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Eine Geschichte der japanischen Normen in der Neuzeit kann nicht ge¬ schrieben werden, ohne daß auf die historischen Ogasawara-Strömungen eingegangen wird

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(1)

Texte und Geschichte der Ogasawara-Strömungen?^

Hartmut Lamparth, Nagoya (Japan)

A. AUSGANGSPUNKTE

I. Die Frage „Was ist das, die Ogasawara-Strömung?" ist oft gestellt, doch

noch nicht kritisch beantwortet worden. Die in Japan landläufigen Ideen

von der „Ogasawara-Strömung" basieren auf vagen Vorstellungen

darüber, wie eine ideelle Kultur der Normen Japans, die bejaht als auch

geleugnet werden kann, im Bereich der Etikette aussehen müßte. Eine

Geschichte der japanischen Normen in der Neuzeit kann nicht ge¬

schrieben werden, ohne daß auf die historischen Ogasawara-Strömungen

eingegangen wird.

Es ist auf vielerlei Ursachen zurückzufuhren, daß es nur wenige Unter¬

suchungen zu diesem Thema gibt. Vor allem ist die Quellenlage sehr

unübersichtlich. Nur zu ungefähr der Hälfte der über 300 Werke, die der

Gesamtkatalog japanischer Schriften [Kokusho sömokuroku,

KSM) unter dem Familiennamen Ogasawara /JnSiJM (O.) anführt, fmden

sich Angaben zu Entstehungs- und Veröffentlichungsdaten (ca. 90) sowie

zur Autorenschaft (ca. 110). Die im Autorenindex desselben Katalogs ver¬

zeichneten Personen sind historisch oft nicht verifizierbar. Selbst größte

Werke, wie die Schriften zur Kunst des Bogenschießens und zur

Erziehung /J^^J!^^^®^#IB (Ogasawara yumi no hö shitsukekata

shorui, ohne Jahr)^ mit III Heften (satsu) und 272 Kapiteln (kan), die

vermutlich am ausführlichsten sind, oder die Anstandsschriften der Oga-

' Bei japanischen Namen steht zuerst der Familienname, dem sich der Vor¬

name anschließt. Wie bei den als „Normen in der ersten Hälfte der Meiji-Zeit

(1868-1890)" betitelten Erörterungen ist auch der vorliegende Aufsatz ein

Bestandteil der von der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Tü¬

bingen am 4. Juli 1995 unter dem Titel Japanische Etikette — Ein Handbuch

des Hauses Ogasawara aus detn Jahre 1887 — Nippon reishiki Ogasawara gen-

ryü yöryaku angenommenen Dissertation.

2 kSM 1, S. 615c.

(2)

sawara-Strömung /jNäSI^öittLÄÄ [Ogasawararyü reishikisho)^ in 39 Heften (satsu), sind undatiert.*

Die In der Periode , Milde Regierung' neu zusammengestellten Stamm¬

bäume der Adelshäuser ^iSfifl^l^^PB [Kansei chöshü shokafu, Bunka 9,

1812) fuhren mehr als fünfzig verschiedene Zweigfamilien und über 160

Stammbäume auf^ Die Ränge und die historischen Bedeutungen der

Familien für die Etikettengeschichte und die 0. -Strömungen sind

weitgehend ungeklärt. Im Großen Lexikon der Landesgeschichte IH^:^S^

ft (Kokushi daijiten) gibt es unter der Sparte „Geschlecht 0." (Ogasawara

shi)" nur für zwei bzw. fünf Familien einen kurzen Eintrag, ohne daß deren

Bedeutung fiir die Normengeschichte erläutert wird. Ansätze fiir eine

Geschichte der Familien gibt es nur vereinzelt. Ueno Haruaki ±if

(1980) beschäftigte sich mit dem Ahnherrn der O.-Geschlechter und

Nakajima Jitaro 4" lIlSi^^fcßR (1981) mit O.-Vertretern, denen er eine

Bedeutung für die Abstammung seiner Familie beimaß. Unter dem Stich¬

wort „0. -Strömung" /J^S£j^^jft (Ogasawararyü)' führt das Kokushi daijiten

in einem zweiten Eintrag drei 0. -Familien auf:

a) Fürst 0. Mochinaga Jtfi von Bizen fütu wird stellvertretend für eine

in der Meiji-Zeit ausgestorbene Familie genannt, zu deren Lehren neben den

Kriegskünsten auch Regeln für die Bewirtung, das Hutaufsetzen und die

Hochzeit gehört haben sollen. Die volkstümliche „O.-Strömung" leite sich

von den Lehren dieser Familie ab.

b) Eine in Kyoto ansässige Familie sei auf die Regeln des Militärwesens spezialisiert gewesen, doch seien deren Lehren bereits im 16. Jahrhundert

durch die Kamiizumi-Strömung Ai^iM. (Kamiizumi ryu) fortgesetzt

worden.

c) Die Akazawa-Familie, deren Vertreter in der Edo-Zeit in der Haupt¬

stadt Edo als Lehrmeister im Staatsdienst für das Bogenschießen, Reiten

und Anstandsregeln angestellt waren.

Der Eintrag, der kaum Auskünfte gibt, unterteilt die O.-Strömung

anhand dreier Familien in eine populäre Richtung (a), eine Linie zur

Kriegeretikette (b) sowie eine Zweigfamilie (c), die, so läßt es der Text

vermuten, alle Bereiche der 0. -Lehren vertrete. Die Autoren der ge¬

nannten zwei Einträge stellten keine Nachforschungen an; ihre Stand-

3 KSM 1, S. 617b. Shimpen Teikoku Toshokan wakosho mokuroku 1, S. 165.

* Werkdaten vor 1873 können im folgenden um ein Jahr variieren.

5 Kansei chöshü shokafu 3, S. 380-411; 4, S. 1-200; 19, S. 54-97; 22, S. 405-

406.

6 Kokushi daijiten 2, S. 733-734.

' Kokushi daijiten 2, S. 737.

(3)

punkte gleichen dem des unten genannten 0. Kiyonobu ff IH (1913-

1992?). Andere lexikalische Darstellungen sind nicht ausführlicher.*

Der größte Teil der Quellen zur O.-Strömung ist nur beschränkt

zugänglich. Ein Bruchteil der Autoren und Schriften darf als bekannt

gelten. Eine Vollständigkeit beanspruchende Untersuchung der Literatur

wird erst in einigen Jahrzehnten möglich sein. Der überwiegende Teil der

Normenliteratur wurde bis zum Ende der Edo-Zeit (1603-1867)

handschriftlich verfaßt und ist bis heute in Privatbesitz. Nur das publi¬

zierte Schrifttum der Meiji-Zeit (1868-1912) ist zum Teil bereits er-

schlossen.9 Außerdem wurde die Erforschung der O.-Strömungen bisher

überwiegend nach „populärwissenschaftlichen" Maßstäben betrieben.

Obgleich die Genealogie der O.-Familien relativ gut dokumentiert ist, muß

die Geschichte der Veröffentlichungen unvollständig bleiben. Die

folgenden Ausführungen können nur überaus einführenden und prä¬

sumtiven Charakters sein.

II. Ema Tsutomu tL^^ (1884-1979), zu dessen Leistungen es gehört, uns

mit seinem Gesamtwerk ein historisches Repetitorium der Alltags¬

bräuche hinterlassen zu haben, äußert sich verschiedentlich zur „O.¬

Strömung", einem Begriff, den er singularisch auffaßt, da er von einer

einzigen, legitimen Strömung sowie unbedeutenden Unterströmungen

ausgeht. Wie bereits Hayashi Shintaro (1906)'o und andere

vertritt Ema den Standpunkt, daß die O.-Strömung der Muromachi-Zeit

(1338-1573) die Normenbereiche des „Nach außen Gewandten" 51-|n]€^

(sotomuki), also das Bogenschießen und Reiten, und die Ise-Strömung

Inhalte des „Nach innen Gewandten" F*\IfBl# (uchimuki), also das

Verhalten in öffentlichen und privaten Räumen, vertreten hätten." So

einleuchtend und lehrbuchhaft dies klingen mag, ist es doch nur eine aus

der Sichtweise konfuzianischer Gedankenwelten tradierte, nachträgliche

Projektion. Abgesehen davon, daß das Werk von Ema ein Sammelsurium

aus klassifiziert zusammengetragenen historischen Bräuchen darstellt,

gibt es uns doch Auskunft über einige, auf den ersten Blick wichtige

Veröffentlichungen der O.-Strömungen.

In der Abhandlung Althergebrachte Höflichkeit und Zeremonie '^^CO^L

^ (Korai no reishiki, 1931/37)'^ exzerpiert und resümiert Ema Inhalte

s Vgl. Nihon rekishi daijiten 2, S. 316-319.

" Vgl. Meiji zenki skomoku shüsei.

10 Hayashi, S. 6.

11 Ema 7, S. 10.

12 Ema 7, S. 9-120.

(4)

aus Werken der O.-Strömung. So zitiert er die Hundert Paragraphen nach

den Ogasawara /J^S£1KH®^ [Ogasawara hyakkajö, 1632)'3, die Große

und vollständige Sammlung der Anstandsformen nach der Ogasawara-

Strömung. Eine Einleitung mit Bildern und Zeichnungen für Kinder,

Männer und Frauen 1/^^1^:^1112^ (Jidö danjo gazu

tebiki Ogasawara shorei taizen, um 1809)'*, die Geordneten und kostbaren

Aufzeichnungen über die Anstandsformen nach der Ogasawara-Strömung

/J^S£l^?jitlt-fLlij£fB {Ogasawararyü shorei chöhöki, um 1803/1838)'5, die

Neu zusammengestellten Anstandsregeln nach den Ogasawara /J^SSI^^irill

Ü-I^LÄ (Ogasawara shinsen shoreishiki, ISOl)'" usw. Die Anzahl der von

Ema genannten Werke ist äußerst begrenzt. Einen Großteil der O.¬

Schriften kannte er vermutlich nicht. Bei den von ihm genannten

Schrifttiteln handelt es sich um allseits längst bekannte Werke der

populären O.-Strömungen. Handschriftliche Dokumente, der größte

Korpus der überlieferten Dokumente der O.-Strömungen, werden von

Ema zu diesem Thema nicht erwähnt. Überlieferungen in der

Texttradition, intertextuellen Bezügen sowie der Textgeschichte ist Ema

nicht nachgegangen. Ausführlichere Darstellungen bietet Ema zur

Geschichte der Lebensfeste, insbesondere der Hochzeit nach dem O.¬

Stil." Diese Themen werden jedoch nur in einem Bruchteil der

historischen Ogasawara-Schriften ausführlich behandelt. Ihre Bedeutung

darf man für die Geschichte des Brauchtums zwar nicht unterschätzen,

doch in der Normengeschichte stellt das Brauchtum nur einen Aspekt

dar. Immerhin kann man sieh anhand der Äußerungen von Ema, der

selbst in Kleidung und Habitus die Lebenswelt der Vergangenheit

wiederzuerwecken versuchte, sowie aufgrund der Lektüre seiner Bücher

ein ungefähres Bild von einigen geläufigen Inhalten der Ogasawara-

Strömungen nach publizierten Werken der Edo-Zeit machen. Allerdings

ist einzuschränken, daß auch er die Normen-Inhalte der Ogasawara-

Werke stets nach den Klischeevorstellungen seiner eigenen Gegenwart

wiedergibt.

'3 KSM 1, S. 615b.

'* Okada Gyokuzan 1189501 (1737-1812). Kyoto: Um 1809 (Bunka Jtft 6).

3 Bde.

'5 Ohne Verfasser, o. 0.: um 1803/38 (Kyöwa 3, Tempo 9). Chöhöki bezeichnet

eigentlich eine Gattung; vermutlich stützte sich Ema jedoch nur auf das hier

angeführte Werk.

1« Aoki Tsunesaburo #*tIHfil$ (Hrsg.). ösaka ±M: Süzan Do ÄLÜ^ 1891.

" Vgl. Ema 5, S. 49-53.

(5)

III. Nur wenige Volksl^undler beschäftigten sich mit der Geschichte der

Etikette. Der Volkskundler Kumakura Isao M'M^^ befaßte sich lange

Zeit vom Blickwinkel der Geschichte des Teeweges aus mit der japa¬

nischen Alltagsgeschichte. Neuerdings legte er gemeinsam mit anderen

kürzere Studien zur Geschichte des Eßtisches und des Essens vor.

Thematisch gibt es damit bei ihm Überschneidungspunkte mit den von

Norbert Elias (1897-1990) angestellten üntersuchungen zum Essen.

Kumakura schrieb überdies zwei kürzere Aufsätze zu Charakteristika

und Entwicklungen in der Geschichte der allgemeinen Normen in Japan.

Er ist einer der wenigen Gelehrten, die das Thema überhaupt einer

„üntersuchung" für wert erachten.

Im Aufsatz Bemerkungen zum Umgang in der Gesellschaft ^LMi^^i(D

15 (Reigisahö no hanashi, 1978) erläutert er zunächst die Bedeutung des

Themas. Der gesellschaftliche Umgang bewirke eine Rangfolge unter den

beteiligten Menschen sowie eine Selbstkontrolle des Einzelnen in seinem

eigenen, sozialen Wirkungsumfeld (uchi). Die Selbstkontrolle beziehe sich

nicht auf den äußeren, sozialen Handlungsrahmen (soto), für den die

Normen keine Gültigkeit mehr hätten. „Verinnerlichtes" oder „Privates"

(uchi) deutet er so als gesellschaftsfähig, und „Äußerliches" oder

„Öffentliches" (soto) als nicht mehr gesellschaftsfähig. (S. 8-9) Er vertritt

die Theorie, daß westliche Verhaltensmuster in der Meiji-Zeit zunächst

nur für das Verhalten nach „außen" (soto) hin übernommen würden und

unintegriert neben japanischen Verhaltensmustern existierten (S. 17).

Außerdem beruft er sich darauf, daß es in Japan eine Kultur der

„Bewegungseinheiten" M (kata) gebe, was aus den japanischen Künsten

abgeleitet wird, in denen jede Handlung in eine Vielzahl kleiner,

vorgeschriebener Bewegungen unterteilt wird.

Kumakura meint, daß für Normen der räumliche Geltungsradius und

die zeitliche Tiefendimension wichtig seien. Ohne deutlicher zu

differenzieren, vertritt er die Ansicht, daß es drei übereinandergelagerte Schichten gebe:

a) Ältere, den Menschen durchgängig eigene Verhaltensweisen, b) die

Normen der Kriegergesellschaft, von der Muromachi-Zeit bis zum Ende

der Edo-Zeit sowie c) den Umgang in der Moderne. Für a) verweist er

auf Irenaus Eibl-Eibesfeld. Charakteristisch für b) seien das

Verdrängen und Sublimieren des Natürlichen in der Japan zu eigenen Be¬

wegungskultur, für c) die Rationalität als Ethik der städtischen

Gesellschaft.

In dem später erschienenen, kürzeren Aufsatz Die Modernisierung der

allgemeinen Verhaltensnormen ILf^f'^tSCDjfi'f^cfb (Reigisahö no kindaika,

(6)

1989)'* geht Kumakura von Prozessen der Verstädterung und Selbst¬

kontrolle aus, die die allgemeinen Umgangsnormen geschaffen und ge¬

prägt hätten. In Anlehnung an Elias spricht er von einem „Prozeß der

Zivilisation" 'X^MitCOj^M (bummeika no katei)'^. Er referiert Text¬

auszüge aus den Neu ausgewählten Anstandsregeln ^jfjUillLiC {Shinsen

ritsureishiki, 1883), dem Hauptwerk von 0. Kiyokane (1846/47-

1913)20, einem Vertreter der Akazawa-Linie, der vor der Meiji-Reform im

Dienst des Shogunats stand und dessen Nachfahren auch heute noch im

„Etikette-Geschäft" tätig sind. Wie er feststellt, steht Kiyokane nicht

mehr stellvertretend für das in der Edo-Zeit so typische G.-Genre, da er

die überlieferten Lehrinhalte unter Berücksichtigung ausländischen Ver¬

haltens hätte reformieren wollen. Obgleich er erwähnt, daß es auch

andere Veröffentlichungen gab, die sich an der 0. -Tradition orientiert

hätten, und man ihm zugute halten kann, daß er sich damit nicht

auseinandersetzen wollte, gewinnt der Leser seines Aufsatzes den

Eindruck, daß 0. Kiyokane für ihn die „O.-Strömung" der Meiji-Zeit

darstelle. Man kann Kiyokane nicht wie Kumakura als d e n O.-Vertreter

der Meiji-Zeit anführen. Er war nur ein Vorläufer einer modernisierten,

westliche Maßstäbe berücksichtigenden 0. -Schule, die ihren Ausgang in

Tokyo nahm und sich erst später durchsetzte. Man kann nicht alle

Autoren des Genres unter dem Namen von Kiyokane subsumieren.

Kumakura übersieht geflissentlich, daß sich in der Meiji-Zeit das Bild

der anderen Schriften, die im Über- oder Untertitel den Namen

„Ogasawara" trugen, erheblich änderte. Es ist nicht immer so, daß es sich

einfach um Neuauflagen edo-zeitlicher Werke handelt. Die Autoren

versuchten vielmehr, Erhaltenswertes zu bewahren und neue

Verhaltensmaßstäbe aus genuinen Traditionen abzuleiten. Faßt man den

Begriff der „O.-Strömung" weiter als Kumakura, kann man einen

besseren Überblick über das meiji-zeitliche Genre gewinnen. Die

'« Kumakura 1989, S. 81-90.

'9 Ebd., S. 81. Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psycho¬

genelische üntersuchungen, das Hauptwerk von N. Elias, erschien bereits in

den Jahren 1978-1979 auf Japanisch. Im Jahr 1981 folgten unter anderem Die

höfische Gesellschafl, 1991 Mozart. Zur Soziologie eines Genies, ebenso 1991

Engagement und Dislanzierung: Arbeiten zur Wissenssoziologie l, und 1994 Was

isl Soziologie ?, usw.

20 Tokyo: Dogen Sha \S]M^±, 2 Bde. 46, 45 S. - 0. Kiyonobu gibt die Lesung

„Kiyokane" an, frühere Lexikonautoren „Seimu". Die Konkurrenz unter den O.¬

Familien um die Legitimität der Etikette ist groß. Kiyonobu und andere gehen

trotz ihrer hohen Ansprüche nur von der eigenen Familien-Tradition aus.

(7)

Diskussionsansätze von Kumakura sind nicht ganz neu. Ähnlich wie Ema

verweist er darauf, daß „Inneres und Äußeres" oder „Privates und Öffent¬

liches" die Spannungspole der Normengeschichte seien. Daß die

japanischen Normenbereiche in Bewegungseinheiten unterteilt werden

können, stellt ebenso keine neue Erkenntnis dar. Die Periodisierung in

„Ältertum", „Kriegergesellschaft" und „Moderne", mit der er sich be¬

gnügt, verrät, daß er kein Historiker ist. Prozesse der Verstädterung und

Selbstkontrolle, die er erkennt, gibt es in der ganzen Normengeschichte,

nicht nur in einer Epoche.

B. KURZER HISTORISCHER ÄBRISS

I. Kamakura- und Muromachi-Zeit (1192-1573)

Das Haus Ogasawara entstand am Ende der Heian-Zeit (794-1185), als

Kaiser Takakura J^;^ (reg. 1I61-I18I) angeblich 0. Nagakiyo

(1 162-1242) nach dem Ort von dessen Wohnsitz den Namen „Kleines

Hutfeld" /Jn^I^ (Ogasawara) verliehen haben soll. 2' Der Vater von Naga¬

kiyo, Kagami Tomitsu iUW^M^t (1143-1224/30?), stammte von Kaiser

Seiwa (850-880) ab,^^ weswegen die Familie eigentlich dem

Hochadel zuzurechnen ist. Kagotani Machiko verweist

darauf, daß Nagakiyo an der unter dem Shögun Minamoto no Yoritomo

il^ll^ (1 147-1199) durchgeführten Zeremonie „Bogenschießen aufdem

galoppierenden Pferd" 'iMM^ (yabusame) beteiligt gewesen sei, die auf

Vorbilder aus der Heian-Zeit (794-1185) zurückgeht.Sonst gibt es

jedoch keine stichhaltigen Belege dafür, daß Nagakiyo der geistige

Begründer der späteren Tradition war. Nur vereinzelt finden sich

Hinweise, daß dessen Nachkommen, wie in den O.-Familien überliefert,

als Etikette-Lehrmeister zur Zeit der Höjö-Regentschaft (1203-

1333) auftraten.2* Die Verhaltenslehren wurden zunächst nur durch

2' Obgleich die kaiserliche Abstammung von ihm nicht angezweifelt wird,

weist Akiyama Takashi l^lciil® darauf hin, daß die Wortetymologie weniger

einen von Kaiser Takakura verliehenen Namen als vielmehr den Namen eines

lokal gebundenen Kriegergeschlechts vermuten läßt. Vgl. Ogasawara Naga¬

kiyo KÖ SHIRYÖ Kentö Iinkai (Hrsg.), S. 15-16.

22 Nakajima 1980, S. 44-58, 192-194. Ders. 1981, S. 205, S. 226. Ueno,

S. 1-34.

23 Kagotani, S. 107. Vgl. Ogasawara Nagakiyo kö shieyö Kentö Iinkai

(Hrsg.), S. 43-45, S. 84-91, S. 400.

2* Vgl. FuTAKi 1969, S. 29-60. Higuchi, S. 210.

(8)

„mündliche Tradierung" nfz; (kuden) innerhalb der Familien weiter¬

gegeben.

Bereits seit der Frühzeit der Familiengeschichte werden mehrere O.¬

Geschlechter unterschieden, deren Beiträge zur Geschichte jedoch noch

weitgehend ungeklärt sind.^s Kagotani, die sich auf die Genealogie der

Ogasawara /J^S£I^7^I2 {Ogasawara keizu)^^ stützt, sieht Vertreter der

Familie als Lehrmeister im Bogenschießen unter Kaiser Godaigo f^üSJ

(reg. 1318-1331/39), dem Shogun Ashikaga Takauji SflJ^ßc (reg. 1338-

1358) und den Hojö-Militärregenten (1203-1333).2' Nakajima Jitaro

(1980), der sich überwiegend mit Genealogien beschäftigte, teilt diesen

Standpunkt und betont außerdem, daß die Ursprünge der Strömung außer

bei 0. Nagakiyo auch bei Persönlichkeiten wie 0. Sadamune oder 0.

Nagahide zu suchen sind.^*

Eine schriftliche Uberlieferung setzte erst im 14. oder 15. Jahrhundert

ein. In Paragraphen gegliederte {Schriften üher den Anstand] des Fürsten

Ogasawara von Shinano /iNSSt^lMtM^BS {Ogasawara Shinano no kami

meyasu, Koei 1, 1342, 1 Bd.)29 lautet der Titel des frühesten, 0.

Sadamune M."^ (1294-1354)^" von Shinano jffji zugeschriebenen,

überlieferten Werkes, dessen Authentizität Futaki Ken'ichi H/f^^—

bezweifelt. 3' Sadamune soll jedoch als Lehrmeister von Kaiser Godaigo

und Ashikaga Takauji aufgetreten sein.32 Higuchi Motomi IjinTtE, der

die Ansicht vertritt, daß die Etikette der Familie aus den Sparten

„Bogenschießen" |t (sha), „Reiten" fSP (gyo) sowie „Anstand" ^if (rei)

bestehe, schränkt ein, daß sie ursprünglich nur aus den zwei

erstgenannten bestanden habe.^^ Für die letzte von ihm genannte Sparte,

den ,, Anstand", lassen sich im 14. Jahrhundert noch keine eigenen

Werktitel finden.

Ema Tsutomu, der darauf hinwies, daß in der Muromachi-Zeit die O.¬

Strömung den Umgang im Freien und die Ise-Strömung das Benehmen in

geschlossenen Räumen zum Inhalt gehabt hätten, geht — ohne dafür einen

genauen Zeitpunkt nennen zu können — davon aus, daß Vertreter der 0.-

25 Ogasawara Nagakiyo kö shiryö Kentö Iinkai (Hrsg.), S. 15-18.

26 Zoku Gunsho ruijü 5.2, S. 76-126.

2' Kagotani, S. 116.

28 Nakajima 1980, S. 192-193.

29 KSM 1, S. 614a.

3« KSM 9, S. 159a-b. Zu 0. Sadamune: Yamakami Toshio.

3' Higuchi, S. 224.

32 Nakajima 1980, S. 192. Vgl. Kagotani, S. 116-117.

33 Ders., S. 223-225. Vgl. Nakajima 1980, S. 193.

(9)

Strömung sich irgendwann einmal Lehrinhalte der Ise-Schule zu eigen

gemacht haben müßten. 3*

Die Vorstellung, die Ema von der Sache hat, geht ofTensichtlich auf die

Lektüre einzelner Quellenwerke zurück. In den Erörterungen zu neun

Schriften (Kyüsho henkai) aus der Edo-Zeit wird ausgeführt, daß

die Regeln über das Sitzen, Stehen, Bewegen sowie das Abhalten von

Festlichkeiten ursprünglich vom Haus Ise fj?^ tradiert worden seien.

Vermutlich beschränkte sich die Kriegeretikette zu Beginn des 14.

(respektive des 15.) Jahrhunderts vor allem auf Themen wie den Umgang

mit dem Schwert, die Handhabung von Pfeil und Bogen sowie das Reiten

und Kämpfen hoch zu Roß. Die Ursachen für die Entfaltung des

Kriegerhandwerks sind unter anderem in den bürgerkriegsähnlichen

Wirren während der Spaltung des Kaiserhauses in die Höfe des Nordens

und des Südens (1337-1392) zu suchen.

Die schriftliche Überlieferung der Ise-Strömung setzt im 15.

Jahrhundert zur Zeit von Ise Sadachika ff^^^lg (1417-1473)38 ein,

einem Enkel in sechster Generation nach Ise Sadatsugu {^^MM (1309-

1391), der sich während der Kriege der Jahre 1467-1477 im Land ömi jS

verbarg, wo er überlieferte Lehren seines Hauses schriftlich nieder¬

gelegt haben soll. Die um 1457-1460 verfaßten Belehrungen und Unter¬

weisungen von Ise Sadachika \?^M.^WlM Use Sadachika kyokun)^"^

behandeln neben der Kriegeretikette häusliche Dinge wie die Morgen¬

toilette, die Einnahme der Speisen, das Darreichen von Wein, das An¬

ziehen der Kleider usw. Die nach Ise Sadamune {^^^tJ? (1444-1509)^*

benannten Aufzeichnungen von Ise Sadamune, dem Fürsten von Hyögo

{f'^^W-'^M.'^M {Ise Hyögo kami Sadamune {no} ki)^^ sind umfang¬

reicher und haben das Hantieren mit dem Schwert, das Überreichen von

Kleidern oder Briefen, das Verhalten als Anmelder, den Umgang mit

Musikinstrumenten, die Eßtischanordnung, das Aufstellen von Wand¬

schirmen und anderes zum Thema.

34 Ema 7, S. 10-11.

35 Vgl. Higuchi, S. 224-225.

36 Im KSM werden 26 ihm zugeschriebene Schriften aufgeführt. Es handelt

sich um Tagebuchaufzeichnungen, Hausbelehrungen sowie um Abhandlungen

zum Briefstil, Bogenschießen, Reiten, Kleidung, zur Peitsche, zu den Jahres¬

festen usw. Ebd. 9, S. 53b-c; Futaki 1985, S. 219-225.

37 Zoku Gunsho ruijü 32.2, S. 23-32.

3» Futaki 1985, S. 225-236.

39 Zoku Gunsho ruijü 24.1, S. 471-500.

(10)

Die zweite, 0. Nagahide (1366-1424) zugeschriebene Schrift der

0. -Richtung, der Einheitliche Abriß der aufgrund von Erörterungen durch

Vertreter der drei [Häuser Imagawa, Ogasawara und Ise aufgestellten

Anstandslehre] ELM^M: {Sangi ittö, 1396)*" entstand kurz nach der

politischen Wiedervereinigung Japans. Sie beinhaltet immer noch vor

allem Regeln über den Umgang mit Waffen. Am Rande werden Kleidung,

Essen, Wohnen und mitmenschlicher Umgang erwähnt. Das Werk soll auf

Befehl des dritten Ashikaga-Shöguns, Yoshimitsu (1358-1408)

entstanden und von Mitgliedern der drei Adelshäuser Imagawa Ise

und 0. verfaßt worden sein. 0. Nagahide Enkel von 0.

Sadamune, Imagawa Noritada ^jUtB-S (1408-?), und Ise Sadayuki

^ff sollen die Verfasser sein.

Das Werk ist in zwölf „Abteilungen" PI (mon) gegliedert. In der Ersten

Abteilung, die den Titel „Weiterführen der Familie" 'i^i&KkW. (zokui ika?)

trägt, wird auf die Herkunft mehrerer Adelshäuser eingegangen. Die Zweite

Abteilung „Regeln und Maße" SM (höryo) handelt vom Hantieren mit Pfeil

und Bogen sowie dem Schwert. Es wird beschrieben, wie Waffen gemeinsam

mit anderen Gegenständen zu überreichen und entgegenzunehmen seien.

Fächer, Schreibzeug, Speisen, Hochzeit, Wildbret, Musikkomödie und

andere Themen werden angeschnitten. „Reiten und Bogenschießen"

(kisha), die Dritte Abteilung, behandelt außer dem in der Überschrift An¬

gedeuteten Themen wie Peitsche, Köcher, Kutsche und Sänfte. In der

Abteilung „Bogenschießen beim Gehen zu Fuß" ^It (hosha) wird überdies

das Abschießen von surrenden Pfeilen bei der Geburt eines Kindes

erläutert. „Aufwarten" iPi^ (gubu), die Fünfte Abteilung, hat das Bedienen

im Freien, die danach folgende, „Hausdienste" Kfi (kyüji), dagegen das

Dienen in einem Anwesen sowie in geschlossenen Räumen zum Thema. In

der Sechsten Abteilung finden sich recht unterschiedliche Ausführungen

zum Schlafplatz, zur Eßtischanordnung, zum Wassergießen, Überreichen

einer Schüssel, zu Musikinstrumenten, Getränken, zur Hochzeit, usw. In

„Anmelden und Gegenübertreten" (sotai), der Siebten Abteilung, wird

nach dem Vorstellen des Gastes durch den Diener auf das Vorzeigen von

Blumen, das Überreichen von Vögeln oder Fischen und vor allem die

Falknerei eingegangen. In „Regeln für den Umgang mit Pferden"

(bahö), der Achten Abteilung, werden das Führen und Leiten eines Pferdes

in verschiedenen Situationen, und in „Kickball" MW (shükiku, sie!), der

Neunten Abteilung, Grundsätze und Verhalten beim Ballspiel geschildert.

Die Zehnte Abteilung „Eßtische" Sip|5 (zembu) ist Getränken, Speisen und

Tischen gewidmet. In „Regeln für den Umgang mit dem Schreibpinsel" |t?£

40 KSM 3, S. 763c. Dai shorei shü 1, S. 253-318; 2, S. 3-76; Zolcu Gunsho

ruijü 24.1, S. 234-337. Ise Teijö bestreitet die Authentizität der Schrift.

Higuchi, S. 210-211, 259-261.

(11)

(hippo) werden Ausdrücke des Briefstils sowie Briefgattungen erläutert. Die

letzte Abteilung „Inspektion" (jikken) handelt von der Truppen¬

besichtigung durch einen General sowie der Haltung gegenüber Gefangenen

und Straftätern.

Die im Sangi ittö genannten Themen werden kaum aus dem Blick¬

winkel grundlegender menschlicher Bedürfnisse dargestellt, wovon Elias

bei der von ihm vertretenen Theorie ausging. Einer der Gründe dürfte

sein, daß man dies in Japan als unrein empfunden hat und darum

tabuisierte. Nur in der Sechsten und Zehnten Abteilung wird das Essen

thematisiert. Zum Essen, der Eßtischanordnung und dem Gebrauch des

Geschirrs finden sich nur gelegentlich Einschübe,*' in denen die Ver¬

wendung der Bestandteile des Tischgedecks, jedoch nicht das Speisen an

sich ausgefiihrt wird.

Der psychische Habitus beim Essen ist noch kein Thema. Da das in

früheren Zeremonialwerken, die für den Kaiserhof Gültigkeit hatten,

kaum angesprochen wird,*^ lassen sich anhand dieser Quelle nur mit

Einschränkungen Scham- und Peinlichkeitsschwellen im Sinn von Elias

konstatieren. Allerdings ist das Sangi ittö nicht mehr an die höfische

Gesellschaft, sondern an den ländlichen Hochadel gewandt, der zwar von

der Kaiserfamilie abstammte, jedoch politisch nicht mehr vom Kaiserhof

abhängig war.

Kagotani meint, daß das Werk stellvertretend fiir einen in jener Zeit

stattfindenden Wandel zur schriftlichen Fixierung und zur Verein¬

heitlichung der Etiketteströmungen stehe.*3 Die Schrift wurde zwar als

eines der ersten Etikette-Lehrbücher fiir den hohen Kriegeradel über¬

liefert, doch kann nicht ausgeschlossen werden, daß sie erst im 15. oder

16. Jahrhundert entstanden ist und aus Gründen der Legitimation

vordatiert wurde. Ise Teijö (Sadatake) ^^^i (1717-1784) meinte, daß

das Sangi ittö eine Fälschung sei. Dafür spricht, daß andere, auf das 15.

Jahrhundert datierbare Werke der O.-Strömung ein wesentlich geringeres

Normenspektrum aufweisen. Entweder sind viele der in diesem Werk

aufgegriffenen Themen damit zum ersten Mal für die Nachwelt schriftlich

fixiert erhalten blieben, oder man muß davon ausgehen, daß sich das

Normenspektrum irgendwann im 14. bis 16. Jahrhundert grundlegend

geändert hat. Jedenfalls kann das fiir die O.-Strömung jener Zeit darin

«Doi shorei shü 2, S. 11/13, S. 12/16, S. 12/18, S. 12/19, S. 16/41, S. 17/48, S. 17/52, S. 47/3, S. 48/11, S. 49/17, S. 51/22, S. 52/23-24.

«Blümmel, S. 17-148; Bock 1, S. 188-192; S. Charlier, S. 73-195.

"Kagotani, S. 122.

(12)

Überlieferte als ein Phänomen für gesamtgesellschaftlichen Wandel im

Sinn der von Fernand Braudel projizierten „longue duree" interpretiert

werden, ünd um es mit Elias nur anders auszudrücken,"* begann der

Kriegeradel zum einen, Verhaltensweisen des Hofadels zu übernehmen,

und zum anderen, eigene Normen für das Alltagsleben zu entwickeln.

Nakajima (1980)*^ weist darauf hin, daß es vom Beginn des 14.

Jahrhunderts an eine O.-Familie von Kyoto gab, die in der Meiji-Zeit

ausgestorben sei, und als deren Ahnherr 0. Sadanaga ein jüngerer

Bruder von 0. Sadamune, gelte. Von derselben Familie sind aus der

Muromachi-Zeit Schriften überliefert. 0. Nagataka ^ßj, der Lehrmeister

unter Ashikaga Takauji war, werden Werke zur Reitkunst, zum Sattel

und den Zügeln zugeschrieben.*" 0. Mitsunaga #1:5 gilt als der Autor von

Dokumenten aus den ersten zwei Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts zum

Bogenschießen hoch zu Pferde und zur Zielscheibe.*'

Drei Schriften mit dem Namenszusatz „Ogasawara" werden im Kokusho

sömokuroku aus dem 15. Jahrhundert aufgeführt. Die Geheimschriften

über das Zaumzeug nach der Ogasawara-Strömung /J^SiI^öit^ffl^iJ#

(Ogasawararyü tazuna no hisho, Hotoku 2, 1450, 1 Bd.)** des 0. Mo¬

chinaga (?-1458), einem Vertreter der Zweigfamilie von Kyoto, die

der Reitkunst gewidmet sind, handeln vom Gebrauch der Zügel, dem

Sattelzeug, den Steigbügeln, der Peitsche sowie vom Anleiten und Reiten

des Pferdes in verschiedenen Situationen.

O. Mochinaga gilt als der Lehrmeister von Ise Sadachika f^^ÄH (1417-

1473), der Berater des Shoguns Ashikaga Yoshimasa ^MW.^ (reg. 1449-

1473) wurde. Higuchi vertritt den Standpunkt, daß möglicherweise seit

Sadachika Inhalte der Ise-Strömung von der Familie O. übernommen

worden seien.*** Die 58 von und über Mochinaga erhaltenen Schriften

behandeln weitgehend Themen wie das Reiten und Bogenschießen. Erhalten

sind auch Schriften über den Umgang mit Peitschen, die Kleidung, das

Schreiben, das Überreichen, Entgegennehmen, das Aufhängen von Bildern

und das angemessene Verhalten eines Gesandten. Darunter gibt es ein

Dokument über das Anspielen der Bogensaite zum Vertreiben böser Geister

und eine einzige Schrift zum Essen. *"

** Elias 1976. 1, S. 133-136.

*5 Nakajima (1980, S. 194-202) stützt sich auf Horiuchi Chimasai (1937).

*6KSM 9, S. 158b.

*'KSM 9, S. 159b.

*8KSM 1, S. 616d. Zoku Gunsho ruijü 24.1, S. 220-233.

*9Vgl. Higuchi, S. 225.

50 KSM 9, S. 157c-d; Higuchi, S. 224-225; Ise Sadachika wird als Verfasser

von 26 Schriften angegeben. KSM 9, S. 53b-c.

(13)

Die 26 von 0. Motonaga TC^g; (?-1503)5', einem weiteren Vertreter der

Famihe von Kyöto, überlieferten Dokumente umfassen neben den

traditionellen Inhalten eine Schrift zum symbolischen Abschießen von

Pfeilen zur Abwehr böser Geister bei der Geburt eines Kindes. Mit dem

Niedergang des Muromachi-Shögunats (1338-1573) verlor die Familie von

Kyöto an Einfluß. ^2 Sofern in dieser Familie eine Diversifizierung der

Normen stattfand, beschränkte sich dies also nur auf das Reiten und

Bogenschießen.

Die Großen doppelseitig [gebundenen Hefte] der Ogasawara 'h^W^.izJ'J.

^ {Ogasawara özöshi, Meiö 7, 1498, 1 Bd.)^^ von 0. Munenaga und

die Geheimschriften über das Bogenschießen und Reiten nach der Oga¬

sawara-Strömung /l'^^'^^^M^MWW {Ogasawararyü kyüba hisho, Bum-

mei 17, 1485)5* von 0. Muneyuki (15. Jh.), die nicht der Kyoto-

Familie zugerechnet werden, stammen aus der zweiten Hälfte des

Jahrhunderts. Inhaltliche Affinitäten zur Ise-Strömung lassen sich liir das

15. Jahrhundert nicht verifizieren.

Dreizehn Schriften mit dem Namenszusatz 0. gibt es aus dem 16. Jahr¬

hundert. Die Titel, wie Tägliche Berichte über das Bogenschießen hoch zu

Roß von Ogasawara Hisakiyo 'b^W^^'iWMWiMi B IS {Ogasawara Hisakiyo

yabusame nikki, Bunki 2, 1502, I Bd.)55, Mündlich Überliefertes zum

Bogenschießen der Ogasawara mit Zeichnungen und Erläuterungen

{Ogasawara yumiya kuden zukai, Tembun 2-3,

I533-I534, 1 Bd.)5'' sowie die Ogasawara Nagatoki zugerechneten Uber¬

lieferungen zum Militärwesen aus dem Haus Ogasawara /jNS£J!^^¥'ß

{Ogasawarake gunden, Tenshö 8, 1580)5' in zehn Heften (kan) deuten an,

daß die kriegerischen Künste weiterhin im Zentrum der Überlieferung

standen. Die 0. Sadayoshi zugeschriebenen Gesammelten Schriften über

die Anstandsformen der Ogasawara /jN^I^ff (Ogasawara shorei shü,

Tenshö 4, 1576, 3 Bde.)5* scheinen allgemeine Normen zu enthalten, die

5' KSM 9, S. 157b. Zwei Zeitgenossen trugen diesen Namen. Nakajima 1980,

S. 196. _

■''^Seit O. Nagafusa fiM (?-1655), der im Jahr 1592 in den Dienst von Toku¬

gawa leyasu (1543-1616) trat, wird diese Linie nach dem Beinamen von 0.

Nagafusa als die Familie von Nuinosuke SSli bezeichnet.

53 KSM 1, S. 613b.

5* Ebd. 1, S. 615d.

55 Ebd. 1, S. 615a.

58 Ebd. 1, S. 615c.

67 Ebd. 1, S. 613c.

58 Ebd. 1, S. 614b-c.

(14)

über die Bereiche des Kriegerhandwerks hinausgehen. Die Falknerei^»

wird wieder als ein im Kriegerstand gepflegter Zeitvertreib erwähnt"".

Haben O.-Vertreter nun im 16. Jahrhundert Inhalte der Ise-Schule

übernommen? In der Tat lassen sich von 0. Sadayoshi an der Ise-

Strömung vergleichbare Inhalte zu allgemeinen Normen des häuslichen

Bereichs in Werken der 0. -Schriften finden. Futaki verweist auch

darauf, daß 0. -Schriften seit der Periode „Zivilisation des Himmels"

(Tembun, 1532-1555) auf den Umgang im Zimmer und die Hochzeits¬

feierlichkeiten eingehen."' Leider ist es jedoch so, daß weder Ema noch

Futaki aufgrund exemplarischer Quellenuntersuchungen textuelle Be¬

züge zwischen den unterschiedlichen Schrifttraditionen erforscht haben.

Die überwiegend erst am Ende des 16. Jahrhunderts vorgenommenen

Erweiterungen des Normenkanons der O.-Strömung können zum einen

Entwicklungen innerhalb und zwischen den konkurrierenden Lehr¬

richtungen anzeigen, wie sie Ema konstatierte, zum andern sind sie auch

Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Wandels, der sich im Leben und

Schrifttum jener 0. -Autoren widerspiegelt.

2. Azuchi- und Momoyama-Zeit (ca. 1573-1603)

Seit der Belehnung von 0. Sadamune durch Ashikaga Takauji im Jahr

1347 bis um 1550, als 0. Nagatoki (1514-1583)62 von Takeda

Harunobu ÄISWlH (1521-1573) besiegt wurde, war die Familie in der

59 Ebd. 1, S. 613a. Ogasawara ikkaden taka no hiji /JnS£H— ^ßJl^ft^

(„Geheimnisse der Falknerei nach der Überlieferung des Hauses Ogasawara").

Tenshö, 1573-1592. 1 Bd.

80 Vgl.: Ogasawara komato '\"^'&M'h^ („[Bogenschießen sowie das Treffen der]

Zielscheibe nach den Ogasawara"). Ohne Autor. Eishö 13, 1516. 1 Bd. KSM 1, S.

614a. Ogasawararyü bajutsu ogi shö 'b^M'i^^Wi^M^P („Abschrift der

Geheimlehre der Reitkunst nach der Ogasawara-Strömung"). Ohne Autor. Tem¬

bun 4, 1535, 2 Bde. KSM 1, S. 616d. Ogasawara yoroi no denki /J^^gMüßlö

(„Aufzeichnungen der Ogasawara-Überlieferungen zur Rüstung"). 0. Nobusada fW

Tembun 8, 1539. 1 Bd. KSM 1, S. 615c. Ogasawara kyühö sho

(„Revidierte Schriften zu den Regeln der Ogasawara"). Ohne Autor. Tembun 8,

1539. 2 Schriftstücke (cho). KSM 1, S. 613c. Ogasawara daizen daibu Nagatoki

shomotsu /J'^SiS^^IS^^fiB^tf^J („Schriften von Großmeister Ogasawara Naga¬

toki"). 0. Nagatoki. Tenshö, 1573-1592. 1 Bd. KSM 1, S. 614c.

61 Higuchi, S. 225.

62 Zu 0. Nagatoki: Dobashi Jichu. Nakagawa Haruo. Nakazawa Shizuo

1967.8, S. 18-21. Yokoyama Shimpachi.

(15)

Provinz Shinano ansässig. Die Stationen seiner Flucht führten Nagatoki,

der nach einer Restauration der Familienbesitztümer strebte, an acht

verschiedene Orte Mitteljapans. Er unterrichtete seine Söhne in den

niündlich überlieferten Lehren der Familie und verfaßte eine Vielzahl von

Schriften zur O.-Etikette. Sein dritter Sohn, 0. Sadayoshi (1546-

1595)83, (Jem er um 1580 die Schriften überließ, eroberte 1582 die Festung

Fukashi •'ß^.Jt- (Präfektur Nagano) zurück. Nagatoki und Sadayoshi gelten

als die Vollender der Anstandsregeln der Strömung. Nagatoki werden

dreißig bzw. 191, und Sadayoshi zwölf bzw. 48 Schriften zuge¬

schrieben."*

Es ist zwar gänzlich ungeklärt, welche der Dokumente echt oder

gefälscht sind, doch ist mit Higuchi davon auszugehen, daß die in ab¬

weichenden Fassungen tradierten Anstandsschriften der Ogasawara /JnS;

1^IL# {Ogasawara reisho, um 1592) unter anderem Sadayoshi und dessen

ältestem Sohn 0. Hidemasa (1569-161 5)"5 zuzuschreiben sind. Die

älteste erhaltene Fassung des Ogasawara reisho, die 0. Tadamune «"fi^

(1919-1996) im Jahr 1973 neu herausgegeben hat, wird im folgenden

vorgestellt.""

Das Heft Erstes Hutaufsetzen tlM. (Gempuku) umfaßt auch Ausfuhrungen

zum , Ersten Essen', zur , Pluderhoseneinkleidung' und zur Einheirat von

Bräutigam oder Braut"'. Im Heft Zehntausenderlei zu Zucht und Ordnung

TJÄ^ (Yorozu shitsukekata, um 1608) werden, wie der Titel es andeutet,

unterschiedliche Themen aufgegriffen: Jahresfeste, Kleidungsstücke,

Verhalten als Gesandter oder Diener, Umhergehen vor einer hohen Person,

Musikkomödie, Kerzenständer, Wegschippen der Weihrauchasche, Räu¬

cherwerk, Weihrauchbecken, Riechen von Weihrauch, Aufhängen und

Betrachten von Bildern, Entgegennehmen und Bewundern von Blumen,

Hochreichen und Benützen eines Faltfächers, Wasser über die Hände

gießen, Schwert, Tee und Teeschale, Hochreichen von Tusche und Schreib¬

papier, Sitzung zum Verfassen von Kettengedichten, Überreichen eines Fal¬

ken, Go-Spiel, Überreichen eines Briefes mit und ohne Schatulle, Acht¬

zollflöte, Flöte, Anleiten eines Blinden, Hilfeleisten im Bad, Geleit aufdem

Weg zum Schlafzimmer oder zur Toilette, Schrein- und Tempelwallfahrt,

"3 Zu O. Sadayoshi: Kurino Toshiyuki. Nakazawa Shizuo 1968.4, S. 18-21.

"* KSM 1, S. 613-617; 9, S. 157c-d, S. 159a.

"5 Zu 0. Hidemasa: Shimpen Shinano shiryo sösho 12, S. 213-250.

"" Der Verlag Tairyü Sha (1972) veröffentlichte eine weitere Version

der sieben Hefte, zu der O. Yutaka der für die Kompilation zuständig war,

das Vorwort verfaßte. Yutaka eröffnete 1955 für kurze Zeit, unterstützt von

Tokugawa Yoshichika fö.illttH (1886-?), eine private Anstandsschule. Ogasa¬

wararyü sahd hidensko 9: S. 8-10.

«' 0. Tadamune 1973. 8, S. 33/20-45/87.

(16)

Ballgarten, Einnahme des Sitzplatzes, Aufstehen vom Sitzplatz, Darreichen

von Fischen und Vögeln, Hantieren mit dem Küchenmesser, Verwendung

von Tabletten, Tücher und Stoffe, Darreichen von Rüstung und Helm, N6-

Spiel, Überreichen von Geld auf der Theaterbühne, Zerschneiden der

Melone, Schälen von Obst wie Birnen und Persimonen usw. Im dritten Heft,

Umhergehen und Servieren il (Kayoi), werden das Darreichen der Eßtische

und der Speisengänge, das Verhalten als Diener, das Aufessen der

verschiedenen Speisen, das Hantieren mit den Stäbchen, usw. ausgeführt.

Als Speisen und Getränke werden Suppen, Vogelfleisch, frisches und

eingelegtes Gemüse, Süßigkeiten und Dampfklöße erwähnt. Das Heft

Ausschenken Wj (Shaku) hat das Verhalten des Kellners zum Thema, wozu

neben dessen Bewegungen das Hantieren mit den Schenk- und Trinkgefäßen

sowie das Auftragen und Abräumen gehören. Neben der Entgegennahme der

Trinkgefäße und dem Genuß von Getränken und Zuspeisen wird das

Verhalten bei der Hochzeit und anderen geselligen Anlässen angesprochen.

Das fünfte Heft, Entgegennehmen und Überreichen SlXZlx (Uketori

watashi), das als Zielpersonen Boten, Helfer, Diener sowie

Entgegennehmende vorsieht, gibt eine Einführung zum Umgang mit

Gegenständen des Alltagslebens. Die Übergabe und Entgegennahme des

Schwertes, die gemeinsam mit anderen Gegenständen wie Kleidern oder in

bestimmten Situationen erfolgen kann, wird ausführlich dargestellt.

Weitere Waffen wie Pfeil und Bogen, Köcher und die Peitsche sowie Pferd

und Falke, die im Leben der Krieger eine größere Rolle spielten, werden

ebenso angesprochen. Die letzten zwei Hefte, die die Titel Regeln für den

Brief- und Schriftstil #^Lffi (Shorei hö) tragen, behandeln Inhalte, Falt¬

formen, Übergabe und Entgegennahme von Briefen in verschiedenen

Situationen.

Das Ogasawara reisho verfügte ursprünglich über keine Bandzählung;

diese wurde erst Anfang des 17. Jahrhunderts ergänzt."* Die Bandzählung

und die Reihenfolge der Inhalte spiegeln den Rang und den Grad an

Wertschätzung wider, der Normenbereichen eingeräumt wird. Er¬

staunlich ist, daß die Lebensfeste an erster Stelle stehen; danach folgen

Themen, die sich auf den friedfertigen Umgang mit anderen Menschen,

die Freizeitgestaltung oder das Verhalten als Diener beziehen. Dieser

Umstand läßt sich aus der Familientradition heraus so interpretieren, daß

in der Familie 0. weiterhin die Werte einer am „Hochadel" (kuge)

orientierten ländlichen Oberschicht gepflegt wurden. Die Darstellungen

sparen das Kriegshandwerk weitgehend aus, sind konträre Spiegelbilder

zu den am Ende des 16. Jahrhunderts ausklingenden gesellschaftlichen

Umwälzungen. Die Betonung der Lebens- und Jahresfeste drückt den

Wunsch nach einer festgefügten gesellschaftlichen Ordnung aus. Der

«8 Higuchi, S. 248.

(17)

Erhalt des Friedens war seit dem Jahr 1590 ein Hauptziel der Politik von

Toyotomi Hideyoshi (1536-1598).

3. Edo-Zeit

3.1 Familien

In der Edo-Zeit existierten mehrere O.-Geschlechter, in denen die

Familienetikette gepflegt wurde. Fünf Familien werden in älteren

Veröffentlichungen hervorgehoben. Die vielerseits beachtete Akazawa-

Familie, die im Dienst der Feudalregierung in Edo stand, wird diesem

Kreis gewöhnlich nicht zugeordnet. Ihre Genealogie wird angezweifelt

und ihre Gräber sind nicht mehr wie die der anderen Familien in den so

bezeichneten Tempeln Kaizen anzutreffen."^ O.-Familien waren mit

den Fürstentümern Anshi in der Provinz Harima jSl^ (Hyögo,

Honshü), Karatsu /S?^ in der Provinz Hizen ^Etfi (Saga, Kyüshü),

Katsuyama Mlil in der Provinz Echizen (Fukui, Honshü), Kokura /J^

^ in der Provinz Buzen (Fukuoka, Kyüshü) und Kokura Shinden /J^

;)^|fr5i im Gebiet von Buzen belehnt.

0. Hidemasa, der mit seinem ältesten Sohn in der Schlacht um Ösaka

im Jahre I6I5 ums Leben kam, war mit einer Tochter des ältesten

Sohnes von Tokugawa leyasu verheiratet. 0. Tadazane JS^M (1596-1667),

der zweite Sohn von Hidemasa, wurde in der Schlacht von Ösaka schwer

verwundet. Nach Belehnungen mit den Festungen Matsumoto fö:^ (um

I6I6, Nagano) und Akashi BJS (um I6I7, Hyögo) erhielt er zur Sicherung

von Kyüshü im Jahre 1632 das Fürstentum Kokura /J^:^ (Fukuoka) im

Land Buzen ^ffi als Lehen. Die auf ihn zurückgeführte „vorstehende,

leitende Familie" fe'^^ (söryöke), die zehn Generationen lang bis um

1866 die Geschicke von Kokura leitete und von denen sich die Ge¬

schlechter von Anshi, Chizuka "f^, Karatsu und Kokura Shinden ab¬

leiten, stand im Rang höher als jene übrigen in der Edo-Zeit belehnten

Zweigfamilien.

Im Kokusho sömokuroku wird von Vertretern der Familie von Kokura

nur für O. Tadao (1647-1725) eine Schrift angegeben, die allerdings

nicht von der Etikette handelt.'" Shimada" verweist darauf daß die

Familie in den Generationen nach Hidemasa die überlieferten Lehren

69 Vgl. O. Kiyonobu 1975, S. 29.

'0 KSM 9, S. 158b.

71 Shimada 1978, S. 32.

(18)

nicht mehr weiter verbreitet habe. Der Familie von Kokura oblag die

Bewahrung der Familientradition. Einschließlich des genannten Sangi

ittö und des Ogasawara reisho sollen sich heute noch ca. 48 Schriften im

Besitz der Familie befinden. ^2 Die auf das 17. und 18. Jahrhundert

zurückgehenden Werke haben zwar die Überlieferung, die Raumaus¬

stattung sowie die Gestalt der Schenkgefässe zum Thema, jedoch nicht

das Verhalten. Die Kanonisierung des Ogasawara reisho bewirkte, daß in

der Folge kein Vertreter dieser Familie mehr als Neuerer in der O.¬

Strömung auftrat. 0. Tadamune"^, der nach der nicht standesgemäßen

Heirat seines älteren Bruders in den Dreißiger Jahren die Nachfolge in

der Leitung der Familie antrat, versuchte als einziger, als Autor die alte

Tradition seiner Familie wieder zu beleben. In seinen Veröffentlichungen verbindet er die Ideen, Prinzipien und Inhalte der alten Familientradition mit den Erfordernissen der Gegenwart.'*

Eine größere Rolle bei der Herausbildung offiziell legitimierter Normen

spielte die Zweigfamilie Akazawa iff'iR, die sich nicht von Hidemasa

ableitet. Nakajima (1980), der aufdie O.-Familie von Akazawa eingeht,

verweist darauf daß Sadamune (14. Jh.) bei seiner Einsetzung als „Vogt"

(shugo) von Shinano i^M mit einem Gebiet betraut wurde, in dem

bereits eine Familie Akazawa ansässig war, mit der es dann in der Folge

zu Heiratsallianzen gekommen sei. 0. Kiyonobu, der Vertreter der 30.

Generation derselben Familie, führt die eigene Abstammung hingegen auf

0. Kiyotsune 'imt^ (13. Jh.), einen zweiten Sohn von Nagatsune und

Enkel von Nagakiyo, zurück. Nakajima identifiziert Kiyotsune als einen

Angehörigen der Akazawa-Familie. Kiyonobu, der fiir die Legitimität

'2 0. Tadamune 1973. 8, S. 27.

'3 Tadamune, Absolvent der Universität von Tokyo (Tokyo Daigaku), war als

Bibliotheksdirektor der Präfekturbibliothek von Nagano fiif sowie als Pro¬

fessor an der Sagami-Frauenuniversität fflH;^?^;^^?^ in der Präfektur Kana¬

gawa fif^Jil tätig. Er veröffentlichte in den Jahren 1971, 1972, 1973, 1982 und

1990 Bücher zur Ogasawara-Etikette. In Nihonjin no reigi to kokoro Ogasa¬

wararyü densho no oshie K(D^U^tib'h^W.iMn^(D^X. („Verhalten und

Anstand sowie Herz der Japaner. Lehren aus den überlieferten Schriften der

Ogasawara-Strömung", 1972) setzt er sich besonders mit dem Wesen und

charakteristischen Lehrinhalten des Ogasawara-Stils auseinander. Nach dem

Ogasawara reisho folgte im Jahr 1990 die Veröffentlichung des Ogasawararyü

Reiho nyümon /J^^I^/^t^LffiAP'] („Einführung in die Anstandsregeln. Nach der

Ogasawara-Strömung"), in dem er illustrierend tradierte Normen des allge¬

meinen Umgangs darstellt.

'■i Vgl. Futaki 1985, S. 7.

'5 Nakajima 1980, S. 203-204.

(19)

seiner Familie eintritt, meint, daß 0. Tsuneoki (? - um 1378), der ein

Vetter von Sadamune gewesen sein soll, gemeinsam mit jenem die Werke

Erörterungen über Körper und Funktion f^ffllm {Taiyö ron) und Er¬

örterungen über die Kultivierung des Selbst fi^^fm [Shushin ron^^

verfaßt habe. Die in der O.-Familie am Ende des 16. Jahrhunderts

verfaßten Schriften seien der Akazawa-Familie von Sadayoshi im Jahre

1574 geschenkt worden.''' Es ist offensichtlich, daß es sich bei den Er¬

läuterungen von Kiyonobu um „hausgemachte Geschichten" handelt.

Einer seiner Vorfahren, 0. Nagakatsu (? - um 1558), verfaßte die

Hausregeln [Kahö].'^^ Seit dem Jahr 1613 stand die Familie

angeblich in Edo im Dienst des Shoguns. Kiyonobu sieht das Taiyö ron

und das Shushin ron als ideelle Grundlagen der O.-Strömung an. Das

Taiyö ron, das am Beispiel konfuzianischer Grundbegriffe in kom¬

mentierten Paragraphen Prinzipien der Körperbewegungen behandelt,

dürfte aufgrund des Wortschatzes nicht auf das 14. Jahrhundert

zurückgehen. Das Shushin ron beinhaltet in 64 Abteilungen allgemeine

Normen:

1. „Stehen und Sitzen sowie Handeln und Ruhen" SBÜfl (tachii dösei),

2. „Sprechen" ata (gengo), 3. „Binden des Gürtels" (sokutai), 4. „Modi¬

fikationen" (kankotsu), 5. „Geschenklisten" @® (mokuroku),

6, „Briefe" (shokan), 7. „Abschießen" (dansha), 8. „Reiten zu

Pferde" (kijö), 9. „Familiennamen, Geschlechternamen sowie

Bezeichnungen und Titel" fitfi;^^^ (seishi shogo), 10. „Beamtenränge" Wfö (kan'i), 11. „Krieger und Vasallen" f±E (jishin), 12. „Naß aufwischen" SS

(saiso), 13. „Porzellangefäße" PIÜb (töki), 14. „Ehrwürdigkeit und

Feierlichkeit" 8:^ (sögen), 15. „Ansehen" Uli (shisen), 16. „Zuhören" ItFwl (chöbun), 17. „Geleiten" üifl] (sögei), 18. „Hin- und Zurückgehen" ffiil

(ökan), 19. „Audienz" t@S (shökan), 20. „Vermittler" (baishaku),

21. „Abschätzen des richtigen Maßes" IJÄ (doryö), 22. „Kleiderbündel" S

"äl (koromotsutsumi), 23. „Zurückweisen und Darreichen" ttS (hinju),

24. „Hochreichen und Empfangen" (höshö), 25. „Darreichen und Ent¬

gegennehmen" iSIX (shinshü), 26. „Einrichten und Ausstatten" ^^Ix (shi-

setsu), 27. „Der Bote gegenüber dem Anmelder" (shi sö ni taisu),

28. „Anmelder und Bote" (sö shi), 29. „Der Bote gegenüber dem Herrn"

ffi^^i (shi shu ni taisu), 30. „Der Herr gegenüber dem Boten" (shu

shi ni taisu), 31. „Der Gast gegenüber dem Anmelder" (hin sö ni

taisu), 32. „Anmelder und Gast" #Ä (sö hin), 33. „Der Gast gegenüber dem

Herrn" (hin shu ni taisu), 34. „Der Herr gegenüber dem Gast"

'6 0. Kiyonobu 1975. 1, S. 21-24, S. 63-73. Im KSM werden sie nicht aufge¬

führt.

" O. Kiyonobu 1967, S. 29-34.

'8 KSM 9, S. 158e.

(20)

(shu kyaku ni taisu), 35. „Der Mönch gegenüber dem Anmelder" (so

so ni taisu), 36. „Anmelder und Mönch" (so sö), 37. „Der Mönch

gegenüber einer gewöhnlichen Person" fi^fS (sö zoku ni taisu), 38. „Eine

gewöhnliche Person gegenüber einem Mönch" fS>ftfM (zoku sö ni taisu),

39. „Eine Frau gegenüber dem Anmelder" tcM^ (jo sö ni taisu), 40. „Der

Anmelder und eine Prau" (sö jo), 41. „Eine Frau gegenüber einem

Mann" i^M^ (jo nan ni taisu), 42. „Ein Mann gegenüber einer Frau" ^ti tc (nan jo ni taisu), 43. „Eine Frau gegenüber einem Mönch" tcMia (jo sö ni taisu), 44. „Ein Mönch gegenüber einer Frau" i^MtC (sö jo ni taisu), 45. „Ein

Gemeiner gegenüber dem Anmelder (sen sö ni taisu), 46. „Der

Anmelder und ein Gemeiner" #11 (sö sen), 47. „Gemeine gegenüber Oberen"

^^_h (sen jö ni taisu), 48. „Wie Obere Gemeine anschauen" iiiSÜ (jö

sen o miru), 49. „Küche" JSH (höchü), 50. „Bedienung mit verschiedenen Speisen und Reis" $111"! (zasshö), 51. „Verteilen der Eßtische" SBflS (haizen),

52. „Ausschenken von Wein" S]S (shakushu), 53. „Trinken und Essen"

(inshoku), 54. „Glückwunsehfeiern" MM (shügi), 55. „Spiel und

Unterhaltung" iSÄ (yükyö), 56. „Truppenlager" HS (gunjin), 57. „Ver¬

halten" Rflö: (shozai), 58. „Angefertigte Raumgegenstände" ifif'^ (zösaku),

59. „Beten an einem Schrein oder in einem Tempel" ftla (monomöde), 60.

„Geleitgeben" (gubu), 61. „Totengeleit" PiS (sösö), 62. „Fest¬

zeremonien" ^IL (sairei), 63. „Momente und Situationen" ßäB# (rinji), 64.

„Betragen" ff # (gyögi).'^

Obgleich die Entstehungszeit nicht geklärt werden kann, wird

ersichtlich, daß sich fast ein Drittel der Themen auf das Verhalten

zwischen Menschen unterschiedlicher Stände bezieht. Die Trennung der

Stände dürfte während der Epochen der Neuzeit vor allem einer der

Normierungsschwerpunkte der Edo-Zeit gewesen sein. Als im Jahr 1678

auf Befehl von Tokugawa letsuna ^Jll^Hi (reg. 1651-1680) die in der

Familie überlieferten Schriften an das Shogunat eingereicht wurden,*"

waren es unter anderem Werke über das Bogenschießen, das Reiten, die

Lebensfeste, die Kleidung, das Essen und Trinken, die Kalligraphie und

die Konversation. Die Dokumente, die in der Akazawa-Familie verwendet

wurden, änderten sich entsprechend den professionellen Anforderungen,

die von Zeremonienmeistern erwartet wurden. Gesundbeten und Geburts¬

tage des Shoguns wurden mit Bogenschießwettbewerben auf dem

„Pferdeplatz bei den Hoch gelegenen Feldern" MSi^D^M (Takada no

baba) begangen.*' Die Spezialisierung auf den Dienst als Lehrmeister

'9 Die von O. Kiyonobu (1975. 1, S. 21-24) angegebenen Schreibungen

erscheinen oft fehlerhaft wiedergegeben. Geändert wurden Schreibung und

Lesung bei 12, 15, 22, 26, 34.

80 0. Kiyonobu 1975. 1, S. 30-35. Vgl. ders. 1967, S. 38.

81 0. Kiyonobu 1967, S. 40.

(21)

bedingte am Anfang der Edo-Zeit eine Beschäftigung mit der Reitliunst und dem Bogenschießen.

Seit 0. Tsuneharu (? - um 1747), von dem eine Schrift zur

Zeremonie des Abschießens surrender Pfeile @ WIL# (Ohikime sharei

sho) erhalten ist,*^ führt die Familie zur Unterscheidung von anderen

Familien den Beinamen „Haus Heibee" ^^^^ (Heibee ke). Da die

Schriften von 0. Tsunekata '^fj (? - um 1832) das Weintrinken, das

Verhalten als Bote und Anmelder, das Kalligraphieren, das Benehmen

von Frauen, die Eßtischanordnung, die Kleidung sowie das Vorstellen,

überreichen und Entgegennehmen von Gegenständen und andere

Alltagsnormen zum Inhalt haben, kann man vermuten, daß es in dieser

Familie bereits seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts eine erneute

Trendwende zur Beschäftigung mit zivilen Themen gab.*^ Der Kokusho

sömokuroku verzeichnet sonst keine Werke der Familie.

Bei dem Großteil der im Kokusho sömokuroku mit „Ogasawara"-

Autoren angegebenen Schriften dürfte es sich um Fälschungen, also um

Werke anderer Autoren oder um Dokumente von Persönlichkeiten aus

dem weiteren Umkreis einzelner O.-Familien handeln. In Anlehnung an

Nagatoki fmden sich häufig Vornamen mit dem Namenbestandteil

„Naga" und nach dem Beispiel von Hidemasa „Masa" „Sada" 0, und

„Nobu" Im, die im persönlichen Namen von den Familien in Kokura

Shinden und Katsuyama gebraucht wurden, finden sich ebenso wie

„Tada" ein Teil des Vornamens, dessen sich die Familie von Kokura

bei der Namensgebung bediente. Für die Tradierung in den besagten

Fürstentümern fehlen Studien.

Es gab zahlreiche Zweigfamilien, die zwar nicht mehr den Namen

„Ogasawara" führten, jedoch ihre Abstammung auf das O.-Geschlecht

zurückführten. Im Kokusho sömokuroku finden sich Hinweise, daß es in

Familien namens Ichikawa Tffjll, Kubota ^EB, Miyoshi Hff, Mizoguchi

Mo, Nakashima ffS, Takaki Sj^t^, Uchiyama und Yasui ^#**

Tradierungen gab. Von Autoren mit dem Namen Ban gibt es Werke

zur Militäretikette und zum Umgang mit Schießwaffen, von Vertretern

der Familie(n?) Yoshida EB^'' Schriften zum Gebrauch von Pfeil und

Bogen, zum Reiten, Jagen und zum Frauenanstand. Zu diesen Familien-

82 KSM 9, S. 159b.

83 KSM 9, S. 157d-e.

8* KSM 9, S. 57c-d, S. 109a-b, S. 292c-d, S. 543a-d, S. 662e, S. 663d, S.

867a-b, S. 880d/e-881a, S. 907c.

85 Ebd. 9, S. 757c-758c, S. 942a-945e.

(22)

Etiketten gibt es keine Untersuchungen und der Umfang an bekannten,

erhaltenen Texten erscheint bisher gering.

Von den Fürsten der O.-Familien von Anshi, Karatsu*" und Kokura

Shinden sind bisher ebenfalls keine schriftlichen Dokumente zur Etikette

bekannt. Auch die übrigen, in der Edo-Zeit belehnten O.-Vertreter

hinterließen keine derartigen Schriften. Denkbar ist, daß in jenen

Fürstentümern, ebenso wie bei dem O.-Geschlecht von Katsuyama

in der Provinz Echizen ^fff (Fukui, Honshü, seit 1691), die Pflege der O.¬

Strömung einer im eigenen Dienst stehenden Kriegerfamilie anvertraut

wurde.*' Vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zur Abschaffung des

Fürstentums im Jahr 1871 war in Katsuyama die Familie Wakiya KM

mit der Pflege der O.-Strömung betraut. Deren heute noch erhaltenen

Gegenstände und Dokumente belaufen sich auf eine Gesamtanzahl von

über I 245 Einzelstücken. Die schriftlich und mündlich tradierten Lehren

umfaßten dort den Umgang mit Waffen, das Reiten, Alltagsnormen und

auch Lebensfeste wie das „Erste Hutaufsetzen", das „Erste Essen", die

„Pluderhoseneinkleidung" oder Jahresfeste wie das „Erste Bogen¬

schießen" (yumihajime) an Neujahr. Die schriftlichen Dokumente

der Wakiya stellen zwar sicherlich nicht die größte Sammlung zur O.¬

Etikette der Edo-Zeit dar, beinhalten in ihrem Korpus jedoch ungefähr

jenen Grundbestand an Werken, dessen Inhalte auch in den O.-Familien

selbst weiter gepflegt wurde. Allein aus dem Fürstentum Kameyama ^[ij

im Land Tamba fi:'i^ gibt es eine Sammlung von ca. 2 000 Bänden ; deren

Werke sind jedoch nur zu einem Bruchteil einer der genuinen O.¬

Strömungen zuzurechnen.

3.2 Schriften

Die O.-Strömungen der Edo-Zeit können vom Blickwinkel der aus dieser

Epoche erhaltenen Schriften betrachtet werden. Schichtenspezifische

Diversifizierungen der Lektürepraktiken, deren Bezugspunkte im späten

16. Jahrhundert zu suchen sind, setzten sich durch. Handschriftliche

Werke beinhalten zum einen häufig Lehren, die nur der Kriegerschicht

vorbehalten sein sollten, zum andern sahen sich deren Autoren oft der

Der im KSM 9 (S. 158e) angeführte Autor kann nicht 0. Nagamasa fiS

(1796-1823) sein, der im Jahr 1817 mit Karatsu belehnt wurde.

8' Von den Fürsten der Katsuyama-Zweiglinie wird nur 0. Nobumine fg^ im

KSM als Autor angeführt. Erst dessen Urenkel 0. Sadanobu trat im Jahr 1692

das Lehen in Katsuyama an. KSM 9, S. 157e. Vgl. Kinoshita. Katsuyama

Ogasawara kafu. 0. Tadamune 1973. 8, S. 20.

(23)

Tradition des Geschlechts Ogasawara verpflichtet. Gedruckte Werke

waren in allen Gesellschaftsschichten verbreitet, behandelten jedoch in

der Regel nicht die Handhabung von Waffen. Die wachsende Nach¬

kommenschaft der zahlreichen O.-Zweigfamilien sowie ein allgemeines

Interesse an der O.-Etikette, deren Inhalte zum Teil in allen Gesell-»

Schaftsschichten praktiziert wurden, katalysierte die Produktion hand¬

schriftlicher Kopien von gedruckten wie unveröffentlichten Werken.

Die Anzahl der abgeschriebenen und gedruckten Werke nahm zu. Aus

dem 17. Jahrhundert gibt es 23 erhaltene Werke, von denen siebzehn

handschriftlich (h.) und sechs gedruckt (g.) sind. Früheste Werke sind die

Schriften über Erfolg und Sieg nach den militärischen Regeln der

Ogasawara-Strömung /J^S£l^?^¥?£5'3ii# {Ogasawararyü gumpö kösha

gaki, Genna 3, 1 617, g.) in 2 Heften (kan) von 0. Katsuzo sowie die

0. Sadayoshi zugeschriebenen Angelegenheiten in der Abfolge nach der

Ogasawara-Strömung /jN^l^f^^^||!t^ [Ogasawararyü shidaimono, Genna

9, 1623, g.)** in drei Heften (satsu). Weiterhin gibt es also Werke zur

Militäretikette. Es entstehen Schriften, in denen Inhalte des Ogasawara

reisho resümiert, übernommen oder abgewandelt wiedergegeben werden.

Aus der Zeit der Regierungsdevise „Milde immerdar" (Kan'ei,

1624-1644) sind zehn Schriften erhalten. Für die Anstandschriften des

Hauses Ogasawara /J^^I^^^L# [Ogasawara ka rei no sho, Kan'ei 9,

1632, 7 Hefte, g.)*^ wird 0. Nagatoki als Autor angegeben, was zumindest

auf frühere Werke als Lektürevorlagen deutet. Die 0. Nagatoki und

Sadayoshi zugeschriebene Geheimüberlieferung zu den Anstandsregeln

nach der Ogasawara-Strömung /jN^il^^^tlttL^i^fH [Ogasawararyü shorei

hiden, Kan'ei, 1624-1644, h.)»" in II Heften (satsu) belegen diesen

Trend.9i

88 KSM 1, S. 616a.

89 Ebd. 1, S. 613c.

9" Ebd. 1, S. 616c.

9' Weitere Schriften dieser Zeit: Ogasawararyü shosatsu ''J">ä£SöttStL („Briefe

und Urkunden nach der Ogasawara-Strömung"). O. Nagatoki, Kan'ei 4, 1627. 2

Bde. KSM 1, S. 616b. Ogasawararyü yorozu shitsuke no sho 'J^SSSTJ

(„Schriften über zehntausenderlei Dinge des Anstands nach der Ogasawara-Strö¬

mung"). 0. Sadanari Kan'ei 4, 1627. 1 Bd. KSM 1, S. 617a. Ogasawararyü

yorozu uketori watashi no sho 'i^^WÜTj („Schriften über Zehntau¬

senderlei beim Entgegennehmen und Überreichen nach der Ogasawara-Strö¬

mung"). Michi Kennyüdö S§;*tAjiS. Kan'ei 5, 1628. 1 Bd. KSM 1, S. 617a.

Ogasawara gempuku kuizome muko yome reihd no sho 'J^SilSTnSBÄSüiHlÄlLÖ:

(„Schrift über die Anstandsregeln beim Ersten Hutaufsetzen, beim Ersten

Essen sowie für Braut und Bräutigam nach den Ogasawara"). Ohne Autor.

Kan'ei 8, 1631. 1 Bd. KSM 1, S. 613d.

(24)

Abb. 1:

Ein „Sieben-Fünf-Drei-[Essensgang]" (shichigosan), ein Arrangement von

Speisetischen mit eigentlich je sieben, fünf und drei verschiedenen Speisen.

„Erster Eßtisch" in der Mitte: Fastenspeise, Vogelfleisch, Reis, Fleischsalat, vier Speisen mit einer Spitze, etwas Getrocknetes, Suppe. „Zweiter Eßtisch" zur

Rechten davon: Fleischsalat, geschnittene rohe Fischscheiben, Meerbrassen-

Suppe. „Dritter Eßtisch" zur Linken vom „Ersten Eßtisch": eine Speise der

gegebenen Jahreszeit, zerriebene Fischwurst, Fleischsalat, Essig. „Vierter

Eßtisch" im Hintergrund: ein aus einem Vogel bestehendes Dessert, Suppe.

(Ogasawara hyakkajö, Kan'ei 9/1632, S. 59a,

Kokuritsu Kokkai Toshokan: YDA-4256).

Eine Reedition der Kan'ei-Ausgabe wird im Jahre 1999 erscheinen.

(25)

Mit Ashino, Fürst von Tamba 'ßW-Pi^'^ (Ashino Tamba no kami), tritt

ein adhger Autor in Erscheinung, der nicht Mitghed einer O.-Familie ist.

Die Sache der Reitkunst nach der Ogasawara-Strömung /l^^WJMWM^^

(Ogasawararyü badö no koto, Kan'ei 11, 1634, 3 Hefte, h.) und

Überlieferte Schriften zur Reitkunst nach der Ogasawara-Strömung /J^^

M'iMWM^ii.^ (Ogasawararyü badö no densho, Kan'ei 12, 1635, 2 Hefte,

h.)82 von demselben Ashino bezeugen, daß auch andere Adelsgeschlechter

die Lehren der 0. pflegten. Heiratsallianzen mit den O.-Familien sowie die

Einheirat von 0. -Töchtern, zu deren Aussteuer handschriftliche Kopien

gehörten, trugen zur Verbreitung der Lehren in anderen Familien bei.

Die Geheimen überlieferten Schriften der Ogasawara-Strömung /J^S£J!M

ÖrtlE>fö# (Ogasawararyü hidensko, Keian 3, 1650, ohne Autor, 12 Bde.,

h.)93 und die Schrift zum Auftragen der Eßtische und zum Speisen nach

den Ogasawara /J^S£l^@Bif (Ogasawara haizen kui yö no sho,

Shöhö 4, 1647, 1 Bd., h.)^* von 0. Sadayoshi (sie!) gehören zu einer

größeren Publikationsflut der ersten Jahrhunderthälfte, zu denen auch

das genannte Ogasawara hyakkajö zu zählen ist. Es ist meist nicht

festzulegen, welche Leserschaft sich der Bücher annahm. Obgleich die

Flut an kopierten und gedruckten Werken die ganze Gesellschaft betraf,

wurden einzelne Normenbereiche schichtenspezifisch unterschiedlich

eingehalten. In den 40er und 50er Jahren des 17. Jahrhunderts wurde den

Lebensfesten sowie dem Essen und Trinken wieder größere Beachtung

geschenkt. Die Darstellungen zum Essen und Trinken im Ogasawara

hyakkajö deuten daraufhin, daß auch die Unterschichten solche

Eßmanieren annahmen. Eine Durchsicht edo-zeitlicher Normenschriften

der O.-Strömungen in der Staatlichen Parlamentsbibliothek Hillll^lllÄ

Ii (Kokuritsu Kokkai Toshokan, Tökyö) ergab, daß sich seit dem 17.

Jahrhundert vereinzelt Illustrationen in Schriften finden, die ein¬

dimensional die Lage und die Stellung von Gegenständen beschreiben.

Bereits in den frühen Ausgaben des Ogasawara hyakkajö sind Eßtisch¬

gedecke abgebildet. Dies ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen,

dessen Entwicklungslinien nur angedeutet werden können (Abb. 1).

Zwischen 1651 und 1700 gibt es nur acht datierte Schriften, was auf

einen Rückgang im Umlauf der 0. -Werke hindeutet. Es ist denkbar, daß

der aus der Vor-Edo-Zeit verbliebene Aufholbedarf an zivilisiertem

Verhalten einen Sättigungsgrad erreichte, der das Produktionsaufkom-

92 KSM 1, S. 616d.

93 Ebd. 1, S. 616d.

9* Ebd. 1, S. 615a.

(26)

Abb. 2a:

Begrüßung zwischen Reiter und Kriegern zu Fuß

(Ogasawararyü shorei chöhöki, um 1803/1838, S. 13a)

men minderte. Psychologisierend könnte mit Elias argumentiert werden,

daß es in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts einen Zivi-

lisationsschub®5 gab, der wieder abklang, als die Normen so verbreitet

und verinnerlicht worden waren, daß eine detaillierte Lektüre überflüssig

wurde. Vom Ende des 17. Jahrhunderts gibt es Werke zu Einzelbereichen

der Normen, wie das Heft über das Einpacken nach der Ogasawara-

Strömung /J^5£J!^?i^t^>^# (Ogasawararyü tsumikata no maki, Genroku 1,

95 Elias 1976. 1, S. Ixii.

(27)

Abb. 2b:

Aufhängen und Wegräumen von Bildern

(Ogasawararyü shorei chöhöki, um 1803/1838, S. 20a)

1688, 2 Bde., g.)»®, in dem das Papierfalten aufgegriffen wirA. Möglicher¬

weise bedeutet dies, das sich nur einzelne Gesellschaftsgruppen mit

solchen Themen beschäftigten.

Die Zeitspanne, in der nur wenige O.-Schriften produziert wurden,

reicht bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Aus der Zeit von 1701-1780

gibt es nur dreizehn (zwölf h.) datierte Schriften im Kokusho sömoku¬

roku. Anstandsschriften nach der Ogasawara-Strömung /J'iS^I^öitlLÄ

»6 KSM 1, S. 616d.

(28)

[Ogasawararyü rei no sho, Hoei 6, 1709, h.)^'' von Haraki Shigeuemon

I^^i^^j^JP'! in sieben Heften (satsu) sind das einzige mehrbändige

datierte Werk. Geheimüberlieferung zum Garten nach der Ogasawara-

Strömung fl'^^j^'lMJMi.^Mi. [Ogasawararyü niwa no hiden, Meiwa 5,

1768, ohne Autor, 1 Bd., h.)^** lautet der Titel des ersten datierten Werkes

zur Gartenbaukunst nach der O.-Strömung. Zwischen 1650 und 1780 gab

es zwar Katastrophen wie die Hungersnot von 1732/33, und die Anzahl

der Bauernaufstände nahm allmählich zu, doch verglichen mit dem 19.

Jahrhundert ist es eine Periode der Befriedung und Stabilität, in der sich

erst allmählich Anzeichen eines Auseinanderbrechens der gesell¬

schaftlichen Kohäsionen bemerkbar machten. Die Erstarrung der Stände¬

gesellschaft bewirkte nur einen bedingten Bedarf nach neuen Verhaltens¬

mustern.

Aus der Zeit vom Ende des 18. Jahrhunderts, den Regierungsdevisen

„Milde Regierung" (Kansei, 1789-1801), „Wohlergehen und Har¬

monie" (Kyöwa, 1801-1804) sowie „Wandel durch Zivilisation" 'SCit

(Bunka, 1804-1818), sind vermehrt Normenschriften erhalten geblieben.

Über die Gründe kann nur wieder spekuliert werden. Es ist zu einfach, sie

lediglich in einem Aufblühen der städtischen Kultur und Lebensweise

sowie des Verlagswesens zu suchen.Neun Werke aus der Periode , Milde

Regierung' (zwei g., sieben h.), zwei aus der Zeit „Wohlergehen und

Harmonie" (g.) und elf aus der Ära „Wandel durch Zivilisation" (drei g.,

acht h.) werden im Kokusho sömokuroku verzeichnet. Die Anstandsregeln

der Ogasawara /J^SI^It-fLjS; [Ogasawara shoreishiki, h.)'"" von Seki Yo-

shihide [13^]^'°' in 24 Heften (satsu) sind eines der größten Werke aus

diesem Veröffentlichungszyklus. Zu den umfangreicheren Werken

gehören auch die Große und vollständige Sammlung der Anstandsformen

nach der Ogasawara-Strömung '\\^IMi^tL:k.'^ [Ogasawara shorei taizen,

Bunka 6, 1809, g.)"'^ in drei Heften des in Ösaka ansässigen Malers Okada

9' Ebd. 1, S. 617b.

98 Ebd. 1, S. 616d.

9» Ehmcke, S. 9-10. Vgl. ebd., S. 191-210.

KSM 1, S. 614b.

Von ihm gibt es noch das Jorei sömokuroku tC^L^^SM („Vollständiges

Inhaltsverzeichnis über den Anstand für Frauen"), dessen Vorwort auf das Jahr 1793 (Kansei 5) datiert ist. KSM 4, S. 611c; KSM 9, S. 500a.

'02 KSM 1, S. 614c. Ein W^erk ähnlichen Titels und Inhalts: Ogasawararyü

shorei taizen /J^SEI^Öitsi-fLA^ („Vollständige und große Sammlung zu den

Anstandsregeln nach der Ogasawara-Strömung"). Bunka 6, 1809, 2 Bde. Ohne

Autor. KSM 1, S. 616c.

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