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Die Waffen-SS 1933-1945

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Brandenburgische Geschichte. Hrsg. von Ingo Materna und Wolfgang Ribbe, Berlin: Akademie Verlag 1995, 891 S., DM 5 8 - [ISBN 3-05-002508-5]

Mit der »Brandenburgischen Geschichte« liegt erstmals eine in sich geschlossene und von der Frühzeit bis in die Gegenwart (1990/93) reichende Gesamtdarstel- lung des »neuen« Bundeslandes vor, das — so muß der Historiker anmerken — eigentlich zu den historisch alten Ländern des Deutschen Reiches bzw. Staates zählt und auf eine fast 1000jährige Geschichte zurückblicken kann. Gegenüber älteren Werken fallen zwei Positiva auf: einmal die gelungene Gesamtschau auf dieses Ter- ritorium, seiner wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturell-geistigen Ent- wicklung, zum anderen soll auch das fachlich-methodische Geschick der 16 Au- toren — ausgewiesene Sachkenner der Berlin- und Brandenburggeschichte — ge- nannt werden, die Eigenständigkeit dieser Landesgeschichte nicht im Sog der Ber- lin- bzw. Hauptstadtgeschichte aufgehen zu lassen. Dies ist wohl auch ein Verdienst zahlreicher detaillierter Forschungen, die faktenmäßig wie theoretisch weit über ein herkömmliches heimatgeschichtliches Verständnis hinausgehen und sich auf Ar- chivalien stützen. Der Schlußabschnitt über Quellen zur brandenburgischen Lan- desgeschichte sowie die spezifizierte Bibliographie legen von dieser Bilanz terri- torialgeschichtlicher Forschung Zeugnis ab.

Fällt der Name Brandenburg, so denkt der Leser nicht selten an Militär und Krieg, an den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und seinen militärliebenden Enkel König Friedrich Wilhelm I.

Der vorliegende Band versteht sich aber zu vollem Recht nicht als militärische Ruhmeshalle des roten Adlers, sondern als wissenschaftlich fundierte moderne Darstellung eines Landes, das im übergeordneten Staat im Laufe der Jahrhunder- te eine unterschiedliche Stellung einnahm (Mark, Provinz). Das Militärwesen und militärische Ereignisse waren integrierter Bestandteil der Landesgeschichte und werden von den Autoren an Schnittpunkten, gewissermaßen »dezentralisiert« in den Kapiteln, behandelt. Ohnehin ist die Einordnung des Militärs in eine Landes- geschichte/Provinzgeschichte problematisch, denn spätestens seit der frühen Neu- zeit war das Heerwesen in den meisten Staaten Sache des Herrschers, der meist Oberster Kriegsherr war, also des Gesamtstaates; aus dem Mittelalter überkom- mene Eigenständigkeiten gingen im gesamt- oder zentralstaatlichen Heerwesen sukzessive auf, was nicht ausschließt, daß gewisse Traditions- und Mentalitätsun- terschiede zwischen Provinzen eines Staates blieben (das könnte auch eine über- greifende Forschungsaufgabe sein!).

Nach Ur- und Frühgeschichte (Spurensuche für das spätere Land Brandenburg) skizzieren die folgenden drei Kapitel über die Zeit bis um 1600 (Gertraud Eva Schrä- ge, Helmut Assing, Heidelore Böcker, Felix Escher) knapp wichtige Elemente des Heer- wesens in der Mark: Aufgebote, Lehnspferde, Söldner (S. 124, 156). Das Kapitel über das 17. und 18. Jahrhundert (Wolfgang Neugebauer) behandelt mit dem ste- henden Heer und seiner Rolle in der Gesellschaft ein entscheidendes Grundproblem der brandenburgischen wie preußischen Geschichte, hier wurden Weichen auch für die Landesgeschichte gestellt (S. 295 ff., 317 ff., 344 ff.). Gegenüber diesen pro- funden Ausführungen bleiben hingegen die Passagen über die Kriege Friedrichs II.

blaß, es werden vor allem die wirtschaftlichen Auswirkungen genannt (S. 358 f.).

Dies gilt auch für den Krieg 1806/07, besser gelungen dagegen die Ausführungen

Militärgeschichtliche Mitteilungen 55 (1996), S. 483-539 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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zur Heeresreform und zum Krieg 1813 (S. 404 ff.; Hans Heinrich Müller, Harald Mül- ler).

Die Provinz Brandenburg war im 19. und 20. Jahrhundert ein fester Posten im Militärwesen Preußens und des Reiches. Die Autoren (Kurt Adamy/Kristina Hübe- ner, Ingo Materna, Laurenz Demps) gehen hier u.a. auf die Rolle der Garnisonen ein, interessant dabei eine Tabelle über Garnisonsorte Mitte des 19. Jahrhunderts in Brandenburg (S. 474 f., leider unkommentiert!), und verweisen an späterer Stelle auf den militärischen Ausbau Brandenburgs in der Zeit der NS-Diktatur (S. 637 f.).

Ausführlich wird das Kriegsende 1945 in Brandenburg behandelt — und nicht al- lein auf die Schlacht um und in Berlin reduziert (S. 668 ff.). Diese Darstellung der letzten 180 Jahre (seit Friedrich II.) läßt sicherlich manche Wünsche des Militärhi- storikers offen, so etwa zum militärischen Gewicht dieser Provinz vor 1914 oder zur Reichswehrzeit, es sind jedoch die wesentlichen Bezugspunkte zur Rolle des Mi- litärs in der Landesgeschichte genannt.

Die Weiterführung bis in die Gegenwart (Wolfgang Ribke, Detlef Kotsch) zeichnet sich durch Sachlichkeit und abgewogene Urteile über Ereignisse und Entwicklun- gen aus, überhaupt erweist sich dieser Schritt »nach vorn« als Vorteil des Bandes.

Knapp wird auch auf die militärische Präsienz der Sowjetarmee und der NVA in Brandenburg eingegangen (S. 781 ff.). Kleines Kuriosum am Rande: unter den für die NVA genannten zentralen Einrichtungen fehlt ausgerechnet das Militärge- schichtliche Institut der DDR (1958-1990), das ja auch eigenständige Forschungen zur Militär-Landesgeschichte betrieb und publizierte!

Die »Brandenburgische Geschichte« hat hinsichtlich des wissenschaftlichen Profils, des gediegenen Stils, der Veranschaulichung des Stoffes durch Skizzen, Karten, Schemata und Bilder Maßstäbe für eine moderne Landesgeschichte ge- setzt. Unter diesem Aspekt enthält sie auch Anregungen für Forschungen und Pu- blikationen in der bislang wenig bearbeiteten Sphäre der Ländermilitärgeschich- te. Helmut Schnitter

Bernd Mütter, Historische Zunft und historische Bildung. Beiträge zur gei- steswissenschaftlichen Geschichtsdidaktik, Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1995,388 S. (= Schriften zur Geschichtsdidaktik, 2), DM 68,- [ISBN 3- 89271-580-7]

Bernd Mütter, dem die gegenwärtige geschichtsdidaktische Diskussion wichtige Impulse verdankt, legt mit diesem Band eine Auswahl seiner Beiträge vor, die um das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und historischer Bildung kreisen. Der Band, der die Bemühungen des Verfassers um eine Weiterentwicklung der gei- steswissenschaftlichen Geschichtsdidaktik eindrucksvoll dokumentiert, gliedert sich in fünf Kapitel: Im ersten steht die Wissenschaftsgeschichte der Geschichtsdi- daktik in den beiden letzten Jahrhunderten sowie der Konstituierungsprozeß der Geschichtsdidaktik als eigenständige Wissenschaftsdisziplin im Vordergrund. Zu- gleich fragt der Autor in diesen Studien nach den Leistungen und Defiziten der geisteswissenschaftlich geprägten Geschichtsdidaktik. Die Beiträge des folgenden Kapitels führen die wissenschaftsgeschichtliche Betrachtung anhand von institu- tions- und personengeschichtlichen Zugängen fort. Dabei geht es zum einen um den Beitrag der Geschichtsvereine, zum anderen um eine Auseinandersetzung mit den

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Positionen des Historikers Karl Brandl sowie der Pädagogen Herman Nohl und Erich Weniger. Das dritte Kapitel befaßt sich mit einzelnen Kategorien und Kon- zepten der geisteswissenschaftlichen Geschichtsdidaktik. In diesem Zusammen- hang diskutiert Mütter u.a. die These von der »Eigenständigkeit des Geschichts- unterrichts« und analysiert das Beziehungsgefüge zwischen der Herausbildung der Geschichtsdidaktik als Wissenschaftsdisziplin und dem in dieser Phase ent- wickelten politischen Konzept der »Republik als Volksgemeinschaft«. Danach ver- folgt der Autor ausgewählte Aspekte des Wenigerschen Werkes: zunächst die Kor- relationen zwischen Wenigere Geschichtsdidaktik und seiner in den dreißiger Jah- ren verfaßten Militärpädagogik und sodann die Bedeutung der Landes- und Hei- matgeschichte für die Geschichtsforschung und Geschichtsdidaktik. Das Schlußkapitel »Aktuelle Nutzanwendungen« enthält unterschiedliche Versuche, das »Erbe« der geisteswissenschaftlichen Geschichtsdidaktik für den gegenwärti- gen Diskussionsprozeß nutzbar zu machen. So weist Mütter auf die Bedeutung hi- storischer Reisen und historischer Sehenswürdigkeiten für die Erwachsenenbil- dung hin und verdeutlicht am Beispiel der Lehrbucharbeit den mühseligen Pro- zeß der Um- und Übersetzung geschichtsdidaktischer Erkenntnisse in die konkrete Ausarbeitung historischer Unterrichtswerke. Diejenigen, die sich mit geschichts- didaktischen Fragestellungen beschäftigen, werden in diesen Beiträgen zahlreiche Anregungen und fruchtbare Hinweise für ihre eigene Arbeit finden, wobei ein we- sentliches Verdienst von Bernd Mütter darin besteht, die historische Perspektive jeweils mitzudenken und damit die zu lösenden geschichtsdidaktischen Probleme in ihrem spezifischen Entwicklungszusammenhang zu verorten.

Darüber hinaus trägt die Aufsatzsammlung entscheidend dazu bei, die Lei- stungen Erich Wenigers als Geschichtsdidaktiker wieder in das Bewußtsein zu he- ben. Für Mütter sind Wenigers Arbeiten nach wie vor der wichtigste Orientie- rungsrahmen bei der Ausarbeitung seiner eigenen geschichtsdidaktischen Kon- zeption, deren Ausgangspunkt er folgendermaßen beschreibt: »Geschichtsdidaktik ist eine Dimension von Geschichtswissenschaft, die außerdem Geschichtsforschung und Geschichtswissenschaftstheorie (Historik) umfaßt. Geschichtsdidaktik analy- siert die Wechselwirkung zwischen Geschichtswissenschaft und Gesellschaft.« Und weiter heißt es bei ihm: »Durch ihre didaktische Dimension soll die Geschichts- wissenschaft befähigt werden, die Orientierungserwartung von Staat, Gesellschaft, politischen, sozialen, weltanschaulichen u.a. Gruppen in einer ihre relative Auto- nomie respektierenden Weise wahrzunehmen und wissenschaftlich kontrollierte und geprüfte historische Erfahrungen für die Herausbildung von Geschichtsbe- wußtsein und historisch-politischer Kultur und Kompetenz so zur Verfügung zu stellen, daß politische und gesellschaftliche Gegenwartsaufgaben durch Berück- sichtigung einer weiter ausgreifenden Zeitperspektive besser gelöst werden kön- nen« (S. 348).

Für den Militärhistoriker sind in erster Linie diejenigen Aufsätze von Interes- se, die sich mit der Biographie Erich Wenigers und mit dessen Militärpädagogik be- fassen — Themen, die im übrigen in jüngster Zeit auch zunehmend in der Erzie- hungswissenschaft diskutiert werden. Dabei geht es zentral um Wenigers Verhal- ten während der NS-Zeit und um seine Rolle und Funktion beim Aufbau der Bun- deswehr1. Im Hinblick auf diese Debatte sei besonders auf die Studie »Zwei

>Bewältigungen< des Kriegserlebnisses. Erich Wenigers Geschichtsdidaktik und seine Militärpädagogik zwischen den beiden Weltkriegen« verwiesen.

Heinz Stübig

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Zur Militärpädagogik Erich Wenigere vgl. Kurt Beutler, Geisteswissenschaftliche Pädago- gik zwischen Politisierung und Militarisierung: Erich Weniger, Frankfurt a.M 1995 (= Stu- dien zur Bildungsreform, 24). Mit Wenigere Tätigkeit während der nationalsozialisti- schen Herrschaft und seinem späteren Umgang mit diesem Zeitabschnitt beschäftigt sich Barbara Siemsen, Der andere Weniger. Eine Untersuchung zu Erich Wenigere kaum be- achteten Schriften, Frankfurt a.M. 1995 (= Studien zur Bildungsreform, 25).

John Keegan, Die Kultur des Krieges. Aus dem Englischen von Karl A. Kie- wer, Berlin: Rowohlt 1995, 592 S., DM 68,- [ISBN 3-87134-226-2]

»A History of Warfare«, wie der englische Titel lautet, ist ein enzyklopädisches und zugleich ein sehr persönliches Werk des Autors, der 1976 mit »The Face of Battie«

eine neue, heute nicht mehr wegzudenkende Perspektive in die militärgeschicht- liche Betrachtung einführte. In der Einleitung schildert Keegan die Faszination, die das Militär von frühester Jugend an auf ihn ausgeübt, ihn während des Studiums begleitet und ihn schließlich als Militärhistoriker an der britischen Militärakademie Sandhurst mit der besonderen, tief von Traditionen geprägten Welt der britischen Regimentskultur intensiv und bewundernd vertraut gemacht habe. Diese von den

»Kriegern« ausgehende Faszination verbindet sich für Keegan jedoch mit einer ve- hementen Ablehnung der seit dem Ende des 18. Jahrhunderts sich entwickelnden Formen des »totalen« Krieges. Im Epilog des Buches verleiht er seiner Hoffnung Ausdruck, daß in Zukunft unvermeidliche Konfrontationen nicht mit dem westli- chen Modell der Kriegführung, sondern durch Formen der »freiwilligen Begren- zung und des symbolischen Rituals« (S. 553) beigelegt werden könnten.

In diese persönlichen Bemerkungen eingebettet ist eine umfassende und sehr eigenwillige Darstellung der Formen gewaltsamer Auseinandersetzungen von den frühesten Zeiten bis hin zum Zweiten Weltkrieg und den Entwicklungen unserer Gegenwart (Golfkrieg). Es ist ein bewundernswertes, enzyklopädisches Wissen, das John Keegan vor dem Leser ausbreitet und es dem Rezensenten ganz unmög- lich macht, auf die Fülle der Feststellungen und Thesen einzugehen, mit denen der Autor die Kriegführung der Assyrer, der Griechen und Römer, der Reitervölker des Ostens und der Mamelucken etc. etc. charakterisiert. Bei diesem grandiosen, Jahrtausende umgreifenden Uberblick kann es gar nicht ausbleiben, daß der Au- tor Formulierungen gebraucht, die mehr seinen Thesen als dem historischen Befund entsprechen — so wenn Keegan die Niederlage Deutschlands in den Material- schlachten des Ersten Weltkrieges »beinahe als Zufall« betrachtet (S. 447). Angesichts der überwältigenden Fülle von bedenkenswerten Thesen, überraschenden Beob- achtungen und anregenden, weiterführenden Hinweisen sind derartige Kri- tikpunkte in der Tat zu vernachlässigen.

Bleibt die Frage, in welcher Absicht »A History of Warfare« konzipiert und ge- schrieben wurde. John Keegan läßt von Anfang an keinen Zweifel daran, daß es ihm

— jenseits aller kompilatorischen Versuchungen — vor allem und ausschließlich dar- um geht, die Formenvielfalt kriegerischer, gewaltsamer Auseinandersetzungen im Laufe der Geschichte nachzuweisen. Er will dadurch darauf aufmerksam machen, daß es — neben dem mit der Atombombe an ein absurdes Ende gekommenen westlichen Modell der Kriegführung — andere, auch unter den heutigen Verhältnissen durchaus akzeptable Formen der Konfliktbewältigung gibt, die genutzt werden sollten.

So weit, so gut. Doch Keegan, der die zur Katastrophe der beiden Weltkriege führende Entwicklung mit der Kriegführung der Nationalstaaten seit dem Ende

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des 18. Jahrhunderts beginnen läßt, macht Carl v. Clausewitz' Werk »Vom Kriege«

und dessen Konsequenzen für den Weg in den Abgrund verantwortlich. Keegan ist derart auf die Ablehnung, auf die entschiedene Zurückweisung der vermeint- lichen Lehren Clausewitz' fixiert, daß man tatsächlich von einer Streitschrift ge- gen den preußischen KriegsphOosophen sprechen kann. Sie allerdings als brillant zu bezeichnen, wie es Jan Philipp Reemtsma in seiner großen Besprechung in der

»Zeit« (vom 7. April 1995) getan hat, scheint dem Rezensenten durchaus unange- bracht, denn Keegan geht in seiner Argumentation von außerordentlich zweifel- haften Voraussetzungen aus. Der Autor eröffnet seine Ausführungen zu Clausewitz mit dem schlichten, zutreffenden Satz: »Clausewitz war Offizier eines Regiments«

(S. 35). Doch die dann folgende, simple Übertragung der von Keegan so lebendig beschriebenen britischen Regimentskultur auf preußische Verhältnisse führt zu un- zutreffenden Schlußfolgerungen. Das eigentliche Mißverständnis liegt jedoch in der Annahme Keegans, Clausewitz habe »in seinen Schriften darauf beharrt [...], es sei Aufgabe der Heere, dafür zu sorgen, daß >wirklicher< Krieg und >absoluter<

Krieg ein und dasselbe seien« (S. 46). Von dieser Annahme ausgehend sieht Kee- gan in Clausewitz »den ideologischen Vater des Ersten Weltkrieges« (S. 50) — eine ziemlich atemberaubende Formulierung. Die Clausewitzsche Unterscheidung zwi- schen >wirklichem< und >absolutem< Krieg hat in der Vergangenheit immer wie- der zu Mißverständnissen geführt. Eine heutige historische Interpretation sollte aber doch zur Kenntnis nehmen) daß Clausewitz im ersten, überarbeiteten Buch den

>absoluten< Krieg als Idealtypus gekennzeichnet hat, dem er den >wirklichen< Krieg in seiner politischen Bedingtheit gegenüberstellte. In diesem Zusammenhang for- mulierte er: »So wird der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv des Krie- ges das Maß sein, sowohl für das Ziel, welches durch den kriegerischen Akt er- reicht werden muß, als für die Anstrengungen, die erforderlich« sind (Carl v. Clau- sewitz, Vom Kriege, hrsg. von Werner Hahlweg, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 98). Die- se Formulierung trifft für eine unbegrenzte Zahl von Kriegsformen zu, auch für all die Beispiele, die Keegan gegen Clausewitz meint anführen zu können. Das Zi- tat macht aber auch deutlich, daß Clausewitz nun wirklich alles andere war als ein die Wirklichkeit manipulierender Ideologe.

Kurzum, der Verlag hätte gut daran getan, dem eindeutigen englischen Titel

»A History of Warfare« auch in der Ubersetzung zu folgen — die »Kultur des Krie- ges« wird nirgends definiert und bleibt nebelhaft. Der hervorragende, von enzy- klopädischem Bemühen und Wissen getragene Überblick über die unterschied- lichsten Formen gewaltsamer Auseinandersetzungen hätte durch den Verzicht auf die tatsächlich unbegründete Polemik gegen Clausewitz keinen Schaden genom- men. Wilhelm Deist

Arminius und die Varusschlacht. Geschichte, Mythos, Literatur. Hrsg. von Rai- ner Wiegels und Winfried Woesler, Paderborn, München, Wien, Zürich:

Schöningh 1995,434 S., DM 68,- [ISBN 3-506-79751-4]

Der Band vereint 25 Vorträge des Kolloquiums »Arminius und die Varusschlacht«, das im Dezember 1990 in Osnabrück veranstaltet worden ist. Die Tagung hat sich einerseits mit den Ereignissen im Jahr und um das Jahr 9 n. Chr. beschäftigt, an- dererseits aber mit der Darstellung des Arminius und seiner germanischen Zeit-

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genossen in der Wissenschaft und der Kunst der Neuzeit. Wir können uns hier le- diglich mit dem ersten Gegenstand befassen.

Den Beginn macht Dieter Timpe (»Geographische Faktoren und politische Ent- scheidungen in der Geschichte der Varuszeit«, S. 13-27). Der Verfasser hatte sei- nerzeit mit seinen Arminius-Studien neue Wege bei der Erforschung des Gegen- stands gebahnt. Im vorliegenden Aufsatz behandelt er die naturräumlichen Ge- gebenheiten Germaniens. Unter Verweis darauf, wie schwierig das Land zu durch- dringen war, kommt er zu dem Schluß, nicht »unprovoziert und um abstrakter Ziele willen« hätten die Römer »die Eroberung rechts des Rheins begonnen«, son- dern um »das Vorfeld Galliens gegen die Infiltration aggressiver suebischer Ge- folgschaftsverbände oder von ihnen mobilisierter Stammesverbände zu sichern«

(S. 19). An dieser »interpretatio Romana« haben wir erhebliche Zweifel. Wird sie vergröbert, so lehrt man in einigen Jahren, das Römische Reich hätte sich aus lau- ter Friedensliebe Britannien und Ägypten unterworfen. Es ist vielmehr zu fragen, ob nicht nach römischen Raumvorstellungen die Elbgrenze wünschenswert war.

Solche Überlegungen hat vor Jahrzehnten die Geopolitik angestellt, die jetzt wie- der zu Ehren kommt. Timpe geht selbst auf die Bedeutung der Elbe ein (S. 22 f.).

Jörg Heiligmann (»Die Bevölkerung im süddeutschen Raum in augusteischer und frühtiberischer Zeit«, S. 29-40) meint, die römische Heeresleitung habe Süd- deutschland »aus ihren [...] Überlegungen im Vorgehen gegen die Germanen weit- gehend« ausgeklammert, weil dieses Gebiet keltisch gewesen wäre (S. 39). Da müß- te man aber voraussetzen, daß die Germanen eine politische Einheit gebildet hät- ten oder daß die römische Regierung nach völkerkundlichen Gesichtspunkten vor- gegangen wäre. Martin Pietsch (»Das augusteische Legionslager Marktbreit« [bei Kitzingen in Unterfranken], S. 41-66) bringt neue Grabungsergebnisse von der erst seit 1985 bekannten Fundstätte. Ihre Bedeutung liegt darin, daß man vorher nichts von einem so weiten Vordringen der Römer nach Süddeutschland während der betreffenden Zeit wußte. Pietsch bringt die Errichtung des Lagers mit dem Mar- komannenfeldzug des Jahres 6 n. Chr. in Verbindung, befleißigt sich dabei aber ei- ner lobenswerten Vorsicht. Wolfgang Schlüter (»Neue Erkenntnisse zur Ortlichkeit der Varusschlacht?«, S. 67-95) geht von dem 1987 gemachten Fund von Silber- münzen in Kalkriese (auf dem Gebiet der Stadt Bramsche bei Osnabrück) aus, der eine Anzahl von Wissenschaftlern veranlaßt hat, die Kalkrieser-Niewedder Senke als Ort der Niederlage des Varus anzusehen oder erneut anzusehen, denn schon Theodor Mommsen hatte die Schlacht im Teutoburger Wald hier vermutet1. Rein- hard Stupperich (»Römische Toreutik und augusteische Feldzüge in Germanien: Der Fall Hildesheim«, S. 97-122) behandelt den Silberschatz, der 1868 bei Hildesheim gefunden worden ist. Man hat ihn seinerzeit mit der Schlacht im Teutoburger Wald in Verbindung gebracht und sogar als persönliche Hinterlassenschaft des Varus aufgefaßt. Von etlichen Wissenschaftlern sind die Gegenstände jedoch für eine spä- tere oder sehr viel spätere Zeit (4. Jh.) in Anspruch genommen worden. Stuppe- rich meint, der Schatz habe einem römischen Offizier gehört und sei unter der Re- gierung des Augustus in die Erde gekommen. Gustav Adolf Lehmann (»Das Ende der römischen Herrschaft über das >westelbische< Germanien: Von der Varus-Kata- strophe zur Abberufung des Germanicus Caesar 16/7 n. Chr.«, S. 123-141) wendet sich Germanicus zu; dieser war der Neffe des Kaisers Tiberius (14-37) und hat von 13/14 bis 17 in Germanien Krieg geführt. Lehmann geht der Frage nach, ob seine Abberufung eine grundsätzliche Wende der römischen Politik in Germanien be- deutet hat, und gibt eine bejahende Antwort. Tiberius jedenfalls hat auf weitere

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Eroberungen rechts des Rheins verzichtet. Sein Nachfolger Caligula (37-41) warf das Steuer wieder herum. Der Verfasser wertet einen Beschluß aus, den der römi- sche Senat im Jahre 19 zu Ehren des gerade verstorbenen Germanicus gefaßt hat und dessen Wortlaut erst seit etwa zehn Jahren bekannt ist. Dieter Flach (»Der ta- citeische Zugang zu der Welt der Germanen«, S. 143-166) geht der immer wieder behandelten Frage nach, mit welcher Darstellungsabsicht Tacitus die »Germania«

verfaßt hat. Im Anhang behandelt er drei berühmte Stellen dieses Werkes: erstens den Satz über den Namen der Germanen (Germania 2, 2-3), zweitens die Aus- führungen des Tacitus über den comitatus (13, 2,2-3) und drittens die Schlußwor- te der »Germania«. Hierzu sei nur bemerkt, daß die Wiedergabe von natio als Stamm, von gens als Volk und von comitatus als Gefolgschaft den Tacitus in eine Begriffs- welt versetzt, die erst im vorigen Jahrhundert geschaffen worden ist. Die Auffas- sung schließlich, Tacitus habe in seinen Schlußworten Befürchtungen geäußert, die sich in der Völkerwanderungszeit bewahrheitet hätten, übersieht, daß die Zustände und Begebenheiten der Spätantike in keiner Weise mit den Verhältnissen des ersten Jahrhunderts nach Christi Geburt vergleichbar sind. Wenn diese Auffassung richtig wäre (die nicht allein von Flach vertreten wird), müßte Tacitus über die Gabe des Hellsehens verfügt haben. Gregor Maurach (»Die literarische Form des Arminus- schlacht-Berichts«, S. 167-173) untersucht die einschlägigen Erzählungen der Quel- len, also des Vellerns Paterculus, der selbst im Heer des Tiberius gekämpft hat, des Floras, eines Zeitgenossen des Kaisers Hadrian (117-138), und des Cassius Dio, der zu Beginn des 3. Jahrhunderts ein Geschichtswerk in griechischer Sprache ver- faßt hat. In lehrreicher Weise ordnet Maurach die Schlachtenschilderungen in das literarische Gefüge des jeweiligen Gesamtwerks ein. Horst Callies (»Bemerkungen zu Aussagen und Aussagehaltung antiker Quellen und neuerer Literatur zur Varus- schlacht und ihrer Lokalisierung«, S. 175-183) geht gleichfalls von den Quellen aus, prüft ihre Aussagen jedoch auf ihre Glaubwürdigkeit und besonders auf die Mög- lichkeit, aus ihnen den Ort der Kämpfe zu erschließen, wobei er die Mitteilungen des Tacitus in seinen »Annalen« heranzieht. (Diese Angaben erlauben nur mittel- bare Rückschlüsse, da Tacitus die Zeit vor dem Jahre 14 n. Chr. nicht eigentlich be- handelt.) CaUiers äußert ein sehr berechtigtes Mißtrauen gegen die Versuche, den Schlachtort genau zu bestimmen, auch gegen die Vermutung, er habe bei Kalkriese gelegen (siehe oben). Alexander Demandt (»Arminius und die frühgermanische Staa- tenbildung«, S. 185-196) geht von »der typologischen Bedeutung für eine wichtige Phase der Staatsentstehung« aus, die der Geschichte des Arminius zukomme, endet jedoch mit dem Satz: »Vielleicht hat Jacob Burckhardt doch Recht mit seinem Satz:

>Eitel sind alle unsere Konstruktionen von Anfang und Ursprung des Staates.<«

Matthias Springer

1 Siehe Reinhard Wolters, Varusschlachten — oder: Neues zur Örtlichkeit der Varus- schlacht, in: Die Kunde, N.F., 44 (1993), S. 167-183.

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Thomas Nicklas, Um Macht und Einheit des Reiches. Konzeption und Wirk- lichkeit der Politik bei Lazarus von Schwendi (1522-1583), Husum: Mat- thiesen 1995, 203 S. (= Historische Studien, 442), DM 68,- [3-7868-1442-2]

Der im Mittelpunkt der Studie stehende Lazarus von Schwendi fand in der älteren Forschung vor allem auf Grund seiner Wirksamkeit als Militärtheoretiker und -politiker Interesse, man denke hierbei nur an seinen 1573/74 verfaßten »Kriegs Dis- curs. Von Darstellung des gantzen Kriegswesens und von Kriegsängsten«. Die vorliegende Arbeit, die aus einer Erlanger Dissertation hervorgegangen ist, ver- sucht sich dieser Persönlichkeit aus einer anderen Perspektive zu nähern. Im Zen- trum des Interesses des Autors steht der politische Denker und Reichspolitiker La- zarus von Schwendi. Die Darstellung will somit einen Beitrag leisten zur Aufar- beitung einer Zeitepoche, die in etwa zwischen Augsburger Religionsfrieden und den ersten Regierungsjahren Kaiser Rudolfs II. anzusiedeln ist und die lange im Schatten konfliktträchtigerer und damit »forschungswürdigerer« Ereignisse ge- standen hatte; jener Zeit also, »die noch nicht Vorgeschichte zum Dreißigjährigen Krieg war«, die aber geprägt wurde »von offenen Entwicklungen und Fragestel- lungen, die auf den zweiten, gründlicheren Blick als ein politikgeschichtliches Fas- zinosum wirken« (S. 9). Die Studie ordnet sich damit zugleich in jene Forschungs- richtung ein, die sich seit etwa 20 Jahren mit neuen Ansätzen und bisher mit be- eindruckenden Ergebnissen der frühneuzeitlichen Reichsgeschichte zuwendet.

Der erste Teil des Buches, das sich dezidiert nicht als Biographie versteht — deshalb reißt der Verfasser das familiäre Umfeld nur an —, widmet sich dennoch der »Konstituierung der Persönlichkeit« Lazarus von Schwendi. Knapp, aber prä- zise wird das geistige Umfeld des Adligen ausgelotet. Die Grundlagen seiner Bil- dung wurden an der Universität Basel — hier wirkte vor allem Grynäus auf den jungen Studenten — und am Gymnasium in Straßburg gelegt. Hier war es wie- derum Sleidanus, der bei Schwendi auf besonderes Interesse stieß und seine Nei- gung zur Geschichte prägte, die für sein ganzes Leben bestimmend bleiben sollte.

Die Suche nach den geistigen Wurzeln der später Bedeutung erlangenden reichs- politischen Konzeptionen Schwendis führte den Verfasser zu zwei auf das politi- sche Denken der Renaissance maßgeblich ausstrahlenden Persönlichkeiten: Nic- colo Machiavelli und Philippe de Commynes. An Machiavelli faszinierten Schwen- di vor allem dessen Ideen, die um die nationale Wiedergeburt, die politische Re- generation Italiens kreisten. Die Parallelen zwischen dem zerrissenen staatlichen Zustand Renaissance-Italiens und der Ohnmacht der Reichsgewalt im Heiligen Römischen Reich in der Mitte des 16. Jahrhunderts mußten einem so aufgeschlos- sen die Zeitläufe beobachtenden Mann wie Schwendi deutlich vor Augen stehen.

Die von Commynes eingeforderte moralische Verantwortung der Herrscher, die ethische Verankerung der Politik, ließen bei Schwendi die mitunter bei Machia- velli reinem Zweckkalkül unterworfenen Konsequenzen in etwas pragmatische- rem Licht erscheinen. Ob die Rezeption dieser beiden Denker nun Schwendis Han- deln »vom Feuer der Revolution entzündete« und ihn zum radikalsten Vertreter der Reichsreform und »Reichsrevolutionär« werden ließ (S. 183), bleibt dahingestellt;

jedenfalls konnte Nicklas herausarbeiten, daß Schwendi innerhalb des Spektrums zeitgenössischer Ideen zur Reformierung des Reiches — sowohl von seiner intel- lektuellen Reife her als auch auf Grund der ihm als einflußreichen kaiserlichen Rat- geber zu Gebote stehenden Mittel der politischen Umsetzung — ein Platz als einer der bedeutendsten Köpfe gebührt.

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Der zweite Teil behandelt die politische Wirksamkeit Schwendis zwischen 1546 und 1568. Bereits der Beginn der politischen Aktivitäten Schwendis fiel in eine Zeit brisanter Entscheidungen. Während des Schmalkaldischen Krieges kam ihm als kaiserlichem Emissär die Aufgabe zu, in Norddeutschland das Terrain für die Sa- che des Kaisers zu sondieren. Die guten persönlichen Beziehungen zu Herzog Hein- rich dem Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel sollten ihm diese Mission er- leichtern, die insbesondere darauf zielte, der Autorität des Reichsoberhauptes in ei- ner »kaiserfernen« Region mehr Geltung zu verschaffen. Auch in anderen Passa- gen (z.B. S. 89 und S. 113 f.) verstand es der Verfasser zu verdeutlichen, wie es Schwendi gelang, ein personales Beziehungsnetz aufzubauen und die daraus ge- wonnenen Informationen für seine zahlreichen hochpolitischen Aufträge, aber auch zu eigenem Nutzen — man denke hierbei nur an den Erwerb eines beträcht- lichen Güterbesitzes — auszuwerten.

Ohnmächtig mußte Schwendi jedoch mit ansehen, wie sich der kaiserliche Teil- erfolg von 1547 schon kurze Zeit später in sein Gegenteil verkehrte und damit auch seine eigenen Bemühungen weitgehend zunichte gemacht wurden. Die dar- aus resultierende Verbitterung und eine zuweilen sehr scharf formulierte an- tifürstliche Haltung wichen jedoch zunehmend der pragmatischen Einsicht in die realen Machtverhältnisse im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Dies war sicher nicht nur auf das Reifen einer Persönlichkeit zurückzuführen, die durch ihr Agieren auf vielen Konfliktfeldern der Reichspolitik immenses Erfahrungs- wissen sammeln und aus Mißerfolgen — wie z.B. auf dem Speyerer Reichstag 1570

— Lehren ziehen konnte. Maßgeblich trug dazu wohl auch der Umstand bei, daß Lazarus v. Schwendi in Gestalt von Maximilian II. einem Kaiser diente, dessen auf Ausgleich und Toleranz angelegte Politik zumindest Chancen bot, die verhärteten Fronten zwischen den konfessionellen Lagern aufzuweichen. Nicklas hat damit auf Grund neuer Quellenbelege dem vor allem durch M. Lanzinner neu gezeich- neten Bild dieses lange Zeit in der Forschung vernachlässigten Kaisers mehr Far- be verliehen.

An mehreren Stellen des Buches kommt Nicklas auf das schwer zu bestim- mende und deshalb bei ihm zuweilen etwas widersprüchlich erscheinende Ver- hältnis Schwendis zu Kirche und Religion zu sprechen. Einerseits konzedierte Nick- las bei ihm ein »geringes Gespür für religiöse Fragen« (S. 95), andererseits wußte Schwendi natürlich um die Bedeutung der Religion als »Fundament des Staats- wesens« (S. 128) und berücksichtigte dies in seiner politischen Wirksamkeit. Gerade sein ständiges Eintreten für religiöse Toleranz im Interesse seiner Gesamtkonzep- tion, die in den letzten Jahren seiner aktiven politischen Wirksamkeit den Ideen der Eintracht der Reichsstände, der »Concordia« verpflichtet waren, erforderte schon detaillierte Kenntnisse über die Diskrepanzen zwischen den konfessionellen Lagern, ohne sich natürlich — und hierin ist dem Verfasser zu folgen — in theo- logische Spitzfindigkeiten einzulassen.

Ausführlich erörtert Nicklas — vor allem im dritten Teil — die verschiedentlich in der älteren Forschung schon behandelten politisch-konzeptionellen Ansätze aus Schwendis Feder. Die Beschäftigung gerade mit diesem Bereich der Schwendischen Wirksamkeit mag ihn zu der These veranlaßt haben, daß Schwendi stets mehr In- teresse den politischen Fragen als den militärischen Angelegenheiten entgegen- brachte (S. 89); eine Einschätzung, die ein Forscher, der sich mit dem Feldherrn und Militärtheoretiker Lazarus von Schwendi beschäftigt, sicher etwas anders ge- wichten würde. Dennoch hat Nicklas selbst Belege dafür beigebracht, daß Schwendi

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in Kenntnis der politischen Defizite der Reichsverfassung häufig gezwungen war, auf die »militärische Karte« zu setzen. Besonders die im Zusammenhang mit der zunehmenden Türkengefahr maßgeblich von ihm initiierten Bemühungen für ei- ne Stärkung der Defensivkraft des Reiches sollten zugleich einen Beitrag zur Er- höhung der Effizienz der Reichsverfassung schlechthin bilden. Es bewies den Rea- litätssinn Schwendis, daß er vor dem Hintergrund dieses Gesamtanliegens nun- mehr im Unterschied zu früheren Ansichten bereit war, den Fürsten eine stärkere Partizipation an der Diskussion um die militärischen Aspekte der Reichsverfas- sung zuzubilligen.

Den Abschluß dieser gelungenen, aus einem immensen Literatur- und Quel- lenstudium resultierenden Darstellung (in 28 Archiven wurde recherchiert!) bil- den Ausführungen zu den letzten Lebensjahren Schwendis. Diese verbrachte er als »politisierender Privatmann« auf seinen Gütern. Von dort aus verfolgte er mit Pessimismus und zynischen Invektiven das Handeln des neuen Kaisers Rudolf II., der mit seiner Politik die düsteren Vorahnungen Schwendis, daß für Deutschland der Tag kommen werde, »da man im Blut schwimme« (S. 161), immer wahr- scheinlicher werden ließ.

Frank Göse

Francis Parkman, The conspiracy of Pontiac and the Indian war after the con- quest of Canada. Vol. 1: To the massacre at Michillimackinac, 10. ed., Lin- coln, NE, London: University of Nebraska Press 1994, XXXVI, 367 S., $ 12,50 [ISBN 0-8032-8733-X]; vol. 2: From the spring of 1763 to the Death of Pontiac, 10. ed., Lincoln, NE, London: University of Nebraska Press 1994, X, 384 S.,

$ 12,50 [ISBN 0-8032-8737-2]

Eine Geschichte — und sei es auch nur ein Teilbereich daraus — über die eu- ropäischen kolonialen Rivalitäten im Norden des amerikanischen Kontinents oder über die dortigen Indianerkriege ohne die Arbeiten von Parkman schreiben zu wollen, ist schlechterdings unmöglich. Auch eine Biographie des berühmten Ottawa- Häuptlings Pontiac (um 1720 bis 1769) wäre ohne die Heranziehung der ein- schlägigen Forschungsergebnisse des US-amerikanischen Historikers nur Stück- werk. Insofern ist die nun zehnte Auflage des zweibändigen Hauptwerkes von Francis Parkman (1823 bis 1893) vorbehaltlos zu begrüßen. Es ist nicht nur ein frühes Werk der nordamerikanischen Militärgeschichtsschreibung, sondern zugleich auch eine einmalige historische und selbst ethnologische Quelle. Denn der Verfasser ver- arbeitete zeitgenössische Dokumente und Aussagen, die der Forschung heutzuta- ge nicht mehr zur Verfügung stehen. Wenngleich Parkman sich um eine möglichst detaillierte Darstellung des leider zu Unrecht — weil etwas abwertend — als »Con- spiracy« bezeichneten Aufstandes mehrerer verbündeter Indianerstämme gegen die Engländer bemüht, so geht er doch auch auf das komplizierte englisch-franzö- sische Verhältnis in Europa und Nordamerika ein sowie auf die Etappen der terri- torialen Westexpansion und auf die Rolle der indianischen Urbevölkerung im Ko- lonisiemngsprozeß. Neben seinen militärstrategischen und diplomatiegeschichtli- chen Ausführungen versäumt der Verfasser es auch nicht, auf den Einfluß der Je- suiten und anderer europäischer Missionare auf die Kultur und den Widerstandswillen der Autochthonen hinzuweisen. Der eher freundschaftlichen

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und zum Teil auch gleichberechtigten Behandlung der Indianer durch die Franzo- sen stellt er die oft widersprüchliche, feindselige und herrschsüchtige Haltung der Engländer gegenüber. Obwohl er den indianischen Lebensformen und deren führen- den Verteidigern, insbesondere Pontiac, nicht zu übersehende Sympathie und Re- spekt entgegenbringt, hält er indes grundsätzlich die Indianer für nicht »zivilisier- bar«. Unter diesem Gesichtspunkt werden seine in der Vergangenheit oftmals kri- tisierten Schlußfolgerungen verständlich, denn trotz seiner Vorbehalte gegen die englische Kolonialpölitik rechtfertigt er diese letztlich. So ist für ihn das Bestreben Pontiacs, mit Hilfe einer indianischen Allianz aus mehreren Stämmen und mit Un- terstützung der Franzosen die Engländer zu vertreiben, auch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Als im Oktober 1763 Pontiac, von seinen Verbündeten im Stich gelassen, die Belagerung von Detroit aufgab und er wenige Jahre später einem Mord- komplott zum Opfer fällt, erfüllte sich für Parkman ein tragisches Schicksal. Da die Lebensgeschichte Pontiacs eng mit den kolonialen Rivalitäten Englands und Frank- reichs vor, während und auch nach dem Siebenjährigen Krieg verknüpft ist, liegt nun auch wieder eine der authentischsten Biographien eines der berühmtesten In- dianerhäuptlinge Nordamerikas vor. Diese liest sich flüssig. Nicht zu Unrecht wird Parkman als »America's greatest narrative historian« bezeichnet.

Ulrich van der Heyden

Handbuch der preußischen Geschichte. Hrsg. von Otto Büsch. Bd 2: Das 19. Jahr- hundert und große Themen der Geschichte Preußens. Mit Beiträgen von Ilja Mieck [u.a.], Berlin, New York: de Gruyter 1992, XXXI, 868 S., DM 228,- [ISBN 3-11-008322-1]

Die deutsche Geschichte, vor allem die des 19. Jahrhunderts, ist ohne Preußen gar nicht zu denken. Dies zeigen gerade die großen Gesamtdarstellungen Thomas Nip- perdeys, Hans-Ulrich Wehlers und Wolfgang J. Mommsens, die bei allem ehrlichen Bemühen, auch den außerpreußischen Gebieten die gewiß gebührende Aufmerk- samkeit zu schenken, zwangsläufig die Entwicklungen im größten deutschen Ein- zelstaat in den Mittelpunkt rücken. Ihre beeindruckenden Untersuchungen stel- len deshalb in weiten Teilen Studien zur preußischen Geschichte dar. An diesen Arbeiten muß sich das vorliegende Werk messen lassen.

Dabei handelt es sich um den zweiten Band des auf drei Bände angelegten Handbuchs der preußischen Geschichte. In seinem ersten Teil setzt sich der Band mit der Geschichte Preußens im 19. Jahrhundert auseinander. Daß diese Geschichte nur von 1807 bis 1871 gedauert haben soll, wie es die Zeiteinteilung des Bandes bestimmt, mag überraschen, reden doch Historiker gemeinhin vom »langen 19. Jahr- hundert«, das von 1789 bis 1914 (oder 1918) dauerte. Tatsächlich spricht manches dafür, daß das 19. Jahrhundert in Preußen erst nach der Niederlage gegen Napo- leon mit den anschließenden Reformen begann. Ob allerdings das Jahr 1871 wirk- lich eine säkulare Zäsur darstellte, erscheint dem Rezensenten fraglich. In staats- rechtlicher Hinsicht war die mit der Reichsgründung eintretende Veränderung zweifellos enorm. Der Widerstand Wilhelms I. gegen die Überführung Preußens in ein Gesamtdeutschland kam nicht von ungefähr. Doch andererseits spricht sehr viel dafür, das neue Reich treffend als eine Art Großpreußen zu bezeichnen. Über- dies kam der große soziale und wirtschaftliche Wandel erst später. Zum Problem

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der Epocheneinteilung und der damit verbundenen Frage nach der Kontinuität hätte man sich jedenfalls ein paar ausführlichere Bemerkungen des Herausgebers gewünscht.

Der zweite Teil des Bandes beschäftigt sich mit »großen Themen« der preußi- schen Geschichte. Hierbei handelt es sich um das Verhältnis zu Polen, die wirt- schaftliche Entwicklung und das Bildungswesen. All diese Bereiche werden fast für die gesamte Dauer der Existenz Preußens behandelt. Diese zweifellos wichti- gen Einzelthemen sollen durch weitere Spezialbeiträge in den kommenden Bänden ergänzt werden.

Dem Herausgeber ist es gelungen, einige ausgezeichnete Autoren zu gewin- nen. Hervorragende Kenner der Materie haben an dem Werk mitgewirkt. Das Er- gebnis ist dennoch nicht immer überzeugend. Dies gilt gerade auch für die über- greifende Gesamtdarstellung von Ilja Mieck, die von Umfang und Thematik her das eigentliche Kernstück des Bandes darstellt. Mieck beschäftigt sich mit der ge- nerellen Entwicklung Preußens zwischen 1807 und 1850. Es gelingt ihm aber nicht so recht, sich zwischen der Form eines Handbuchartikels und der eines darstelle- rischen Essays zu entscheiden. Auf der einen Seite steht eine beinahe unüber- schaubare Menge an Daten, Fakten und Zahlen. Handelsverträge, Verfassungs- entwürfe, Schlachten, Truppenzahlen und Verluste werden mitunter akribisch auf- gelistet. Dem steht eine auffällige Liebe zum anekdotischen Detail gegenüber. So werden dem Leser bildreiche und zuweilen sogar amüsante Informationen über Pannen bei Rückführung der Quadriga, über das Kölner Dombaufest und die Re- aktivierung eines alten Kranes, sowie über eine Königshuldigung bei strömendem Regen geboten.

Bei all dem aber geht die synthetische Analyse, also der Versuch der histori- schen Erklärung, weitgehend unter. Wichtige Zusammenhänge werden sogar über- haupt nicht erwähnt. So bleiben die Darstellungen der Verhandlungen von Kon- gressen und des Verlaufs von Verfassungsdebatten seltsam inhaltsleer. Revoluti- on und Gegenrevolution 1848/49 erscheinen allein in einer antiquierten Sicht von oben. Die auswärtige Politik Preußens wird nicht wirklich aus den jeweiligen In- teressen und Zwängen heraus erklärt. Seltsam ist auch, daß Mieck sich einerseits vornehmlich auf Wehler und Nipperdey stützt, andererseits jedoch immer wieder die Positionen einer gänzlich veralteten Literatur (Droysen, Treitschke, Oncken usw.) kritiklos übernimmt. So fällt dieser Beitrag bei all seinem Reichtum an In- formationen doch deutlich hinter die neueren Gesamtdarstellungen zurück.

Demgegenüber legt Hagen Schulze im Abschnitt über Preußen zwischen 1850 und 1871 einen klassischen Handbuchartikel von ausgezeichneter Qualität vor.

Ohne auf überflüssige Details einzugehen, wird hier schlüssig und zusammen- hängend interpretiert und durchweg auf dem neuesten Stand der Forschung ar- gumentiert. Dabei konzentriert sich Schulze vornehmlich auf politische Entwick- lungen, da die anderen Aspekte ja von den weiteren Beiträgen abgedeckt werden sollen. Wem die Arbeiten von Nipperdey, Wehler und Mommsen zu kompliziert sind, der kann sich hier relativ schnell und dennoch sehr gut informieren. Schul- zes Beitrag ist für ein Handbuch vorbildlich.

Ganz anders ist der Beitrag von Klaus Zernack über Polen in der Geschichte Preußens angelegt. Es handelt sich hierbei eher um einen Essay, der die gesamte Ge- schichte des Verhältnisses zwischen Polen und dem deutschen Osten abhandelt.

Durchweg auf dem neuesten Stand der Literatur (gerade auch der polnischen) ar- gumentierend, legt Zernack eine spannende Analyse vor, die an manchen Stellen

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überraschende Ergebnisse liefert. So wird deutlich, daß das Verhältnis zwischer Brandenburg/Preußen und Polen vom Mittelalter bis weit in die Frühe Neuzeil hinein durchaus positiv und produktiv war. Erst mit dem Aufstieg zur Großmacht) im 18. Jahrhundert wurde die »negative Polenpolitik« geradezu zur Staatsdoktriri Preußens. Aber auch dann noch ging es lange um den Erhalt des Status quo. Voll- ends belastet wurde das Verhältnis durch das Aufkommen sich gegenseitig aus- schließender Nationalismen im 19. Jahrhundert, die den Weg in eine katastropha- le Richtung wiesen. All dies wird durch hochinteressante Ausführungen zur So- zialgeschichte, Kultur, Mentalitätsgeschichte untermauert. Zernacks Beitrag ist so- mit ein Glanzlicht des Bandes.

Demgegenüber ist der Beitrag von Wilhelm Treue über Preußens Wirtschaft vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Nationalsozialismus mehr als enttäuschend. Hier wird eine strukturlose, chronologische Aneinanderreihung wirtschafts-, finanz-, technik- und bevölkerungspolitischer Ereignisgeschichte präsentiert. Dabei blei- ben viele wichtige Aspekte wie die Entstehung des Industriekapitalismus, der Strukturwandel in Handwerk und Landwirtschaft und die Herausbildung eines modernen Bankenwesens weitgehend im Dunkeln. An manchen Stellen treten Un- genauigkeiten und Fehler auf, die schon nicht mehr akzeptabel sind. Von einer in- dustriellen Revolution in Preußen um 1810/11 spricht die neuere Forschung schon längst nicht mehr. Ein nennenswertes »Fabrikproletariat« war im Vormärz wohl kaum vorhanden. Wenn dann obendrein noch von »Münzjuden« und von »Fried- richs unheilvollefr] Wendung zu Italienern, Franzosen und Niederländern, die er für fleißiger, origineller, dynamischer, auch für ehrlicher hielt als seine Untertanen

— ein eigenartiges Versagen« die Rede ist (S. 486 f.), kann dieser Artikel nur noch als ärgerlich bezeichnet werden. Interessant wird es dann noch einmal, wenn man sich dem abschließenden Beitrag von Wolfgang Neugebauer über das Bil- dungswesen in Preußen seit dem 17. Jahrhundert zuwendet. Diese vorzügliche Ge- samtdarstellung, die so ziemlich alle Aspekte abhandelt, dreht sich im Kern um die Bildungspolitik im Spannungsfeld zwischen privater sowie lokaler Initiative und staatlicher Lenkung. Dabei wird mit manch beliebtem Mythos aufgeräumt.

So weist Neugebauer schlüssig nach, daß es mit den großen Bildungsinitiativen preußischer Könige der frühen Neuzeit nicht so weit her war. Lokale und private Initiativen waren weit wichtiger. Sogar Humboldts Reformanstrengungen bauten zum großen Teil auf bereits Vorhandenem auf. Erst im Vormärz begann der Staat mit bildungspolitischen Aktivitäten glänzende Erfolge zu erzielen, deren Bedeu- tung nicht zu überschätzen ist. Die Kehrseite war allerdings, daß der Staat die Bil- dungspolitik nunmehr zu Zwecken der Innenpolitik und auch der Repression nut- zen konnte, was vor allem im Verlauf des Ersten Weltkrieges fatale Formen an- nahm.

Insgesamt also bietet der Band ein recht unterschiedliches Bild. Dabei darf aber wohl festgestellt werden, daß die besseren Beiträge die schwächeren mehr als auf- wiegen. Für viele Bereiche lohnt es sich unbedingt, dieses Werk zur Hand zu neh- men, auch wenn die eingangs erwähnten Gesamtdarstellungen letztlich wohl doch mehr zu bieten haben. Angesichts des geradezu unverschämten Ladenpreises wird das Handbuch wohl kaum einen größeren Leserkreis ansprechen, was im Hinblick auf die drei am besten gelungenen Beiträge nur zu bedauern ist.

Stig Förster

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Wolfgang /. Mommsen, Bürgerstolz und Weltmachtstreben. Deutschland un- ter Wilhelm II. 1890 bis 1918, Frankfurt a.M., Berlin: Propyläen 1995, 946 S.

(= Propyläen Geschichte Deutschlands, 7/2), bei Subskription DM 188,-, sonst DM 248,- [ISBN 3-549-05820-9]

Mit dem vorliegenden Teilband schließt Mommsen seine Geschichte des Deutschen Reiches mit einer detaillierten Darstellung des Wilhelminischen Deutschland vom Sturz Bismarcks bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ab. Wie im ersten Teil stellt der Autor das Handeln von Individuen und Gruppen unter Einschluß der wirtschaft- lichen, sozialen und kulturellen Bedingtheiten in den Mittelpunkt seiner Arbeit, wobei innen- und außenpolitische Entwicklungsstränge jeweils parallel verfolgt werden.

Bei der Besprechung des ersten Teilbandes wurde darauf hingewiesen, daß Mommsen den Anteil des Militärs an der Reichseinigung und die damit zusam- menhängende Militarisierung des öffentlichen Lebens im deutschen Kaiserreich besonders herausstellt und im Anschluß daran wurde nach den Auswirkungen dieses Prozesses gefragt (Vgl. MGM, 53 (1994), S. 160). Dieser Thematik soll im fol- genden weiter nachgegangen werden, was auch deswegen gerechtfertigt erscheint, als die der Außenpolitik gewidmeten Partien des Mommsenschen Werkes inzwi- schen separat publiziert und in dieser Zeitschrift bereits besprochen worden sind (Vgl. MGM, 53 (1994), S. 487^89).

Die hier interessierenden Zusammenhänge von Militär und Gesellschaft im Kaiserreich werden von Mommsen nicht systematisch abgehandelt, sondern im Kontext der allgemeinen politischen Entwicklung erörtert — beispielsweise an- hand der Diskussionen über die Heeresvorlagen in den neunziger Jahren, in dem Abschnitt über die Zabern-Affäre oder bei der Darstellung des Ersten Weltkriegs.

In allen diesen Phasen erscheint das Militär nicht nur als Instrument des Welt- machtstrebens, sondern immer auch als bestimmender Faktor für die inneren Ver- hältnisse des Deutschen Reiches.

In der Zabern-Affäre am Vorabend des Ersten Weltkriegs spiegelte sich dieser Tatbestand beispielhaft wider. Stand am Anfang die beleidigende Äußerung eines Leutnants gegenüber der elsässischen Bevölkerung, so kulminierte dieser Vorgang in einer erbitterten Auseinandersetzung im Reichstag, weil der betreffende Offi- zier nicht gemaßregelt, sondern vielmehr von seinen Vorgesetzten in Schutz ge- nommen wurde. Als der Kriegsminister in dieser Debatte die Affäre ausschließ- lich als eine Angelegenheit der monarchischen Kommandogewalt behandelte, brach der Streit um das Verhältnis der militärischen Macht zum Parlament und damit um die Rechtsstellung der Armee in Staat und Gesellschaft offen aus. Der Aus- gang dieses Vorfalls, der mit dem Freispruch des betreffenden Offiziers und sei- nes immittelbaren Dienstvorgesetzten endete, unterstrich die herausgehobene Stel- lung der Armee gegenüber den Zivilbehörden: Die kontrollfreie Sphäre der kai- serlichen Kommandogewalt und die privilegierte Stellung des Offizierkorps in der deutschen Gesellschaft konnten behauptet werden.

Die Frage nach der Militarisierung der Wilhelminischen Gesellschaft schließt die Frage nach der Mentalität derjenigen ein, die führend in Kultur und Wissenschaft tätig waren, d.h. der Repräsentanten des Bildungsbürgertums. Fest steht, daß der Ausbruch des Ersten Weltkriegs in den Kreisen der Künstler und Schriftsteller ebenso wie der akademischen Gebildeten weithin als Möglichkeit begriffen wurde, die kulturelle Stagnation der Zeit zu überwinden. Künstlerische und akademische

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Eliten machten geistig mobil und identifizierten sich dabei — wie es der »Aufrui an die Kulturwelt« vom Oktober 1914 unterstrich — in aller Form mit dem deut- schen Militarismus. Ausführlich beschäftigt sich Mommsen mit den Aktionen von bildenden Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern, die sich für die »Ideer von 1914« begeisterten, insbesondere mit ihren vielfältigen Versuchen, die öffent- liche Meinung des In- und Auslandes zu beeinflussen. Wenngleich eine Minderheit dem Krieg von Anfang an ablehnend gegenüberstand, so wird insgesamt doch das Bild einer künstlerischen und akademischen Gemeinschaft entworfen, die in ihrer übergroßen Mehrheit den Krieg als Kulturkrieg deutete und bejahte. Dabei ist man überrascht, wie viele Künstler und Wissenschaftler, die sich später zu radikalen Kriegsgegnern und Pazifisten wandelten, zunächst selbst vehement nationalisti- sche Parolen vertraten. Erst 1916 wich die weithin vorbehaltlose Identifikation der Kultureliten mit der deutschen Kriegführung einer zunehmend kritischen Hal- tung. Die Folge war eine Spaltung in zwei Lager: in einen extrem rechts gerichte- ten Flügel, der unbeirrt für einen Siegfrieden eintrat, und eine gemäßigte Richtung, die einen Verständigungsfrieden anstrebte, allerdings weiterhin für das Deutsche Reich eine Führungsrolle in Mitteleuropa reklamierte. Diese Lagerbildung war in- sofern folgenschwer, als sie die Weimarer Republik von Anfang an belastete und in einem nicht unerheblichen Maße mit zu deren Untergang beitrug.

Die von Mommsen angestrebte Verschränkung von Innen- und Außenpolitik führt dazu, daß er an die Darstellung der militärischen Operationen des Ersten Weltkriegs eine Schilderung des Kriegsalltags an der Front und in der Heimat anschließt und auf diese Weise auch die »Innenansicht« dieses Krieges offenlegt.

Dabei werden die sozialen Gegensätze, die in der Armee vorhanden waren und die durch das hierarchische Denken und autoritäre Einstellungen noch verschärft wurden, herausgearbeitet und in ihren Wirkungsmechanismen beschrieben. Für die Masse der Soldaten schlug die anfängliche Begeisterung mehr und mehr in ei- ne fatalistische Grundhaltung um; sie nahmen ihre eigene Funktion innerhalb des für sie in keiner Weise zu beeinflussenden Geschehens als unabänderlich hin. Ein- gehend setzt sich Mommsen auch mit der Situation der Frauen in der Kriegsge- sellschaft auseinander, angefangen von den Aktivitäten der Vaterländischen Frau- envereine sowie der Angehörigen der bürgerlichen Frauenbewegung in der Kran- kenpflege oder auf dem Gebiet der Sozialfürsorge bis hin zum Einsatz einer stän- dig wachsenden -Zahl von Frauen der unteren sozialen Schichten in traditionellen Männerberufen, vor allem in den Fabriken. Für weite Teile der Frauenbewegung bedeutete der Krieg zunächst ein Ende des Kampfes um volle politische Gleich- berechtigung; für die Kriegszeit sollte zwischen den Geschlechtern ein »Burgfrie- den« herrschen. Kriegsgegnerinnen fanden angesichts der Forderung nach natio- naler Solidarität nur wenig Gehör.

Zur Innenansicht des Krieges gehören schließlich auch die spezifischen For- men der Trauer um die gefallenen Soldaten, einschließlich der Deutung des Sol- datentodes als Heldentod für Kaiser und Vaterland — eine Deutung, die von An- fang an theologisch untermauert wurde, insofern als beide christliche Konfessio- nen sich darin einig waren, daß das Deutsche Reich in diesem Krieg eine religiöse Sendung erfüllte. Die Verschmelzung von nationalen und religiösen Gefühlen war zunächst außerordentlich erfolgreich und trug wesentlich dazu bei, die seit 1916 ins Wanken geratene Stimmung im Innern wieder aufzurichten. Mit der zunehmen- den Brutalisierung des Kriegsgeschehens und den enorm steigenden Verlustzah- len konnte jedoch das herkömmliche Bild des Soldatentodes nicht mehr aufrecht-

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erhalten werden. Je stärker die Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Krieges wurden, um so schwerer war es für die meisten Menschen, sich mit dem Tod ihrer Famili- enangehörigen abzufinden.

Die herangezogenen Beispiele mögen illustrieren, wie Mommsen das Verhält- nis von Militär und Gesellschaft im Kontext einschneidender Ereignisse undKon- flikte des Kaiserreiches entfaltet. Insgesamt zielt seine Darstellung, in der das nar- rative Element, wenngleich immer wieder durch reflexive Passagen unterbrochen, dominiert, darauf ab, die von ihm beschriebenen Prozesse durch die Akzentu- ierung auf die jeweiligen Protagonisten und ihr soziales Umfeld zu verdeutlichen.

Heinz Stübig

Stewart Lone, Japan's first modern war. Army and society in the conflict with China, 1894-95, Basingstoke, London: Macmillan 1994, IX, 222 S., £ 40 [ISBN 0-333-55554-6]

Von allen außereuropäischen Kriegen der modernen Geschichte dürfte der Chine- sisch-Japanische Krieg 1894/95 einer der unbekanntesten sein, gilt er doch über- wiegend nur als Vorspiel des ungleich gewichtigeren Russisch-Japanischen Krie- ges von 1904/05. Daß diese Ansicht durchaus korrekturbedürftig ist, weist der aus- tralische Historiker Stewart Lone in seiner eindringlichen Studie nach, die eine der wenigen Monographien in westlicher Sprache darstellt, die sich dezidiert jenem

»exotischen« Waffengang widmet. Im Mittelpunkt von Lones Interesse steht je- doch nicht der eigentliche militärische Verlauf — dieser bildet nur die Folie seiner Untersuchung —, sondern die psychologische wie ideologische Auswirkung von Japans erstem modernen Krieg auf Staat und Volk des Meiji-Kaiserreiches, das sich mit einem tiefgreifenden Modernisierungsprozeß konfrontiert sah, der Japan nach der gewaltsamen Landesöffnung von 1853/54 zielbewußt in die neue Zeit treiben sollte.

Der über Korea entfesselte und von Japan bewußt provozierte Krieg mit Chi- na, der in seinem Gefolge eine bis dahin nie dagewesene Militarisierung Ostasi- ens bewirkte, übte vor allem einen katalysatorischen Effekt auf das in Transfor- mation befindliche Japan aus: Er schweißte die Nation in einem als rechtmäßig de- klarierten Krieg zusammen und verstärkte das Bestreben, sich gegenüber den an- deren asiatischen Staaten, die nun in zunehmendem Maße als rückständig und barbarisch diffamiert wurden, in einer am Westen orientierten Modernität abzu- grenzen.

Anhand einer Vielzahl japanischer Quellen kann der Autor überzeugend nach- weisen, wie der nur wenige Monate dauernde Krieg die Selbsteinschätzung der japanischen Bevölkerung und deren Sicht der benachbarten asiatischen Reiche wie auch der westlichen Welt entscheidend beeinflußte. Eine der nachhaltigsten, bis heute aufrechterhaltenen Mythen war die während der Kriegsjahre aufkeimende und von offizieller Seite propagandistisch weidlich manipulierte Projektion von den Japanern als einer dem Samuraikodex (bushido) verpflichteten Nation, die in einem aufopfernden Heroismus persönliche Interessen in den Dienst der höheren Ziele der kulturell-ethnischen Gemeinschaft stelle.

Die Chance zur Bewährungsprobe als Nation, die der Krieg gegen China ge- stattete, strahlte freilich auch bewußt nach außen ab, da, wie Lone zu Recht be-

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merkt, der Krieg von 1894/95 vor allem für den Westen geführt und inszeniert wurde (S. 12). Er sollte gegenüber den westlichen Mächten Japans Modernität und Ebenbürtigkeit demonstrieren sowie unmißverständlich den Anspruch auf eine mit den Normen der westlichen Zivilisation vertraute Nation unterstreichen, galt doch der Krieg als Examen rigorosum der sozialdarwinistisch infizierten Staaten- welt der Jahrhundertwende. Nach japanischer Einschätzung schien die Beherr- schung des modernen Krieges nicht nur für die rasche Beendigung der demüti- genden (seit den 1850er Jahren bestehenden) ungleichen Verträge zu sprechen, son- dern zudem auch die Aufnahme in den exklusiven Zirkel der Großmächte (die letztlich aber erst mit dem Sieg über das zaristische Rußland 1905 erfolgte) zwin- gend nahezulegen. Insofern wird verständlich, daß die Furcht vor einer ausländi- schen Intervention die Gemüter in Tokyo von Anfang an bewegte. Daher sollten flankierende diplomatische Sondierungen während des gesamten Kriegsverlaufs Japans »begrenzte wie berechtigte« Kriegsziele (Reform und Unabhängigkeit Koreas von chinesischer Oberherrschaft) einer potentiell mißtrauischen westlichen Öf- fentlichkeit nahebringen. Allerdings vermochte es Japan trotz intensiver Sympa- thiewerbung nicht, sowohl den Anspruch auf Modernität mustergültig durchzu- halten — wie etwa das Massaker unter der chinesischen Bevölkerung nach Ein- nahme Port Arthurs Ende November 1894 oder das Attentat auf den chinesischen Friedensunterhändler Li Hung-chang im März 1895 in Japan selbst offenbarten — als auch die Gefahr einer ausländischen Intervention zu bannen, wie die als demüti- gend empfundene Tripelintervention Rußlands, Frankreichs und Deutschlands am 23. April 1895 augenfällig dokumentierte.

Lone schöpft aus zahlreichen japanischen Lokalarchiven und -Zeitungen, ver- arbeitet Briefe und Tagebücher der Zeitgenossen, um die Komplexität und Vielfalt der Erfahrungen, die die japanischen Soldaten und Zivilisten in den Jahren 1894/95 gerade auch im Zusammenprall mit den benachbarten asiatischen Kulturen sam- melten, festzuhalten. Gerade aus einer derartigen »Geschichte von unten« wird überdeutlich, daß der Chinesisch-Japanische Krieg in der Perzeption der Nachwelt nicht nur an einer politischen wie militärischen Unterschätzung litt, sondern auch in seiner Dimension als kulturelles Großereignis verkannt wurde. Lone unterstreicht hier die Funktion des Krieges von 1894/95 als einer Wegscheide im Übergang zur Massengesellschaft und zu vermehrter Partizipation am öffentlichen Leben durch Propaganda und Patriotismus (»The Sino-Japanese war marks the transition in Ja- pan to a mass media society and one with an increasingly literate population«, S. 98). Zugleich verlieh der Krieg Japan in der internationalen Arena Profil, obwohl er in die Beziehungen Japans zum Westen ein destabilisierendes Moment einwirkte:

die Furcht vor dem unberechenbaren und aggressiven Inselreich, die Japans er- klärtes Ziel, durch den Krieg gegen China der eigenen Modernisierungsleistung und damit auch der Zivilisationswürdigkeit internationale Anerkennung zu ver- schaffen, sogleich konterkarierte.

Dem Autor ist ein erfreulich objektives Werk gelungen, das in nüchterner Be- standsaufnahme der Quellen zeitgenössische Reaktionen registriert und auswer- tet und diese sodann zu einem beeindruckenden sozial- wie mentalitätsgeschicht- lichen Spiegelbild Japans im Krieg von 1894/95 verdichtet.

Rolf-Harald Wippich

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Manfred Tobisch, Das Deutschlandbild der Diplomatie Österreich-Ungarns von 1908 bis 1914, Frankfurt a.M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Lang 1994, XXXVI, 315 S. (= Erlanger Historische Studien, 17), DM 89,- [ISBN 3- 631-47381-8]

Seit Fritz Fischer zu Beginn der sechziger Jahre der historischen Forschung über den Ersten Weltkrieg neue Impulse gab, ist eine fast unübersehbare Fülle von Arbeiten über die innen- und außenpolitischen, militärischen, finanziellen, ökonomischen sowie sozialen Aspekte dieser »Urkatastrophe« (George F. Kennan) des 20. Jahr- hunderts vorgelegt worden. Im Mittelpunkt dieser Studien stand dabei das Deut- sche Reich, das, trotz gewichtiger Nuancierungen im einzelnen, nach einhelliger Meinung die Hauptverantwortung für die Auslösung des Krieges trägt. Ver- gleichsweise »unterbelichtet« geblieben ist hingegen die Rolle Österreich-Ungarns, jener Großmacht, deren Thronfolger im Juni 1914 von serbischen Nationalisten er- mordet wurde, und deren Vorgehen gegen Serbien in Folge dieses Attentats die Lunte an dem Pulverfaß, dem Balkan, schließlich entzündete.

Die Arbeit von Manfred Tobisch, eine Erlanger Dissertation, versteht sich als Beitrag zu einer Aufhellung der österreichisch-ungarischen Politik. Vor dem Hin- tergrund der besonderen Bedeutung des Deutschen Reiches für die Donaumonar- chie und insbesondere der Diskussion über die Bedeutung des sog. »Blankoschecks«

ist es ein zentrales Anliegen des Autors, die Frage zu beantworten, »welches Bild die österreichisch-ungarische Diplomatie in dem Krisenjahrzehnt vor 1914 von der bündnispolitischen Zuverlässigkeit des deutschen Bündnispartners hatte bzw. nach Wien ins Ministerium des Äußeren übermittelte« (S. X).

Gestützt auf die Akten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien, versucht der Verfasser, das österreichische Deutschlandbild, wenn auch mit sehr unterschiedli- cher Gewichtung, in bezug auf die Außen-, Innen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie — freilich nur am Rande — den militärischen Bereich nachzuzeichnen.

Die vom Autor dabei herausgearbeiteten Ergebnisse sind insgesamt nicht über- raschend. Er kann zeigen, daß die im Deutschen Reich akkreditierten österreichi- schen Diplomaten, die sich durchweg aus der führenden Schicht der Habsburger- monarchie, dem Adel, rekrutierten, die Wiener Regierung über die Politik in Ber- lin mehr oder wenig zutreffend informierten. Von besonderer Bedeutung für Öster- reich-Ungarn war dabei vor allem die Einschätzung der deutschen Haltung im Hinblick auf einen möglichen Balkankonflikt, der ja, wie die Annexionskrise 1908/09 offenbart hatte, schnell in einen großen Kontinentalkrieg münden konnte. Auf der Grundlage der von den Gesandten übermittelten Berichte, konnten die Verant- wortlichen am Ballhausplatz zu Recht davon ausgehen, daß der wichtigste Bünd- nispartner zwar »für ein leichtfertiges Riskieren eines Krieges nicht zu haben« war (S. 277), letztlich aber über den Buchstaben des Zweibundvertrages hinaus zu sei- nen Verpflichtungen stehen würde. Ob man diesbezüglich aber, wie der Autor in dem zu kurz geratenen Abschnitt über die »Julikrise« argumentiert, behaupten kann, daß aufgrund dieser Gewißheit der deutschen Bündnistreue der deutsche »Blan- koscheck« vom 5. Juli »nichts Neues« gewesen sei und dementsprechend »nicht der Auslöser für den Krieg gegen Serbien gewesen sein kann« (S. 286), erscheint dem Rezensenten vor dem Hintergrund der Ereignisse der »Adriakrise« trotz der Kriegs- willigkeit der Wiener Regierung in jenen Tagen als eher zweifelhaft.

Im übrigen sind die Wiener Diplomaten ein gutes Beispiel für die Schwierig- keiten einer vormodernen Elite bei der Analyse einer sich rapide ändernden Welt.

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Selbst zutiefst dem monarchischen Denken des frühen 19. Jahrhunderts verhaftet, registrierten sie zwar den sich im Deutschen Reich vollziehenden innenpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel, ohne jedoch dessen Dynamik und Tragweite auch nur im Ansatz richtig zu begreifen. So blieb ihnen beispielsweise die vehe- mente Kritik an Wilhelm II. im Rahmen der »Daily-Telegraph«-Affäre genauso un- verständlich, wie der offenkundig unaufhaltsame Aufstieg der deutschen Sozial- demokratie oder der, trotz aller Rückschläge und immanenter Schranken, insge- samt unverkennbare Machtzuwachs des Reichstages. Doch warum sollten die ei- ner »alten Elite« entstammenden österreichischen Diplomaten die Zeichen der Zeit besser verstehen, als ihre deutschen Standesgenossen, deren Realitätssinn kaum stärker ausgeprägt war?

Obwohl es wünschenswert gewesen wäre, wenn der Autor die militärischen Aspekte stärker berücksichtigt hätte — man denke nur an die berühmt-berüchtig- ten Moltke-Conrad-Gespräche —, so leistet er mit seiner quellennahen, gelegent- lich freilich etwas sehr breiten Darstellung insgesamt doch einen nützlichen Beitrag zur Vervollständigung unseres Bildes der deutsch-österreichischen Beziehungen aus dem Blickwinkel der Wiener Diplomaten.

Michael Epkenhans

Paul G. Halpern, A Naval History of World War I, London: UCL Press 1994, XIII, 591 S., £ 25 [ISBN 1-85728-295-7]

Der Erste Weltkrieg ist — wenn auch mit unterschiedlicher Intensität — aufgrund seiner tiefgreifenden Auswirkungen auf die politische, soziale und wirtschaftliche Gestaltung Europas seit jeher ein »Dauerbrenner« unter Historikern, Publizisten und interessierten Laien. Daher gibt es inzwischen kaum einen Aspekt, der nicht in der einen oder anderen Form schon einmal mehr oder weniger intensiv behandelt wor- den ist. Trotz der großen Zahl zusammenfassender Uberblicksdarstellungen bzw.

detaillierter Spezialstudien gibt es selbst für den >fachkundigen< Historiker immer wieder Neuerscheinungen, die zwar Altbekanntes behandeln, die er aber dennoch mit großem Gewinn liest. Dazu gehört auch das von Paul G. Halpern anläßlich des 80. Jahrestages des Kriegsausbruches vorgelegte Buch über den Krieg zur See zwi- schen 1914 und 1918.

An allgemeinen, übergreifenden amtlichen Darstellungen der beteiligten See- mächte, an Memoiren der handelnden Hauptakteure sowie an Studien über einzel- ne Ereignisse auf den Weltmeeren, allen voran die Skagerrak-Schlacht, den Kreuzer- und den U-Bootkrieg, herrscht nun wahrlich kein Mangel. Eine fundierte, vorur- teilsfrei aus den verfügbaren Quellen schöpfende und — vor allem — multiper- spektivische Gesamtdarstellung wie die hier nun vorzustellende war hingegen bis- her ein dringendes Desiderat der Forschung. Da der Seekrieg aufgrund der unleug- baren Dominanz des Landkrieges sowie der zu Recht stärkeren Berücksichtigung sozialer und ökonomischer Fragestellungen in neueren Gesamtdarstellungen zu- dem eher am Rande behandelt wird, füllt Halpems Buch zugleich eine in mehrfacher Hinsicht unübersehbare große Lücke bei der Aufarbeitung des Ersten Weltkrieges.

Das besondere Kennzeichen dieses von einem profunden Kenner geschriebe- nen Buches ist darin zu sehen, daß der Seekrieg in seiner gesamten, weltweiten Di- mension geschildert wird. Das Spektrum des Autors reicht von der Helgoländer

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Bucht, der Ostsee und dem Schwarzen Meer über die Adria, das Mittelmeer und die Auseinandersetzungen in Ubersee bis zu den wenig bekannten Kämpfen der österreichischen Donau- bzw. der englischen Tigrisflottille. Es sind jedoch nicht al- lein die Operationen auf den Meeren und Flüssen der Welt, die den Autor inter- essieren und die er mit großer Sachkenntnis beschreibt. Bereits in dem einleitenden Kapitel »The Naval Balance in 1914« macht Halpern vielmehr deutlich, daß er im Unterschied zur traditionellen Operationsgeschichte eine wirklich moderne Ge- schichte des Seekrieges zu schreiben beabsichtigt: So behandelt er in diesem wie auch in den übrigen zwölf Abschnitten neben zentralen Fragen der Seekriegführung bzw. der Strategie und Taktik der einzelnen Marinen auch die mit dem Seekrieg zu- sammenhängenden politischen, ökonomischen und technischen Probleme.

Das Hauptaugenmerk des Verfassers gilt zwangsläufig dem Handeln der bei- den Hauptkontrahenten vor 1914 und während des Krieges: Deutschland und Eng- land. So wichtig die Kämpfe an der Peripherie auch waren, und so sehr andere Marinen wie die österreichisch-ungarische in der Adria oder die russische in der Ostsee bzw. im Schwarzen Meer ihre Bedeutung als ernst zu nehmende Seemäch- te wider Erwarten zum Teil durchaus eindrucksvoll unter Beweis stellten, so sehr standen sie letztlich doch im Schatten der Royal Navy und der kaiserlichen Hoch- seeflotte.

Einfühlsam und akribisch zeichnet Halpern nach, wie und mit welcher Mühe es der englischen Flotte in den vier Jahren mörderischen Ringens gelang, ihre an- fänglich keineswegs ungefährdete Suprematie schließlich erfolgreich zu verteidi- gen. Vor allem im Herbst/ Winter 1914/15, als die Royal Navy aufgrund ihrer welt- weiten Verpflichtungen und erster Verluste erheblich geschwächt war, hing diese Suprematie oft an einem seidenen Faden. Diese Tatsache wurde von der kaiserli- chen Marineführung freilich nicht erkannt, und die — wenn überhaupt — einzige Chance, den im Prinzip übermächtigen Gegner zu schlagen, ging daher ungenutzt vorüber. Danach war die englische Herrschaft zur See nie wieder ernstlich bedroht;

im Gegenteil: So wie bereits bei der Sicherung der imperialen Konvois und der Jagd auf die deutschen Auslandskreuzer stellte die Royal Navy mit der Etablie- rung der weiten Blockade in der Nordsee und der — wenn auch zunächst eher wi- derwilligen — Einrichtung des Konvoisystems für Handelsschiffe angesichts der Bedrohung durch deutsche U-Boote eindrucksvoll unter Beweis, was Seeherrschaft wirklich bedeutete. So hatte die Hochseeflotte zwar durchaus einzelne Erfolge auf- zuweisen, wie die Schlacht im Skagerrak oder die schwere Schädigung der engli- schen Wirtschaft in den ersten Monaten des uneingeschränkten U-Bootkrieges be- legen; wirklich gefährden konnte sie die durch die strategische Lage, die große ma- terielle Überlegenheit und die Unterstützung der französischen, amerikanischen und

— oft vergessenen — japanischen Verbündeten begünstigte englische Suprematie aber nicht.

Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang zum einen, daß Hal- pern immer wieder darauf hinweist, wie sehr die Herausforderungen moderner Technik und neuer Formen des Seekrieges — wie die des U-Boot- und Minenkrie- ges bzw. des, wenn auch rudimentären, Einsatzes von Flugzeugen — die oft eher traditionell denkenden Admiräle aller Marinen zum Umdenken und zur Impro- visation zwangen. Zum anderen ist es auch wohltuend, daß der Autor nicht ver- sucht, geschlagene Schlachten im nachhinein noch einmal zu schlagen, sondern sich vielmehr bemüht, mit alten Legenden über vermeintliche Fehler in dieser oder jener entscheidenden Situation aufzuräumen, wenn er z.B. apodiktisch und nach

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