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Der große Märchenerzähler

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50 DIE PTA IN DER APOTHEKE | November 2018 | www.diepta.de

PRAXIS

O

b „Der kleine

D ä u m l i n g “,

„ A s c h e n b r ö - del“ oder „Das Märchen vom Schlaraffen- land“ – von all diesen Ge- schichten existieren verschie- dene Erzähltraditionen. Doch erst Bechsteins Märchenbuch machte diese Geschichten – auch dank der wunderschönen Illustrationen des Malers und Zeichners Ludwig Richter (1803 bis 1884) zum Kinder- und Hausbuch der Nation. Bis weit in das frühe 20. Jahrhundert hinein blieb die Bechsteinsche Märchensammlung weitaus be- liebter als die der heute viel be- kannteren Brüder Grimm. Das Sammeln und Verfassen von Märchen machte aber nur einen sehr kleinen Teil von Bech- steins literarischer Tätigkeit aus. Sein umfangreiches Werk zählt neben rund 150 Märchen- texten etwa 2300 Sagen, jede Menge Reiseberichte, Balladen, Sonette, Romanzen, Erzählun- gen und historische Romane bis hin zu Schauergeschichten und Totentänzen. Doch wie kam es dazu, dass ein gelernter Apothe- ker zum beliebtesten Märchen- herausgeber des 19. Jahrhun- derts wurde?

BERÜHMTE APOTHEKER

Seine Erzählungen kennen fast alle, seinen Namen und seinen erlernten Beruf jedoch fast niemand: Ludwig Bechstein (1801 bis 1860) war nämlich eigentlich Apotheker, hatte aber nie so recht Freude an diesem Beruf.

Der große

Märchenerzähler

© gemeinfrei

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | November 2018 | www.diepta.de

Traurige Kindheit Seinen Vater hat Ludwig Bechstein wohl nie kennengelernt. Den- noch wird in der Literatur spe- kuliert, ob seine große literari- sche Begabung wohl Erbe seines französischen Vaters aus der Vendée war. Fakt ist: Lud- wig Bechstein war das uneheli- che Kind der Beamtentochter Johanna Karoline Bechstein (1775 bis 1847) und des franzö- sischen Emigranten Louis Hu- bert Dupontreau, Fonenay le Comte. Am 24. November 1801 in Weimar geboren, überließ ihn seine Mutter fremder Erzie- hung. „Wie ein schlimmer Traum“ muteten Bechstein seine ersten neun Kindheits- jahre in Armut und Gedrückt- heit an, dann nahm sich sein Onkel, der Forstrat Johann Matthäus Bechstein (1757 bis 1822), Direktor der Forstakade- mie Dreißigacker bei Meinin- gen, seiner an. Er adoptierte ihn und schickte ihn nach dem ersten Jahr auf dem Wil- helm-Ernst-Gymnasium in Weimar auf das Lyzeum (Gym- nasium) in Meiningen. Ludwig Bechstein erlebte in Meiningen erstmals die Geborgenheit einer Familie. Dennoch wurde er nach strengen Prinzipien er- zogen. Sein Onkel versuchte ihn für die Naturwissenschaf- ten zu begeistern, doch Nei- gung hatte er hierfür keine.

Ludwig Bechstein streifte lieber so durch die Natur und las Volksbücher, Gespensterge- schichten, Abenteuerromane, während die schulischen Noten eher zu wünschen übrig ließen.

Guten Kontakt hatte er aller- dings zum Sohn des Apothe- kers Jahn aus Untermassfeld, mit dem er vermutlich auch ge- legentlich dessen väterliche Apotheke besuchte. Womöglich war das mit ausschlaggebend, dass Ludwig Bechstein letztlich doch erst einmal den Apothe- kerberuf ergriff.

Apothekerberuf als reiner Broterwerb Im Herbst 1818 begann Ludwig Bechstein je- denfalls im thüringischen Arn- stadt seine Apothekerlehre in der Apotheke von Johann Karl Friedrich Kühn. Glücklich war er dort nicht, das Apothe- kerehepaar stritt sich häufig, der ihm übergeordnete Apotheker- gehilfe benahm sich ihm gegen- über gemein. Zudem hatte er zunächst erst einmal viele nie- dere Arbeiten zu verrichten wie

„Düten, Kapseln und Signatu- ren … machen, Schachteln aus- zufüttern, Species und Wurzeln zu schneiden, neu einzufüllen, wenn ein Glas oder eine Büchse leer ist, den Handverkauf zu be- sorgen“ neben „abends in der Pharmacopoe, im Tromsdorf oder Apothekerbuch von Hah- nemann zu lesen“. Dennoch blieb er in der Arnstädter Hof-Apotheke zwei Jahre über die Gehilfenprüfung hinaus.

Zum einen inspirierten ihn wohl die alten Räumlichkeiten sowie der Giftschrank für seine ersten auch veröffentlichten po- etischen Arbeiten (Beschäfti- gung mit Totentänzen, Märchen mit pharmazeutischen Bezügen wie „Gevatter Tod“), zum ande- ren fand er in Arnstadt Freunde und verliebte sich in ein junges Mädchen, was ihn zum Ge- dichtschreiben anregte. Bech- stein knüpfte Kontakte zu Buch- händlern, die ihm erste kleine Nebeneinnahmen bescherten.

1823 erschien seine erste Buch- veröffentlichung „Thüringische Volksmärchen“. Den unange- nehmen Apothekergehilfen, der ihm das Leben schwer gemacht hatte, war Bechstein in seinem dritten Lehrjahr zudem los ge- worden.

1824 wechselte Ludwig Bech- stein in die Hofapotheke nach Meiningen, 1826 wurde er Apothekergehilfe in der Schwan- Apotheke in Salzungen bei Apotheker Luther. Dennoch

war Bechstein in seinem Beruf nicht zufrieden. Den apotheker- lichen Pflichten widmete er sich nur notgedrungen, um in der Freizeit im Freundeskreis an- sonsten zu träumen und Ge- dichte zu schreiben. 1829 er- schien sein Gedichtband

„Sonettenkränze“, auch die

„Märchenbilder und Erzählun- gen“ kam in Leipzig heraus.

Seine Leidenschaft als Dichter, Forscher und Sammler trat zu- nehmend in den Vordergrund.

Aussteiger aus der Phar- mazie Herzog Bernhard II.

von Sachsen-Meiningen wurde auf das junge Talent aufmerk- sam. Als Förderer der Kunst und Kultur unterstützte er Lud- wig Bechstein mit einem drei- jährigen Stipendium, was die- sen bewog den Apothekerberuf aufzugeben und sich stattdessen bis 1831 in Leipzig und Mün- chen dem Studium der Philoso- phie, Literatur und Geschichte zu widmen. Zurückgekehrt nach Meiningen beauftragte ihn sein Gönner zunächst mit der Ordnung des Heldburger Archivs. Kurz darauf erhielt er eine Anstellung als Kabinetts- bibliothekar des Herzogs und zweiter Bibliothekar der Her- zoglich-öffentlichen Bibliothek Meiningen. Damit war Ludwig Bechstein in dem Umfeld ange- kommen, das seine Neigungen und Begabungen viel stärker förderte als die eher nüchterne Naturwissenschaft Pharmazie.

1832 gründete er den Henne- bergischen Altertumsforschen- den Verein Meiningen, dessen Direktor er wurde. Im gleichen Jahr heiratete er seine langjäh- rige Freundin, die 24-jährige Caroline Wiskemann (1808 bis 1834), aus Philippsthal an der Werra, Tochter eines Mechani- kers. Sie gebar 1833 Sohn Rein- hold (1833 bis 1894), der die literarische Neigung und Bega- bung seines Vaters wohl erbte,

denn dieser wurde später Ger- manistik-Professor in Rostock.

Ebenfalls 1833 wurde Lud- wig Bechstein zum ersten Bi- bliothekar der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek in Mei- ningen befördert. Doch nach dem „Glücksjahr“ 1933 folgte das „Trauerjahr“ 1934, denn im Dezember 1834 verstarb Bechsteins junge Frau an einer Lungenerkrankung. Eine mehr- monatige Reise (gedruckte

„Reisetage“) sowie ein geselli- ger Freundeskreis mit intensiver Korrespondenz halfen ihm über die Trauer hinweg. Im Juni 1836 heiratete Bechstein ein zweites Mal, Therese Schulz (1806 bis 1876), mit der er letztlich sie- ben Kinder hatte.

1840 wurde Bechstein zum Hofrat ernannt, 1845 erschien das „Deutsche Märchenbuch“, von dem bis 1853 allein zwölf Ausgaben folgten. Wunsch- vorstellungen über politisches Handeln (erste Demokratiebe- strebungen, Deutschland als Nation), aber auch pharma- zeutische Reminiszenzen fin- den sich in seinen Märchen- bearbeitungen, -sammlungen, aber auch den historischen Ro- manen, Novellen, dem 1853 er- schienenen „Deutschen Sagen- buch“. 1854 kam ein Band mit

„Hexengeschichten“ heraus. Seit 1847 war Bechstein beruflich zudem Leiter der Bibliothek des Hennebergischen Altertumsfor- schenden Vereins. Am 14. Mai 1860 starb Ludwig Bechstein schließlich in Meiningen nach längerer, schwerer Krankheit an Wassersucht (Aszites).  n

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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