1 Klinik für Anaesthesiologie und Intensiv- therapie, Universitätsklinikum Magde- burg
2 Rechtsanwalt, Experte für Arzthaftungs- recht, Hannover
3 Schlichtungsstelle für Arzthaftpflicht- fragen der Norddeutschen Ärzte- kammern, Hannover
4 Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- medizin und Schmerztherapie, Unfallkrankenhaus Berlin
Medical and legal assessment of severe treatment failures
in anaesthesiology, intensive care medicine and emergency medicine
An analysis of the medical malpractice proceedings decided by the
Arbitration Board of the Medical Associations in North Germany from 2000 to 2015 T. Hachenberg1,3 · J. Neu2 · K. Kols3 · W. Schaffartzik3,4
Medizinische und juris
tische Bewertung von schweren Behandlungs
fehlern in Anästhesio
logie, Intensivtherapie und Notfallmedizin
Eine Analyse aus der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der Norddeut
schen Ärztekammern (20002015)
Schlüsselwörter
Patientensicherheit – Uner- wünschte Ereignisse – Schwerer Behandlungsfehler – Anästhe- siologie – Intensivtherapie – Notfallmedizin
Keywords
Patient Safety – Adverse Events – Malpractice – Anaesthesio- logy – Intensive Care Medicine – Emergency Medicine Zusammenfassung
Hintergrund: Die Analyse von un- erwünschten Ereignissen (UE) ist ein Grundelement zur Verbesserung der Patientensicherheit. Medizinisch und juristisch liegt ein (einfacher) Behand- lungsfehler vor, wenn der geforderte Standard objektiv unterschritten wird.
Eine objektiv „völlig unverständliche und unverantwortliche“ Standardunter- schreitung kennzeichnet den schweren (groben) Behandlungsfehler. Steht ein solcher fest und ist dieser grundsätzlich geeignet, den vom Patienten erlittenen Gesundheitsschaden herbeizuführen, wird im Wege der Beweislastumkehr auch vermutet, dass der Behandlungsfeh- ler für diesen Schaden ursächlich war. In diesem Einzelfall hat dann die Arztseite zu beweisen, dass ein ursächlicher Zu- sammenhang zwischen Fehler und Scha- den „gänzlich unwahrscheinlich“ ist. Die Häufigkeit schwerer Behandlungsfehler in den Fachgebieten Anästhesiologie, In- tensivtherapie und Notfallmedizin wurde bislang nicht untersucht.
Methode: In eine retrospektive Unter- suchung (01.01.2000 bis 31.12.2015) wurden alle abgeschlossenen Sachent- scheidungen der Norddeutschen Schlich - tungsstelle in den Fachgebieten Anäs- thesiologie, Intensivtherapie und Notfall - medizin eingeschlossen. Aus dieser Stich - probe wurden die schweren Behand- lungsfehler in Anästhesiologie, Intensiv- therapie und Notfallmedizin extrahiert und auf den medizinischen Sachverhalt und die juristische Bewertung hin ana-
lysiert. Die statistische Analyse umfasste die relative und absolute Häufigkeit und einen Vergleich der Sachentscheidungen in der gesamten Stichprobe und den einzelnen Fachgebieten mittels Chi-Qua- drat-Test mit einem Signifikanzniveau von p<0,05.
Ergebnisse: Im Untersuchungszeitraum wurden durch die Norddeutsche Schlich- tungsstelle 41.138 Sachentscheidungen getroffen und bei 11.595 Fällen (28,2%) Behandlungsfehler festgestellt. Aus der gesamten Stichprobe betrafen 1.446 (3,5%) der Schlichtungsangelegenheiten die Fachgebiete Anästhesiologie, Inten- sivtherapie und Notfallmedizin. In 337 Fällen (23,3%) erfolgte die Feststellung eines Behandlungsfehlers und in 53 Fäl- len (3,7%) eines schweren Behandlungs- fehlers (Anästhesiologie n=31, Intensiv - therapie n=21, und Notfallmedizin n=1).
In der Anästhesiologie wurde in 12 Fällen (38,7%) ein schwerer dauerhafter Gesundheitsschaden und in 11 Fällen (35,5%) ein Exitus letalis als Folge des UE festgestellt. In 45% der Fälle traten schwere Behandlungsfehler beim Atemwegsmanagement und bei 19,3%
im Zusammenhang mit einer rücken- marksnahen Regionalanästhesie auf. In der Intensivtherapie kam es in 6 Fällen (28,6%) zu einem schweren dauerhaften Gesundheitsschaden und in 10 Fällen (47,6%) zum Exitus letalis als Folge des UE. 33,3% der schweren Behandlungs- fehler betrafen die Diagnose und The- rapie einer Infektion, Sepsis oder eines septischen Schocks.
Schlussfolgerung: Die Inzidenz schwe- rer Behandlungsfehler in den Fachge- bieten Anästhesiologie, Intensivtherapie und Notfallmedizin war niedrig (0,13%
aller Sachentscheidungen und 3,7% der fachspezifischen Sachentscheidungen).
Die medizinischen Folgen waren für die betroffenen Patienten erheblich und führten in mehr als 70% zu einem dauerhaften schweren Gesundheits- schaden oder zum Tode. Die Ergebnisse vorliegender Studie weisen auf wichtige Schwerpunkte zur Verbesserung der Pa- tientensicherheit in der Anästhesiologie, Intensivtherapie und Notfallmedizin hin.
Summary
Background: The analysis of adverse events (AE) and preventable adverse events (PAE) is essential to improve pa- tient safety. Medical practice is defined as an objective substandard of care, which may under certain circumstances lead to a shifting of the burden of proof.
The prevalence of severe AE and reversal of evidence in anaesthesiology, intensive care medicine and emergency medicine has not been analysed.
Method: Medical claims cases (1 Jan.
2000 to 31 Dec. 2015) in anaesthe- siology, intensive care medicine and emergency medicine of the Arbitration Board of the North German Medical Associations were analysed for reversal of evidence. Statistical analysis com- prised relative and absolute frequency of AE and comparison of AE in different medical specialties by chi square test (p<0.05).
Results: During the study period 41,138 medical claims were completed by the Arbitration Board of the North German Medical Associations and in 11,595 cases (28.2%) malpractice was ascer- tained. 1,446 medical claims (3.5%) of the complete sample were attributed to anaesthesiology, intensive care me- dicine and emergency medicine. In 53 cases medical and juridical judgement confirmed severe AE leading to death (n=21) or severe persistent damage (n=18). In anaesthesiology, most cases of severe AE were associated with airway management (45%) or central neuraxial blocks (19.3%), whereas substandard in
diagnosis and treatment of acute infec- tion, sepsis or septic shock were leading causes of severe AE (33.3%) in intensive care medicine.
Conclusion: The incidence of severe AE and reversal of evidence was low in anaesthesiology, intensive care medicine and emergency medicine (0.13% of all medical claims cases and 3.7% of speci- fic claims cases), however, malpractice led to persistent severe damage or death in more 70% of cases. The results of the present study may point out core areas for improvement of patient safety in anaesthesiology, intensive care medicine and emergency medicine.
Einleitung
Die Analyse unerwünschter Ereignisse (UE) ist ein Grundelement zur Verbes- serung der Patientensicherheit. Laut Be- handlungsfehlerstatistik der Gutachter- kommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern ließ sich im Jahr 2014 bei 2.252 von 7.751 Fällen (29%) ein Behandlungsfehler feststellen. Bei mehr als 700 Millionen ambulanten und 18,6 Millionen stationären Behandlungsfällen in Deutschland liegt die Häufigkeit von Behandlungsfehlern konstant auf einem niedrigen Niveau [1].
In jüngerer Zeit wurden mehrere inter- nationale Studien zu UE im Zusammen- hang mit anästhesiologischen Verfahren publiziert, die jedoch nur teilweise eine detaillierte Analyse des medizinischen und juristischen Sachverhalts enthalten [2-4]. Untersuchungen zu Behandlungs- fehlern in der Intensivmedizin liegen nicht in vergleichbarem Maße vor, ob- wohl UE in diesem Bereich nicht selten eintreten und eine große Bedeutung für die Patientensicherheit haben [5].
Ziel der vorliegenden Studie war die retrospektive Analyse von abgeschlosse- nen Verfahren der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern Hannover (Norddeut- sche Schlichtungsstelle) hinsichtlich der Häufigkeit und der medizinischen und juristischen Bewertung schwerer Behandlungsfehler in den Fachgebieten Anästhesiologie, Intensivtherapie und Notfallmedizin.
Material und Methoden
Die Studie wurde in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Otto- von-Guericke Universität Magdeburg für die retrospektive Auswertung personen- bezogener Daten und dem Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger (Datenschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt) vom 18.02.2002 durch- geführt. Die Analyse der Schadensfälle erfolgte analog zu der in einer früheren Studie beschriebenen Methode [6]. In die Untersuchung wurden alle Fälle der norddeutschen Schlichtungsstelle eingeschlossen, bei denen allein oder in Zusammenarbeit mit anderen Fachdiszi- plinen ein externes anästhesiologisches Fachgutachten erstellt oder die Bewer- tung des Sachverhalts durch ein Mitglied der Fachkommission (W.S. oder T.H.) er- folgt war. Gutachten der Medizinischen Dienste der Krankenkassen oder Partei- gutachten wurden nicht berücksichtigt.
Aus der Gesamtheit der Schadensfälle aus den Fachdisziplinen der Fachgebiete Anästhesiologie, Intensivtherapie und Notfallmedizin vom 01.01.2000 bis 31.12.2015 erfolgte eine Analyse der Fälle, bei denen aus medizinischer und juristischer Sicht ein Behandlungsfehler festgestellt worden war. Der Schwere- grad des Gesundheitsschadens wurde anhand einer Skala der National Patient Safety Agency [4] bewertet (Tab. 1).
Die Auswertung erfolgte für jeden Fall anhand von standardisierten Kriterien, welche a priori von zwei medizinischen Untersuchern (W.S. und T.H.) und dem juristischen Untersucher (J.N.) festgelegt wurden. Die Items beinhalten die Tat- bestände für juristische Besonderheiten (Beweislasterleichterungen) Aufklärungs- mangel, Dokumentationsmangel, Befund - erhebungsmangel, Anscheinsbeweis, voll beherrschbares Risiko und schwerer Be- handlungsfehler. Aus dieser Stichprobe wurden die schweren Behandlungsfeh- ler in Anästhesiologie, Intensivtherapie und Notfallmedizin extrahiert und auf den medizinischen Sachverhalt und die juristische Bewertung hin analysiert.
Statistik
Die Items wurden bei der Gesamtaus- wertung für alle Jahrgänge in prozentu- aler Häufigkeit auf die Grundgesamtheit bezogen. Eine statistische Auswertung für den Vergleich zwischen den Items erfolgte durch das Institut für Biome- trie und Medizinische Informatik der Medizinischen Fakultät der Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg mittels des Chi-Quadrat-Anpassungstests bei einem Freiheitsgrad. Die relative Häu- figkeit hn(A) von Items wurde errechnet aus dem Verhältnis der absoluten Häufigkeit Hn(A) und der Gesamtzahl aller Elemente in der zugrundeliegenden Menge. Die Sachentscheidungen und Behandlungsfehler im zeitlichen Verlauf wurden anhand einer linearen Regres- sionsanalyse überprüft. Als statistisch signifikant galt ein p-Wert von <0,05.
Ergebnisse
Insgesamt wurden vom 01.01.2000 bis 31.12.2015 durch die Norddeutsche Schlichtungsstelle 41.138 Sachentschei- dungen getroffen und bei 11.595 Fällen (28,2%) Behandlungsfehler festgestellt.
Aus der gesamten Stichprobe betrafen 1.446 (3,5%) Schlichtungsangelegen- heiten die Fachgebiete Anästhesiologie, Intensivtherapie und Notfallmedizin.
Die jährlichen Fälle nahmen von 2000 bis 2015 signifikant zu (p<0,001).
Bei 337 Sachentscheidungen (23,3%) erfolgte die Feststellung eines Behand-
lungsfehlers (p<0,05 im Vergleich zur gesamten Stichprobe). Bei insgesamt 53 Fällen ergab die medizinische und juristische Bewertung einen schweren Behandlungsfehler, wobei sich im zeit- lichen Verlauf keine Steigerung ergab (p=0,092) (Abb. 1). Das Fachgebiet An- ästhesiologie (n=31, Tab. 2) war häufiger im Vergleich zur Intensivmedizin (n=21, Tab. 3) beteiligt, der Unterschied jedoch statistisch nicht signifikant. In einem Fall wurde ein schwerer Behandlungsfehler bei der notärztlichen Versorgung eines komatösen Patienten festgestellt (Tab.
4). In der Anästhesiologie wurde in 12 Fällen (38,7%) ein schwerer dauerhafter
Gesundheitsschaden und in 11 Fällen (35,5%) ein Exitus letalis als Folge des UE festgestellt. In der Intensivmedizin ergab die Analyse in 6 Fällen (28,6%) einen schweren dauerhaften Gesund- heitsschaden und in 10 Fällen (47,6%) einen Exitus letalis als Folge des UE.
Die Häufigkeit der Endpunkte Tod oder schwerer dauerhafter Gesundheitsscha- den unterschied sich statistisch nicht zwischen den Fachgebieten Anästhesio- logie und Intensivmedizin.
Diskussion
Der Arzt schuldet dem Patienten eine standardgerechte Behandlung. Der Standard definiert die Art und Weise der Behandlung, die – angepasst an die individuellen Anforderungen des ein zelnen Behandlungsfalls – nach all- gemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen und ärztlicher Erfahrung zum Zeitpunkt der Behandlung ange- zeigt ist. Generell ist aus dem bloßen Eintritt einer Komplikation weder au- tomatisch zu schließen, dass bei der vorausgegangenen Maßnahme dem Arzt ein Fehler unterlaufen ist, noch dass es sich um eine Komplikation handele, die eingriffstypisch und deshalb unvermeid- bar sei. Es ist in jedem Einzelfall zu prü- fen, ob die Komplikation trotz richtigen ärztlichen Handelns aufgetreten ist (also
Abbildung 1
120 100 80 60 40 20
0
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Sachentscheidungen Anästhesiologie, Intensivtherapie und Notfallmedizin Schwere Behandlungsfehler
Sachentscheidungen (Anzahl n) der Norddeutschen Schlichtungsstelle (2000-2015).
Tabelle 1
Schweregrad des Gesundheitsschadens nach einem unerwünschten Ereignis (Skala der National Patient Safety Agency [4].
Schweregrad Definition
Kein Kein Gesundheitsschaden (unabhängig von einer möglichen Prävention) Niedrig Minimaler Gesundheitsschaden, der eine zusätzliche Beobachtung oder
geringe Behandlung erfordert 1
Mittel Bedeutsamer, aber nicht dauerhafter Gesundheitsschaden oder mittlere Eskalation der Behandlung 2
Hoch Dauerhafter Gesundheitsschaden als Folge des Ereignisses 3 Tod Tod als Folge des Ereignisses
1. Erste Hilfe, zusätzliche Therapie oder Medikation, exklusiver zusätzlicher Krankenhaus-Aufenthalt, erneute Operation oder stationäre Wiederaufnahme
2. Re-Operation, ungeplante Krankenhaus-Wiederaufnahme, verlängerte ambulante oder stationäre Behandlung, Verlegung in einen Bereich mit höherer Versorgungsstufe, wie z.B. einer Intensivstation
3. Dauerhafte Beeinträchtigungen der sensorischen, motorischen, physiologischen oder intellektuellen Körperfunktionen.
unvermeidbar war) oder ob die Kompli- kation als Folge fehlerhaften ärztlichen Handelns anzusehen ist (also vermeid- bar war). Zu einem (einfachen) Behand- lungsfehler kommt es dann, wenn der geforderte Standard objektiv unter- schritten wird. Der Patient hat sowohl den schuldhaften Behandlungsfehler als auch die Kausalität von Fehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden zu beweisen. Diese Beweislastverteilung trägt dem Grundsatz Rechnung, dass der Arzt sich dem Patienten angesichts des Dienstvertragscharakters des Be- hand lungsvertrages gegenüber nur ver - pflichten kann, bei der Behandlung die erforderliche Sorgfalt zu beachten.
Einen bestimmten Heilungserfolg oder das Nichtauftreten von Komplikationen kann er nicht zusagen, weil diese oft von zahlreichen unvorhersehbaren und un- beeinflussbaren Faktoren abhängig sind.
Diese für den Arzt günstige Beweislast- situation ändert sich unter bestimmten Voraussetzungen. Bei einem schweren Behandlungsfehler wird im Rahmen einer Beweislastverlagerung auf die Arztseite vermutet, dass der Fehler zu dem eingetretenen Schaden geführt hat.
In dieser Situation muss der Arzt be- weisen, dass ein Kausalzusammenhang trotz der generellen Eignung in diesem speziellen Fall gerade nicht besteht, zu- mindest aber äußerst unwahrscheinlich ist. Ein schwerer Behandlungsfehler liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn
„der Arzt eindeutig gegen ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medi zinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlech- terdings nicht unterlaufen darf.“ (BGH Urteil vom 11.06.1996 - VI ZR 172/95).
Dabei ist es nicht erforderlich, dass der schwere Behandlungsfehler die einzige Ursache für den Gesundheitsschaden ist. Es reicht aus, dass der schwere Behandlungsfehler generell geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu ver- ursachen. Nahelegen oder wahrschein- lich braucht der Eintritt eines solchen Erfolges nicht zu sein (BGH-Urteil vom 27.04.2004 - VI ZR 34/03). Dieser Sachverhalt ließ sich nach medizinischer und juristischer Bewertung bei 53 von
41.138 Sachentscheidungen (0,13%) der Norddeutschen Schlichtungsstelle und 1.446 Sachentscheidungen (3,7%) aus den Fachgebieten Anästhesiologie, Intensivtherapie und Notfallmedizin nachweisen.
Unerwünschte Ereignisse im Krankenhaus
Von allen Sachentscheidungen der Norddeutschen Schlichtungsstelle der Jahre 2000 bis 2015 betrafen 3,5%
die Fachgebiete Anästhesiologie und Intensivmedizin, was die Ergebnisse internationaler Studien bestätigt [4, 7,8]. Die vorliegende Untersuchung zeigte eine signifikante Steigerung der Sachentscheidungen in der Anästhesi- ologie und Intensivmedizin von 2000 bis 2015, nicht jedoch der schweren Behandlungsfehler (Abb. 1). Eine Studie an schweizerischen anästhesiologischen Versicherungsfällen ergab in den ersten Jahren nach Einrichtung des Swiss Anaesthesiology Closed Claims Analysis Project (SACCP) eine lineare Zunahme der anästhesiologischen Verfahren [2].
Auch in einer retrospektiven Analyse des National Health Service Litigation Authority (NHSLA) aus Großbritannien nahmen die anästhesiologischen Scha- densfälle zunächst von 84 (1995-1997) auf 219 (2001-2003) zu [4].
Unerwünschte Ereignisse in der Anästhesiologie
In vorliegender Studie betrafen 45,1%
der schweren anästhesiologischen Behandlungsfehler das Atemwegsma- nagement, was mit den Ergebnissen verschiedener Studien übereinstimmt [9-11]. Eine Analyse des NHSLA (1995 bis 2007) ergab, dass ein Substandard beim Atemwegsmanagement für 12%
der UE, für 53% der Todesfälle und für 27% der finanziellen Kompensationen für Gesundheitsschäden verantwortlich war [10]. Das American Society of Anesthesiology Closed Claims Project (ASACCP) fand bei 13% der Schadens- fälle Ventilationsprobleme und bei 5,6%
einen schwierigen Atemweg [12,13]
und die Australian Incident Monitoring Study (AIMS) bei 2.000 untersuchten UE in 16% der Fälle Ventilationsprobleme und in 4% einen schwierigen Atemweg
[14,15]. Eine umfangreiche japanische Studie an 1.440.776 Patienten der ASA Klasse 1 konnte zeigen, dass Kompli- kationen des Atemwegsmanagements oder der Ventilation für 57% der kriti- schen Ereignisse ohne Herzstillstand verantwortlich war [16]. In der Folge dieser und anderer Studien wurden international und national erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung des Managements beim schwierigen Atem- weg unternommen [17,18] und von der DGAI am 12.03.2015 die S1-Leitlinie Atemwegsmanagement verabschiedet [19]. Leider weisen die Ergebnisse vor- liegender Studie darauf hin, dass trotz klarer Handlungsempfehlungen bis in jüngere Zeit schwere anästhesiologische Behandlungsfehler auftreten. Dies be- stätigt die Ergebnisse einer kanadischen Untersuchung, nach der auch nach einem intensiven Simulationstraining der Logarithmus zum korrekten Manage- ment des schwierigen Atemwegs nur teilweise eingehalten wurde [20]. Eine Verbesserung der Patientensicherheit in diesem Bereich ist nur zu erreichen, wenn die anästhesiologischen Abläufe beim Atemwegsmanagement regelmä- ßig geübt und überprüft werden.
Die Aspiration von Mageninhalt war in vorliegender Studie eine häufige, kritische Situation, die zu schweren dau- erhaften Gesundheitsschäden oder zum Tod führte. Dies bestätigt die Ergebnisse der NHSLA Studie, welche bei 11 von 67 respiratorischen Schadensfällen eine pulmonale Aspiration mit nachfolgen- dem ARDS ergab [10]. Die Prävalenz wird nach aktuellen Untersuchungen auf 3-10 pro 10.000 Narkosen geschätzt mit einem höheren Risiko bei schwangeren Patientinnen und bei Kindern [21]. Eine Aspiration von Mageninhalt stellt per se keinen Behandlungsfehler dar, wenn bei der anästhesiologischen Betreuung des Patienten die erforderliche Sorgfalt eingehalten wurde [22]. Allerdings ist hier neben der medizinischen die juristische Bewertung des UE von Be- deutung. Wenn in einem hypothetischen Beispiel bei einem Patienten mit hohem Aspirationsrisiko keine geeigneten prophylaktischen Maßnahmen getroffen werden und im Rahmen der Narkose eine Aspiration eintritt, würde dies
Tabelle 2
Behandlungsfehler im Fachgebiet Anästhesiologie.
Nr. Jahr Diagnose Gesundheitsschaden Medizinische Bewertung Juristische Bewertung
1 2000 Rektum-Karzinom Spinaler Abszess Cauda equina Syndrom Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhafte Diagnostik bei neurologischem Defizit nach Anlage eines Epiduralkatheters
Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler
2 2003 Schilddrüsen-Karzinom Hypoxischer Hirnschaden Apallisches Syndrom
Fehlerhaft nicht durchgeführte bronchoskopische Kontrolle des Trachealtubus und Monitoring des exspiratorischen pCO2
Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler
3 2003 Sigma-Divertikulitis Aspirationspneumonie Multiorganversagen Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhafte Durchführung der Narkose Fehlerhaftes Atemwegsmanagement
Schwerer Behandlungsfehler
4 2003 Rezidivstruma Hypoxischer Hirnschaden Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhaftes Atemwegsmanagement Schwerer Behandlungsfehler
5 2003 Skoliose Exitus letalis Fehlerhafte präoperative Diagnostik
Fehlerhafte Therapie einer akuten Herz-Kreislauf- insuffizienz
Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler
6 2004 Omarthrose Thrombophlebitis
Sensibilitätsstörungen
Nichtbeachtung der Hygienestandards bei Benutzung einer Venenverweilkanüle
Schwerer Behandlungsfehler
7 2005 Sectio caesarea Exitus letalis Fehlerhafte Diagnostik und Therapie einer akuten Blutung
Schwerer Behandlungsfehler
8 2005 Abszess im Bereich der Mundhöhle
Exitus letalis Fehlerhafte Durchführung der Narkose Mangelhafte postoperative Überwachung Fehlerhaft nicht durchgeführte Intubation im Aufwachraum
Fehlerhafte kardiopulmonale Reanimation
Schwerer Behandlungsfehler
9 2008 Retinierte Weisheits zähne Trachealeinriss Luftemphysem Pneumothorax
Verlängerte Krankenhaus- Verweildauer
Fehlerhafte Auswahl und Dosierung der Anästhetika Fehlerhaftes Atemwegsmanagement
Mangelhafte Dokumentation
Dokumentationsmangel Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
10 2008 Koxarthrose Exitus letalis Fehlerhaft durchgeführte Spinalanästhesie Fehlerhafte Diagnostik und Therapie bei akutem neurologischem Defizit
Schwerer Behandlungsfehler
11 2010 Chronische Nieren- insuffizienz Shunt-OP
Exitus letalis Fehlerhaft nicht durchgeführte Abklärung einer präoperativen Herz-Kreislaufinsuffizienz (Dilatative Kardiomyopathie)
Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler
12 2010 Mamma-Karzinom Passageres neurologisches Defizit Verlängerte Krankenhaus- Verweildauer
Verspätete Reaktion auf intraoperative Hypotonie und Hypoxie
Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
13 2010 Rektozele Dauerhaftes neurologisches Defizit
Mehrfache Operationen Verlängerte Krankenhaus- Verweildauer
Fehlerhafte Spinalanästhesie bei Thromboseprophy- laxe mit niedermolekularem Heparin
Verzögerte Diagnostik bei akutem Querschnitts- Syndrom
Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
14 2010 Leistenhernie Hypoxischer Hirnschaden Apallisches Syndrom
Fehlerhafte Durchführung der Narkose Fehlerhaftes Atemwegsmanagement
Schwerer Behandlungsfehler
15 2010 Pankreas-Karzinom Spinales Hämatom Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhafte Benutzung und Überwachung des thorakalen Epiduralkatheters
Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
16 2010 Herzinsuffizienz bei Z.n.
Virus-Myokarditis Gallenblasenhydrops
Hypoxischer Hirnschaden Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhafte Einleitung und Durchführung
der Narkose Schwerer Behandlungsfehler
17 2011 Fibrosarkom am Unterarm Hypoxischer Hirnschaden Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhafte intraoperative Herz-Kreislauf therapie Fehlerhafte postoperative Intensivtherapie
Schwerer Behandlungsfehler
18 2011 Lipom im Bereich der lumbalen Wirbelsäule
Passagere respiratorische Insuffizienz
Verlängerter Krankenhaus- aufenthalt
Fehlerhaftes Atemwegsmanagement Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard-
unterschreitung
wahrscheinlich einen einfachen Be- handlungsfehler begründen. Wenn trotz dieser Komplikation die postoperativen Therapiemaßnahmen nicht medizinisch korrekt durchgeführt werden, würde dies ebenfalls für einen einfachen Behand- lungsfehler sprechen. In der Kumulation der Standardunterschreitungen kann jedoch vom Juristen ein schwerer Be- handlungsfehler festgestellt werden mit einer Umkehr der Beweislast zu Lasten des Anästhesisten.
In vorliegender Studie betrafen 6 Fälle (19,3%) die Indikation, Durchführung und postoperative Überwachung einer rückenmarksnahen Regionalanästhesie.
Im Gegensatz dazu waren Leitungsblo-
ckaden oder Lokalanästhesien bei der Analyse schwerer Behandlungsfehler nicht vertreten. Komplikationen bei Regionalanästhesien stehen in vielen Untersuchungen zu UE im Mittelpunkt [11,23-26]. In älteren Studien lag die Prävalenz schwerer neurologischer Schäden nach rückenmarksnahen Regio - nalanästhesien bei 4,5-5,2 pro 100.000 (Finnland 1987 bis 1993) und 4,0-5,0 pro 100.000 (Schweden 1990 bis 1999) [27,28]. Nach einer prospektiven bri- tischen Untersuchung (Third National Audit Project of the Royal College of Anaesthetists 2006 bis 2007) beträgt die Häufigkeit schwerer neurologischer Komplikationen nach Spinal- oder Epiduralanästhesien 2,0 pro 100.000
und ist damit in den letzten 25 Jahren deutlich gesunken [29]. Eine detaillierte Analyse von Daten des finnischen Patient Insurance Centre (2000 bis 2009) kam mit 1,9 bedeutsamen neuro- logischen Komplikationen pro 100.000 Regionalanästhesien zu vergleichbaren Ergebnissen [23]. Zwischen den Verfah- ren bestanden erhebliche Unterschiede mit einem Risiko von 1:62.000 für Epi- duralanästhesie bei operativen Eingriffen oder zur Schmerztherapie, 1:89.000 für die kombinierte Spinal- und Epi- duralanästhesie, 1:144.000 für die Epiduralanästhesie in der Geburtshilfe und 1:775.000 nach Spinalanästhesie.
Auch das Verhältnis von Allgemein- und Regionalanästhesie stellt sich bei Tabelle 2
Behandlungsfehler im Fachgebiet Anästhesiologie.
19 2011 Bursitis praepatellaris Hypoxischer Hirnschaden Dauerhaftes neurologisches Defizit
Mangelhafte postoperative Überwachung Fehlerhafte kardiopulmonale Reanimation
Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
20 2011 Sectio caesarea Hypoxischer Hirnschaden Apallisches Syndrom
Fehlerhaftes Atemwegsmanagement Schwerer Behandlungsfehler
21 2011 Placenta accreta bei Spontangeburt
Exitus letalis Fehlerhafte Diagnostik und Behandlung einer akuten intraoperativen Hämorrhagie
Schwerer Behandlungsfehler 22 2011 Hypopharynx-Karzinom
Akute Blutung Exitus letalis Fehlerhaftes Atemwegsmanagement Schwerer Behandlungsfehler
durch kumulative Standard- unterschreitung
23 2012 Sectio caesarea Aspirationspneumonie Posttraumatisches Stress- Syndrom
Fehlerhafte Benutzung und Überwachung des Epiduralkatheters
Fehlerhaftes Atemwegsmanagement
Schwerer Behandlungsfehler
24 2013 Luxationsfraktur im Fußgelenkt
Passageres neurologisches Defizit
Fehlerhafte postoperative Diagnose und Therapie einer Meningitis
Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
25 2013 Hernia umbilicalis Aspirationspneumonie Tracheotomie Langzeitbeatmung
Schwere passagere Beeinträchti- gung der körperlichen Leistungs - fähigkeit
Fehlerhafte Auswahl und Dosierung der Anästhetika Fehlerhaftes Atemwegsmanagement
Fehlerhafte postoperative Intensivtherapie
Dokumentationsmangel Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
26 2013 Koronare Herzkrankheit Aortenklappenstenose
Exitus letalis Fehlende Dokumentation der intraoperativen Herz-Kreislauf- und Beatmungswerte
Fehlerhafte intraoperative Herz-Kreislauftherapie
Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
27 2013 Humerusfraktur Aspirationspneumonie Schwere passagere Beeinträchti- gung der körperlichen Leistungs- fähigkeit
Fehlerhaftes Atemwegsmanagement Fehlerhafte postoperative Intensivtherapie
Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
28 2013 Dupuytren´sche Kontraktur Exitus letalis Fehlerhafte Auswahl des Anästhesieverfahren
Fehlerhaftes Atemwegsmanagement Schwerer Behandlungsfehler
29 2014 Ileus Exitus letalis Fehlerhaftes Atemwegsmanagement
Fehlerhafte postoperative Intensivtherapie
Schwerer Behandlungsfehler
30 2015 Sectio caesarea Hypoxischer Hirnschaden Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhafte Diagnose und Therapie einer akuten Herz-Kreislaufinsuffizienz
Fehlerhafte Diagnose und Therapie einer akuten postoperativen Blutung
Schwerer Behandlungsfehler
31 2015 Lumbaler Bandscheiben- vorfall
Exitus letalis Fehlerhafte postoperative Überwachung im Aufwachraum
Schwerer Behandlungsfehler (Fortsetzung)
den einzelnen internationalen Studien verschieden dar. Nach einer Analyse des NHSLA (1995 bis 2007) betrafen 44%
der anästhesiologischen Schadensfälle die Regionalanästhesie, wobei die Epiduralanästhesie häufiger vertreten war als die Spinalanästhesie [4]. Zu ver- gleichbaren Ergebnissen kam die Analyse des SACCP (1987 bis 2008), nach der Schadensfälle nach Regionalanästhesie zweimal so häufig vertreten waren im Vergleich zur Allgemeinanästhesie [2].
In kanadischen und US-amerikanischen Studien [30,31] betrug der Anteil von Regionalanästhesien hingegen nur 20%
der anästhesiologischen Schadensfälle, was den Ergebnissen vorliegender Studie entspricht. Periphere Regionalanästhe- sieverfahren oder Lokalanästhesien (z.B.
am Auge) sind dem gegenüber wesent- lich seltener die Ursache von UE [11,32].
Hier stehen weniger Schäden durch das Anästhesieverfahren – z.B. die Punktion – im Vordergrund, sondern die Toxizität der verwendeten Medikamente [33].
Unerwünschte Ereignisse in der Intensivmedizin
Schwere Behandlungsfehler in der Inten- sivmedizin stellten sich in vorliegender Studie sehr heterogen dar. 33,3% der beanstandeten ärztlichen Maßnahmen betrafen die Diagnostik und Behandlung einer Infektion, Sepsis oder eines septi- schen Schocks. Erhebliche Standardun- terschreitungen wurden ferner bei den Krankheitsbildern akute Herz-Kreislauf- insuffizienz und schwere Blutung und Gerinnungsstörung festgestellt. Im Gegen satz zu den anästhesiologischen Sachentscheidungen waren in der Inten- sivmedizin schwere Behandlungsfehler beim Atemwegsmanagement weniger häufig zu verzeichnen.
Die Intensivmedizin ist wegen der mul- timorbiden Patienten und komplexen Therapiemaßnahmen ein Schwerpunkt von UE, wenngleich weniger systema- tische Untersuchungen im Vergleich
zur Anästhesiologie vorliegen. Eine retrospektive Studie (2009 bis 2010) in englischen Krankenhäusern ergab 31 kritische Ereignisse pro 1.000 Tage pro klinische Einrichtung [34]. Davon waren im Median (Interquartilsabstand) 10 (7-13) Ereignisse pro 1.000 Tage mit einem Gesundheitsschaden verbunden, wobei Druckläsionen der Haut am häufigsten auftraten. Krankenhauserwor- bene Druckulzera treten bei 3,6% aller Patienten und 7,9% der Risikopatienten auf, wobei die Prävalenz durch zahlrei- che Qualitätsinitiativen im Bereich der Pflege in den letzten Jahren deutlich gesunken ist [35]. Lagerungsschäden oder Druckläsionen der Haut wurden in vorliegender Studie nur in einem Fall schwerer intensivmedizinischer Behand- lungsfehler nachgewiesen.
In einer prospektiven Beobachtungsstu- die (48 Stunden) an 57 Intensivstationen in Österreich, Deutschland und der Schweiz mit 795 Patienten wurden in
Tabelle 3
Behandlungsfehler im Fachgebiet Intensivmedizin.
Nr. Jahr Diagnose Gesundheitsschaden Medizinische Bewertung Juristische Bewertung
1 2003 Koronare Herzkrankheit Exitus letalis Fehlerhafte Diagnostik bei Oesophagus-Perforation Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler 2 2003 Peptische Kardiastenose Akute Lungenarterienembolie
Passage schwere Herz-Kreislauf- und respiratorische Insuffizienz
Fehlerhaft nicht durchgeführte postoperative Thromboseprophylaxe
Postoperativ fehlerhafte Fortsetzung der Gestagen- Therapie
Schwerer Behandlungsfehler
3 2004 Koronare Herzkrankheit Schweres Dekubitalulcus Mehrfache Operationen
Fehlende Dokumentation der Dekubitusprophylaxe Fehlende Dokumentation eingeleiteten Behandlung
Dokumentationsmangel Schwerer Behandlungsfehler 4 2004 Coxarthrose Verwechslung eines Eigenblut-
Erythrozytenkonzentrats Akute Transfusionsreaktion
Fehlerhafte Durchführung der Bluttransfusion Schwerer Behandlungsfehler
5 2006 Narbenhernie Exitus letalis Fehlerhafte Therapie der Herz-Kreislaufinsuffizienz Fehlerhafte Behandlung der akuten Blutung
Schwerer Behandlungsfehler
6 2006 Kolon-Karzinom Exitus letalis Fehlerhafte Diagnostik bei Sepsis Fehlerhafte Antibiotikatherapie
Schwerer Behandlungsfehler 7 2007 Aneurysma dissecans
aortae Typ A Dauerhaftes neurologisches
Defizit Fehlerhafte Diagnose eines entzündlichen Prozesses Fehlerhafte Diagnose eines Verschlusses des A. carotis interna rechts
Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler
8 2007 Raumforderung im Bereich des Dens axis
Hypoxischer Hirnschaden Apallisches Syndrom
Fehlerhafte Diagnostik
Fehlerhaftes Atemwegsmanagement Fehlerhafte Reanimation
Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
2007 Akuter Myokardinfarkt Passagere Herz-Kreislauf- Insuffizienz
Fehlerhafte Diagnostik eines akuten Myokardinfarktes Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler 9 2008 Akuter Myokardinfarkt
Pneumonie
Exitus letalis Fehlerhafte Therapie der respiratorischen Insuffizienz Schwerer Behandlungsfehler
10 2008 Akute Pankreatitis Exitus letalis Fehlerhafte Reanimation Schwerer Behandlungsfehler
11 2009 Gonarthrose Exitus letalis Fehlerhafte postoperative Überwachung
Fehlerhafte Diagnose und Therapie eines septischen Schocks
Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
269 Fällen insgesamt 641 Behandlungs- fehler festgestellt [36]. Medikationsfeh- ler, Verlust von künstlichen Atemwegen, ungeplante Dislozierung von arteriellen und venösen Verweilkathetern und Drainagen standen dabei im Mittelpunkt [37]. Dies steht teilweise im Gegensatz zu den Ergebnissen vorliegender Studie, bei der ein Drittel der schweren Behand- lungsfehler bei Patienten mit septischem Schock auftrat. Im Vordergrund standen die Auswahl und Dosierung von Antibio- tika und die Diagnose und Behandlung einer schweren Kreislaufinstabilität. Fer- ner betrafen nach Bewertung der Nord-
deutschen Schlichtungsstelle schwere intensivmedizinische Behandlungsfehler die Beherrschung akuter Blutungs- komplikationen. Zur Diagnostik und Behandlung von Sepsis und septischem Schock, Herz-Kreislaufinsuffizienz und akuten Gerinnungsstörungen wurden durch verschiedene Fachgesellschaften Leitlinien und Empfehlungen erstellt, die bei der medizinischen und juristischen Bewertung der Sachverhalte ebenfalls hinzugezogen wurden. Die häufig sehr komplexen intensivmedizinischen Krankheitsverläufe legen nahe, dass ein multimodaler Ansatz zur Vermeidung
von UE zielführend ist [38]. Eine verbes- serte Kommunikation im Krankenhaus kann nach einer US-amerikanischen Studie die Häufigkeit medizinischer Fehler und UE signifikant vermindern, was wahrscheinlich auch auf die Inten- sivmedizin übertragbar ist [39].
In der retrospektiven Untersuchung betraf ein Fall die Notfallmedizin, wobei die klinische Situation eines komatösen und stark hypothermen Patienten fehler- haft eingeschätzt und behandelt wurde.
Eine über die Einzelfallanalyse hinaus- gehende Betrachtung ist nicht möglich.
Allerdings fällt als bemerkenswertes Er- Tabelle 3
Behandlungsfehler im Fachgebiet Intensivmedizin.
12 2010 Colitits ulcerosa Exitus letalis Fehlerhafte Diagnose und Therapie eines septischen Schocks
Fehlerhaftes Atemwegsmanagement
Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler 13 2011 Morbus Crohn Schwere dauerhafte Beeinträch-
tigung der körperlichen Leistungsfähigkeit Verlängerte Krankenhaus- Verweildauer
Fehlerhafte Therapie bei septischem Schock Fehlerhafte Beatmungstherapie
Schwerer Behandlungsfehler
14 2011 Spondylodiszitis Passagere Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit Verlängerte Krankenhaus- Verweildauer
Fehlerhafte Diagnose einer akuten Infektion Fehlerhafte Antibiotikatherapie
Schwerer Behandlungsfehler
15 2011 Gonarthrose Exitus letalis Fehlerhafte Diagnose und Therapie eines septischen Schocks
Schwerer Behandlungsfehler
16 2011 Nieren-Karzinom Hypoxischer Hirnschaden Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhafte postoperative Überwachung
Verzögerte Diagnose und Therapie einer hypertonen Krise
Schwerer Behandlungsfehler durch kumulative Standard- unterschreitung
17 2013 Neuroblastom Hypoxischer Hirnschaden Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhafte Diagnose und Therapie einer Perikardtam- ponade
Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler 18 2013 Gonarthrose Exitus letalis Fehlerhafte Diagnose und Therapie einer akuten
Perfusionsstörung der unteren Extremität
Fehlerhafte Diagnose und Therapie eines septischen Schocks
Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler
19 2013 Koronare Herzkrankheit Ischämischer Schlaganfall Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhafte Diagnose und Therapie einer
post operativen HIT II Befunderhebungsmangel
Schwerer Behandlungsfehler
20 2014 Akuter Myokardinfarkt Hypoxischer Hirnschaden Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhafte Intensivtherapie nach Reanimation
Schwerer Behandlungsfehler
21 2015 Zerebrales Anfallsleiden Exitus letalis Fehlerhafte postoperative Überwachung Schwerer Behandlungsfehler (Fortsetzung)
Tabelle 4
Behandlungsfehler im Fachgebiet Notfallmedizin.
Nr. Jahr Diagnose Gesundheitsschaden Medizinische Bewertung Juristische Bewertung
1 2012 Koma
Akute Hypothermie
Respiratorische Insuffizienz Dauerhaftes neurologisches Defizit
Fehlerhafte Diagnostik und Erstbehandlung bei Koma
Fehlerhafte Diagnostik und Erstbehandlung bei akuter Hypothermie
Befunderhebungsmangel Schwerer Behandlungsfehler
gebnis vorliegender Studie auf, dass von 41.138 Sachentscheidungen die Notfall- medizin insgesamt sehr selten betroffen und bei schweren Behandlungsfehlern nur einmal repräsentiert war.
Die vorliegende Fallauswertung ist mit verschiedenen methodischen Einschränkungen behaftet. Neben den Schlichtungsstellen der Ärztekammern werden UE vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) und vor Zivilgerichten behandelt. Die vorlie- gende Studie kann daher nur einen Teil der tatsächlichen Sachentscheidungen beinhalten. Die Ergebnisse des MDK unterscheiden sich nicht grundsätzlich von der Behandlungsfehlerstatistik der Gutachterkommissionen und Schlich - tungsstellen der Ärztekammern, wenn - gleich die Schwerpunkte der bean- standeten Maßnahmen beim MDK anders gelagert sind [1,40,41]. Da die Anzahl der Anästhesieverfahren oder Intensivpatienten in den beteiligten Ärzte kammerbereichen nicht bekannt ist, lassen sich keine Angaben über die Inzidenz schwerer Behandlungsfehler machen. Die Fragestellung ließe sich – wenn überhaupt – nur mit einer breit angelegten prospektiven Studie beantworten. Der untersuchte Anteil an Sachentscheidungen im Zeitraum von 2000 bis 2015 kann nur Aussagen über Häufigkeiten in der eingegrenzten Stichprobe machen. Da Therapieemp- fehlungen ständig weiterentwickelt werden – z.B. nach der Einführung von neuen oralen Antikoagulantien oder von Behandlungsbündeln beim septischen Schock [42,43] – ist die Einbeziehung noch größerer retrospektiver Zeiträume im Hinblick auf die aktuelle anästhe- siologische und intensivmedizinische Praxis nicht sinnvoll. Dennoch gelten die Ergebnisse vorliegender Studie für einen kleinen Teil der Sachentscheide der Norddeutschen Schlichtungsstelle, und es können daraus keine Schluss- folgerungen für andere Fachgebiete wie z.B. Orthopädie/Traumatologie, Chirurgie oder Innere Medizin gezogen werden.
Dies sollte Gegenstand weiterführender Untersuchungen sein.
Schlussfolgerungen
Die Häufigkeit schwerer Behand
lungsfehler war in den Fachgebieten Anästhesiologie, Intensivtherapie und Notfallmedizin niedrig und betrug in einer retrospektiven Analyse der Nord
deutschen Schlichtungsstelle über einen Zeitraum von 15 Jahren 0,13% der ge
samten und 3,7% der fachspezifischen Sachentscheidungen. Allerdings waren die medizinischen Folgen für die betrof
fenen Patienten erheblich und führten in mehr als 70% zu einem dauerhaften schweren Gesundheitsschaden oder zum Tod. Trotz der niedrigen Inzidenz lassen sich Ansätze zur Prävention ab
leiten. In der Anästhesiologie traten 45% der schweren Behandlungsfehler beim Atemwegsmanagement auf, was die Bedeutung der aktuellen S1Leitlinie Atemwegsmanagement der DGAI nach
drücklich unterstreicht. In der Intensiv
medizin betrafen schwere Behandlungs
fehler in einem Drittel der Fälle die Diagnose und Therapie einer Infektion, Sepsis oder eines septischen Schocks.
Die Ergebnisse vorliegender Studie wei
sen damit auf wichtige Schwerpunkte hin, die zur Verbesserung der Patienten
sicherheit in der Anästhesiologie und Intensivtherapie im Mittelpunkt des In
teresses stehen müssen.
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Leipzigerstraße 44
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Fax: 0391 6713501 E-Mail:
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