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Frauen, die Mut machen

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IP September / Oktober 2019

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© Henning Kettel

Theresa Breuer | Schon wieder spren- gen die Taliban meine Pläne für den Nachmittag. Im wahrsten Sin- ne des Wortes. „Diese Arschlöcher“, schnaubt meine Freundin Nargis ins Telefon, als wir einsehen müs- sen, dass aus unserem Treffen nichts wird, „so viel zum Thema Friedens- gespräche.“

Eigentlich wollte ich mit Nar- gis Kaffee trinken gehen und mir von der 25-jährigen Aktivistin er- zählen lassen, was sie über die Frie- densverhandlungen mit den Taliban denkt. Seit Oktober 2018 führen die radikal islamischen Kämpfer Gesprä- che sowohl mit den Amerikanern als auch mit der afghanischen Regierung.

Die Parteien hoffen, den 18-jährigen Krieg endlich zu beenden. Die USA wollen einem Truppenabzug zustim- men, wenn die Taliban dafür garan- tieren, terroristischen Organisatio- nen die Zuflucht zu verwehren. „Was ich davon halte? Die Antwort kannst du dir jetzt wahrscheinlich selbst ge- ben“, sagt Nargis, während Schüsse in der Ferne zu hören sind.

So absurd es klingt, tatsächlich bedeuten die Friedensverhandlun- gen nicht, dass derzeit Waffenstill-

stand herrscht. An diesem Tag stür- men Taliban-Kämpfer gerade das Ge- bäude einer internationalen Organi- sation. Das Haus liegt genau zwischen Nargis’ und meiner Unterkunft. Stun- denlang liefern sich afghanische Si- cherheitskräfte heftige Gefechte mit den Aufständischen. Eine Autobom- be wird kontrolliert gesprengt. Die Polizei sperrt die Straßen. Immer wieder muss ich auf Anweisungen meines Sicherheits chefs den Schutz- raum meiner Pension aufsuchen. Am Ende sterben neun Menschen, ande- ren Quellen zufolge sogar 13.

Ein paar Tage später gelingt uns doch noch ein Treffen. Nargis Azaryun – jung, gebildet und ambi- tioniert – ist eine dieser Frauen, mit denen die USA und ihre Partner in den vergangenen Jahren immer wie- der den Einsatz in Afghanistan ge- rechtfertigt haben. Sie ist der lebende Beweis, dass es trotz aller Gewalt und anhaltender Kämpfe Fortschritt gege- ben hat. Nargis streitet das nicht ab.

„Ich war sechs oder sieben Jahre alt, als ich mit meiner Familie pickni- cken war. Damals regierten die Tali- ban. Es war verboten, dass sich Män- ner und Frauen gemeinsam in der

Frauen, die Mut machen

Doch die Friedensverhandlungen bieten wenig Aussicht auf neue Hoffnung Brief aus … Kabul

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IP September / Oktober 2019 129 Frauen, die Mut machen

Sie sind eine enga- gierte Minderheit in Afghanistan

Öffentlichkeit aufhielten. Wir haben es trotzdem gewagt. Plötzlich tauch- ten Taliban-Kämpfer auf. Dutzen- de. Sie haben die Männer geschlagen und in Lastwagen abtransportiert.

Die Frauen haben geschrien. Kinder wussten nicht, wo ihre Eltern waren.

Es herrschte totales Chaos.“

Sie erinnert sich auch an Hun- ger. Daran, wie ein Talib ihre Mut- ter schlug, weil man ihre Zehen unter der Burka sehen konnte. Diese Zeiten sind vorbei. Mädchen können inzwi- schen zur Schule gehen und studie- ren, Frauen können sich wählen las- sen. Trotzdem gibt es noch immer hor- rende Gewalt gegen sie. „Meine Eltern waren unglücklich, als ich geboren wurde, weil ich ein Mädchen war“ ist ein Satz, den ich oft in Afghanistan gehört habe. Deshalb hält Nargis die Friedensverhandlungen für gefähr- lich. „Die Taliban repräsentieren für mich alles, wogegen ich stehe: Intole- ranz und ein archaisches Frauenbild.“

Stifte statt Waffen

Bilder verändern – das ist das Ziel, das Negina Azimi verfolgt. Die 21-jähri- ge Künstlerin ist Teil des Graffiti-Kol- lektivs „Artlords“. Gemeinsam wollen sie Kabul verschönern. Die Bomben- schutzwälle, die die Stadt überall ein- mauern, geben Kabul den Anschein eines gigantischen, grauen Gefängnis- ses. Negina und ihr Team besprühen sie mit Farben und Botschaften, an die sie glauben. Fast jeden Tag sitzt Ne- gina in ihrem Atelier und arbeitet an den neuesten Entwürfen. In der Ver- gangenheit hat Negina das erste weib- liche Robotik-Team Afghanistans ge- malt. Und eine Landkarte Afgha- nistans an der Kabuler Universität, umrissen von Bäumen und Vögeln.

Darunter steht: „Stifte statt Waffen“.

Ein paar Straßen weiter betreibt Laila Haidari, 40, ein Restaurant. Im Garten hinter dem Metalltor sitzen Männer und Frauen zusammen, rau- chen Wasserpfeife und es-

sen Pommes. Lailas Ange- stellte sind alles ehemali- ge Drogensüchtige. Eigent- lich ist die Frau mit den kurzen Haaren, die als

eine der wenigen Frauen in Afgha- nistan kein Kopftuch trägt, Suchtbe- raterin. Das Land hat ein gigantisches Drogenproblem.

Laila hat in den vergangenen zehn Jahren Tausende Suchtkranke behan- delt. Nicht alle sind clean geblieben.

Sie sagt, dass sie natürlich Frieden wolle, weil der Krieg die Menschen zerstöre. „Aber wenn ich von Frie- densverhandlungen mit den Taliban höre, wird mir schlecht. Ihre Ideolo- gie ist grundsätzlich frauenfeindlich – und steht damit im Widerspruch zu einem echten Frieden.“

Nicht viele Menschen setzen ihre Hoffnung in die aktuellen Friedens- verhandlungen. Zu zerrüttet er- scheint Afghanistan. Und keine Fra- ge, noch immer sind Frauen wie Lai- la, Negina und Nargis eine winzige Minderheit. Aber wenn es eine Grup- pe in der Bevölkerung gibt, die einem Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen kann, dann sind sie es. Die, die mit Mut, Trotz und Engagement vorangehen.

Theresa Breuer lebt als freie Journalis- tin in Kabul.

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