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Unreine Reime als Evidenz für die Organisation phonologischer Merkmale

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Thomas Berg

Unreine Reime als Evidenz für die Organisation phonologischer Merkmale

Absicht des vorliegenden Beitrags ist es, den Aussagewert von Reimdaten für die linguisti- sche Theoriebildung zu begründen. Im Zuge der aktuellen Diskussion um die Struktur subphonemischer Größeneinheiten sind für das Deutsche zwei Merkmale ermittelt wor- den, die sich von dem ihnen zugeordneten Segment besonders leicht abspalten: die Länge bei den Vokalen und die Stimmhaftigkeit bei den Konsonanten. Auf der Grundlage dieses Sonderstatus läßt sich die Prognose aufstellen, daß die beiden Merkmale zu einer Unrein- heit von Reimen führen könnten. D.h., ihre Abspaltungsbereitschaft könnte sich auf Reime in der Weise auswirken, daß in ansonsten reinen Reimen nicht-identische Merkmal- spezifikationen auftreten, ein Langvokal also auf einen Kurzvokal und ein stimmhafter auf einen stimmlosen Konsonanten gereimt wird. Zur Überprüfung dieser Vorhersage wurde die gesamte Reimdichtung von Wilhelm Busch ausgewertet. Es kann gezeigt wer- den, daß es die Unreinheit als solche gibt und diese durch Diskrepanzen in der Rundling, Länge und Stimmhaftigkeit hervorgerufen wird. Durch eine stärker quantitative Analyse

tläßt sich nachweisen, daß die Rundungsunreinheit wahrscheinlich von Busch nicht als solche empfunden wurde. Somit erweisen sich genau die beiden Merkmale als unreinheits- auslösend, die in linguistischen wie psycholinguistischen Untersuchungen ein auffälliges Verhalten offenbart haben. Die Reimdaten bestätigen insofern Modelle, die für die Konso- nanten eine primäre Unterscheidung in laryngale und supralaryngale Schichten vorsehen.

Für die Vokale ist eine Repräsentation gefordert, die strikt zwischen qualitativen und quantitativen Eigenschaften trennt.*

/. Einleitung

In den letzten 10-15 Jahren haben in der Phonologic mehrere Umwälzungen stattgefunden. Eine von ihnen hat die landläufige Hypothese in Frage gestellt, daß die distinktiven Merkmale als ungeordnete, zeitlose Größeneinheiten aufzu- fassen sind. Anstelle dessen setzt sich in zunehmendem Maße die Einsicht durch, daß den subphonemischen Elementen eine eigene hierarchische Strukturierung zugrunde liegt. Zunächst wurden einzelne phonologische Merkmale aufgrund ihres abweichenden Verhaltens aus dem segmentalen „Kern" herausgelöst und einer für sie eigens bestimmten autosegmentalen Repräsentationsschicht zuge-

* Mein besonderer Dank gilt den Gutachtern dieser Zeitschrift, ohne deren fundierte Kritik dieser Aufsatz nicht annähernd zu dem geworden wäre, was er jetzt ist. Sie haben mich vor einer Reihe von Unklarheiten und Fehlern bewahrt und mir zu einer anderen Meinung verholfen, die mir im Vergleich zu meiner früheren viel überzeugender erscheint.

Zeitschrift für Sprachwissenschaft 9, l und 2 (1990), 3-27

© VandenHoeck & Ruprecht, 1991 ISSN 0721-9067

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wiesen. In diesem Zusammenhang sei u. a. auf die Töne, die Nasalität, die Quan- tität und die Posteriorität (z. B. bei der Vokalharmonie) verwiesen. Diese Ergeb- nisse sind in jüngster Zeit zu der Erkenntnis verallgemeinert worden, daß alle subphonemischen Komponenten über eine eigene Repräsentationsschicht ver- fügen und diese Schichten in einem spezifischen Verhältnis zueinander stehen. Die perspektivenreichsten Vorschläge hierzu stammen von Clements (1985), dessen Modell der Schichtenorganisation1 für die Analyse von konsonantenspezifi- schen Phänomenen konzipiert worden ist. Ziel und Leistung dieses Modells bestehen vor allem darin, Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten zwischen den einzelnen Merkmalen zu erfassen. Dies wird durch eine unterschiedliche Distanz zwischen den Schichten gewährleistet. So steht beispielsweise die Laryngal- schicht relativ isoliert im Vergleich zu den beiden Schichten des Artikulations- orts und der Artikulationsart, die beide der Supralaryngalschicht untergeordnet sind. Die Motivation für diese Anordnung ist sowohl phonetischer als auch phonologischer Natur. Sie ergibt sich aus der relativen Unabhängigkeit zwi- schen den einzelnen Merkmalen, wie sie sich in der Artikulation und in phonolo- gischen Regeln bzw. Prozessen widerspiegelt. Gegenstand der linguistischen Analyse in Clements (1985) sind vornehmlich Assimilationserscheinungen.

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es,, in die aktuelle Diskussion einen neuen Datentyp einzubeziehen. Welche Daten sprachwissenschaftlich relevant sind, ist ein weitgehend ungelöstes Problem. Viel zu selten sind die empirischen Grundla- gen der Linguistik thematisiert worden. Wenn sie aber doch Gegenstand der Methodenreflexion waren, wurde deutlich, daß nicht einmal in den grundlegen- den Fragen Klarheit und Einigkeit besteht. Für die Phonologie hat Ohala (1986) jüngst die Datenproblematik aufgegriffen und eine (unvollständige) Liste von sechs Datentypen zusammengestellt. Bemerkenswerterweise hält er die Typen, die im Zentrum des sprachwissenschaftlichen Interesses stehen, für die am we- nigsten aussagekräftigen. Umgekehrt sind Ohala zufolge die ertragreichsten Da^

ten noch kaum erhoben bzw. ausgewertet worden. Zu diesen rechnet er Reime, Versprecher, Sprachspiele und vor allem Experimente. Die erste dieser Daten- quellen, der poetische Reim, soll hier unter dem Blickwinkel aufgegriffen wer- den, welcher Aussagewert ihm für die Theoriebildung der modernen Phonologie beizujnessen ist.

Da Reime die Akzentuierung der formalen Seite der Sprache zum Ziel haben, ist es im Grunde naheliegend, sie für die phonologische Analyse in Betracht zu ziehen. Dies würde in der diachronen Sprachwissenschaft auch getan, und zwar . meist in der Absicht, durch den Vergleich von Reimpaaren Erkenntnisse über den lautlichen Wert bestimmter Grapheme bzw. Graphemsequenzen zu gewin- nen (z.B. Victor 1906; Philipp 1968; Reenen 1987). In der angloamerikanischen Forschung wurden die Reime als Hinweis auf die Realität von phonologischen l Clements' Modell ist als Abbildung bereits in dieser Zeitschrift veröffentiieht wor- den (cf. Wiese 1987 :233).

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Unreine Reime 5

Regeln gesehen, die in der Umwandlung von Tiefenstrukturen in Oberflächenre- präsentationen zur Anwendung kommen (z. B. Anderson 1969; Kiparsky 1968, 1972; Malone 1982,1988). Den Ausgangspunkt all dieser Arbeiten bilden unrei- ne (Anfangs- und End-)Reime, also solche, in denen die den Reim konstituieren- den Elemente formal nicht identisch sind. Die genannten Autoren postulieren, daß die Unterschiedlichkeit „nur" ein Oberflächenphänomen ist, die Identität jedoch auf einer tiefer liegenden Repräsentationsebene nachzuweisen sei. Dem- zufolge führt die Anwendung phonologischer Regeln zu einer Verwischung der ursprünglich vorhandenen Identität. Die unreinen Reime werden also als Recht- fertigung für die Trennung in eine Oberflächen- und eine (oder mehrere) [Tiefenstruktur(en) und als Beweis für die Existenz von (morpho)phonologi-

> -sehen Umwandltmgsprozessen gesehen. Zu ähnlichen Schlüssen war schon l Jakobson (1963) gekommen, auch wenn sie noch nicht in der Terminologie der

j Generativen Grammatik formuliert waren.

Viel gradliniger als die an spezielle Theorien gebundenen Analysen sind die Aussagen, die die Reime über die sie tragende lineare Sequenz gestatten. Es ist eine naheliegende Annahme, daß diese Sequenz eine phonologisch relevante Größeneinheit bildet, der poetische Reim also eine phonologische Entsprechung findet.2 In der Tat ist dies auch in Ansätzen erkannt worden. Viele, aber längst 5 nicht alle Phonologen, die die Silbe als signifikante Größeneinheit akzeptieren,

; gehen von einer internen Struktur aus, die zumindest die Kategorien 'Einsatz' p (Initialkonsonanz) und 'Reim' (Silbenträger + evtl. Finalkonsonanz) umfaßt.

* Die Inbezugsetzung von Einsatz und Alliteration einerseits und von phonologi- schem und poetischem (End-)Reim andererseits liegt auf der Hand: So deckt sich der poetische Reim mit einer Silbenstrukturkomponente, der beispielsweise bei der phonologischen Bestimmung von Wortakzentregeln eine gewichtige Rol- le zufallt. Darüber hinaus ist der Reim auch in der Psycholinguistik und in der Phonetik als relevante Größeneinheit erkannt worden (z.B. Yaniv et al. 1990;

Treiman 1989; Peterson/Lehiste 1960). Nicht für die linguistische Forschung ausgewertet wurde bisher die Tatsache, daß es neben den maskulinen (subsil- bisch wie z. B. Dach - Fach) auch feminine (suprasilbisch wie z. B. springen - singen) Reime gibt. Diese umfassen eine Phonemsequenz, die in der Phonologie noch keine Entsprechung gefunden hat. Erste Analysen zeigen aber, daß hier eine Lücke im phonologischen Beschreibungsapparat festzustellen ist, die aufzu- füllen sich durchaus lohnen würde (cf. Berg 1989a).

2 Damit ist natürlich nicht gesagt, daß ein Begriff aus der Poetik automatisch eine Entsprechung in der Phonologie haben muß. Da es sich hier um kategorial unterschiedli- che Konzepte handelt, besteht kein zwingender Grund zu dieser Annahme. Es kann jedoch kaum als Zufall angesehen werden, daß mit ein und derselben Größeneinheit in beiden Bereichen sinnvolle Aussagen zu treffen sind. Auch ist mit der Hypothese der Entspre- chung von poetisch und phonologisch relevanten Sequenzen keineswegs impliziert, daß in jedem Einzelfall eine vollständige Deckungsgleichheit vorliegen muß.

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Die vorliegende Arbeit ist folgendermaßen gegliedert. Im nächsten Abschnitt werden diejenigen distinktiven Merkmale vorgestellt, die im Deutschen ein auf- falliges Verhalten zeigen. Wenn diese sich von anderen Merkmalen unterschei- den, liegt die Vermutung nahe, daß sich diese Unterschiedlichkeit auch in den Reimen manifestiert. Im darauffolgenden Abschnitt wird diese Vorhersage auf der Grundlage von Wilhelm Buschs Werk überprüft. Im letzten Teil geht es dann um eine theoretische Aufbereitung der Ergebnisse und eine generelle Einschät- zung des Werts von Reimdaten für die linguistische Modellbildung.

2. Suprasegmentale Merkmale des Deutschen

Suprasegmentale Merkmale sind dadurch gekennzeichnet, daß sie sich in einer gewissen Unabhängigkeit zu dem ihnen zugehörigen Segment oder segmentalen Kern befinden. Diese Unabhängigkeit kommt darin zum Ausdruck, daß phono*

logische Prozesse oder Regeln das Segment affizieren und dabei gleichzeitig das Suprasegment unberücksichtigt lassen. Eine solche Dissoziation ist im Deut- schen bei der Vokallänge und der Stimmhaftigkeit der Konsonanten zu beob- achten.

Daß die phonemische Quantität einen Sonderstatus unter den Merkmalen einnimmt, konnte anhand vieler Sprachen nachgewiesen werdep (Hayes 1986).

Prinzipiell gibt es drei Grundmöglichkeiten der Repräsentation langer Vokale (bzw. Konsonanten). Man kann sie erstens mit dem Merkmalswert [lang] verse- hen und die Länge damit den anderen Merkmalen gleichstellen. Zweitens bietet es sich an, lange Segmente als Sequenz zweier Kurzsegmente, also als Gemina- ten, darzustellen. Schließlich gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die Länge suprasegmental zu interpretieren, so als Bestandteil der metrischen Struktur (Leben 1980), als Eigenschaft des Worts (Hombert 1973) bzw. als Bindung an den phonologischen Reim (Bannert 1977). Daß für das Deutsche die supraseg- mentale Lösung die überzeugendste ist, zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit in Versprechern wie (1):

(1) Der war blutrünstig, statt: blutrünstig

Hier erscheint durch eine momentane Funktionsstörung das /Y/ aus -rünstig in einer Position, für die ursprünglich das /u:/ vorgesehen war. Der hintere Vokal wird dabei aber nicht vollständig verdrängt; er hinterläßt insofern seihe Spuren, als er dem Fehlerelement seine Längenspezifikation aufdrängt. So entsteht durch Rekombination der qualitativen und der quantitativen Merkmale der Vokal /y:/, der im syntagmatischen Kontext der Zieläußerung gar nicht nachzu- weisen ist. Der Fehlerprozeß geht also an der Quantität vorüber, nur die Quali- tät des Vokals ist betroffen. Aus der Tatsache, daß eine solche Abspaltung im

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Unreine Reime 7

Deutschen der Regelfall ist (Stemberger 1984; Berg 1988), läßt sich der Schluß ziehen, daß die Quantität als ein nicht-inhärentes, d. h. suprasegmentales Merk- mal der Vokale aufzufassen ist.

Auch die Stimmhaftigkeit weist einen gewissen Sonderstatus in der Phonolo- gie auf. Während sich die Bestandteile von Konsonantenclustern nur in der Artikulationsart oder dem Artikulationsort unterscheiden können, ist eine aus- schließliche Ungleichheit hinsichtlich der Stimmhaftigkeit nicht möglich. Abfol- gen wie *[tdym] kommen in den Sprachen der Welt nicht vor. Die Tendenz zu einer einheitlichen Stimmhaftigkeit zeigt sich auch in einer Reihe von Assimila- tionsprozessen wie bei der Realisierung des Pluralmorphems im Englischen oder im intramorphemischen Bereich über die Silbengrenze hinweg im Französischen (medecin wird in der Regel [ 4$ ] gesprochen). Der segmentübergreifende Charakter der Stimmhaftigkeit wird weiterhin daraus ersichtlich, daß bei über^

einstimmenden Merkmalwerten eine erhöhte Kohärenz zwischen den Konso- nanten eines Clusters zu beobachten ist, denn in Versprechern werden Sequen- zen wie /dr/ eher ganzheitlich modifiziert als Lautfolgen wie /tr/ (Berg 1989c).

Am deutlichsten tritt der suprasegmentale Status der Stimmhaftigkeit jedoch in einer Untergruppe von Einzelkonsonantfehlern auf. Grundbedingung dafür ist eine Diskrepanz in der Stimmhaftigkeit zwischen dem Ziel- und dem Quellseg- ment. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, gleicht sich das verdrängende Seg- ment dem verdrängten hinsichtlich seiner Stimmhaftigkeitsspezifikatiou an, wie im Beispiel (2) zum Ausdruck gebracht wird.

(2) Die hätte mir die Ausen - Augen ausgekratzt.

Das Ungewöhnliche an diesem Versprecher ist, daß das Quellelement /s/ aus aus· beim Positionswechsel nicht als/s/, sondern als /z/ auftaucht. Es gibt also seine Stiinmlosigkeit auf und paßt sich an die Stimmhaftigkeit des Zielelements /g/ an. Diese Abwandlung kann so gedeutet werden, daß die Stimmhaftigkeit in solchen Versprechern außer acht gelassen wird; der Fehlerprozeß reagiert nicht auf dieses Merkmal, sondern erfaßt Segmente, von denen die Stimmhaftigkeit in gewissem Sinne abstrahiert worden ist.3 An Versprechern wie (1) und (2) wird also ein Abspaltungsprozeß sichtbar, bei welchem ein bestimmtes Merkmal aus dem segmentalen Kern herausgetrennt wird. Die Stimmhaftigkeit steht offenbar in einem distanzierteren Verhältnis zu dem ihr übergeordneten Segment als an- dere Merkmalgruppen wie z. B. die Artikulationsart. Diese Erkenntnis führte zu der Hypothese, daß die Stimmhaftigkeit im Deutschen suprasegmental zu wer- ten sei (Berg 1985). Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, daß die segmen- tale Abwandlung nur im wortmedialen Bereich obligatorisch erfolgt, im Wort-

3 Eine intervokalische Stimmhaftigkeitsassimilation, die nach dem eigentlichen Ver- sprecher anzusetzen wäre, ist insofern auszuschließen, als das Deutsche in dieser Position sowohl stimmhafte als auch stimmlose Konsonanten zuläßt (vgL reißen vs. reisen). Immer- hin gibt es ja auch das Wort außen.

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anlaut findet sie nur fakultativ statt. Da es aber im folgenden um Endreime geht, bleibt diese Einschränkung ohne Belang.

Diese Resultate lassen sich nun wie folgt auf die Reimdaten anwenden. Wenn die Vokallänge und die Stimmhaftigkeit in Versprechern unberücksichtigt blei- ben, wäre es denkbar, daß eine ähnliche „Blindheit" gegenüber diesen Merkma- len auch bei den Reimen anzutreffen ist. D. h., es läßt sich eine zweifache Pro- gnose aufstellen. Aufgrund der „Unreinheit" bei Versprechern wäre erstens eine Unreinheit der Reime zu erwarten. Diese Unreinheit mußte sich zweitens mit den Kategorien der Quantität und der Stimmhaftigkeit beschreiben lassen. Es dürften also nur solche Reime vorkommen, bei denen eine Diskrepanz in der Spezifikation dieser beiden Merkmale nachzuweisen ist. Grundlage dieser Er- wartung ist die These, daß Stimmhaftigkeit und Vokallänge in einer nur losen Verbindung zum segmentalen Kern stehen, so daß sie im Falle einer Unreinheit als erste „übersehen" werden. Sollte sich diese Vorhersage bewahrheiten, würde die suprasegmentale Interpretation von einem gänzlich anderen Datentypus Be- stätigung erfahren und somit an Allgemeingültigkeit gewinnen. Für den Fall, daß sich die aufgestellte Prognose nicht erfüllt, wäre man gezwungen, generelle Aussagen über den phonologischen Status einer Größeneinheit zu vermeiden oder die Validität des einen oder anderen Datentyps in Zweifel zu ziehen.

3. Linguistische Analyse der unreinen Reime bei Wilhelm Busch Zur Klärung der Existenz und der Art der unreinen Reime wurde auf die gereim- te Dichtung von Wilhelm Busch (1832-1908) zurückgegriffen. Busch bietet sich nicht nur aufgrund seiner herausrägenden Stellung in der Volksdichtung an.

Seine Reime sind vor allem deswegen für eine sprachwissenschaftliche Analyse geeignet, weil der Lautwert der Grapheme in aller Regel eindeutig bestimmt werden kann. Es läßt sich immer klar zwischen gereimten und ungereimten Versen trennen, was als Voraussetzung für die Identifikation unreiner Reime anzusehen ist. Weiterhin ist immer klar erkennbar, wann Busch in der Hochspra- che und wann im Dialekt schreibt. Als bodenständiger Norddeutscher sprach er Hochdeutsch ebenso wie Platt (Mehlem 1940) und brachte beide Varianten (deutlich voneinander unterschieden) in seine Dichtung mit ein.

Als Materialgrundlage dient das von Bohne (o. J.) herausgegebene Gesamt- werk Wilhelm Buschs. Es enthält annähernd 10000 Reimpaare. Die einzelnen

"Reimtypen (maskulin versus feminin, wortgrenzenimmanent versus wortgren- zentranszendent etc.) sind für die linguistische Untersuchung nicht von Bedeu- tung; es geht ausschließlich um die phonologische Analyse der lautlichen Diver- genz. In den zugrunde gelegten Daten lassen sich 1014 unreine Reimpaare iden- tifizieren, wobei zunächst Jteimtokens und nicht Rsimtypes gezählt worden sind.

Mit fast 10 % ist dies ein nicht unerheblicher Teil des Gesamtmaterials. Wie aus

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Unreine Reime

Tab, 1: Häufigkeit unreiner Reime in Bohne (o. J.) unterteilt nach Art der Unreinheit

Rundung 91490.1 %

Länge 717.0%

Stimmhaftigkeit 292.9%

Summe 1014100%

Tab. l ersichtlich, lassen sich drei Untergruppen von unreinen Reimen unter- scheiden.

Zunächst folgt für die drei Typen der Unreinheit jeweils ein Beispiel.

'(3) Oh, was macht der Besenstiel

i Für ein schmerzliches Gefühl! (III, S. 61) (4) Doch wie er schnell den Rückzug sucht,

Hemmt's Stubenmädel seine Flucht. (I, S. 401) (5) Kaum hat er dies als wahr befunden,

So kommt ein Stich direkt von unten. (IV, S. 37)

In allen drei Fällen entsteht die Unreinheit durch eine Diskrepanz in einem

! distinktiven Merkmal. Nur durch die Rundung unterscheiden sich /i:/ und /y:/ in :(3). Die Längenspezifikation ist der wesentliche Unterschied zwischen /u:/ und

/u/ in (4).4 Die Differenzierung von /t/ und /d/ in (5) erfolgt über das Merkmal der Stimmhaftigkeit. Vorbedingung für eine Zuordnung zu der Gruppe der un- reinen Reime ist, daß neben der Diskrepanz in einem der genannten Merkmale auch die Identität in eben diesem Merkmal im Korpus belegt sein muß. Um (5) als unrein zu klassifizieren, müssen also auch Fälle wie in (6) und (7) nachgewie- sen werden. Dies ist für alle zur Diskussion stehenden Merkmale ohne Schwie- rigkeiten möglich.

(6) Jener Herr - so war es leider! -

War ihr Vater und - mein Schneider. (I, S. 44) (7) Zwei Knaben, jung und heiter,

Die tragen eine Leiter. (I, S. 130)

4 Damit soll nicht negiert werden, daß sich /u:/ und / / auch in ihrer Qualität vonein- ander unterscheiden. Dieser Unterschied ist jedoch als Folge des Längenunterschieds zu werten. Daß er keine phonologische Relevanz hat und mit der Länge eine zuverlässige Spezifikation erreicht wird, ist in Ramers (1988) begründet worden.

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Auffallig ist, daß sich alle unreinen Reime in nur einem Merkmal voneinander unterscheiden. Zu dieser allgemeinen Regel gibt es nur zwei Arten von Ausnah- men, von denen sich mindestens eine bei näherer Betrachtung gar nicht als sol- che erweist. Die eine Kategorie bilden die /ai/-/oi/ Reime, von denen 186 in Buschs Werk zu verzeichnen sind, darunter auch (8).

(8) Und selbst, wer es auch redlich meint, Erwirbt sich selten einen Freund. (IV, S. 203)

Die betroffenen Diphthonge lassen sich besser miteinander vergleichen, wenn man sie als biphonematische Größen wertet, wofür es auch gewisse Anhalts- punkte gibt (Berg 1986). Unter dieser Voraussetzung ist der lautliche Unter- schied im ersten Bestandteil des Diphthongs zu lokalisieren. Zwar unterscheiden sich diese beiden Konstituenten nicht in einem, sondern in zwei Merkmalen, der Rundung und der Höhe, doch behält auch hier das Prinzip der minimalen lautli- chen Distanz seine Gültigkeit. Zum einen gibt es im phonologischen System des Deutschen keine Diphthonge, die sich in ihrem ersten Bestandteil ähnlicher sein könnten als /ai/ und /oi/. Zum anderen ist bei der Analyse von Diphthongen zu bedenken, daß sie vor dem Hintergrund der biphonematischen Interpretation nicht mit den Monophthongen auf eine Stufe gestellt werden dürfen. Wenn bei Einzelphonemen die nächst tiefer liegende Ebene der Merkmale herangezogen wird, müßte konsequenterweise bei biphonematischen Einheiten die hierar- chisch direkt untergeordnete Ebene der Einzelsegmente berücksichtigt werden.

Auf dieser Ebene bedeutet der „Unterschied in nur einem Punkt" aber nicht

„Unterschied in nur einem phonologischen Merkmal", sondern daß sich die Diphthonge in nur einem ihrer beiden Konstituenten unterscheiden dürfen. Ge- nau das ist auch bei /ai/ vs. / / der Fall, so daß sie zweifelsfrei als unreine Reime im Sinne einer minimalen Abweichung von der Idealform des Reims zu betrach- ten sind.

Die andere Kategorie umfaßt die Fälle, in denen eine Überschneidung bei den drei Arten der Rundungs-, Längen- und Stimmhaftigkeitsunreinheit vorliegt.

Da die Merkmale der Rundung und der Länge gleichermaßen den Vokalen zugeordnet sind, ist es denkbar, daß sich die Unreinheit auf beide Merkmale erstreckt. Solche Beispiele sind auch im Korpus nachzuweisen, wenn auch in verschwindend geringer Zahl. Einer der 5 Fälle ist (9).

(9) Der zweite schmeckt schon etwas besser;

Der Frosch wird bunt und immer größer. (III, S. 398)

Hier liegt die Unreinheit in den Vokalen / / und /0:/, die sich nicht nur in der Rundung, sondern auch in der Quantität voneinander unterscheiden. Da, wie im nächsten Abschnitt zu begründen sein wird, der Status der Rundung als Unrein- heit induzierendes Merkmal bezweifelt werden muß, werden diese Fälle der Un- tergruppe der Länge zugewiesen.

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Unreine Reime 11

Neben dem Prinzip der minimalen Abweichung von der Reinheit des Reims verdient besondere Beachtung, daß im gesamten Werk Wilhelm Buschs höch- stens vier unreine Reime zu verzeichnen sind, die sich nicht in eine der drei Untergruppen eingliedern. Sie bilden eine sehr heterogene Klasse und sind am ehesten als Einzelfalle zu werten, die ohne größere Bedeutung sind. Zwei von ihnen sollen kurz besprochen werden.

(10) Kuno eilet froh und prompt,

Daß er in den Keller kommt (III, S. 25)

» (11) Mit dem Schrei: „Da kummt de Düwel!"

Fällt sie rücklings in den Kübel. (III, S. 529)

j In (10) entsteht die Unreinheit durch die Anwesenheit eines bilabialen Ver- schlußlauts, der in dem anderen Glied des Reimpaars fehlt. Hier scheint die Unreinheit perzeptuell motiviert (und damit toleriert) zu sein. Zum einen wer- den die Einzelteile eines finalen Verschlußlautclusters stark verschmolzen; die Lösephase bei der Artikulation des ersten Bestandteils unterbleibt, und es er- folgt ein sofortiger Übergang in die Produktion des zweiten Konsonanten. Das /p/ wird also vom /t/ überlagert und damit als Perzept geschmälert. Das kann bis

• zur Ersetzung der Bilabialität durch Glottalität führen. Zum anderen ist in der Sequenz /mt/ die Einsetzung eines epenthetischen Verschlußlauts aus phoneti- schen Gründen gang und gäbe. Durch nicht-exakte Koordination der einzelnen Artikulationsorgane kommt es häufig zu einer verfrühten Anhebung des Gau- mensegels, so daß bereits während der Bilabialitätsphase die Nasalität verloren- geht und die Oralität einsetzt. Die Folge ist eine beginnende Artikulation des homorganen /p/ (ohne Verschlußlautlösung). Aufgrund dieser phonetischen Gegebenheiten dürfte klar sein, daß auch prompt - kommt eine minimale Abwei- chung von der Reinheit darstellt.

Sobald man den labiodentalen Frikativ in seiner zugrundeliegenden Form als Bilabial ansieht (Berg 1989b), liegt auch in (11) eine Diskrepanz in nur einem Merkmal vor. Dann unterscheiden sich /b/ und /v/ nämlich nur in der Artikula- tionsart. Der Aussagewert dieses Beispiels ist jedoch zweifelhaft, da es einem Entwurf von „Fips der Affe für Kinder" entstammt und in der publizierten Fassung von „Fips der Affe*4 die Unreinheit nicht enthalten ist:

(11') Mit den Schreckensworten: „Da kummt de Dübel!"

Fällt sie in einen dastehenden Kübel. (III, S. 353)

Es bleibt also als Ergebnis festzuhalten, daß sich, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, alle unreinen Reime auf nur drei Unterkategorien verteilen, zwi- schen denen wiederum nur ein minimaler Überschneidungsbereich existiert.

Daß die Unreinheit sich also zufallig aufgrund lexikalischer Zwänge ergibt, in

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die der Dichter eingebunden ist, kann damit bereits zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen werden. Die Unreinheit ist auf spezifische phonologische Muster gegründet.

Derartig eindeutige Aussagen lassen sich machen, weil der Lautwert der Rei- me in der Regel klar zu erkennen ist. Wenn etwas phonetisch nicht eindeutig interpretierbar ist, gibt Busch durch die Orthographie Hilfestellung zur Deutung der Graphemfolgen. Metier beispielsweise gibt er in der phonetischen Recht- schreibung als Metjeh (I, S. 153) wieder. Manchmal bedient sich Busch sogar der dichterischen Freiheit, Wörter zum Zwecke der reimlichen Reinheit in ihrer phonologischen Struktur leicht abzuwandeln, wie z.B. in (12).

(12) Nimmt eine Prise, macht habschüh!

Schmückt sich mit Hut und Paraplü (III, S. 210)

Während zur Versprachlichung des Niesens sonst Habschieh verwandt wird, wandelt Busch in diesem Fall den Endvokal ab, um die Idealform des Reims - zu Lasten des konventionalisierten Zeichens - zu wahren. Solche Fälle sind inso- fern von Bedeutung, als sie auf die Zuverlässigkeit der Orthographie bei der Ermittlung der lautlichen Repräsentation hinweisen. In nur ganz wenigen Fällen ist die Orthographie nicht eindeutig. Dies betrifft nicht nur Eigennamen wie z. B.

Jostj sondern auch einzelne Wörter wie nach. Zu ihrer lautlichen Interpretation wurde weniger die hochsprachliche Norm als vielmehr die werkimmanente Ver- wendung zu Rate gezogen. Während die hochsprachliche Norm für sie einen langen Tonvokal vorsieht, reimt Busch sie konsequent mit kurzvokalischen For- men. Dies legt die Vermutung nahe, daß er hier von der Hochsprache abweicht und es sich infolgedessen nicht um unreine Reime handelt. Generell wurde in Zweifelsfallen nach der Strategie verfahren, daß eher zugunsten der Reimrein- heit statt Unreinheit entschieden wurde. Schließlich sei erwähnt, daß Busch in seltenen Fällen auch Doppellautungen für gewisse Formen zuläßt, wie aus den Beispielen (13) und (14) ersichtlich wird.

(13) Wehe, Munzel! - Lene kriegt

, Tute, Siegellack und Licht. (II, S. 249) (14) Und ob sie schon nur ein wenig gewiegt,

Hat sie dennoch ein ganz kleines Kind gekriegt. (II, S. 264)

In beiden Fällen ist dem Wort kriegt ein unterschiedlicher Lautwert zuzuordnen.

Während sich in (13) [kri9t] auf Licht reimt, scheint [krkkt] die angemessene Aussprache in (14) zu sein. Hier macht sich Busch augenscheinlich die Variabili- tät verschiedener Sprachregister zunutze. Während sich [kriikt] an der geschrie- benen Form orientiert, entspricht [kri9t] der mündlich-familiären Sprachver- wendung. Derartige Beispiele für freie Variation sind ausgesprochen selten,

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Unreine Reime 13 könnten sich aber in Ausnahmefallen unter die hier als unrein klassifizierten Reime gemischt haben. Es bleibt insofern eine Restunsicherheit, als sich unter den unreinen Reimen auch einige reine befinden könnten. Bei der zugrunde gelegten Strategie, im Zweifelsfall eher zugunsten der reinen Reime zu entschei- den, dürfte sich diese Zahl aber gering ausnehmen. Keinesfalls können diese etwaigen Fehlklassifikationen die Existenz der unreinen Reime und ihre Eintei- lung in spezielle phonologische Gruppen in Frage stellen.

Aus Tab. l wird ersichtlich, daß die drei Arten der Unreinheit in ihrer Fre- quenz sehr unterschiedlich ausfallen. Diese Feststellung hat jedoch nur vorläufi- gen Charakter, solange nicht das aufgrund unterschiedlicher Vorkommenshäu- {figkeiten entstehende Ungleichgewicht beseitigt ist. Immerhin wäre es denkbar,

\ daß die Rundung nur deshalb so unverhältnismäßig oft für die Unreinheit ver-

* ; antwortlich ist, weil sie häufiger als andere Merkmale in der Sprache vorkommt.

1 Um eine gleiche Ausgangsposition für alle drei Merkmale zu schaffen, muß

^ zunächst die kombinierte Auftretenswahrscheinlichkeit aller Segmentpaare er- mittelt werden, in denen eine Diskrepanz aufgetreten ist. Dazu werden auf der Grundlage von Delattres Berechnungen der Phonemfrequenzen die Häufigkei- ten der jeweils das Reimpaar bildenden Einzelphoneme miteinander multipli- ziert. Z. B. haben / / und /0:/ eine Vorkommenshäufigkeit von 7.08 % bzw.

0.95%. Ihre kombinierte Auftretenswahrscheinlichkeit beläuft sich somit auf 10.0673 %. Da es hier nur um die Verhältnisse geht, wurden der Einfachheit der l Berechnung halber alle Prozentwerte weggelassen, was einer Multiplikation mit dem Faktor 10000 gleichkommt. In dem zur Diskussion stehenden Fall erhöht sich der Wert somit auf 6.73. Diese Berechnung wurde für alle relevanten Pho- nempaare getrennt durchgeführt. Diese Zahlen wurden addiert und durch die Anzahl der jeweiligen Phonempaare dividiert. Für die Rundung ergab sich ein Mittelwert von 7.40, für die Vokallänge ein Wert von 27.86 und für die Stimm- haftigkeit ein Wert von 44,98. Daraus läßt sich ablesen, daß die Stimmhaftigkeit am häufigsten und die Rundung am seltensten vorkommt. Genauer gesagt ist die Stimmhaftigkeit 1.6 mal so häufig wie die Länge und 6. l mal so häufig wie die Rundung. Wenn man die Rohdaten aus Tab. l dementsprechend korrigiert, er- gibt sich das Bild von Tab. 2. Die Stimmhaftigkeit wurde als häufigste Kategorie konstant gehalten, und die beiden anderen Kategorien wurden mit den o.g.

Faktoren jeweils multipliziert. Ein Vergleich zwischen Tab. l und 2 macht deut- lich, daß sich die quantitativen Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen

Tab. 2: Auf Auftretenshäufigkeit korrigierte Daten aus Tab. l Rundung

555797.5%

Länge 1142.0%

Stimmhaftigkeit 290.5%

Summe 5700100%

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durch die statistische Normalisierung erheblich vergrößern. Unter der Annah- me gleicher Auftretenshäufigkeiten wird ersichtlich, daß sich die einzelnen Merkmale sehr unterschiedlich für die Bildung der Unreinheit eignen. Während Lange und Stimmhaftigkeit nur selten betroffen sind, wird die Rundung unver- hältnismäßig häufig in Reimen ignoriert. In der Tat ist die Rundung quantitativ so dominierend, daß der Status der Unreinheit selbst in Frage zu stellen ist. Auf diesen Punkt wird noch näher einzugehen sein.

Zu einem sehr ähnlichen Ergebnis gelangt man mit Hilfe eines weiteren, unab- hängigen Analyseverfahrens. Die obige Methode ist insofern nicht ganz unpro- blematisch, als die Reimdaten mit einer extern ermittelten Sprachnorm in Bezie- hung gesetzt werden. Da die Reimdaten aber einen sehr spezifischen sprachli- chen Zugriff bedeuten, ist nicht gewiß, ob und inwieweit die Auszählungen De- lattres ihnen gerecht werden. Die statistische Normalisierung auf der Grundlage von Delattre könnte also eine Verzerrung der tatsächlichen numerischen Ver- hältnisse zur Folge haben. Deshalb wurde eine zweite Analyse durchgeführt, die den Rückgriff auf eine externe Norm vermeidet. Um die Bedeutung der einzel- nen Merkmale für die Bildung unreiner Reime werkimmanent zu bestimmen, empfiehlt sich die Möglichkeit eines Vergleichs zwischen potentiell und tatsäch- lich unreinen Reimen bei Busch. An einem solchen Vergleich läßt sich ablesen, ob die Unreinheit eher vermieden oder ignoriert wird. Sollten unreine Reime so häufig auftreten, wie es per Zufall zu erwarten wäre, müßte an ihrer Unreinheit gezweifelt werden. Sollten sie hingegen deutlich seltener sein, als per Zufall zu erwarten wäre, besteht Grund zu der Annahme, daß es sich bei ihnen um eine echte Unreinheit handelt, d. h. eine Unreinheit, die auch vom Dichter als solche empfunden wird. Zur Berechnung der potentiellen Unreinheit sind die phono- taktischen Verhältnisse des Deutschen zu berücksichtigen. Natürlich kann nur dort von einer potentiellen Unreinheit die Rede sein, wo die Sprachstruktur eine Alternative zwischen der Reinheit und der Unreinheit zuläßt. So kann beispiels- weise der Reim Sessel^ Fessel prinzipiell keine Längenunreinheit beherbergen, weil der Tonvokal vor ambisilbischem /s/ immer kurz sein muß. Hingegen könn- te in Mitte - bitte der Tonvokal lang sein, so daß hier die Möglichkeit eines unreinen Reims prinzipiell gegeben wäre. Jedoch ist die Bestimmung der pho- notaktischen Legitimität nicht immer eindeutig durchzuführen. Daher wird die Aufstellung von Kriterien erforderlich, anhand welcher eine Lautsequenz als phonotaktisch akzeptabel bzw. inakzeptabel eingestuft werden kann. Eine be- sondere Bedeutung fallt dabei dem Bezugsrahmen zu, innerhalb dessen eine derartige Akzeptäbilität zu bestimmen ist. So könnte man die Phonotaktizität

• auf der Grundlage des Reims (Nukleus + Coda), der Silbe oder einer größeren Einheit ermitteln. Für die folgende Analyse wurde eine Entscheidung zugunsten der kleinsten Bezugsgröße, also des Reims, getroffen. Bei einem rigoroseren Maßstab wäre daher von einer geringeren Anzahl potentiell unreiner Reime auszugehen. Weiterhin ist daraufhinzuweisen, daß diese Analyse nur an einem Ausschnitt des Korpus durchgeführt worden ist. Als Stichprobe diente das von

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Eickcn (1981) herausgegebene „Wilhelm Busch mini Lesebuch'*, das ungefähr 450 Reimpaare enthält und somit knapp ein Zwanzigstel des Gesamtwerks er- faßt. Tab. 3 liefert die Ergebnisse dieser Auszählung. Wie daraus zu sehen ist, stehen sich bei der Rundung im Falle der (vorderen) hohen Vokale 79 reine und 29 unreine gegenüber. Die unreinen Reime stellen also einen Anteil von 27%.

Von insgesamt 6 möglichen Reimkonstellationen sind 2 unrein, so daß Unrein- heit per Zufall in einem Drittel aller Fälle zu erwarten wäre. Mit Hilfe des 2- Tests läßt sich ermitteln, daß die Abweichung vom Zufallswert nicht signifikant ist (p > .10). Es gibt insofern keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß Busch eine Vermeidungsstrategie bezüglich einer rundungsbedingten Unreinheit ange- wandt hat. Ganz im Gegensatz dazu sind die Merkmale der Stimmhaftigkeit und der Länge zu deuten. Eine diesbezügliche Unreinheit ist jeweils nur einmal zu verzeichnen, obwohl sie in insgesamt 382 Fällen möglich gewesen wäre. Die Unreinheit macht hier also nicht einmal l % der möglichen Fälle aus. Aus diesen Zahlen ist eindeutig der Schluß zu ziehen, daß eine Unreinheit hinsichtlich der Länge bzw. der Stimmhaftigkeit als ein Sonderfall zu werten ist, der zwar aus- j nahmsweise auftreten kann, aber doch weitgehend vermieden wird.

Nachdem die drei Merkmale der Rundung, Länge und Stimmhaftigkeit als j Ganzes vorgestellt worden sind, folgt nun eine detailliertere Analyse der Pho- | nempaare, die von den unterschiedlichen Merkmalwerten betroffen sind. Tab. 4 j listet die Häufigkeiten dieser Phonempaare im Gesamtwerk auf, wobei für die Stimmhaftigkeit und die Vokallänge zwischen Itämtypes und Rtimtokens un- terschieden wird. Aufgrund des eben angesprochenen und weiter unten erörter- ten Sonderstatus der Rundung wurde auf eine solche Berechnung für dieses Merkmal verzichtet.

Zunächst fallt auf, daß die Merkmale der Rundung, Länge und Stimmhaftig- keit nicht auf einige wenige Segmentpaare beschränkt sind, sondern sich relativ gleichmäßig auf eine große Anzahl von Elementen des Phonemsystems vertei- len. Dies bedeutet, daß das Problem der Unreinheit unabhängig von der Seg- mentebene zu sehen und damit tatsächlich auf der Merkmalebene zu diagnosti- zieren ist. So werden von der Rundungsunreinheit alle dafür in Frage kommen- den Phoneme erfaßt, d. h., es gibt keine Vokalpaare im Deutschen, die sich nur in dem Merkmal der Rundung unterscheiden, nicht aber als Grundlage für unreine Reime dienen. Nicht voll ausgeschöpft wurden die vom Sprachsystem bereitge- stellten Möglichkeiten bei der Vokallänge und der Stimmhaftigkeit der Konso- nanten. In beiden Fällen sind einige Unreinheiten im Korpus nicht nachgewie- sen, z.B. /p/ - /b/ oder /v/ - /y:/. Es ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, daß diese Lücken systematischen Charakter haben. Es sind nämlich gerade diejeni- gen Fälle nicht belegt, die Segmente mit geringen Auftretenshäufigkeiten betref- fen. Nimmt man die Vokallänge, so ist festzustellen, daß die vier Fälle /a/ - /a:/, /o/ - /o:/, /!/ - /i:/ und /u/ - /u:/ vorkommen, nicht hingegen die beiden Opposi- tionen /Y/ - fyi/ und /ce/ - /0:/. Dies ist genau das Ergebnis, das aufgrund der Auftretenshäufigkeit zu erwarten wäre. Denn Delattres Berechnungen zufolge

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Unreine Reime 17 sind die nicht belegten Vokalpaare eindeutig seltener als die belegten. Vergleich- bare Aussagen ließen sich zu den Konsonanten machen. Hinzu kommt ein weite- rer Frequenzeffekt. Dadurch, daß die Rundungsunreinheit häufiger als die ande- ren Typen auftritt, ist es automatisch wahrscheinlicher, daß sie im Gegensatz zu den anderen Unreinheiten auch die selteneren Oppositionen erfaßt. Wären die Länge und die Stimmhaftigkeit ebenso häufig von der Unreinheit betroffen wie die Rundung, wäre zu vermuten, daß dann auch / / - ,/y:/ oder /k/ - /g/ nachge- wiesen werden könnten.

Die unterschiedlichen Häufigkeiten, mit denen die belegten Segmentpaare als unreine Reime vertreten sind, lassen sich zumindest teilweise mit den unter-

•schiedlichen Vorkommenshäufigkeiten in Zusammenhang bringen. Augenfällig ist die hohe Anzahl der /a/ - /a:/ Fälle. Diese Zahl ist besonders durch 12 Belege in die Höhe getrieben worden, in denen die Verbform hat jnit einem Langvokal gereimt wird. Mir sind keine Hinweise darauf bekannt, daß Busch dieses Wort mit einem Langvokal gesprochen haben könnte, so daß alle diese Fälle als unrein klassifiziert wurden. Immerhin reimt er auch hat auf z. B. Stadt (IV, S. 331). Dazu kommt eine erhöhte Zahl an identischen Reimen. Hat wird allein 5 mal auf Tat gereimt. Ferner ist nicht auszuschließen, daß sich in Einzelfallen „subjektiv rei- ne" Reime in die Gruppe der „objektiv unreinen" Reime eingeschlichen haben.

Diese etwaigen Fehlklassifikationen könnten bei /a/ häufiger als bei anderen Vokalen aufgetreten sein.

Tab. 4 liefert auch Informationen bezüglich der type-token-Relation in den empirischen Daten. Die Auszählung basiert auf dem Verfahren, alle identischen Reimpaare einem type zuzurechnen. Eine Identität in nur einem Glied eines Reimpaars bedingt insofern die Zuweisung zu unterschiedlichen types. Wie in Tab. 4 zum Ausdruck kommt, erstreckt sich die Unreinheit nicht auf wenige ReimO?pßs, auf die immer wieder zurückgegriffen wird, sondern verteilt sich auf eine ganze Reihe verschiedener Wörter. Dies macht erneut deutlich, daß das Problem der Unreinheit kein lexikalisches ist. Nach dem Ausschluß der Pho- nemebene ist damit eine eindeutige Eingrenzung des Problems auf den Merk- malbereich möglich.

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich die Abweichung von der Ide- alform des Endreims bei Wilhelm Busch phonologisch gut fassen läßt. Nahezu alle unreinen Reime basieren auf einer Diskrepanz in den Merkmalen Rundung, Quantität oder Stimmhaftigkeit (bzw. einer Kombination der ersten beiden).

Dabei dient die Rundung in erheblich größerem Umfang zur Bildung der Un- reinheit als die Stimmhaftigkeit oder die Länge. Bei der breiten Datenbasis kann hier also eine beachtliche Systematik in der Unreinheit festgestellt werden. Die Abweichung vom Regelfall erweist sich wiederum als regelhaft. Es besteht kein Zweifel daran, daß aus sprachwissenschaftlicher Sicht die Unreinheit weder als lexikalisches noch als segmentales, sondern vielmehr als ein Merkmalproblem zu interpretieren ist. Damit qualifizieren sich die Reimdaten für die phonologi- sche Theoriebildung.

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4. Theoretische Aufarbeitung der empirischen Ergebnisse

Im vorangegangenen Abschnitt wurden drei phonologische Merkmale ermittelt, aufgrund welcher sich die beiden Bestandteile eines unreinen Reims voneinan- der unterscheiden können. Die erste Frage, die es zu beantworten gilt, lautet daher: Weshalb können diese Merkmale eine reimdifferenzierende Funktion übernehmen, andere hingegen nicht? Es ist zu vermuten, daß es phonologische Eigenschaften gibt, durch die sich die eine Merkmalgruppe von der anderen abgrenzen läßt. Welche Eigenschaften das sind, wird ersichtlich, wenn man die Anzahl der Merkmale betrachtet, die den verschiedenen artikulatorischen Para- metern zugeordnet sind. Aus der Auflistung in Tab. 5 läßt sich unschwer erken- nen, welches das unterscheidende Merkmal zwischen Rundung, Stimmhaftig- keit und Vokallänge einerseits und Artikulationsart, Offenheit und Posteriorität andererseits ist: die Binaritäi. Während die letztgenannte Gruppe drei oder mehr Merkmale verzeichnet, sind es bei der erstgenannten immer nur zwei. Ein Vokal ist entweder kurz oder lang, ein Konsonant entweder stimmhaft oder stimmlos.

Es bedarf keiner großen Phantasie, um die phonologische Binarität5 in einen Zusammenhang mit der poetischen zu bringen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle basiert der Reim auf zwei (und nicht mehr) identischen Lautfolgen,6 so daß sich für dieses Schema am besten ein unreiner Reim eignet, dem eine binäre Opposition zugrunde liegt. Multinäre Merkmale können im Gegensatz dazu nicht systematisch in ein zweigliedriges Reimschema hineingezwängt werden.

Mit der Binarität kommt es in unreinen Reimen also zu einer vollständigen Ausschöpfung der vom Sprachsystem bereitgestellten Möglichkeiten. In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, daß unreine Dreireime bei Wilhelm Busch fast gar nicht zu verzeichnen sind.

Damit sind die linguistischen Voraussetzungen der unreinen Reime geklärt, nicht aber, weshalb es überhaupt zu solchen „Formen minderer Qualität"

kommt. Aus textproduktioneller Sicht läßt sich ihre Existenz fraglos als ein Kompromiß zweier entgegengesetzter Kräfte verstehen. Zum einen unterliegt der Autor dem stark wortwahleinschränkenden Druck des Reimens, zum ande- ren ist immer der Wunsch vorhanden, die Bandbreite des Ausdrucks zu maxi- mieren. In dem Moment, wo er von der Möglichkeit des unreinen Reims Ge- brauch macht, vergrößert er durch die Aufgabe der formalen Identität natürlich sein Ausdruckspotential.

5 Diese Binarität ist nicht deckungsgleich mit der Jakobsonschen Binarität, mit der

" das gesamte Phonemsystem zweigliedrig gestaltet werden soll. Die Merkmale [nasal] und [lateral] sind daher nur in einem solchen System binär, das sich die Binarität zum grundle- genden Ordnungsprinzip macht. In dem hier vertretenen Ansatz ist Binarität jedoch nicht a priori gegeben, sondern ergibt sich- in einigen, aber nicht in anderen Fällen - aus den Bedingungen der menschlichen Sprachproduktion bzw. -perception.

6 Damit wird natürlich nicht bestritten, daß es auch Dreireime gibt, nur sind diese im Vergleich zu den Zweireimen eindeutig die Ausnahme.

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Unreine Reime 19

Tab. 5: Artikulatorische Parameter und die ihnen zugeordneten Merkmale

Konsonanten Stimm-

haftigkeit stimmhaft stimmlos

Artikula- tionsort dental velar bilabial

Artikula- tionsart Verschluß Frikativ Lateral Nasal

Vokale Offenheit

offen halb offen halb geschlossen geschlossen

Poste- riorität vorne zentral hinten

Länge

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Rundung

gerundet ungerundet

j Nach der Klärung der Frage, unter welchen linguistischen Bedingungen es zu j Reimunreinheit kommen kann, ist es an der Zeit, zu prüfen, inwieweit sich die if Prognosen zum „ausgüederungsträchtigen" Verhalten bestimmter Merkmale bewahrheitet haben. In Abschnitt 2 wurde aufgrund linguistischer wie psycho- linguistischer Befunde die Erwartung zum Ausdruck gebracht, daß, falls Un- reinheit bei den Reimen auftritt, sie bei den Vokalen die Länge und bei den jKonsonanten die Stimmhaftigkeit erfassen sollte. Diese beiden Vorhersagen ha- ,ben sich ohne jeden Zweifel erfüllt. Sowohl die Länge als auch die Stimmhaftig- keit treten im Falle einer Unreinheit aus dem Segmentgefüge heraus und offen- baren damit ihren Sonderstatus. Dieses Resultat ist bei den Konsonanten in besonderem Maße überzeugend, da neben der Stimmhaftigkeit kein anderes Merkmal in Buschs Werk nachzuweisen ist, das zur Bildung der Unreinheit taugen würde. Somit läßt sich die Stimmhaftigkeit deutlich von den anderen Merkmalen abgrenzen. Ein etwas anderes Bild ergibt sich bei den Vokalen. Hier spaltet sich neben der Länge ein Merkmal vom Segment ab, von dem ein solches Verhalten überhaupt nicht zu erwarten war. Die Überraschung ist umso größer, je mehr man quantitative Aspekte berücksichtigt. Die Rundung ist nämlich, wie im empirischen Teil gezeigt wurde, nicht nur ein Unreinheit hervorrufendes Merkmal unter anderen, sondern augenscheinlich das Unreinheit verursachen- de Merkmal schlechthin. Über 90 % der unreinen Reime werden durch die Run- dung abgedeckt. An diesem Punkt stellt sich nun eine entscheidende Frage, die den generellen Aussagewert der unreinen Reime betrifft. Es konnte im empiri- schen Teil nämlich auch gezeigt werden, daß Busch rundungsunreine Reime nicht signifikant seltener verwandt hat als rundungsreine Reime. Das würde bedeuten, daß es für den Dichter eine stigmatisierte Rundungsunreinheit wahr- scheinlich gar nicht gegeben hat. Immerhin ist es denkbar, daß es zu einer Kon- stellation gekommen ist, die aus heutiger Sicht als unrein empfunden wird, es in Wirklichkeit aber gar nicht ist. Wenn Busch die sog. unreinen Reime gar nicht als solche verstanden hat, dann kann dies zwei Gründe haben. Er mag zum einen als Dialektsprecher Einflüssen ausgesetzt gewesen sein, die seine Kriterien für Reimunreinheit verschoben haben. Zum anderen kann Busch eine Reimtradi-

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tion ererbt haben, die über eigene Normen von Reinheit verfugt, die konstant geblieben sind, während sich die Sprache wandelte. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, daß die Rundung, nicht jedoch die Länge oder die Stimmhaftigkeit, in diese Rubrik fallt. Es gibt nämlich im Deutschen Dialekte, in denen die Run- dungsopposition zugunsten der Ungerundetheit neutralisiert ist. Unter der An- nahme, daß mit Hilfe dialektaler Einflüsse die gesprochene Sprache auf die ge- schriebene eingewirkt hat, läßt sich erklären, daß eine Reimform entstand, die in der gesprochenen Sprache als rein, in der Autonomie (und der Konservativität) der geschriebenen Sprache aber mit der Zeit als unrein angesehen werden mußte.

Diese Reimform, die schon bei Goethe anzutreffen ist, ist dann zur Norm gewor- den und wurde auf diese Weise auch für solche Autoren bindend, die sich der deutschen Reimtradition verpflichtet fühlten, ohne jedoch selbst Sprecher eines Entrundungsdialekts zu sein. Damit ist vermutlich die Situation charakterisiert, in der sich Busch befand. Er war zwar mit dem Plattdeutschen seiner Heimat engstens vertraut, faßte aber den Großteil seiner Dichtung bewußt auf Hoch- deutsch ab. Außerdem enthält der Dialekt, in dem Busch schreibt, durchaus gerundete Vokale (siehe z. B. I, S. 316ff.). Für ihn war die Rundungsopposition also nicht neutralisiert. Wahrscheinlich hat Busch eine Reimtradition fortge- setzt, in der es statthaft war, gerundete auf ungerundete Vokale zu reimen. Da- mit würde eine Unterscheidung von reinen und unreinen Reimen im Falle der Rundüng hinfallig werden. Busch mag zwar das Empfinden gehabt haben, daß hier eine lautliche Identität nicht vorliegt (vgl. (12)), aber das hat ihn aufgrund der von der Norm gewährleisteten Wohlgeformtheit nicht davon abgehalten, auf derartige Reimmuster zurückzugreifen.

Diese Deutung ist jedoch auf die Quantität und die Stimmhaftigkeit nicht zu übertragen. Beide Typen sind ziemlich selten, zusammen machen sie l % des Gesamtbestands an Reimpaaren aus. Dieser Prozentsatz ist für genuine Abwei- chungen von einem Idealfall als durchaus angemessen anzusehen. Es erscheint daher gerechtfertigt, hier von einer bewußten Vermeidungsstrategie zu sprechen, d.h., die Diskrepanz zwischen /t/ - /d/ oder /ü/ - /in/ wird noch als solche empfunden. Wenn dem nicht so wäre, wäre eine deutlich höhere Vorkommens- häufigkeit dieser unreinen Reimtypen zu erwarten, insbesondere auch deswegen, weil die Sprache von den Oppositionen [stimmhaft] vs. [stimmlos] und [kurz]

vs. [lang] mehr Gebrauch macht als von der Opposition [gerundet] vs. [unge- rundet] (cf. Tab. 2). Es gibt insofern keine Anzeichen dafür, daß für Busch die Länge und die Stimmhaftigkeit in dem Maße irrelevant waren, wie es für die Rundung anzunehmen ist. Erstere Merkmale, so ist zu schlußfolgern, bilden daher echte unreine Reime, letzteres jedoch nicht.

Mit diesem Ergebnis läßt sich die eingangs aufgestellte Prognose nun vollends bestätigen. Sobald die Rundung als Pseudounreinheit auslösendes Merkmal entlarvt ist, bleiben nur noch die Stimmhaftigkeit und die Quantität übrig -.

exakt diejenigen Merkmale, für die ein abweichendes Verhalten vorhergesagt wurde. Es ist also festzuhalten, daß genau die Merkmale, die in der traditionellen

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Unreine Reime 21

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phonologischen Forschung von der Norm abweichen, auch in der Poetik des Wilhelm Busch einen Sonderstatus aufweisen. Dies hat zwei bedeutsame Konse- quenzen: nicht nur, daß der Sonderstatus der Stimmhaftigkeit und der Länge eine eindrucksvolle Bestätigung erfährt, sondern auch, daß die Reimdaten sich als bisher kaum genutzte Datenquelle für die linguistische Theoriebildung als brauchbar und wertvoll erweisen.

Ehe es abschließend um die Frage der phonologischen Bewertung geht, muß noch einem möglichen Einwand gegen die These des Sonderstatus der Länge lind der Stimmhaftigkeit begegnet werden. Die Auswahl gerade dieser beiden Merkmale zur Bildung der Unreinheit könnte weniger abstrakt-linguistische als perzeptuelle Ursachen haben. Vielleicht sind Diskrepanzen in den Stimmhaftig- keits- und den Längenwerten weniger auffallig und können bei Reimen eher in

* Kauf genommen werden, als es bei anderen Merkmalen möglich wäre. Eine Reihe von Befunden, allgemein perzeptuelle wie auch reimspezifische, sprechen edoch klar gegen diese Hypothese. Es ist keine Frage, daß zwischen Reim und Rhythmus ein enger Zusammenhang besteht. Der ideale Reim ist nicht nur lurch segmentale Identität gekennzeichnet, sondern auch dadurch, daß diese dentität zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgt. Ein Aspekt des Rhythmus ist lie zeitliche Dauer des Reims selbst. Ein zentraler Bestandteil der CV-Phonolo- jie ist die Unterscheidung in eine 'Melodieebene', auf der die einzelnen Segmen- te in ihrer Qualität repräsentiert sind, und eine 'Zeitgeberebene', auf der eine epräsentation der Quantität erfolgt. Da zwischen den Elementen beider Ebe- keine l : l -Entsprechungen vorliegen müssen, lassen sich in diesem Modell JLang- und Kurzvokale wie in (15) darstellen (cf. Clements/Keyser 1983). Aus .diesem Schema wird die unterschiedliche Repräsentation der Lang- und Kurz- vokale ersichtlich. Erstere sind an zwei Zeiteinheiten gebunden, letztere an nur eine. Damit läßt sich verdeutlichen, daß eine Diskrepanz in der Quantität eine unterschiedliche Dauer der Reime impliziert und insofern zu einem rhythmi- schen Bruch führt. Da Reime in besonderem Maße eine rhythmische Strukturie- rung voraussetzen, müssen durch Länge verunreinte Reime auf der metrischen Ebene als besonders störend empfunden werden. Diese Sichtweise schließt eine geringe Auffälligkeit einer unterschiedlichen Längenspezifikation aus.

Die Stimmhaftigkeit ist ein artikulatorischer Parameter, der an verschiedenen Positionen zur Neutralisierung neigt. Im Extremfall verschwindet die Opposi- tion ganz, so im Silbenauslaut (im Deutschen) und in postinitialer Stellung nach /s/ bzw. /J/. Aber auch in anderen Positionen ist der stimmhafte Merkmalswert nur relativ schwach ausgeprägt. Der einzige Ort, wo die Stimmhaftigkeit und damit die Opposition zwischen [stimmhaft] und [stimmlos] voll zur Geltung kommt, ist der intervokalische Bereich, also im Wortinlaut. Dies ist nun genau (15) Zeitgeberebene V V V

- Melodieebene o u:

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die Position, an der die Unreinheit dieser Reime zustande kommt. Da hier nur Endreime zur Diskussion stehen und die Finalposition den Gegensatz zwischen stimmhaften und stimmlosen Konsonanten nicht zuläßt, kann ein durch Stimm*

haftigkeit verursachter unreiner Reim nur feminin (silbenübergreifend) sein und den Einsatz der unbetonten Silbe betreifen.7 Dieser ist entweder genuin intervo- kalisch oder durch einen linksseitigen (bzw. rechtsseitigen) Konsonanten ge- deckt. In jedem Fall sind in dieser Position die Bedingungen für eine vollständige Realisierung der Stimmhaftigkeit am besten, so daß der Kontrast z. B. zwischen /t/ und /d/ in Leute vs. Freude am markantesten ist. Von geringer perzeptueller Relevanz kann also auch in diesem Fall kaum die Rede sein. Dazu kommt, daß unser Wahrnehmungsmechanismus sehr genau zwischen stimmhaften und stimmlosen Lauteinheiten unterscheidet, wie in einer Reihe von Experimenten nachgewiesen werden konnte (Eimas et al. 1971; Klatt 1968; Lisker/Abramson 1970).

Wenn der durch die Reime attestierte Sonderstatus der Länge und der Stimm- haftigkeit linguistisch zu begründen ist, stellt sich die Frage nach dem Aussage- wert der Daten für die phonologische Theoriebildung. Generell sind in der Lite- ratur für vergleichbare Fälle zwei Wege der Interpretation eingeschlagen wor- den. Man könnte einerseits im Rahmen der autosegmentalen Phonologie der Stimmhaftigkeit und der Länge einen Sonderstatus zuweisen. Andererseits bie- tet die Unterspezifikationstheorie die Möglichkeit, die Merkmale der Stimm- haftigkeit und der Länge gar nicht zu repräsentieren, so daß bis zu einer be- stimmten Ableitungsstufe die Matrix bezüglich dieser beiden Merkmale leer bleibt. Diese Sichtweise beinhaltet zwei theoretisch bedeutsame Annahmen. Er- stens müssen mehr oder weniger alle Elemente im Segmentlexikon unterspezifi- ziert sein, denn dies ist die Voraussetzung für eine Unterspezifikation auf einer Ableitungsstufe. Zweitens müssen Reimwörter auf einer tiefenstrukturellen Re- präsentationsebene zueinander in Beziehung gesetzt sein. Busch hätte demnach nicht /loito/ mit /freute/, sondern /loiDo/ mit /froiDs/ (o. a.) gereimt. Dem wieder- um liegt eine weitere Prämisse zugrunde, nämlich daß es solche intermediären Repräsentationsstufen überhaupt gibt. Für diese Annahme gibt es wenig unab- hängige Evidenz, gegen sie spricht jedoch einiges. Aus psycholinguistischer Sicht gibt es keine Belege für die Hypothese einer Unterspezifikation in der statischen Struktur des Lexikons bzw. in dem dynamischen Prozeß der Abbildung einer tiefenstrukturellen Form auf eine Oberflächenform. Gerade das Merkmal der Stimmhaftigkeit, so konnte gezeigt werden, ist 4von Anfang an' vollständig re- präsentiert (Berg 1990). Am wahrscheinlichsten ist, daß Oberflächenstrukturen direkt, also ohne abstrakte Zwischenstufen, generiert werden. Damit hängt letztlich auch zusammen, daß es völlig unklar bleibt, wie Busch zu dieser reprä- 7 Dies ist im übrigen auch die sprachstrukturelle Erklärung dafür, weshalb durch Stimmhaftigkeit „verunreinte" Reime seltener anzutreffen sind als durch Länge „verun- reinte".

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Unreine Reime 23

sentationalen Zwischenstufe Zugang gehabt haben soll, um mit Hilfe der dort abgebildeten Information seine Reime aufbauen zu können. Immerhin gehen Linguisten nicht automatisch davon aus, daß die von ihnen postulierten Deriva- tionsstufen und -schritte dem Bewußtsein des „normalen" Sprechers zugänglich sind. Da ansonsten Buschs Reime oberflächenbezogen sind, müßte man anneh- men, daß er auf zwei verschiedenen Repräsentationsebenen reimte, eine äußerst gewagte Hypothese, für die sich keine weitere Untermauerung finden läßt. Mehr als diese eher theoretischen Argumente zählt jedoch ein empirischer Befund, der mit dem Postulat einer unterspezifizierten Repräsentationsebene nicht in Ein- klang zu bringen ist. Wenn die abstrakte und die konkrete Repräsentationsebene gleichermaßen zum Reimen geeignet sind, müßten sie auch jeweils gleich viele Reime hervorbringen, d.h., Reime auf der Oberflächenstufe („reine Reime") sollten genauso häufig wie Reime auf der tieferen Stufe („unreine Reime") sein.

Dies ist jedoch zweifelsfrei nicht der Fall. Wie aus Tab. 3 zu entnehmen ist, sind ine Reime mindestens lOOmal so häufig wie die entsprechenden unreinen.

Dieses Resultat läßt keinen anderen Schluß zu, als daß die Unreinheit gegenüber der Reinheit „markiert" ist. Eine solche ^Stigmatisierung" wäre unter der An- nahme einer real existierenden Unterspezifikationsebene nicht möglich. Sobald man eine quantitative Analyse zugrunde legt, sprechen die Reimdaten also eher gegen eine abstrakte Repräsentationsebene, auf der oberflächenrelevante Infor- mation wie Länge oder Stimmhaftigkeit gar nicht (oder abweichend) zur Verfü- gung steht.8

Alternativ zur Unterspezifikation ließen sich die Länge und die Stimmhaftig- keit in einem Modell erfassen, das flexibel genug ist, um eine spezifische Orga- nisation von Merkmalen zu ermöglichen. Vom Ansatz her ist dazu die autoseg- mentale Theorie fraglos am besten geeignet. Sie bildet die Tatsache, daß einzelne Merkmale sich anders als andere verhalten können, dadurch ab, daß sie spezielle Repräsentationsschichten schafft, auf denen diese Merkmale dann beherbergt werden. So ist dies auch die naheliegende linguistische Interpretation der unrei- nen Reime: Länge und Stimmhaftigkeit bilden jeweils eine eigenständige Reprä- sentationsschicht9 und sind somit aus dem Segmentgefüge herausgetrennt.

8 Indirekt spricht dieses Ergebnis insofern auch gegen die Deutungen, die die Reim- dichtung anderer Autoren in der angloamerikanischen Forschung erfahren hat. Mit der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, eine Alternative zu der herkömmli- chen Interpretation der unreinen Reime im Rahmen von abstrakten Derivationsstufen zu entwickeln. Denn es ist immerhin denkbar, daß sich diese Alternative auf andere literari- sche Werke (mit anderen linguistischen Auffälligkeiten) übertragen läßt.

9 Inwieweit die Länge der Vokale und die Stimmhaftigkeit der Konsonanten exakt demselben Typus von suprasegmentaler Repräsentationsschicht zuzuweisen sind, bedarf hier keiner weiteren Erörterung, da die Reimdaten zu diesem Punkt keine Aussagen ma- chen. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß andere Daten unterschiedliche Eigen- schaften der Länge und der Stimmhaftigkeit herausstreichen und somit auch unterschied- liche autosegmentale Repräsentationsformen erforderlich machen können.

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Durch Verbindungslinien zwischen dem segmentalen Kern und seinen Traban- ten wird die Zugehörigkeit zueinander und damit die vollständige Repräsenta- tion gewährleistet. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Unterspezifika- tionstheorie. Obwohl beide Modelle auf eine Art Archisegment zurückgreifen, ist dieses Konstrukt in der Unterspezifikationstheorie auf sich allein gestellt, während es in der autosegmentalen Phonologic gleichzeitig durch die parallele Merkmalschicht verstärkt wird. Sinn ergibt der Ansatz der autosegmentalen Phonologie im vorliegenden Zusammenhang aber nur solange, wie die Tren- nung zwischen segmentalem Kern und angegliedertem Merkmal aufrecht erhal- ten wird. In dem Moment, wo für alle Merkmale autosegmentale Schichten bereitgestellt werden, ist der Sonderstatus eines einzelnen Merkmals im Ver- gleich zu den anderen nicht mehr so einfach abzubilden. Genau in diese Rich- tung der Verselbständigung aller Merkmale hat sich jedoch die autosegmentale Phonologie in den letzten Jahren entwickelt, auch wenn inzwischen bereits eine rückläufige Bewegung festzustellen ist (McCarthy 1988). Unter der Annahme, daß alle Merkmale autosegmentalisiert sind, muß zur Erfassung des Sondersta- tus der Stimmhaftigkeit die Organisation der Merkmalschichten so erfolgen, daß ein unterschiedlicher Abhängigkeitsgrad zwischen den einzelnen Schichten gewährleistet ist. Dies ist in hierarchischen Algorithmen möglich, in denen eine Entscheidung auf einer niederen Ebene eine Entscheidung auf der höheren vor- aussetzt. Wenn die erste Entscheidung zwischen einer laryngalen und einer su- pralaryngalen Spezifikation gefällt wird, wie es bei Clements (1985), Sagey (l 986) und Halle (l 988) der Fall ist, dann wird damit die Supralaryngalschicht in einer Unabhängigkeit von der übrigen Struktur konzipiert, wie sie keinem ande- ren Merkmal bzw. Merkmalbündel zukommt. Die Reimdaten sind also mit Clements' Modell im Ansatz vereinbar,10 jedoch gehen seine Vorschläge über das Verhältnis zwischen der Stimmhaftigkeit und den anderen Bestandteilen der phonologischen Repräsentation weit hinaus. Sein Modell ist also im Hinblick auf die hier vorgelegten Daten überdeterminiert; die Reime enthalten keine Hin- weise auf eine so detaillierte Struktur, wie Clements sie annimmt. Jedoch ist zu betonen, daß die Reimdaten nicht derart gedeutet werden müssen, daß sie im Widerspruch zu Clements* Konzeption stünden. Denn es ist durchaus möglich, daß verschiedene Datentypen unterschiedlich aussagekräftig sind, d.h. unter- schiedlich tiefe Einblicke in den Aufbau des phonologischen Repräsentations- komplexes gewähren. Die Reime liefern demnach relativ grobe Informationen, die dafür aber solide sind, da sie sich mit anderen Daten vollständig decken (z. B, mit Versprechern, die interessanterweise nicht mehr und nicht weniger aussagen als die Reime). Hingegen führt die sog. interne Evidenz (z. B. Assimilations- und Dissimilationsprozesse) zu einem feinkörnigeren Raster, das jedoch in Anbe- 10 Damit ist automatisch impliziert, daß alle Modelle, die keine grundlegende Unter- scheidung in laryngale und supralaryngale Merkmale vornehmen, keine Bestätigung durch die Reimdaten erfahren.

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Unreine Reime 25

tracht der derzeit intensiven Diskussion zu diesem Thema als kontrovers und vorläufig angesehen werden muß. Das Entscheidende im vorliegenden Zusam- menhang ist, daß zwischen den Reimen und den Grundzügen des Clementsschen Modells kein Widerspruch besteht. Die unreinen Reime bestätigen damit in Ansätzen die Interpretation, zu der die traditionellen sprachwissenschaftlichen Analysen Anlaß gegeben haben. Dies wiederum darf als zusätzliches Argument für die Bedeutung der Reime für die linguistische Theoriebildung gewertet wer- den.

5. Ausblick

Das Hauptanliegen des vorliegenden Beitrags war es, den Datenkanon der Lin-

| äuistik um poetische Sprachmuster zu erweitern. Ich habe zu zeigen versucht, laß (unreine) Reime neben ihrer Bedeutung für die Bestimmung des Laütwerts

on Graphemen relevante Aussagen zu aktuellen phonologischen Fragestellun- en treffen können: Sie stützen einige theoretische Modelle, andere hingegen icht. Von besonderem Interesse ist eine auffallige Kongruenz von psycholingu-

|;jstischen und poetischen Daten, was den Schluß nahelegt, daß die Reimkon- jstruktion eines Dichters auch aus einem psychologischen Blickwinkel heraus

^betrachtet werden könnte. Damit wären die Reime nicht nur für die Linguistik,

; sondern gerade auch für die Psycholinguistik interessant.11

Eine wichtige Aufgabe für die Zukunft besteht darin, die Allgemeingültigkeit

^ der hier ermittelten empirischen Ergebnisse zu überprüfen. Dies bezieht sich einerseits auf die Bildung unreiner Reime bei anderen deutschsprachigen Auto- ren, andererseits auf die Verwendung solcher Reime in anderen Sprachen. Be- züglich des ersten Punkts ist davon auszugehen, daß Wilhelm Buschs unreine Reime typisch sind, wenn man die relevanten Beispiele in Peltzers „Der treffende Reim" (1966) und in Schillers Vorwort zu der 1963er Ausgabe von Steputats Reimlexikon als repräsentativ ansieht. Natürlich gibt es auch in anderen Spra- chen unreine Reime, so die „slant rhymes" im Englischen. Ihre vergleichsweise geringen formalen Beschränkungen (cf. Ryder 1963; Frawley 1984) lassen es jedoch als zweifelhaft erscheinen, daß mit diesen Daten ähnlich eindeutige Aus- sagen über die hierarchische Strukturierung phonologischer Merkmale zu for- mulieren sind, wie es mit Hilfe von Wilhelm Buschs unreinen Reimen möglich ist.

11 Einer der ersten Versuche in dieser Richtung - wenn auch mit anderer Zielsetzung - wurde bereits von Kelly/Rubin (1988) unternommen.

Abbildung

Tab. 5: Artikulatorische Parameter und die ihnen zugeordneten Merkmale

Referenzen

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