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239 Alexander Statiev,

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Alexander Statiev, The Soviet Counterinsurgency in the Western Borderlands, Cambridge: Cambridge University Press 2010, XVI, 368 S., £ 55.00 [ISBN 978-0-521-76833-7]

Sowjetische Truppen befreiten 1944 das Baltikum sowie die westlichen Teile der Weißrussischen und Ukrainischen Sowjetrepubliken von der deutschen Besatzung.

Zahlreiche Untergrundgruppierungen widersetzten sich der folgenden, neuer- lichen Sowjetisierung. Vor allem in jenen Gebieten, die erst seit den späten Dreißi- gerjahren Teile der UdSSR geworden waren, tobten die Kämpfe nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weiter, gingen die sowjetischen Behörden brutal gegen

»nationalistische Banditen« vor und »säuberten« ganze Landstriche. Bis nach dem Tod Stalins 1953 flackerte mancherorts der Widerstand baltischer, polnischer oder ukrainischer Gruppen gegen die kommunistische Staatsmacht auf, ohne dass dies freilich für die KPdSU zu diesem Zeitpunkt noch eine ernst zu nehmende Gefahr bedeutet hätte.

Auf Basis sowjetischer Quellen beschreibt Alexander Statiev die an der west- lichen Peripherie der UdSSR entwickelten Verfahren zur »Befriedung« ethnisch, religiös und kulturell stark heterogener Gebiete. Die geübte Praxis des Einsatzes von Militär und Sicherheitsorganen sowie gezielter sozial- und wirtschaftspoli- tischer Maßnahmen verfolgt er bis in die Zeit des Russischen Bürgerkriegs zurück.

Einem knappen Überblick über die Gesellschaften des Baltikums und Ostpolens in der Zwischenkriegszeit folgt die Darstellung antikommunistischer Widerstands- gruppen mit ihrer Vielzahl sich überlappender nationaler oder ökonomischer Mo- tivlagen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf ukrainischen nationalistischen Struk- turen, während der Widerstand im Baltikum sowie die Fraktionen der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa) eher kursorisch abgehandelt werden.

Statiev zeigt die unterschiedlichen Ebenen, auf denen die sowjetische Führung Bedrohungen des eigenen Herrschaftsanspruches begegnete. Auf dem Fundament der kommunistischen Ideologie fußte der typische Mix aus Agrarreformen und der Umverteilung von Besitz auf der einen sowie Deportationen, Terror, offenen und verdeckten Operationen der Sicherheitskräfte auf der anderen Seite. Eigene Kapitel widmet Statiev den sowjetischen Netzwerken einheimischer und einge- schleuster Informanten, die schon während der deutschen Besatzung ungleich er- folgreicher arbeiteten als jene der Okkupationsmacht. Vor allem in der Übergangs- phase unmittelbar nach Kriegsende machten bewaffnete örtliche Milizen im Auftrag der Behörden Jagd auf die »Kräfte der Konterrevolution«, bevor sie dann zunehmend selbst ins Fadenkreuz des wieder erstarkenden Sowjetstaates gerie- ten. Schließlich finden auch die christlichen Kirchen Betrachtung, die der Staat pha- senweise in den Kampf gegen »Aufständische« einzubinden trachtete.

Die sowjetischen Verfahren, die Statiev unter dem Begriff »Counterinsurgency«

zusammenfasst, werden seit Langem im Kontext der Stalinismusforschung unter- sucht und als Mittel erfolgreicher Herrschaftssicherung beschrieben. Statievs Be- fund, dass die sowjetischen Behörden meist ebenso flexibel wie effektiv auf »nati- onalistische Verwerfungen« in den Westgebieten reagierten, überrascht daher wenig. Der gut lesbare, übersichtlich und nachvollziehbar gegliederte Text ist dort am eindringlichsten, wo er – etwa in einem Kapitel über Gewaltexzesse und Dis- ziplinlosigkeit sowohl auf Seiten der Sicherheitsorgane als auch innerhalb der na- tionalen Widerstandsgruppen – das wahre Gesicht eines langjährigen Kampfes

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zeigt. Dieser erreichte in vielen Gebieten nach der Wiedereroberung durch die Rote Armee neue Höhepunkte und trug mancherorts Züge eines Bürgerkrieges.

Statievs Darstellung von »Counterinsurgency« als einer zentralen Strategie spiegelt sich nur teilweise in seiner Behandlung der Objekte sowjetischer Herr- schaft wider. Zu unterschiedlich waren in der Region zwischen Ostsee und Schwarzem Meer die sozialen, ethnischen und kulturellen Voraussetzungen für die Re-Sowjetisierung sowie die Auswirkungen der deutschen Besatzung. Vorprä- gungen und gesellschaftliche Strukturen bleiben angesichts der Größe des behan- delten Raumes holzschnittartig, die Effekte nationalsozialistischer Ausbeutung ins- gesamt unscharf. Deutschsprachige Literatur wurde nicht berücksichtigt.

Ausführliche Vergleiche mit dem sowjetischen Fall führen Statiev von Latein- amerika über Südostasien bis in den Irak unserer Tage, doch tragen die jeweiligen Beispiele für verschiedene Formen der Aufstandsbekämpfung nur bedingt dazu bei, die Qualität sowjetischer Herrschaftstechniken zu verdeutlichen. Diese, das führt Statievs Buch erneut in eindringlicher Weise vor, waren derart effektiv, dass sie die dauerhafte Einbindung des Baltikums und Ostpolens in die UdSSR und de- ren tiefgreifende Umgestaltung nach sowjetischen Vorstellungen ermöglichten.

Bernhard Chiari

D.M. Giangreco, Hell to pay. Operation Downfall and the Invasion of Japan, 1945–1947, Annapolis, MD: Naval Institute Press 2009, XXIII, 363 S., $ 36.95 [ISBN 978-1-59114-316-1]

Der Autor behandelt minutiös die amerikanischen Invasionspläne für die japa- nischen Hauptinseln im Jahre 1945, genannt Operation Downfall. Leser, die von der ausgesprochen detaillierten Darstellung nicht ermüden, können aus dem Buch daher sicher einigen Gewinn ziehen. Das Werk verfolgt aber eine zweite Absicht:

den Einsatz der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ohne Wenn und Aber gutzuheißen. Hier nun wird die Abhandlung problematisch, da der Autor nicht nur viele Fakten außer Acht lässt, sondern auch potenzielle Gegenargumente völ- lig ignoriert. Da er mangels notwendiger Sprachkenntnisse keinerlei japanische Quellen, sondern nur einige reine Zufallsfunde in englischer Übersetzung benutzt, gibt seine Arbeit fast nur die amerikanische Perspektive wider.

Giangrecos Hauptargument zur Rechtfertigung des Einsatzes von Atombom- ben ist eine Schätzung des ehemaligen US-Präsidenten Herbert Hoover, wonach die Amerikaner im Falle einer Invasion mit 500 000 bis 1 000 000 Toten zu rechnen hätten. Damit lagen dessen Erwartungen doppelt so hoch wie die der Militärs. Der Autor wiederholt diese Zahlen gebetsmühlenhaft bis zum Überdruss und wertet sie als Beweis für die Höhe der zu erwartenden Verluste. Er ist sich aber nicht über die wahren Intentionen Hoovers im Klaren: Dieser hatte davor warnen wollen, Ja- pan zu einem Widerstand bis hin zum nationalen Selbstmord in die Enge zu trei- ben, und übertrieb daher vielleicht bewusst die zu erwartenden Verluste.

Richtig dargestellt ist die Tatsache, dass Kriegsminister Henry L. Stimson den Kontakt zwischen Hoover und Präsident Harry S. Truman hergestellt hatte. In der voraufgegangenen Ära Roosevelt war der Republikaner Hoover im Weißen Haus Persona ingratissima gewesen, da man ihn sehr bequem zum Sündenbock für die Weltwirtschaftskrise 1929 hatte machen können. Stimson aber hatte im Kabinett Hoovers das Amt des Außenministers bekleidet und war trotzdem unter den De-

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mokraten Roosevelt und Truman mit einem Ressort betraut worden, eben dem des Kriegsministers. Ein weiterer Vertrauter Hoovers, den dieser 1932 zum Botschaf- ter in Tokyo ernannt hatte, war Joseph C. Grew, der bis zum Kriegsausbruch im Dezember 1941 auf diesem Posten verblieb und als Autorität für Japan galt. Er fun- gierte 1945 zeitweise als Amtierender Außenminister. Auch er wird von Giangreco mit Schätzungen von ausgesprochen hohen Verlusten für den Fall einer Invasion mehrfach zitiert.

Die Seilschaft Hoover–Stimson–Grew trat zwar auch für eine bedingungslose Kapitulation Japans ein, forderte aber, dem Kaiserreich eine minimale Gesichts- wahrung zu erlauben, um eine Beendigung des Krieges ohne Invasionsschlachten zu erreichen. Dazu gehörte vor allem, die Person des Tenno und die Monarchie als Staatsform zu schonen. Anderenfalls, so ihre Überzeugung, würde es wie gegen Ende des Ersten Weltkriegs in Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn zu einer Revolution kommen, die Japan nach dem Hinwegfegen der Monarchie in den Orbit der Sowjetunion führen würde. Vielmehr sollte ein schonend behandel- tes Japan zu einem starken konservativen Gegengewicht gegen die UdSSR in Asien erhalten bleiben. Daher wandten sich Hoover, Stimson und Grew auch gegen den Einsatz der Atombomben ohne vorherige Warnung. Der neue US-Außenminister, James Byrnes, der in Diplomatie und erst recht in Fernostangelegenheiten völlig unerfahren war, setzte sich mit seiner forschen Art bei Truman im Sinne eines Nu- klearschlags ohne Vorwarnung oder Anzeichen von Kompromissbereitschaft durch.

Hingegen finden Überlegungen innerhalb der japanischen Führung bei Gian- greco nicht die geringste Beachtung. Japanische Staatsmänner werden, wenn über- haupt, nur hin und wieder in einer Endnote erwähnt. Der Autor führt immer wie- der die für die USA verlustreiche Schlacht um Okinawa von April bis Juni 1945 als Beweis an, dass die amerikanischen Invasoren mit einem verbissenen Widerstand der weitgehend noch intakten Streitkräfte auf den Hauptinseln zu rechnen gehabt hätten. In Wirklichkeit aber hatte gerade der Verlust Okinawas zu einem Umden- ken in gewissen Kreisen Tokyos geführt, besonders beim Kaiser, der fortan der Friedenspartei zuneigte. Von dort führte ein gerader Weg zu einem im Juli 1945 über die Sowjetunion unterbreiteten Kapitulationsangebot, das von den USA ge- nauso ignoriert wurde wie jetzt von Giangreco.

Geschichte ist offensichtlich viel komplizierter als in der Schwarz-Weiß-Male- rei des Autors. Als selbst eine Untersuchungskommission des US-Militärs 1946 zu dem Schluss kam, der Abwurf der Atombomben sei offenbar unnötig gewesen, um Japan in die Knie zu zwingen, geriet man in Washington in helle Aufregung.

Der ehemalige Kriegsminister Stimson geriet unter Druck, eine Art »Gegendarstel- lung« zu verfassen. Konservative Kräfte führten ihm die Feder für eine Abhand- lung, wonach kein Weg an dem nuklearen Schlag vorbeigeführt habe. Diese Ver- sion wurde zur offiziellen Devise der USA. Stimson, der eigentliche Gegner des Einsatzes von Atomwaffen, war zur tragischen Figur geworden. Kurz darauf ver- starb er. Erst seit Mitte der 1960er Jahre ist unter dem Einfluss des Vietnam-Krieges die Stimson-Version von amerikanischen Historikern in Zweifel gezogen worden und sorgt bis auf den heutigen Tag in der Geschichtswissenschaft für eine hitzige Kontroverse, die aber Giangreco ebenfalls nicht behandelt.

Gerhard Krebs

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Falko Heinz, Landau in der Pfalz unter französischer Besatzung 1945–1949, Frankfurt a.M. [u.a.]: Lang 2008, 535 S. (= Militärhistorische Untersuchungen, 9), EUR 87,50 [ISBN 978-3-631-58054-7]

Was lässt sich über ein Buch zur Geschichte Landaus in der Pfalz 1945–1949 sagen, dessen Seiten zu über 75 Prozent mit Fußnotentext gefüllt sind? Es kündet vom Fleiß, der Gründlichkeit und möglicherweise auch einer gewissen Auswahlschwä- che des Verfassers in der Vergangenheit, mag für den Leser in der Gegenwart viel- leicht lästig bzw. störend wirken und hat allerdings sehr gute Chancen, in der Zu- kunft ein unverzichtbares quellengesättigtes Standardwerk zum Thema zu werden.

Die aus einer Würzburger Dissertation hervorgegangene Arbeit untersucht,

»wie sich die französische Besatzungspolitik vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland in einer ausgewählten Kreisstadt im deutschen Südwesten auswirkte und gestaltete«. Ausgewählt wurde Landau.

Landau galt schon wegen seiner Lage als »regionaler, die Gesamtentwicklung in der damaligen Provinz Pfalz brennpunktartig widerspiegelnder Knotenpunkt«.

Die Stadt eignete sich somit »in besonderem Maße für eine mikrohistorische Stu- die über die makrohistorisch höchst relevanten Vermittlungsvorgänge zwischen Deutschen und Franzosen«. Der Verfasser wertete die Bestände von sechs Archi- ven in Deutschland, Frankreich und den USA aus. Er bekennt u.a. seine Probleme, Teile von »brisanten« französischen Aktenbeständen einzusehen; diese sind nach wie vor gesperrt.

Landau fiel am 22. März 1945 nahezu unverteidigt in die Hände der Amerika- ner, nur sechs Tage zuvor hatten alliierte Bomber ein Drittel der Stadt in Trümmer verwandelt, darunter auch die Kasernenanlagen im Süden. Die US-Streitkräfte wa- ren auf ihre Rolle als Besatzungsmacht relativ gut vorbereitet, ganz im Gegensatz zur neu erstandenen Armee der Französischen Republik. Diese übernahm am 13. April die Verwaltung in der Stadt und dem Landkreis Landau, genauso, wie es wenige Tage zuvor in den Kreisen Bergzabern, Germersheim und Speyer gesche- hen war.

Bis zur bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht hatte die französische Präsenz nicht nur die Verwaltung zu übernehmen, sondern auch die Nachschub- wege für die kämpfende Truppe zu überwachen. Nach Kriegsende begann sich die Militärverwaltung zu etablieren, die Landauer Garnison zählte nun etwa 1300 Mann, die unterzubringen waren. Da die Kasernen der Wehrmacht zerstört wa- ren, quartierte die Besatzungsmacht sie in die zivilen Häuser ein, was für zusätz- liche Wohnungsnot und Spannungen sorgte. Einerseits hatten Teile der franzö- sischen Einheiten die Erinnerung an das deutsche Besatzungsregime in Frankreich als Handlungsmuster im Kopf, andererseits versuchte die Militärverwaltung den schlimmsten Exzessen der Truppe Herr zu werden.

Die französische Garnison bestand bis 1999, gegen die Planungen zu ihrem Ab- zug intervenierte der Landauer Bürgermeister sogar in Paris. Somit hatte sich in 40 Jahren so etwas wie Freundschaft entwickelt, der Weg dahin aber war sehr lang.

Zu Beginn der Besatzungszeit war die Ansicht der Deutschen etwas »durchwach- sener«. Falko Heinz baut sein Buch zunächst chronologisch auf. Einem Abschnitt über Landau unter amerikanischer Besatzung folgt der Hauptteil über Landau un- ter französischer Besatzung (April 1945 bis September 1949). Diesen untergliedert er in »1. Besatzungstruppen und Militärregierung«, »2. Verwaltung und öffent-

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liches Leben unter Kontrolle der Militärregierung« sowie »3. Besatzungsmacht und Zivilbevölkerung«. Allein der zweite Bereich umfasst 18 Einzelpunkte, wobei sich der Bogen von Requisitionen, Reparationen und Restitutionen über die Lebens- mittel- und Energieversorgung, die Trümmerbeseitigung, die Ausgebombten, Flüchtlinge, Vertriebenen, Kriegsgefangenen, Fremdarbeiter bis hin zur Entnazifi- zierung, Internierung, Parteien, Wahlen, Kirchen, Schule, Kultur, Sport und Feuerwehr spannt. Kapitel drei schließlich geht sehr detailliert auf Restriktionen, Repressio- nen, Ausschreitungen, Zwischenfälle, Widerstandshandlungen, Besatzungsehen und Prostitution ein.

Insgesamt entsteht somit ein faszinierendes Kaleidoskop mit enormer Band- breite, in dem die unterschiedlichsten Facetten der französischen Besatzung im Alltag fassbar werden. Viele Aspekte der Militär-, Politik-, Wirtschafts-, Mentali- täts-, Gender-, Sozial- und Alltagsgeschichte werden am konkret fassbaren Beispiel einer pfälzischen Stadt beleuchtet.

Harald Potempa

Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970. Ausgewählte Biografien. Im Auftrag des MGFA hrsg. von Helmut R. Hammerich und Ru- dolf J. Schlaffer, München: Oldenbourg 2011, VIII, 469 S. (= Sicherheitspoli- tik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 10), EUR 34,80 [ISBN 978-3-486-70436-5]

Die Herausgeber haben eine verdienstvolle Publikation vorgelegt, mit der sich das Militärgeschichtliche Forschungsamt in die sich seit einiger Zeit entwickelnde Ge- nerationenforschung einbringt. Das Amt betritt damit ein neues Forschungsfeld, das gerade für die Bundeswehr und das Verständnis ihrer Geschichte von großer Bedeutung ist. Verdienstvoll sind vor allem vier Punkte. Zunächst, dass als Auf- baugeneration nicht nur die ehemaligen Wehrmachtsoldaten verstanden werden, wiewohl sie auch in diesem Band dominieren, dann, dass alle Dienstgradgruppen vorgestellt werden, also auch die Mannschaften und Unteroffiziere und zum Schluss, dass nicht nur die Erfolgreichen sondern auch die Gescheiterten zu Wort kommen. Das wirklich Besondere an diesem Buch ist aber, dass die Herausgeber einen Schritt über die Fachgrenzen hinaus gewagt und einer Psychoanalytikerin die Texte zu einer Sekundäranalyse überlassen haben. Hier passiert dann das, was über reine Biografik hinausführt.

Vorweg muss ich zudem noch erklären, dass ich selbst zu dieser Aufbaugene- ration gehöre, als Zeitsoldat von 1960 bis 1962 merkwürdige Beobachtungen und Erfahrungen gemacht habe, über die ich damals kaum nachgedacht und erst im Laufe vieler Jahre im Wissenschaftlichen Dienst der Bundeswehr zu entschlüsseln gelernt habe. So kommt in diesem Buch – oft am Rande – vieles zur Sprache, was eben keine Besonderheiten, sondern häufig zu beobachtende Folgen der nicht nur positiven Kriegserfahrungen waren. So erschließt sich dieses Buch nicht nur als Sammlung verschiedener Biografien, sondern als Querschnitt einer speziellen Gruppe und durch das Wiedererkennen eigener Erfahrungen.

Leider ist es in einer Rezension nicht möglich, alle 18 eigenständigen Studien des Bandes annähernd angemessen zu besprechen. Es wird also einiges kursorisch bleiben. Ich habe mir nach einer ersten Orientierung diejenigen Studien genauer angesehen, die meinen eigenen Interessen am Nächsten standen.

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Das Buch ist in vier Hauptkapitel unterteilt, die sich an den Laufbahngruppen der Soldaten orientieren: Mannschaften, subalternes Führungspersonal, Stabsoffi- ziere und Generale. Irritierend ist im Vorwort des Amtschefs allerdings die Bemer- kung: »Die Aufbaugeschichte zu kennen und zu respektieren [Hervorhebung des Rezensenten], ist die Aufgabe aller folgenden Soldatengenerationen.« Das klingt ein wenig nach der Sorge, historische Forschung könne auf gefährliche Weise an den Gründungsmythen der Bundeswehr kratzen – was eine ihrer genuinen Auf- gaben allerdings ist. Sie wird direkt und indirekt auch in diesem Buch geleistet.

Trotz der Berücksichtigung aller Soldatengruppen, selbst der Wehrpflichtigen, hat auch diese Studie die übliche Kopflastigkeit. Die Generalität ist überrepräsentiert, was nicht nur vertretbar ist, weil sie den größten Einfluss auf die Entwicklung der Streitkräfte hatte, sondern auch, weil die Quellenlage dort besonders gut ist. Ein- fache Leute schreiben normalerweise keine Selbstdarstellungen und haben auch kein Archiv über ihre Lebensgeschichte.

Nun zu den einzelnen Texten: In ihrer Einleitung stellen die Herausgeber den historischen Rahmen dar, in dem der Aufbau der Streitkräfte stattgefunden hat. Es werden auch detailliert die Einordnung der Biografien in die Generationenfor- schung, deren theoretische Diskussionen, Bezüge und Grenzen dargestellt. Hier wird auch der Bezugsrahmen der einzelnen Studien und ihre Bedeutung im Pro- jekt definiert.

Nicht deshalb weil mit den Irritationen um das Segelschulschiff »Gorch Fock«

das Interesse an der Marine erwacht wäre, sondern weil hier eine besondere soziale Situation analysiert wird, sei der Beitrag von Malte Thießen erwähnt. Marinesol- daten sind zumindest für die Dauer eines Einsatzes »Gefangene« auf einem Schiff, zudem unter erschwerten und einengenden Lebensverhältnissen. Ein Heeressol- dat kann nach Dienstschluss die Kaserne und das militärische Milieu verlassen, ein Matrose nicht. Die Studie ist gezwungenermaßen auf die Erinnerungen einer speziellen Auswahl angewiesen, die alle als immer noch begeisterte Männer im Alter ihre Aussagen gemacht haben. Die aus anderen Quellen bekannten Probleme mit Ausgrenzung, Gewalt, Alkoholmissbrauch und Depressionen spielen bei die- ser Klientel keine Rolle. Der Autor ist sich all dieser Probleme bewusst, themati- siert sie, wägt sein Material im Bewusstsein dieser Kenntnisse ab und formuliert seine Ergebnisse mit allen diesen Einschränkungen. Diese Studie ist ein kleines Meisterstück in relativierender und argumentierender Analyse problematischer Quellen.

Dieter H. Kollmer hat die Biografie eines letztlich an seinen Ambitionen gemes- sen gescheiterten Hauptfeldwebels rekonstruiert. In seiner detaillierten Darstel- lung wird mehr noch als die deprimierende Geschichte eines gutwilligen Solda- ten das Klima in der Bundeswehr deutlich. Persönliche Bedürfnisse des Soldaten werden ignoriert, mit dem Vorwand von Sachzwängen regelmäßig gegen die In- teressen des Mannes gehandelt, Innere Führung ist offenbar nicht mal dem Wort nach bekannt. Dieser gefühllose Umgang mit dem »Opfer« zeigt die Verrohung der Gefühlswelt vieler Soldaten aus der Wehrmacht, die hier ja die Entscheider ge- wesen sind.

Loretana de Libero recherchiert den Lebensweg eines Kriegsoffiziers, der, unty- pisch für diese Generation, versuchte, seine Erfahrungen in einem Philosophiestu- dium aufzuarbeiten, das er mit der Promotion abschloss. 1955 wurde er in die Bun- deswehr übernommen. Sehr schnell war er wegen seiner Qualifikation eine zentrale Figur im Verteidigungsministerium, die sich mit der damals hoch umstrittenen

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und problematischen Frage der Bewertung der Offiziere des 20. Juli 1944 und ihres Attentates befassen musste. Er warb schon früh auf der Basis des Gründungskom- promisses, dass die Attentäter ebenso wie die »Gutgläubigen Eidtreuen« zu re- spektieren seien, mit Vorträgen, Stellungnahmen und eigenen Publikationen für die Akzeptanz der Attentäter. Die Studie zu seinem Werdegang in der Bundeswehr zeichnet dies detailliert und mit viel Empathie nach. Dabei wird auch deutlich, welche Bedeutung für die letztlich doch erfolgte Akzeptanz des militärischen Wi- derstands die veränderte gesellschaftliche, politische und generationelle Situation gehabt hat.

Helmut R. Hammerich vergleicht zwei Bundeswehrkarrieren von Wehrmachtof- fizieren mit langjähriger »Osterfahrung«. Ihre militärische Sozialisation in der Pan- zer- bzw. Panzerabwehrtruppe und die Tatsache, dass sie zu den höchstdekorierten Offizieren der Wehrmacht gehörten, machte sie für den Aufbau ihrer Truppengat- tungen besonders attraktiv. Sie lösten offenbar ihre Aufgaben in der Bundeswehr sehr gut, gerieten aber als Frontoffiziere und dazu mit oppositionellen Auffas- sungen über die richtige Struktur und Ausrüstung des Heeres der Bundeswehr ins Abseits, wenn es um die Beförderung zum General ging. Dies geschah trotz her- vorragender Beurteilungen und der Fürsprache ihrer jeweiligen Vorgesetzten. Am Rande dieser Studie tauchen auch Hinweise auf merkwürdiges Sozialverhalten ehemaliger Wehrmachtoffiziere auf. Die Studie ist erhellend und gut geschrieben, allerdings nimmt sie im Schwerpunkt und zu dominant den nur militärfachlichen, technokratischen Aspekt militärischen Handelns ins Visier. »Bewährung« kann nicht nur darin bestehen.

Klaus Naumann macht aus der Not eine Tugend. Da ihm nur wenige personen- bezogene Quellen zur Verfügung standen, erschließt er den Lebensweg von Gene- ral von Plato aus den militärischen und sozialen Bezügen dieses Offiziers. Er analy- siert die Aufgaben, intellektuellen, moralischen und fachlichen Herausforderungen, die von Plato zu meistern hatte und skizziert so auch die zum Teil grundstürzenden Veränderungen der militärischen Welt durch die politischen Anforderungen des demokratischen Regierungssystems und dessen Zwänge zur moralischen Umorien- tierung. Diese wiederum betraf nicht nur die neuen innermilitärischen Normen, sondern auch die unübersehbaren Probleme, die mit der befürchteten atomaren Kriegführung verknüpft waren. So werden an der Person die Probleme der Bundes- wehr und ihres Spitzenpersonals in der Aufbauphase der Armee verdeutlicht.

Wolfgang Schmidt hat sich einer im ersten Jahrzehnt der Bundeswehr dominan- ten, aber auch sehr umstrittenen Person gewidmet: General Kammhuber. Dieser ist in einer Art und Weise typisch, die erst in der später folgenden psycho-histori- schen Analyse Elke Horns deutlich wird. Im Ersten Weltkrieg verschüttet, mit Ner- venzusammenbruch und Klinikaufenthalt blieb er – typisch für viele Traumati- sierte – dem Soldatenberuf treu, zeigte aber auch in seiner Laufbahn schon in der Wehrmacht Eigenschaften, die damals besonders goutiert wurden (Härte, Durch- setzungswillen, Kompromisslosigkeit). Allerdings wurde er schon damals als hals- starrig bis zur Unbelehrbarkeit geschildert, was zu seiner Ablösung als Chef der Nachtjagd der Luftwaffe führte, obwohl er diese selbst aufgebaut hatte. Dabei hatte er seine enorme Organisationsfähigkeit bewiesen.

Wenn man aus diesem Aufsatz die Schlüsselbegriffe zur Charakterisierung sei- ner Persönlichkeit zusammenzieht, wird ein erschreckendes Bild deutlich. Von Mit- arbeitern und Untergebenen wurde Kammhuber als kompromisslos, unerbittlich und rücksichtslos auf Ziele fixiert geschildert. Man attestierte ihm Brutalität, List

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und Tücke und die Bereitschaft, ohne Rücksicht auf Verluste zu agieren. Allerdings bescheinigte man ihm auch eine besondere Organisationsfähigkeit und ein beson- ders großes Interesse an Technikentwicklung. Seine emotionslose Gewaltorientie- rung zeigte sich auch darin, dass er eine gnadenlose Atomkriegführung auch auf dem Rücken des eigenen Volkes vertrat. Das Verdienst des Autors dieser gut ge- schriebenen Studie ist, dass die problematische Seite dieser Person in aller Deut- lichkeit vor Augen geführt wird.

An die für Bundeswehrangehörige heikle Aufgabe, ihren Übervater Ulrich de Maizière zu schildern, hat sich John Zimmermann gewagt. Schon der Titel des Auf- satzes nennt ein Charakteristikum dieser undurchsichtigen Persönlichkeit: den Prototyp. De Maizière war schon in der Wehrmacht und im Generalstab des Heeres denjenigen begegnet, die ihn dann ins Amt Blank und in die Bundeswehr holten und ihn dort auch förderten: der Gruppe um Heusinger und Speidel. Sein Weg an die Spitze war immer dadurch gekennzeichnet, es nicht mit den »Alten« – auch denen, die nicht in die Bundeswehr übernommen wurden – und auch nicht mit dem politischen Establishment zu verderben. Dabei blieb vieles unklar: seinem Eintreten für die Innere Führung in der Öffentlichkeit stand seine übervorsichtige und marginale Unterstützung intern gegenüber; undurchsichtig blieb auch seine Rolle bei der Erstellung der sogenannten Schnez-Studie, wobei de Maizière nie klar gemacht hat, wie tief er persönlich daran beteiligt war.

Um es mit den Worten des Autors dieser stark auf de Maizières Memoiren ge- stützten Studie zu sagen: »Inwieweit der Mensch Ulrich de Maizière wirklich ab- solut hinter dem stand, was er nach außen vertrat, muss indes einer detaillierten Untersuchung vorbehalten bleiben.« Und wo de Maizière zukunftsoffen agierte, stimmt sicher auch die Bemerkung: »Der Antrieb kam von außen, von den bis heute gern gescholtenen, sogenannten 68ern, deren Aufbegehren in jeder Hinsicht nach Änderung verlangte.« Diese Sätze charakterisieren auch den Stil des Autors, der klar und verständlich, aber mit einer bundeswehrverträglichen Sprache, also ohne harsche Worte auch Hinweise auf die Vielschichtigkeit der Persönlichkeit Ulrich de Maizières gibt.

Mit der Studie von Elke Horn wagen die Herausgeber einen Sprung über bishe- rige Grenzen hinweg, insbesondere der militärgeschichtlichen Orientierung. Sie baten die Autorin, die Studien des Bandes als Psychoanalytikerin einer Sekundär- analyse zu unterziehen und gaben ihr dazu freie Hand. Das Ergebnis ist hervorra- gend. Die Autorin begründet sehr differenziert, methodisch und theoretisch ihre Herangehensweise, stellt ihre Analyse in den Kontext der psychoanalytischen Stu- dien zu Krieg und Kriegsfolgen beim Individuum wie bei gesellschaftlichen Grup- pen und berücksichtigt dabei auch die psychischen Wirkungen der politischen Ent- wicklung. Im Mittelpunkt steht dabei der Ost-West-Konflikt mit seinen Folgen für Gesellschaft, ehemalige und neue Soldaten.

Konkret macht Horn bei der alten Soldatengeneration vorauseilenden Gehor- sam, Hörigkeitsverhältnisse gegenüber Vorgesetzten sowie unhinterfragte Vorstel- lungen von Pflicht, Opferbereitschaft und Kameradschaft aus. Opferbereitschaft wirkte sich konkret bei der Generalität darin aus, völlig bedenkenlos ganze Bevöl- kerungsgruppen und Regionen dem erwartbaren Untergang im atomaren Krieg zwischen Ost und West preiszugeben.

So zusammengefasst ist das starker Tobak, aber den generalisierenden Feststel- lungen folgen die einzelnen Personenbeispiele, an denen all dies exemplifiziert wird. Mit diesem anderen Blick auf die Biografien steht nicht mehr die militärische

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Leistung und der Erfolg oder Misserfolg im Zentrum, sondern psychische Antriebs- kräfte und Verhaltensmuster, also die Person, nicht der Amtsinhaber.

Diese Sicht und die individualpsychologischen Feststellungen wie auch die Cha- rakterisierung der Binnenverhältnisse der Armee werden militärische Traditionalis- ten zu heftigem Widerspruch reizen. Es ist absehbar, dass, wie bisher meistens, die Wissenschaftlichkeit der Studie bestritten wird – ein alter Trick, der hier umso leich- ter greifen kann, als die Studie von Elke Horn ja keine »vom Fach« Militärgeschichte ist. In der öffentlichen Diskussion kann es dann auch etwas ruppiger werden, wie in der FAZ am 14.2.2011, wo der »Hofhistoriker« der Zeitung die Studie nach einer wohlwollenden Charakterisierung der anderen Aufsätze als »grobschlächtig« ab- gewertet hat. Argumente sind dann überflüssig.

Wer wie ich diese Aufbauzeit der Bundeswehr offenen Auges erlebt hat, wird sich an viele Merkwürdigkeiten und Verhaltensstörungen seiner Vorgesetzten aus der Kriegsgeneration erinnern. Das reichte von Essstörungen eines Stabsoffiziers, dem es deswegen unmöglich war, seine Mahlzeiten in Gesellschaft einzunehmen, bis zu Kammersuff und organisiertem Alkoholmissbrauch, dem Absingen von Na- ziliedern und Prahlen mit Mordgeschichten noch bis in die 1970er Jahre. Für Psy- chologen sind das alles pathologische Erscheinungen, die sich nicht ohne die psy- chischen Erfahrungen, Traumatisierungen eingeschlossen, dieser Generation mit den Gewaltexzessen des Kriegs erklären lassen. Diese Dimension der Aufbauge- neration vorsichtig und höchst differenziert ausbuchstabiert zu haben, ist das große Verdienst der Autorin.

Ein Tipp für unvoreingenommene Leser des Buches: Da sich Elke Horn auf die im selben Buch veröffentlichten Studien stützt, wird man ihrer Sekundäranalyse nur dann wirklich gerecht, wenn man diese Studien vorweg gelesen hat. Eigent- lich eine Selbstverständlichkeit.

Martin Kutz Militärakademie »Friedrich Engels«. Historisch-kritische Nachbetrachtung zum 50. Jahrestag ihrer Gründung. Beiträge zum Kolloquium am 10. Januar 2009 im Rathaus Dresden, Dresden: Dresdner Studiengemeinschaft Sicher- heitspolitik e.V. (DSS) 2009, 310 S. (= DSS-Arbeitspapiere, 95), EUR 10,00 [ISSN 1436-6010]

Das Buch führt den Untertitel: »Historisch-kritische Nachbetrachtung zum 50. Jah- restag« der Gründung – er hätte auch anders lauten können, wie ein Autor ver- merkt: »30 Jahre Militärakademie ›Friedrich Engels‹ und 20 Jahre Rückbesinnung an Erreichtes und Versäumtes an Gelungenes und an Versagen« (S. 126). Vielleicht wäre dieser Untertitel der treffendere gewesen, denn die Rückblicke der Autoren aus Bereichen innerhalb und außerhalb der Akademie könnten unterschiedlicher nicht sein. Einerseits werden Lebenswerke verteidigt, alte Denkweisen kolportiert, es wird weggelassen oder überhöht. Auf der anderen Seite stehen viele kritische und lesenswerte Einschätzungen, wird nach Ursachen geforscht, warum man so und nicht anders gehandelt hat oder handeln konnte. Das ist nicht nur mensch- lich, es kann bei der Brisanz des Themas auch nicht verwundern.

Die Militärakademie (MAFE) der Nationalen Volksarmee in Dresden war die höchste militärische Bildungseinrichtung der Armee. Sie sollte Führungspersonal schmieden, das fähig und bereit war, Frieden und Sozialismus sowie die Herrschaft

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der SED zu schützen. Wer hier oft über Jahrzehnte forschte und lehrte, war vom Sozialismus als der besseren Gesellschaft überzeugt, glaubte an die Vorreiterrolle der Sowjetmacht im als gesetzmäßig deklarierten Prozess der Formationsab- folge.

Die Militärakademie ging aus der Hochschule für Offiziere der Kasernierten Volkspolizei (KVP) und der 1956 geschaffenen Hochschule für Offiziere der NVA hervor und wurde am 5. Januar 1959 gegründet. Welche Erwartung die SED mit der Gründung verknüpfte, betonte Parteichef Walter Ulbricht in der Eröffnungs- vorlesung: Die Akademie solle das wissenschaftliche Zentrum der marxistisch-le- ninistischen Theorie vom Krieg und von den Streitkräften und der sowjetischen Erfahrungen von der Verteidigung des Sozialismus werden und »immer eine Stätte des sozialistischen Geistes und revolutionären Handelns« sein.

Folglich war die Ausbildung an der Akademie von den kommunistischen Idea- len geprägt, von der sozialistischen Weltsicht auf Gut und Böse und von der ideolo- gischen Auseinandersetzung des Kalten Krieges. Dass sie dabei nicht nur befähigte Kommandeure und Militärspezialisten ausbildete, die sich in ihren Diplomarbei- ten und Dissertationen u.a. mit der Führ- und Gewinnbarkeit eines Krieges mit nuklearen Mitteln befassten, sondern zugleich das ideologische Rüstzeug dazu lie- ferte, gehörte zu ihren originären Aufgaben.

Die Militärakademie war mit etwa 6300 Offizieren, die hier studierten und ca. 8000 Offizieren und Generalen, die sich weiterbildeten, bis 1990 tatsächlich die militärisch, aber auch politisch mehrere Offiziergenerationen und damit die NVA prägende Einrichtung. Der Beitrag von Paul Heider (die genannten Personen wa- ren außer Wenzke – heute Wiss. Direktor am MGFA – und Schmidt – Prof. an der Akademie der Wissenschaften der DDR – Oberste/Kapitäne zur See und Lehrstuhl- leiter bzw. Fachgruppenleiter an der MAFE) spiegelt die enge Anbindung der Akademie an die SED-Führung sowie die Anforderungen zur politischen Indok- trination des Offizierkorps und als »Kaderschmiede« für den Atomkrieg wider.

Von Anbeginn habe es, das betont auch Wolfgang Scheler, die Diskrepanz zwischen Wissenschaftlichkeit und der militärisch-politischen Instrumentalisierung gege- ben. Die Akademie konnte sich dennoch in den drei Jahrzehnten ihrer Existenz zur Wissenschaftseinrichtung entwickeln, allerdings innerhalb der von der SED ge- setzten Grenzen (S. 62).

Das aber war Voraussetzung, um weg von starren politischen Vorgaben auch Neues zu denken und in den 1980er Jahren mutig gegen den politischen »main- stream« für Überzeugungen einzutreten. Initiiert vom Lehrstuhl für Philosophie, war in der MAFE ein Wandel feststellbar, konstatiert Heider. Während Offizierhö- rer auf der Karte noch mutig mit taktischen Atomschlägen um sich warfen und ihre Truppen, physisch und psychisch unversehrt, nachfolgend zum Angriff führten, betonten führende Köpfe wie Scheler und Lehmann bereits in Abänderung von Clauswitz‘s Erkenntnis, dass »der Krieg im Atomzeitalter nicht mehr die Fortset- zung der Politik mit anderen Mitteln, sondern das Ende der Politik« sei (Wolfgang Scheler, Die Lehre von Krieg und Armee und die sozialistische Friedensstrategie.

In: Militärgeschichte im Klassenkampf unserer Zeit, Protokoll der wissenschaft- lichen Konferenz des Militärgeschichtlichen Instituts der DDR anlässlich des 100. Todestages und 165. Geburtstages von Karl Marx, 24.3.1983, Potsdam 1983, S. 65). Das Begreifen, dass eine atomare Auseinandersetzung weder führ- noch ge- winnbar war, gipfelte in der Erkenntnis, dass Krieg sinnlos geworden war und die Hochrüstung die Existenz der Menschheit gefährdete. Die MAFE wurde damit,

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trotz heftiger Kritik aus Militärführung und Politischer Hauptverwaltung der NVA, Impulsgeber des »neuen Denkens« in der Armee und für eine demokratische Mili- tärreform. Dies alles aber ermöglichten letztlich erst Perestroika und Glasnost so- wie die neue Militärdoktrin in der Sowjetunion.

In ihrer Zeit forschte die Akademie, wie Wolfgang Demmer zeigt, in bis zu vier- zig Lehrstühlen. Die Sektion Landstreitkräfte erarbeitete eine Gefechtssimulation, die Sektion Technik und Bewaffnung und Rückwärtige Dienste simulierte die Wie- derherstellung der Einsatzbereitschaft von Militärtechnik im Krieg, die Sektion Seestreitkräfte analysierte Gefechtsmöglichkeiten der Flottenkräfte in Ost- und Nordsee und die Sektion Luftstreitkräfte/Luftverteidigung entwickelte für den Luftkampf einen integrierten Führungs- und Trainings-Komplex. Das kostete, wie die Verteidigungsanstrengung der DDR insgesamt, viel Geld. Das Wettrüsten war aber nicht die Ursache des Untergangs der DDR, die Wirtschaft war ineffizient, es mangelte an Demokratie, Gewalt wurde überbetont (S. 129), verdeutlicht Siegfried Schönherr. Hochinteressantes folgt zur Konversion in der späten DDR.

Man erfährt im Band auch einiges über die Zusammenarbeit mit der 1987 neu entstandenen DDR-Friedensforschung (Max Schmidt) oder zur Militärwissenschaft, die als Wissenschaftsdisziplin mit der DDR unterging (Rainer Böhme). Eberhard Hau- eis setzt sich kritisch mit der Lehre zur Führung der politischen Arbeit in der NVA auseinander und Klaus Götze schildert erbaulich, wie die Akademie ihren Namens- geber rezipierte – nämlich wie das Grasen einer Herde auf der Wiese, es wurde ge- nommen, was schmeckte und dieses jahrzehntelang wiedergekäut (S. 282).

Es ist eine bunte Mischung von Beiträgen entstanden – lesenswerte, die dem Anspruch der kritisch-historischen Nachbetrachtung gerecht werden, aber auch solche, die rechtfertigend, selbstlobend oder erschreckend der alten DDR unkri- tisch verhaftet geblieben sind. Es schmerzt schon, wenn die politische Beeinflus- sung als notwendige Truppenpraxis betont (S. 226 f.), der Auftrag der Grenztrup- pen, den »Gegner vernichten«, als »leichtfertige Haltung zur Anwendung der Schusswaffe« (S. 156) deklariert wird oder ernsthaft behauptet wird, das an der MAFE das Feindbild keine Rolle spielte bzw. der Gegner real und ohne politische Überhöhung eingeschätzt wurde. Ein Studium der Diplomarbeiten und Disserta- tionen der Akademie beweist anderes.

Die mangelnde wissenschaftliche Aufarbeitung der höchsten Lehreinrichtung der NVA beklagt Rüdiger Wenzke zu Recht. Trotz breiter Archivquellenbasis gibt es kaum Analysen zur MAFE, es fehlen Vergleiche mit Lehreinrichtungen der ande- ren Warschauer-Pakt-Staaten oder auch mit der Führungsakademie der Bundes- wehr auf westlicher Seite. Und das vorliegende Buch lässt manche Fragestellung offen, so zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als

»Informelle Mitarbeiter« oder zum Umgang mit Andersdenkenden. Dennoch: Mit der Publikation ist ein erster Schritt zur kritischen Bestandsaufnahme gelungen.

Torsten Diedrich NVA – Die roten Preußen? Zeitzeugenberichte. Hrsg. von Guntram König, Aachen: Helios 2010, 219 S., EUR 19,90 [ISBN 978-3-86933-026-6]

Nach seinem Buch über die »ČSSR-Intervention 68« [Rez. in: MGZ, 68 (2009), S. 271–274] wendet sich der ehemalige Maschinenschlosser und jetzige Rentner Guntram König als Herausgeber erneut in Form von »Zeitzeugenberichten« einem

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durchaus wichtigen Themenfeld der Geschichte der Nationalen Volksarmee (NVA) zu. Diesmal geht es um die Frage, ob die NVA als »rote Preußen« charakterisiert werden kann. Für den Herausgeber und einige seiner Autoren, allesamt ehemalige Angehörige der DDR-Volksarmee, stellt sich diese Frage offenbar nur rein rheto- risch, denn das vorliegende Buch setzt sich nicht wirklich mit der NVA und ihrem ambivalenten Verhältnis zum »Preußentum« auseinander. Der Sammelband soll vielmehr, wie der Einleitung zu entnehmen ist, »Preußisches« oder »Nichtpreußi- sches« im ostdeutschen Militär »allgemeinverständlich, unterhaltsam und informativ«(S. 7) erkennen lassen. Diesem Ziel dienen fünfzehn »Zeitzeugenbe- richte«, die in ihrer Qualität und Aussagekraft sehr unterschiedlich sind, und von denen zudem etwa die Hälfte mit klassischen Erinnerungsbeiträgen nichts zu tun hat.

Ein Beitrag ragt jedoch aus diesem Sammelsurium besonders heraus. Er wurde von Dieter Flohr, Fregattenkapitän a.D. und ehemaliger Militärjournalist der NVA, verfasst. Flohr ist bereits in den vergangenen Jahren durch eine Vielzahl eigener Publikationen vor allem zu den DDR-Seestreitkräften (»Volksmarine«) in Erschei- nung getreten. Er beschäftigt sich im vorliegenden Band mit dem Zeremoniell und dem Brauchtum in der Volksmarine. In bester journalistischer Manier werden dem Leser sachliche Informationen und Zusammenhänge, vermischt mit persönlichen Erlebnissen und witzigen Anekdoten präsentiert, die selbst für manche »Insider«

interessant sein dürften. Flohr äußert sich u.a. zur maritimen Sprache, zur Uni- form, zu Flaggen und Salute ebenso wie zum Brauchtum auf den Schiffen, zu Pa- raden und Flottenbesuchen der ostdeutschen Marine. Er selbst war 1957 als Offi- zierschüler zum Bordpraktikum auf ein Küstenschutzschiff nach Sassnitz kommandiert worden und wurde dort erstmals mit dem spezifischen Brauchtum und Zeremoniell konfrontiert. Diese basierten in erster Linie auf traditionellen ma- ritimen Gepflogenheiten, die die Seeleute der ehemaligen deutschen Kriegsma- rine, vorrangig ehemalige Obersteuerleute, Obermaschinisten und andere Spezi- alisten, in die jungen DDR-Seestreitkräfte einbrachten und weiter pflegten. »Es gab aber auch den Begriff der seemännischen Kultur auf den Schiffen. Der schloss nicht nur die peinliche Sauberkeit auf und unter Deck ein, sondern auch den seemänni- schen Umgang mit Tauwerk, Waffen, Flaggen und Drahtwerk. Darauf achteten die durchweg gut ausgebildeten und guten Seeleute in Gestalt der Oberbootsmänner.

Die reichten nicht nur den Rosthammer oder Farbe und Pinsel oder den Eimer mit dem Schmierfett bei jeder günstigen Gelegenheit aus, sondern achteten vor allem auf den Messingputz. Obwohl in späten Jahren der Volksmarine nur noch wenig Messing im Schiffbau zum Einsatz kam, blieb doch genügend übrig, um mit der Si- dolflasche und dem weichem Tuch Schiffsglocken, Handläufe der Niedergänge, Teile der Reling und viele Spannschrauben täglich auf Hochglanz zu bringen« (S. 76).

Wie Flohr schreibt, waren es vor allem der langjährige Chef der Volksmarine, Admiral Wilhelm Ehm, und sein erster Chef des Stabes, Konteradmiral Heinrich Neukirchen, die das maritime Brauchtum und Zeremoniell in der DDR-Marine auch gegen manche Widerstände von außen durchsetzten und erhielten. Dies ge- lang jedoch nicht immer. So wurde entgegen der deutschen Tradition der noch an- fangs eingeführte Dienstgradzusatz »zur See« bei jüngeren Offizieren ebenso wie- der abgeschafft wie die allgemeine Anrede »Kapitän« für höhere Stabsoffiziere.

Dennoch ist der Leser darüber erstaunt, welche traditionellen Formen des Brauch- tums es in der »sozialistischen« Volksmarine der DDR über Jahrzehnte hinweg gab. Dazu gehörten u.a. das »Seite« pfeifen der Stellingsgasten oder Stellingsmaate

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(Erich Honecker erhielt z.B. vier Maate oder sechs Matrosen), das Ausrichten von Neptunfesten an Bord (auch wenn kein Schiff der Volksmarine jemals den Äqua- tor überquert hatte) sowie die Durchführung des sogenannten Seemannssonntags, der traditionell immer auf einen Donnerstag fiel und zu dem sich Besatzungsmit- glieder für eine kurze Zeit in der Schiffsmesse bei Kaffee und Kuchen zum »Klö- nen« trafen.

Freilich hat das alles wenig oder gar nichts mit Preußen oder dem »Preußen- tum« zu tun, wie der Autor selbst anmerkt. Flohr ist auch zuzustimmen, wenn er am Ende seines sehr lesenswerten Beitrages zu dem Schluss kommt, dass das tra- ditionelle maritime Zeremoniell in der Volksmarine »stets auch ein bedeutender Faktor für die Bindung an die Truppe, das Zusammengehörigkeitsgefühl, den Stolz« und schließlich auch für die »Disziplin und Kampfkraft« (S. 104) war.

Leider bietet der Band höchstens noch zwei weitere Beiträge, die ähnlich gut lesbar und informativ sind. So erinnert sich Hans Irrgang an das unmögliche Füh- rungsverhalten eines selbstherrlichen, vermeintlich »roten Preußen« in NVA-Uni- form. Die Hauptperson seines Berichts, ein ehemaliger Wehrmachtunteroffizier und späterer NVA-Offizier, brachte es trotz mancher Verfehlung und trotz einer Rüge durch die Zentrale Parteikontrollkommission der SED schließlich doch noch bis zum Generalmajor der DDR-Volksarmee.

Insgesamt ist das Ansinnen des Herausgebers, Erinnerungen von Zeitzeugen unterschiedlicher Dienstgradgruppen und Teilbereiche der NVA, insbesondere über den Alltag der Armeeangehörigen, in Buchform festzuhalten und einer grö- ßeren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, unbedingt zu begrüßen. Es hätte dem Band jedoch gut getan, wenn er sich auf diese Kernaufgabe sowie auf eine or- dentliche Einleitung, ein professionelles Lektorat und nicht zuletzt auf einen zu- treffenden Sachtitel konzentriert hätte. Jetzt verspricht der Titel weitaus mehr, als der Inhalt des Bandes hergibt.

Rüdiger Wenzke

Bernd Greiner, Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam, Hamburg: Ham- burger Edition 2007, 595 S., EUR 35,00 [ISBN 978-3-936096-80-4]

Am Morgen des 16. März 1968 überfiel die C Company der »Task Force Barker«

in Vietnam mehrere Ortschaften in der Gemarkung Son My und massakrierte in- nerhalb weniger Stunden an die 500 Zivilisten. Dieses erst am 20. November 1969 in die amerikanischen Medien gelangte »My Lai«-Massaker bildet den Kern der umfänglichen Studie des Hamburger Historikers und Politikwissenschaftlers Bernd Greiner.

Umfassend, detailliert, differenziert und nüchtern (d.h. ohne jegliches morali- sierendes Pathos) präpariert er schonungslos die Ursachen, die Voraussetzungen und die Rahmenbedingungen heraus, die zu jenem, zum Symbol für die gesamte amerikanische Kriegführung in Vietnam geronnenen Kriegsverbrechen, führten.

Und daran, dass diese Symbolisierung völlig zu Recht besteht, lässt Greiner kei- nen Zweifel. Denn »My Lai« war kein Einzelfall. Vielmehr war es ein nachgerade folgerichtiges Endprodukt der gesamten Anlage dieses Krieges, tendenziell eher dessen Normal- als dessen Sonderfall.

Bei der Rekonstruktion der Bedingungen dieses Krieges fängt Greiner syste- matisch »von oben« bei den überpersönlichen Gegebenheiten an und schildert zu-

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nächst die Eigenheiten eines asymmetrischen Krieges. In ihm stehen sich eine kon- ventionelle reguläre Armee und irreguläre Freischärler gegenüber. Die Grenzen zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten sind von vornherein nicht klar zu ziehen und verwischen sich mit Fortdauer des Krieges immer weiter. Der ver- meintlich Schwächere beider Kriegsparteien hat zudem kein Interesse an einer schnellen Beendigung des Krieges: »Im Gegenteil. Die Zeit ist sein stärkster Ver- bündeter. Solange der Schwache nicht verliert, hat er gewonnen.« Der vorgeblich Starke ist hingegen »zum Sieg verdammt, um nicht zu verlieren« (S. 44). Je mehr Zeit verstreicht, desto unwiderstehlicher wird der (politische) Druck auf den Starken, den Sieg endlich herbeizuführen – oder sich aus dem offensichtlich nicht gewinnbaren Krieg zurückzuziehen. Die Siegbedingungen beider Parteien sind mithin sehr unterschiedlich. Der Starke hat den »schwarzen Peter«. Er muss – mög- lichst schnell – klar siegen, um nicht zu verlieren. Der Schwache kann ihn einfach

»aussitzen«. Auch wenn er nur »übrig bleibt« so hat er doch gewonnen. Greiner ist zuzustimmen: Unter diesen Bedingungen besteht zwischen asymmetrischer Kriegführung und entgrenzter Gewalt ein unmittelbarer Zusammenhang.

Hinzu kam damals das Bestreben der Kennedy-Administration, Politik ratio- nal zu gestalten. Es kulminierte in der Quantifizierungsmarotte des amerikanischen Verteidigungsministers und ehemaligen Ford-Präsidenten Robert S. McNamara, der – wie Greiner vor Augen führt – an nichts als an Zahlen glaubte. McNamara formulierte, wie aus seiner Karriere in der freien Wirtschaft gewohnt, quantifizierte Zielvorgaben, deren Einhaltung er akribisch kontrollierte. Greiner beschreibt aus- führlich, wie der hiervon ausgehende »Controlling«-Druck durch alle militärischen Führungsebenen hindurch bis zu den Platoons hin »nach unten« weitergereicht wurde und welche absurden und fatalen Folgen es nach sich zog, wenn die wei- teren Karriereaussichten eines Offiziers von der Erreichung quantifizierter »Min- deststandards« abhängig waren.

Denn einerseits nahm der Vietnamkrieg hierdurch zu einem Gutteil den Cha- rakter eines »fiktiven Krieges« an, in dem auf allen Ebenen nur mehr oder weni- ger geschönte Zahlen »nach oben« gemeldet wurden. Oft wurden beispielsweise Feindkontakte völlig frei erfunden – nur um die entsprechenden statistischen Ziel- vorgaben zu erreichen. Und wenn zum anderen der body count, die Anzahl der ge- töteten Feinde für die weiteren militärischen Karriereaussichten eines Platoon-Füh- rers ausschlaggebend ist, dann scheint im Laufe der Jahre in diesem asymmetrischen Krieg die Versuchung gewachsen zu sein, beliebig Zivilisten zu töten und diese dann in Nachhinein einfach zu getöteten Vietcong umzudeklarieren.

Greiner betont zu Recht, dass die Brutalisierung des Vietnamkrieges nicht etwa darauf zurückzuführen war, dass die Truppe ihren Offizieren mehr und mehr ent- glitten sei. Vielmehr sei die Brutalisierung von diesen zumindest billigend in Kauf genommen, wenn nicht gar intendiert worden: Hierdurch entstand geradezu ein Kult des Tötens, der dann die Truppe zunehmend verrohen ließ. Den Offizieren erging es dabei wie dem Zauberlehrling. Greiner schlussfolgert: »Die Führung der Truppe wurde nicht leichtfertig preisgegeben, sondern unter besonderen Bedin- gungen auf eine vermeintlich angemessene Weise gehandhabt« (S. 286).

Im nächsten Abschnitt rekonstruiert Greiner dann den Verlauf des My Lai-Mas- sakers. Eindrucksvoll beschreibt er die Handlungsdynamik des Geschehens: Der in My Lai selbst das Kommando innehabende Platoon-Führer, Lieutenant William Calley, war von den ihm unterstellten Männern von vornherein nicht ernst genom- men worden. Seine Vorgesetzten zogen ganz unverblümt seine Kommandoeig-

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nung in Zweifel. Calley sah sich daher dem Zwang ausgesetzt, sich »nach oben«

wie »nach unten« hin gleichzeitig als unerschrockener und harter, tötungsbereiter Anführer zu beweisen.

Aber auch ein Gegenbeispiel für diese Haltung lässt Greiner nicht unerwähnt:

Der amerikanische Pilot Hugh Thompson brachte im Verlauf des Massakers den Mut auf, die Rettung einer Gruppe von mit dem Tode bedrohten vietnamesischen Zivilisten dadurch zu ermöglichen, dass er die mordbereiten amerikanischen Bo- dentruppen mit den Bordwaffen seines Kampfhubschraubers in Schach hielt.

In seinem abschließenden Abschnitt über die gerichtliche Aufarbeitung von My Lai lässt Greiner deutlich werden, in welchem ungeheuerlichen Maße in den zu- gänglichen amerikanischen Miltär-Akten die Kriegswirklichkeit Vietnams ver- schleiert wurde. Gleichwohl ist sie zwischen den Zeilen sehr klar herauszulesen.

Platoon-Führer Calley wurde im Laufe des Gerichtsverfahrens zum Sünden- bock gemacht – um Fragen nach ranghöheren Verantwortlichkeiten zu unterlau- fen. Gleichwohl kam die Beschäftigung mit dem verbrecherischen Aspekt des Viet- namkrieges zumindest im Kreise amerikanischer Intellektueller einem Kulturschock nahe.

Insgesamt legt Greiner eine zutiefst beeindruckende Studie über das Entstehen von Gewalt und Gewaltbereitschaft vor – eine bedeutende Studie zum Vietnam- krieg, die auch verstörende Ausblicke auf die conditio humana öffnet.

Enrico Syring

Jerry Miller, Stockpile. The Story Behind 10,000 Strategic Nuclear Weapons, Annapolis, MD: Naval Institute Press 2010, XIX, 275 S., $ 37.95 [ISBN 978- 1-59114-531-8]

Dies ist die Geschichte des Kalten Krieges aus der Sicht eines ehemaligen US-Mili- tärs mit einer brillanten Laufbahn: Jahrgang 1919, Absolvent der U.S. Naval Acad- emy im Dezember 1942, Einsatz im Krieg gegen Japan, Marineflieger im Korea- krieg 1950–1953, Ende der sechziger Jahre Kommandeur von Flugzeugträgern im Golf von Tonking, dann Kommandeur der 2. US-Atlantik Flotte, später der 7. Mit- telmeerflotte. Atomwaffen so Miller, »standen dabei für mich immer im Mittel- punkt«. Und das ohne irgendein Zögern.

1973 wurde Miller stellvertretender Direktor jener Abteilung, die 1960 in Omaha im Hauptquartier des strategischen Luftwaffenkommandos SAC (Strategic Air Command) eingerichtet worden war. Ihre Aufgabe: Ziele für einen atomaren Erst- schlag bestimmen. Miller war 1960 an der Ausarbeitung des ersten Plans maßgeb- lich beteiligt. Das Ergebnis trat im April 1961 als SIOP-62 (Single Integrated Ope- ration Plan) in Kraft; er war streng geheim und wurde 1986 »deklassifiziert«. In diesem Plan waren 1777 Ziele in allen Ländern des chinesischen-sowjetischen Blocks aufgelistet, die meisten in der Sowjetunion. Innerhalb von 28 Stunden wä- ren diese Länder von 2258 Flugzeugen und Raketen mit insgesamt 3423 Atom- und Wasserstoffbomben angegriffen worden. Man ging davon aus, dass 54 Prozent der sowjetischen Bevölkerung und 16 Prozent der chinesischen Bevölkerung getötet worden wären, bei 16 Millionen Toten in den USA. Miller fand den Plan auch nach seiner Pensionierung immer noch »excellent«, vor allem was die Auswahl der Ziele betraf, die weitgehend »seine« Ziele gewesen waren. Zweifel kamen bei ihm nie auf. Und überhaupt: Nach Miller hatten die Militärs, allen voran die Vereinigten

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Stabschef (Joint Chiefs of Staff) immer alles im Griff. Es waren die Politiker, die al- les vermasselten. Am schlimmsten waren demnach Präsident Lyndon B. Johnson und vor allem Verteidigungsminister Robert »Strange« McNamara. Johnson lehnte 1965 den Plan der Stabchefs für ein aggressives militärisches Vorgehen gegen Nord- vietnam – Bombardierung Hanois, Verminung des Hafens Haiphong – ab. Für Mil- ler war dies ein erfolgversprechender Plan; er bedauert, dass die Stabchefs damals nicht geschlossen zurücktraten. Mit den Konsequenzen – »und der Last mussten sie leben«.

Die Zeit unter McNamara war »keine glückliche Zeit«. Nach Miller war McNa- mara auch verantwortlich dafür, dass die Zahl der Atomwaffen von 3500 im Jahr 1961 bis zu dessen Rücktritt 1968 auf über 7000 anstieg. McNamara lehnte die Ab- schreckungsstrategie gegenüber der Sowjetunion ab und ersetzte sie durch die Ver- geltungsstrategie: statt Erstschlagkapazität Aufbau einer Zweitschlagkapazität.

Dafür brauchte man logischerweise mehr Sprengköpfe und Trägerraketen.

An einer Stelle meint Miller, dass SIOP »nie auf seine Durchführbarkeit getes- tet« worden sei. Da kann man nur sagen: Gott sei Dank. Miller kritisiert damit gleichzeitig Verteidigungsminister James Schlesinger, der Anfang 1974 noch einen Schritt weiter als McNamara ging: Ein Angriff sollte jetzt so durchgeführt werden, dass ein einmal zerstörtes Objekt nicht mehr aufgebaut werden konnte: »No re- constitution«, wie es hieß. Das war neu und dafür benötigte man natürlich noch mehr Sprengköpfe und Trägerraketen: insgesamt 10 000. Das ging dann bis zum vielzitierten »overkill«. SIOP jeweils auf den neuesten Stand zu bringen, wurde schon bald »Routine«, nach dem Motto: Neue Ziele, neue Waffen: Raketen mit Mehrfachsprengköpfen etc.

Am Ende wird Miller doch kritisch, als von »overkill« die Rede ist und von blindem Vertrauen der Zivilisten – etwa unter George W. Bush, Cheney, Rumsfeld, Wolfowitz, Perle – in die Geheimdienste. Sie alle hätten keine Kampferfahrung (»not tested under fire«), was halt die Militärs auszeichnete und ihr Misstrauen in die Geheimdienste begründete. Eine interessante These.

Der Marine gilt die Liebe Millers, vor allem den U-Booten »Polaris« und »Tri- dent« – »wunderbare Beispiele für Amerikas Können«. Und dann äußert er wie- der Kritik am Zivilisten McNamara, der das leider so nicht sah und »blind to the sea« war, genauso wie einige Offiziere von SAC.

Eine Welt ohne Atomwaffen, wie es »Barack Obama« will, ist für Miller zwar ein »edles Ziel«, er lehnt es dennoch ab, denn zum einen bräuchten die USA auch in Zukunft ein nukleares Abschreckungspotenzial – auch als Schutzschild für seine Verbündeten gegenüber neuen, alten Feinden: Russland, China, die »Schurken- staaten«, Terroristen und die Taliban, und zum zweiten müssten die USA mögliche atomare Bedrohung jederzeit kontrollieren können.

Ein interessantes Buch, bei dessen Lektüre ich mich gefragt habe, warum ein Mann überhaupt nicht erwähnt wird, für den Atomwaffen außergewöhnliche Waf- fen waren und der im Dezember 1950 gleich 34 Atombomben auf China werfen wollte: Douglas MacArthur.

Rolf Steininger

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Jörg A. Bahnemann, Parlamentsarmee? Bundeswehr braucht Führung, Aachen: Helios 2010, 344 S., EUR 24,00 [ISBN 978-3-86933-029-7]

Der Titel täuscht. Wer das Buch unvoreingenommen in die Hand nimmt, erwartet eine streitbare Abhandlung über Führung von Militär unter den Bedingungen par- lamentarischer Kontrolle – ein Thema, das des Schweißes der Edlen wert wäre. In diesem Buch aber findet der Leser stattdessen die Erinnerungen des Generalma- jors a.D. Jörg Bahnemann von den Luftverteidigungskräften der Bundesluftwaffe.

Als Memoiren, das sei vorweg gesagt, sind sie nicht schlecht.

Jörg Bahnemann ist 1956 von der schleswig-holsteinischen Polizei zur Bundes- wehr gewechselt. Er war aktiver Handballspieler in mehreren Vereinen, bei der Luftwaffe wurde er in Einheiten und Verbänden mit dem Flugabwehrraketensys- tem NIKE-Hercules groß. Nach dem Generalstabslehrgang allerdings hatte seine Besprechung des Jahrbuchs der Luftwaffe 1967 in der »Wehrkunde« zur Folge, dass der damalige Inspekteur, Generalleutnant Steinhoff, für lange Jahre ein erbit- terter Feind Bahnemanns und seiner Laufbahnerwartungen wurde. Trotzdem machte der kritische Rezensent in Uniform noch Karriere: Er war Adjutant des Ge- neralinspekteurs de Maizière, später Chef des Stabes beim Luftflottenkommando und dann zuletzt in einer Verwendung im Rüstungsbereich der NATO, ebenfalls in der raketengestützten Luftverteidigung. Als »Zwei-Sterner« ging er in den Ru- hestand, und es hätte auch durchaus ein dritter Stern werden können, folgt man diesem Buch.

Bahnemann wechselte, auch das beschreibt er ausführlich, vom Handball zum Golfen; der Band bietet eine beeindruckende Liste golfspielender Generale aus al- ler Herren NATO-Länder. Wie überhaupt das name-dropping, also die Auflistung bedeutender Menschen, mit denen der Autor zu tun hatte, ein wichtiges erzähle- risches Prinzip des Buches bildet.

Dabei hat Bahnemann bei seinen Verwendungen, eben wiederholt im inte- grierten NATO-Bereich, ja durchaus Wichtiges mitgemacht. Die immer neuen Ver- suche, die Kohärenz des Bündnisses dadurch zu befördern, dass Rüstungsprojekte gemeinsam getragen und finanziert wurden, durchziehen die Seiten seines Buches.

Dass diese Projekte oft langwierig, kompliziert und auch teurer sind als Angebote

»von der Stange« der US-Rüstungsindustrie, stellt der Autor gern immer wieder heraus. Er neigt aber dazu, so etwas unerfreulicher politischer Einflussnahme zu- zuschreiben, wie ohnehin »die Politik« für das militärische Handwerk eher stö- rend erscheint.

Seine Kritik an der Rolle des Parlaments macht sich vorrangig an solchen Poli- tikern fest, die sich von der Bundeswehr einladen und aushalten ließen, obwohl sie die Bereitstellung angemessener Haushaltsmittel für die Repräsentationsfonds verhinderten. Das allein aber ist als Diskussion des im Titel gestellten, vielschich- tigen und durchaus wichtigen Themas etwas wenig. Da hingegen, wo das Buch ins allgemein Interessierende wechselt, leidet die Stringenz seiner Argumentation sehr unter den erheblichen faktischen Irrtümern. Artikel 118 Grundgesetz regelt die Neugliederung des Bundesgebiets und nicht, wie Bahnemann behauptet (S. 17, Anm. 2), die Schaffung einer eigenen Bundeswehrverwaltung. Und die Reihe der NATO-Generalsekretäre beginnt nicht mit dem (gewiss verdienten) Belgier Paul- Henri Spaak (S. 276), sondern mit dem britischen Generalmajor Lionel Hastings Lord Ismay. Die faktischen Irrtümer führen dann schnell zu schiefen Wertungen:

dass das Verhalten der Leutnante 70 gegen das Soldatengesetz verstoßen (so auf

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S. 104) und damit doch wohl ein Dienstvergehen dargestellt habe, kann man mit Fug und Recht hinterfragen. Wäre es so gewesen, hätten die Gegner der jungen Leutnante gewiss eine disziplinare Würdigung durchgesetzt.

Kurz vor der deutschen Wiedervereinigung ist Generalmajor Bahnemann aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. Danach hat er noch einige Zeit in den Vorstän- den der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und der Clausewitz-Gesellschaft mit- gearbeitet, sich aber von beiden nach einiger Zeit im Zorn getrennt. Er zeichnet von sich selbst in diesem Buch das Bild eines durchaus streitbaren, eigenständigen Generals mit dezidierten Meinungen. Ob das Ausbleiben des dritten Sterns auch damit und nicht nur mit einer kritischen Buchbesprechung zu tun hatte?

Winfried Heinemann

Die Grenzen des Militärischen. Hrsg. von Helmut R. Hammerich, Uwe Hart- mann und Claus von Rosen, Berlin: Hartmann Miles Verlag 2010, 300 S.

(= Jahrbuch Innere Führung, 2010), EUR 24,80 [ISBN 978-3-937885-30-8]

Militärische Mittel können kein Ersatz für politische Strategien sein. Der laufende Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan scheint diese Aussage seit nunmehr neun Jahren mit aller Deutlichkeit zu belegen. Soldaten könnten mit ihren Waffen, so die Herausgeber des neuen Jahrbuchs Innere Führung in ihrem Vorwort, den po- litischen Entscheidungsträgern nur Zeit verschaffen, wirkliche Lösungen aber müssten auf wirtschaftlicher oder diplomatischer Ebene gefunden werden. Wo aber liegen genau die Grenzen des Militärischen? Können sogenannte asymme- trische Kriege ohne den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln noch gewonnen werden? Was können Streitkräfte 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges in einem sich dramatisch gewandelten sicherheitspolitischen Umfeld überhaupt noch leisten und wie müsste ihre Unterstützung seitens Politik, Medien und der Wis- senschaft aussehen?

Die im vorliegenden Band versammelten Autoren versuchen nicht nur im Hin- blick auf das aktuelle deutsche Engagement am Hindukusch eine Antwort zu geben, sie stellen die Frage auch grundsätzlich für eine Bundeswehr als Teil einer Zivilge- sellschaft, die militärischen Lösungsmustern größtenteils kritisch gegenübersteht.

Analog zu dieser doppelten Perspektive ist der Band in zwei Hauptabschnitte gegliedert.

Während sich der erste Hauptteil mit der sichtbar gewandelten Rolle des Sol- daten in Staat und Gesellschaft befasst, versucht der zweite unter dem Leitmotiv der »Kleinen Kriege« einen historischen Überblick über eine gar nicht so neuartige Konfliktform zu geben.

Die insgesamt 16 Verfasser – deren akademischer oder beruflicher Hintergrund leider nicht genannt werden – beschränken sich nicht nur auf die Wiederholung der häufig vernehmbaren Klage, dass die Mehrheit der bundesdeutschen Bevöl- kerung dem Einsatz der NATO-Verbündeten in Afghanistan oder in anderen ent- fernten Zonen gleichgültig oder gar ablehnend gegenübersteht. Vielmehr versu- chen sie Strategien aufzuzeigen, mit deren Hilfe sich die zunehmende Isolation der Streitkräfte im eigenen Land überwinden ließe.

Dass die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht hierzu wenig zielführend ist, betont Klaus Wittmann in seinem von der politischen Entwicklung allerdings schon überholten – gleichwohl engagierten – Plädoyer für die alte Wehrverfassung.

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Das Beispiel anderer Streitkräfte zeige doch ganz klar, so Wittmann, dass Berufs- armeen nicht notwendig professioneller agieren als die bisher noch in der Bundes- wehr praktizierte und bewährte Mischung aus Wehrpflichtigen, Zeit- und Berufs- soldaten.

Uwe Hartmann betont in seinem Beitrag die wichtige Rolle deutscher Intellek- tueller bei einem möglichen militärisch-zivilen Brückenschlag und sieht trotz hoff- nungsvoller Ansätze dafür vor allem die Bundeswehrführung in der Pflicht, die notwendige Debatten bisher allerdings nach Möglichkeit unterdrückt hat. Klaus Naumann wiederum sähe das Primat des Politischen durchaus nicht infrage ge- stellt, wenn sich die deutsche Militärelite in strategischen Fragen häufiger zu Wort melden und sich endlich als eigenständiger Ratgeber der Politik positionieren würde. Dass angesichts vielfältiger Empfindlichkeiten aufseiten der gewählten Entscheidungsträger so manche militärische Karriere rasch beendet sein könnte, lässt er nicht gelten und vertraut auf das Fingerspitzengefühl der Militärs.

Hans-Joachim Reeb lotet mit Hilfe einer Reihe militärischer Schlüsselbegriffe Trends der Berichterstattung hiesiger Medien aus und konstatiert, dass der Soldat der Bundeswehr zunehmend als aktiver Kämpfer oder als traumatisierter Heim- kehrer wahrgenommen wird, sodass eine noch weiter »wachsende Distanz zu ei- ner überwiegend zivil sozialisierten und friedensorientierten Bevölkerung« zu be- fürchten sei. Eindeutig zu unkritisch im Tenor fällt der Beitrag von Jörn Ungerer und Peter Zimmermann aus, der sich mit den psychischen Grenzbelastungen der Soldaten in Afghanistan befasst. Wenn hier von umfassenden Präventions- und Behandlungskonzepten der Bundeswehr die Rede ist, sollte auch der Wahrheit zu- liebe die Zahl derjenigen genannt werden, die wegen einer Posttraumatischen Be- lastungsreaktion inzwischen aus der Bundeswehr entlassen wurden und danach jahrelang und oft auch vergeblich auf die Anerkennung einer Wehrdienstbeschä- digung warten mussten. Deren Leidensgeschichten (z.B. Andreas Timmermann- Levanas, Die reden – Wir sterben, Frankfurt a.M. 2010) füllen inzwischen die Re- gale der Buchhandlungen.

Claus von Rosen schließt den zweiten Abschnitt des Bandes mit einem längeren Beitrag über Clausewitz und den »Kleinen Krieg« ab. Hierbei kann er mithilfe zahl- reicher Passagen aus dessen Hauptwerk belegen, dass der preußische Militärphi- losoph sich auch ausführlich mit dieser – im Zeitalter Napoleons – eher als neben- sächlich eingestuften Erscheinung befasst hat. Nähme man allerdings die daraus vom Verfasser zusammen mit Wolf Graf von Baudissin gezogene Konsequenz ernst, dass es im Nuklearzeitalter eher darauf ankomme, Kriege nicht mehr zu ver- lieren, anstatt sie im klassischen Sinn zu gewinnen, würde sich das Afghanistan- Engagement der Bundeswehr auf eine zeitlich möglichst ausgedehnte militärische Präsenz am Hindukusch reduzieren, die außer dem regelmäßigen Body-Count er- ledigter Gegner keine konstruktiven Ziele mehr verfolgt.

Insgesamt bietet der von den drei Herausgebern präsentierte Band einen brauchbaren Diskussionsbeitrag zur aktuellen Lage der Bundeswehr im Span- nungsfeld zwischen exterritorialem Auftrag und zivil geprägter Heimatgesell- schaft. Der vor einem halben Jahrhundert mit dem Konzept der Inneren Führung gewagte Spagat zwischen einer Armee des Kalten Krieges und einer sich ins Posthe- roische flüchtenden Nachkriegsgesellschaft funktioniert offenbar nicht mehr. Ter- ritorial, personell und mental scheint die Bundeswehr sich weiter als je zuvor von den deutschen Verhältnissen zu entfernen.

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Wäre ein grundsätzlicher Einwand zu formulieren, so müsste er sich gegen die etwas einseitige thematische Ausrichtung des Bandes richten: Der ausschließliche Bezug auf das aktuelle Einsatzspektrum der Bundeswehr dürfte wohl kaum die Zukunft unserer Streitkräfte erfassen. Militärische Interventionen in Übersee könnten sich sogar schon bald als eine bloße Episode der deutschen Militärge- schichte herausstellen. Angesichts des Klimawandels und der zu erwartenden – noch dramatisch anschwellenden – Migrantenströme aus dem Maghreb und dem Nahen Osten werden andere, heimatnähere Einsatzszenarios zunehmend wahr- scheinlicher.

Klaus-Jürgen Bremm

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