Leitung: W. Heinz
DEUTSCHE PROFESSOREN
AM ISTANBULER DÄRÜLFÜNÜN (1915-1918)
Von Klaus Kreiser (Bamberg)
„Tief unbefriedigt muß jeder deutsche Offizier das Land verlassen haben."
Dieser Satz steht in der Schrift des Generals von Seeckt über Die Gründe des
Zusammenbruchs der Türkei. Herbst 1918K Seeckt war Chef des türkischen
Generalstabs und zog auf einem Schiff im Schwarzen Meer die bittere Bilanz
der deutschen MUitärmission im Osmanischen Reich. Die Tätigkeit der deut¬
schen Offiziere und Soldaten während des Ersten Weltkriegs in der Türkei ist
verhältnismäßig gut bekannt, so daß sich die negative Sicht des Generals viel¬
fach bestätigen läßt.
Zehn Jahre später urteilt der von der Bildungsfront gleichzeitig mit von
Seeckt zurückgekehrte Franz Schmidt über sein Tätigkeitsfeld: „Fragt man nun
nach dem Ergebnisderdreijährigen Wirksamkeit der deutschen
Professoren an der Universität in Konstantinopel, so war dies weder an sich
tiedeutend noch für sie selber befriedigend. Keinen Einsichngen kann dies
wundernehmen."^
Was aber ist aus vergrößertem Abstand von der bisher intensivsten Phase
offizieller deutsch-türkischer Wissenschaftsbeziehungen zu halten?
Die Rede soll sein von den an die alte Istanbuler Universität berufenen
deutschen Professoren, über deren Tätigkeit bisher nur sehr wenig bekannt war.
Die Kürze der Zeit zwischen 1915 und 1918 und das fast ganz ausgebliebene
Echo in türkischen Quellen rechtfertigt meines Erachtens nicht das
Schweigen in der Literatur zum türkischen Bildungswesen insgesamt', um
1 Zitiert bei J.L. Wallach Anatomie einer Militärhilfe. Die preußisch-deutschen Militär¬
missionen in der Türkei 1835-1919 (Düsseldorf 1976) S. 261.
2 F. Schmidt und O. Boelitz (Hrsg.) Aus deutscher Bildungsarbeit im Auslande. Erlebnisse und Erfahrungen in Selbstzeugnissen aus aller Welt (Langensalza 1928) Bd. 2, S. 34-61.
3 Vgl. aber H. Widmann Exil und Bildungshilfe (Bern/Frankfurt 1973) S. 35-37 und die dort
212 Klaus Kreiser
SO mehr als in diesen Jahren bereits Vorstellungen sichtbar werden, die in der kemalistischen Türkei verwirkhcht werden sollten".
Bereits der Erziehungsminister Emrulläh Efendi (1858-1914; Amtszeit
1910-1914)' war von der Überlegenheit des deutschen Erziehungswesens
überzeugt. Das fortschritüiche deutsche Schulsystem sei auf die Vollkommen¬
heit {mükemmeliyet) und Wohlgeordnetheit (intizäm) der deutschen Univer¬
sitäten zurückzuführen*. Womit wir bei dem in der türkischen pädagogischen
Literatur oft gezeichneten Bild vom Tuba a§aci angekommen sind, jenem Para¬
diesesbaum, dessen Wurzeln im Himmel enden, dessen Zweige aber nach unten
hängen'.
Die deutschen Professoren wurden allerdings erst im Krieg unter $ükri Bey (18??- hingerichtet 1926, Amtszeit 1914-9.12.1917) als Erziehungsminister nach Istanbul geholt. $ükri ist eine durchaus interessante Figur, über die freilich ein tiefer Schatten fallt, weil er sich an einem Attentatsversuch gegen Mustafa Kemal beteiligt hat*.
Die Rolle des Vermitüers übemahm der deutsche Schulmann Professor
Franz Schmidt, der seit Anfang 1915 die Stellung eines Beirats im türkischen Ministerium inne hatte'.
zitierten deutschsprachigen Titel. Im türkischen Schrifttum zur Geschichte des Bil¬
dungswesens im allgemeinen und zur Istanbuler Universität im besonderen fmden sich nur wenige, unzusammenhängende Angaben. So verwertet Osman Ergin Türkiye MaarifTarihi (2. Aufl.) (Istanbul 1977) S. 1209-1258 nur eine Handvoll, ihrerseits nicht sehr ergiebiger Titel. Auch die Jüngste Darstellung der Geschichte der Istanbuler Universität von O.
Aslanapa beschränkt sich auf die Angabe der Namen und Fächer der deutschen Professoren (Istanbul Üniversitesi. Kurulu§, Tarihge, Teskilat ve ö§retim Üyeleri Bd. 1 [Istanbul 1983]
S. 16u.ö.).
4 Damit soll aber nicht behauptet werden, die Hochschulreform unter Mustafa Kemal sei ein Nachhall der Wirksamkeit der deutschen Professoren am Därütfiinün Ich möchte lediglich unterstreichen, daß man während dieser Jahre lüricischer- und deutscherseits den Umfang des Bildungsproblems deudich erkannte.
5 Eine ausführliche Würdigung Emrullähs liegt nicht vor. Zu seiner Biographie A. Qankaya Yeni Mälkiye Tarihi ve Mülkiyeliler Bd. 3 (Ankara 1968-1969) S. 96-102.
6 Ohne Quellenangabe ziüert bei Nafi Atuf [Kansu] Türkiye Maarif Tarihi Hakkinda bir deneme Bd. 2 (Istanbul 1932) S. 66.
7 Zur zeitgenössischen Pädagogik vgl. etwa N. Sakaoglu Egitim Tarti^malan in Tan- zimat' tan Cumhuriyet' e Türkiye Ansiklopedisi Bd. 2 (Istanbul 1985) S. 478-484. Hier wird die Abhängigkeit Ziya Gökalps von Emrulläh Efendi herausgestellt, aber auch seine gegensätzliche Auffassung von den Grundlagen der naüonalen Erziehung.
8 Nach Y.H. Bayur Türk inküabi Tarihi Bd. III. T. 1,3.4 Index (Ankara 1953-1967). Ein rundum günsüges Bild vermittelt A. Nossig Die neue Türkei und ihre Führer (Halle o J. ca.
1916) S. 55-59. Über seine Rolle bei dem Attentatsversuch gegen AtatC'k berichtet eine umfangreiche Literatur zum Izmir suikasti. In den Monographien zur jungtürkischen Zeit wird er nicht behandelL Einige wenige Beobachtungen enthalten die Memoiren von Refik Halid Karay Minelbabilelmihrab (Istanbul 1964) S. 32-35 und AhmedEmin Yalman Yakin tarihle gördüklerim ve gegirdiklerim Bd. 1 (Istanbul 1970) S. 211-212.
9 Neben dem in Anm. 2 genannten Titel sind Schmidts Erinnerungen Ein Schulmannsleben
Schmidt schreibt in seinen Erinnerungen, daß der Großwesir Sa'id Halim Pascha (1913-1917) ihm erklärt habe, die „Einführung" {l' importation) der französischen Kultur sei eine Entgleisung, eine Ablenkung (deviation) für die Türkei gewesen'".
Selbstverständlich bestand während des Krieges aber auch gar keine ande¬
re Möghchkeit, als sich auf deutsche, österreichische und ungarische Gelehrte zu stützen, wollte man einige Zweige des Wissenschaftsbetriebes reformieren.
Die von Martin Hartmann noch 1910 in seinen (gar nicht) Unpolitischen Briefen aus der Türkei hohnvoll karikierten Zustände am alten Därülfünün^*
haben sich in den drei Jahren, das gibt auch der Geheimrat Schmidt zu, nicht
wesentlich verbessem lassen.
Denn es hat nicht an Hindernissen gefehlt. Da war die Sprachbarriere'^, und
es gab Auseinandersetzungen zwischen Professoren und der Universitäts¬
verwaltung bzw. dem Ministerium'^ §ükri wurde, nachdem er sich 1917 noch
auf Deutschland-Reise begeben hatte, die ihn u.a. auch nach München führte, entlassen'". Der Krieg führte zu Verlusten an Studenten". Zusagen von Sachausstattungen konnten nicht eingehalten werden". Die Gehälter erwiesen sich als ganz unzureichend'^.
in der Zeitwende (Marburg 1961) heranzuziehen sowie die Aktenstücke des Poliüschen Archivs des Auswärtigen Amts, vor allem Botschaft Konstanünof»! 407.
10 Schmidt Vier Jahre als türkischer Schulreformer in Schmidt/Boeliu (1928) S. 34. All¬
gemein zu diesem Thema jetzt K. Kreiser Le röle de la langue frangaise en Turquie et la politique culturelle allemande au debut du XX' siecle in: L'Empire Ottoman, la R6publique de Turquie et la France (Istanbul, Paris) 1986 S. 405-417.
11 (Leipzig 1910) S. 66, 115, 127-128, 205-207.
12 Vgl. Schmidts vertraulichen Bericht an das Auswärtige Amt vom 30. September 1915 (wie Anm. 9). Hier wird „Kulturarbeit mit einem Dolmetscher" als ein „Widerspmch" abgelehnt.
„Solange eine Missionsarbeit unter fremden Völkern besteht, von Paulus in Adien an bis zu den ersten Jesuiten in China ... haben alle Missionare in der Sprache derer gelehrt und ge¬
predigt, die sie bekehren wollten". Die Verträge der deutschen Professoren sahen den Gebrauch der türkischen Sprache bei Vorlesungen und Besprechungen nach einem Freijahr zum Erlemen derselben vor.
13 Schmidt versuchte bei den sich anbahnenden Konflikten zu vermittehi, wobei er darüber hinaus die Interessen der deutschen Botschaft zu vertreten hatte.
14 Über die Gründe vgl. Bayur (wie Anm. 8).
15 Der Fakultätskollege einiger deutscher Professoren Halid Ziyä [U§akligil] ging so weit, zu sagen, daß auf einen deutschen Professor nicht mehr als zwei Studenten fielen {Saray ve ötesi Istanbul 1940-1942, Bd. I-Ill S. 170-171).
16 Einen besonders schweren Konflikt löste der Geograph Erich Obst aus, der sich weigerte, Feldpraktika durchzuführen, bevor zugesagte wissenschafdiche InsUumente eingetroffen waren (sein Schreiben an den Unterrichtsminister vom 25. Dezember 1916 im Anm. 9 ziüerten Dossier).
17 Die Unzufriedenheit fand in einer gedruckten Denkschrift aus dem Frühjahr 1918 öf¬
fenüichen Ausdruck (Deutsche Urüversitäts-Professoren in Konstantinopet). Das 25- seiüge Papier betont besonders, daß die gewährten Gehaltserhöhungen weit unter den Preissteigemngen seit Kriegsbeginn lagen (76,5% gegenüber 2526%!).
214 Klaus Kreiser
Beispielhaft ist für die Zukunft des türkischen Hochschulwesens, daß in
diesen Jahren eine planvolle Begegnung mit ausländischen Wissenschaftlem
innerhalb des türkischen Bildungssystems stattfand.
Aber auch im Negadven wirkte die Probezeh von 1915 bis 1918 system¬
bildend: Die Aufgabe der Professoren bestand darin, sich so schnell wie mög¬
lich überflüssig zu machen'*.
So gewiß wie die deutsche Seite die gebotenen Möglichkeiten als wichd¬
gen Schritt in der eigenen Kulmrpolitik sah, darf nicht übersehen werden, daß
es der Türkei vor allem die Chance einer allmählichen Lösung von ihrer ein¬
seitigen Bindung an die französische Zivilisation eröffnete.
Geheimrat Schmidt war zunächst vor allem auf dem Gebiet des allge¬
meinen Schulwesens tädg. Auf eine Anregung ^ükri Beys und nach Absprache
mit der Botschaft und dem Auswärtigen Amt schlug er zunächst zwölf Fächer
vor, die mit deutschen Professoren zu besetzen seien".
Die türkische Seite verwies er auf „die guten Erfahmngen, die Argentinien
vom Jahre 1904 ab mit der Berufung deutscher Professoren nach Buenos Aires
gemacht hatte."^"
Schließlich wurde einvemehmlich eine Liste von 14 Fächern festgelegt und
mit den Namen von überwiegend im Alter zwischen 30 und 35 Jahren stehen¬
den Privatdozenten verbunden^'.
Die Tatsache, daß überwiegend Privatdozenten, nicht etwa Ordinarien oder
wenigstens Extra-Ordinarien berufen wurden, hat man in der Istanbuler Presse, z.T. kritisch, vermerkt^. Dieser Einwand kann nachträglich für die am Schluß
19 Personen umfassende Gruppe von deutschen Professoren in Istanbul
zurückgewiesen werden.
Im Jahre 1917 waren folgende Fächer eingerichtet bzw. vorgesehen: Päda¬
gogik und Psychologie (Anschütz); Semidsche Sprachwissenschaft (Bergsträs¬
ser); Uralaltaische Sprachen (Giese); Alte Geschichte (Lehmann-Haupt); Geo¬
graphie (Obst); Geologie (Penck); Botanik (Leick); Zoologie (Zamik); Organi¬
sche Chemie (Hoesch); Anorganische Chemie (Arndt); Technologische Che¬
mie (Fester); Volkswirtschaft (Hoffmann); Finanzwissenschaft (Fleck); Öf-
18 Von den damaligen Professoren kehrte nur einer, der ChemUcer Arndt, 1933 als Emigrant in die Türkei zurück (vgl. Widmann a.a.O. wie Anm. 3 Index).
19 Schmidt a.a.O. wie Anm. 2 S. 56: Philosophie, Pädagogik, Psychologie, Geschichte, Geographie, Geologie, Kunstgeschichte, Volkswirtschaft, Finanzwirtschaft, öffenüiches Recht, Handelsrecht, europäisches bürgerliches Recht. „Der leitende Gesichtspunkt für die Auswahl war der, daß einerseits für die Gesamtorientierung in den beiden Fakultäten [der literarischen und der jurisüschen, K.K.] maßgeblichen Fächer nach deutscher Auffassung und Mediode gelehrt, andererseits osmanische Fachgebiete nicht berührt werden sollten").
20 A.a.O.
21 In dem Anm. 12 ziüerten Bericht 22 z.B. Hiläl 31. August 1915.
fentliches Recht (Schönbom); Philosophie (Jacoby); Vergleichendes bür¬
gerliches Recht (Nord); Methodologie der Geschichte (Mordtmann); Ar¬
chäologie und Numismatik (N.N.); Deutsche Sprache und Literamr (N.N.)^.
Die SteUeninhaber waren, das läßt sich an ihren späteren Laufbahnen able¬
sen, so gut wie ausnahmslos überdurchschnittliche Vertreter ihres Faches. Das Mißtrauen der einheimischen Presse war unangebracht.
Zur Fächerauswahl ist zu sagen, daß die medizinischen Disziplinen fehlen, weil die Mekteb-i Tibbiye nicht zur Universität zählte. Im Gegensatz zur Hoch¬
schulpolitik unter Atatürk und in der Gegenwart, waren die Jungtürken noch
unbefangen genug, auch für Nationalismen so anfällige Fächer wie Sprachwis¬
senschaft, Archäologie und Geschichte Ausländem anzuvertrauen. Das zwang
zu manchen Verrenkungen: „Einer der deutschen Herren erklärte daher, daß er
den mazedonischen Welteroberer in seinen Vorträgen ,als Luft behandele' ", um die ulemä nicht herauszufordern^.
Wenn Cemil Bilsel in seiner Geschichte der Istanbuler Universität meint,
die deutschen Professoren hätten keine Spur hinterlassen^, wenn ismail Hak¬
ki Baltacioglu von der Enttäuschung über den Mangel an Organisationsgabe
(te^kilätgilik) und Befähigung zu Reformen (islähätgilik) der deutschen Pro¬
fessoren spricht^, dann ergänzen sie das negative Bild, das der Schriftstellerund
Kollege am Därülfiinun Halid Ziyä in seinen Erinnerungen zeichnet: Die
Deutschen hätten nicht mehr als zwei Studenten angesprochen, was sie mit Still¬
schweigen übergingen, dagegen hätten sie ihre Stimme wegen Forderungen
aller Art (yalniz metälib) angehoben. Während sie den Tag in luxuriös ausge¬
statteten Arbeitszimmern des Zeynep Kämil-Konaks verbrachten, hätten sich
die türkischen Kollegen im Raum des stets gastfreundlichen Fakultätsduektors zusammengedrängt^''.
Hälid Ziyä hatte nicht verstanden, daß die deutschen Professoren nicht um
jeden Preis auf Studenten angewiesen waren. Eigene Forschungsvorhaben hat¬
ten sie wohl alle.
Wenn man die Liste der Namen durchgeht, fällt vor allem bei den
Naturwissenschaftlern auf, wie stark sie den neuen Dienstort mit ihrem Fach zu verbinden suchten. Das gilt, mit Ausnahme von Günter Jacoby, der vielleicht
damals schon an seiner Allgemeinen Ontologie der Wirklichkeit arbeitete^*,
aber auch für die anderen Fachvertreter.
Die Akten des Auswärtigen Amtes vermitteln ein schärferes Bild. Gewiß ist
auch von Querelen, Intrigen und anderem die Rede. Der Zenffumsabgeordnete 23 Wie Anm. 12.
24 MordUnann wie Anm. 3.
25 Istanbul Üniversitesi tarihi (Istanbul 1943) S . 81: „Kukuk fakültesinde dikkate deger bir iz birakmamijlardir."
26 Ma'arifde siyäsei (Istanbul 1335 M./1919) 570.
27 Wie Anm. 15.
28 Erschienen Halle 1925.
216 Klaus Kreiser
Erzberger schreibt besorgt an Schmidt, „in weiten katholischen Kreisen", habe es Aufsehen erregt, „weil sich unter den Dozenten kein Katholik befmden soll".
Die Görres-Gesellschaft habe „vortreffliche Kandidaten" für „Zoologie, Kunst- und Religionsgeschichte" zu t)enennen^'.
Der Istanbuler Zoologe war freilich katholisch. Der Würzburger Privatdo¬
zent Zamik wurde aber zum Ziel einer Verleumdungs-Kampagne, die der Ber¬
hner Universitätsprofessor Brandl ankurbelte. Brandl, Innsbrucker und all¬
deutsch engagiert, legte dem Auswärtigen Amt ein Papier des deutschen Volks¬
rates in Krain vor, in dem Zamik, seit 1901 in Deutschland lebend, „sla¬
wischnationaler" Gesinnung bezichtigt wurde. Schmidt verteidigt ihn ent¬
schieden als „tätigen Mann von eindrucksvoller Erscheinung und einer gewis¬
sen Persönlichkeit", so daß „aus einer Berufung im Hinblick auf die Durch¬
führung der hier in Angriff genommenen Kulturaufgaben irgendwelche emstli¬
che Ungelegenheiten ... erwachsen können". Auf die Schwierigkeiten des
Geographen Obst wurde schon hingewiesen. Die umfangreiche Akte, die da¬
raus entstand, vermittelt einen guten Einblick in die Möglichkeiten und Gren¬
zen eines entsandten Gelehrten'". Die Empörung von Erich Obst über die Ein¬
mischung des Verwalmngsbeamten Zarif Bey" in seinen „Autonomiebereich"
war übrigens groß. Während noch hinter den Kulissen Zamiks staatsbürgerliche
Unbedenklichkeit behandelt wurde, machte sich der Betroffene an die Aus¬
arbeitung umfangreicher „Vorschläge für die Errichtung einer deutschen Zoo¬
logischen Station in Konstanünopel."'^
Auch zu dem Geologen Walter Penck ließe sich einiges sagen, denn sein
Vater Albrecht Penck, der ihn überlebte, berichtet in der Einleitung zu dem
V/erkDie morphologische Analyse überdie Tätigkeit seines Sohnes. Wie Obst,
Mordtmann und andere hat er ein Lehrbuch verfaßt. Pencks Einführung in die
Geologie wurde nicht gedruckt, umfaßte aber 743 Quartseiten in Handschrift".
Der Satzungsentwuf, den die deutschen Profesoren zusammen mit Schmidt
im Soinmer 1916 für die Universität vorlegten, verdiente besondere Berück¬
sichtigung. Er stand in einem deutlichen Gegensatz zu den bis dahin geltenden bürokratisch-zentralistischen Strukturen*'.
29 Brief vom 30. September 1915, Schmidts Antwort erfolgte am 11. Oktober. Erzbergers Erinnerungsband Erlebnisse im Welücrieg (Stuttgart 1920) übergeht diese Intervenüon, obwohl er viel Material zu seiner späteren Türkei-Reise enüiält.
30 wie Anm. 9.
31 Mahmud Zärif [Selcuk] (1871-1941) hatte das Amt des DäriÜfünün Edebiyat Medresesi Müdiri zwischen 1913 und 1918 bis zur Einführung einer Dekanats-Verfassung inne. Zu seiner Laufbahn vgl. A. Qankaya a.a.O, Bd. 3, S. 582-584 (wie Anm. 5).
32 Wie Anm. 9.
33 Stuttgart 1924.
34 Schmidt leitete den Entwurf über die Botschaft dem Auswärtigen Amt zu. Die Verfassung entsprach im großen und ganzen der einer deutschen Universität. Der Unterrichtsminisier konnte seine Interessen durch einen Kurator vertreten lassen.
Die deutschen Hochschullehrer am Därülfünun: War das mehr als eine Fu߬
note zur Geschichte der deutsch-türlcischen Beziehungen, mehr als ein Vor¬
spann zu einer Darstellung des modemen türkischen Universitätswesens? Der
vorübergehende Charakter eines geschichtlichen Ereigniszusammenhangs sollte ihn nicht ohne weiteres von unserem Interesse ausschließen, auch wenn es sich um die Untersuchung von Institutionen im Wandel handelt. So bildet der
Versuch einer osmanischen Hochschule in Paris {Mekteb-i "Osmänt
1855-1874)" ein kennzeichnendes Beispiel für die osmanischen Anstren¬
gungen, die Vorteile des Auslandsstudiums mit der Notwendigkeit, die
Studierenden zu überwachen, zu verbinden.
Die mit dem Namen von Emrulläh Efendi verbundene Vorstellung vom
Täba A§aci, d.h. einem auf den Kopf gestellten Entwicklungsmodell, bildete,
wie schon angedeutet, die theoretische Begründung für den energischen Aus¬
bau des Därülfünün. Der 1914 verstorbene Emrulläh hatte noch zwei Jahre zu¬
vor davon Abstand genommen und von einem Bedarf von 70 000 Lehrern, von
denen kauiri ein Prozent befiriedigt werden könne, gesprochen'*. 1914 ergriff
Mehmed '=Akif ebenfalls für ein pyramidales, von unten aufgebautes System,
das Wort. Die Stadtviertelschule (mahalle mektebi) setzt er dem Erwerb der
Wissenschaften (iktisäb-i "ulüm) als Fortschrittsrezept entgegen".
Es zeigt sich, daß Geheimrat Schmidt, wie der deutsche Botschafter und
andere die Hochschulreform ^ükri Beys zwar energisch, aber doch ä contre
coeur unterstützten'*. Dagegen hat Ahmed Emin (Yalman) sich, mit z.T. über¬
raschenden Argumenten noch 1917 im Sabäh für die Universitätsbildung vor
der allgemeinen Volksschulbildung eingesetzt".
Neben diesen allgemeinen bis in die heutige türkische Bildungspolitik
hineinragenden Auseinandersetzungen sind natürlich die Möglichkeiten und
35 R. Chambers Noles on ihe Mekteb-i Osmani in Paris 1857-1874 in Beginnings of Modernization of Üie Middle East (Chicago 1968) S. 313-329.
36 Osman Ergin wie Anm. 3, S. 1278.
37 Mehmet Akif Ersoy Safahai 13. baski (Istanbul 1980) S. 280-281.
38 In dem mehrfach ziüerten Bericht vom 30. September 1915: „Wenn jetzt der erste große Versuch deutscher Schulreform auf dem Gebiete des Hochschulwesens vorgenommen wird, so entspricht das keineswegs meinen eigenen Wünschen. Lägen die Dinge in meiner Hand, so würde ich mit der Lehrerbildung und der Schulaufsicht begonnen haben"
39 Sabäh vom 23.1.1917. Hier nach der deutschen Wiedergabe im Osmanischen Lloyd yom 24.1.: „Es gibt leider sehr viele bei uns, die den Zweck einer Universität nicht einsehen. Man begegnet Leuten, die sagen: .Wozu brauchen wir eine Universität? Wie viele Volksschulen könnten wir nicht mit dem Oelde eröffnen, das wir für die Universität ausgeben!Ahmed Emin fährt damit fort, daß auch in Europa die Gründung allgemeiner Volksschulen und die Einführung des Schulzwangs erst viele Jahrhunderte nach den ersten Universitäten statt¬
fand. Man muß freilich wissen, daß Ahmed Emin unter ^ükri Bey selbst eine Posiüon im Unierrichtsministmum bzw. an der Universität eingenommen hatte.
218 Jakob M. Landau
Grenzen der Zusammenarbeit mit den jungtürkiscben Bürokraten betrachtens- wert. Die deutschen Professoren hatten im Dienst den Fez zu tragen, konnten
jederzeit entlassen werden und verfügten über keine Pensionsansprüche. We¬
gen der Kürze ihres Aufenthaks, letzthch war ihnen zwischen Herbst 1915 und
Ende 1917 nur ein volles Unterrichtsjahr möghch, konnten sie sich auch nicht
über Schüler Nachwirkung verschaffen. Das sollte erst der Emigranten-
Generation bzw. anderen in der Ära Atatürks berufenen deutschen Professoren möglich sein"".
AN EGYPTIAN PETITION TO 'ABDUL HAMID H
ON BEHALF OF AL-AFGHANI
by Jacob M. Landau (Jerusalem)
The later years of ßjamäl al-DTn al-Afghäni, spent in Istanbul in what
amounted to gilded captivity, are among the least-known of his checkered life.
Even Dr. Kudsi-Zadeh's annotated bibliography' hsts less than a dozen items
for that period, out of nearly seven hundred^. The meager and fragmentary information' available will hopefully be augmented by the following note, bas¬
ed on Ms. A 4960 in the Istanbul University Library. The manuscript, written in Arabic in beautiful ruk'a script, comprises a title page and 12 pages of twel¬
ve luies each (written text: 15 x 10.50 cms.). No colophon is appended and
neither author nor date are mentiond. One may only surmise that a cover page
with the author's name was not included in the bound manuscript.
The title reads: Radlul al-sbwq al-Sayyid al-habr al-'alläma almifdäl
Diamäl al-DTn al-Husayni ' I-Afghani, that is, „The Man of die East, die expert, leamed and vhtuous Sayyid ßjamäl al-Din al-Husayni '1-Afghäni". presented to the Sultan 'Abdül Hamid II. More than half the petition (pp. 1-7) is taken up
40 Der Verfasser untersucht in Zusammenarbeit mit Martin Suohmeier im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten F*rojekts die Geschichte des tür¬
kischen Hochschulwesens im 20. Jahrhundert
1 A.A. Kudsi-Zadeh, Sayyid Jamdl al-Dln al-Afghänl: An Annotated Bibliography, Leiden, Brill, 1970.
2 Ibid., items 153,179,185,232,234, 236,254,493, 502 and, perhaps, one or two others.
3 See, eg., Niyazi Berkes, The Development of Secularism in Turkey, Monueal, McGill University Press, 1964, pp. 265-270. Homa Pakadaman, Djamal-Ed-Din Assad Abadi dil Afghani, Paris, Maisonneuve et Larose, 1969, pp. 171-192.