GESAMMELTE
AUFSÄTZE ÜBER HUGO
WOLF
Hugo Wolf, Hermann Bahr
HUGOWÖIF
.
ERSTE. FOUGE
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Umschlagzeichnung G.
Bamberger
(Wien).426219
Herausgeber
:
Hugo Wolf-Yerein in Wien.
Gesammelte Aufsätze
über
Hugo Wolf.
Mit einemVorwort von
HERMANN BAHR
O
/v '- 'BERLIN
v
-S;
Fischer, Verlag
1898.
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Gesammelte Aufsätze
über
HUGO WOLF
Beiträge von:
J.
Schalk
(Wien),K. Hallwachs
(München),P.
Müller
(Berlin), E.Hellmer
(Wien), Dr.Grunsky
(Stuttgart), O. E.Nodnagel
(Berlin),i
Hugo Wolf.
Vor
fünfzehnJahrenwohnte
ichbeieinem
Freunde
mitHugo Wolf zusammen.
Wenige
ahnten damals,was
er uns bald werden sollte; den meisten galt er als ein Narr. Ich lebte mitmeinem Freunde
auf eine recht studentische Art, beiMensuren
oder in der Kneipe, fröhlich in dieNacht
hinein, bis es graute.
Kamen
wir endlich doch heim, sowar
es meistens schongegen
fünf geworden.
Schwer vom Trinken und
von den heftigen Begeisterungen derJugend
wollten wir unsdann
hinlegen.Da
öffnete sich dieThüre und
ausdem
anderenZimmer
erschienuns, in
einem
langen, langenHemde,
Hugo
Wolf, eineKerze und
einBuch
in der Hand, sehr bleich, seltsam indem
grauen,verschwimmenden
Lichte anzusehen, miträtsel- haften, bald skurrilen, bald feierlichen Ge- berden.Er
lachte schrillund
verhöhnte uns.Dann
trat er in dieMitte und.schwang.
- X -
die Kerze,
und während
wir uns auszogen,begann
er uns vorzulesen, meistens aus der Penthesilea. Dies hatte aber eine solche Kraft, dass wirschweigend wurden und
uns nichtmehr
zu regen wagten; so grosswar
es,
wenn
er redete.Wie ungeheure
schwarzeVögel
rauschtendieWorte von
seinemblassenMunde und
schienennoch
zuwachsen und
das ganzeZimmer wurde von
ihren schreck- lich lebendigen Schatten voll. Bis er plötz- lich wieder lachteund
uns verhöhnteund
in seinemlangen, langenHemde,
dieflackerndeKerze
in der ausgestrecktenHand, langsam
wieder durch dieThure
verschwand.Wir
aber sassen
noch
lange auf,während
es dämmerte,und
spürten es geheimnisvollum
uns
wehen und
wussten, dass ein grossesWesen
bei unsgewesen war
. . .Ich
habe
inmeinem Leben
niemalsmehr
so vorlesen hören.
Es
lässt sich nicht be- schreiben. Ichkann
nur sagen:wenn
er sie aussprach,nahmen
dieWorte
eineungeheureWahrheit
an, siebekamen
Körper, ja wir hatten das Gefühl, alsob
sein eigenerLeib
auf einmaldann zum
Fleisch derWorte
ge-worden
wäre, alsob
dieseHände,
die wirim Dunkel schimmern
sahen,keinem Menschen
mehr, sondern jetzt denWorten,
die wir vernahmen,angehören würden! Er
hatteXI —
sich gleichsam mit seinem
ganzen Körper
in dasWort
des Dichters verwandelt. Dieses stand vor uns, unserFreund war
ver- schwunden.Dann habe
ich, inEuropa
herumirrend, jahrelang nichtsvon ihm
gehört, bis seine Goetheliederkamen.
Diese trafenmich im
Tiefsten.
Und da
erinnerte ichmich
plötz- lich. Ja, daswar
dasselbe! Dasselbe,wie
in jenen Nächten.
Wie
er damals vor uns gleichsam versunken war,um
zur Existenz jenerWorte
zu werden, sodass dieHände,
diewirschimmern, die
Augen,
diewirdrohen
sahen, garnichtmehr
seine, sondern eherdieHände und Augen
jenerWorte
schienen, die wir nurvon
selber nichtbemerkt
hätten, so konnte dochdieseMusik von keinem Menschen
„hinzugethan" sein, sondern sie
war
die natürlicheMusik
ihrer Verse.Wir
hatten nur schlechteOhren
gehabt, sonsthätten wirsie
immer
hören müssen:denn
es ist die eigeneMusik
dieserVerse, sie lebt in ihnen, siemuss immer
bei ihnengewesen
sein, er hat sie nur lautwerden
lassen.Ich
maasse
mirnicht an,im
Musikalischen mitzureden. Ich weiss nur, dassdie meistenvon
uns, die wir dieKunst
derWorte
üben, mit der heutigenMusik
nichts anzufangen wissen.Hören
wir einLied
eines geliebtenDigitizedbyGoogle
—
XII—
Gedichtes, so
haben
wir dasGefühl, dassuns dieMusik
„geniertu. Sie istdem
geliebten Gedichte fremd; eskommt
uns in ihrer Be- gleitungwie
verkleidet vor.Hugo Wolf
istder einzige, der uns die Gedichte nicht ent- fremdet, sondern seine
Musik
empfinden wir als die eigentlicheNatur
der Gedichte, als dasselbe,was
sie in Versen sind, als die natürliche Luft, diezu ihnen gehörtund ohne
die sie gar nicht leben könnten.Darum
verehren wir ihn,
darum
lieben wir ihn,,darum wünschen
wir ihm, die Nationmöge
endlich seiner
würdig
werden.Hermann Bahr.
Neue Lieder, neues Leben
ragen wir denjenigen
Merkmalen
nach,1
welche das deutscheLied
auszeichnen, welche es als eine unvergleichliche Er- scheinungim Leben
unsres Volkesund
unsrer Kunsf hervortreten lassen, so sind es vor allem jene Züge, ausdenen
sicheben
seine unzertrennlicheDoppelnatur
als Volks-und
Kunstprodukt zu erkennen giebt. Freilichist es heute nicht
mehr
so ganz leicht, die Reinheit dieserAbstammung im
einzelnen Falle nachzuweisen,und
sie wird geradeam
allerwenigsten in
dem
bestehen,was man
sogewöhnlich volkstümlich zu
nennen
pflegt.Der
Niederschlag,dendiemoderne
Gross- stadtkultur auf denbreitenBoden
desVolkesin
immer
dichteren Schichten ablagert, istdem Aufblühen
gesunderKeime
wahrlich vonJoseph Schalk (Wien).
i
nicht gedeihlich.
Ihm entstammen
nur die vielen Schädlinge, die alsZerrbildergesunder Volkskraftden
weiten deutschenGartenüber- wuchern.Wer
sich an diesen ergötzt, sein vollesBehagen
findet, den Jaden wir nicht ein, uns zu folgen.Denn
wirwenden
uns hinaus ins Freie,wo
derBoden noch gesund und
urbar ist,und
wollen einmal mit Sorgfalt die Pflanze betrachten, die hier gedeiht.Da
fällt uns zuerst ihrfreier, schlankerWuchs
insAuge, Form und Farbe
alt-heimatlich, nicht üppig-geil, nicht dürftig
verkümmernd.
InWind und Wetter
aufgeschossen, birgt sie die zarten Blütenkelchemehr
an sich, als dass sie offen damit prunkte.Der Sonne
kehrt sie sich entgegen, dieHimmelsglanz und
Wärme
ihr niederschickt, ihrspendetsieden schönsten Duft. EinMerkmal
vor allem!Grabt
ihrenWurzeln
nach, nie wird eseuch gelingen, die tausend starkenFäden
bloss- zulegen, die,indieTiefe reichend, dieMutterErde
festumklammern. Und
also ist esauch mitdem
deutschen Singen.Vom
Sänger, derdieWeisen
nurinzierlichenBlumentöpfen aufziehtund
unsvorsetzt, als kurz täuschen- den Ersatzfür heiligeWonnekräfte
derNatur,von ihm
sprechenwir hier nicht.Wir
wollen Einen nennen, aus dessenKlängen
wir dieliefen
Wurzeln
heimatlicherVolkskrafterspür- ten,derfreivon oben
dashehreAmt
desGärt- nersempfangen, mitseinerKunst
dieWunder-
pflanzezupflegen, die
nahe am Verderben
war.Vor kurzem
sind inWien
erschienen:Gedichte
von Eduard
Mörike, für eine Sing-•stimme
und
Klavierkomponiert von Hugo
Wolf.
Es
sind nicht weniger als 53Ge-
sänge. Eine tiefeSeelenverwandtschaftmuss
es
gewesen
sein, die so denMusiker
an den Dichter gefesselt,und
mit lebhafter Überraschung lernten wir aus diesemAn-
lasse den halbvergessenen schwäbischen Poeten als eine so reiche
und
tiefeDichter- natur kennen, dass wir nur mitBeschämung
uns der allgemeinen Schuld seiner Vernach- lässigung selbst mitteilhaftigfühlen konnten.Wenn,
nach Goethe, lebhaftes Gefühl der Zuständeund
Fähigkeit sie darzustellenden
Dichter macht, sohaben
wir ja inMörike
«inen der Besten vor uns. Eine Fülle deutscher Poesie quillt uns aus
ihm
ent- gegen.Ward
er bisher nur als Vertreter einer traulich-innigen oder idyllischen Rich- tung mitAchtung
genannt, so erstaunt unsum
somehr
die sinnlicheKraft seinerPhan-
tasie, seiner Sprache, die unübertreffliche Unmittelbarkeit der Darstellung, ja ein tief
-dämonischer Zug, wieernur grossen Naturen l*
—
-1—
eigen ist.
Man
lese„Das Lied vom
Winde",.„Das
erste Liebeslied einesMädchens."
"Welche Kühnheit!
Weit
hinausragendüber
die engerenSchranken Uhland
?scher Poesie.Ein alle Fesseln abstreifendes
und
in seiner FreiheitaufjauchzendesNaturgefühtweht
uns an, eine elementare Gewalt, hinreissendund
zaubervollwie
derAtem
göttlicher Musik.Der
Musiker, der diesen Dichter sinnvoll erfasste, konnte nicht das Bestreben haben, sichund
seineKunst
inihm
wiederzuspiegeln..Nur
auizurufenbrauchteer dieschlummernde
Musik, die sich in diesen Versen barg, nur hinzulauschen densüssen Weisen,dieihm
der Dichterselberzuflüsterte.Alserihnverstandenund ihm
beseligtnachgesprochen,da war
zu untrennbaremBunde Ton und Wort
geeint,, das echteLied
geboren.Dass Hugo Wolf
den rechten Zauberstab besessen, diesestönendeLeben
zu erwecken,werden
wir gewahr,indem
aus seinen Ge- sängen uns der Dichter selbst herrlicherund
grösser entgegentritt,doch
ganz als der, der er war, nuremporgehoben
in die reinere, leuchtendereSphäre
der Musik.Und
reich- lich vergalt esihm
der Dichter.Denn
durch solch liebevollstesVersenken gewann
der Musiker wie durch einWunder
auch den vollen, reifenAusdruck
seineseigenen Wesens,.—
5die individuellste, blühendste Melodik, die lebendige
Wahrheit
seiner musikalischen Form.Wer, im
Kunsttreiben derGegen-
wart stehend, dieverheerende Herrschaft der Schablone erkannthat, derwird wissen,wie
viel dies bedeutet. In
jedem
dieser53 Lieder aber, selbst inden
ganz wenigen, indenen
der musikalischeAusdruck
nicht auf vollerHohe
zustehenscheint, wirdman
eineimmer
eigenartige, klare
und
abgerundeteForm
finden, so recht das,
was
derpopuläreAus-
druck „wie auseinem
Guss'' nennt. Dieser seltene Vorzug, vereint mit ursprünglichster Kraft der melodischen Erfindung, verleiht vielen dieser Liederden
Charakter edler Volkstümlichkeit, derden
empfänglichen Hörer innigst zu beglückenim
Stande ist.Der
schwäbische Dichterund
der ihn wiedererweckende
Tonsetzer, dessenHeimat
der ferneSüden
Steiermarks ist,wie
gut verstehen sie sich in allenwundersamen
Ge- heimnissen der deutschen Gefühlswelt!Dass Hugo Wolf
als Musiker auf derHöhe
seiner Zeit stehtund
jene kostbaren Errungenschaften der Tonkunst, diewirunterdem Namen
RichardWagners
begreifen, sich zu eigengemacht
hat, rechnen wirihm
nicht
zum
Tadel, sondern zuhohem Lobe
•an. Unmittelbarster Gefühlsausdruck, reiche,
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kühne
Harmonie, langatmige Melodie, sinn*vollste Deklamation, Tiefe, Adel,
Schwung,
Leidenschaft, künstlerische Freiheitund
Heiterkeit, wir finden sie in diesen Liedern in
einem
Masse, wieinkeiner andernneuerea
Erscheinung auf diesem Gebiete, vereinigt,und
die reine Freude, die uns damit be- reitet worden, giebt unsauch
den Mut, dies, offen auszusprechen.Und
wahrlich, kein kleinerMut
darf es sein, dersich hierzu be- kennt.Die Menge
derMusiker und
Musik- freunde, die überhaupt sichdem Strome
der sogenannten neudeutschen Richtung nichtganz
entzogen hat, klammert, wie wir mit Betrübnisgewahr
werden, sichmehr und mehr
an Ausserlichkeitenund
ist in Gefahr,den
durch die unmittelbareLebens
thätigkeitWagners kaum
erkanntenKern
seinerKunst und Lehre
wiedernach und nach
ausden Augen zu
verlieren.Kommt dann
Einer, der das Wesentliche,Leben
zeigende der- selben in sichaufgenommen,
so wird er als gefährlichsterGegner
mit Geschreiund
Läste- rung begrüsst. Dies istauch Hugo Wolf
nicht erspart geblieben, ja, uns dünkt, er
werde noch
vieldavon zu
hörenbekommen^
Nun denke man
aber hier nichtetwa an
eineÜbertragung
musikalisch-dramatischer Prinzipien auf dasLied und
die lyrischeGe^sangskomposition.
So schwer auch
die Grenze zwischendem
dramatischenund dem
lyrischen
Ausdruck
in derMusik
zu ziehenist, die künstlerische
Notwendigkeit
tief- gehender Unterscheidungund Trennung
beider Geschlechter leuchtet
wohl Jedem
ohne weiteres ein
und
gerade dieMusik
Wolfs ist darnach angethan, diesen Unter- schied recht klarzu machen. Von
jenen Mitteln des Ausdruckes,welche
erWagner
verdankt, völlig getrennt, steht die be- wundernswürdige Selbständigkeit seiner Er- findung.
Man wird
vergebens beiihm nach
Reminiszenzen suchen. Freilich, Leute, die beijedem
übermässigen Dreiklang vergnüg-lich kennerisch mit
den Augen zwinkern
(denn dahaben
sie schon wieder ihrenWagner
entdeckt),werden
derlei kleine Freuden auch hier erleben.Andere werden
vorerst an
manchen
Stellen eineVerwandt-
schaft mitKarl
Loewe
oder Schubert heraus- finden, ehe sie dieEigenartWolfs
verspüren, die sichdoch
überall deutlichstkundgiebt.Das
bereits kristallisierte
Empfinden
der meisten Musikfreunde knüpfteben immer
nuran
das Bekannte an, für das Neue,Fremde,
be- sonderswenn
es kraftvollist,sindsiewie
taub.Im
allgemeinen eignen sich daher die einfacheren, zarten Stücke derSammlung
8
besser zur ersten Bekanntschaft, wie etwa:
„Der
Gärtner,* „Fussreise." Lerchen, die so frischund
frei inden blauenKunsthimmel
hineinsingen,werden
heutewohl
nur selten gehört, (Beide Lieder riefen bei wieder-»hohem
Vortragedurch
Ferdinand Jäger inWien
einen fast beispiellosen Enthusiasmus derHörer
hervor.)„Die
Verborgenheit" istdann
als ganz besonders geeignet zu nennen, das Vertrauen musikalischerPersonen
zuer-wecken. Daran
schliesse sich der so ein- fach-erhabene„Gesang
Weyla's," gleichsamdem Munde
eines begeisterten Sehers ent- strömend.Der
köstlicheHumor
des„Tam-
bour," der sich den besten BalladenLöwe's
ebenbürtigan
die Seitestellt.Weiter
zeugen„Die
Storchenbotschaft,"„Zur Warnung,"
„Abschied" und
anderes für die erstaunliche Kraft musikalischerKomik und
Charakteristik Wolfs. TiefeNaturempfindung
offenbart das stürmische Frühlingslied: ,.Er ist's," sowieauch „Der
Jäger,"„Im
Frühling."Dem
Komponisten ganz
eigentümlich neueTöne
der Innigkeitund
Zartheit für landschaftlicheStimmungen
rinden wir in:„Der Knabe und
das Imlein"und
„Zitronenfalter im April."Dichtung und Musik wahre
Perlen deutscher Lyrik.Der
Schluss des ersteren:„Nichts Lieblichers aufErden, als
wenn man
herzt
und
küsst," zeigtWolfs
ganze Er- findungskraft volkstümlich edler Melodien.Es sei nur kurz
noch
hingewiesen auf die religiösen Gesänge:„Kirchengesang zum
neuenJahr,*4 „Schlafendes Jesuskind," „Seuf- zer." Überall wahre,warme,
tiefempfundene Musik. Die schwerer zugänglichen,doch
für uns allerbedeutsamsten Produktionen Wolfs, welche uns für seine Zukunft
noch
viel versprechend erscheinen,
nennen
wirzu- letzt: „Erstes Liebeslied einesMädchens,"
„Das Lied
vom
Winde,'4„Der
Feuerreiter,"alle drei Stücke, bei vollendeterAusführung, von wildgenialer, hinreissender Gewalt.
Die Plastik seiner musikalischen Motive,
die oft mit
wenigen Noten
ein sprechend deutliches Bild vor unsere Einbildungskraft zaubert(man
sehe z. B.im
„Abschied'4 das Schattenspiel an derWand),
vereinigt sich mit derKunst
ihrer thematischenDurch-
führung.Gerade
diese letzterewar
aberinder bisherigenEntwicklung desLiedes,
kaum
andeutungsweise zu
Tage
getreten,und
hierin liegtder ausserordentlicheFortschritt,welchen
die Lieder
Hugo Wolfs
bezeichnen.Von
denmehr
oderwenigerstereotypgewordenen
Begleitungsformen hat er sichemporge-
schwungen
zurnahezu
symphonisch-thema- tischen Verarbeitung weniger Grundmotive,-
10-
die allen
Stimmungen
desGedichtes sich an- schmiegenund
eineneue
der Sonateund Symphonie
erst ebenbürtigeKunstform
des Liedes begründen.Zur
Verdeutlichung des Gesagten betrachten wirnoch
eingehend eines der schönstenLieder, das Dichter wie Tonsetzer in liebwertester Gestalt zeigt:,,Auf einer
Wanderung'
4 betitelt. „In ein freundliches Städtchen tret' ich ein."—
Dieser Anfang, mit
dem
Titelzusammenge- nommen,
giebtdem Komponisten
einmunter
beweglichesThema
ein, dasim
weiteren Verlaufe fast ununterbrochen durchgeführt wirdund den
verschiedenartigstenAusdruck
annimmt.Schon im
Augenblick, als der aus freier, grünerNatur kommende Wanderer
das Städtchenbetritt, verweilt inkaum
merk- lich zarterWeise
die Singstimme, wieum dem Auge
Zeit zur Betrachtungzu
lassen.Alsbald färbt sichaber die
ganze
Modulation dunkel: „Inden
Strassen liegt roterAbend-
schein,"und
mit nicht zu übertreffenderWahrheit
leuchtet uns die zarte Glut derMusik
ins Angesicht.„Aus einem offenenFenster eben, Über denreichsten Blumenflor
Hinweg, hört man Goldglockengetöne schweben."
—
Der Wanderer
verweilt,und
dasgleiche Motiv, daseben noch
seiner rüstigen Be-wegung Ausdruck
gegeben, dringtnun
als holde Fülle des Dufteswie
derTöne
aus derHöhe
hernieder.Kaum vermögen
wir dieserUmwandlung
nachzusinnen,denn
eine immer grösserund
zarterwerdende
Ver- breitung derKlänge nimmt
uns gefangen:„Und eine Stimme scheint ein Nachtigallenchor.u Allmählich hat sich das erste
Motiv
nur verloren, so wie jaauch
derWanderer
sein Weiterziehen vergass.Über den
verweilen- den Basstönen giebt sich eine gesteigerte innereBewegung
kund. Mitgehobenem
Herzen lauschend steht er, der glühenden Gewalt desGesanges
preisgegeben, ein Wonnegefühl höchster Trunkenheiterfasstihn:„Dass dieBlüten beben, Dass dieLüfte leben,
Dassin höheremRot die Rosen leuchten vor!"
Nur
ein tief enthusiastischesGemüt wird
den so plötzlich, wie grundlos, entstandenen Taumel, aus der eigenen Erfahrung ähn- ücherStimmungen
heraus,sympathischschnell zu begreifen wissen.„Lang hielt ichstaunend, lustbeklommen."
—
Der
Dichter hat nurwenige Worte
fürden"Höhepunkt
dieses Gefühles. Hier über-—
12—
lässt er Alles zu sagen
dem
Musiker.Wie
dieser aber
nun
bei einigen Stellen tiefenAufatmens ganz
verschleiert das ersteWandermotiv
durchblitzen lässt, das ist mit staunenswerter psychologischer Wahrheitempfunden und
dargestellt.In
Momenten, da
eine leidenschaftlicheErregung
sich in unsabzudämpfen
beginnt, ziehen oft unkenntlich, wie dunkleWolken-
schwaden, die derErregung
vorausge-gangenen Stimmungen und
Zustände anunserm
Innern vorüber.Wir vermögen
sie nicht festzuhalten, die Seele ringt ermattend, die Erinnerungschwankt
hinund
wieder.Dies Alles hat der
Komponist
mit wenigenTönen
in einer Kraftund Wahrheit
ausge- drückt, die alleingenügen
würden, uns von seinem Schöpferberufevollaufzu überzeugen.Denn
hier handelt es sichum
eines der schwierigsten Probleme, andem
jede Spitz- findigkeit zuSchanden
wird,und
nur der eigenen leidendenSeelevermag
derKünstler ein solches Bild zu rauben.Mögen
Mit- empfindende esihm
entgelten!—
Wieder
umfängtdenWanderer
das weite Feld:„Wie ich hinaus vor's Thor gekommen, Ich weiss es wahrlich selber nicht."
Sein verwundetes
und
beglücktesHerz
erschliesst sich jetzt erst recht
dem Zauber
der Natur. Ein zweites,
doch dem
ersten verwandtes Motiv, spannt sichwie
das weite Himmelsblau über die Szene:„Ach hier, wie liegt dieWelt so licht!
Der Himmel wogt in purpurnem Gewühle, Rückwärts die Stadt in goldnem Rauch;
Wierauscht der Erlenbach, Wie rauschtim Grund die Mühle!"
Möchten
doch
alle,denen
die schlichte deutscheSchwärmerei
dieserSprache noch
das Herz zu rühren vermag, des unsäglich innigen, ruhrendenAusdruckes
derMusik
hier inne werden!
Wie
in reinen kräftigen Linien die Melodie sich auf-und
nieder- schwingt, fern jeder Geziertheitund
Sen- timentalität,doch
so inbrünstig, so über- strömend, erfüllt sie uns wieeinTrostspruch von der Unvergänglichkeit des deutschen Gemütes.Der Wanderer
weiss sich nicht aus noch ein vor froher Seligkeit:„Ich bin wie trunken, irrgeführt.44
Da
hebt sich seine innere Kraftzum
Be- wusstsein seines Dichter-, seines Sängerbe- rufes empor,und im
heiligenDanke
ruft er ihr, dieihm
dies beweglicheHerz
in die Brust gelegt, es zu:- 14
—
„O Muse, du hast mein Herz berührt Mit einem Liebeshauch!"
Ein Gefühl dithyrambischer
Erhebung
durchgeistigt dieTöne
des Musikers, ein zarter Schauer durchzittert sie,und
als sich dieSpannung
löstund
verklingend das frühereNaturmotiv
darüber herniedersinkt, stehtdem
begeisterten Sänger die Thräneim Aug
7.—
Ein längeres Nachspiel führt endlich zurRuhe
der erstenStimmung
zu- rück,und ganz am
Schlussnoch
zerflattert das Erlebnisim
ruhigenBlau
der Lüfte.Ausdrücklich nennt der
Komponist
seine Lieder als für eineSingstimme und
Klavier komponiert,und umgeht
hiermit absichtlich die sonst übliche Bezeichnung: füreineSing-stimme
mit Klavierbegleitung.Denn
die Aufgabe,welche
hierdem
Instrumente ge- stellt wurde, ist keine geringere, als die des Sängers.Wie im
musikalischenDrama
das Orchester die sichverzweigenden Fäden
der Dichtung ineinem gemeinsamen
Empfin- dungsuntergrundewurzelnlässt,welcher, den leisestenWendungen
folgend, die stete Ein- heit bewahrt,und zwar
in viel unmittel- barerer Weise, als diesdem
Dichter allein -möglich wäre, so hatauch
derKomponist
dieserGesänge dem
Klaviere, als einemdasOrchester nur vertretenden Instrumente, eine gleich bedeutende Rolle zuerteilt.
Nicht aber als ein absichtliches Ver- fahren, sondern als eine innere
zwingende
künstlerische Notwendigkeit ist dieser Vor- gang aufzufassen,und
damit entfälltauch
sofort der zu erwartende Einwurf,
ob
dieAnwendung
solchen Stilesvom Musikdrama
auf das einfache
Lied
nichtan und
für sich ein Fehler sei?Auch
schliesst, wie wir ausWagner
selbst wissen, seine Orchesterbe- handlung Einfachheit,wo
siegeboten
er- scheint,oder geschlossenereLiedform
(Lenzes-lied etc.) keineswegs aus.
Die
von
Alters hergewohnte Form
der Liederbegleitung entstammtdem
primitiven Charakter der damaligen Instrumenteund
hat sich mit ihnen erweitertund
vervoll-kommnet. Die
Zeiten der Guitarre aber sind in Deutschland, so hoffen wir, vorüber.Nicht bloss aus der geschichtlichen Ent- wicklung der Instrumentalmusikaber,sondern hauptsächlichaus der tieferen
Durchdringung
derbeidenSchwesterkünste, Poesieund
Musik,ist die so ausserordentliche Ausgestaltung
und
Verfeinerung allerElemente
derTon-
kunst, in
Rhythmus, Harmonie und
In- strumentation hervorgegangen, welche diese unvergleichlicheKunst
zurVerkörperung
—
16—
des sonst Verborgenen,
Unsagbaren
fähig machte.Wem
sich auf solcheWeise
ausdem
künstlerischen
Eindruck
dasWesen
der neuerenMusik
wahrhaft erschlossen, der wird darunter keineswegs einen weitläufigenund
umständlichenApparat
verstehen, dessenAnwendung
nur für die grössten Kunst-formen
desDrama's und
derSymphonie
zu verwerten sei.Er
wird diese einmal er-kannte Ausdrucksfähigkeit vielmehr nur überall fordern
und
eine dahinter zurück- stehendeMusik
als unbefriedigendund
nichts- sagend verwerfen.Mit dieser in Vor-
Wagner'
sehen Zeit un- möglichenAusbildung
des Liedes ringt sich aberauch
dieMusik
aufdem
Gebiete derLyrik
erst zu einerden
Leistungen der deutschen Poesieebenbürtigen Stellung heran.Ueberblicken wir nur den
ungeheuren
Kreis der Goethe'schen Lyrik,welch
kleinerBruch-teil
davon
ist bishereinem
gleich gehalt- vollen musikalischenAusdrucke
zugänglich gewesen,und
wieVieles bleibtdem modernen
Tondichternoch
auszusprechen übrig!Nach
einer neuerdings seither erschienenen
Samnv
hingvon
20 Liedernvon
Eichendorff, die eine reiche Fülle des völligNeuen und
Herr- lichen bergen, begrüssen wir daher mitdoppelter Freude
den von Hugo Wolf
be- reits angekündigten grossen Cyklus Goethe- scher Gesänge, worunter viele der bedeut- samsten, bishernoch unkomponierten
Dich- tungen, namentlichauch
des west-östlichen Divans sich finden.Ersehen
wirdoch
inHugo Wolf
denjenigen, der berufen wäre, im Geiste des Dichters die letzten Szenen des Faust, 2. Teil, musikalisch auszuführen—
eine Aufgabe,welche
unser ganzes Ver- trauen in die Kraft seines Genius bezeugt.(Münchner allg.Ztg.
1890, No.22.)
Hugo Wolf
von
Joseph Schalk (Wien).
• lie fast beispiellosen Erfolge, welche
I—/ Hugo Wolf
mit seinen Mörike-Liedern inWien
erzielte,ohne
je vorher in denmassgebenden
musikalischen Kreisen der Hauptstadt irgendGönner
gefunden zu haben, sind eine auffallende Erscheinung.Eben
dieselbeKraft derIndividualität, dieihm
denWeg
des praktischenLebens
schwer, jakaum
überwindlichgemacht und
zahlreiche persönlicheGegner
geschaffen hatte, offen- barte sich in seinenGesängen
als der be- glückendeZauber
wahrhafter Kunst.Denn
hier
war
wieder einmal seitLangem
Ur- sprünglichkeit zuTage
getreten, die selbst den Widerstrebendenüberwand,
Erfindungs- kraft, derenReichtum
zurBewunderung,
—
19—
Volkstümlichkeit, die
zum Entzücken
hin- riss.Die neuen Lieder
Hugo Wolfs
(es sind nicht weniger als zweiundfünfzig Gedichte von Mörike, deren Erscheinen vorKurzem
zwanzig Liedervon
Eichendorff gefolgt sind, fünfzig vonGoethe werden noch
erscheinen)—
sind in rascher Aufeinanderfolge indem
kurzen Zeitraum
von kaum zwei
Jahren ent- standen.Wie Wolf
es versteht, sie mit un- fehlbarer Sicherheit, meist ineinem Zuge
aufs Papier zu werfen (die erste sehr zier- lich saubere Niederschrift zeigt nur
ganz
aus- nahmsweise irgend eine Korrektur), so ge- lingt esihm
auch, die lyrischeStimmung
des Gedichtes, die dramatische der Ballade sofort musikalisch gleich wiederzugeben. In den einfachen Gefühlstönen mit einer
den
besten Meistern nicht nachstehenden Innig- keitundSangbarkeit,inden
charakteristischen<Zügen mit oft überraschender Deutlichkeit -und Schärfe, sodass
man
Gestaltenund
Vor- gänge greifbar vor sich zu sehen glaubt»Zu
ganz besondershoher Meinung
aber be- rechtigt die Vielseitigkeit seines Ausdruckes, welcher sichim
zart Innigen, wieim
dä- monisch Wilden,im
erhaben Weihevollen, wie im Humoristischenund
derbKomischen
-auf gleicher
Höhe
hält,und
uns nurschwer
2*
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—
20—
dem
Einen oderAnderen
denVorzug
geben, keinesfalls aber gegenwärtig schon die Grenzen seinerBegabung
ziehen lässt.Mörike, dessen edle Dichterseele den Musiker zu so feurigem Dankesopfer ent-
flammte, wird uns in diesen Liedern erst nach seiner vollen,
noch
viel zu wenig ge- schätztenBedeutung
nahegeführt.Man
glaubt in einen Krystallspiegel zu blicken, in
dem
alle edlenund
heiligenEigenschaften des deutschenGemütes
wiederleuchten. In seiner ganzen Unergründlichkeit offenbart sich dieser Zauber keiner flüchtigen Lesung.Weniger
volleSammlung,
als reineEm-
pfänglichkeit ist es,
was
er voraussetzt.Dem
modernen
Kunstverstande, derimmer
mit vollerLadung
segelt, wird dieseLäuterung
schwer. Aufs herrlichste vollzieht sie die Musik Wolfs, die in ihrer frischen Natürlich- keitaufunseindringt,wie der belebendeOdem
des Waldes, der uns gestärkt uns selbst zurückgiebt.
Nicht
ohne
tieferenGrund
nennen wirHugo Wolf
einen deutschen Sänger. In diesemNamen
liegt dasMerkmal,
das ihnvon
den meistenmodernen
Liederkomponisten unterscheidet.Es
ist ein Anderes, musi- kalische Tonreihen zu erfinden, die ebenso- gut von Geige wie Klarinette vorgetragen-
21—
•werden, oder aber Melodien, welche, aus
dem Wesen
der menschlichenSingstimme
entsprungen,auch
gar nicht anders als ge- sungen gedachtwerden
können.Die
ver- waschene Schreibweise (der „Stil derMe-
lange"), welche in den musikalischen
Kom-
positionen der
Gegenwart
an der Tages- ordnung ist,macht
hierinkaum mehr
einen merklichen Unterschied. Sie beweist,wie
wenig den Meistenum
das „Singen" eigent- lich zu thun ist.Waren
nicht die Berufs- sänger, als Sterne der musikalischen Gesell- schaften, so überausbequeme Träger
desRuhmes,
so fiele eskaum
jeEinem
all der ausdem
Klaviereherausgewachsenen Ton-
setzer ein,
auch
Lieder zu schreiben.Wolfs
Lieder strömen echten, unvermischten Ge- sang aus; er ist sein eignerSänger,und
nurwenn
sich Einer findet, der, wie der unver- gleichliche Siegfried-Darsteller Ferdinand Jäger,Mut und
Begeisterunggenug
hat, sichihm
zu gesellen, dringtauch
weitereKunde davon
in dieWelt
hinaus.Die
orchestraleBehandlung
der Klavier- begleitung rinden wir keineswegs tadelns- wert, da sie durch die neuere musikalischeAusdrucksweise
bedingtist.Doch
sind unter den L'edernauch
solche,und
essind keines-wegs
die schwächeren, dieim
einfachstenDigitizedbyGoogle
—
22—
Stile gehalten sind.
Der
EinflussWagners,
auf die höchst feinsinnige Deklamation, die harmonischeund
melodische Kühnheit desAufbaus
zeigt sich hier,wo
die eigentliche Erfindung durchausselbständigbleibt, ebenso segensreich, wie er sich beiTonsetzem
schwächerer Individualität verderblich er-wiesen
hat Aufs Neue
bekräftigen dieseGesänge
die zuwunderbarer Höhe
gestei- gerte Ausdrucksfähigkeit der neueren Musik.Als unmittelbare Sprache des reinen Ge- fühles hat sich die
Tonkunst von
je bewährt.Wie
sie sich aber in ihrer vorschreitendenEntwicklung
zu einerimmer
helleren Spie- gelung dergesamten
innerenwie
äusserenWelt erwachend emporhob, und
gerade hierdurch in denElementen
ihres Seins, inRhythmus,
Melodieund
Harmonie, zu un- geahnter Kraftund Bedeutung
erstarkte—
weist sie uns ein eigentliches
Wunder
des Jahrhunderts auf,dem gegenüber
wir ohne- mögliche Erläuterungen des Verstandes instaunender
Bewunderung
seiner Erhabenheit verharren.Die
ErfindungskraftHugo Wolfs
be- währtsichdieserhohen
Stufe ebenbürtig. Sie führt uns hinaus in die Frische der Morgenluft, in das flimmernde Sonnenlicht des Weinberges, in diesummende
Schwüle des Mittags, wie in das schattigeWaldes-
dunkel, in den
Zauber
seiner Einsamkeit oder in das Brausen des Sturmes, des strömenden Regens,dann
wieder in dieRuhe
des ländlichenAbends,
vor die Glut der untergehendenSonne
oder inden
mildenSchimmer
des Mondlichtes—
unmittelbarer, als es Dichtersprache vermag.Was
beikühler, kunstverständiger Betrachtung als logische Entwicklung musikalischer
Formen,
als ein einheitlich geistvolles
Gewebe
der Durchführung erscheint, wird belebtim An-
hauch schöpferischerWiedergabe
zur er- greifendenGewalt
einerhöheren
Natur, deren Wahrheit uns tief erschüttert.Gleich als Tondichter,
wie
als dar- stellender Künstler fesseltHugo Wolf
den Hörer.Die
Energieund
Präzision, die Feinheit der seelischenDurchdringung
des Ganzen, wie diezündende
Unmittelbarkeit belehrt besser als jeder Vortragakademisch
gebildeter Berufsvirtuosen.
Mehr
als alleWorte
aberwürden
Bei- spiele, die wir hier nicht bieten können, überzeugen. Eine allgemeine Betrachtungmöge
noch zu Gunsten unseres Urteils sprechen.Der
Ernst desLebens
wirdvon
dem zunehmenden
Alter der Menschheitimmer mehr
erkannt. Selbst in kürzeren Ge- schichtsepochen lässt sich dieWahrheit
—
24—
dieses Satzes historisch nachweisen,
und
sogewinnen auch
Sage, Religionund
Kunst fortgesetzt tiefere Bedeutung. Istnun
aller- dings ideale Heiterkeit das Gebiet derKunst, so geht daraus hervor, dass sie indem
Kindheits- wie Jünglingsalter der Menschheit
am
bestenzu
natürlicher Blüte gelangen konnte. Ihre grösste Erniedrigungwar
es,wenn
sie sich anschickte, dieseHeiterkeit zu erheucheln,wogegen
ihre eigentlicheWürde
darin besteht,
dem
Ernste des Zeitalters eine entsprechendhohe Sphäre
der Heiterkeit (des freien Spieles der Kräfte) entgegenzu- setzen, welchejenem
gesteigertenErnste ein Gleichgewicht zu halten vermag. Dies be- wahrheitet sichauch
an der Person desmo-
dernen Künstlers.Hat
erAnspruch
darauf alssolcher zu gelten, so ist inihm
einStück jenes furchtbarenDämons
des Ernstes ver- körpert, der mit eiserner Faust die alterndeWelt
umspannt. Sein Ernst aber ist die Kunst, sie ist sein einziger, todbringenderLebenszweck. Das Wirken
der übrigen imBanne
des Stoffes befangenen Menschheit giebtzusammengenommen'
gleichsam erst dieSumme
der ihn erfüllenden Energieund
Intensität.Nur
so wird er nochHerr
des idealen Bereiches, nur so ver-mag
er sich aufzuschwingen zuden immer
ferner hinschwindenden Gefilden des Para- dieses.
Seil der unvergleichlichen Erscheinung Richard
Wagners,
die diesenTypus
in höchster Vollendung darstellt,haben
nur ganz wenigeMenschen
uns einen in diesem Sinne soüberzeugenden Eindruck
hervor- gerufen, wie der junge TondichterHugo
Wolf.
(Der Kunstfreund 1890, 11.Stück.)
*
7)Hugo Wolfs Goethe-Lieder
und
sein spanischesLiederbuch
vonJoseph Schalk (Wien).
L
Es
istmehr
als nur ein Zufall,was
denjungen Tondichter auf seinem künst- lerischen
Entwickelungsgange von
der Sphäre spezifisch deutscherLyrik
einesMörike und
Eichendorff aus zuGoethe
hinund
von diesemnunmehr
bis auf die alten fast ver- gessenen Spanier geführt hat.Die
unver- gleichliche Konzentrationskraft seiner Be- gabung, dieHugo Wolf
wie mit einem Schlagein das innerste Seelenleben des
von ihm
er- fassten Dichters versetzt, schliesst die An-nahme
allmählichweiterdringenderVertiefung nach einer Richtung hin völlig aus.Jede seinerSchaffensperioden, durch län- gere
Pausen von
dervorhergegangenenimmer
scharfabgegrenzt, erweckt unwillkürlich die Vorstellung eines Krampfes. In diesem Zu- stande bemächtigt sich sein musikalischer Genius der dichterischenVorlage derart, dass er unzertrennlich eins mitihrwird.
Was
er dann mit den Mitteln seinerKunst
zuTage
fordert, ist nichtbloss derGefühlsinhalt, son- dernauchdiepoetische
Form,
dashistorische oder lokale Kolorit, kurz derganze
Dichter im lebhafterenGlänze des musikalischen Aus- druckes.Hat er für das deutscheVolksempfinden, wie es inMörike's
und
EichendorfFs Liedernals reines Gemütsleben, als innig-
frommer
Glaube, als derberHumor und
naive Phan-tastik zurErscheinung
kommt,
die richtigen, überzeugendenTöne
getroffen, sowar
es ihmvorbehalten,auch
den weit schwierigerenStil einerwürdigen musikalischen
Behandlung
für
manche
der erhabenstenDichtungen
Goethe's aufzufinden,was man
namentlich an den Liedern ausdem „West
-östlichen Divan", sowie „Anakreon'sGrab
4*,„Koph-
tisches Lied*4'
und ,,Phaenomen" bewundern
möge.Billig fragen wir uns,
wie
ein Künstler, derkaum
den Jünglingsjahren entwachsen, die zartesten Geheimnisse der Goethe'schen Greisenpoesie so reinund
tief zu erfassen,—
28—
ja in seiner
Sprache
darzustellen vermochteund
wissen hierauf keine Antwort.Es
gilteben hier nur wieder einmal die geradezu mystischeInkommensurabilität derTonkunst, wie des musikalischen Genies als unbestreit- baren Glaubens-
und
Eifahrungssatz hinzu-nehmen.
Die
Schwierigkeiten, welche die Sprache Goethe's inden
kunstvollenFormen
seiner spätenSchaffensjahre dermusikalischenKom-
position entgegensetzt, sind bekannt genug.
Wie
aufs Peinlichste verletzend wirkt auch nur der leisesteZwang,
derihrem
zauber- haftenRhythmus
angethan wird! Statt des schier unmöglichen Versuches, hier auch nur allesBedeutendste ausden
einundfünfzigGe- sängen des Goethe-Liederbandesaufzuzählen, seheman
an nur zweiBeispielen, wieHugo Wolf
seineAufgabe
löst,und
entschuldige die Umständlichkeit des Verfahrens mit der lehrreichen Bedeutung, welche dasProblem
für die Enlwickelung derneuen Musik und
ihre Beziehungen zur Poesie überhaupt dar- bietet.Der
scheinbar eigensinnig-kunstvolleBau
der folgenden Verse, der inWolfs
Melodie völlig getreuund
verständlichwiedergegeben
ist, belege
nach
der poetisch-formellen Seite hin, seine so selteneKunst
derSchonung
und der sinngemässen
Wiedergabe
der ver- schlungenen Satzperioden.„Als ich auf demEuphrat schiffte, Streifte sich der goldne Ring Fingerab, in YVasserklüfte.
Den ich einst von dir empfing/
Die musikalische Melodie wird gemein-
hin, bewusst oder unbewusst, als das unge- hinderte
Ausströmen
eines einzelnenEm- pfmdungsmomentes
verstanden. In diesem Sinne müssen, strengegenommen,
dievoran- stehendenVerse alsunkomponierbar
bezeich- net werden.Denn
wie soll eine solcheMe-
lodie über die künstliche
Trennung
der un- mittelbarzusammengehörigen
Satzgliederder zweitenund
vierten Zeilehinwegkommen?
Man
spreche nichtvon
der Naivetät desTon-
dichters, der in seiner Sangesfreude über solche
Dinge
blind hinausgeht.Damit
ist hier nichtauszukommen;
wir stehen hier nicht aufdem Boden
des Volksliedesund
was dort als Naivetät berechtigt ist, wird hier zurempörenden
Rohheit.Stellen wir also
zum Zwecke
der Ver- deutlichung des Gesagten, die Goethe'schen Verse im Sinne der möglichstenAnnäherung
an die landläufige musikalischeBehandlung
um, so müsste es heissen: „Als ich aufdem
—
30—
Euphrat
schiffte, streifte sich der goldne Ring,den
ich einstvon
dir empfing", fingerab in Wasserkräfte".—
Oder,noch
banaler, beziehungsweise musikalisch mundgerechter:„Der
goldne Ring, den ich einstvon
direm- pfing, streifte sich fingerab in Wasserkliifte, als ich aufdem Euphrat
schiffte'4.— Was
bleibt
da von Goethe
übrig?Ganz
dasselbeVerbrechen
begeht aber ein Komponist, der nur eine in diesem Sinne verständlicheMe-
lodiedem
Originale selbst unterlegt.Es
zeigt sich hier deutlich, dass einzig diedurchAn-
einanderschliessen derzusammengehörigen
Satzteile erleichterteVerständlichkeit das so- genannte „musikalische4i ausmacht.
Den
Allermeisten gilteben
dieMusik
nuralseine„dumme
4*Kunst.Zur
Rechtfertigung der arg verlästertenMuse
fragenwiraber:Wie kommt
es, dass durch ein solches Verfahren gerade die poetische
Wirkung
des Originales ver- loren geht, die ja ineinem mehr
als bloss bildlichen Sinne zugleich als eine eminent musikalische bezeichnetwerden muss?
Es
istnun
als einedergrösstenErrungen- schaften der neuerenTonkunst
zubegrüssen, dass sie aus ihren eigenenElementen
der rhythmischenSymmetrie und
Modulationher- aus die Kraft land, diese latenteMusik
der Poesie selbstzum Tönen
zu bringen.Aus
der vergleichsweise so grossen
Jugend
der Tonkunst erklärt es sich hinreichend,wenn
erst durch Richard
Wagner
diese Möglich-keit aufgezeigt
werden
konnte.Die
ein- fachen rhythmischenOrdnungen
der klassi- schen Musikformen, derenimmerwährende
Wiederholung hauptsächlich dasVergnügen
der heutigen musikalischenWelt
ausmacht, erwiesen sich durchihnals einerunendlichen Gliederung fähig, diedem
gebildetenund
ge- übten Kunstsinne durchaus nicht als Zer- störung, sondernimmer
nur wieder als eine Symmetrie höherer Art erscheint.Wenn
beisolchgeheimnisvollen
Vorgängen
einzigGleich- nisse erläuternd wirken können, somöchten
wir hier etwa an dieEntdeckung
der Per- spektive erinnern,welche
fürdiekünstlerische Anschauung desRaumes
ähnlichesleistet, wie diese neuere musikalischeRhythmik
für dieFormen
der Zeit. Jedenfalls sind wirnoch
weit entfernt, hier Gesetze ausfindig zu machen, oder vielmehr—
Gott seiDank,
dass wir
noch
lange nicht so weitsind,denn
gerade so langekann noch
Ursprüngliches undNeues
geschaffen werden.Nun wäre
aber nichts verfehlter, als mit völligemAufgeben
der alten melodischen Tonformen eineArt rezitativisch freierKom-
position der in
Rede
stehenden Versezuver-—
32—
suchen.
Es
istvon
vornherein klar, dass derStimmungszauber
dieser Strophe nur innerhalb eineswohlgeordneten rhythmischen Gleichmasses erhaltenwerden
kann.Durch
die fastunmerkliche Steigerungund Dehnung
der Deklamation,welche
in keinerWeise dem Hörer
die Schwierigkeit des Problems verraten durfte,war
hier allein das not-wendige
Auseinanderhalten der Satzteile zu erreichen,und
wirgehen nun
daran,dem
Leser, soweit es
ohne
Notenbeispiele denk- bar ist, dieLösung
zu veranschaulichen.Goethe
stellt den Nebensatz deshalbvoran, weil er zuerst die Vorstellung des auf denWellen
schaukelndenKahnes
als Stimmungs- bild hervorrufenwill.Ebenso
hat auchHugo Wolf
seinemGesänge
das sanfteWogen
inunbeschreiblich zarter
Weise
unterlegt.Wir gehen
nicht zuweit,wenn
wir,im
Vergleich zuanderem gewohnten
musikalischen Gondel- geplätscher,uns hierwirklich aufdenheiligen Flutendes morgenländischen Stromes getragen fühlen.Die
melodischeDehnung und
Steige- rung,welche
sichzudem
Subjekte des Satzes„Ring"
heraufzieht, erreicht gleichsam die äussersteGrenze
des Stimmungsbildesund
damit die, dieses umhüllende, Sphäre des reinen Verstandesbegriffes, kehrt aber, ohne sie zu überschreiten, mit derVorstellung des—
33—
Versinkens in die „Wasserklüfte''
zum
Mittel- punkteund
zurRuhe
des Beginns zurück, doch so, dass durch die gleichzeitigeModu-
lation
(A-dur—
As-dur)inmeisterlicherWeise
das verdunkelnde Gefühl des hinabflutenden Gegenstandesangedeutetwird.
Der
folgende, auffallend rührendeAusdruck
derTöne
für dieWorte
,.den ich einstvon
dir empfing"scheint aber
nun
dieses liebendeGedenken
zur Hauptsache zu
machen, was wiederum
völlig mit der Absicht des Dichters überein- stimmt.
Denn
wir brauchen uns jetzt nurdieStrophe zu wiederholen,
um
mitEntzücken
zu begreifen, dassWorte wie Töne vom An-
fange an durch dieLiebe
hervorgerufenworden
waren.„Also träumt' ich.
—
MorgenröteBlitzt ins Auge durch den Baum.
Sag,Poete, sag, Prophete!
Was
bedeutet dieser Traum?"Die zweiteStrophe bietet keinederartige Schwierigkeit.
Wir
setzen sie nur her,um
zu bekennen, dass die überirdische Schöne dieser Goetheschen
Morgenstimmung
uns nie deutlichergeworden
ist, als durch dieMusik
Wolfs.Wie
alle seine Lieder, so setzen namentlich die „Goethe'schen" eine doppelte3
DigitizedbyGoogle
—
31—
Empfänglichkeit, die für poetische
und
die für musikalische Schönheit voraus,und wer
ihnen nur die eine entgegenbringt,kann dem Ganzen
niemals gerecht werden. Derlei Produktionen sind daher notwendig aufeinen kleinen Kreisvon
Geniessenden beschränkt.Immerhin hegen
wir aber aus Erfahrungmehr
Vertrauen zu den poetischen Gemütern,welche
sich angeregtfühlen, derMusik
nach- zufolgen, als zu deneigentlich musikalischen, für die dieDichtung
nur so nebenbei läuftuud welche
leiderim
deutschenPublikum
inerschreckender Überzahl
vorhanden
sind.—
In
den
blühendenZauber
sonnig-stillenNatur- lebens, denGoethe
mit sowenig Worten im
„Anakreon"
entfaltet, stellt er plötzlich die ernsteFrage
hinein:„Welch
einGrab
isthier?"
—
fährt aber sogleich in derselben tief beglücktenStimmung
fort: „das alleGötter mit
Leben
schön bepflanztund
ge- ziert?Es
istAnakreon's Ruh". — Wer
zittert hier nicht für
den
zartenHauch
ver- klärter Poesie,wenn
er dabei anMusik
denkt.Wer
traute ihr zu, dass sie in gleichknappem Räume
ebensowahr und
er- greifendLeben und Tod
verbindenkönne?
Und doch
hatHugo Wolf
hier mitbewun-
derungswürdiger Künstlerhand das unsheilig-unberührbar
Dünkende
festgehalten, mit—
35—
•wenigen
Tönen
des tiefsten Ernstesund
süssesten Trostes zugleich die
Musik
zur flöhe des Dichterszu
erheben vermocht.II.
Berührt
von dem weltumspannenden Ge-
nius Goethes, der sich die Reinheit erster Jugendgefühle durch die morgenländische Poesie des west-östiichenDivan
sowunder-
bar zurückerobert hatte,wurde
unserTon-
dichter
nunmehr
wievon
selbst auf dieglut- vollenGesänge
der alten spanischenDichter hingeführt.Durch
die meisterhaften Bear- beitungen Geibelsund Heyses
sind diese Schätze der Weltliteratur zueinem
freilichnoch
weniggehobenen
Schatze unserer deutschen Dichtkunst selbstgeworden. Es
4st altes, echtes Gold, das in seinem fun- kelnden Glänze aller Zeit
und
alles ab- nützendenGebrauches
spottet.Zwar unverkennbar
als derselbe„wohl
bekannte Sänger" aberdoch
wieder wie ein völligNeuer
tritt unsHugo Wolf
hier ent- gegen, inden brennenden Farben
südlicher Leidenschaft. Einige dieser Lieder scheinen denUbergang
zuvermitteln, so insbesondere -das herrliche Lied:„Wenn du
zuden
iBlumen gehst4*, dasnoch
ganz die tiefe3*
DigitizedbyGoogle
- 36
Innigkeit der Mörike-Lieder atmet; ferner
„Alle gingen, Herz, zur
Ruh".
Sie mögen, alsBrücke
dienen, hinüber in dasneue Land,wo
uns alsbald berauschendes Geschwirrder Guitarrenund Mandolinen
empfängt. rAuf dem
grünen Balkon", „Klingemein
Pan- dero", „Seltsam ist Juana's Weise".Man denke
nurja nichtan
bekannte Bolero-und Fandango
-Rhythmen.
Eine Fülle lebens- voller Gestalten treibt sich in plastischer Deutlichkeit vorunserem
geistigenAuge
vorüber, Gestalten, die wir nicht nur an ihren
Geberden und Gewändern etwa
als maskierteSpanier, sondern inihreminnerstenWesen,
in ihrer Lustund
ihremWeh,
ihrer träumerischen Weichheit,wie
in ihrem üp- pigen Stolze, ihrem Scherzund
ihrerSchwer- mut, in ihremschmachtenden
Sehnen, wie in ihrerzum Wahnsinn
gesteigerten Raserei als echte Kinder ihrer sonnendurchglühten Hei-mat
erkennen.Und
derleiWunder
voll- bringtwie von
je einzig diedeutsche Kunst.Wir
sinddoch
ein glückliches Volk.— Der
Interpretationskunst sind durch solcheWerke
freilich die höchsten
und
schwierigsten Auf- gaben gestellt. Ein Sänger, der beispiels- weisedem
Liede:„Wer
sein holdes Lieb' verloren, weil er Liebe nicht versteht"—
in seinem Vortrage gerechtwerden
will, hat.eine Kraft, wie sie eben nur das Genie be-
sitzt, aufzubieten,
um
seineganze
Seele in die des edlen, melancholisch-weichen Spa-niers zu verwandeln, der uns hier sein
Leid
»klagt
Und
welch'Gedränge
reizenderMädchtngestaiten, scheue
und verwegene,
blickt nicht durch das
von
duftigsten Blüten- guirlandenumsponnene,
zarte Notengezitter hindurch! Neckisch heiter, oft bis zurAus-
gelassenheit: ,,Sagt, seidIhres, feiner Herr", dann
im Tone
holder Treue: ,,Indem
Schatten meiner
Locken",
„Sie blasenzum
Abmarsch",
„Mögen
alJe bösenZungen immer
sprechenwas
beliebt", „Geh, Ge-liebter, geh jetzt, sieh' der
Morgen däm-
mert oder indem Liede „Weint
nicht, ihr Äugelein" desLope
de Vega,dem
sich un- mittelbar dasim
limusinischen Volkstone ge- haltene, allerliebsteSchäferidyll:„Wer
that deinem Füssleinweh? La
Marioneta" an- schliesst, dessen musikalischeAusführung
von entzückender Frischeund
Zierlichkeitist. Es folgen
nun
eine Reihe leidenschaft- lichererLiebeslieder: ,,Sagt ihm, dass er zu mirkomme«
4, „Bitt' ihn, o Mutter", „Liebe mir im Busen zündeteinenBrand'1, „Schmerz- licheWonnen und wonnige
Schmerzen",immer
gesteigerter bis zudem
in seiner•Furchtbarkeit erschreckenden
Ausbruche
—
38—
tiefer Leidenschaft:
„Wehe
der, die mir verstrickte meinenGeliebten**—
einGesang, wie er nur ausdem
wild rasenden Herzen, einer Andalusierin hervorbrechen kann. Als apartes Kabinettstück von unvergleichlich feinsinniger Charakteristik nennen wir hiernoch
des Cervantes: „Köpfchen, Köpfchen, nichtgewimmert
4* (Preziosa'sKopfweh-
sprüchlein)und wenden
uns zu denmänn-
lichen Liebesliedern:„Und
schläfstdu
meinMädchen
4*. „Treibe nur mit Lieben Spott",„Deine Mutter, süssesKind*', „Bedeckt mich mit Blumen*4
und
einigen zuAnfang
ge- nannten, in welchen wir bei gleicher poe- tischer Prägnanz, vor allem den Reichtum rhythmischerErfindungskraft bewundern. Sie leiten in das Gebiet eines freien höchst er- götzlichenund
originellenHumors
hinüber:,,Eide, so die
Liebe schwur
44,„Da
nur Leidund
Leidenschaft44und
,,Herz, verzage nicht geschwind, weil dieWeiber — Weiber
sind4', doppelt erquicklich nach der erschüt- terndenWahrhaftigkeitder vorausgegangenen ernsten Stücke.Einige
Gesänge im Tone
teils leiden- schaftlicher, teils ruhiger Resignation: „Ich.fuhr über
Meer
4*, „Blindes Schauen, dunkle Leuchte44,,,Komm,
o Tod,von
Nachtum-
geben*4 fuhren unsnun
zu der Abteilung:.„Geistliche Lieder", deren Voranstellung in der Bandausgabe des
Werkes, wohl
ein schönes Zeugnis für den Ernst desTon-
dichters ablegt,
im
Interesse einer rascheren Verbreitung aber bedauertwerden
muss. Sie enthält nämlich die ungleich schwierigeren Stücke, sehr geeignet die Neugier eines zu- erst aufsie verfallendenPublikums
rasch zu dämpfen.Möchte doch
Jeder vorerstimmer
das Gedicht selbst durchlesen
und
erwägen, welche Anforderungen sein Inhalt anden
Musiker stellt!Man würde
vielleicht besser einsehenlernen, dass die fanatische Inbrunst des religiösen Empfindens, welchesim
spa- nischenVolksgeiste eine sobedeutsame
Rollespielt, nicht gerade
immer
durch milde und einschmeichelndeAkkorde
wiederzu- geben ist.Indem Wolf
seine musikalische Natur in die asketischenWonnen und
Peinigungen dieser Dichterheiligen untertauchte, hat er freilichdem Modernen
entlegenste Gebiete des Seelenlebens durch seineKunst
uns wieder näher gebracht. Als die zugäng- lichsten dieser zehn weihevollenGesänge
nennen wirhiernur dasinreinstemLegenden-
toneund
doch so rührend innig gehaltene Lied:„Nun wandre
Maria'*und „Die
ihr schwebetum
diese Palmen'1".Die Krone
des4ü
—
Ganzen
dünkt uns aber der neunte dieserGesänge
zusein,aufdessenBedeutung
schliess- lich nochden
teilnehmendenLeser aufmerk-sam
zu machen, wir uns nicht versagen können.Vergegenwärtigen wir uns eine in An- dachtsschmerzen tief
zusammengebrochene
Gestalt, wie siemit
immer
neuerlichem Flehenund Ringen
dieArme
erhebtzum
Bilde desam
Olbergewachenden und
weinenden Er- lösers,und
in dieWorte
ausbricht: „Herr,was
trägt derBoden
hier, dendu
tränkstso bitterlich?'* Diese Gestalt ist plastisch dar- gestellt durch das kurzeMotiv, das inimmer
neuen Schmerzensaccenten fragend, sich durch das ganze Liedhindurchzieht.Aus
der unendlich tieferen, aber ruhigen Fülle seines eigenen, göttlichenWehes
antwortet der Herr:„Dornen liebesHerz, für mich und für dich derBlumenZier".
Nur
soweit als die eigene TodesnotTrost zu spenden vermag, drückt ihn hierauchdieMusik
gleichsamim
trübsten Dämmerlichte aus.Wir vernehmen
die erneuteKlage
des sicham Boden Windenden:
„Ach, wo solche Bäche rinnen, wird ein Garten da gedeihn?"
Darauf der
Herr
erwidert:„Ja, undwisse! Kränzelein, gar verschiedne flicht man drinnen".
,,0, mein Herr, zu wessen Zier windetman die Kränze? sprich!"
Im
tonlosen Düster eines menschlich un- fassbarenWehes vernehmen
wir die Ant- wort des Erlösers:„Die von Dornen sind iür mich"
—
und nun spielt ein mildestes
Lächeln von Wehmut und
Verklärungum
sein heiliges Antlitz:„Die von Blumen reich' ich dir!"
Mit
dem
letztenWorte
hatHugo Wolf
durch einen höchst einfachen Harmonie-
schritt eine bisher unerhörte
Wirkung
er- zielt.Denn
es erhebt sich unleugbar deut- lich vor der schaudernden Seele desHörers, wie von einer Blut welleemporgehoben
das Riesenbildnis des Gekreuzigten!(Bayr.Taschenkalender 1893
)