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Leo Tolstoi. Anna Karenina. Überarbeitete und kommentierte Fassung

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Academic year: 2022

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Leo Tolstoi

Anna Karenina

Überarbeitete und kommentierte Fassung

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Leo Tolstoi

Anna Karenina

Überarbeitete und kommentierte Fassung

Überarbeitung und Korrekturen: Null Papier Verlag Übersetzer: Hermann Röhl

Published by Null Papier Verlag, Deutschland Copyright © 2018 by Null Papier Verlag

4. Auflage, ISBN 978-3-954180-01-1 www.null-papier.de/anna

Das hier veröffentlichte Werk ist eine kommentierte, überarbeitete und digitalisierte Fassung und unterliegt somit dem Urheberrecht. Verstöße werden juristisch verfolgt. Eine

Veröffentlichung, Vervielfältigung oder sonstige Verwertung ohne Genehmigung des Verlages ist ausdrücklich untersagt.

null-papier.de/katalog

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Inhaltsverzeichnis

Personenregister ... 4

Motto ... 7

Erster Teil ... 8

Zweiter Teil ... 318

Dritter Teil ... 642

Vierter Teil ... 965

Fünfter Teil ... 1186

Sechster Teil ... 1491

Siebenter Teil ... 1812

Achter Teil ... 2077

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Jürgen Schulze, Verleger, js@null-papier.de

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Personenregister

Die Oblonskijs

- Fürst Stepan Arkadjewitsch Oblonskij (genannt Sti- wa), höherer Beamter

- Fürstin Darja Alexandrowna Oblonskaja (geb. Scht- scherbazkaja, genannt Dolly), seine Frau

- Tanja Stepanowna Oblonskaja, seine Tochter - Grischa Stepanowitsch Oblonskij, sein Sohn - Lilli Stepanowna Oblonskaja, seine Tochter - Nikolaj Stepanowitsch Oblonskij, sein Sohn - Mascha Stepanowna Oblonskaja, seine Tochter

Die Karenins

- Alexej Alexandrowitsch Karenin, hoher Beamter - Anna Arkadjewna Karenina, seine Frau und (geb.

Oblonskaja, Schwester des Stepan A. Oblonskij) - Sergej Alexejewitsch Karenin, (genannt Serjoscha) sein Sohn

- Anna Alexejewna Karenina (genannt Anny), die ille- gitime Tochter der Anna A. Karenina und Alexej

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Wronskijs

Die Wronskijs

- Graf Alexej Kirillowitsch Wronskij, (genannt Aljo- scha), der Geliebte Anna A. Kareninas, Oberst a. D.

und Großgrundbesitzer

- Graf Alexander Kirillowitsch Wronskij, sein älterer Bruder

- Gräfin Warja Wronskaja, seine Schwägerin - Gräfin Wronskaja, seine Mutter

Die Schtscherbazkijs

- Fürst Alexander Schtscherbazkij - Fürstin Schtscherbazkaja, seine Frau

- Darja Alexandrowna Schtscherbazkaja, seine Toch- ter (verh. Oblonskaja, gen. Dolly)

- Natalia Alexandrowna Schtscherbazkaja, seine Tochter (verh. Ljwowa)

- Jekatarina Alexandrowna Schtscherbazkaja, seine Tochter (verh. Ljewina, gen. Kitty)

Die Ljewins

- Konstantin Dmitrijewitsch Ljewin, (genannt Kost-

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ja), Gutsbesitzer und Jugendfreund Stepan A. Ob- lonskijs

- Jekatarina Alexandrowna Ljewina, (geb. Schtscher- bazkaja, genannt Kitty), seine Frau

- Dmitrij Konstantinowitsch Ljewin, (genannt Mitja), sein Sohn

- Nikolaj Dmitrijewitsch Ljewin, sein Bruder - Wanja Nikolajewitsch Ljewin, sein Neffe

- Sergej Iwanowitsch Kosnyschew, sein Stiefbruder, berühmter Schriftsteller

Weitere Personen

- Fürstin Betsy Twerskaja, Ehefrau eines Vetters der Anna A. Karenina

- Gräfin Lydia Iwanowna, Dame der St. Petersbur- ger Gesellschaft

- Marja Nikolajewna, (genannt Mascha), Lebensge- fährtin des Nikolaj Dmitrijewitsch Ljewin

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Motto

DIE RACHEISTMEIN, ICHWILLVERGELTEN.

(12)

Erster Teil

(13)

A

lle glücklichen Familien sind einander ähnlich;

1

aber jede unglückliche Familie ist auf ihre beson- dere Art unglücklich. Der ganze Haushalt der Fami- lie Oblonski war in Unordnung geraten. Die Haus- frau hatte erfahren, dass ihr Mann mit einer franzö- sischen Gouvernante, die sie früher im Hause ge- habt hatten, ein Verhältnis unterhielt, und hatte ihm erklärt, sie könne nicht länger mit ihm unter ei- nem Dache wohnen. Drei Tage schon währte nun dieser Zustand, und er wurde sowohl von den Ehe- gatten selbst wie auch von den übrigen Familienmit- gliedern und dem Hausgesinde als eine Qual emp- funden. Alle Familienmitglieder und das Hausges- inde hatten das Gefühl, dass ihr Zusammenleben gar keinen Sinn mehr habe und dass in jeder Her- berge die Leute, die sich dort zufällig zusammenfän- den, in engerer Beziehung untereinander stünden als sie, die Mitglieder und das Gesinde der Familie Oblonski. Die Hausfrau verließ ihr Zimmer nicht;

der Hausherr war zwei Tage lang nicht nach Hause gekommen. Die Kinder liefen im ganzen Hause wie verloren umher; die englische Miss hatte sich mit der Wirtschafterin gezankt und einen Brief an eine

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Freundin geschrieben, ob sie ihr nicht eine andere Stelle verschaffen könne; der Koch war schon ges- tern vor dem Mittagessen davongegangen; die Küchenmagd und der Kutscher baten um ihren Lohn, um den Dienst zu verlassen. Am dritten Tage nach dem Streite erwachte Fürst Stepan Arkadje- witsch Oblonski (Stiwa, wie er von seinen Bekann- ten genannt wurde) zur gewohnten Stunde, das heißt um acht Uhr morgens, aber nicht im gemein- samen Schlafzimmer, sondern in seinem Arbeitszim- mer auf dem Ledersofa. Er wälzte seinen gut genähr- ten und gepflegten Körper auf dem Sofa ein paar- mal hin und her, als ob er noch weiterschlafen wolle, umfasste das Kopfkissen fest von unten her und drückte die Wange dagegen; plötzlich aber fuhr er in die Höhe, setzte sich auf dem Sofa aufrecht hin und öffnete die Augen.

›Ja, ja, wie war das doch nur?‹ dachte er, indem er sich auf seinen Traum zu besinnen suchte. ›Ja, wie war das doch nur? Ja! Alabin gab ein Diner in Darmstadt; nein, nicht in Darmstadt, es war ir- gendwo in Amerika. Ja, aber Darmstadt lag dabei in Amerika. Ja, Alabin gab ein Diner auf gläsernen Ti- schen, ja, – und da waren solche kleine Likörfla- schen, die sangen: Il mio tesoro,1 oder vielmehr

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nicht Il mio tesoro, sondern ein noch schöneres Lied, und auf einmal waren die Likörflaschen Wei- ber‹, erinnerte er sich.

Stepan Arkadjewitschs Augen leuchteten fröh- lich auf, und lächelnd überließ er sich seinen Gedan- ken. ›Ja, schön war es, sehr schön. Es war auch sonst noch viel Vergnügliches dabei; aber wenn man aufgewacht ist, kann man es sich nicht mehr in Gedanken klarmachen und es nicht mit Worten aus- drücken.‹ Und als er einen Lichtstreifen bemerkte, der sich an dem einen Fenster neben dem Stoffvor- hang ins Zimmer stahl, hob er in heiterer Stimmung die Beine vom Sofa herunter, suchte mit ihnen nach den goldfarbenen Saffianpantoffeln, die ihm seine Frau gestickt und im vorigen Jahre zum Geburts- tage geschenkt hatte, und streckte nach alter, neun- jähriger Gewohnheit, ohne aufzustehen, die Hand nach der Stelle aus, wo im Schlafzimmer sein Schlaf- rock zu hängen pflegte. Dabei kam es ihm auf ein- mal zum Bewusstsein, dass und warum er nicht in dem gemeinsamen Schlafzimmer geschlafen hatte, sondern in seinem Arbeitszimmer; das Lächeln ver- schwand von seinem Gesichte, und er runzelte die Stirn.

»Ach, o weh, o weh!« stöhnte er, da ihm alles Vor- gefallene wieder ins Gedächtnis kam. Und vor sei-

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nem geistigen Blicke erschienen wieder alle Einzel- heiten seines Streites mit seiner Frau und die ganze Misslichkeit seiner Lage und, was ihn am allermeis- ten quälte, seine eigene Schuld.

›Ja, das wird sie nicht verzeihen und kann sie nicht verzeihen. Und das Schauderhafteste dabei ist, dass ich selbst an alledem schuld bin; – ich bin an alledem schuld und kann doch eigentlich nichts dafür. Das ist das Tragische bei der Sache‹, dachte er. »O weh, o weh!« sagte er verzweifelt vor sich hin, in Erinnerung an jene Einzelheiten des Streites, die auf ihn den stärksten Eindruck gemacht hatten.

Am unangenehmsten war jener erste Augenblick gewesen, als er, heiter und zufrieden aus dem Thea- ter heimkehrend, seine Frau, für die er eine gewal- tig große Birne in der Hand trug, zu seinem Erstau- nen weder im Salon noch in ihrem Zimmer vorge- funden und endlich im Schlafzimmer erblickt hatte, in der Hand den unglückseligen Brief, der alles ver- raten hatte.

Sie, die sonst stets sorglich geschäftige und sei- ner Ansicht nach etwas beschränkte Dolly, hatte mit dem Briefe in der Hand regungslos dagesessen und den Eintretenden mit einer Miene des Schre- ckens, der Verzweiflung und des Zornes angeblickt.

»Was ist das hier? Was ist das?« hatte sie, auf

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das Schreiben deutend, ihn gefragt.

Als peinlich und beschämend empfand Stepan Ar- kadjewitsch bei dieser Erinnerung, wie das oft so geht, weniger den Vorfall selbst, als vielmehr die Art, wie er auf diese Worte seiner Frau geantwortet hatte.

Es war ihm in diesem Augenblick ergangen, wie es nicht selten Leuten ergeht, die unversehens auf einer recht schmählichen Tat ertappt werden. Er hatte es nicht verstanden, seine Miene der Lage an- zupassen, in die er seiner Frau gegenüber durch die Aufdeckung seines Vergehens geraten war. Anstatt den Gekränkten zu spielen, zu leugnen, sich zu rechtfertigen, um Verzeihung zu bitten oder auch einfach nur gleichgültig zu bleiben (alles dies wäre besser gewesen als das, was er in Wirklichkeit getan hatte), statt dessen hatte sein Gesicht ganz unwill- kürlich (›Reflexe des Gehirns‹, dachte Stepan Arkad- jewitsch, der sich gern ein bisschen mit Physiologie abgab) sich zu seinem gewohnten gutmütigen und daher in diesem Falle dummen Lächeln verzogen.

Dieses dumme Lächeln konnte er sich nicht ver- zeihen. Beim Anblicke dieses Lächelns war Dolly wie infolge eines körperlichen Schmerzes zusam- mengezuckt, hatte mit der ihr eigenen Heftigkeit ei- nen Strom scharfer Worte hervorgesprudelt und

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war aus dem Zimmer geeilt. Seitdem hatte sie ihren Mann nicht mehr sehen wollen.

›An alledem ist dieses dumme Lächeln schuld‹, dachte Stepan Arkadjewitsch.

›Aber was ist zu machen? Was ist zu machen?‹

fragte er sich in seiner Verzweiflung und fand keine Antwort darauf.

Mein Schatz. <<<

1.

(19)

S

tepan Arkadjewitsch war sich selbst gegenüber

2

stets aufrichtig und wahrheitsliebend. Er war un- fähig, sich selbst zu betrügen und sich einzureden, dass er das Getane bereue. Zur Zeit war er nicht im- stande, Reue darüber zu empfinden, dass er, ein vie- runddreißigjähriger, hübscher, liebeslustiger Mann, nicht mehr in seine Frau verliebt war, die ihm fünf noch lebende und zwei bereits verstorbene Kinder geboren hatte und nur um ein Jahr jünger war als er selbst. Das einzige, was er bereute, war, dass er es nicht besser verstanden hatte, seiner Frau die Sa- che zu verheimlichen. Aber er empfand in vollem Umfange die Misslichkeit seiner Lage und bedau- erte seine Frau, die Kinder und sich selbst. Viel- leicht hätte er sich auch erfolgreicher bemüht, seine Sünden vor seiner Frau zu verbergen, wenn er geahnt hätte, dass diese Nachricht auf sie so stark wirken würde. Klar nachgedacht hatte er über die- sen Punkt allerdings nie: aber er hatte die undeutli- che Vorstellung gehabt, seine Frau ahne schon längst, dass er ihr untreu sei, sehe aber dabei durch die Finger. Er war sogar der Ansicht, eine schon so welke, gealterte, bereits unschöne Frau, die nichts

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Besonderes an sich habe, sondern lediglich eine ein- fache, brave Familienmutter sei, müsse aus einer Art von Gerechtigkeitsgefühl heraus sich nachsich- tig zeigen. Und nun hatte er gerade das Gegenteil davon erlebt.

›Schauderhaft! O weh, o weh, schauderhaft!‹

sagte Stepan Arkadjewitsch einmal über das andere vor sich hin, ohne dass er einen Ausweg ersinnen konnte. ›Und wie nett war alles bisher, wie gut ha- ben wir miteinander gelebt! Sie war zufrieden und glücklich über ihre Kinder; ich kam ihr in keiner Weise in die Quere und ließ sie bei den Kindern und beim Hauswesen herumwirtschaften, wie sie wollte. Freilich, dass »sie« in unserem Hause Gou- vernante gewesen ist, das ist übel. Das ist übel. Es liegt immer etwas Gewöhnliches, Unwürdiges da- rin, wenn man einer Gouvernante der eigenen Kin- der den Hof macht. Aber was ist diese Gouvernante auch für ein Weib!‹ (Er erinnerte sich lebhaft an Ma- demoiselle Rolands schwarze Schelmenaugen und an ihr reizendes Lächeln.) ›Aber solange sie bei uns im Hause war, habe ich mir ja auch nichts erlaubt.

Das Schlimmste ist, dass sie jetzt… Das muss auch alles wie mit Absicht gleichzeitig über mich herein- stürzen! O weh, o weh! Aber was in aller Welt soll ich nun tun?‹

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Eine Antwort gab es darauf nicht außer jener all- gemeinen Antwort, die das Leben auf alle Fragen gibt, selbst auf die verwickeltsten und unlösbaren.

Und diese Antwort lautet: Man muss sein Leben aus- füllen mit dem, was der Tag bringt und fordert, das heißt, man muss dadurch zu vergessen suchen.

Aber durch Schlafen und Träumen Vergessenheit zu suchen, das war nicht mehr möglich, wenigstens nicht vor der nächsten Nacht; es ging nicht mehr an, zu jenem musikalischen Genusse, dem Gesange der Likörflaschen, die dann auf einmal Weiber wa- ren, zurückzukehren. Also musste er Vergessenheit suchen in der Ablenkung, die das Leben mit sich brachte.

›Na, es wird sich ja bald zeigen‹, sagte Stepan Ar- kadjewitsch zu sich selbst, stand auf, zog den grauen, mit blauer Seide gefütterten Schlafrock an, schlang die in Quasten ausgehenden Schnüre zu ei- nem Knoten zusammen, sog in kräftigen Atemzü- gen die Luft in seinen breiten Brustkasten, trat mit dem gewohnten munteren Schritt der auswärts ge- richteten Füße, die seinen vollen Körper so leicht trugen, zum Fenster, hob den Vorhang auf und klin- gelte laut. Auf das Klingeln trat sogleich sein altver- trauter Kammerdiener Matwei ins Zimmer, der die Kleider, die Stiefel und ein Telegramm brachte. Hin-

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ter Matwei kam auch der Barbier mit seinem Rasier- gerät herein.

»Sind Akten von der Behörde gekommen?«

fragte Stepan Arkadjewitsch, indem er das Tele- gramm nahm und sich vor den Spiegel setzte.

»Sie liegen im Esszimmer auf dem Tische«, ant- wortete Matwei und richtete einen fragenden Blick voller Teilnahme auf seinen Herrn; dann, nach einer kurzen Pause, fügte er mit einem schlauen Lächeln hinzu: »Es ist jemand von dem Fuhrherrn hier gewe- sen.«

Stepan Arkadjewitsch gab keine Antwort und blickte nur im Spiegel nach Matwei hin; an den Bli- cken, mit denen sie sich im Spiegel trafen, konnte man sehen, wie gut sie einander verstanden. Stepan Arkadjewitschs Blick fragte gleichsam: ›Wozu sagst du das? Weißt du etwa nicht, wie’s steht?‹

Matwei steckte die Hände in die Taschen seiner Jacke, setzte den einen Fuß ein wenig seitwärts und blickte schweigend, mit gutmütiger Miene und bei- nah mit einem Lächeln seinen Herrn an.

»Ich habe ihm gesagt, er möchte erst nächsten Sonntag wiederkommen und bis dahin weder Ihnen noch sich selbst unnötige Mühe machen«, antwor- tete er mit einem offenbar vorher zurechtgelegten Satze.

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Stepan Arkadjewitsch erkannte, dass Matwei ei- nen kleinen Scherz machen und die Aufmerksam- keit auf sich lenken wolle. Er riss das Telegramm auf, las es, wobei er die, wie stets, entstellten Worte sinngemäß verbesserte, und sein Gesicht leuchtete auf.

»Matwei, meine Schwester Anna Arkadjewna kommt morgen«, sagte er und hemmte für einen Au- genblick die dicke, fettglänzende Hand des Bar- biers, der dabei war, den rosigen Zwischenraum zwi- schen dem rechten und linken krausen Backenbart rein zu putzen.

»Gott sei Dank!« rief Matwei und zeigte durch diese Antwort, dass er die Bedeutung dieses Besu- ches ebensowohl zu würdigen wusste wie sein Herr, indem er nämlich zuversichtlich glaubte, dass Anna Arkadjewna, Stepan Arkadjewitschs Schwes- ter, die dieser sehr liebte, eine Versöhnung zwi- schen Mann und Frau werde zustande bringen kön- nen.

»Kommt die gnädige Frau allein oder mit dem Herrn Gemahl?« fragte Matwei.

Stepan Arkadjewitsch konnte nicht sprechen, da der Barbier mit seiner Oberlippe beschäftigt war, und hob einen Finger in die Höhe. Matwei nickte nach dem Spiegel hin mit dem Kopfe.

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»Allein. Soll ich oben alles instand setzen las- sen?«

»Melde es meiner Frau. Sie wird das Nötige an- ordnen.«

»Der Frau Gemahlin?« fragte Matwei wie im Zweifel, ob er richtig gehört habe.

»Ja, melde es ihr! Und da, nimm das Telegramm mit und gib es ihr, was sie wohl dazu sagt.«

›Das soll ein Fühler sein‹, dachte Matwei ver- ständnisvoll; aber er antwortete nur: »Zu Befehl!«

Stepan Arkadjewitsch war schon gewaschen und gekämmt und wollte sich eben ankleiden, als Mat- wei, mit seinen knarrenden Stiefeln langsam daher- kommend, das Telegramm in der Hand, wieder ins Zimmer trat. Der Barbier war nicht mehr da.

»Darja Alexandrowna hat befohlen, zu melden, dass sie wegfährt; sie sagte: ›Es kann alles eingerich- tet werden, wie es ihm‹, das heißt Ihnen, ›genehm ist‹«, berichtete er; dabei lachte er nur mit den Au- gen, schob die Hände in die Taschen und blickte mit seitwärts geneigtem Kopfe seinen Herrn unver- wandt an. Stepan Arkadjewitsch schwieg ein Weil- chen. Dann erschien ein gutmütiges und etwas kläg- liches Lächeln auf seinem hübschen Gesichte.

»Nun, Matwei?« fragte er und wiegte den Kopf hin und her.

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»Das ist weiter nicht schlimm, gnädiger Herr; es wird sich schon alles wieder einrenken«, erwiderte Matwei.

»Du meinst, es wird sich wieder einrenken?«

»Ganz gewiss.«

»Meinst du? Wer ist denn da?« fragte Stepan Ar- kadjewitsch, da er auf der anderen Seite der ein we- nig geöffneten Tür das Rascheln von Frauenkleidern hörte.

»Ich bin es«, sagte eine fest und angenehm klin- gende weibliche Stimme, und in der Tür erschien das ernste, pockennarbige Gesicht der alten Kinder- frau Matrona Filimonowna.

»Nun, was gibt es, liebe Matrona?« fragte Stepan Arkadjewitsch, indem er zu ihr an die Tür trat.

Obgleich Stepan Arkadjewitsch seiner Frau ge- gen über durchaus im Unrecht war und dies selbst fühlte, waren doch fast alle im Hause auf seiner Seite, sogar die Kinderfrau, die sich mit Darja Alex- androwna außerordentlich gut stand.

»Nun, was gibt es?« fragte er in bedrücktem Tone.

»Sie sollten doch noch einmal hingehen, gnädi- ger Herr, und sich schuldig bekennen. Vielleicht hilft Gott. Sie quält sich sehr, es ist kläglich anzuse- hen, und im Hause geht alles drunter und drüber.

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Die Kinder, gnädiger Herr, die Kinder können einem leid tun. Bekennen Sie sich schuldig, gnädiger Herr!

Was können Sie auch sonst tun? Wenn man etwas erreichen will, darf man sich keine Mühe verdrie- ßen lassen.«

»Aber sie wird mich gar nicht empfangen!«

»Tun Sie nur das Ihrige! Gott ist barmherzig; be- ten Sie zu Gott, gnädiger Herr, beten Sie zu Gott!«

»Na schön, geh nur!« antwortete Stepan Arkadje- witsch; er war auf einmal ganz rot geworden. »Nun, dann hilf mir beim Ankleiden«, wandte er sich an Matwei und warf mit einer entschlossenen Bewe- gung den Schlafrock ab.

Matwei hielt bereits das Hemd, von dem er et- was Unsichtbares wegblies, in Form eines Kumtes zum Überstreifen bereit und hüllte mit sichtlichem Vergnügen den wohlgepflegten Körper seines Herrn darin ein.

(27)

N

ach dem Ankleiden besprengte sich Stepan Ar-

3

kadjewitsch mit Parfüm, zupfte die Manschetten zu- recht, steckte mit den ihm geläufigen Bewegungen in die einzelnen Taschen die Zigaretten, die Briefta- sche, die Zündhölzer, die Uhr mit doppelter Kette und Berlocken, schüttelte das Taschentuch ausein- ander und fühlte sich nun sauber, wohlduftend, ge- sund und körperlich munter, trotz seinem Unglück.

Auf jedem Bein sich ein wenig hin und her wiegend, ging er in das Esszimmer, wo der Kaffee bereits auf ihn wartete und neben dem Kaffeegeschirr seine Briefe und die von der Behörde eingelaufenen Ak- ten lagen.

Er las die Briefe. Einer darunter war ihm recht unwillkommen – von dem Händler, mit dem er we- gen des Verkaufes eines Waldes auf dem Gute sei- ner Frau in Unterhandlung stand. Er musste diesen Wald unbedingt verkaufen; aber jetzt, vor einer Ver- söhnung mit seiner Frau, konnte davon nicht die Rede sein. Am peinlichsten war ihm dabei, dass sich auf diese Weise Geldfragen in das bevorstehende Werk seiner Versöhnung mit seiner Frau hinein- mischten. Und der Gedanke, dass es scheinen

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könnte, als lasse er sich von diesem Interesse leiten und als veranlasse ihn die Aussicht auf den Verkauf dieses Waldes, die Versöhnung mit seiner Frau anzu- streben, dieser Gedanke hatte für ihn geradezu et- was Beleidigendes.

Als Stepan Arkadjewitsch mit den Briefen fertig war, zog er die Akten zu sich heran, durchblätterte schnell zwei Sachen und machte darin mit einem großen Bleistift ein paar Bemerkungen. Darauf schob er die Akten wieder zur Seite und machte sich an seinen Kaffee; während des Kaffeetrinkens breitete er die noch feuchte Morgenzeitung ausein- ander und begann sie zu lesen.

Stepan Arkadjewitsch hielt und las eine liberale Zeitung, nicht ein extremes Blatt, sondern von der Richtung, zu der sich die Mehrheit des gebildeten Publikums bekannte. Und obgleich weder Wissen- schaft noch Kunst, noch Politik ihn sonderlich inter- essierten, so hielt er doch auf allen diesen Gebieten energisch an den Anschauungen fest, denen die Mehrheit und seine Zeitung anhingen, und änderte diese Anschauungen nur dann, wenn auch die Mehr- heit das gleiche tat, oder, richtiger gesagt, er än- derte sie nicht, sondern sie änderten sich von selbst unvermerkt in seinem Geiste.

Stepan Arkadjewitsch wählte sich weder seine

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Grundsätze noch seine Ansichten aus, sondern diese Grundsätze und Ansichten kamen von selbst zu ihm, ganz ebenso, wie er die Formen seines Hu- tes oder seines Rockes nicht auswählte, sondern ein- fach die nahm, die allgemein getragen wurden. Und Ansichten zu haben, war für ihn, der in einem be- stimmten gesellschaftlichen Kreise lebte und ein Verlangen nach einiger Denktätigkeit verspürte, wie es sich gewöhnlich in reiferen Lebensjahren heraus- bildet, – Ansichten zu haben, war für ihn ebenso eine Notwendigkeit, wie einen Hut zu haben. Wenn wirklich ein Grund vorhanden war, weshalb er die li- berale Richtung der konservativen vorzog, der doch auch viele aus seinem Gesellschaftskreise anhingen, so lag dieser Grund jedenfalls nicht etwa darin, dass er die liberale Richtung für vernünftiger gehalten hätte, sondern darin, dass sie mit der Gestaltung sei- nes eigenen Lebens mehr übereinstimmte. Die libe- rale Partei behauptete, in Russland sei alles sch- lecht, und tatsächlich hatte Stepan Arkadjewitsch viele Schulden und konnte mit seinem Gelde abso- lut nicht auskommen. Die liberale Partei erklärte die Ehe für eine Einrichtung, die sich überlebt habe und unbedingt umgestaltet werden müsse, und wir- klich machte das Eheleben Stepan Arkadjewitsch wenig Vergnügen und nötigte ihn dazu, zu lügen

(30)

und sich zu verstellen, was doch seiner Natur sehr zuwider war. Die liberale Partei sagte oder, richti- ger ausgedrückt, ließ als ihre Meinung durchbli- cken, dass die Religion nur ein Zügel für den unge- bildeten Teil der Bevölkerung sei, und in der Tat ver- mochte Stepan Arkadjewitsch nicht einmal einen ganz kurzen Gottesdienst ohne Schmerzen in den Beinen auszuhalten und konnte gar nicht begreifen, was dieses ganze großartige, hochtrabende Gerede von jener Welt für einen Zweck habe, da es sich doch auch auf dieser Welt sehr vergnüglich leben lasse. Außerdem fand Stepan Arkadjewitsch, der ein munteres Späßchen liebte, seine Freude daran, ab und zu einen harmlosen Menschen durch Äußerun- gen wie diese zu verblüffen: wolle man den Stolz auf die Abstammung einmal gelten lassen, so sei es nicht recht, bei Rurik stehenzubleiben und den ers- ten Stammvater, den Affen, zu verleugnen. Auf diese Weise war die liberale Richtung für Stepan Ar- kadjewitsch eine Sache der Gewohnheit geworden, und er liebte seine Zeitung wie die Zigarre nach dem Mittagessen wegen der leisen Benommenheit, die sie in seinem Kopfe hervorrief. Heute las er den Leitartikel, in dem auseinandergesetzt wurde, dass in unserer Zeit völlig ohne Grund ein Jammergesch- rei erhoben werde, als drohe der Radikalismus alle

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