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Anmerkungen zur Operationsgeschichte der Waffen-SS

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Sönke Neitzel

Des Forschens noch wert?

Anmerkungen zur Operationsgeschichte der Waffen-SS

I. Einleitung

Die Militärgeschichte als Gesamtdisziplin hat seit Ende der neunziger Jahre zwei- fellos ein Comeback erlebt. So erfreulich diese Entwicklung auch ist, bemerkens- wert bleibt, daß die Operationsgeschichte von der Neubelebung fast vollständig ausgeschlossen ist. Allerdings: Die moderne Militärgeschichte kann wohl kaum als »modern« bezeichnet werden, wenn sie einen zentralen Bereich ihres For- schungsgegenstandes, nämlich das Ureigenste des Krieges - den Kampf - aus der Betrachtung weitgehend ausblendet. Bernd Wegner hat bereits gelungen auf den Mißstand hingewiesen, daß wir aufgrund dieser Ignoranz noch nicht einmal über so einschneidende Ereignisse wie die Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte im Sommer 1944, bei der Hunderttausende Soldaten gefallen sind, hinreichende Kennt- nisse besitzen1.

Den großen Wert der Operationsgeschichte hat 1995 Karl-Heinz Frieser mit sei- ner Studie über den Westfeldzug nochmals nachhaltig unter Beweis gestellt2. Der Verfasser unterstreicht, wie wichtig für das Gesamtverständnis des Zweiten Welt- krieges die Kenntnis von militärischen Unternehmen ist, indem er aufzeigt, daß der Verlauf und das Ergebnis des Westfeldzuges keinesfalls von Strategie und wirt- schaftlichen Ressourcen vorherbestimmt waren, sondern daß der Feldzugserfolg von unendlich viel Zufällen abhing: Die für die deutsche Seite überaus glückliche schwache Sicherung der Ardennen, der von wenigen Stoßtrupps erzwungene Über- gang über die Maas am 13. Mai 1940, das befehlswidrige Handeln Guderians, in- dem er an den folgenden Tagen weiter in Richtung Kanal vorstieß usw. Zum glei-

1 Bernd Wegner, Wozu Operationsgeschichte?, in: Was ist Militärgeschichte? Hrsg. von Benjamin Ziemann und Thomas Kühne, Paderborn 2000, S. 105-113.

2 Karl-Heinz Frieser, Blitzkrieg-Legende. Der Westfeldzug 1940, München 1995. Den nicht zu vernachlässigenden Stellenwert von operationsgeschichtlichen Studien haben vor Frieser zahlreiche Autoren unter Beweis gestellt. Exemplarisch seien hier von den älte- ren Werken nur Ernst Klink, Das Gesetz des Handelns. Die Operation »Zitadelle« 1943, Stuttgart 1966; Klaus Reinhardt, Die Wende vor Moskau. Das Scheitern der Strategie Hit- lers im Winter 1941/42, Stuttgart 1972 und Manfred Kehrig, Stalingrad. Analyse und Dokumentation einer Schlacht, Stuttgart 1974 genannt. Es handelte sich bei diesen Wer- ken stets um reine Beschreibungen des Ablaufes einer Operation, zuweilen gekrönt mit Schlußfolgerungen, warum diese so und nicht anders verlaufen ist. Sie ermöglichten an entscheidenden Schlüsselmarken des Zweiten Weltkrieges, etwa Moskau, Stalingrad und Kursk, den Einblick in einen militärischen Apparat. Die Studien eruierten damit, was im Detail an der Front und in den Stäben überhaupt geschehen war und lieferten zwei- fellos eine entscheidende Grundlage, um etwa den Rußlandkrieg nachvollziehen zu kön- nen. Allerdings haben sie zumeist den Nachteil, kein Material zur Bearbeitung weiter- führender Überlegungen zur Operationsgeschichte auszubreiten.

Militärgeschichtliche Zeitschrift 61 (2002), S. 403-429 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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chen Zeitpunkt machten die Alliierten so ziemlich alles falsch, was falsch zu ma- chen war. Es schien als ob die deutschen Operationen von Göttern und die der Al- liierten von Idioten geleitet würden, um mit Karl Justrow zu sprechen3. Zudem kann Frieser veranschaulichen, wie sehr der unerwartete »Blitzsieg« im Westen die operativen Vorstellungen der Wehrmacht beeinflußte und die Uberzeugung hervorbrachte, einen Blitzkrieg gegen Rußland führen zu können.

Damit ist eines erneut belegt: Die Beschäftigung mit militärischen Operationen und Feldzügen kann keinesfalls als »Kleinkram« für Militärfanatiker abgetan wer- den. Ihr Ausgang ist auch nicht durch einen bloßen Blick auf die »Grand Strategy«

oder die Rüstungspotentiale der Kontrahenten vorauszubestimmen4. Natürlich gab es im Zweiten Weltkrieg gerade in der zweiten Kriegshälfte eine Vielzahl von militärischen Operationen, deren Ausgang nicht von taktischer Finesse abhing, sondern aufgrund des Kräftepotentials bereits entschieden war. Die militärische Operation bleibt aber dennoch ein erforschungswürdiger Gegenstand, denn: Es wäre unsinnig, sich ohne Not auf ein »Black box«-Prinzip zurückzuziehen, Input und Output zu betrachten, nicht aber den Weg, auf dem die Ergebnisse zustande- gekommen sind.

Ein anschauliches Beispiel liefert uns die Ostfront. Der Kriegsverlauf ist hier im Groben bekannt, für einzelne Zeitabschnitte und Regionen auch im Detail. Allerdings gibt es noch immer zahlreiche unbeantwortete Fragen. So verlor die Rote Armee im Kampf um Berlin in der Zeit vom 16. April bis zur Kapitulation 352 475 Mann, da- von 78 291 Tote5. Eine gewaltige Anzahl, die an die deutschen Verluste in der Schlacht von Stalingrad erinnert, die Kampfbedingungen an der Wolga. 1942 sind allerdings nicht mit jenen an der Oder und Spree 1945 zu vergleichen. Wie lassen sich also die- se sehr hohen Verlustzahlen der Röten Armee angesichts einer zu vermutenden fort- schreitenden Professionalisierung erklären? Welcher Faktor war für diese Verluste verantwortlich: die Inkompetenz der höchsten oder etwa der mittleren Führung?

Oder gelang die Professionalisierung der Roten Armee bis zum kleinen Rotarmisten nach den schweren Niederlagen seit Mitte 1942 doch nicht in dem angestrebten Maße?

Und welchen Anteil spielt die Gegenseite dabei, etwa die deutsche Funkaufklärung oder die unterschiedliche Bewaffnung der Kontrahenten? Dies sind Fragen, die nur mit Hilfe eines operationsgesehichtlichen Ansatzes zu beantworten sind.

3 Karl Justrow, Feldherr und Kriegstechnik. Studien über den Operationsplan des Grafen von Schlieffen und Lehren für unseren Wehraufbau und unsere Landesverteidigung, Ol- denburg 1933, S. 293.

4 In diesem Sinne erhält auch das Buch von Richard Overy, Why the Allies won, London 1995 [deutsch: Die Wurzeln des Sieges, Stuttgart 2000] eine besondere Bedeutung. Man kann sich gewiß der Kritik mancher Rezension anschließen, die bemängelten, daß Overy nicht über- all den neuesten Forschungsstand wiedergibt. Der entscheidende Punkt seiner Arbeit ist jedoch, daß er auf den nicht ohne weiteres zu prognostizierenden Ausgang des Zweiten Weltkrieges hinweist, der eben am 3.9.1939 noch keineswegs zugunsten der Allüerten ent- schieden gewesen sei. Die überlegene operative Führungskunst der Wehrmacht und die zeitweise gewaltigen Ressourcen, die die Achsenmächte kontrollierten, ließen das Ringen durchaus offen erscheinen. Erst verschiedene, so nicht vorhersehbare Weichenstellungen auf Seiten der Alliierten ermöglichten dann den Sieg. Overy nennt hier etwa die ge- schlossene Mobilisierung der amerikanischen Gesellschaft, die geglückte Verlagerung der russischen Industrie nach Osten und die alliierte Bomberoffensive gegen Deutschland.

5 G.F. Krivoaeev, Grif sekretnosti snjat. Poteri vooru-ennych sil SSSR ν vojnach, boevych dejstvijach i voennych konfliktach. Statistieskoe issledovanie [Nicht mehr geheim. Ver- luste der sowjetischen Streitkräfte in Kriegen, Kampfhandlungen und militärischen Kon- flikten], Moskva 1993, S. 220. Für diesen Hinweis danke ich Alexander Brakel, Mainz.

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Zur Beurteilung hoher militärischer Persönlichkeiten sind operative Detail- kenntnisse ebenso relevant. Das ureigenste Metier der Generäle war nun einmal die Operation. Wenngleich ihre Bewertung heute vor allem um politische Fragen kreist, kann man ihre Hauptaufgabe doch nicht ganz ausblenden. Das Agieren auf diesem klassischen Feld kann aber nur anhand operationsgeschichtlicher Untersuchun- gen beleuchtet werden. Dabei geht es etwa um die Frage, wer sich in welchem Maße für die ihm anvertrauten Soldaten eingesetzt hat. Man denke nur'an die im- mer wieder kolportierte Meinung, Ferdinand Schörner habe seine Soldaten »ver- heizt«. Es gibt hierfür Indizien, seriöse quellenreiche Untersuchungen fehlen aber bislang, schlichtweg, weil sich bislang noch niemand die Mühe gemacht hat, sei- ne Operationsführung in der zeitlichen Entwicklung im Detail zu untersuchen6. Insofern ist es erfreulich, daß die am Institut für Zeitgeschichte in Arbeit befindli- chen Studien von Johannes Hürter über die deutschen Oberbefehlshaber an der Ostfront 1941 /42 und von Christian Hartmann über einen Vergleich von fünf Di- visionen an der Ostfront diesen Ansatz aufnehmen7.

Die moderne Operationsgeschichte, soviel läßt sich bereits hier festhalten, soll- te darüber hinausgehen, »nur« eine Operation darzustellen. Sie muß sie vielmehr in den politischen, strategischen oder wirtschaftlichen Kontext einbetten und soll- te möglichst weitergehende Fragestellungen anderer Teildisziplinen, etwa dor Men- talitätsgeschichte mit beantworten. Die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes soll hier am Beispiel der Waffen-SS aufgezeigt werden.

II. Hitlers Garde? Zum Desiderat einer Geschichte der Waffen-SS im Fronteinsatz

»Die Waffen-SS kennt jeder«, hat Jürgen Förster süffisant formuliert8. Aus wissen- schaftlicher Sicht müßte das Zitat eigentlich lauten: »Die Waffen-SS meint jeder zu kennen«, denn obwohl mittlerweile die Publikationen meterlange Bücherregale füllen, weist die Geschichte der Waffen-SS noch ganz erhebliche Lücken auf. Ge- wiß, Bernd Wegner hat mit seiner mittlerweile in sechster Auflage erschienen Ham- burger Dissertation über »Hitlers Politische Soldaten« eine überzeugende Arbeit zur Struktur- und Sozialgeschichte der Waffen-SS vorgelegt9. Sie ist noch immer das Standardwerk zur Waffen-SS. Die Waffen-SS im Kriegseinsatz, in ihrer eigentlichen

6 Diese Lücke vermag auch nicht Klaus Schönherr, Ferdinand Schörner - Der idealtypische Nazi-General, in: Die Militärelite des Dritten Reiches, hrsg. von Ronald Smelser und En- rico Syring, Frankfurt a.M. 1995, S. 497-509 zu schließen.

7 Johannes Hürter, Die deutschen Oberbefehlshaber an der Ostfront 1941/42 (in Vörb.);

Christian Hartmann, Front und Etappe im deutsch-sowjetischen Krieg 1941 /42 (in Vorb.).

Die bereits vorliegende Arbeit von Johannes Hürter, Ein deutscher General an der Ost- front. Die Briefe und Tagebücher des Gotthard Heinrici 1941/42, Erfurt 2001 bietet hier bereits interessante Einblicke.

8 Jürgen Förster, Die weltanschauliche Schulung der Waffen-SS, in: Ausbildungsziel Ju- denmord? Weltanschauliche Erziehung von SS, Polizei und Waffen-SS im Rahmen der Endlösung, hrsg. von Jürgen Matthäus [u.a.], erscheint Frankfurt a.M. 2003.

9 Bernd Wegner, Hitlers Politische Soldaten. Die Waffen-SS 1933-1945,6. Aufl., Paderborn 1999.

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Rolle an und hinter der Front kommt in Wegners Studie allerdings nur am Rande vor, weil sie ganz bewußt andere Perspektiven beleuchtet. Nach wie vor ist die Frage nach dem Unterschied und den Parallelen zwischen Heer und Waffen-SS wissenschaftlich noch nicht hinreichend beantwortet. Und dies betrifft alle Ebenen ihres Einsatzes im Krieg: die Kriegsverbrechen, die militärische Professionalität, die Verluste, die Moral, die innere Kohäsion.

Über die Waffen-SS gibt es ein festgefügtes Bild als eine ideologisierte Kampf- truppe, die mit ihren Kriegsverbrechen wie mit ihrem »fanatischen« Kampfgeist zweifelhaften Ruhm erlangte. Sie sei von unqualifizierten Führern schlecht geführt gewesen, habe überproportional hohe Verluste erlitten und ihre Erfolge vor allem deshalb errungen, weil zumindest die wenigen Kerndivisionen wie die »Leib- standarte Adolf Hitler«., »Das Reich« und »Totenkopf« überdurchschnittlich gut ausgerüstet gewesen seien10.

Daß dieses Bild von der Waffen-SS keineswegs ein Produkt der Nachkriegszeit ist, sondern vielmehr unter eifriger Unterstützung der NS-Propaganda bereits im Krieg entstand11 belegen zahlreiche zeitgenössische Quellen. Hier ist insbesonde- re auf die von der Forschung bislang kaum rezipierten Abhörprotokolle deutscher Kriegsgefangener in britischem Gewahrsam als besonders aufschlußreicher Quel- le zu verweisen12. Nur wenige Tage nach der Gefangennahme wurden hier Solda- ten verschiedener Dienstgrade und Einheiten in der Hoffnung zusammengeführt, daß sie im kameradschaftlichen Gespräch interessante Details preisgäben. Da den Männern nicht bewußt war, daß sie abgehört wurden, führten sie die Gespräche in einer ganz offenen Atmosphäre. Es ergibt sich somit ein vergleichsweise unver- fälschter Einblick in die Gedankenwelt deutscher Soldaten.

Durchforstet man die umfangreichen Wortprotokolle, stößt man immer wieder auf die oben angedeuteten Stereotypen. Generalmajor Christoph Graf zu Stolberg beklagte sich bitter, daß die SS dem Heer alle guten Männer wegschnappen würde.

»Wir hatten in der Truppe keine Offiziersanwärter mehr. Die Truppe kriegte doch damals - '43 bloß noch alte Knacker aus der Heimat. Die SS kriegt erstens doch ihre Freiwilligen, zweitens kriegt sie 4 % der besten bei den Werbungen, und dann holen sie sich auch noch von den Schulen die ganzen Leute weg. Also die SS war beinahe 100%ig mit Unterführer-An Wärtern gesegnet und die Truppe hatte gar keine13

Eine Runde von in Nordafrika in Gefangenschaft geratenen Generälen stellte fest:

»Die haben immer den Riesenvorteil gehabt, daß sie unvorstellbar gut ausgerü- stet sind. Beides - Menschen und Gerät, was sie haben wollten. Schauen Sie-mal,

10 So lassen sich die Aussagen von George H. Stein, Geschichte der Waffen-SS, zuletzt Wies- baden 1999 und Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, zuletzt aufgelegt Augsburg 1996 über die Waffen-SS zusammenfassen. Besonders poin- tiert auch Wolfgang Schneider, Die Waffen-SS, 4. Aufl., Hamburg 2001.

11 Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Propaganda über die Waffen-SS gibt es lei- der nicht. Die Vermutung liegt nahe, daß Goebbels und seinem Agitationsapparat be- sonders daran gelegen war, die Waffen-SS als heldenhaft kämpfende Elite darzustellen.

Dieser Eindruck ergibt sich schon bei der Betrachtung der NS-Wochenschauen.

12 Diese Quellengattung wurde meines Wissens ausführlicher zum ersten Mal in dem Werk von Michael Gannon, Black May, New York 1998 herangezogen.

13 Er war Divisionskommandeur z.b.V. 136 und geriet am 4.9.1944 in Antwerpen in briti- sche Gefangenschaft. S.R.G.G. 1034 vom 8.9.1944, Public Record Office (PRO), WO 208/4168. Zur angeblich besseren Verpflegung der SS-Einheiten siehe S.R.M. 786 vom 12.8.1944, PRO, WO 208/4138.

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was sind in der SS an Führerpersönlichkeiten verloren gegangen1 4.« Generalma- jor Alfred Gutknecht bemerkte: »Wie die SS immer mit der Versorgung bevor- zugt wurde, das w a r ja ganz furchtbar« und erzählte, wie die SS-Panzerdivision

»Das Reich« in Frankreich 1200 LKW zuviel zugeteilt bekam und es dem Kom- mandeur des I. SS-Panzerkorps, Obergruppenführer Sepp Dietrich, aufgrund sei- nes Einflusses gelang, die Abgabe der Fahrzeuge abzuwenden1 5. Generalmajor Gerhard Baßenge ergänzte: »Wir sind ja wütend als Armee darüber, daß man die SS-Verbände aufgestellt hat, denn die rekrutieren sich aus dem Besten, was wir haben. Das ist erstklassiges Menschenmaterial, das sind nicht alles Nazis und Mörder usw.16

Einheitlich erscheint auch das Bild, das man im Heer von herausgehobenen Führerpersönlichkeiten der Waffen-SS hatte. Ein Mann wie Sepp Dietrich rief auf- grund seiner ungehobelten und ungebildeten Art Spott, Verachtung und Hohn hervor und wurde als klassisches Negativbeispiel empfunden, ganz im Gegensatz etwa zu Paul Hausser, der als ehemaliger Reichswehrgeneral sozusagen als »einer von uns« anerkannt wurde17.

Allerdings darf man nicht unterschlagen, daß es bei der Heeresgeneralität durch- aus auch anerkennende Stimmen gab. So verteidigte General Hans Cramer die

14 Das Wortprotokoll vermerkte leider nicht, wer genau diese Äußerungen machte. Es han- delte sich aber um eine Gruppe von Generälen, die bei der Kapitulation der deutschen Streitkräfte in Tunesien, wenige Tage zuvor in Gefangenschaft geraten war. S.R.G.G. 39 vom 16.5.1943, PRO, WO 208/4165.

15 Gutknecht war Höherer Kommandeur der Kraftfahrtruppen West und wurde am 29.8.1944 bei Soissons gefangengenommen. S.R.G.G. 1024 vom 2.9.1944, PRO, WO 208/4168. Diese Angaben können für die 2. SS-Panzerdivision aus den Quellen nicht be- stätigt werden. Im Gegenteil, die Division hatte einen so großen Mangel an LKW und Er- satzteilen, daß nennenswerte Teile der Division zunächst nicht den Marsch an die Inva- sionsfront antreten konnten. Auch die anderen SS-Divisionen hatten zumindest in ihren offiziellen Meldungen kein plus an LKW zu verzeichnen. Zur Lage der bei SS-Division

»Das Reich« vgl. Bundesarchiv-Militärarchiv (BA-MA), RH 10/112, Zustandsbereicht des Generalinspekteurs der Panzertruppen, Stand 1.6.44; BA-MA, RH 10/313, OB West Ia Nr. 5135/44 g.Kdos. 1.7.44; National Archives, Τ 311, R 28, F 7034111 f.

16 S.R.G.G. 956 vom 9.7.1944, S. 2, PRO, WO 208/4168. Vgl. ferner S.R.G.G. 333 vom 8.8.1943 [General der Panzertruppen Thoma], PRO, WO 208/4166 sowie die Einschätzung von Hauptmann Hartdegen vom'Divisionsstab der Panzer-Lehr-Division S.R.M. 745 vom 3.8.1944, PRO, WO 208/4138.

17 Vgl. hierzu die biographischen Skizzen von Christopher Clark, Joseph >Sepp< Dietrich - Landsknecht im Dienste Hitlers, in: Die SS. Elite unter dem Totenkopf, hrsg. von Ronald Smelser und Enrico Syring, Paderborn [u.a.] 2000, S. 119-133, insbes. S. 126; Enrico Sy- ring, Paul Hausser, >Türöffner< und Kommandeur, in: ebd., S. 190-207. Generalmajor Baßenge bemerkte über Dietrich: »Ein furchtbarer Knoten (?), der alle Leute mit >ihr< an- redet, also ungebildet bis dort hinaus, fanatisch. Der sagt immer: >Wenn der Führer be- fiehlt, ich mache es so<. Also er >liquidiert< alles. Persönlich ein ganz schneidiger Mann.«

S.R.G.G. 956, vom 9.7.1944, PRO, WO 208/4168. General Thoma berichtet, daß Sepp Die- trich im Grunde genommen ein gutherziger Mensch sei. Er habe aber diesen Komplex.

»Er sagte mir selber: >Wenn Hitler mir sagt, ich soll Sie erschießen, da erschieße ich Sie<.

Da sage ich: >Sie sind ein sauberer Bruder<. Er sagt: >Ja, da gibt es nichts, da denke ich gar nicht dran<.« S.R.G.G. 955 vom 9.7.1944, PRO, WO 208/4168. Vgl, auch die Einschätzung General Thomas, S.R.G.G. 681 vom 20.12.1943, PRO, WO 208/4167. Eine lebendige, denk- bar negative Einschätzung Sepp Dietrichs aus der Feder von Oberst August Freiherr von der Heydte befindet sich in der Akte PRO, WO 208/4169. General Heinrich Eberbach bemerkte hingegen, Sepp Dietrich sei ein guter Kamerad, der einen gesunden Men- schenverstand habe. »Hat aber viel auf dem Kerbholz«. S.R.G.G. 1024 vom 2.9.1944, PRO, WO 208/4168. Zu Hausser vgl. S.R.G.G. 955 vom 9.7.1944, PRO, WO 208/4168.

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Waffen-SS in britischer Kriegsgefangenschaft bei den Diskussionen mit seinen Ge- neralkollegen: »Gestern Abend«, bemerkte er am 14. Februar 1944,

»hat der Müller-Rienzburg die SS ausgeschimpft und gesagt, daß die eine dicke Fresse haben, aber gar nichts machen. Das stimmt aber nicht. Ich habe längere Zeit SS-Divisionen unter meinem Kommando gehabt und habe sie auch genau beobachten können in den Schulen, wo ich tätig gewesen bin. Die SS ist seit langem ein Punkt des Neides gewesen, weil sie bei allem bevorzugt sind, besonders was die Lieferung von Ausrüstung anbelangt. Sie haben sich aber tadellos bewährt und haben mit ungeheurer Tapferkeit gekämpft18

Der Aufbau einer nennenswerten bewaffneten Landstreitmacht neben dem Heer führte somit zu einer spürbaren, w e n n auch zeitlich und regional sehr unter- schiedlichen Rivalität19. Diese Rivalität läßt sich gerade beim Quellenstudium zu militärischen Operationen veranschaulichen, in denen Verbände von Heer und Waffen-SS nebeneinander gekämpft haben. Am Nordabschnitt der Ostfront ging es gar so weit, daß der Kommandeur der Division »Totenkopf« 1942 dem Heer die Ab- sicht unterstellte, ganz bewußt die Vernichtung seiner Division zu betreiben, so daß der auf Heimaturlaub befindliche Eicke vermerkte, »es werde höchste Zeit, unsere Männer aus den Klauen einer gehässig-neidischen Zunft zu befreien«20. Im August 1944 soll in der Normandie der Kommandeur der 2. Panzerdivision, Ge- neralleutnant Heinrich Freiherr von Lüttwitz, im Kessel von Falaise es harsch ab- gelehnt haben, für den verwundeten Kommandeur der »Leibstandarte«, Brigade- führer Theodor Wisch, einen Schützenpanzer zur Verfügung zu stellen, u m diesen aus dem Kessel herauszubringen. »Für die Leibstandarte? Die haben genug Fahr- zeuge, die kriegen keine von mir«, soll Lüttwitz empört geäußert haben21.

In ihren Memoiren hat sich zwar nur ein kleinerer Teil der Heeresgenerälität überhaupt mit der Waffen-SS ernsthaft beschäftigt. Die das taten, haben die alten Stereotypen jedoch herausgestrichen. Von unnötig hohen Verlusten, mangelnder Qualität der Führer, besserer Ausrüstung und Verpflegung sowie der Tapferkeit der SS-Männer war die Rede. Die Waffen-SS wurde interessanterweise weder als

»Elite« noch als »Feuerwehr« bezeichnet. Eine Auseinandersetzung mit ihren Ver- brechen fand nicht statt22.

18 S.R.G.G. 833 vom 14.2.1944, PRO, WO 208/4168. Zum Lebenslauf Cramers vgl. Dermot Bradley, Karl-Friedrich Hildebrand, Markus Rövekamp, Die Generale des Heeres 1921-1945, Bd 2, Osnabrück 1993, S. 466 f.

19 Unübersehbar war zudem, daß Heeresoffiziere zuweilen neidisch auf die schnellen Kar- rieren innerhalb der Waffen-SS blickten. So war eine der ersten Fragen, die ein Haupt- mann der 276. Volksgrenadierdivision an den Kommandeur der SS-Division »Götz von Berlichingen«, SS-Standartenführer Hans Lingner, richtete, warum er denn so zeitig Stan- dartenführer geworden sei. S.R.M. 1205 vom 12.2.1945, PRO, WO 208/4140. Vgl. im glei- chen Sinne die Aussagen von Hauptmann Hartdegen von der 3. Panzerdivision, S.R.M.

747 vom 3.8.1944, PRO, WO 208/4138.

20 Charles W- Sydnor, Soldaten des Todes. Die 3. SS-Division »Totenkopf« 1933-1945, Pa- derborn 2002, S. 198, 202 f.

21 Dies berichtet der Ia der SS-Division »Frundsberg«, Obersturmbannführer Hans Lingner.

. S.R.M. 1210 vom 12.2.1945, PRO, WO 208/4140.

22 So die Ergebnisse einer Arbeit von Horst Gerecke, Die Waffen-SS im Spiegel der Me- moiren der Heeresgeneralität, die im Sommer-Semester 2002 an der Universität Mainz entstand. Gerecke hat hierzu alle Memoiren von Heeresgeneralen sowie einiger Stabs- offiziere ausgewertet. General der Infanterie Edgar Röhricht berichtete Liddell Hart von

»the tendency of the S.S. to grab the best men«. Basil Henry Liddell Hart, The German Generals Talk, New York 1948, S. 257.

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Offenbar hat das zumeist negative Bild, welches Heeresoffiziere im und nach dem Zweiten Weltkrieg von der Waffen-SS zeichneten, auch die Forschung er- heblich beeinflußt. Da Schriften ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS einseiti- ge Tendenzen aufwiesen, griff man auf das zurück, was schnell greifbar war: Ver- einzelte Quellenbelege, Zeitzeugeninterviews und eben die Memoiren. Der Auf- gaibe, dieses Stereotyp einmal sorgfältig zu überprüfen hat sich bislang niemand gestellt. Freilich kann nur die Operationsgeschichte aufzeigen, ob es sich bei der kolportierten Meinung über die Waffen-SS u m eine selektive Wahrnehmung oder doch um die Realität gehandelt hat. Dies gilt sowohl für die Ausbildung und die Moral, als auch für die Ausrüstung oder die Auswirkungen der weltanschauli- chen Schulung.

Man muß hier zunächst anmerken, daß es natürlich nicht die Waffen-SS gab, sondern ein Sammelsurium von 36 Großverbänden, in denen nahezu alle Natio- nalitäten Europas vertreten waren - insbesondere Volksdeutsche aus dem Balkan- raum. Ein Vergleich mit regulären Heereseinheiten ist somit problematisch. Doch selbst wenn man nur die »klassischen« überwiegend reichsdeutschen »Kerndivi- sionen« unter die Lupe nimmt, lassen sich diese nicht auf wenige Stereotypen re- duzieren. Die Aussagen von Härte und Brutalität sowie einer Führungsschwäche im Kampf enthalten gewiß Wahres, gleichwohl sind es doch lediglich plausibel klingende Hypothesen, die sehr wahrscheinlich ein unzulässiges, weil grob verein- fachendes Bild zeichnen. Der Historiker sollte aber gerade darum bemüht sein, be- hutsam, auf Grundlage aller zugänglichen Quellen ein differenziertes und ausge- wogenes Bild zu zeichnen. Und dies kann letztlich zu einem Gutteil nur mit einem operationsgeschichtlichen Ansatz gelingen. Nur wenn man den Fronteinsatz näher beleuchtet, wird man den Charakter der Waffen-SS hinreichend abbilden können.

Die struktur- und sozialhistorischen Ergebnisse, die Wegner ünd andere zutage gefördert haben bedürfen somit dringend der Ergänzung. Man m u ß nur an der Oberfläche kratzen - mehr kann auch an dieser Stelle nicht möglich sein - , u m zu erkennen, wie sehr das bisherige Urteil über die Waffen-SS teilweise auf Sand ge- baut ist.

Eines der herausragendsten Merkmale militärischer Professionalität sind die Verluste, die ein Verband bei den ihm aufgetragenen Einsätzen erleidet. Die Waf- fen-SS stand in dem Ruf, zwar große militärische Erfolge erzielt, diese jedoch mit unnötig hohen Verlusten erkauft zu haben. Rüdiger Overmans hat nachgewiesen, daß die Verluste der Waffen-SS insgesamt nicht signifikant höher gewesen sind als diejenigen des Heeres23. Dies sagt natürlich noch nichts darüber aus, ob nicht einzelne Verbände der Waffen-SS generell oder zu bestimmten Zeiten deutlich höhere Verluste hatten hinnehmen müssen als Heereseinheiten, die ähnliche Einsät- ze erlebten. Eine seriöse wissenschaftliche Gegenüberstellung von Verlustzahlen ist bislang noch nicht vorgenommen worden. Entscheidend dürfte sein, daß man wirklich gleiches mit gleichem in Beziehung setzt, also nicht Einheiten unter- schiedlicher Ausrüstung und in unterschiedlichem Einsatzgebiet miteinander ver- gleicht.

Dabei sollte man allerdings vermeiden, absolute Zahlen gegenüberzustellen.

Da die Waffen-SS-Divisionen meist eine sehr viel größere Iststärke als Heeresdivi-

23 Rüdiger Overmans, Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg, München 1999, S. 257,293-296.

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sionen hatten, wäre die Vergleichsbasis dann nicht gegeben. Sinnvoller ist es daher, die prozentualen Verluste heranzuziehen. Hierzu einige Beispiele24: So verloren die SS-Division »Das Reich«, die 4. Panzer-Division und die 18. Panzer-Division in der Zeit vom 22. Juni bis 19. November 1941 zwischen 33 und 40 Prozent ihrer Iststärke vom 22. Juni 1941. Das motorisierte Infanterie-Regiment »Großdeutsch-·

land« verlor hingegen 65 Prozent der Männer, mit denen es am Anfang des Un- ternehmens »Barbarossa« aufgebrochen war. Alle Verbände waren in der Heeres- gruppe Mitte beim Vormarsch auf Moskau eingesetzt. Die absoluten Zahlen vari- ieren bedingt durch die unterschiedlichen Sollstärken, die prozentualen Zahlen geben ein vergleichsweise einheitliches Bild, lediglich das Infanterie-Regiment

»Großdeutschland« fällt hier deutlich heraus.

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei einem Vergleich der drei SS-Panzerdivisionen und der 4. Panzerdivision bei der Schlacht von Kursk. Die prozentualen Verlust- zahlen aller vier Verbände variieren in der Zeit vom 5. bis 19. Juli zwischen 10,5 (4. Panzerdivision) und 14,5 Prozent (Leibstandarte Adolf Hitler), wobei es hier zu bedenken gilt, daß die 4. Panzerdivision erst am 7. Juli in das Kampfgeschehen eingriff, somit drei Tage später als die SS-Verbände. Ein signifikanter Unterschied bei den Verlusten ergibt sich also nicht.

Vergleicht man zu guter Letzt die Verlustquoten der SS-Division »Hitlerjugend«

mit jenen der Panzer-Lehr-Division, so haben beide Einheiten in der Zeit von Juni bis Oktober 1944 absolut knapp 9000 Mann verloren. Prozentual ausgedrückt ver- lor die SS-Division 43 Prozent ihrer Männer, die Panzer-Lehr-Division hingegen 61 Prozent!

Dieser - zugegebenermaßen oberflächliche - Vergleich scheint die Aussage Overmans für die gesamte Waffen-SS auch für einzelne Kriegsabschnitte zu be- stätigen. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, daß von der Waffen-SS Gefechte mit unvergleichlich hohen Verlusten geführt worden sind, ja einzelne Einheiten von ihren Führern »verheizt« wurden. Wenngleich es an derlei Hinweisen nicht mangelt25, kann erst eine solide Operationsgeschichte der Waffen-SS ermitteln, in- wieweit es sich um Ausnahmen oder die Regel gehandelt hat. Zudem muß man sol- che Vorfälle immer auch mit Vorkommnissen bei Heereseinheiten vergleichen. Syd- nor hat herausgearbeitet, daß sich die »Totenkopf-Division« in Frankreich mehr- fach überaus unprofessionell verhalten und innerhalb von 18 Tagen, dabei sieben mit besonders heftigen Kämpfen, 1152 Mann verloren hat. Nun gibt es keinen Grund, die Unprofessionalität der Totenkopf-Division in Frage zu stellen, die Fra- ge muß aber erlaubt sein, ob es Unerfahrenheit nicht auch bei etlichen Heeresdi- visionen gab? Die 44. Infanterie-Division verlor in Frankreich 1730 Mann obwohl sie nur wenige Tage beim Somme-Ubergang in schwere Kämpfe verwickelt war26.

24 Angaben sind übernommen aus Gerecke, Die Waffen-SS (wie Anm. 22). Gerecke hat in seiner Arbeit auch die von den Generälen immer wieder erwähnten höheren Verlust- zahlen der Waffen-SS exemplarisch überprüft. Ergänzende Informationen aus Omer Bar- lo v, The Eastern Front, 1941-45. German Troops and the Barbarisation of Warfare, Oxford 1985, S. 15-17.

25 Ein solches Gefecht wird anschaulich beschrieben in: S.R.G.G. 39 vom 16.5.1943, PRO, WO 208/4165. Vgl. auch Franz Seidlers Hinweise auf das »Verheizen« zweier Bataillone der Division »Wiking« am Dnjepr im Oktober 1943. Franz Seidler, Herbert Gille, in: Die SS (wie Anm. 17), S. 179.

26 Friedrich Dettmer, Otto Jaus und Helmut Tolkmitt, Die 44. Infanterie-Division. Reichs- Grenadier-Division Hoch- und Deutschmeister 1938-1945, Friedberg [1979], S. 38.

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Hat sie diese Verluste nun trotz oder wegen ihrer langjährigen Tradition erlitten, die möglicherweise einen besonderen Angriffsgeist hervorrieP7?

Man erkennt, daß ohne fundierte, vergleichend angelegte operationsge- schichtliche Studien, die genau untersuchen, unter welchen Bedingungen welche Verluste eintraten, keine spezifischen Angaben über die Aussagefähigkeit der Ver- luste einzelner Waffen-SS-Einheiten gemacht werden können. Nach den bisheri- gen Erkenntnissen belegen die Verlustzahlen somit keineswegs ein Stereotyp be- sonders »fanatischer« Einheiten, die schlecht geführt worden sind. Wäre dem wirk- lich so gewesen, dann hätte die Waffen-SS insgesamt deutlich höhere Ausfälle ha- ben müssen28.

Neben den Verlusten sind die verliehenen Auszeichnungen ein weiteres Indiz für militärische Professionalität und Einsatzwillen in der Schlacht. Hier bietet sich an, die Zahl der verliehenen Ritterkreuze oder auch die der Nahkampfspangen zu vergleichen, wobei gerade letztere ein besonderer Beleg für Draufgängertum und Einsatzwillen sind. Obgleich ein Vergleich aller Divisionen noch nicht vorliegt deu- tet sich aus dem bekannten Zahlenmaterial an, daß die »klassischen« Divisionen der Waffen-SS aus der Masse der Wehrmachtverbände gewiß herausstachen, aber eben mit anderen Eliteverbänden von Heer und Luftwaffe wie etwa der Division

»Großdeutschland« oder der 1. Fallschirmjägerdivision vergleichbar sind29. Aller- dings kann die Gesamtzahl der vergebenen höchsten Auszeichnungen immer nur ein Anhalt für Erfolg und Tapferkeit im Gefecht sein. U m über den Charakter von

27 Das Werk von Dettmer/Jaus/Tolkmitt über die 44. Infanterie-Division geht auf diese Fragen nicht ein.

28 Dennoch stößt man in den Quellen immer wieder auf Belege, die die mangelnde Führungsqualität der SS-Divisionen anprangern. Der Kommandierende General des 48. Panzer-Korps, General Hermann Balck, hat sich im April 1944 bitter über die 9. SS- Panzerdivision beklagt. Die mittlere Führungsebene sei den Anforderungen nicht ge- wachsen. Sein Zorn über den Kommandeur, Obergruppenführer Wilhelm Bittrich, ging so weit, daß er sogar dessen Ablösung beantragte, Bittrichs persönliche Tapferkeit je- doch lobte. Vgl. Gert Fricke, »Fester Platz« Tamopol 1944, Freiburg 1969, S. 107-111, 116-119. Dieser Hinweis kann allerdings nur in Verbindung mit einer noch ausstehenden Bewertung der anderen Operationen der Division im Osten im Frühjahr 1944 zu einem Gesamtbild verdichtet werden. Die überaus negative Einschätzung von Bittrichs Führungsfähigkeiten werfen ein neues Licht auf diesen SS-Führer, der in der Literatur ver- gleichsweise positiv bewertet wird. Vgl. etwa Horst Mühleisen, Wilhelm Bittrich. Rit- terlicher Gegner und Rebell, in: Die SS (wie Anm. 17), S. 77-87.

29 Nach Wegner, Hitlers Politische Soldaten (wie Anm. 9), S. 279 erkämpfte die Division

»Das Reich« 72 Ritterkreuze, die Division »Wiking« 54, die »Leibstandarte« 52, und die Totenkopf division 46 Ritterkreuze. 60 Ritterkreuze (plus 10 höhere Stufen) wurden An-

gehörigen der Division »Großdeutschland« verliehen, 86 (plus 10 höhere Stufen) der 1. Fallschirmjägerdivision (und ihren Vorgängerverbänden), 47 (plus 4 höhere Stufen) an die Division »Hermann Göring«. Helmuth Spaeter, Panzerkorps Großdeutschland, Friedberg 1984, S. 239 f.; Franz Thomas und Günter Wegmann, Die Ritterkreuzträger der Deutschen Wehrmacht, Teil 2: Fallschirmjäger, Osnabrück 1986; Alfred Otte, Die weißen Spiegel. Vom Regiment zum Fallschirmpanzerkorps, [Friedberg 1982],

Insgesamt sind 538 Nahkampfspangen in Gold vergeben worden, 97 (d.h. 16,5 %) gingen an Angehörige der Waffen-SS. Schon allein dieser Umstand läßt erkennen, daß Drauf- gängertum, »Fanatismus« usw. keineswegs nur bei der Waffen-SS zu finden waren.

Manfred Dörr und Franz Thomas, Die Träger der Nahkampfspange in Gold 1943-1945, Osnabrück 1986, S. XIV. Eine genaue Auflistung der von bestimmten Divisionen er- fochtenen Orden befindet sich in dem Werk: Die deutschen Divisionen: 1939-1945. Heer, landgestützte Kriegsmarine, Luftwaffe, Waffen-SS, hrsg. von Peter Schmitz, Osnabrück 1993-2000 von dem die Bände über die Einheiten mit der Nummer 1 bis 25 vorliegen.

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Einheiten mehr zu erfahren, erscheint es angebracht, an gleichen Frontabschnitten kämpfende Divisionen für einen bestimmten Zeitraum miteinander zu verglei- chen. Nimmt man hier einmal die Kämpfe in Frankreich von Juni bis September 1944 heraus, zeigen sich Ergebnisse wie in folgender Tabelle:

Division

Panzer-Lehr-Div.

Hitlerjugend Das Reich Hohenstaufen Frundsberg

Leibstandarte Adolf Hitler Götz v. Berlichingen

Ritterkreuze (inkl. höherer Stufen)*

5 15 13 7 5 4 2

* Eigene Auswertung nach Ernst-Günther Krätschmer, Ritterkreuzträger der Waffen-SS, 3. Aufl., Preußisch Oldendorf 1982; Helmut Ritgen, Die Geschichte der Panzer-Lehr-Divi- sion im Westen 1944/45, Stuttgart 1979, S. 341 f.

Die Diskrepanz zwischen der Division »Hitlerjugend« und der Panzerlehrdivisi- on fällt deutlich ins Auge. Beide Einheiten verkörperten ein »Idealbild« einer Hee- resdivision sowie einer SS-Division. Die Panzer-Lehr-Division bestand aus beson- ders erfahrenen Soldaten der Panzertruppenschulen, die SS-Division »Hitlerju- gend« aus einem Kader von Offizieren und Unteroffizieren der »Leibstandarte Adolf Hitler« und 17jährigen Hitlerjungen. Beide Einheiten waren materiell gut ausgerüstet, beide hatten lange Aufstellungszeiten hinter sich und standen ab dem 7. Juni 1944 zum Teil sogar nebeneinander in der Normandie im Einsatz.

Der Unterschied in den Ordensverleihungen, unterstellt man einmal eine glei- che Vergabepraxis30, ergibt sich vor allem aus der Tatsache, daß bei den SS-Divi- sionen auch Mannschaften, Unteroffiziere und niedrigere Offizierdienstgrade aus- gezeichnet wurden, bei der Panzer-Lehr-Division war' der niedrigste Dienstgrad hingegen Major und Bataillonskommandeur. Setzt man dies nun mit den Verlu- sten in Verbindung, so ergibt sich das Bild, daß die Division »Hitlerjugend« pro- zentual wesentlich weniger Ausfälle zu beklagen hatte, aber dreimal mehr hohe Auszeichnungen erhielt. Allerdings: Um die militärische Professionalität wirklich beurteilen zu können, müßte man die eigentlichen Kämpfe und die hierbei erziel- ten Verluste und Erfolge noch näher untersuchen, wie auch die Urteile der Vorge- setzten und der alliierten Truppenführer miteinbeziehen. Hinzugezogen werden

30 Bislang ist die Vergabepraxis der höchsten Orden noch nicht näher untersucht worden.

An dieser Stelle kann daher nur auf vereinzelte - nicht repräsentative - Aussagen hin- gewiesen werden, die eine ungerechte Ordensvergabe anprangerten. Generaloberst Hans Friessner stellte in seinen Memoiren fest, daß die Waffen-SS durch ihren Sonderdienst- weg viel schneller in den Genuß hoher Auszeichnungen gekommen sei. Hans Friessner, Verratene Schlachten. Die Tragödie der deutschen Wehrmacht in Rumänien und Ungarn, Hamburg 1956, S. 224. Der Fahnenjunker von Helldorf von der Panzer-Lehr-Division meinte aus seinen eigenen Erfahrungen einschätzen zu können, daß bei den SS-Divisio- nen und den Fallschirmjägern schneller Orden verliehen worden seien. S.R.M. 786 vom 12.8.1944, PRO, WO 208/4138.

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sollten auch Informationen über die soziale Zusammensetzung der Panzer-Lehr- Division. Gewiß: Den Stamm der Einheit bildeten die besonders erfahrenen Lehr- truppen. Ein Leutnant vom Panzergrenadier-Regiment 902 äußerte sich in der Ge- fangenschaft allerdings negativ über die alten Lehrtruppenoffiziere, deren Front- erfahrungen aus der Perspektive des Sommers 1944 lange her seien31. Zudem ist bis- lang vollkommen unklar, wie sich die Mannschaften zusammensetzen, welchen Erfahrungsschatz sie mitbrachten, wie viele Volksdeutsche es darunter gab usw.

Ergo: Läßt sich diese Einheit somit aufgrund ihrer sozialen Zusammensetzung, ih- rer Erfahrungen aber auch ihrer Moral überhaupt mit der SS-Division »Hitlerju- gend« vergleichen32?

Man erkennt auch hier, daß eine befriedigende Einordnung der SS-Divisionen nur gelingen kann, wenn man seriöse Vergleiche mit Heeresdivisionen vornimmt und auch deren Motivation, Professionalität üsw. untersucht. So hat die Division

»Das Reich«, obgleich sie erst Ende Juni an der Invasionsfront eingesetzt wurde, ei- ne hohe Anzahl von Auszeichnungen erhalten, deutlich mehr als andere Heeres- divisionen. Dies verdeckt jedoch die Tatsache, daß in der Division Soldaten aus 15 verschiedenen Nationen kämpften, darunter besonders viele Elsässer33. Wie haben sich diese Männer auf dem Schlachtfeld verhalten, wie gelang ihre Integration?

Folgt man den Auszeichnungen, gab es wohl einen harten Kern erfahrener und kampffreudiger SS-Veteranen. Aber gelang es diesen, abgesehen von ihren Ein- zelleistungen, auch einen schlagkräftigen Verband zu bilden?

Heinz Höhne schrieb, daß in der Waffen-SS ein Kriegertum kämpfte, das von keiner anderen Truppe erreicht oder gar übertroffen worden sei34. Dieses Bild gilt mehr oder minder noch heute - zumindest für die klassischen SS-Einheiten, und im englischsprachigen Raum wird man nicht müde, mit Publikationen für ein brei- tes Publikum dies permanent zu unterstreichen35. In kaum einem populärer ange- legten Buch über die Waffen-SS fehlen Hinweise auf »Helden« wie Michael Witt- mann, den angeblich erfolgreichsten Panzerkommandanten des Zweiten Welt- krieges36. Uberprüft worden ist dieses Bild freilich noch nicht. Gewiß lassen sich

31 S.R.M. 562, PRO, WO 208/4138.

32 Die Zusammensetzung der SS-Division »Hitlerjugend« ist relativ gut dokumentiert. Vgl.

Howard Margolian, Conduct Unbecoming: The Story of the Murder of Canadian Priso- ners of War in Normandy, Toronto 1998, S. 1—16 sowie die beiden Divisionsgeschichten:

Hubert Meyer, Kriegsgeschichte der 12. SS-Panzerdivision «Hitlerjugend«, Osnabrück 1982; Craig W. Luther, The 12th SS Panzer Division »Hitler Youth«: its Origins, Training and Destruction, 1943-1944, Ann Arbor 1987.

33 Otto Weidinger, Division Das Reich. Der Weg der 2. SS-Panzerdivision »Das Reich«, Bd 5:

1943-1945, Osnabrück 1982, S. 130; Jürgen Förster, Die weltanschauliche Schulung (wie Anm. 8), Anm. 77. Vgl. auch den Bericht eines Elsässers der 17. SS-Division »Götz von Berlichingen«, S.R.M. 1015 vom 12.11.1944, PRO, WO 208/4139.

34 Höhne, Orden (wie Anm. 10), S. 433.

35 So z.B.: Gordon Williamson, The Blood-Soaked Soil The Battles of the Waffen-SS, Lon- don 1995 oder Arthur J. Barker, Waffen-SS at War, London 1982.

36 Gerade bei den Erfolgszahlen von hochdekorierten Panzerkommandanten wird gerne vergessen, daß es sich im Kampfgetümmel kaum zuverlässig hat ermitteln lassen, wer denn nun wieviel feindliche Panzer abgeschossen hat. Diese Zahlen sind also mit einer gewissen Vorsicht zu behandeln. Ferner gab es ähnlich erfolgreiche Panzerkomman- danten natürlich auch im Heer. Zum Heldenkult um Michael Wittmann vgl. etwa Pa- trick Agte, Michael Wittmann and the Tiger commanders of the Leibstandarte, London 1996.

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zahlreiche Belegstellen in den Quellen finden, in denen die Waffen-SS hoch gelobt wird. So bezeichnete General Eberhard von Mackensen in einem Brief an Himm- ler 1941 die »Leibstandarte« als »wahre Elitetruppe« und lobte ihre »innere Diszi- plin, das frische Draufgängertum, die fröhliche Unternehmungslust und die durch nichts zu erschütternde Krisenfestigkeit«37. Weingartner weist als Beleg für die ho- he Kampfmoral auf ein Gefecht vom 25. November 1941 hin, als eine Einheit der

»Leibstandarte« die Angriffe zweier russischer Divisionen zurückwarf, dabei 310 Rotarmisten tötete, 400 weitere gefangennahm und nur zwei Tote und sieben Ver- wundete verlor38.

Sdynor stößt in seiner Darstellung der Totenkopfdivision ins gleiche Horn und beschreibt das »fanatische« Kämpfertum einiger SS-Männer, die umzingelt von einer Heerschar von Feinden buchstäblich bis zur letzten Patrone kämpf- ten39. Er führt dieses Verhalten wesentlich auf die NS-Indoktrination zurück, die eine »Lust am Töten von Russen« hervorrief und die Bereitschaft erzeugte, »lie- ber zu sterben als zurückzuweichen und schwächer zu erscheinen als der Ras- senfeind«40. Dies klingt plausibel, eine Korrelation läßt sich aber aufgrund der fehlenden Quellen bislang nicht beweisen. Zudem kämpften natürlich auch ganz

»normale« Heeresverbände »verbissen« bis zur letzten Patrone, dies war gewiß keine Besonderheit der Waffen-SS. Wirft man einen Blick auf die weltanschauli- che Schulung, so stellt man fest, daß diese innerhalb der SS-Verbände im Verlauf des Krieges sehr bald an Intensität verloren, während sie beim Heer zweifellos

37 Brief Mackensens an Himmler vom 26.12.1941, zit. nach Höhne, Orden (wie Anm. 10), S. 433.

38 James J. Weingartner, Hitler's Guard. The Story of the Leibstandarte Adolf Hitler 1933-1945, London, Amsterdam 1968, S. 66.

39 Sydnor, Soldaten des Todes (wie Anm. 20), S. 141,162-164; vgl. auch Weingartner, Hit- ler's Guard (wie Anm. 38), S. 92.

40 Sydnor, Soldaten des Todes (wie Anm. 20), S. 165. Kurt Meyer traf in der britischen Kriegsgefangenschaft auf eine Anzahl deutscher Generäle, über deren Haltung er der- art erschüttert war, daß er bemerkte: »Ich möchte gern, daß ein Grossteil der Herren hier meine Division führe, damit sie vom Öpfergeist und vom Fanatismus 'mal irgend etwas sehen würden. Die würden sich in Grund und Boden schämen.« G.R.G.G· 263 vom 18. bis 20.2.1945, S. 3, PRO, WO 208/4177. Standartenführer Lingner, ein SS-Mann der frühen Stunde, der mit der Division »Das Reich« im Osten und mit der Division

»Frundsberg« in der Normandie gekämpft hatte, erklärte einem Hauptmann vom Heer in der Gefangenschaft: »Wir sind doch alle schon in der Penne erzogen worden, den Kampf des Leonidas in den Thermopylen als das höchste einer Opferung für ein Volk anzusehen. Das ist nun mal eben das, woran alles andere sich knüpft, und wenn eben das ganze deutsche Volk ein Volk von Soldaten wurde, dann hat es eben unterzugehen.

Denn dadurch, daß Sie als Menschen denken und sagen: >Mensch, jetzt ist es ja aus mit unserem Volk, es hat ja keinen Zweck, das ist ja Mist<, glauben Sie denn, dadurch spa- ren Sie wesentlich an Blutopfern? Glauben Sie, dadurch werden etwa die Friedensbe- dingungen anders? Doch wohl nicht. Auf der anderen Seite steht es fest, daß ein Volk, das einen derartigen Schicksalskampf nicht bis zum letzten durchgefochten hat, über- h a u p t nicht mehr auferstanden ist als Volk.« S.R.M. 1207 vom 12.2.1945, PRO, WO 208/4140. Die ausführlichen Gespräche von Standartenführer Lingner mit dem besag- ten, nicht näher zu identifizierenden Hauptmann geben einen überaus facettenreichen Einblick in die Erfahrungs- und Gedankenwelt dieses SS-Offiziers. Vgl. dazu auch die Berichte S.R.M. 1205 vom 12.2.1945; S.R.M. 1212 vom 13.(2.1945; S.R.M. 1214 v o m 14.2.1945; S.R.M. 1216 vom 16.2.1945; S.R.M. 1218 vom 17.2.1945, alles PRO, WO 208/4140.

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zunahm41. Ein signifikanter Unterschied in der Kampfmoral und »Standhaftigkeit«

läßt sich weder in der ersten noch in der zweiten Kriegshälfte nachweisen. Mög- licherweise waren hierfür viel stärker noch die Verinnerlichung klassischer sol- datischer Tugenden verantwortlich und weniger eine nationalsozialistische Ideo- logisierung. Das Phänomen der Kampf motivation in vergleichender Perspektive harrt aber noch der Aufklärung.

Das Bild des Waffen-SS-Kämpfers als eines in Stahlgewittern gehärteten, »fa- natischen« Frontkämpfers, der die Elite des deutschen Soldatentums formte und die Feuerwehr an allen Fronten, vor allem in Rußland, bildete, erscheint heute vor allem als ein Mythos, der von der NS-Propaganda im Krieg geboren wurde und sich zählebig bis heute hält42.

Zunächst zur Rolle als »Feuerwehr«: Bis Ende 1942 ging die Waffen-SS in der Masse der Heeresdivisionen praktisch unter. Sie zeichnete freilich eine gewisse Ex- klusivität aus, weil die SS-Divisionen personell erheblich stärker waren als ver- gleichbare Formationen des Heeres und vor allem weil sie motorisiert waren. Die eigentliche Rolle als »Feuerwehr der Ostfront« begründete dann das I. SS-Panzer- korps bei der Frühjahrs- und der Sommeroffensive 1943. Wie vielen Mythen haf- tet auch diesem etwas Wahres an. Die deutschen Offensiven des März und Juli 1943 hätten ohne die SS-Panzerdivisionen gewiß so nicht durchgeführt werden können. Wenngleich sie hier eine weit zentralere Rolle spielten als 1941 oder 1942, stürmten sie natürlich nicht allein auf weiter Flur dem Feind entgegen, sondern im Verband mit Heereseinheiten. Die eigentlich tragende Rolle hat die Waffen-SS nicht im Osten, sondern im Westen, in der Normandie erhalten. Im Juli 1944 foch- ten zehn Panzer- und Panzergrenadierdivisionen in der Normandie, sechs von ih- nen gehörten zur Waffen-SS! Man kann hier somit wirklich davon sprechen, daß auf diesem vermeintlich entscheidenden Kriegsschauplatz43 die Waffen-SS den Kern der Abwehrtruppen stellte. Bernd Wegner hat anhand der von Overmans herausgearbeiteten besonders hohen Verlustzahlen der Waffen-SS in Frankreich

41 Eine umfassende Studie zur weltanschaulichen Schulung aus der Feder von Jürgen För- ster wird demnächst im Band 9 der vom MGFA herausgegebenen Reihe »Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg« erscheinen. Wegner betont, daß der weltanschauliche Unterricht innerhalb der Waffen-SS in der Praxis keinen höheren Stellenwert hatte als im Heer. Wegner, Hitlers Politische Soldaten (wie Anm. 9), S. 164-169,186-194. Vgl. auch demnächst Jürgen Förster, Die weltanschauliche Schulung (wie Anm. 8). Die Ergebnis- se werden durch die Aussagen von Standartenführer Lingner in der Kriegsgefangen- schaft bestätigt. S.R.M. 1216 vom 16.2.1945, PRO, WO 208/4140. Einige Angaben zur weltanschaulichen Schulung der Fallschirmjägereinheiten finden sich bei Hans-Martin Stimpel, Die deutsche Fallschirmtruppe 1942-1945. Einsätze auf Kriegsschauplätzen im Osten und Westen, Hamburg 2001, S. 93-95, 277-284.

42 Die beiden als Standardwerke gepriesenen Bücher von Stein und Höhne sind gespickt mit derartigen Einschätzungen. Vgl. Stein, Waffen-SS (wie Anm. 10), z.B. S. 187 f., 191-194;

Höhne, Orden (wie Anm. 10), z.B. S. 432. Diese Zitate fanden gerade bei den Publika- tionen des Veteranenverbandes der Waffen-SS einen dankbaren Abnehmer, da so die be- sondere Tapferkeit herausgestrichen werden konnte. Beispielsweise: Wenn alle Brüder schweigen. Großer Bildband über die Waffen-SS, 2., verb, und erw. Aufl., Osnabrück 1975, S. 16,86,97,138,176,216,310. Das Bild der Waffen-SS in der Publizistik des »Drit- ten Reiches« und der Nachkriegszeit ist wissenschaftlich noch nicht hinreichend aufge- arbeitet worden.

43 Vgl. Michael Salewski, Die Abwehr der Invasion als Schlüsse] zum Endsieg, in: Die Wehr- macht. Mythos und Realität. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann, München 1999, S. 210-223.

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bereits angeregt, den Blick mehr auf diese Front zu wenden44. Zudem: Gewiß sind die klassischen Divisionen der Waffen-SS immer wieder an Brennpunkte der Fron- ten geworfen worden. Dies war allerdings keine Sonderheit der Waffen-SS, son- dern betraf auch zahlreiche Panzerdivisionen des Heeres, die Division »Hermann Göring« oder Fallschirmjägereinheiten, die wie Schachfiguren zwischen den Fron- ten und Frontabschnitten hin und her geschoben worden sind45.

Auch mit der vielzitierten exklusiven Ausrüstung der SS-Einheiten ist es nicht so weit her46. Gewiß, ein Kern von SS-Divisionen war besonders gut mit modernem deutschen Kriegsgerät ausgestattet. Die neuesten Panzertypen, wie etwa 1943 der

»Panther« und der »Elefant«, wurden aber zuerst Heereseinheiten zugeteilt. Alle

»Panther« kamen beispielsweise zur Division »Großdeutschland«, die noch bes- ser ausgerüstet war als Haussers SS-Divisionen. Diese hatten allerdings auch zahl- reiches modernes Material erhalten, jede Division verfügte schon ab November 1942 über eine Kompanie der kampfstarken Tiger-Panzer. Es gab aber eben auch Heeresverbände, die sieh auf einem ähnlichen Niveau bewegten. Die Division

»Großdeutschland«, erhielt im August 1943 gar ein ganzes Bataillon Tiger-Panzer.

Gleiches gilt für »Jagdpanther« und »Königstiger«, die 1944 nicht in den ersten verfügbaren Exemplaren an die SS-Einheiten ausgegeben wurden, sondern an selbständige Heeresabteilungen. Wirft man einen Blick auf die Lage der Panzer- divisionen in Frankreich am Vorabend der Invasion, stellt man fest, daß von zehn Panzer- und Panzergrenadierdivisionen lediglich vier als voll einsatzbereit einge- stuft wurden: Die 2. Panzerdivision mit 161 Panzern, die 12. SS-Panzerdivision

»Hitlerjugend« mit 158, die Panzerlehrdivision mit 183 Panzern und die 21. Pan- zerdivision mit 124 Panzern. Mit Ausnahme der 21. Panzerdivision und der spä- ter zugeführten 10. SS-Panzerdivision war die Verteilung von Panzertypen bei al- len Divisionen in etwa gleich: Sie erhielten etwa 40 Prozent des kampfstarken

»Panthers« und 60 Prozent des älteren Panzers IV47. Von einem durchweg exklu- siven Charakter der klassischen SS-Einheiten in bezug auf ihre Ausrüstung kann somit nicht die Rede sein, zumal sich ein ganz ähnliches Bild bei dem anderen Großgerät ergibt. Zutreffend ist lediglich, daß die Personalstärke stets deutlich höher lag als bei den Heereseinheiten48.

Diese Bemerkungen sollen freilich nicht darauf abzielen, den Elitecharakter ei- niger Waffen-SS-Einheiten in Frage zu stellen. Doch sie scheinen in allen Phasen des

44 Bernd Wegner, Anmerkungen zur Geschichte der Waffen-SS aus organisations- und funk- tionsgeschichtlicher Sicht, in: Die Wehrmacht (wie Anm. 43), S. 414 f.

45 Nur die »Leibstandarte Adolf Hitler« sticht mit ihren überdurchschnittlich häufigen Ver- legungen aus dem Pulk der SS- und Heeresdivisionen deutlich heraus.

46 Höhne, Orden (wie Anm. 10), S. 437; Stein, Waffen-SS (wie Anm. 10), S. 185 f.; Manfred Messerschmidt, Die Wehrmacht im NS-Staat. Zeit der Indoktrination, Hamburg 1969, S. 427. Dieser Punkt ist bislang noch nicht zusammenfassend untersucht worden. Die nachfolgenden wenigen Bemerkungen können daher nur einige Hinweise sein. Weiter- führende Studien müßten nicht nur die Ausrüstungsausstattung sondern auch die Er- satzgestellung, Verpflegung, Munitionslieferungen, Betriebstoffzuteilungen im Vergleich zu anderen Heeres- oder Luftwaffeneinheiten berücksichtigen.

47 Deutschland im zweiten Weltkrieg, Bd 5, Berlin (Ost) 1986, S. 114.

49 Für SS-Divisionen war ein Personalbestand von 21 000 Mann keine Seltenheit. Die Soll- stärke einer Infanterie- oder Panzerdivision des Heeres lag um mindestens 5000 Mann niedriger. Eine interessante Zusammenstellung der personellen und materiellen Aus- tattung der deutschen Divisionen in der Normandie auf der Grundlage des entspre- chenden Archivmaterials ist im Internet unter http:/ /wl.183.telia.com/~ul8313395/nor- mandy/ abrufbar.

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Krieges keinen so exklusiven Status gehabt zu haben, wie ihnen dies allgemein zu- gesprochen wird. Etwas anderes ist der Bereich des Selbstverständnisses. Hier gibt es etliche Belege, daß sich die Angehörigen verschiedener Waffen-SS-Divisionen als Elite gefühlt haben. Allerdings ist der gesamte Bereich von Selbstverständnis, innerer Kohäsion und Moral noch nicht ausreichend durchleuchtet worden, we- der bei der Waffen-SS' noch bei vergleichbaren Heeresverbänden. So wäre es über- aus interessant, das Selbstbild unterschiedlicher SS-Einheiten in ihrer zeitlichen Entwicklung im Vergleich zu einigen Heerespanzerdivisionen oder auch den Fall- schirmjägern herauszuarbeiten49. Gerade der Vergleich mit letzteren erscheint reiz- voll, weil die Kernverbände beider Gruppen sich Anfangs aus Freiwilligen rekru- tierten und dann durch hohe Verluste und ständige Neuaufstellungen ausgedünnt wurden. Die Veränderung von Professionalität, Moral und Selbstverständnis wä- re also sehr gut zu vergleichen. Mithin ein Unterfangen, was nur in enger Ver- knüpfung mit den Einsätzen dieser Verbände gelingen kann. So wäre danach zu fra- gen, wie bestimmte Operationen, bei den Fallschirmjägern etwa die Eroberung von Kreta, bei der Waffen-SS die Kämpfe an der Ostfront 1943, das Selbstverständnis dieser Einheiten verändert haben. Hat der Fronteinsatz möglicherweise erst ein Elitebewußtsein hervorgerufen? Wie wurden Rückschläge verarbeitet?

Ein Hinweis auf das herausgehobene Elitedenken gerade der Fallschirmjäger mag eine Aussage ihres Kommandeurs, Generaloberst Kurt Student, geben:

»At Cassino the paratroops in a ground role established a reputation as fanatical and expert fighters. New recruits coming into these divisions would capture the spirit and faith that had become part of the paratroop mentality. If the parachute divisions hadn't existed these young men would have been sent either to SS divisions where they would have been inefficiently led, or to Army divisions where morale was incredibly bad50

49 Aus den Abhörprotokollen der in britischer Gefangenschaft befindlichen Soldaten ergibt sich diesbezüglich kein signifikanter Unterschied zwischen Angehörigen der Waffen-SS, des Heeres, der Luftwaffe oder auch der Marine. Es ergeben sich allerdings interessante Ein- blicke, die zumindest die bei Wegner bereits beschriebene Entprofessionalisierung der SS- Verbände veranschaulichen. So berichtete Rottenführer Kannenberg über die Verhältnisse in der SS-Division »Götz von Berlichingen«: »Der Obersturmbannführer [Jakob] Fick war eine Sau. Mit der Maschinenpistole hat er hinten gestanden und hat aufgepaßt, daß keiner zurückgeht. Derjenige, der zurückging, den hat er erschossen! Solche Sau war das! [...] Was sollten die armen Kerls machen! Die konnten doch nicht gegen die Panzer, gegen dieses Fort- schreiten der Amerikaner konnten sie nun nichts machen mit Handgranaten und Gewehr.

Das einzigste, was sie machen konnten, war entweder sich selbst zu erschießen, oder, wenn sie ihr Leben retten wollten, sind sie übergelaufen. So ein Schweinehund, so die Männer zu zwingen! Dann kriegen die Hunde dafür [das] Ritterkreuz, [...] nur durch das Blutver- gießen der Kameraden.« S.R.M. 1021 vom 14:11.1944, PRO, WO 208/4139. Vgl. die Aussagen von Hauptsturmführer Nitsch derselben Division in: S.R.M. 1037, PRO, WO 208/4210. Ja- kob Fick war ein hochausgezeichneter Veteran der SS-Division »Das Reich«. Vgl. Ernst- Günther Krätschmer, Ritterkreuzträger der Waffen-SS, 3. Aufl., Preußisch Oldendorf 1982, S. 491 f. Interessante Einblicke in die hoffnungslose Kampfsituätion beim Endkampf um das Reich bieten die Äußerungen von Obersturmbannführer Dieter Lönholdt, einem SS-Vete- ran und Kampfgruppenkommandeur der SS-Division »Götz von Berlichingen«, der am 18.3.1945 in Gefangenschaft kam. S.R.M. 1254 vom 30.3.1945, PRO, WO 108/4140.

50 Interrogation report of Kurt Student, August 1945, PRO, WO 205/1020, S. 9. In den Quel- len werden bestimmten Fallschirmjägereinheiten häufig überdurchschnittliche Kampflei- stungen bescheinigt. Dies gilt nicht nur für die Verteidigung von Monte Cassino, son- dern auch für den Einsatz der 3. Fallschirmjägerdivision in der Normandie. Vgl. Stim- pel, Fallschirmtruppe (wie Anm. 41), S. 143-146.

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Gewiß haben sich die Fallschirmjäger vielfach durch tapferen Einsatz ausgezeich- net. Allerdings gilt es auch hier ein differenziertes Bild zu zeichnen. So beklagten sich der in Tunesien in Gefangenschaft geratene Oberst Hans Reimann (Kom- mandeur des Panzer-Grenadier-Regimentes 86) und Oberst Keßler (Kommandeur des Grenadier-Regiments 752) - er wurde im Juli 1944 in der Normandie gefan- gengenommen - über das Verhalten von Fallschirmjägern hinter der Front. »Eine verwilderte Truppe«, so Keßler,

»die sich alles erlauben können, weil jedwede Verfehlung gedeckt wird - wie bei der SS. Die SS und die Fallschirmjäger haben sich benommen wie die Schweine. Hinten in Avranches haben die die Tresore der Juweliere mit Hafthohlladungen gesprengt.«

Reimann zeigte sich an diesen Erfahrungen besonders interessiert, weil er mit Luft- waffeneinheiten in Tunesien zusammengetroffen war.

»Da war die berühmte, berüchtigte Hermann Göring Division, ein Scheißhaufen, lauter aufgeblasene Offiziere, großkotzige Affen, junge Schnösel und auch die älteren, die waren so großkotzig, man wußte gar nicht, was das für Leute sind, sie sind beim ersten Angriff auseinandergesprengt worden, sind aber so abgehauen vor den Panzern, wir haben sie aufhalten müssen51

Sicherlich kann man die Aussagen von Reimann und Keßler nun nicht in jeder Be- ziehung für bare Münze nehmen, weil sie eine höchst subjektive Sicht widerspie- geln. Sie weisen darauf hin, daß zumindest von außen die Eliteeinheiten der Luft- waffe und der Waffen-SS gerne in einen Topf geworfen wurden. Abhörprotokolle von Fallschirmjägern deuten zumindest auf ein vergleichbares »Elitebewußtsein«

hin. Leutnant Ingenhoven, er war mit der 2. Fallschirmjägerdivision in Rußland, be- merkte gegenüber einem Oberleutnant vom Heer:

»Ich weiß, die SS hat sich in Rußland auch sehr gut geschlagen und bei uns war immer so'n kleiner Konkurrenzkampf. >Wer kann's beSser< Er oder wir? Wer hält besser, wo brechen sie durch? Wir freuten uns, wenn sie bei denen mal durchgebrochen waren, und die freuten sich, wenn sie bei uns mal anständig gerumpst [sie] haben, die Russen. Sicher ist Biesterei passiert, darüber wollen wir uns alle einig sein. Es sind z u m Teil ganz d u m m e Bubenstreiche, ganz dumme, dreckige Sachen passiert52

Oberst Hans Kroh, einer der prominentesten Fallschirmjägeroffiziere kämpfte eben- falls mit der 2. Fallschirmjägerdivision in Rußland. Er bemerkte in einem Gespräch mit einem Major vom Heer:

»Wir haben [...] rein versorgungsmäßig und kameradschaftlich am besten zusammengearbeitet mit den SS-Verbänden. In Rußland, zum Beispiel, war ich mit der Leibstandarte zusammen und der SS-[Division] Das Reich [...] - das war ein Herz und eine Seele, so war das immer. Dagegen ist sonst beim Heere - leider muß ich sagen - die haben immer auf uns gepickt, und wo sie irgendwie

51 S.R.G.G. 971 vom 9.8.1944, PRO, WO 208/4168. Zur Gleichsetzung der Waffen-SS und der Division »Hermann Göring« als herausgehobene »Präterioanergarden« vgl. S.R.G.G. 39 vom 16.5.1943, PRO, WO 208/4165. Dieser subjektive Eindruck wird von der nun vor- liegenden Einsatzgeschichte der Fallschirmjägertruppe bestätigt, allerdings nicht näher erklärt. Vgl. Stimpel, Fallschirmtruppe (wie Anm. 41), S. 149-152.

52 S.R.M. 687 vom 26.7.1944, PRO, WO 208/4138.

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unseren Fallschirmtruppen was aushacken konnten, da haben sie es gemacht.

Haben sie schlecht versorgt oder irgendwas gemeckert über uns53

Um es nochmal zu sagen: Diese Stimmen sind gewiß nicht repräsentativ. Sie regen aber zu einem Vergleich an. Die Parallelen zwischen Waffen-SS und anderen sich als Elite definierenden Einheiten wie etwa den Fallschirmjägern müßten anhand ih- res Verhalten an und hinter der Front genau untersucht werden. Selbst exemplari- sche Vergleiche liegen noch nicht vor. Dabei wäre natürlich auch die politische Di- mension zu berücksichtigen: Inwieweit gab es etwa bei der Division »Hermann Göring«, die wie Waffen-SS und die Fallschirmjägerverbände formal nur aus Frei- willigen bestand, schon aufgrund ihres Namenspatrons eine Ideologisierung, wie sie bei den Kernverbänden der Waffen-SS zumindest in der frühen Phase nicht von der Hand zu weisen ist? Und wie wirkte sich dies auf das Kampfverhalten oder auf den Hang zu Kriegsverbrechen aus? Inwieweit gab es Sonderlaufbahnen von nicht qualifizierten Offizieren mit politischen Beziehungen54?

Allerdings sollte man seinen Blick auf der Suche nach geeigneten Vergleichs- verbänden zur Waffen-SS nicht nur auf die Divisionen »Hermann Göring« oder

»Großdeutschland« richten. Für ein ausgeprägtes Elitebewußtsein - man könnte hier etwa die 4. Panzer-Division nennen55 - war nicht unbedingt ein besonderer Eh- renname notwendig.

Als Zwischenergebnis läßt sich kurz zusammenfassen, daß von einem exklusiv elitären Charakter selbst der Kernverbände der Waffen-SS wahrscheinlich nicht gesprochen werden kann. Vielmehr gab es wohl eine ganze Reihe von hervorste- chenden Verbänden im Heer, der Luftwaffe und auch der Waffen-SS, die sich vor allem durch ihr Selbstverständnis und ihr Außenbild unterschieden haben. Die bisherige Untersuchung hat einen ganz wesentlichen Punkt allerdings noch nicht behandelt: die Kriegsverbrechen.

Gerade die Verstöße gegen das Völkerrecht gelten als ein typisches Unter- scheidungsmerkmal zwischen Heer und Waffen-SS. Allerdings erscheint es wenig sinnvoll, die bekannt gewordenen Kriegsverbrechen einfach aufzuzählen, wie dies etwa Stein tut56. Man vermag nur etwas über den Charakter der Waffen-SS zu er- fahren, wenn man diese Untaten mit dem vergleicht, was andere Wehrmachtein- heiten angerichtet haben, wobei hier ganz bewußt die Vergehen von Sonderein- heiten wie den Totenkopfverbänden im Polenfeldzug oder der Brigade Dirlewan- ger bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes außer Betracht bleiben sollen. Zudem: Kriegsverbrechen sollten nie isoliert, sondern stets im Zusammen- hang mit den militärischen Operationen betrachtet werden. Nur so läßt sich etwas über den Tathergang und die Motive erfahren. Geschah der Exzeß als Racheakt oder spontan oder gab es etwa einen Befehl von »oben«? Fand der ganze Einsatz

53 S.R.M. 922 vom 28.9.1944, PRO, WO 208/4139. Über die gemeinsamen Einsätze der 2. Fall- schirmjägerdivision in der Ukraine vgl. Stimpel, Fallschirmtruppe (wie A n m . 41), S. 99-128. Zu den z.T. sehr unterschiedlichen Urteilen von Fallschirmjägeroffizieren über die 17, SS-Panzergrendierdivision »Götz von Berlichingen« bei ihrem Einsatz in der Nor- mandie vgl. Stimpel, Fallschirmtruppe (wie Anm. 41), S. 176-178,517 f.

54 Eine wissenschaftliche Arbeit, die sich mit dieser Einheit der Luftwaffe befaßt liegt nicht vor. Alle bislang erstellten Werke werden wissenschaftlichen Maßstäben noch nicht ein- mal im Ansatz gerecht. Vgl. zuletzt Jean Mabire, La Panzerdivision H e r m a n n Goering, Paris 1992!

55 Näheres hierzu demnächst bei Hartmann, Front u n d Etappe (wie Anm. 7).

56 Vgl. Stein, Waffen-SS (wie Anm. 10), S. 243-253.

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womöglich unter einem verbrecherischen Vorsatz statt? Gab es einen Zusammen- hang von Aktion und Reaktion?

Bereits im Frankreichfeldzug sind Einheiten der Waffen-SS durch Kriegsver- brechen aufgefallen. Am 27. Mai 1940 ergaben sich rund 100 britische Soldaten nach heftigem Gefecht einer Einheit der Totenkopfdivision, nachdem ihnen die Munition ausgegangen war. Obersturmführer Fritz Knöchlein stellte die Männer vor eine Scheunenwand und ließ sie mit Maschinengewehren niedermähen. Knöch- lein überlebte den Krieg und wurde von einem britischen Militärgericht zum To- de verurteilt und gehängt57. Die Männer der Leibstandarte haben nur einen Tag später ein ähnliches Verbrechen begangen und ermordeten bei Wormhoudt 80 bis 90 gefangene britische Soldaten58. In diesem Zusammenhang wird aber gerne ver- gessen, daß auch Einheiten des Heeres im Verlauf des Frankreichfeldzuges mehr- fach alliierte Kriegsgefangene ermordeten, insbesondere schwarzafrikanische fran- zösische Soldaten59. Zudem gibt es auch Hinweise darauf, daß sich britische Sol- daten völkerrechtwidrig verhalten und Gefangene der Waffen-SS erschossen ha- ben60, wobei es hier keinen Zusammenhang mit den Untaten von Le Paradis und Wormhoudt gegeben hat. Die Taten der Waffen-SS sind somit prinzipiell nicht sin- gulär, stechen aufgrund ihrer Dimension jedoch heraus61.

Auch im Frankreich des Jahres 1944 machte die Waffen-SS mit einer herausge- hobenen Brutalität gegenüber Kriegsgefangenen auf sich aufmerksam. So hat die SS-Panzerdivision »Hitlerjugend« bei mehreren Vorfällen insgesamt 156 wehrlose kanadische Kriegsgefangene erschossen. Alle Geschehnisse ereigneten sich in den ersten zehn Tagen des Kampfeinsatzes, d.h. vom 7. bis 17. Juni 1944. Die Ge- schehnisse mögen im Detail immer umstritten bleiben. Warum vergleichbare Kriegs- verbrechen nach dem 17. Juni offenbar nicht mehr vorgekommen sind, warum aber auch in den ersten Tagen Kriegsgefangene gemacht wurden, all dies konnte bis- lang nicht beantwortet werden und wird sich vermutlich auch nicht mehr klären lassen62. Erstaunlich ist allerdings, daß offenbar nur diese Division Exzesse in der-

57 Sydnor, Soldaten des Todes (wie Anm. 20), S. 91. Zum Massaker von Le Paradis vgl. auch den Augenzeugenbericht von Herbert Brunnegger, Saat in den Sturm. Ein Soldat der Waffen-SS berichtet, Graz 2000, S. 75-87.

58 Näheres hierzu bei Ian Sayer and Douglas Botting, Hitler's last General: The Case against Wilhelm Mohnke, London, New York 1989, S. 60-85.

59 Im übrigen hat auch die Totenkopfdivision mehrfach afrikanische Gefangene ermordet, Sydnor, Soldaten des Todes (wie Anm. 20), S. 100.

60 Vgl. Angus Calder, The Myth of the Blitz, London 1991, S. 94. Für diesen Hinweis dan- ke ich Jürgen Förster, Freiburg i.Br.

61 Vgl. Jean Paul Pallud, Blitzkrieg in the West, then and now, London 1991, S. 440 f., 478 f., 566; David Killingray, Africans and African-Americans in enemy hands, in: Prisoners of War and their captors in World War Two, ed. by Bob Moore and Kent Fedorowich, Ox- ford, Washington 1996, S. 181-204, insbes. S. 187.

62 Margolian, Conduct Unbecoming (wie Anm. 32), hat unter Hinzuziehung aller verfüg- baren Quellen die Ereignisse dargestellt. Zeugenbefragungen deuten darauf hin, daß auch nach dem 17. Juni noch Erschießungen vorgekommen sind und die Gesamtzahl der von der Division »Hitlerjugend« getöteten Gefangenen mindestens 178 beträgt. Da jedoch keine Leichen gefunden wurden, sind diese Fälle nicht Gegenstand einer Ankla- ge geworden. Dem Divisionskommandeur Kurt Meyer wurde von einem kanadischen Militärgericht die Tötung von 115 kanadischen Kriegsgefangenen zur Last gelegt. Hier- zu auch Rudolf Nassua, Ahndung. Ermordung kanadischer Kriegsgefangener 1944 in der Normandie vor einem kanadischen Militärgericht 1945 in Aurich, Aurich 2001. Wei- tere interessante Angaben lassen sich aus folgenden Quellen entnehmen: Freiwillige Er-

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