• Keine Ergebnisse gefunden

INDIANA LIBRARY UNIVERSITY. Digitized by Google

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "INDIANA LIBRARY UNIVERSITY. Digitized by Google"

Copied!
136
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DigitizedbyGoogle

(2)

INDIANA UNIVERSITY

LIBRARY

(3)

DigitizedbyGoogle

(4)

©.DELLEN UND

FORSCHUNGEN ZUR DEUTSCHEM

VOLKSKUNDE

HERAUS6EGEBEN VON E’K BLÜMMl»

BAND V

VOLKSMEDIZINISCHE BOTANIK DER GER?

MANEN' <5\2)

VON MAX HOFLER

Fölwio

VERLAG Dü RUD' LUDWIG

WIEN

(5)

468890

C*r R

I

U i

Q3

v. ^

DigitizedbyGoogle

(6)

S--3 7-y

VOLKSMEDIZINISCHE

BOTANIK DER GERMANEN

VON MAX HÖFLER

ALLE RECHTE VORBEHALTEN VERLAG D

R

RUD. LUDWIG

WIEN 1908

*

(7)

DerReiz volkskundlicher Forschungen liegtin derEr- kenntnisdesWerdegangesmenschlicherKultur,inderFreude desMenschenan der ihnumgebendenschönen Natur, die doch fürdenMenschen auchsounbarmherziggrausamist,weiterhin inderErgründungdes Verhältnisses der Volksseele zur Natur.

DiePflanzen,dielieblichenKinderderMutterErde,die jenach

dem

Sonnenstände jugendlich weiß,dannblutrot,herbst- lichblauunddunkel oder wintergrausichfärben,sind fürden primitivenMenschenebenso beseeltundmitGemütsstimmungen ausgestattet,wiedieihnumgebendeTierwelt,jawie derMensch selbst,eineAnschauung,dieauchdiegroßen griechischen Philo- sophen Empedoclesund Anaxagorashatten(Rohde,Psyche8, 177

,195).

DievolksmedizinischeBotanik,soweitsiedie

vom

Volke benütztenHeilkräuterbetrifft,hat fürden Laien,wenner einiger- maßenSinn fürdiePflanzenwelthat,besondersdanneinInter- esse,wennerFreudehatandemRückblicke auf den kultur- geschichtlichenHintergrund,auf

dem

ungezählteGenerationen inihrerDenk- undVorstellungsweisesichdieWirkungsolcher Heilkräuter zurechtlegten,undwennerdabeiden Entwicklungs- gang ausdenUrzeitenwenigstenszuahnenvermag.

Wirdürfen dabei nichtetwa beabsichtigen,die endlose Reihevon Verordnungen,wie siedieantikenundmittelalter- lichenKräuterbücherinlangweiligerEinförmigkeitgeben, hier aufzuführen,sondern wirmüssendieeinzelnenPflanzen-Individuen nachihremAlterderWertschätzungundnach derArtihrer Verwendungbeurteilen; dieWertschätzung einerPflanzeaber

BlUmml, Quellen und Forschungen.

.

1

1

DigitizedbyGoogle

(8)

beginntfürdenprimitivenMenschenerstmitderErkenntnis des Nutzens oder Schadens,dendieselbeihm,dem Menschen oder

dem

symbiotischen Haustieregegenüberäußert. Hinterjedem Pflanzennamen,welcherderenVerwendungsartandeutet, steckt einStück Geschichte, welche mit den ersten Verwendungs- versuchenundVergleichen beginnt.Manchedieser

Namen

werfen einhellesLichtinjenedunklen PeriodenschriftloserUrmedizin;

ohnediese

Namen

würden wir überdieVerwendungsolcher Pflanzen aus dieser Zeit keineNachrichten haben.

ZudiesemZwecke bedürfen wir der Etymologie,d.h.der DeutungderPflanzennamen,unddiesewieder bedarf derFolk- lore,d.h.derLehredes volkskundlichen Brauches, dersichan die betreffendePflanze knüpft, wobei wir derethnologischen ParallelenbeiprimitivenundgebildetenVölkernnichtentbehren können. Erst aus derZusammenstellungdieserGrundlagener- gibtsichdanndermitallerVorsichtzuziehendeSchlußauf ältereKulturperioden.

BeiderEtymologie derPflanzennamenmüssenwiruns,wie beider Etymologie derOrtsnamenandieältestenurkundlichen Formen halten; wirmüssen uns auch beschränken,nur ein- heimisches,d. h.germanisches Sprachgut zu deutenunddürfennicht etwaLehenwareausderAntikeindenVordergrundstellen.

Nur

das Einheimische,Bodenständigewerdenwirrichtigvolkskundlich verwertenkönnen; schwierigeristes,dieinfrühen Zeitenschon entlehnte Pflanzenwareals volksmedizinisches Objektzuver- werten. Mit der fremdenPflanze wanderte nicht nurderen Name,sondernauch derenVerwendungsartinsLand.

Wenn

wirdiegermanischen HeilkräuterindasGebietunserer Forschungziehenwollen, somüssenwirvonvornhereinallejene Heilkräuterausschließen,welchedurchdiesogenannteMönchs- medizinnach Deutschland gelangtsind,weil diese ihreVerwendung ganzfremden Volksgebräuchenverdanken,diewirnichtohne weiteres auf dasgermanische Volk übertragendürfen; viele solcher Pflanzen derMönchsmedizin sind uns aber wertvolle Parallelen.

Diegermanische Kulturperiode,welche ganz andereBe- dürfnissehattealsdieantikeWeltderRömer,Griechenund 2

(9)

Ägypter, wirduns nunauchdurchForschungen,diesichauf volksmedizinische Heilkräuter derGermanenbeziehen,dem Ver- ständnissenäher gerückt.

AusdemBedürfnisseentsprangdieBenennungder Pflanzen;

erstalsdieVerwendungsartderPflanzen undKräuter durch dieTraditioneinegleichsam heroischeVerherrlichung erfahren hatte,

nahm

sichderVolksmythosderPflanzennamenan.Pflanzen- mythosundSeelen-,Ahnen-,Heroenmythoshat jedes Volk.

Man muß

sichhüten, jedenPflanzenmythos auf den Einfluß der antikenKräuterbücheralleinzurückzuführen; anderseits darf

man

den letzterendurchausnichtzugeringeinschätzen. Es gibt auchVolksvorstellungenüberPflanzenundKräuter,die ganzverschiedenenVölkern ohneEntlehnung gemeinsamsein können.

DieVerfasser derältesten gedruckten Kräuterbücher des 16.Jahrhundertssaheninder Pflanzefastimmernureinvon ihnen gesuchtes Heilmittel, dessen Kenntnis den schriftkundigen Leutenbisdahinfastganz mangelte, weil ihnen ebendiePflanzen- kundeseitderAntike nahezuganz abhanden gekommenwar;

erstbeidensogenanntenKrauterernund Waldhanseln mußten sie diePflanzennamenwieder kennenlernen,

um

siemitden

Namen

indenantikenKräuterbüchern vergleichenzu können.

Unabhängig von solchenKräuterbüchemhatten dieLeuteaus

dem

VolkeihrenVorratanHeilkräuterngesammeltundwie eineNahrung„eingetragen“,daunddort unterstütztdurch das Vorbild benachbarterKlostermönche,dieeinegewisseAnzahl vonantikenHeilkräuterninihrenKlostergärten kultiviertenund in die Bauerngärten übertrugen. DasVolkmachte sichdie

Namen

solcher, aus derAntikestammenderPflanzenmöglichst mundgerecht.

DerSchatzan solchen importierten, heute volksmedizinisch verwendetenPflanzenistkein geringer;immerhinaberfloßneben diesemStromeaucheineinheimischer,dernahezu unberührt aus Urzeiten entsprang. EineMassevonSippe zu Sippe vererbter Kräuterverwendungen,die ihreErhaltung größtenteilsdemKulte verdanken, blieb uns so lebendigimBrauche.

Wir habensoeben betont,daßdieBezeichnungeiner Pflanze 1*

3

DigitizedbyGoogle

(10)

fast ausschließlichihrerVerwendung und Wertschätzungent- sprang. EineAusnahme hiervonmachtder indogermanische

Farn

oder das Farnkraut, dasnur durch seinAussehenzurNamengebung Veranlassung gab:ahd.varn,ags.föarn,idgm.porno-,nrsQig

=

Flügel,Feder,also:Farn

=

federähnliches Blatt (Kluge*105).

Bei der ausgedehnten volksmedizinischenVerwendung,die diesesKrauterfuhr,möchteman, namentlich deswegen, weil seine WurzelauchinBiergekochtwurde(Schröder 920), an eineschon germanischeVerwendungdesselbenalsHeilkrautdenken.

Da

aberdienordischeVolksmedizin,diesesspäterhauptsächlichgegen

Würmer

benutzteKrautals„Wurmfarn*nichtkennt, somöchte esvielwahrscheinlichersein,daßdie mittelalterlicheVerwendung diesesKrautesinderdeutschenVolksmedizinihreQuelleinder Antikehabendürfte,welcheesalsWurmmittelschon kannte, esaber auchals„Milzfarn“(Aspleniumoder Asplenos)gegen Milzleiden

(=

Eingeweidekrankheit) verwendete;

man

sollteesnur inmondfinsterenNächtenausreißen,einGlaube, der dasKraut auchalsAbortivumkennzeichnet(s.Organotherapie,S.28ff.).

Beim Polypodiumvulgare,

dem

sog.„Engelsüß*, „Steinsüß*,

„Süßfarn“auch„Eichfarn“ genannt(ahd.eihvarm

IH

586),ist anzunehmen,daß seineWurzelvor allemwegenihressüßenGe- schmackes gesucht wurde.Das Rhizomder Pflanze, welcheswegen derEmpfehlungdurch DioskuridesIV,185 ehemalsoffizinellwar, suchen heutedienachSüßigkeitenstetslüsternen Kinder, diees kauen(Z. d.V.f.V. K.1901,S. 83). Diese süße Farnartwares vermutlich auch, dieüberhaupt zuerst gesucht wurde, namentlichin derNähederEichenbäume,unddievonanderen eßbaren Pflanzen z.B,dem Lauchdurch das federähnliche BlattunddenWurzel- geschmackunterschieden wurde. Bei derSuchenachdieserFarn- wurzelmußten wohlauch andereFarnartenkennengelerntworden sein,welche schondurchihrenGeruchsichvondenübrigen Farnarten unterschieden. Solche starkriechende Pflanzenwurzeln galten hauptsächlichals

Würmer

vertreibende apotropäische Mittel, sodaßimLaufe der Zeit verschiedene Farnarten zu„Wurmfarn*

wurden. Letzterer vertreibt nach

dem

Volksglaubenaber nicht 4

(11)

nurdie

Würmer

indenGedärmen,sondernauchalleswurm- artigeGetieraufderHaut,sogarKrötenausdemStalle. So erklärtessich,daß derFarnauch bezeichnet wirdals»Mauken- Kraut“ oder»Roß-Farn* (s.K.N. B. 405), »Schnackenkraut*,

»Wanzenkraut*,Wurmkraut* (schwed.ormbunke,

Wurmbung-

Knollen,s.K.N. B. 822),»Wrangenwortel*gegendasRank- korn (K.N.B.753). DieVerwendungdesSüßfarn erklärt auch, daß, da er einenährendeWirkunghatte,der»Kraftfarn*zum Tropfenkrautwurde(s.

K

N. B. 353),d. h.zumStärkungsmittel beiderdurchdensog.Tropfen verursachtenLähmung,ahd.poli- podivmtrophwurzqueinqueren nascitur

(=

Eichenfarn) sivein lapide (Steinmayer, ahd. Gl.HI,581). DiemeistenübrigenVer- wendungendesFarnkrautes dürften übrigens aus derAntike entsprungen sein*). Der zauberhafteFarnsamen istwohl als Farrensamenoder Stiersamen zudeuten;selbstParacelsussoll ihn gesucht haben.

DasVerhältnis des Menschen zur Pflanzenwelt war in früheren Zeiteneinweitinnigeres- alsheute,dies

um

somehr,als derMensch undseineHaustiere

vom

Gedeihender Pflanzenwelt weitmehrabhängig waren. EhederMenschdenAckerbaube- trieb,mußtenihmschon Blühen, Fruchtbildung, das Erscheinen, Welken und Verschwinden derBlätteraufgefallensein. Der Mensch,der zuseinerSelbsterhaltung alles Genießbare nach tierischemVorbildezum

Munde

führte,mußtediekräftigenden, bzw. schädlichenWirkungendiesesGenussesofterprobthaben;

auchdievon den Jahreszeiten abhängige Fruchtbildungwurde fürihn,der diese Früchte genoß,vonbesonderer Bedeutung; der FruchtmangelwarfürihneinNahrungsmangel,einSippen-Unglück

;

dasGedeihender eßbarenFrüchtewarfürihneinZeichen der

Huld

derverstorbenenAhnengeister,dieMißernteeinZeichen des GrollesderihmunholdgesinntenSeelengeister. Ausdem SchoßederMutterErdekeimenim Lenzdieim Winterunter derErderuhenden Pflanzen wiederempor alsVerkörperungen früher verstorbenerMenschen,der unterirdischen Geister;denn

*)Übermittelalterlichenund jüngeren Volksaberglaubeninbezug aufFarnkrauts.Wuttke§ 127. Über Rain-Farns.untenArtemisia.

DigitizedbyGoogle

(12)

diePflanzenwaren

dem

Menschen Seelengestaltenmitallden

„holdenundunholden Kräften,die inBlüt’undStengel schlafen*.

FürdenGermanen warderWolfder Inbegriffalles

Un-

holden, SchädlichenundFürchterlichen.

DerName Wohlverleih (=Arnicamontane), entstellt ausWolfes- leich:(mhd.wolveslih;12.Jahrhundertwolvisgelegena (Phys.Hildeg);

16.Jahrhundertwolfslegia;1685Lagealupi)deutet esnochan,daß das Volkinder giftigen Pflanze dieandere Gestalt (das Gleichnis) einesWolfs- dämons annahm; auch andereWolfskräuter,Wolfsbeeren, Wolfskirschen, Wolfsmilch,Wolfswurz,Wolfsdistel,Wolfsseifeusw.sindGiftpflanzen.

Fischer-Benzon214deutet Übrigens die wolfesgelegena(Steinmayer, ahd.

Gl.III,402)alsAconitumLvcoctonum(Wolfstod).

Wie

nahe liegtesanderseits,daßsolchePflanzen,deren NährwertderprimitiveMenschalshilfreicheHeilkraftansah, wiedieHeroenundAhnengeisterauch eine Vergöttlichunger- fuhren,zuGottwesenwurden, derenKultsolchenPflanzen ihre vielseitigeWertschätzungerhielt. Nurzubestimmten Zeitenund unterBeobachtunggewisser Vorschriften, welche denZornund Grollder Unterirdischen zuerweckenvermeidensollten,wares demWurzelgräber oder Krautschneider möglich,sichderZauber- krafteinessolchen beseelten Pflanzenwesenszu bemächtigen,Vor- schriften,dieaufLebenundTodlautetennachdemausFurcht undAngst vor denTotengeistem aufgebautenVolksglauben.

DerTotengeistwurdebeschworenbeimAusgrabender Pflanzen, wiebeim Vertreiben der KrankheitswesenundwiebeimLiebes- zauber. Die Kräfte der Seelengeister, welche nachneuem Leben lechzen,konntengewonnen werdendurchihreVersöhnungmittels Opfergaben, aber auch durchdieGewaltnoch mächtigerer Geister, dieherbeizulockeneinebesondere mutvolleAufgabewar; meist wardieserVorgangdesWurzelgrabens,eingewaltsamer, unter Benutzungnicht eisernerd. h.nichtjüngererGeräteingewissen Nächten,inwelchendieSeelenzuschwärmenpflegenundunter DarbringungeinesTotenopfers,z.B. Blut,Milch, Brei,Brot, schwarzeHenneusw.

Die heutigeVolkskunde sammeltsolcheVorschriftender Wurzelgräber mit berechtigtem Eiferundverwertetsiezu wissen- schaftlichenRückschlüssen auf längstvergangeneZeiten.

WichtigistauchdieArtder volksüblichenVerwendungder 6

(13)

betreffendenalsheilsamerkanntenKräuterundWurzeln, weil wirausihrauf die primitivenMethodenderZubereitung solcher genießbarer YegetabilieninfrüherenGenerationen schließen können.

DasintimeVerhältnis desMenschenzumPflanzenreichewar frühernur

vom

Egoismusbeeinflußt. Die Pflanzewarfürden primitivenMenschenweitleichtererreichbaralsdasTier,welches vielmehrVerteidigungs-undSchutzvorrichtungenhat, als diean den Boden gebundenePflanze,die

dem

Tieregegenüber schutzlosist.

DerprimitiveMenschernährtesichzumeist oderfastaus- schließlich von Vegetabilien. DieHirse als älteste Halm- frachtistauch

am

frühestenindenKulteingezogenworden;

sie wardiehäufigsteSeelenspeisebeidem Indogermanen;der

Genuß

derselbeningewissen Kultzeiten,diederAckerbauschuf, wareinAllheilmittel;denndieNahrung,welchedenMenschen stärkte,mußteihnauchheilenkönnen. Diese Vorstellungwar stets eineallgemein menschliche. DieNahrungsmittelwurden Stärkungs- undFruchtbarkeits- und dadurchauchHeilmittel.

DerMensch, derallesversuchte,wasseinenHungerstillen konnte,suchteausEgoismuszuerstnurnach Nahrungsmitteln.

Dieser Trieb verschaffteihm danndiestärkenden,nährenden, frucht- barmachenden undgesunderhaltendenHeilkräuter; wenigstens glaubte eres,weilersah,daß der gut genährteMenschgesund war,d.h.fruchtbarundleistungsfähig.

.Die Vorstellung,daßdiePflanzegesundsei,wirdsiedem täglichen GenüssebesondersinVolkskreisenzugeführthaben*

meinteHeyne(D.H.A., S.68);esistaber gerade das Gegenteil richtiger. Erst dieVersuche,dieFrüchte,Kräuter;Wurzeln, denRindensaft usw. zur Ernährung, zur Hungerstillung zu ver- wenden,mußtendieMenschenauchdieschädlichenWirkungen derselbenkennenlehren,diedanneinzelneKräuterkundigerean der betreffenden LokalitätalsgeheimesWissenfürsich behielten.

Allmählichschränkte sich derBegriffdes Heilsamen inder botanischenSphäremehraufdendeswürzigen*)Krautes, nament- lichder scharfriechendenWurzelnein;auch dasKrautoderdie

*)Unter„Wurz*verstandmanimMittelalterauchdieganzePflanze.

Das „Warzige“ wurdeallerdings oftzurHauptsache.

7

DigitizedbyGoogle

(14)

Kräuter zuunterscheiden,siejenach ihrem Standorteinihrer Wirksamkeitzu prüfen, daswarein sicheraufungezählteGene- rationensicherstreckenderVorgang. DiebreitenSchichtendes Volkessahen ebenfalls frühermit

dem

Wechselder Jahreszeiten dieKräuterblühenundwelken.NachdesWinters langerHungers- zeitbegrüßtensiedieerstenFrühlingspflanzen, daserstefrische Grün,alsVerkörperungholder Seelengeister, diebeimEinzuge desLenzes ausdem SchoßederMutterErdeemporsprießen.

Namentlich sindesdie inder unmittelbarenNähedesmensch- lichenWohnhausesoderan

dem

dasHeimschützendenZaun- gehege wachsenden, erstengrünenFrühlingskräuter,welche für denprimitiven Menschen, der derPflanzenwelt weit intimer gegenüberstand,alsdermoderneMensch, zauberhafte Kräfte der Seelengeister,die an dasHaus gebundenwaren, haben. Der fruchtbareHausbaum wurde zumLebens-und Schutzbaumder Familie,dasHaus- und ZaunkrautzurVerkörperungdeszauber- haftwirkenden Hausgeistes. DievegetabilischenKräftedieser HeimkräuterundHausbäume warendieältestenHeilmittel,weil sieauch dieältestenGerichteinderKücheder Urzeitunddie ältestenNährpflanzen waren,diedasSippen-Lebenbeschützten.

Die SamenkörnerderHirseunddesWegerichs,dieHoller- beeren,diestärkemehlreichenFrüchte der Eiche,diefettreichen Nüsseund Ecker derZirbelkiefer undderBuchespielen die gleicheRollesowohlalsUrspeise,Not-oder Hungerbrot, wie alsVolksheilmittel;derAmpfer,der Holler,dieNessel,derLauch, das Himmelsbrot, der gute Heinrich sinduralteSpeisenundHeil- mittel DasMoosbrot,hergestelltausisländischerMoosflechte, entstandauseinerAbkochungdieseroffiziellenFlechtenartin Milch. In IslandheißtdiesesGerichtGräsergrütze* (Grasa- grautur),esisthergestelltaus

dem

Berggras(fjalna-grös),wie dort das isländischeMoosheißt(Z. d.V.f.V.K., S. 249). Eine mit solchen Nährpflanzen oder GräserninMilch gekochte vege- tabilischeSpeise hießinIslandGräsermilch (grasa-mjölk). Diese Art vonVerwendungder Kräuter,d. h.ihreAbkochunginMilch isteineechtgermanischeMethode.

InNotlagen kehrt derMenschzu deneinfacheren und primitiveren,durchdenZwangderVerhältnisseeingegebenen 8

(15)

Mitteln zurück.

Was

wirheuteNot-oderHungerbrotnennen, warehemalsein alltäglichesGericht. DasEichelbrot,dasBüchel- brot, dasKleebrot sind solcheHunger-oder Notbrote. Massen- haft

kommen

indenPfahlbautenbeiRobbenhauseninderSchweiz dieSamenkörner

vom

guten Heinrich(Chenopodium) vor,der heutzutagenurnochinRußlandalsNotbrotverwendetwird.

Brotkräuter sindferner:Luzula campestrisundpilosa,inSchlesien

»Hungerbrot* genannt,Briza media,ebenfalls »Hungerbrot*,

»Hasenbrot*, „Vogelbrot“, .Honigbrot“ genannt; fernerinNieder- sachsen (1786) derRanunculussceleratus,dieQuecke, sowiedie sehr mehlreicheFruchtder distelhartenWassernuß(Tribuluss.

TrapanatansL.),vonder Plinins(h. n.

XXH

27) bezeugt: „Thrazes, quiadStrymonahabitant,foliistribuliequos saginant,ipsinucleo vivunt,panemfacientespraedulcemetqui contrahatventrem.“

Auch

Dioskuridesberichtet:»die

am

(türkischen)FlusseStrymo (Struma)wohnendenThrakiergebrauchen dasfrischeKrautder WassernußalsPferdefutter,dieFrucht, welchesüßundnahrhaft ist,vermahlen siezurNahrung und verwendensieanstattdes Brotes.“ WiePlinius,so schreibtauch Dioskurides(1.c.),daß dieWassernuß auchvolksmedizinischverwendetwurde, nämlich gegenMundfäule, GifteundSteinleiden.

Man

sieht,wiesichan dieVerwendungeinerPflanze alsNahrungsmittel auchsofort irgendeinevolksmedizinischeErfahrunganschließt. DerTrieb nach Nahrungließauch mit der ZeitdieHeilmittelkennenlernen;

hattediePflanze heilsame Kräfte,dann warsie dieVerkörperung einesholdenGeistes und wurdeleicht inden Kultritusein- bezogen.

In Island aßmanalsHungerbrotauch Sileneacaulis

=

holtanröt(Hügelwurz?)(Z. d.V.f.V. K.1898,S.449);vermutlich istaber Selenaroot,altdänischhalzyrt,holzyrtInulaHelenium (Alant) gemeint,derenWurzeleineNahrung undeinealtberühmte Arzneiwar(Frieboes681,Hoops661).

Ferneraß man inIsland denalthochdeutschenGrensing (PotentillaanserinaL.),isländisch

=

hardasoegjur (Z. d.V.f.V. K.

1898,S.649);er heißtim Deutschenauch Gänserich oderGänse- krautundwirdim Schwäbischenals„Krampfkraut*verwendet Charakteristischist,daß der altrömische VolksmedizinerM.P. Cato 9

DigitizedbyGoogle

(16)

geradeden allgemein genossenenundalltäglichenKohlalseine Universalmedizin betrachtete; deralteNimbusder Nahrhaftigkeit wurdefür diesePflanzeauchmitderZeit

zum

Glorienschein seinerHeilkraft. DiehoheWertschätzunggerade der

Nähr-

pflanzenalsHeilmittelerfuhrnoch dazu eine besondereBestärkung dadurch,daßsiez.T.auchzumGottheitsopfer sich ausgestalteten, dessenGenußgottgleichmachte undübernatürlicheKräfte verlieh, unddaßsieinSage und MythosalsNähr-undHeilpflanzen fort- lebten. NacheinergriechischenSageentstandderKohlaus

den

TränendesLykurgus,einesthrakischenFürsten,welchen der thrakischeVolks-GottDionysosaneinenWeinstockgebunden hatte,

um

ihnfürdieVernichtungderWeinbergezustrafen.

MitTränenkehrte erzumursprünglicheren, einfacherenGericht desKohlszurück, weilihmderWeinkeineNahrunggab.

Der

Kohl wurdealssolchesalltägliches,einfachesNahrungsmittel bei den Griechen und Ägyptern zum erklärlichen symbolischen GegenmittelgegendieTrunksucht.Die mittelalterlichenKräuter- bücher,z.B.Dodonäus (De Cock174)nahmendieseVolkssage fürbareMünze undempfahlensogardenrohenKohl,

um

die Trunkenheit zu vertreiben.

DieältesteHalmfruchtaufindogermanischemBoden,die Hirse, welche früherinSieben(vgl. d.Erbsieb mit seinemZauber)

„eingetragen“wurde,isteineschoninder Stein-undBronzezeit nachweisbare Kulturpflanze, auchimgermanischen Norden.

Der

schweizerische PfahlbauermachtedarausBrotundauf

dem

ganzen germanischen Gebieteistder Hirsebrei eine Seelenspeisebisauf denheutigenTag, welchedurchdenkommunialenMitgenuß,d.h.

durchdieVersöhnungder Seelengeisterund Krankheitsdämonen zumKrankheitsmittelwurde.

Wie

dieBrotschaufel, auf derdas BrotindenBackofen geschoben wird,einZaubermittelwurde, soauch das Erbsieb, mitwelchemdieHirsevonGenerationzu Generationgesichtetwurde(Liebrechtz.V. K.344). Heuteist der Hirsebrei, der nur zu bestimmten Kultzeiten genossenwird, einUmversalmittel, dasallenfieberhaftenSeuchenzuvorkommen soll. Näheres überdiesen,dieFruchtbarkeitund Gesundheitder ganzenSippe erhaltendenHirsebrei siehe desVerfassers Ab- handlungen über Seelengebäcke,3.Heft,

XIH.

Jhr.d.Z.f.Ö.V. K.

10

(17)

1907,S. 8;Neujahrsgebäekein Z.f.Ö.V. K.1903; Ostergebäcke in Z.f.Ö.V. K.1906,S. 25,Suppl.H.4;Weihnachtsgebäeke im Suppl.H.8z.Bd.

XI

1905d.Z.f.Ö.Y.K.,S.16; Fastnächte-und Fasten-Gebäckeim Suppl.H.z.Bd. 14d.Z.f.Ö.V. K.1908,so- wieGebildbrote bei Sterbefällen, Archiv. Anthrop.,NeueFolge, Bd.VII, 1907,S.101. Hippokrates verwendete das Hirsewasser

und

denHirsebrei beiauszehrenden Krankheiten, Lungensucht, Brustfellentzündungen usw.(FuchsH,853,367,368,485usw.).

DieHirse,diedemsemitisch-ägyptischenKulturkreisebis indie späteste Zeitüberhauptfremd geblieben war,warbeiden altenGriecheneinfruchtbarmachendesOpferfürdieLiebes-Göttin Aphrodite, welche deshalbden BeinamenxeyXp4'

(=

Hirse)erhielt

;

auchdieRömeropfertenzum Zweckeder Fruchtbarkeit der Felder deraltitalischenFeldgottheit, Pales, andenPalilienHirsekuchen.

Dieanimalischeundvegetabilische Fruchtbarkeit standvon jeherinSympathie;dieGottheitsspeise, welche

man

opferte,ver- mitteltedenSegenbeibeiden. ZurGottheitsspeiseaberwardie HirsedurchihrAltergeworden. Das,wasdiefrüherenMenschen aßen,erhieltdurch das Alter des KultesdenNimbuseinergottheits- würdigenSpeise,deren

Kommunion

inbestimmten Zeitenzum Heilmittel fürdieganze Sippe wurde.DerheiligeHieronymus(im 5.Jahrhundertn.Chr.) bezeichnetedieHirseals einaltbäuerliches Festessen derItaliener:,Miliumrusticorumetagrestiumet alti- liumcibusest.“

WiedieHirse,dieauchalsVogelfutter verwendet wurde, soistauchderWegerich(Plantago)geradezualsVogelhirse oderVogelbrei bezeichnetundwird wie die Eichenfrucht,Buchen- fruchtunddieechteHirseauch»eingetragen**),sicherlichdes- wegen,weil erinaltenZeitenwegenseinesfettreichenSamens alsNahrungdiente. Nochheutewirdinmanchen Gegendendie Wegerichsblütevon denKindernauf

dem

Butterbrotegegessen (Z. d.V.f.V. K.1901,S.226).

**)

Vor

30Jahren etwawares,alsdemVerfasserdieSchwaigerin

*)Dazu:„Getreide“ ahd. gitregidi.

**)Ausdes Verfassers Artikel in derMünchener Wochenschrift „Die Propyläen“vom13.V.08,Nr. 33 folgt hier einAuszug über den Wegerich.

11

DigitizedbyGoogle

(18)

am

BuchbergnacheinergeburtshilflichenDienstleistungsagte:

.Mirhätteauch ohneDoktornichtsgeschehenkönnen;ichhätte bloß einenWegerichmitsamtseinerWurzelindie linke

Hand

zunehmen undfestzuhaltenbrauchen.“ Diesessprachsiemit soüberzeugungsvoller Zuversichtaus,daß

man

essichermit sog.

Aberglaubenzutunhatte.

Vollständigunbewußtdessen,

um

wasessichbeisolchen MittelnderWochenbettstubehandelt,ahnte dieseFrau durch- ausnicht,daßsiemitderVerwendungeinessolchenMittels, wiez.B. desWegerichs, einemuraltenGlaubengefolgtwar, der das direkte Eingreifen holdgesinnter Geister oder

Dämonen

imAugehatte. DieserDämonenglaube,den dasChristentum beiseinemEinzugeindiegermanischenLande nochganz lebendig vorgefunden hatte, blaßtenatürlich unter

dem

Einflüsse des Christentumsimmermehrab,dauerteaber,wennauchnurim Verborgenen,bisaufunsereTagean.

Daß

auchdiesogenannten gelehrtenKreise des11.Jahrhundertssichsolcherdurchden Glaubenan Geisterkräfte erklärbaren Mittel bedienten,lehrtuns gerade wieder unser Wegerich, der damals unterBenützungder lateinischenSprache bei der sogenanntenBesprechungder blut- flüssigenFraudieser in die

Hand

gegebenwurdemitdenWorten:

(Adprofluvium mulieris autem sic:) .Herbula proserpinacia!

Horciregisfilia!!

Quo

modoclausistimulepartum,sicclaudas etundamsanguinishu jus“*),d.h.:(Wegerich!)Kräutlein der Proserpina! Tochter des (Unterweits-)Königs Orkus!

Wie

du das Maultierunfruchtbargemachthast,soverschließeauchdie Blutwelle ausdemLeibediesesWeibes!

Derbetreffende schriftgelehrte Volksheilkünstler des11.Jahr- hundertssahalsogerade wiedieSchwaigerin

am

Buchbergin dem Wegerich

nach Diefenbachs Glossarium,I.467undStein- meyerahd. Gl.

HI

729istHerbulaproserpinacia unserWegerich

einMittel,

um

denlebenbedrohenden Blutfluß derFrauzu stillen;nuristbeidieser älteren(lateinischen)Verwendungsart

*)Wiener Akad.Sitzungsberichte,91.Bd., S. 528:Vermutlichstammt derBlutsegenvon einem„phaffe,derwolZouberlas“(ParzivalIV,218).

DaslateranischeKonzil (1215) verbotdenGeistlichen nicht dieBehandlung von Kranken, sondernbloß dieAusübungder Chirurgie.

12

(19)

dasKräutlein direktals diebotanischeVerkörperungeinesUnter- weltsgeistesangesprochen,denndieProserpina oderPersephone

war

dierömische bezw. griechische Unterweltsgöttin,dieder be- treffende Gelehrte des11.Jahrhunderts zurTochter des Gottes

Orkus

(Unterweltsgott)stempelte. DieseTotengeister wurden herbeigerufenundinGestaltdesWegerichsderblutflüssigen

Frau

in die

Hand

gegeben.DiedabeiverwendetenBesprechungs- worte stammen aber aus einer älteren, lateinisch-jüdischen Formel, wasschon aus derAnführungdesimjüdischenZauber- Ritual sehr geläufigen Maultieres hervorgeht, dasein inDeutsch- land nichteinheimisches Tierist.

Wer

die Ratlosigkeit des Volkes beiBlutungenkennt,kannesbegreifen,daß auchein sonstdenkenderundgebildeterMann,wieder betreffendeGe- lehrtezu einemsolchentraditionellübernommenen,die heid- nischen UnterweltsgeisterderRömerberufendenBlutsegen ge- griffenhatte. DerBlutsegenselbstaberisteindeutlicherBeweis für dieAndauerder antiken Vorstellungen auf volksmedizinischem Gebiete.

DieVorstellung,daßindem WegericheinTotengeist ver- körpert sei, war nichtbloß bei den LateinernundGriechen lebendig, sondern auchbeidenGermanen. Schonder

Name

»Wegerich“,derallenWestgermanen eigenist(ahd.wegarih), weistaufden Beherrscher (german.rfk

=

regius,König)des Hell- wegeshin(WegerichisteineWortbildungwie Alberich, Friederich, Heinerichusw.). Hellwegistnoch heute der

Weg

zumToten- acker oder Freithof. InromanischenGegendenentspricht diesem Hellweg-Beherrscher dermännliche Orco.

»Wer

den Orken gesehenhat, istdem Todeverfallen.“ Aufden TirolerAlpenlebt derselbealsWaldgeistimVolksglaubennochheutefort,undder AusdruckEx-orc-ismus geht aufOrkusden Höllengeist zurück.

Nichts istsohartnäckigim VolksglaubenalsdiePflegeder Seelen derAbgestorbenenoder der Totengeister,dieüberallals einUrquell desKrankheitsdämonismusangesehen werden. Aus der Schar dieser Totengeister ragenim deutschen Volksglauben zwei Gestalten, eine männliche, derWode,eineweibliche,dieHell, hervor. Diese sinddieBeherrscher desToten- oder Hellweges.

Auf

dem

grasigen

Wege

bestattete

man

ehemalsdieToten;die 13

DigitizedbyGoogle

(20)

verstorbenenAhnen leben dann alsFreithofsblumen,die

den

Totenhügelnentsprießen undaus derNachtder unterirdischen Weltzur Oberfläche gelangen,fort. Die Furcht,dieRuhe der Unterirdischenzustören,verbotes,solcheFreithofsblumenmit- samtderWurzelauszugraben. Eine Reihevon Vorsichtsmaß- regeln sind vorgeschrieben,

um

ohneSchadensolche Seelengeister, dieindenBlumen und Kräuternverkörpertsind,inseine

Ge-

walt zubekommen; imdunklenMorgengrauenvorSonnenaufgang, alsoinder nächtlichen Zeit desSchwärmensder Dunkelgeister, sollderWegerichausgegrabenwerden;dieWurzeldesselben

muß

mit

dem

Ringfingerbeschworen werden,d.h.seineZauberkraft darfdem Wurzelgräbernichtzum Schadengereichen. Der Ring- finger istder mittlereoder Arztfinger, der Finger, mit

dem

der Volksarzt seinebeschwörendenZauberkreisezeichnend

um

die Krankheitsherdezog;dieBezeichnungder leidendenStellemit demMittelfingerwardas„Lach*; derjenige, derdieseBezeichnung

signum

ausführte,hieß der „Lachner“(ahd.lachanari,mhd.

lächenaere);der Mittelfinger hieß ehemalsebenfalls„Lachener“, imAngelsächsischen: Lacefinger. Nachdieseraltgermanischen BezeichnungdesArztes (Lakner, Lachner) heißt auch derWegerich alsHeilkraut Laeknisgras,d.h. Arztgrasim Mittelalter der Nordgermanen,diealsodenWegerichebenfallsalsHeilmittel schon verwendet haben müssen. In Mecklenburg heißt der WegerichLägenblattinÜbereinstimmungmitdemnordischen Lachenergras. In der norwegischen Volksmedizin des13.Jahr- hundertsistdasletztereein

Wunden

verband.

Mitder Tatsache,daß dasVolkindem WegerichdieVer- körperung eines Totengeistes, der zauberhafte Heilkräftebesitzt, annahm, erklärensichnun auchdie

vom

Volkediesem Arzt- grasezugeschriebenenwunderbarenKräfte,derenVerwertungin derKraft desjenigenlag,derdenTotengeistrichtigausgegraben undinseine Gewaltbekommen hatte, namentlichaberseine VerwendungalsBlutstillungsmittel.

Wer

denBeherrscher des Hellweges,d. h.den Wegerich,inseinerGewalthattewie einen Alberich(BeherrscherderElben),derverfügteauch überdie übernatürlichen KräftediesesGeistes;erkonnteselbst lebens- gefährlicheKrankheiten besiegenundüberstehen. AlleArten 14

(21)

vonBlutungen, denendiefrüherenGenerationenfast ratlosgegen- überstanden,suchtemanzubeherrschen dadurch,daß

man

die holdenGeisterherbeiriefundbeschwor. DieBeschwörungsworte, die

man

an den Totenbeherrscherrichtete,sinddieZauberformeln, die dieVolkskundeheute aus

dem

Volksmundesammelt.Gleich- zeitigmitderBeschwörung gab

man dem

KrankendasHeil- kraut,auch mehrere,indieHand,damit eresverwende. Mit derZeitfielendieBeschwörungsformelnweg undderGlaube blieballein

am

Heilkrauthaften. Vorwiegendsindesdiesog.

Blutkräuter,welchegegen Blutungen helfensollten;darumheißt auchderWegerichschon1260»Blutwurz“,und

um

1680 schrieb einWackersberger Viertels-Hauptmann (Bürgermeister)insein Hausmittelbuch:»WegrichistgutvörBluet-Härnen“,

um

es bei seinemStallviehgegendiesog.Blutseiche zu verwenden.

Man

legteihnauch zur Blutstillung auf Blutegelstiche.

Wer

denWegerichinseinerGewalthatte, d. h.denindieser Pflanze verkörperten,GlückundGesundheit bringenden elbischen Totengeist,konnteKrankheiten heilenundhatteGlückbei allem, was erunternahm;derWegerichheißtdarumauch»Glücks- männchen“. SolcheGlücksmännchenstellte

man

sichalslang- behaartekleineButzenvor;anderPflanzewaren dielangen WurzelhaaredasHaarkleiddieseselbischenGeistes.

Wer

einen solchen Nothelfer zur

Hand

hatte,

dem

vergingenalleGefahren, nachdem

man

seineHilfebeschworenhatte. Der Wegerichheißt darumauchinSachsen»Vergeh-Blatt“;dieBlutbeschwörungs- formelnbeginnenmeistmitderAnrede: »Blutvergeh!“ Mit einem solchenGlücksmännchen konnte

man

auchdieZukunft erraten,diederMenschallerOrtenundallerZeitensogern erfahren will und wozu er die Hilfe der Totengeister be- nützt,diealsübernatürlicheWesen solcheWahrsagekräfte be- sitzensollen. Ausder Zahl derbeim Zerreißen der vielrippigen Wegerichblätter (Polyneuron) heraushängenden (Gefäßbündel-) HaarewilldasMädcheninDeutschböhmenundNordösterreich erfahren,wievieleMädchen vorihmseinjetzigerSchatz schon geküßthatte,obihmsein jetzigerSchatz treu bleibenoder ob eresauch ebenso anlügen werde; derWegerichalsOrakelblume heißtdarumauchinTirol»Lugenblattl“(v.Dalla Torre). Der 15

DigitizedbyGoogle

(22)

diemenschlichenKreuzwegeliebendeWegerichwirdineinem alten BrünnerSchöffenbuche als zauberartigesMittel für die Advokatenpraxisgerühmt,dasinjedemStreitegewinnenläßt.

DasBilddesWegerichwürdesichdemnach zum Advokaten-

Wappen

eignen,aberauch das Bild des Geiers;denneinGeier- herzodereinGeierauge, die Seelensitze dieses Leichenvogelsmit mantischenKräften sicherndenSieginallenStreitsachen als Amulet. GewöhnlicherMenschenverstandreicht jamanchmal beisolchenKreuz-undIrrwegendermenschlichen Streitsucht nicht aus;darumgreiftderBedrängte zu übernatürlichen Hilfs- kräften. DieersteundobersteBedingungfürdieWirksamkeit derselbenaberistderGlaube andie Kraftdes Zaubers;aller ZauberberuhtenachalterAuffassung auf der Hilfe derDämonen, diezumHeile,aberauchzumUnheile gereichen konnte,wes- halbsiestetsnurmitScheuund Furcht verwendet wurden;es lagimmeretwasUnheimliches über

dem

Zauber,daernurmit der Hilfeder Totengeister,dieinPflanzeoderimTierever- körpertgalten,möglich war.

Überall,wohinderEuropäermit seinenQualenund Leiden kommt,

wo

derselbemit seinerFußsohle(planta)auftritt,daer- scheintauch der Planta-go oder Wegetritt; eine einzigeWegerich- pflanze hatgegen 14000 Samenkörner,die als Vogelbrein“

(Vogelhirse)allgemeinbekanntsind;mit

dem

wanderndenMenschen verbreitetensich dieseSamenkörner.

Wo

derSchafhirte die steinigenPfade mitseinerHerdebegeht,dafehltauch der

Wege-

richnicht;imAltgriechischenheißtderWegerichprobateion

=

dasbei denSchafställen wachsende Kraut. Die Indianer in Amerika nennenihn„dieFußstapfen des weißenMannes*. So weitderEuropäerimWestenseinenFußgesetzthat,soweit istauch dieses fürihncharakteristischeKrautvorgedrungen;

beide sind so untrennbar,daßdas Umsichgreifen desWegerichs demIndianeralssinnbildlichfürdieVerdrängungseinerRasse durchdie europäische erscheint(Sohns). Der Wegerich wäre alsoaucheinsymbolischesZeichen für Touristen-undVerkehrs- Vereine. Erbreitetsichauf desMenschenPfaden aus(„Wege- Breit*);derMenschenFüßezertretenundverdrängen das übrige Weidegras, so wird derWegerichzum „Heudieb“(Schweiz); das 16

(23)

schmächtige GrasderHaldenschätztder Älplerhöheralsdie vielrippigenbreitenBlätterdesWegerichs,denderSchweizer auch.Ripplichrut“nennt(ahd.cattes-ribbe

=

Katzenrippe). Da,

wo

schlechte,von nurwenigenMenschenbetreteneGegenden sichfinden,dafehltauch der Wegerich;alsParzival(um1210) auf

dem Wege

indasKönigreichBröberz auf unfährigem, un-

wegsamem

Boden,

wo

nurwenig Wegerichwuchs,ritt,schreibt sein Dichter:

»vielungevertes

döreit, däwßnic wegertches stuont.*

DesEuropäers

Wege

führtenmit der ZeitinalleWeltteile:

heuteistderWegerichaufderganzenErdeverbreitet;nur ge- wisse Artendesselben liebenganz bestimmteStandorte. Die Unterscheidung derPflanzen nach Arten warehemals Sache derWeidehirten undderheilkundigenFrauen undVolksärzte;

das Bedürfnis,dieNutzkräutervom Unkrautezu trennen,lehrte dieUnterscheidung der Pflanzen. Der Bauerkenntnurdiefür ihn nützlichen Kräuter;derheidnische Priesterkanntenur die

zum

OpferundzurDämonenbeherrschunggebräuchlichen heiligen Feldkräuterundheimischen Heilkräuter;uraltevolksmedizinische Erfahrungenund Beobachtungen knüpften sich ansolcheim Opferkult verwendete Pflanzen. DieUnterscheidung der Pflanzen nach derGrößeistdie allereinfachsteund wohlauchälteste;

dahererscheintauch der Plantagominorschoninder althoch- deutschen Sprachperiodealsminre wegreich, eine durchdie schrift- gelehrtenMönchevermittelteÜbersetzung der lateinischen Be- zeichnung. Dieallernächsten,

um

diemenschlicheWohnstätte herum wachsendenKräutersind die

am

frühestenbenannten, aberauchdie

am

frühesten

vom

MenschenalsNahrung,Gemüse oderHeilpflanze benützten; namentlichdie nachdesWinters drangvollenHungertagenzuersterscheinenden Futterkräuter,die erstenFrühlingspflanzen sindes,diemitSchmeichelnamen,Guter Heinrich,Benedeitkraut,Heil allerWelt,Heilallen Schaden, Allgut*usw.beiihrem Erscheinen begrüßt wurden.

DieholdgesinntenGeister, diederMenschinsolchenFrühlings- pflanzenverkörpertannahm, vermitteltenihmGesundheit;aus

dem

Bodensprießensieemporalsjugendliche,frischeFrühlings-

Blttmml,Quellenund Yoreohungen.V. 2 17

/

DigitizedbyGoogle

(24)

boten;ihre Wurzeln verbinden sie mit der alleserzeugenden MutterErde,ausderenSegensschoßauch

dem

Siechen,Aus- zehrendenund Geschwächtenneue Kräfte erblühensollten;

darum

sindauch 99 Würzelchen,d. h.allebelebtenWurzelndes

Wege-

richs,mitdenendieserimBodenderMutter Erdesteckt,nach weitverbreitetemdeutschenVolksglauben(Flügel 58u.a.)ein Genußmittel gegendieFieberdämonen,gegen

Dämonen

in

Wurm-

gestalt,gegendiebösen Schelme,die inDrüsenstecken;siever- treibenauchallesGiftundhelfengegenInsekten-undSchlangen- bissesowiegegendenBißtollerHunde. Vorallemaberist derWegerich,abgesehenvonseinerschonbesprochenenVer- wendunggegen Blutflüsse aucheinVolksmittelgegenAbzehrung, dasinder heutigen Volksmedizinals.Spitzwegerichsaft“unter denalltäglichenHausmittelnfiguriert;seineBlättersindaber schoninder UrzeitderMenschenalseinesder erstenFrühlings- kräuter aus der nächsten

Umgebung

dermenschlichenSiedelung einkräftigendesGerichtalsGemüsegewesen. Beiden

Böhmen

verbesserteder Wegerichsaft mitHafermehlgekochtdenüblen Geruchausdem Munde,bzw.denMagenkatarrh.

Ein syrischer Christ fügte

dem

Kap.152 desII.Buches von Dioskurides(77n.Chr.),welchesUberdenWegerichhandelt, folgendespersönlicheEinschiebsel an: .DieSyrersagen,daß dasGericht desWegerichs(und der Minze) mitHonigdieEnt- kräfteten heile,wenn es

am

zweiten,viertenundKarfreitag (paraskeue)gegebenwerde;diesesfasse

man

als(syrisches)Ge- heimmittelauf;dennesentspricht vollständigderWahrheitund beruhtaufErfahrung.“

Daß

nungerade inderFrühlingszeit (Ostern,Gründonnerstag)diegrünenKräuteralsbesondersheilsam galten,istbekannt(siehemeineAbhandlungüberOstergebäcke inderZ.f.Ö. V.-K.,

XH,

1906);es liegtganz nahe,anzunehmen, daß bei diesem syrisch -christlichen Wegerich-Glauben Vor- stellungenausderUrmedizinmitdem GlaubenandieSegens- kraftdurchdieösterlicheKultzeit(jüdisch-christlichesNeujahr) verknüpftwurden. Die Urmedizin konnteabernichtbloßdas frischeBlättergemüse, sondernauchden schon erwähntenSamen- reichtumdesWegerichsbenützen, dervon denStengeln ab- gelesenwurde

(=

legumina der Römer).DerOriginal-Dioskurides, 18

(25)

»derFürst der Krautlehrer* (1685) führt auchdieVerwendung desWegerichsalsAmulettan:»Einigegebrauchen dieWurzeln alsHalsbandgegen Drüsen;sievertreibensie*(wie schelmische Würmer).

Man

versuchtezu heilen mit GegengeisterninGestaltvon PflanzenundTieren. AuchderWegerichwareinesolche Gestalt einesmantische Kräfte besitzenden Totengeistes. Die 99Wurzeln desWegerichalsAmulettzubesitzen,mußte dannübernatürliche GegenkräftegegenschelmischeKleinwesen

animalcula quae-

dem

minuta

indenHalsdriisenbesitzen,wie der Sauerampfer- samen gegendieSpermatorhoe.

Schoninder assyrischenMedizinwurdederalsSpeise ver- wendbareWegerich gegen Magenschmerzen benutzt und im 9.Jahrhundert gabereinPulvis contraomnesfebresetvenera etserpentiummorsus(Fonahn);im 13.Jahrhundertistdieses Kraut beimmedizinischen Magister Bartholomäus(v.Oefele89, 97

99)bereitseinHeilmittelgegenWunden,Fisteln,Rotlauf usw.,eineErfahrung,diesichaus derBeobachtungder stillenden Mutterableiten dürfte,dieauf offene Brustwarzen(Schrunden) solcheWegerichblätter als kühlendenUmschlag auflegteund diesenauch beieitrigerMastitismitPhlegmoneundEitermilch

(=

gund) fortsetzte. (DieErfahrungen derstillenden Mutter schufenu.A. dasWort »Geschwär*alsEiterherdinder»schwerer*

sichfühlbarmachendenweiblichenHängebrust)

Indem in.Buche,25.Kap.seinerArzneiwissenschaft schrieb Celsus: »Einreibungen desKörpers mitzerriebenem Wegerich scheinteinsehrgutesSchutzmittelgegendensog.Elefanten- AussatzdesMenschenzusein“. DieseWegericheinreibungist

wohleineArtvonKatharsisoderReinigungvonSchuldund SündedesKranken,jedenfallsaber eine solchevonseinemHaut- schmutzgewesen, wobeidiesündhafteHautbefleckung durch das AbreibenaufdiePflanzenblätter übertragenundmit diesendann fortgeworfen wurde, wieeinSündenbock, derinsWassergeworfen wird. Überhaupt

muß

derWegerichsaftauchalsHautgeschwürs- undWundenmittel,alseineArtVerbandstoff oderWundenbalsam gebrauchtwordensein,wie solche besondersinaltenVolkssagen öfterserwähntwerden. In einem altdeutschen Heldenliede»Der

2 * 19

/

DigitizedbyGoogle

(26)

EckenAusfahrt“,das

um

1280 niedergeschriebenwurde (Eeken- liet174

176),wird erzählt,wie dasvondemRiesenVasolt gejagtewilde vrouwelineineWurzelgräbt, dieseinder

Hand

zerreibtunddamitdenwundenDietrichvon Bern unddessen Roßbestreicht,davondas

Weh

beibeidenverschwandundalle Müdigkeit wich. HeilkundeundPflanzenkunde schrieben unsere VorfahrendenGöttern(vgl.denMerseburgerZaubersegen), aber auchdenelbischenTieren (Wiesel,Schlange usw.) zu; pflanzliche HeilmittelverwendetealsWundverbandnach der alt-nordischen Völsunga-Sage auchdasWiesel: „EinesTagessiehtSigmund zweiWiesel (Hermeline); das eine beißt das andereindieKehle;

esläuftzum Walde,holt daselbsteinBlattundlegtesauf die Wunde;das Wieselläuftgeheiltfort“. NachdemGossensaßer Volksglaubenbedienen sichdieHermeloderWieselnochdes

„Hermelkrautes“

(=

Wegerich) zurHeilung (Z.d.V.f.V.-K.

1900,59),ein höchst altertümlicherZug desVolksglaubens.

Sichergeht aus derVölsunga-Sage,die dienordischeProsaformder südgermanischenNibelungensageist,hervor,daß dieNord-und Südgermanen frische Blätter alsHeilmittel auf Hautwunden legtenunddieseTherapieauchdenelbischenGeister-Tieren zu- eigneten. Eine solcheBehandlungsart finden wirauch beim Wegerichangeführtineinem FrankfurterKräuterbucheaus

dem

13.Jahrhundert (Diefenbach, GlossariumI,648),welches schreibt:

„PlantagoheistWegerich nicht

vmb

sustvndpringt zu samen, daszeprochenistindemleipvndverseret. EinmeisterheistAvi- cenna,dergingeinstagseinen weg, do begegentenjmkauff- lewtmitwolgeladenwegen(einHysteron-Proteron),dosach erandem wege ligeneinegrosseslangen,dievon denwegen vnd vonden pferden vastvndswerlichwasgedruckt;dierichtet sich auffvndging oderkroch vondem wege vndsachein wegerichdosten;czu

dem

kamsievndpeisein teildarvonvnd kawesvndlegeteshinvndherindiewunten;deswundert Avicennamserevndsprach:duheist billichwegerich;wann du wert zerdrücketvndnahent todvndbistwider lebendingworden deinergrossenKrancheit“. Alsoauch hierhabenwir dieVer- wendungdesWegerichsgegenHautverwundungwiebeimWald- fräulein,dasdenDietrichvonBernunddessenRoß vonder 20

(27)

SatteldruckwundeheiltundwiebeimTirolerHermelkraute, das derBraunschweiger wkn-träns-wortel

(=

Wagenspurwurzel)heißt (Andree, Braunschweig.Volkskunde428). DieserFrankfurter Wegerichspruch aber erinnertinseinem sprachlichenAufbau andiealtgermanischenWundsegen,indenendieheilkundigen GötterundGöttinnenwieheilendeSchauspielerhandelndund sprechend eingeführt werden. DiespäterenHeilkünstlerunddie Kräuterkundigenliebtenes,insolchenWundsegennachalten MusternihreSchützlinge,diePflanzen,unter der Autoritäteines Heiligen oder desNamenseinerberühmtenärztlichenPersönlich- keit,hierdesAvicenna(ScheikelEefir

=

Fürst der arabischen Ärzte,gestorben 1037) aufzuführenundsoden suggestiven Effekt ihresHeilmittelszuerhöhenunddieVerbindungdes Heilmittels mit

dem

Heilgottezu vermitteln.

Mit den im Römer- und Griechentumüblichen Heilpflanzen wanderteauch derenVerwendungsart;wennauch den heidnischen HeilgottheitenHeiligeoderÄrzte untergeschoben wurden,so bliebdochlangeZeit,ja bisaufunsere Tage,altheidnisches, anti- dämonisches, volksmedizinisches Heilverfahrenimübrigen bestehen, wobeimanche rein empirischeBeobachtungdenlangenFort- bestandderaltenMittelausderUrmedizinermöglichthaben mag.

Wo

wir heute eine reine kalteKompresseauflegen,z.B.

aufDruckstellen,da verwendetedieVolksmedizinein fleischiges Wurzelblatt des nächst erreichbaren Krautes;dieButterblätschen- hülle(sog.Dockenblätschen),diedieButterfrischerhaltensoll, benützt derSenneralskühlendenUmschlagaufentzündeteHaut- stellen;1681 schreibtderDorfbadervon Hohenaschauinsein Hausmittelbuch: „GestoßenerWegerichSaft aufdieFüßegetan, dannwirddirbesserwerden,wenn du gegangenbist,daßdir dieFüßewehtuen*,alsoganzsowiebeimFohlendesGottes Balder oderbeimRoßdes Ritters Parzival. AlsHühneraugen- umschlagoderalsHautwundenmittelsehen wirden ausgepreßten Wegerichsaftnochheuteim Gebrauchan verschiedenenOrten inDeutschland. InsüßerMilchgesotten

eineechtgerma- nischeVerwendung

werdendieWegerichblätterinTirolgegen die

Ruhr

gebraucht(v.Dalla Torre),alsAbkochunginFlandern gegen Auszehrung und Lungensucht Es würdezu weitführen 21

DigitizedbyGoogle

(28)

undvielzu eintönigwerden, wolltemanalledie übrigenVer- wendungendesWegerich,diedieantikenundmittelalterlichen Kräuterbücher über diesen anführen,hierwiedergeben; ersollte eben füralleshelfenkönnen, tatsächlich aber half er nichtmehr alstausend ähnliche Pflanzen.

Wollen wir zumSchluß aufdie Wertschätzungzurück- kommen,welche derWegerichbeidenaltenRömern, Griechen und Ägypternerfuhr. DieGriechennanntenihnAmoglosson (Schafszunge), Arneion (Schafskraut), Probateion (Stallkraut), Kynoglosson(Hundszunge),Heptapleuron (siebenrippig),Poly- neuron (vielnervig), die Magier oder ProphetendesOrients SchwanzdesIchneumons(angeblichwegender Ähnlichkeitdes ineineQuasteendigendenSchweifesmitdem samentragenden Stengel),dieÄgypter Asonth(Schafkraut), die Gallier Parbelo- dathion(=?),dieSpanierThesarika(Vorrat?),dieAfrikaner Atieirkon(Nervenkraut?), dieAraberSchafszunge, die Assyrier Hundszunge. SolcheNamen,welche Teilevonheiligen Tieren odervonOpfertieren bezeichnen,müssennichtimmerauch eine Ähnlichkeitmitdiesem Teile haben;siekönnenauch sogenannte hermeneutischeBezeichnungenseinfür solchealsHeilmittel ver- wendeteTierteile. Dieägyptisch-griechischen Priester,die zu- gleich Ärztewaren,gebrauchtenmitVorliebesolcheGeheim- namen,einesteils

um

sichmittelsderGeheimsprachegegenseitig zu unterstützen,andernteils

um

denÄrmeren unter solchen

Namen

auchdenschwerererreichbaren tierischen Organteil zu ersetzenundsodenÄrmerendie

Kommunio

mit der Gottheit durchbilligerebotanisohebzw. vegetabilische Mittel zu gewähren.

DieägyptischengeheimenMedizinalräte,die,wie gesagt, Priester undÄrzte zugleich waren, das eine

Amt

zum Nebenamt machend jenachNeigungoder Gelegenheit, wieesdieSachlage ebener- heischte,gabenihrenOpferkräuternuntersolchen

Namen

von tierischenOrganen(z.B.Schafszunge)den geheimnisvollenNimbus einesheiligenGottieres,durch dessenGenußdieKrankendann dieHeilung erhofften. DaßsolcheHandlungenmit derZeit zueinerArtvonBotanicasacraführenmußten,liegtauf der Hand;aberauch derKrankefandsichoftmitdiesem quid pro quoleichtenSinnesab,wennesihmgerade paßte, namentlich 22

(29)

wenndasimTempelschlafeoderimTraume vonder Heilgott- heitvorgesehriebene Heilverfahren schwer ausführbar oder doppel- sinniggegebenwar. So wurdenachdemBerichte desim2.Jahr- hundertn.Chr.lebendenTraumdeutersArtemidoros (Oneirokritika IV,22) einerFrau,welche eine entzündeteBrust hatte,im Traumegeraten,siesollesichvoneinem Schafe mit derZunge dieMilchaussaugenlassen.

An

Stelle dieserdasSauggeschäft gewißsehr schmerzhaftbesorgendentierischenSchafszungelegte dieFrau nundiekühlendenBlätterdesWegerichsauf,der dort unddamals „Schafszunge* (Arnoglosson) hießund wurdegeheilt.

Mitsolchen Spitzfindigkeiten halfensich diePatienten,noch mehr aber die schlauen ägyptisch-griechischen Priester-Arzteoftgenug aus derKlemme.

AlseineVerkörperung einesSeelengeistesgilt auch der anden Feldwegenwildwachsende

Wegewart

oder Wegetret (Cichorium IntybusL.,auch Solsequia, Proserpina genannt), dessen WurzelZucker, InulinundStärkemehl enthältunddessen Blätter heutenochalsGemüse undSalatdienen. Ersprießtaufden Feldwegen,gleichsam ausden Fußtritten derMenschenhervor, wie die heiligenBlumenausdenFußspurender Heiligen. Seine süße Wurzel, die heutenochalsKaffeesurrogat verwendet wird, wurde vondenhungerndenMenschenlängst verflossener Zeiten gesuchtundzuNahrungverwendet;sowurdeerzumKräfti- gungsmittelundzurStärkungderkreisenden Frauen; seine blaue BlüteistdasBlümchen „Nimmerweh“,dasnach der bayrischen Volkssage(Panzer,

H

205,487) die wilden Fräuleinim Walde, der kreisendenFrauinderschwerenStunde derGebärnotzur trostreichenStärkung in die

Hand

geben. DerNimbus der Nahrhaftigkeitwurde

zum

Glorienscheinder Heilkraft. Die Zichorieoder derWegewartistheutzutage hauptsächlichnochein volksmedizinischesMagenstärkungsmittel;eswaraber auchals Sonnenkrautoder Sonnenwirbel wie derschon erwähnteWege- richeinWund-,Heil-undStillungsmittel,das(nach Schröder 874) aufMariä Geburt„eingetragen“werdensollte.

Das RezeptenbucheinesJsarwinklerViertel-Hauptmannsaus

dem

17.Jahrhundertschreibt:

„wem

dy wuntenzepalt zuhailenwil, dernem wegwart undermul

(=

zerreibe)syunt leg sy überdy 23

/

DigitizedbyGoogle

(30)

wunten.“ Als solche

Wund

heilpflanzewurdesieauchWarzen-, Kanker- undKrebskrautgenanntDieseranWildpfadenwachsende Hintlauf

(=

Kraut, welchesda wächst,

wo

dieJagdhunde

dem

Wilde nachlaufen)*)wurdevielfachmit

dem

WegerichoderWegebreit verwechselt Eine Beschwörungsformel aus

dem

16.Jahrhundert beim AusgrabenderselbenteiltSchönbach147mit Als Solse- quiumheißtsieauchahd.bumbelwurze(Steinm.III,587) (K.

N. B. 480)

(=

pro vulva). Als,Wegetret“ (ahd. wegetreta,wege- trat,wegedrada,anatret,Steinmayer, ahd.Gl.)wurdenauch glossiert dielatLemmata:Proserpinacia

(=

Wegerichs.o.),Centinodia (PolygonumaviculareL.,.Hansel

am

Weg“,.Herzgespann“), Sanguinaria (Capseliabursapastoris, .Blutwurz“,.Blutkraut“, auch Plantago majors.Wegerich). GegendasHerzgespann**)

(s.K.N. B. 658)unddasFließendes Herzblutes,auchgegen EpilepsiesolltendieseSeelengeisterinPflanzengestalt helfen;mnd.

18.Jahrhundert veghentrade,weghentrade,weghetrede (KlugesZ.

III,855, 356)

=

Crassulaminor(SedumacrePritzel-Jessen 369).

Ebenfalls einegermanische Pflanze aus der

Umgebung

des menschlichenHausesistdasSt.

Ruprechts-Kraut

(Geranium Robertianum) auch Storchschnabel, Storchenbrot usw.genanntEs hatdiesePflanze aberauchden sehr alten

Namen

Orvale,und zwarinderehemaligen deutschenFranche-Comt£derBurgunder, wo derEinfluß tegemseeischenKlostergesindes aus derZeit Notkers bei derBehandlung vonTierkrankheiten dieser Pflanze einebesondereWertschätzung zubrachte,sodaßsiesogarals eineVerkörperungelbischerGeister,dieauf

dem

Wasser und inderLuft sichbewegen,galt. ,Lesorvalssontdesesprits quiagissentsurl’airetsurleseauz* (MelusineI,346;Rol- land,311).

Diese PflanzeOrval entspricht derHerbaruberti

=

(ahd.)

Orual

=

Urfall,

d

h.KrautgegendenErdsturzoder Erdfall oder Milzbrand, Rotlauf, inÖsterreichauchBiswurmgenannt,

*)AuchderwildeMerkApiumistsoglossiert:„ambrosia,apius siluaticushindilape“,Steinmayer,adh. Gl.IV, 179,mhd.hintlonf,ndd.

hintlope.

**)DieDeutung „Herthas-Gespann“istvollständigirrig;esgibtkeine Göttin Hertha.

24

(31)

mit apoplektiformenErscheinungen (K. N. B. 120undArchivf.

R.

W.

ITT,274, Steinmayer, ahd.Gl.III,558). Alldieholden Kräfte,dieinKelchundBlüteschlafen, solltenauchdieWinter- stallseuchenvertreiben, sobalddasersteGrünaufderWeideer- schienen war. DiePflanzehat ebenfalls einesüfle,eßbareWurzel, Uber welche DioskuridesIII,121 keine besonderen Heilwirkungen angibt,welcheaberbeidenRömernalsZukost oderGemüse benutztwordenseinmußte, weilsiesiePulmenianannten. In derdeutschenVolksmedizinheißtdiesePflanze auch beiden MecklenburgernAdebars-Brot,d.h.das Brot, welches mit

dem

glückbringenden StorcheimFrühjahreerscheint;ferner(1688) ,Gottesgnade“,weilsieeineArt HimmelsbrotinHungersnöten war. Auchdieseeßbare PflanzewareinHeilmitteldergerma- nischen Sippe, welchesDodonäus(1558)alseinAllheilkrautPana- kee

=

omniasanans bezeichnet«[näv-avielo&at](Friebös 655;

De

Cock65,193,258). Ihre Verwendung bezeugen dieNamen,

Gift

(=

Gicht-)Kraut*

,Kopfwehblümle

,,Biswurmkraut(gegen Milzbranddurch densog.Biswurm),„Blutkraut“ (gegen den BlutsturzbeimRindvieh), „Rotlaufkraut*(gegen den Milzbrand- rotlauf),„Warzenkraut“(Brustwarzenentzündung), „Grintkraut“

(ndl.Oyevaersveck)usw. StRupert,einMissionärdesfrän- kischen Christentums,starb 717. DerHeilige,demdasGera- niumRobertianum zugeeignetwurde, vertritt hierwohl den Schutzgeistinder Pflanze. DasBilddes Heiligenfiguriertauch inÖsterreichimsog.Fraisketterl(Z.f.Ö.V.-K.

XHI,

107)als Schutzgeistgegen Fraisen.

Wie

schon der Name, guter oder stolzer Heinrich (Chenopodium bonusHenricus,Agathophytum)andeutet, sah

man

auchindiesemHeimkrauteeinenholden Vegetationsgeistver- körpert In derSchweizheißtderselbe„Heimeren-Würtzen“,

„Heimele“und„Heimelechrüt“, weilereinbeim

Heim

unterm schirmendenDachewachsendes Heilkrautist(Zahler60),welches dortgegenden dämonischen„Angriff“ (Rotlauf

am

Euterviertel derKuh)helfensoll. Aucheristein„allgutes“(Panakee) Heil- krautund Wundkraut,dasimHolländischen Algoede,imDänischen Aldgoedeund imSpanischendurch germanischen EinflußToda buena,imEnglischenAllgood heißt Dieoberbayerischen Senner

«

25

r

DigitizedbyGoogle

(32)

legendiesesHeilkraut, bzw.dessen Blätter wiediedesWegerichs auf offeneentzündete Hautstellenundschwörenhochaufdessen Heilkraft TabernaemontanusnanntedasBlitum

(=

Chenopo- dium bonusHenricus)auch,Mayer“,vermutlichwegenseiner Verwendung im Monat Mai(Einhüllung derMaibutter); unter Blitum verstand

man

aber früher nicht bloßden guten Heinrich, sondernauch verschiedene Melde-(Atriplex)Arten.

Als.grünesKraut*

(=

Atriplexhortensis),welchesfrüher einrömischesKüchengewächs,resp.Gemüsewar, entsprichtes deradripiasin

dem

812erschienenen Capitularedevillisvon KarldemGroßen. Der.roteHeinrich“ist

Rumex

acetosa(vgl.

D.I,158 unter Chrysolaohanon).

AuchdiesePflanze beweist,daß dieinder nächsten

Nähe

desmenschlichenWohnhauses wachsendenfrischgrünenKräuter beidenGermaneneinebesondereWertschätzungerfuhren. Die antikenSchriftstellererwähnendasselbenicht,nur DioskuridesII, 145sagt,daß

man

denSamenderGartenmeldealsMittelgegen Gelbsucht aufHonigmethtrinkensoll.

In Süddeutschland heißendie verschiedenen Rumexarten wegenihrerbreiten, fleischigenBlätterauchBletschen(Fleder- blefcschen,Tockenblätschen, Butterbletschen);siewachsenhaupt- sächlich aufsog.Bletschböden

um

dieViehstallungenherum.

Ihre volksmedizinischeVerwendungbeiden Deutschendeuten ihrepopulären

Namen

an,nämlich„Grintwurz“,„Grintlattich“, .Ohmblatt*, .Zitterochwurz“, weilsieaufGrint-oder Zitteroch- Ausschlagundaufentzündete Hautstellen

(= Ohm

s.K.N.B., S.452)als kühlenderBlattumschlagausreinerEmpirieüber- gelegtwerden.

SolcheRumexarten trugen früherden

Namen Mangold,

welcher aufeinelbisches,bzw. heroischesWesenhindeutet[ahd.

manikold,auchmanegolt

=

beta,mannagolt

=

Vielherrscher,der mancherleiinderGewalthat

=

noXvxqämr^.

Man

hatdieses Mangoldauch auseinemgoldenenHalsbandeerklärenwollen, wegender goldgebänderten Durchschnittsflächen der rübenförmigen Wurzeln, aber.mana

alsHals

kommt

sonstimGermanischen nicht vor“,Kluge®,258. Der.heidnischeMangold*

(=

Beta vulgaris)alsVorläuferdersüßen Speiserübe (.Rübenmangold*) 26

(33)

galt ebenfallsimMittellateinischenalsBlitus. Diese soebener- wähnteBeta vulgaris(ahd.bieza)entsprichtdenverschiedenen Spielarten vonden imCapitulare devillis erwähntenBedas.

Mangoldblätter, welcheim16.JahrhundertinderSchweiz auch

„Kaal“oder .Kille*

(= Rumex

alpinus)bezeichnetwerden,bäckt dasVolkdortindiesog.Killenküchliein,eineuralte

Form

der Einverleibung einesalsheilsam (V.K.M.II,117)und nährend geltenden Krautes, die wiröftersbeigermanischen Heilkräutern fanden. HirsebreimitzuckersüßemMangoldempfahlauch schon HippokratesdenLungenkranken(Fuchsn,635,435).

DieGermanenkannten verschiedeneAmpfer- Arten. Der

Name

Ampfer(ahd.ampharo, germ. ampra,lat.amärus,indogerm.

amr<5,ags.ompre) geht aufindogermanische Zeiten zurückund bezeugt,daß schon dieIndogermanendurchVerkostenund Ver- suchender Pflanzen,wobeisiedensaueren oder bitterenGe- schmack kennenlernten,diesevonanderenArten zu unterscheiden undzu verwerten suchten; zumeistwarendies dieverschiedenen Rumex-Arten,welchewirheuteals .Sauer-Ampfer*usw.be- zeichnen. IhrevolksmedizinischeVerwendungfandensie,wie ihreverschiedenen

Namen

bekunden,gegenMundfäule,Grint- ausschlag,

Ohm,

Zitteroch. Als Halsamulett diente derAmpfer gegenschelmischeSkrofeldrüsen(Soehns 108);beiZiegenund Schafen wirkt derAmpferabführendundhießbeiden Gothaern .Nerwelkraut*, weil erdieNörbeln(s.K.N. B.448),d.h.den Schafsmist austreibtDodonäus(1554)sagt,daßalleAmpferblätter,

wenn

sie alsVorspeise oderGemüsegenommenwerden,den Stuhlgangbefördern*)(DeCock189), einedurchdieMönche (.Mönchsrhabarber*) vermittelte MitteilungausDioskuridesH, 140. Aus dem.Hausampfer* (Rumexdomesticus?),isl. njöli, machendieIsländerdieAmpfergrütze(njöla-grautur),einganz altertümliches Gericht, dasdurch dasfrischeGrün undden säuer- lichenGeschmackder Pflanze seineErklärungfindendürfte(Z.

d.V.f.V. K.1896,S. 250). SauerampfersamengibtLäuse,d.h.

nurdiearmen LeuteessenSauerampfer (Schw.

A

f.V- K.1903,

*)LapathonRomanidicuntrumicem(Pseudo-Apulejus,c.12)

=

Lapa- thum(zuXjmäC,<o

=

Xanäaatu=.purgiere). SauerampferalsMittelgegen Verstopfungs.V. V.M.II,117,121.

27

r

DigitizedbyGoogle

(34)

153). InderPilsenerGegend werdendieSauerampferblätter zu Brei zerklopftundsoals

Ampf

erbrot* gegessen.

Den

fleischigen BlätternentsprichtdiekühlendeVerwendung gegen Hautent- zündungenallerArt,Hautwunden und-Rufen: ahd.rumex

=

ruf (SteinmeyerHI,255,IV,121). Wirsehenalsoauch hierwieder ausdereßbaren Gemüsepflanze,dieimnächstenBereiche der menschlichenWohnstättewächst, eine Heilpflanze werden. Diese Nähr-undHeilkraft erfuhrsogareine Personifikationin der elbischenRumexpflanze, welche direktals„Tocke“oder„Dogge*

bezeichnet wird,d. h.alszwerghaft elbischerGeist, ags.docce

=

rumex,Hoops616,Dockenbletschen (Oberbayern);ags.wunda- docce

=

rumex(Cockayn,I, 18, 132),(BLN. B.739),dogg-yrt;in derSchweizistDraffne-Duckeeinausdemabtropfenden

Harn

oderSameneinesErhängtenausdem Erdbodenneuerwachsende menschenähnliche Alraunpflanze (1666) (PraetoriusH,175),gleich- samderwieder aus

dem

Schoße derErdeauferstandeneToten- geist oder Vegetationsgeist. Sauerampfersamen als Amulett getragen verhütet als elbisches Kraftmittel inSchwaben die Spermatorhoe(V.V. M.II,164,148).

Eine Pflanze,welcheschon ingermanischen Zeiteninder Näheder menschlichenWohnungenzu finden war,istderHoller oderHolunder(ahd.holuntar,ags.eller).

Wohl kaum

einanderer

Baum

spieltinder heutigenVolks- medizinundFolklore eine so großeRolle,alsder Holler. Erist dielebendigeHausapothekedesdeutschenEinödbauern(vgl.Höfler, V. M.117, B.u.M. K.106). ErliefertderHausfraudieBlüten- dolden zu den JohannisküchelnunddieHollerbeeren zur süßen Salseoderzum nochbeliebterenHollermus. Esspendet Schatten überdieHauslaubeundistsomit desMenschen

Heim

verwachsen, daßeralsWohnortdesschützenden Hausgeistesgalt,demman beiKrankheitenauch Brotund Käseals Gabe andas dort wohnende Erdmännchenopferte. In seineErdevergrubmandie Krankheitsstoffe;vorihmsollman, sagt das Volk,denHutab- nehmenoder niederknien(Z. d.V. £ V. K.1898,S. 142).Erwird inDänemarkalsBaumgeistmitMilchopferngenährt(Z. d.V.f.

V. K.1898,S. 142). ErbeschütztdieKinder,hilftdenFrauen beiEntbindungen, denMenschenbeiKrankheiten;manübergibt 28

(35)

ihmdieKrankheitsstoffeinden Kleidern, Fieber, Gelbsuchtund Gicht,damitsiein

dem Baume

oderindessenErdeabsterben(Man- hardt,

W.

undF. K.I,16,22, 56, Z. d.V.f.V. K.1898,8. 39,442, 1897,S. 46,168, 167,vgl.auchBilwizbauminUrquell 1897,8. 33).

DerHolleristder schützendeLebensbaumder Sippe;wenn derHoller

am

Hauseabnimmt, dann stirbtbaldjemand im Hausenach(Wuttke*,108).

Man

darfdenHollerbaumnicht verbauen,sonst

kommt

derrächende HausgeistalsGeismelker oderKindermelker(s.K.N. B. 410) über dasNeugeborenein

dem

betreffendenHause.

Man

vergräbt die abgeschnittenenHaarealsTeilfürsGanze inderErde untermHollerbaum;diesernimmtdieKrankheitsstoffe inseinGrab,wieeinTotengeist(Z. d.V.f.V. K.1900,8.120).

Uberdie sonstigeVerwendung desHollers imBrauchedes Kinderlebenss.Z. d.V.f.V. K.1898,8. 56. Der Hollerbaum wirddirektalseineFrau.Hollerfrau*angesprochen*);dieMutter GottestrocknetesogarihreWindelnauf der Hollerstaude,die siesegnete,als sieunter derselben„geschermt* hatte(Tirol;Heyl 795).Kein

W

under,daß der schirmende Geistim Hollerbaumüber- allingermanischenLandengeschont wird.Alles

vom

Holler wird volksmedizinischverwendet Die imFrauendreißigerseltennoch ge- fundene Hollerblüh wird den LungensüchtigenalsTeeempfohlen.

Diegebackenen Hollerblüten „Hollerküchl“ oderJohannis- küchl*sindeinMittelgegenZahnweh. DieHollerfrüchte(hylle frö)unddieHollerrinde halfenindermittelalterlichennordischen Volksmedizin gegen Hauträude,Kopfweh und Eingeweidewürmer (Fonahn86).DerHollerrindensaftwirdgegen das tägliche Fieber verwendet. Dioskurides (IV, 172) verwendetenurden Sambucus Ebulus,deneraxnq

=

Attichnennt,obwohlerdengemeinen Holler unmittelbar vorher erwähnt. DerTirolerund Oberbayer gebrauchtdiesen .wilden Holler* alsAttich-Salseoder Gesälz

zum Ham-

undWindtreiben. Vermutlichwarenesromanische Senner,welche dieBezeichnungenAttich undSalsemitdem

Baume

denGermanenübermittelten(vgl.auch HöflerV. M.42, 105,B.und

W.

K.108,Hoops265).

*)Vgl.diealteAnsprachedes HollersalsMannbeiSchmellerI, 1084:„Schöge wolholer,dazdumanweretc.“.

29

DigitizedbyGoogle

(36)

Deran dieser Pflanze haftende Glaube,daßsieausdemBlute gefallener Kriegerentstandensei,sprichtfüreinuraltesBlut- opferandenHolunderoderLebensbaum;beieinigengermanischen Stämmenistes Sitte,Holunderbttsche auf Freithöfen anzupflanzen (Schräder 876); kurz der Sippen-Vegetationsgeist stecktimBaum.

Stets warundist nochderHollerdiebeliebtesteSpeise und dernächsteArzneischatzfürdiedeutscheBäuerin. Die kleinen Häufchen der

am

Herdedurch Rösten getrockneten Hollerbeeren (Hollerrötzel) sind des oberbayerischen Senners leckerste Speise,und vonder Hollersalze schreibt derAugsburger StadtarztDr.Mindererim17.Jahrhundert:„Obschonsieeine Bauernarzneizuseinscheint,sohatsiedoch große Kraftund Tugend, den Schweißzu treiben.“ Seinfrischer Saft dient zurBrandsalbe, wieauchseinfrischesBlattalsWunddeckung.

Der Holler8chwammdientgegen RotlaufundAugenkrankheiten alsUmschlag. Anstattdie gepflücktenHollerfrüchteaufdie RösthürdeUberdemHerdfeuerzu trocknen,legtemansieim 16.Jahrhundert auch indaswarmeBettzum Trocknen;sie solltendann gegenallerleiBlutflüssehelfen(Janus 1907,S.109.

VgL

y. M. n,127,118,126).

Hiermöchte einzureihen sein, wasinder älteren

Edda

(Fjölsvinnsmalv.28)steht:

„Utafhansoldriskalä eldbera fyrkillisjdkerkonur, utarhverfat>azPeerinnarskyli;

sdshannmed

monnum

mj<jtuPr*.

Von

seiner,desLebensbaumes (Mima-meidr)Fruchtsoll

man

insFeuerlegendemkindessiechenWeibe, damitdiesesaus- werfe, wasimInnerenverborgenist; sohilftder

Baum

den MenschenauchalsHeilmittel.

BeiBlutungenderNachgeburtsperiode vor derAusstoßung derverborgenenBürde(Placentaretenta)solltendie

am

Herd- feuer getrockneten Früchte desLebensbaumesdieBlutungstillen, indemdieNachgeburtzurAusstoßunggebracht wird. Manhardt

W.

F.K.1,56 denkt hier mitRechtandenHolderbaum,oder irgend einenanderen eßbareFrüchte tragendenBaum. Nureinsolcher Fruchtbaumkonnte als Lebens- oderSchutzbaum angesehen werden. InSchwedenumfassendieSchwangeren denSchutz- 30

(37)

bäum

der Sippe,undinDänemarksollderHolderbaumneben

dem

Hauseden Kreisendenhilfreichsein.

Nur

einFruchtbaumkonnteauchanimalischeFruchtbar- keit,Zeugungskraft,d.h.KindersegenundleichteEntbindung vermitteln. Der Welt-oderLebensbaumderEdda warursprüng- lich(nachManhardtLc.)aucheinFruchtbaum(etwadieBuche, vielleichtauchder Holler)underst derDichterderVöluspä

mag

dafürdieEsche eingeführthaben,diedanndichterisches Gemeingut wurde(Manhardt,

W.

F.K.I,56).

Daß

etwaEschen- früchte,zurRäucherungbenützt,eingeburtshilfliches Mittelseien, läßtsichwohlinkeinerVolksmedizin nachweisen. Dergeist- reicheÜbersetzer derEdda,WilhelmJordan (1889,8.512), erlaubte sichsogardiedichterischeFreiheit, dieZäpfchenfrüchte des Zirbel- baumesalsdieFrüchtediesesLebensbaumes anzunehmen;doch

kommt

die ZirbelkieferimgermanischenNordennichtvor.

Holunderblätterverwendete auch Hippokrates, wie derUr- medizineralsWundverband(FuchsH,866,585)undalsGemüse (Lc.II,419,HI,866,860, 872,384,885, 348, 841usw).

Ein echtgermanischer

Baum

istfernerdie Schlehemit ihrenherbsauren,nurnachlängeremLiegen etwas süßerwerden- denFrüchten(PrunusspinosaL.,ahd.slfiha,ags.slähse,ahd.

crichboum). Schon768 steht das Kloster Schleedorf

am

föhn- reichen,mildenKochelseein romanisch-bajuwarischerGegend.

Diewildwachsende Schlehenfruchtwaraber schondemSchweizer undanderen PfahlbauernalsGenußmittelbekannt (Schräder 628);

ebenso aus den spätrömischen PfahlbautenbeiFulda (Hoops652).

Noch

1551 schreibtBockinseinem Kräuterbuch873B. von dieserlängstvergessenenBaumfrucht, daßdiearmen Leutefrüher dieSchlehenüber

dem

Feuersengten bzw.rösteten,

um

siege- nießbarzumachen. Schlehenwein mitHonigversüßt trankman ehemalszurKirchweih(Grimms

W.

B.V,836). AuchSchröder 798gibt1685an,daß

man

dieSchlehenfruchtinsBiergeworfen habe,

um

denGeschmackzu verbessernund Verstopfungzu be- seitigenundaufdieHarnabsonderunganregend einzuwirken. In FrankreichistderVinde prunelleeinWeinderArmen,unddie Kinderessendort die

vom

Winterfrostweichundetwassüßer gewordenenBeeren,mitBrot gemengt,alsSchlehenbrot.

31

DigitizedbyGoogle

(38)

DieSchlehenbeeren lieferten zur Zeit von Oswald von WolkensteindenSchlehentrank. Die eingetrockneten Schlehen- beerengabeninOberbayern densog.Beerenzucker, dervonder SchuljugendinWassergeschüttelt,den alten Schlehentranker- setzt,undsosehrwar auchinFrankreich das niedereVolkvon derWichtigkeitdiesesFruchtbaumesüberzeugt,daßesdasGe- deihender SchlehenblüteundSchlehenfrucht beobachteteundals Wetterzeichen prognostisch verwendete (Rolland405).

WiediemehligenVogelbeeren,sowerdenauch diesüß- sauren Beeren des Schlehdornsda unddortnochvon den Kindern gegessen(Z. d.V.f.V.-K.1901,S. 62).Die Schlehenbeerensollen, aneinem FreitagimFrauendreißigergesammelt, diesog.Dreißigst- schlehgeben,welchezuessenalsetwasSündhaftesgalt,weil

man

diesfrüherbeichtenmußte. Vermutlichgaltdiesalsein dieCorceptionverhinderndesMittel*). DerNiederländerheißt dieSchlehenfrüchteSleepruimen (prunus)undgebrauchtsiegegen denGrintausschlagderKinder (DeCock269).

In derHaupttrudennachtderRauchnächtelegte

man

früher indieRäucherpfanne,dassog.Glüthel,dieSchlehdomzweige, alsApotropäon, eineVerwendung,welchesichdadurcherklärt, daßderSchlehdorn früher auch die Rolle desGehägeserfüllte, welche sonstdem Weißdorn (s.u.)oblag. Noch 1433istdie SchlehealsBefestigung oder Burgpflanzung erwähnt.Wir werden dasGehäge unddenWeißdorn nochweiteruntenbesprechen.

Viel Ähnlichkeitmit

dem

Gebrauchedes Schlehdornshat auchdie

Vogelbeere

oderEberesche(Sorbusaucuparia und ariaL.). Die ersterehatihren

Namen vom

Vogelfang[aves capere,dazuauchovov

=

Vogel-undSpeierlingbeere]. Daslatei- nische

Wort

Sorbus deutet auf einen Schlürftrank, der ausden mehligenBeerenhergestelltwurde[Sorbus,zu:sorbere,schlürfen;

dazumit.sorbicium

=

omniscibus,quidefaciledeglutitur,also einleichtschlürfbarerTrank], InTirolheißtdie Vogelbeere auch Mostbeere, welcheBezeichnungdarauf hindeutet,daß

man

ausderVogelbeere eine Biersuppeherstellte. DioskuridesI,173 führte an, daßauch dieGriechen die mehligenBeeren

vom

*)1725warderStachelausSchlehenholzein Mittel,umImpotenz zuerzeugen,d.h.erversperrtesymbolischdasGeburtsschloß desWeibes.

32

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE