ein kategorischer Unterschied von der Art sein muss, der zugleich eine quantitative Abstufung denkbar macht.

Dass wir nicht sehen, wie dies möglich ist, sollte uns nicht zum Schluss ver­

leiten, dass es nicht möglich ist. Aristoteles etwa schien darin kein Problem zu sehen. Einerseits teilte er das Lebendige in vegetatives Leben, empfn­

dende Lebewesen und vernünftige Lebewesen, und erachtete diese Unter­

schiede als kategoriale Unterscheide, andererseitsbetonte erzugleich, dass eine Kontinuität zwischen Pfanzen und Tieren vorliegt:

[...] die Natur schreitet nämlich kontinuierlich voran von den unbe­

seelten Dingen bis zu den ‘zoa’, wobei sie durch die lebenden Dinge, die aber noch keine ‘zoa’ sind, hindurchgeht, und zwar so, dass die eine Gruppe sich von der anderen kaum unterscheidet, weil sie so eng miteinander verwandt sind.26

Und tatsächlich scheint es, dass wir auch im Alltag Pfanzen und Tiere klar unterscheiden, und zwar auch dann noch, wenn wir uns klar machen, dass es viele Lebewesen gibt, die wir nicht problemlos bei Pfanzen oder Tieren einordnen können, weil sie eine Art von Zwischenform darstellen. Das heisst, wir würden uns von einer Kontinuität zwischen Pfanzen und Tieren oder von Zwischenformen nicht von der Möglichkeit einer Unterscheidung

26 De partibus animalium, IV 5, 681a9ff. Aristoteles behandelt vor dieser Stelle die Seescheiden (Ascidiacea) und bemerkt dazu, dass sie sich nur wenig von den Pfanzen unterscheiden, aber tierähnlicher seien als die Schwämme.

(21)

abbringen lassen. Auch deswegen wird der Unterschied zwischen Pfanzen und Tieren im zweiten Teil thematisiert werden.

„Alltagsintuitionen“ zur anthropologischen Diferenz

Ich hatte bereits angesprochen, dass dem Streit zwischen Differenzialisten und Assimilationisten die Annahme zugrunde liegt, dass man sich für eine dieser Positionen entscheiden muss und hatte dazu angemerkt, dass ich be­

zweife, dass dies sinnvoll ist. Denn mir scheint, dass die Anliegen, die den Positionen jeweils zugrunde liegen, ihre Berechtigung haben. Würde man sich für eine der Positionen entscheiden, müsste man davon ausgehen, dass das Anliegen, das der Gegenposition zugrunde liegt, aufgegeben werden kann. Es ist indes mein Ziel, in diesem Teil deutlich zu machen, dass diese Anliegen ihre Berechtigung haben, so dass wir keines leichthin aufgeben können.

Seinen Text „Tierphilosophie“ beginnt Markus Wild damit, dass er implizit zwei Alltagsintuitionen ausmacht.27 In etwa spiegeln diese jene Anliegen, die den philosophischen Sichtweisen zugrunde liegen, weshalb ich diese auf­

nehme. Gemäss Wild tritt die „Tierphilosophie“ – die er in seinem Text so­

wohl programmatisch entwirft als auch argumentativ verteidigt – für zwei Intuitionen ein. Die erste Intuition spiegelt eine Alltagsintuition und besagt, dass mit „philosophischen Theorien, die darauf festgelegt sind, Tieren Den­

ken oder Bewusstsein abzusprechen, [...] etwas nicht stimmt“.28 Wild schreibt zu dieser Intuition: Sie „spiegelt keine Empfndsamkeiten romanti­

scher Tiernarren oder fanatischer Tierschützer, vielmehr refektiert sie un­

sere [...] alltägliche Art und Weise, über Tiere zu denken und zu reden.“29 Somit sei diese Intuition der Tierphilosophie eine „refektierte Alltagsintuiti­

on.“30 Die zweite Intuition der „Tierphilosophie“ ist gerade keine Alltagsin­

tuition, vielmehr „widerstreb[e]“ diese Intuition der „Tierphilosophie“ unse­

rer Alltagsintuition sogar. Sie besagt, dass der Mensch ein Tier unter Tieren sei.31 Im Umkehrschluss besagt diese Bemerkung von Wild, dass eine unse­

rerAlltagsintuitionen besagt, dass der Mensch nicht bloss ein Tier unter Tie­

ren ist.

Kurz: indem Wild die zwei Intuitionen der Tierphilosophie einführt, hält er implizit auch fest, welches unsere zwei Alltagsintuitionen sind: einer­

27 Der Begriff ‚Intuition‘ wird unten im Haupttext näher beleuchtet.

28 Wild, 2012, S. 21.

29 Ebd.

30 Ebd.

31 Vgl. ebd.

(22)

seits, dass Tieren Denken und Bewusstsein nicht abzusprechen seien (assi­

milationistisch­animalistisch), und andererseits, dass der Mensch nicht bloss ein Tier unter Tieren sei (exceptionalistisch­differenzialistisch). Gemäss Wild widersprechen sich diese Alltagsintuitionen. Also entscheidet er sich im Lichte der von ihm unterstützten Intuition, dass Tieren Denken und Be­

wusstsein nicht abzusprechen sind, gegen die Alltagsintuition, dass der Mensch nicht bloss ein Tier unter Tieren sei.32 Ich denke, damit drängt sich folgende Frage auf: Mit welchem Recht kann man sich angesichts von zwei Alltagsintuitionen für eine dieser beiden Alltagsintuitionen und gegen die andere dieser beiden entscheiden?

Wilds Intuition – darf man eine Alltagsintuition leichthin aufgeben?

‚Alltagsintuitionen‘ sind möglicherweise nicht die verlässlichsten Werte, und vielleicht ist dies der Grund, warum wir auch mal eine Intuition übergehen können? Da hier nicht die gesamte philosophische Debatte zum Bereich

‚Intuitionen‘ beleuchtet werden kann, erachte ich es als hilfreich, das heran­

zuziehen, was Wild selbst zu ‚Intuitionen‘ sagt und zu fragen, ob ihn dies berechtigen würde, eine von zwei Alltagsintuitionen aufzugeben. Zunächst werde ich dabei den Begriff ‚Intuition‘ und ‚Alltagsintuition‘ nicht unter­

scheiden, da Wild auch so vorgeht.

In „Intuitionen, intuitiver Verstand und Intuition“ macht Wild einige interessante Bemerkungen zu „Intuitionen“.33 Er hält fest, dass ‚Intuitionen‘

zum Ausdruck bringen „[w]as wir sagen würden.“34 Das heisst, wenn es un­

sere Alltagsintuition ist, dass wir nicht bloss ein Tier unter Tieren sind, kann man dies in anderen Worten umschreiben mit: „Wir würden sagen, dass wir nicht bloss ein Tier unter Tieren sind.“ Und entsprechend müsste für die andere oben mit Wild eingeführte Alltagsintuition gelten, dass wir sie folgendermassen zum Ausdruck bringen können: „Wir würden sagen, dass Tieren Bewusstsein und Denken nicht abzusprechen sind.“ In der Folge verstehe ich mit Wild unter einer Intuition eine Aussage, die die Formulie­

rung „Wir würden sagen, dass...“ ergänzen kann. Zudem ist für Wilds Ver­

ständnis des Begriffs ‚Intuition‘ folgende Ausführung eine hilfreiche Orien­

tierung: „Die Intuition ist nicht das Ergebnis von Folgerungen, sondern eine spontane Reaktion. Intuitionen werden [...] mittels hypothetischer Fälle (Gedankenexperimente) gewonnen und bringen unser implizites Begriffs­

32 Vgl. ebd, S. 21f.

33 Vgl. Wild, 2012 (Intuitionen), S. 1011­1018.

34 Ebd., S. 1012.

(23)

verständnis direkt zum Ausdruck.“35 Ich erachte diese Ausführung zur Orientierung als hilfreich, weil Wild hier explizit macht, dass er unter

„Intuitionen“ und „implizite[m] Begriffsverständnis“ dasselbe versteht. Das ist insofern hilfreich, weil manchem PhilosophInnen vielleicht „implizites Begriffsverständnis“ ein weniger problematischer Begriff scheint als Intuiti­

on‘. Mit ‚Intuitionen‘ können wir zwei ganz unterschiedliche Dinge meinen.

Wir können etwa von einer Intuition sprechen, wenn jemand behauptet, er wisse, dass heute der lose Ziegel vom Dach fallen wird oder wenn jemand im Frühling sagt, er wisse, dass der ganze Juli verregnet sein wird. Wenn man in diesen Fällen von einer Intuition spricht, geht es um eine Ahnung, für die man nicht­rationale, aber subjektive (vermeintlich stichhaltige) Gründe hat. Solche ‚Intuitionen‘ haben nichts mit einem impliziten Begriffsverständnis zu tun. Wild scheint diese Verwendung von Intuition nicht in Betracht zu ziehen und sich nur für Intuitionen zu interessieren, die unser implizites Begriffsverständnis zum Ausdruck bringen und somit für die Philosophie interessant sind.

Wild erläutert sehr anschaulich an einem Beispiel, wie das, was er

‚Intuitionen‘ nennt oder eben unser„implizites Begriffsverständnis“ in der Philosophie Bedeutung haben kann. Ich will dieses Beispiel hier wiederge­

ben. Wir müssen dazu kurz ausholen: ImTheaitetos bleibt die Frage, was

‚Wissen‘ sei, offen. Eine in der Philosophie geläufge Antwort, die auch im Theaitetos bereits vorkommt, ist, dass Wissen‚gerechtfertigte, wahre Mei­

nung‘ sei. Nun schreibt Wild:

Gettier stellt bekanntlich Fälle vor, die diese Bedingung zwar erfüllen, von denen wir aberintuitiv nicht sagen würden, es handle sich um Wis­

sen. Daraus wurde gefolgert, dass die Antwort falsch ist, weil die hy­

pothetischen Fälle Gegenbeispiele darstellen, und dass eine Antwort gefunden werden muss, die durch solche Fälle nicht widerlegt wird.

Aber warum muss sich eine Theorie daran messen, was wir über hypo­

thetische Fälle sagen würden? Nun, die analytische Philosophie ver­

steht ihr Geschäft als Begriffsanalyse. Sokrates' Frage würde so auf eine Analyse des Begriffs«wissen» zielen. Eine Analyse nennt zum Beispiel notwendige und hinreichende Bedingungen. Da es um eine Analyse von Begriffen geht, müssen wir kompetente Begriffsbenutzer eine zentrale Rolle spielen, denn unser Verständnis von Begriffen drückt sich darin aus, was wir zu hypothetischen Fällen sagen würden.

Wenn nun hypothetische Fälle vorliegen, die diese Bedingungen erfül­

len, die wir aber nicht als Fälle von Wissen klassifzieren, dann ist die Begriffsanalyse gescheitert.36

Wild zeigt damit, dass dasjenige, was wir „intuitiv [...] sagen würden“, unser

„implizites Begriffsverständnis“, die Kraft hat, philosophische Thesen umzu­

35 Ebd.

36 Ebd.

(24)

stossen. Denn nicht nur in der analytischen Philosophie gilt, dass Gettiers Beispiele in Frage stellen, ob die These, dass ِ‚Wissen‘ ‚gerechtfertigte, wah­

re Meinung‘ sei, hinreichend ist. Und wie Wild richtig bemerkt, stellen diese Fälle deswegen die These von Sokrates in Frage, weil sie unserem intuitiven Verständnis davon, was‚Wissen‘ sei, nicht entsprechen. Das heisst, unser intuitives Verständnis, das, was wir auf Grund unseres impliziten Begriffs­

verständnisses sagen würden, hat die Kraft, philosophische Thesen umzu­

stossen. Warum? Wenn die Explikation von einem impliziten Begriff – wel­

cher Philosophie auch immer – zu einem Ergebnis führt, das nicht mit dem impliziten Begriff, von dem man ausging und der unser„implizites Begriffs­

verständnis“ zum Ausdruck bringt, vereinbar ist, dann lief entweder etwas bei der Erläuterung schief oder sie ist noch nicht hinreichend – wie bei der These, dass Wissen gerechtfertigte, wahre Meinung sei. Anders als Wild würde ich nicht so weit gehen zu sagen, dass eine solche Analyse notwendig

„gescheitert“ ist, aber sie ist jedenfalls noch nicht zu ihrem Ziel gekommen, ist in einem ihrer Aspekte noch nicht hinreichend.

Ich hatte oben festgehalten, dass Wild von zwei Alltagsintuitionen ausgeht in Bezug auf eine anthropologische Differenz. In seinem Text

„Tierphilosophie“ geht er nur einer dieser Alltagsintuitionen nach und ge­

sellt ihr eine „Intuition“ bei, die er ebenfalls vertreten will, die aber unserer Alltagsintuition widerstrebt, wie er offen eingesteht (dass der Mensch ein Tier unter Tieren ist). Für uns hat sich die Frage gestellt, mit welchem Recht er so vorgeht. Dies könnte daran liegen, dass Alltagsintuitionen einen anderen Stellenwert haben als Intuitionen und somit weniger Kraft hätten.

Ob dies so ist, thematisiert Wild nicht. Wenn wir jedoch die bisher ange­

führten Erläuterungen von Wild zu „Intuitionen“ im Hinterkopf haben, scheint noch weniger legitim, nur eine von zwei vorgestellten Alltagsintuitionen zu verfolgen. Denn wir haben nun gesehen, dass die im Theaitetos vorgeführte These zu‚Wissen‘ dann als noch nicht hinreichend oder falsch erachtet wird, wenn sie unserem intuitiven Verständnis von Wissen nicht gerecht wird. Müsste nicht entsprechend gelten, dass Wild sei­

ne Thesen zu einer Tierphilosophie verwerfen müsste, sobald er sieht, dass sie einer Alltagsintuition widersprechen?

Selbstverständlich kann aber nicht gelten, dass Intuitionen oder All­

tagsintuitionen das letzte Wort haben, weil sie, wie schon bemerkt, nicht im­

mer verlässlich sind. Und zwar gilt dies auch, wenn wir uns nur mit Intuitionen auseinandersetzen, die unser implizites Begriffsverständnis zum Ausdruck bringen, also nicht mit Intuitionen, die subjektive Vorahnungen zum Ausdruck bringen. Dazu schreibt Wild:

(25)

Erstens sind Intuitionen in hypothetischen Fällen instabil und deshalb wenig vertrauenswürdig. Zweitens variieren Intuitionen systematisch vor dem Hintergrund kultureller und sozioökonomischer Unterschie­

de [...]. Drittens scheinen Intuitionen von theoretischen Hintergrund­

annahmen abhängig zu sein. Entweder sind diese Annahmen explizit, dann muss es intuitionsunabhängige Gründe dafür geben, oder sie sind implizit, dann müssen diese zuerst geprüft werden.37

Wild führt hier Gründe an, warum Intuitionen nicht immer als verlässliche Parameter für Erkenntnisgewinn fungieren können. Dies ist uns – implizit – bereits klar ist, wenn wir den Begriff‚Intuition‘ verwenden. Wenn wir bei­

spielsweise sagen, dass uns etwas‚intuitiv‘ richtig scheint, dann‚wissen‘ wir eben noch nicht, ob es richtig ist, es kann sich auch noch als falsch erweisen, ja, dies würde sogar niemanden besonders erstaunen. Aus diesem Grund muss man Intuitionen unbedingt refektieren, auf mögliche kulturelle und sozioökonomische Tendenzen befragen und ihren Zusammenhang mit ande­

ren Annahmen berücksichtigen. Damit wird auch klar, wie sich für Wild e i n e‚Alltagsintuition‘ von einer‚Intuition‘ unterscheiden würde: Die Alltagsintuition liegt zwar auch vor dem „Hintergrund kultureller und so­

zioökonomischer Unterschiede“ vor, diese werden aber nicht thematisiert.

Die zweite‚Intuition‘ der Tierphilosophie (dass der Mensch ein Tier unter Tieren ist) würde dann wohl deswegen vorliegen, weil diese von „intuitions­

unabhängigen“ Gründen getragen wäre. In einem gewissen Sinne scheint es damit nicht mehr eine Intuition zu sein und vielleicht mehr Berechtigung zu haben.

Darf Wild deswegen eine der Alltagsintuitionen aufgeben? Ange­

sichts dieser Frage scheint mir folgende Betrachtung wichtig: Wild führt an, dass Intuitionendeswegen in der Philosophie interessant sind, weil diese Aus­

druck impliziter Begriffe sind und analytische Philosophie Begriffsanalyse ist. Wir könnten auch sagen – um andere Vorstellungen von Philosophie hinzuzunehmen –, dass Intuitionen als Ausdruck impliziter Begriffe deswe­

gen wichtig sind, weil Philosophie Begriffe expliziert und damit irgendwo einsetzen muss. Das heisst aber, dass der Ausgangspunkt von Philosophie implizite Begriffe oder eben Intuitionen sind.Nun scheint dies zu gelten, wenn­

gleich sie nicht verlässlich sind! Dass sich während einer begriffichen Erläute­

rung eine Intuition als falsch erweisen kann, kann aber nichts daran ändern, dass wir beim Philosophieren von unseren Intuitionen, von unseren implizi­

ten Begriffen ausgehenmüssen, von dem,„was wir sagen würden“. Unser Philosophieren befndet sich daher in seinem Ausgangspunkt in einer pri­

mären Abhängigkeit von Intuitionen. Dass eine Intuition möglicherweise falsch ist, kann sich erst im Zuge einer Begriffserläuterung herausstellen

37 Ebd., S. 1014.

(26)

und ist somit sekundär zu einer grundsätzlichen Abhängigkeit. Auch macht dies klar, warum eine intuitive Annahme wie im Fall, den Wild in Bezug auf Gettier diskutiert, eine wichtige, gute Überlegung als noch nicht zureichend ausweisen kann. Und dies, obwohl wir es im einen Falle mit begründeten philosophischen Gedankengängen zu tun haben und auf der anderen Seite mit einer bloss intuitiven Annahme.

Ich denke, das schliesst ein, dass wir in der Philosophie nicht belie­

big mit unseren Alltagsintuitionen umgehen können. Wenn die Philosophie grundsätzlich abhängig ist von unserem impliziten Begriffsverständnis und sich erst während einer Begriffsanalyse zeigen kann, dass eine Intuition pro­

blematisch ist, während sich aber auch mithilfe einer intuitiven Annahme zeigen kann, dass eine Begriffsanalyse nicht hinreichend ist, dann ergibt sich, dass man eine Alltagsintuition nicht einfach übergehen kann; vielmehr müsste man anfänglich jede Alltagsintuition gleich gewichten, um dann an­

hand dieser Intuitionen eine Begriffsexplikation vorzunehmen, oder anders gesagt, um dann zu philosophieren.

Im Gegensatz zu Wild unterschlagen die meisten PhilosophInnen In­

tuitionen, die zu ihren eigenen Intuitionen oder ihren Thesen im Wider­

spruch stehen – oft ohne sich überhaupt Klarheit darüber zu verschaffen, dass solche Intuitionen bestehen. Das entbehrt einer gewissen Weitsicht, und diese kann man Wild zugestehen, insofern er in der für ihn sehr typi­

schen und philosophisch äusserst interessanten Weise vorerst offen dafür ist, die verschiedenen Intuitionen einzubringen. Dies scheint mir jedoch letztlich nur zielführend, wenn diese Intuitionen auch in eine Begriffsanaly­

se einfiessen können.

Mir scheint, dass viele PhilosophInnen, die in Bezug auf eine anthropologi­

sche Differenz assimilationistisch gesonnen sind, wie etwa Wild, davon aus­

gehen, dass eine Alltagsintuition, die besagt, dass der Mensch nicht ein Tier unter Tieren ist, einer Refexion nicht standhält. Dies wäre dann ein guter Grund, sie aufzugeben. Es besteht der Generalverdacht, dass eine solche In­

tuition dadurch zu Stande kommt, dass der Mensch sich dadurch selbst Vorteile einräumen würde, die eigentlich nicht gerechtfertigt sind. Wäre dies der Fall, würde dieser Umstand tatsächlich dazu berechtigen, die ex­

ceptionalistische Alltagsintuition nicht weiter zu verfolgen, weil sie auf einem

„kulturellen und sozioökonomischen“ Hintergrund beruhen würde, der, ist er erst beleuchtet, nicht standhält. Möglicherweise teilt Wild diese Annahm­

e, so dass er gute Gründe hätte, einer exceptionalistischen Alltagsintuition nicht weiter Aufmerksamkeit zu schenken.Ist ein solcher Verdacht gerecht­

(27)

fertigt?38 Im folgenden Teil werde ich versuchen, diese Frage zu klären. Ich denke, dass es tatsächlich sehr gute Gründe für den Verdacht gibt, dass eine exceptionalistische Intuition auf Neigungen, konkret auf Eigeninteresse un­

serer Spezies beruht. Ich denke aber, dass diese Gründe uns nicht dazu be­

rechtigen, auszuschliessen, dass eine exceptionalistische Alltagsintuition sich auch bewahrheiten könnte, wie ich anschliessend aufzeigen will.

1.1 Hintergründe und Anliegen der exceptionalis- tisch-diferenzialistischen Alltagsintuition

1.1.a) Eigeninteresse?

Tatsache ist, dass in der Öffentlichkeit eine differenzialistische Position oft dort auftritt, wo Eigeninteressen eine wichtige Rolle spielen. Denken wir etwa an die Situation der öffentlichen Diskussion zum Tierrecht. Dass bei einer Diskussion um Tierrecht Pharmavertreter im Interesse von Pharma­

konzernen für eine differenzialistische Position argumentieren, scheint nicht von der Hand zu weisen zu sein. Hingegen scheinen die Mitglieder veganer Vereinigungen nicht vorrangig im Sinne der Interessen einer Institution zu argumentieren. Daher hätten wir mehr Anlass, ihrem assimilationistischen Urteil zu trauen.

In anderen Zusammenhängen kann man ähnliche Beobachtungen machen. So bringen etwa sämtliche Rechtssysteme eine Realität zum Aus­

druck, die klar durch Eigeninteresse der menschlichen Spezies zu Stande kommt. Denn Tiere sind in den meisten Rechtssystemen „Sachen“, die einen

„Antiquitätenstatus“ haben (vgl. Fussnote 39). Das heisst, bei der Recht­

sprechung wird der ‚Sache Tier‘ gemeinhin nicht ein eigener Wert zuge­

schrieben. Kommt ihr ein Wert zu, der mehr ist als ihr materieller Wert, dann in erster Linie deswegen, weil sie einem Menschen viel bedeutet, etwa so wie ihm seine alte Uhr, die er von seinem Grossvater geerbt hat, eineim mehr bedeutet als deren materieller Wert.39 Das schweizerische Recht, in

38 Es bleibt immer die Gefahr bestehen, dass Meinungskonventionen oder Nei­

gungen unser Gefecht von Meinungen derart durchdringen, dass es einerseits in sich kohärent ist und dass sich andererseits die ‚Sache‘ für uns so darstellt, dass diese Meinungen auch ‚sachlich‘ erscheinen und sich daher fast nicht ent­

larven lassen. Diese Schwierigkeit darf uns aber nicht davon abhalten, Alltags­

intuitionen nach ihrem Hintergrund und diesen auf seine Sachlichkeit hin zu befragen, denn nur wenn wir so fragen, können wir überhaupt hoffen, uns in dieser Hinsicht mehr Klarheit zu verschaffen.

39 Es ist zwar so, dass unterdessen in den Reglementen vieler Rechtssysteme ir­

gendwo hinzugefügt wurde, dass Tiere keine Sachen sind; hierbei handelt es sich aber gewöhnlich um eine leere Hinzufügung. Sehr deutlich wird dies etwa im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, § 90a Tiere: „Tiere sind keine Sachen.

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