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Waffen statt Fortschritt?

Rüstungsexporte behindern weltweit nachhaltige Entwicklung

Zusammenfassung des englischsprachigen Hintergrundberichtes: „Guns or Growth? Assessing the impact of arms sales on sustainable development“, veröffentlicht von Oxfam, amnesty international und IANSA (Internationales Aktionsnetzwerk zu Kleinwaffen) mit wissenschaftlicher Unterstützung von Project Ploughshares und Saferworld (Juni 2004).

Übermäßige und unangemessene Waffenkäufe behindern sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt in Entwicklungsländern. Nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen hat jeder Staat ein Recht auf Selbstverteidigung. Die UN-Charta fordert aber auch von allen Mitgliedsstaaten, „die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ zu fördern, um „wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg“ zu erreichen (Art. 1, 55 und 56) sowie „die Herstellung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit so zu fördern, dass von den menschlichen und wirtschaftlichen Ressourcen der Welt möglichst wenig für Rüstungszwecke verwendet wird“ (Art. 26). Dar- über hinaus haben die meisten Staaten den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, sozia- le und kulturelle Rechte ratifiziert, um diesen Rechten durch internationale Hilfe und Zu- sammenarbeit Geltung zu verschaffen. Die im September 2000 von allen 189 UN- Mitgliedsstaten verabschiedeten Millennium-Entwicklungsziele sind nicht zu errei- chen, solange unangemessene Waffentransfers weiterhin Ressourcen für diese lebenswichtigen Aufgaben binden. Der Präsident der Weltbank, James Wolfensohn, spricht angesichts weltweiter Ausgaben von 900 Mrd. US-Dollar für Verteidigung, etwa 325 Mrd. US-Dollar für Agrarsubventionen und nur 50 bis 60 Mrd. US-Dollar für Entwicklungshil- fe von einem „fundamentalen Ungleichgewicht“.

Die Länder Afrikas, Lateinamerikas, Asiens und des Mittleren Osten verfügen über 51% der schweren Waffen weltweit. In einigen Fällen können Rüstungsausgaben gerecht- fertigt sein, um legitime Sicherheitsbedürfnissen zu befriedigen, die wiederum der Entwick- lung zugute kommen. Doch tatsächlich besteht in vielen Teilen der Welt ein krasses Miss- verhältnis zwischen der Bereitschaft zur Beschaffung von Waffen und den direkten Ausga- ben für Entwicklungsbedürfnisse. Sowohl Waffen importierende als auch Waffen exportie- rende Länder müssen sicherstellen, dass Rüstungstransfers nicht zu Lasten nachhaltiger Entwicklung gehen: einer Entwicklung, die Wirtschaftswachstum mit sozialem Fortschritt verbindet, um gegenwärtige Bedürfnisse zu befriedigen, ohne die Fähigkeit zukünftiger Ge- nerationen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu beeinträchtigen. Viele Kontrollsysteme von Waffenexportstaaten enthalten bereits solche Auflagen, wie sie zum Beispiel im vorgeschla-

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genen „Arms Trade Treaty“, einem gesetzlich bindenden, internationalen Waffenhandelsab- kommen, enthalten sind. Es ist jedoch empörend, wie wenig Regierungen ernsthaft versuchen, die entwicklungspolitischen Auswirkungen ihrer Rüstungsexporte abzu- wägen. Solange eine solche Verpflichtung ein bloßes Lippenbekenntnis bleibt, werden dem Kampf gegen die Armut weiterhin knappe Mittel entzogen. Darunter leiden im Endeffekt Mil- lionen Menschen. Um die sozialen und wirtschaftlichen Rechte von Menschen in Entwick- lungsländern zu schützen, sind die Exportstaaten dringend dazu aufgerufen, eine effektive und systematische Methode zu entwickeln, um beurteilen zu können, ob geplante Rüstungs- transfers zu Lasten der nachhaltigen Entwicklung gehen.

Bei der Anwendung einer solchen Bewertungsmethode ist davon auszugehen, dass mögliche Folgen eines Waffentransfers nicht immer klar erkennbar sind. Zur Beurtei- lung eines solchen Transfers ist auch zwischen den legitimen Sicherheitsbedürfnis- sen eines Staates und der Achtung der Menschenrechte durch das politische Handeln seiner Regierung abzuwägen. In vielen Fällen besitzen Waffen importierende Länder legi- time Sicherheitsbedürfnissen. Jedoch müssen die Kosten zur Befriedigung dieser Bedürf- nisse und die Art und Weise, wie sie erfüllt werden, in Bezug zu den entwicklungspolitischen Bedingungen eines Landes gesetzt werden: Sind die Vorteile des Transfers in Bezug auf legitime Sicherheitsbedürfnissen größer als die entstehenden Kosten für die Entwicklung des Landes? Selbst wenn die legitimen Sicherheitsbedürfnisse eines Landes tatsächlich Vorrang haben, muss geprüft werden, ob davon auszugehen ist, dass der Importstaat die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht achten wird.

Sicherheit und Entwicklung: die Kosten abwägen

Waffentransfers können unentbehrlich sein, um die legitimen Sicherheitsbedürfnisse eines Landes zu erfüllen oder auch die Fähigkeit der Sicherheitskräfte zu verbessern, ihre eigene Bevölkerung zu schützen. Untersuchungen der Weltbank zeigen, dass Sicherheit in allen Regionen der Welt ein vorrangiges Anliegen armer Menschen und eine notwendige Bedin- gung zur Verbesserung ihrer Lebensqualität ist. Damit Rüstungstransfers jedoch die Entwicklung fördern können, müssen die möglichen sicherheitspolitischen Vorteile sorgfältig mit den umfassenden Entwicklungsbedürfnissen des Importlandes und den Menschenrechten seiner Bürgerinnen und Bürger abgewogen werden.

Rüstungsausgaben eines Landes ziehen oft entsprechende Ausgaben eines Nachbarlandes nach sich – auch wenn sie nicht verfeindet sind – und wirken sich erheblich auf die staatli- che Haushaltspolitik aus. Als die USA die Beschränkungen für den Verkauf moderner Waf- fen an lateinamerikanische Staaten aufhoben, nutzten die Regierungen von Chile und Brasi- lien dies zum Erwerb teurer F16-Kampfflugzeuge und AIM-120-Raketen, trotz Widerstands in der eigenen Bevölkerung und in Nachbarländern.

Andere Untersuchungen der Weltbank ergaben, dass „Rüstungsausgaben das Wirtschafts- wachstum wesentlich mindern“ und Entwicklungsprogrammen Mittel entziehen können. Wie

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Rüstungstransfers auf Kosten wichtiger Bedürfnisse gehen können, belegen einige Beispie- le aus letzter Zeit.

Im Jahr 2002 machten Rüstungslieferungen an Asien, den Mittleren Osten, Latein- amerika und Afrika 66,7% der weltweiten Waffenlieferungen aus und besaßen einen Geldwert von fast 17 Mrd. US-Dollar. Die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicher- heitsrates waren für 90% dieser Lieferungen verantwortlich.

Unterdessen haben die Entwicklungsländer in all diesen Regionen Schwierigkeiten, die Millennium-Entwicklungsziele zu erreichen, wie folgende Zahlen aus den vergangenen Jah- ren zeigen:

• Mehr als eine Milliarde Menschen kämpften mit weniger als einem Dollar pro Tag ums Überleben.

• Eines von fünf Kindern verließ die Grundschule vorzeitig

• Mehr als 14 Millionen Kinder verloren im Jahr 2001 durch AIDS einen oder beide Eltern- teile.

• Fast 800 Millionen Menschen waren chronisch unterernährt.

• Eine halbe Million Frauen starben während der Schwangerschaft oder bei der Geburt.

Frauen und Mädchen bekommen die Folgen der Kürzung von sozialen Leistungen am unmittelbarsten zu spüren. Wo diese Leistungen fehlen, tragen sie die Last, weil ihnen oft die Verantwortung für das Wohlergehen der Familie zufällt. Wenn es keinen Brunnen in der Nähe des Dorfes gibt, müssen Frauen weite Strecken gehen, um Wasser zu holen. Wenn die medizinische Versorgung vor und nach der Geburt unzureichend ist, leidet ihre Gesund- heit und die ihrer Kinder. Und wenn es um den Schulbesuch geht, so sind die Mädchen meist zuletzt an der Reihe.

Die Ursachen für Armut und Leid sind zahlreich und vielschichtig. In jedem Fall be- deuten jedoch hohe Staatsausgaben für Waffen und andere Rüstungsgüter, dass we- niger Geld für öffentliche Gesundheitsdienste, Bildung und Armutsbekämpfung zur Verfügung steht.

Als Indien im Oktober 2003 einen Vertrag über den Kauf eines militärischen Radarsystems für 1 Milliarde US-Dollar unterzeichnete, waren Hilfsorganisationen noch dabei, 50 Millionen US-Dollar an Spendengeldern zur Bekämpfung der Polio-Epidemie im Lande aufzutreiben.

Im gleichen Jahr brachte Pakistan seine millionenschwere Einkaufsliste für Rüstungsgüter auf den neuesten Stand, auf der auch der Wunsch nach F16-Jets US-amerikanischer Her- kunft stand, während Hilfsorganisationen gleichzeitig versuchten, eine todbringende Finan- zierungslücke bei der Bekämpfung einer Tuberkulose-Epidemie zu schließen. An Tuberku- lose sterben jährlich mehr als 50.000 Pakistanis und 250.000 werden infiziert.

In Indien und Pakistan könnten Kinderlähmung und Tuberkulose ausgerottet sein, wenn ausreichende Impfprogramme finanziert würden.

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Das „Watchman“-Radarsystem, das Tansania 2001 von Großbritannien kaufte, kostete 40 Mio. US-Dollar und war nach Meinung von Experten viel zu teuer und für den vorgesehenen Verwendungszweck ungeeignet - ein unangemessener Einsatz von Mitteln für ein Land, in dem 46% der Bevölkerung unterernährt sind. Mit den 40 Mio. US-Dollar hätte die medizi- nische Versorgung von 3,5 Millionen Menschen gewährleistet werden können.

1999 vereinbarte Südafrika Rüstungskäufe – unter anderem Fregatten, Unterseeboote, Flugzeuge und Hubschrauber – mit Lieferländern wie Deutschland, Frankreich, Schweden und Großbritannien, die 2003 einem Wert von 36 Mrd. Rand (6 Mrd. US-Dollar) entspra- chen. Mit diesen sechs Milliarden US-Dollar hätte man die Behandlung aller fünf Milli- onen AIDS-Kranken in Südafrika mit einer Kombinationstherapie zwei Jahre lang bezahlen können.

Im Jahr 2001 reichte die Nichtregierungsorganisation Economists Allied for Arms Reduction- South Africa (Ökonomen für Abrüstung in Südafrika) eine Sammelklage gegen die Ent- scheidung des südafrikanischen Verteidigungsministers Trevor Manuel zum Abschluss die- ses Rüstungsgeschäfts ein. Die Kläger machen geltend, dass die finanziellen Risiken den Staat daran hindern, den in Südafrikas Verfassung niedergelegten sozialen und wirtschaftli- chen Verpflichtungen voll nachzukommen. Am 4. März 2004 hat das Oberste Gericht in Kapstadt die Klage abgewiesen. Die Wirtschaftswissenschaftler wollen gegen diese Ent- scheidung Berufung einlegen.

Eine Senkung von Rüstungsausgaben führt allerdings nicht automatisch zu höheren Sozial- ausgaben. Diese Tatsache schmälert jedoch nicht die Notwendigkeit, Rüstungsexporte an Länder abzulehnen, in denen diese zu Lasten der Entwicklung gehen würden.

Gewisse Rüstungstransfers können positive Auswirkungen auf die Entwicklung eines Lan- des haben. Werden gelieferte Waffen von den Sicherheitskräften gemäß internationaler rechtlicher Standards eingesetzt, so können sie gute Regierungsführung erleichtern, zur Sicherheit der Menschen beitragen und auf diesem Weg auch einen Anreiz für Auslandsin- vestitionen darstellen – besonders aus jenen Staaten, die ein besonderes Interesse an der jeweiligen Region haben. All das kann dem Handel, der Investitionstätigkeit und der Aus- landshilfe zugute kommen.

Gelegentlich können Rüstungstransfers auch direkte positive entwicklungspolitische Effekte haben. Zum Beispiel kam der Kauf von zwei Marineschiffen durch Ghana dem Schutz der lokalen Fischereigewässer zugute: Strafen für Verletzungen der Fischereizone erbrachten Deviseneinnahmen, die Fischbestände wurden geschont und die Verklappung giftigen Ab- falls verhindert. Aber solche Beispiele sind eher selten.

Rüstungskäufe können auch nützliche Nebeneffekte haben, indem die Aussicht auf zukünf- tige Investitionen einen Handelsanreiz für das Ausland bewirkt und Technologietransfer in die Wirtschaft des Empfängerlandes erfolgt. Diese positiven Effekte werden aber oft über-

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wenigsten von Technologietransfer und dem Wirtschaftsaufbau durch Rüstungsausgaben profitiert.

Missbrauch von Waffen: die Kosten senken

In jedem Fall sollten Waffenlieferungen nur an Länder erlaubt sein, in denen Streit- und Sicherheitskräfte ausreichend ausgebildet, kompetent und zuverlässig sind, um den Menschenrechten und dem humanitären Völkerrecht Geltung zu verschaffen und die Zivilbevölkerung nicht vorsätzlich durch Missbrauch von Gewalt unterdrücken.

Rüstungstransfers an Streit- und Sicherheitskräfte, die diesen Standards nicht entsprechen, können ein ernsthaftes Hindernis für nachhaltige Entwicklung darstellen. Waffen können:

für schwere Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden und gute Regie- rungsführung behindern: Unverantwortliche Waffentransfers können die Unterdrü- ckung der Menschenrechte und von demokratischer Entwicklung durch unverantwortli- che und schlecht ausgebildete Streitkräfte begünstigen.

den Raubbau von Rohstoffen erleichtern: Holz, Öl, Diamanten, Kupfer, Coltan, Gold und andere mineralische Bodenschätze, die eigentlich die Entwicklungschancen hätten verbessern müssen, wurden in Angola, Sierra Leone, Papua Neuguinea, Kambodscha, Liberia und der Demokratischen Republik Kongo dazu benutzt, um Krieg und Unterdrü- ckung zu finanzieren.

zu Umweltschäden beitragen: Waldraubbau in Liberia diente nicht nur der Finanzie- rung von Waffenkäufen, sondern gefährdet auch langfristig das ökologische Gleichge- wicht dieses ernsthaft bedrohten Regenwald-Lebensraums.

zu vermehrter Gewalt gegen Frauen führen: In schwer bewaffneten Gesellschaften ist sexuelle Gewalt erschreckend weit verbreitet.

In all diesen Fällen wird die Entwicklung eines Landes vernachlässigt oder verschlechtert sich weiter. Leben und Existenzen werden bedroht und Eigentum zerstört, Armut kann zu- nehmen, Ungleichheit sich vertiefen und der Zugang zur Grundversorgung sich weiter ver- schlechtern.

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Gebrochene Versprechen

Das Recht auf nachhaltige Entwicklung ist in einschlägigen internationalen Regelun- gen und Erklärungen zu den Menschenrechten fest verankert. Zusätzlich sind die Ex- portstaaten in einer Vielzahl regionaler und multilateraler Abkommen zur Rüstungs- exportkontrolle Verpflichtungen eingegangen, bei der Genehmigung von Rüstungs- exporten deren Auswirkungen auf nachhaltige Entwicklung in den Importländern be- sonders zu berücksichtigen. Die 1993 von der Organisation für Sicherheit und Zusam- menarbeit in Europa (OSZE) verabschiedeten Grundsätze für den Handel mit konventionel- len Waffen, der EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren von 1998, das OSZE-Papier zu Klein- und Leichtwaffen aus dem Jahr 2000 und die Best-Practice-Richtlinien für den Export von Klein- und Leichtwaffen im Rahmen des Wassenaar-Abkommens von 2002 legen das Fundament dafür, wie das Kriterium der nachhaltigen Entwicklung bei Waffentransfers zu berücksichtigen ist. Nur zu oft aber respektieren die Exportstaaten die von ihnen ein- gegangenen Verpflichtungen nicht in vollem Umfang.

• Bei China und dem OSZE-Mitglied Russland – zwei der weltweit größten Waffenexpor- teure, die auch an Entwicklungsländer liefern – spielen bei Genehmigungsverfahren zu Rüstungsexporten Nachhaltigkeitsgesichtspunkte keine Rolle.

• Von 17 untersuchten Ländern, die den EU-Verhaltenskodex und/oder das OSZE- Dokument unterzeichnet haben:

- würden lediglich zehn auch nur in Erwägung ziehen, eine Genehmigung mit dem Hinweis auf nachhaltige Entwicklung zu verweigern;

- haben nur sieben die Verpflichtungen aus diesen regionalen Vereinbarungen in ihr nationales Genehmigungsverfahren übernommen (in Form von nationalen politi- schen Grundsätzen, Vorschriften und Gesetzen);

- haben nur vier jemals eine Exportgenehmigung mit der Begründung der nachhalti- gen Entwicklung verweigert (Bulgarien, Niederlande, Schweden und Großbritan- nien)1;

- ist nur in zwei Ländern (Niederlande und Großbritannien) die Einbeziehung des Entwicklungsministeriums in den Genehmigungsprozess ausgewiesene Politik2.

Dieser Zustand ist unhaltbar. Es ist dringend notwendig, sich über die Diskrepanz zwi- schen schönen Worten und tatsächlichem Handeln in Bezug auf nachhaltige Entwicklung weltweit klar zu werden und sicherzustellen, dass politische Instrumente und entsprechen- des Handeln stärker eingesetzt werden, um diese Kluft zu verringern. Die Rolle, die der Rüstungshandel dabei spielt, wird oft übersehen. Aber je nach Umfang und Charakter die- ses Geschäfts kommt ihm oftmals eine Schlüsselrolle zu. Wenn Exportstaaten ihre Versprechen zur Verbesserung nachhaltiger Entwicklung ernst meinen – und das haben sie durch ihre Verpflichtung auf die Millennium-Entwicklungsziele ja erklärt –,

1 Deutschland hat laut Rüstungsexportbericht der Bundesregierung 2002 einen beantragten Transfer nach Vietnam neben anderen Gründen auch mit Verweis auf nachhaltige Entwicklung (= Kriterium 8 des EU-Verhaltenskodexes) abgelehnt.

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dann müssen sie jetzt aktiv werden und eine wirkungsvolle und transparente Bewer- tungsmethode einführen, mit der Auswirkungen von Rüstungstransfers auf die nach- haltige Entwicklung eingeschätzt werden können, bei gleichzeitiger Berücksichtigung von legitimen Sicherheitsbedürfnissen des Importlandes und der Menschenrechte seiner Bevölkerung.

Versprechen einlösen

Die Ausarbeitung und Verabschiedung eines Rahmenabkommens über internationale Rüstungstransfers bietet die Gelegenheit, eine solche Bewertungsmethode in die Praxis umzusetzen. Dies würde die bestehenden regionalen und multilateralen Ab- kommen zur Rüstungsexportkontrolle erheblich stärken. Das entsprechende Abkom- men, das Oxfam, amnesty international, die Arias Foundation, Project Ploughshares, Safer- world, die Federation of American Scientists und die in IANSA (International Action Network on Small Arms, Internationales Aktionsnetzwerk zu Kleinwaffen) zusammengeschlossenen Nichtregierungsorganisationen vorschlagen, ist auf die Angebotsseite des Rüstungshandels ausgerichtet. Damit soll verhindert werden, dass Waffen in Länder exportiert werden, in de- nen sie wahrscheinlich zu schweren Menschen- und Völkerrechtsverletzungen eingesetzt werden. Mit der Verabschiedung eines solchen Waffenhandelsabkommens gäbe es endlich ein internationales Kontrollinstrument, das sicherstellen würde, dass alle Nationen bei Rüs- tungstransfers mit gleichen Standards arbeiten. In Artikel 4c des Entwurfes für dieses Ab- kommen heißt es, dass eine Rüstungslieferung nicht durchgeführt werden darf, wenn sie sich wahrscheinlich negativ auf nachhaltige Entwicklung auswirkt, es sei denn, es bestehen legitime Sicherheitsbedürfnissen. Bei der Forschungsarbeit zu dieser Studie wurden drei Analyse-Ebenen ermittelt, die für die Ausarbeitung einer entsprechenden Bewer- tungsmethode von zentraler Bedeutung sind:

1. Identifizierung möglicher problematischer Waffenverkäufe – mittels Auslösern („triggers“). Solche Auslöser sollten Fragen enthalten, die eine Einschätzung der Bedeu- tung des finanziellen Werts einer Waffenlieferung ermöglichen, verbunden mit einer Ein- schätzung des Entwicklungszustandes des Importlandes. Um zu vermeiden, dass ein Land zu Unrecht aussortiert wird, versucht die hier vorgeschlagene Methode so gründlich wie möglich vorzugehen. Durch den Einsatz von zwei Auslösern werden bedenkliche Fälle er- fasst, ohne dabei vorwegzunehmen, welche Länder betroffen sein könnten.

2. Erfassung der Lage von Importländern hinsichtlich Entwicklung und menschlicher Sicherheit – mittels Indikatoren.

Indikatoren sollten nicht nur wirtschaftliche Belange, sondern auch Merkmale der sozialen und menschlichen Entwicklung erfassen. Dazu wird eine Bewertung der Fortschritte des Importlandes bei der Erreichung der Millenniumziele, der Rolle der Geschlechter im Entwick- lungsprozess und der menschlichen Sicherheit vorgenommen.

2 In Deutschland wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nur in kritischen Fällen in seiner Funktion als Mitglied des Bundessicherheitsrates konsultiert.

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3. Eine gründliche und auf den jeweiligen Vorgang bezogene Untersuchung des Beschaffungsverfahrens, um Rüstungsexporte zu beurteilen -– mittels Schlüsselfak- toren.

Folgende Schlüsselfaktoren werden in Bezug auf das Importland angesetzt: die Verantwort- lichkeit der Regierungsführung; die Entscheidungsprozesse bei der Rüstungsbeschaffung;

die Begründung und Angemessenheit der Einfuhr; die finanzielle Tragbarkeit vor dem Hin- tergrund dieser Begründung; die Importkapazität bezogen auf das industrielle und techni- sche Leistungsvermögen; das technische Leistungsvermögen des Militärwesens und des Gesetzesvollzuges.

Diese Methode sollte von allen Waffenexporteuren mit direkter Wirkung vereinbart und als ein zentrales Instrument umgesetzt werden, um zu verhindern, dass weiterhin Waffen in Länder geliefert werden, wo sie der nachhaltigen Entwicklung schaden und so der Armuts- bekämpfung knappe Mittel entziehen.

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Vorgeschlagene Methode zur Einschätzung der Folgen von Waffentransfers auf nachhaltige Entwicklung: Ist eine Untersuchung erforderlich

JA JA

NEIN NEIN

JA JA

JA NEIN JA NEIN

AUSLÖSER 1

Entwicklungs- niveau

AUSLÖSER 2

Finanzieller Umfang

Gibt es im Land erhebliche Entwicklungsprobleme?

Wenn HDI* < 0,65

*Index für menschliche Entwicklung laut UNDP-Entwicklungsbericht 2003

Gibt es im Land Entwick- lungsprobleme?

Wenn 0,85 > HDI > 0,65

Ist der Transfer finanziell bedeutend?

Wert des Transfers in % des BIP > 0,002%?

Ist die Höhe des Transfers entwicklungspolitisch rele- vant?

Wert des Transfers in % des BIP > 0,0275%?

Ist der Transfer Teil eines größeren Abschlusses?

Wert des Gesamt- abschlusses in % des

BIP > 0,002%?

Ist der Transfer Teil eines größeren Abschlusses?

Wert des Gesamt- abschlusses in % des

BIP > 0,0275%?

Umfassende Untersuchung erforderlich

ENDE ENDE

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Vorgeschlagene Methode zur Einschätzung der Folgen von Waffentransfers auf nachhaltige Entwicklung: Was muss untersucht werden?

Wirtschaftslage Milleniumziele Geschlechter- Menschliche

beziehungen Sicherheit

INDIKATOREN

Zu erhebende Informationen

Armut und Hunger

Gesundheitsversorgung von Müttern

Grundschulbildung

HIV/AIDS, Malaria und sonstige Krankheiten

Gleichberechtigung von Mann und Frau

ökologische Nachhaltigkeit

Kindersterblichkeit

globale Entwicklungs- partnerschaft

Prioritätensetzung bei den Staatsausgaben

Zufluss von Entwick- lungshilfe,

Privatkapitalbewegun, Verschuldung

Außenhandelsstruktur

Wirtschaftsentwicklung

Einbeziehung von Frauen und Angebot von Dienstleistungen

Verbreitung von Gewalt gegen Frauen,

einschließlich bewaffneter Gewalt gegen Frauen

Zahl inländischer Flüchtlinge

Zahl ausländischer Flüchtlinge

Gewaltkriminalitäts- quote und vorhan- denes Muster bei Tötungsdelikten und Körperverletzungen

FAKTOREN Bei der Beur- teilung zu berücksichti-

gen

VERANTWORTLICHE REGIERUNGSFÜHRUNG

Anhaltspunkte um sich ein Bild von der Art des Regierungssystems machen zu können:

Standards im Sicherheitssektor – Unterstehen die Institutionen des Sicherheitssektors der Kontrolle eines kompetenten, rechtsstaatlichen und transparenten Staatsapparats. Hält sich die Regierung an politische und bürgerliche Rechte und handelt sie nach den im humanitären Völkerrecht festgeleg- ten Standards?

Verantwortlicher Einsatz von Waffen – Kann aus der Geschichte geschlossen werden, dass Rüstungsimporte im Rahmen rechtmäßig formulierter Sicherheitsinteressen zum Einsatz kommen, von verantwortlichen Sicherheitskräften verwendet werden, die für die Bedienung und den Einsatz des importierten Gerätes angemessen ausgebildet sind und dass ihr Einsatz gemäß internationalen Menschenrechten und dem humanitären Völkerrecht und ohne größere soziale und wirtschaftliche Zerstörung geschieht?

BESCHAFFUNG

Anhaltspunkte, um sich ein Bild von der Legitimität der Importentscheidung machen zu können:

Transparenz und Rechenschaftspflicht – Wie offen und transparent sind Rüstungshaushalt und Beschaffungswesen? Müssen sich Streit- und sonstige Sicherheitskräfte in Bezug auf die Einhal- tung des humanitären Völkerrechts und internationaler Menschenrechtsstandards verantworten?

Korruption – Stellt Korruption ein Problem dar?

Klarheit – Herrscht Klarheit in der Finanzplanung der Streit- und Sicherheitskräfte, in der Verteidi- gungspolitik und bezüglich der inneren Sicherheit und bezüglich der legitimen Verteidigungsinteres- sen des Landes?

Entwicklungspolitisches Engagement – Setzt das Land zur Bewältigung seiner Entwicklungsaufga- ben Armutsbekämpfungsstrategien und ähnliche Instrumente ein, auf die es sich international ver- pflichtet hat?

Partizipation – Werden auch die Zivilgesellschaft und für Entwicklungspolitik zuständige Ministerien einbezogen?

BEGRÜNDUNG

Anhaltspunkte, um die Eignung des Exports für den erklärten und tatsächlichen Bedarf zu beurteilen:

Angemessenheit – Wie wird der Import gerechtfertigt – mit sicherheitspolitischen, politischen oder sonstigen Interessen. Sind diese Rechtfertigungen legitim?

Bezahlbarkeit – Wie wirkt sich der Export auf andere staatliche Programme und insbesondere ent- wicklungspolitische Ziele (Armutsbekämpfungsstrategien, Millenniumziele) aus? Stimmt das Preis- Leistungsverhältnis des Imports?

Kumulierungseffekt – Führt der Import zu einem bedrohlichen Anstieg der Ausgaben für Rüstung und innere Sicherheit?

KAPAZITÄT

Anhaltspunkte, ob das Importland vom Import Nutzen hat:

Industrielle und technologische Kapazität – Kann das Importland potenzielle Vorteile – Kompensation, industrielle Entwicklung, Technologie-Transfer - tatsächlich realisieren?

Referenzen

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