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Das Gesundheitswesen im Zeichen der Krise

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Bayerisches Ärzteblatt 5/2009 211

Das Gesundheitswesen im Zeichen der Krise

Die Welt ist seit dem September vergangenen Jahres aus den Fugen geraten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, verursacht durch gierige Spekulanten, be- schäftigt seitdem die Politiker in aller Welt. Immer neue milliarden- schwere Konjunkturpakete wer- den geschnürt, um einen weiteren wirtschaftlichen Niedergang ab- zufedern. Milliarden und Abermil- liarden werden in die Wirtschaft gepumpt, um systemrelevante Banken und Industrien für die Zeit nach der Krise zu erhalten.

Doch schon jetzt ist absehbar, dass der Abschwung mit den un- vorstellbar hohen Summen, die der Staat zur Rettung der Wirt- schaft aufwendet, nicht aufzuhalten sein wird. Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit werden im Laufe des Jahres weiter steigen und niemand kann sagen, ob es im nächsten Jahr schon wieder bes- ser wird.

Das Gesundheitswesen erweist sich in dieser Situation – wieder einmal – als relativ stabiler Wirtschaftszweig. Zu größeren Bei- tragsausfällen ist es bislang noch nicht gekommen. Kranken-, Renten- und Unfallversicherungen können bis auf weiteres mit verlässlichen Einnahmen rechnen. Die Arbeitsplätze in Praxen und Kliniken scheinen relativ sicher zu sein.

Das könnte sich im Laufe der kommenden Monate, wenn die Wirt- schaftskrise mit voller Wucht auf den Arbeitsmarkt durchschlägt, jedoch rasch ändern. Dann wird sich zeigen, was der Gesund- heitsfonds, vor dem bis zuletzt alle gewarnt haben, wirklich wert ist. Wird der Staat dann bereit sein, über das Gesundheitswesen einen Schutzschirm zu spannen und über die bereits zugesagten Milliarden hinaus weiteres Geld in Form von Steuerzuschüssen zur Verfügung zu stellen, um drohende Einnahmelücken zu füllen und so die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu gewähr- leisten? Oder werden wie prognostiziert bereits Mitte des Jahres die ersten Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben müssen?

Angesichts solcher Dimensionen mag der Streit um die Auswir- kungen der Honorarreform und die Regelleistungsvolumina so manchem als vergleichsweise unbedeutend erscheinen. Tat- sächlich geht es bei der Auseinandersetzung jedoch um mehr als nur das leidige Thema Geld. Zur Diskussion steht auch die Struktur der ambulanten medizinischen Versorgung. Noch hat in diesem Zusammenhang niemand die Frage nach dem Erhalt

„systemrelevanter Praxen“ gestellt.

Es muss damit gerechnet werden, dass die Neugestaltung der ärztlichen Honorierung den Strukturwandel in der ambulanten medizinischen Versorgung weiter beschleunigen wird. Dass da- bei die ärztliche Versorgung ganzer Landstriche Gefahr läuft, ausgedünnt zu werden, steht auf einem anderen Blatt.

Zu den Zielen der Honorarreform gehörte nicht nur die bessere Kalkulierbarkeit der Einkommen durch eine Vergütung in Euro und Cent. Beabsichtigt war auch eine Angleichung der ärztlichen Einkommen in Ost und West, in Stadt und Land. Dass dies zu Verschiebungen zulasten der besser ausgestatteten südlichen Bundesländer führen würde, war eigentlich von Anfang an klar.

Als dann aber Ende vergangenen Jahres die ersten Zahlen auf dem Tisch lagen, wurde vielen erstmals klar, was das für die eigene Praxis bedeuten würde. Vor allem in Bayern fühlen sich seitdem die niedergelassenen Fachärzte von der Honorarreform arg gebeutelt. Der nach wie vor unbestrittene Grundsatz „ambu- lant vor stationär“ scheint in Frage gestellt.

Jahrelang hat man von den ambulant tätigen Ärzten verlangt, sie sollten sich wenigstens ansatzweise auch wirtschaftliches Den- ken aneignen. Vertragsärzte, gefesselt durch zahllose Regeln, Vorschriften und Pflichten, tun sich da schwer. Der Vertragsarzt hat sich mit der Kassenzulassung in ein System begeben, dessen Regeln sich ständig und aus Sicht des Einzelnen einseitig än- dern. Unternehmerisches Handeln ist kaum möglich.

Hinzu kommt: Die Schere zwischen Leistungsversprechungen und finanziellen Möglichkeiten hat sich im Laufe der Jahre im- mer weiter geöffnet. Eine Lösung ist nicht in Sicht, es sei denn, die Politik entscheidet sich für einen Grundleistungskatalog und gibt den Bürgern im Gegenzug die Möglichkeit für mehr eigenver- antwortliche Entscheidungen in Fragen der gesundheitlichen und medizinischen Versorgung. Vor diesem Schritt schrecken viele zurück, denn niemand möchte sich dem Vorwurf aussetzen, er wolle die Zwei-Klassen-Medizin fördern.

Kein Wunder deshalb, dass der Ruf nach einem Ausstieg aus dem Kollektivsystem ungeachtet der Finanz- und Wirtschaftskri- se eher noch zunimmt. So gesehen könnte sich die Frage nach den systemrelevanten Praxen demnächst in einem ganz anderen Licht stellen.

Ungeachtet dessen haben die Kassenärztlichen Vereinigungen den Anspruch auf den ungeteilten Sicherstellungsauftrag für die ambulante Versorgung bekräftigt. Gefordert werden mehr Frei- heit für die ärztliche Selbstverwaltung und weniger staatliche Regulierungen. Wie schwierig die Balance jedoch zu finden ist, zeigen die parallelen Entwicklungen im Finanzsektor und im Gesundheitswesen: Auf der einen Seite hat zu wenig staatliche Kontrolle offensichtlich in die Krise geführt, auf der anderen Sei- te hat ein zu viel an gesetzgeberischen Eingriffen zur Lähmung beigetragen.

Auch das ein Zeichen dafür, dass die Welt aus dem Gleichge- wicht geraten ist.

Jürgen Stoschek, Freier Journalist, Starnberg

Jürgen Stoschek

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