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Individualität im Prozess Ein Gespräch zwischen Adam Saks und David Ulrichs

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Academic year: 2022

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Individualität im Prozess

Ein Gespräch zwischen Adam Saks und David Ulrichs

David Ulrichs Seit wann bist Du Künstler?

Adam Saks Ich wurde 1974 in Kopenhagen geboren. Aufgewachsen bin ich am Stadtrand, dort habe ich als Kind eine strenge Privatschule besucht. Mein Vater war Architekt, daher gab es immer Kunst in meiner Familie und ich habe schon in sehr jungen Jahren angefangen zu zeichnen. Für mich war Zeichnen immer etwas ganz Natürliches. Ich habe an der Royal Academy studiert, aber als ich mich das erste Mal beworben habe – mit Zeichnungen – wurde ich abgelehnt. Ein Freund meines Vaters, ein pensionierter Kunstprofessor der Akademie, hat mir dann geraten, mich erneut – diesmal mit Malerei – zu bewerben. Was von vorn herein logisch gewesen wäre, da ich mich ja für Malerei beworben hatte.

Wurdest Du dann beim zweiten Mal angenommen?

Ja. Das war der wohl stolzeste Tag meines Lebens. Ich habe dort sechs Jahre studiert.

Wann kamst Du nach Berlin?

Von 1996-1997 habe ich ein Auslandsjahr an der HdK verbracht. Ich hatte Glück, in die Klasse von Bernd Koberling zu kommen. Das hat mir wirklich die Augen geöffnet.

In welcher Hinsicht?

Nun ja, die Royal Academy in Kopenhagen war von Lehrern der 68er Generation beeinflusst – Studentenrevolutionären. Eine Hierarchie zwischen Student und Lehrer gab es nicht. In Berlin dagegen hat sich ein Professor normalerweise nicht mit dir auf einen Drink verabredet, oder saß mit dir und deinen Freunden zusammen. Hier gab es eine andere Art von Informationsaustausch zwischen Lehrer und Schüler.

Also warst du dankbar, etwas Distanz zwischen Dir und deinen Lehrern aufzubauen?

In Kopenhagen kannst du alles was der Professor sagt, in Frage stellen. An der HdK gibt es einen generell akzeptierten Verhaltenscodex. Die Professoren haben einen sehr klaren, direkten Weg des Lehrens.

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Hast Du nach Anleitung oder einer Richtung gesucht?

Eigentlich hatte ich gewissermaßen das Beste aus beiden Welten. Kopenhagen ist sehr liberal, an der Akademie konnte ich wirklich alles ausprobieren.

Also obwohl du nicht danach gesucht hast, warst du glücklich über etwas Anleitung.

Ja, definitiv.

Und was hast du gelernt?

Nun ja, eigentlich ist es lustig, aber in Berlin habe ich Elementares gelernt, z.B., dass es wichtig ist meine Pinsel zu waschen, so dass ich die Farben besser mischen kann, oder wie man ein Dunkelblau erzielt, ohne einfach nur Schwarz in Ultramarin zu kippen. Ich habe einige sehr grundlegende Dinge gelernt. Das haben einige Studenten in Kopenhagen vielleicht selbst herausgefunden, aber dort hat ein Professor seinen Studenten niemals gesagt, was sie zu tun haben.

Und wann bist Du dann nach Berlin gezogen?

Vor etwa 11 Jahren, weil ich das Gefühl hatte, Berlin ist der Ort, an dem man als Künstler sein sollte.

***

Dies ist Deine zweite Ausstellung in der Bourouina Gallery. Deine letzte Ausstellung bestand aus einer Serie von großformatigen Aquarellen und Ölbildern, die von Tattoos inspiriert waren. Was hat Deine neueren Werke inspiriert?

Wie du richtig sagst, war die letzte Serie von Tattoos inspiriert. Die Bilder waren bis zu 5 Meter breit und so gehängt, dass der Betrachter in sie eintauchen konnte. Wie bei Monets Wasserlilien.

Davor habe ich Radierungen und Keramikarbeiten gemacht, um dem zumindest bei meiner Arbeitsweise sehr langsamen Prozess des Malens mit Öl entgegenzuwirken. Die Aquarelle waren dabei eine Freisetzung überschüssiger Energie, Motive und Bilder die ich aus meinem System kriegen musste. Für diesen Zweck konnte ich Ölfarbe nicht nutzen, da sie zu langsam trocknet.

Daher habe ich damals entschieden, an einer Aquarell-Serie zu arbeiten.

Und die neueren Werke?

In dieser Serie sind alle Arbeiten mit Acryl gemalt, das alles vereint. Ich kann die Motive der großen Aquarelle und Keramiken verwenden, die Schnelle der Papierarbeiten nutzen und die Opazität der Ölfarben.

Also geht es nicht um das Referenzmaterial, Motive und Bilder, sondern um das Medium – Acryl?

Die Wahl der Farbe hat meinen künstlerischen Werkprozess und die Wahl meiner Motive befreit.

Also hast Du gänzlich aufgehört Ölfarbe zu benutzen?

Für den Moment, ja.

Arbeitest Du für gewöhnlich mit gefundenem Material: Emblemen, Tattoos oder Illustrationen? Kam Dir jemals in den Sinn, ganz abstrakt zu malen?

Ich benutze immer Referenzmaterial, das ist wirklich wichtig für mich und ich sammle Material von überall. Ich sehe Verbindungen und zeichne kleine Skizzen auf meinen Block, meistens mit Kugelschreiber. Das sind dann Vorlagen für Bilder.

Fallen die Bilder immer wie die Skizzen aus?

Die interessantesten Bilder sind immer die, die völlig anders werden.

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In deiner Malerei scheint es eine gewisse Ordnung zu geben. Man kann deutlich eine linke und eine rechte Seite sehen, beinahe wie ein Raster, welches das Bild komponiert, ausbalanciert, wirken lässt.

Wichtig ist für meine künstlerische Entwicklung, dass ich ein Jahr am Grafik-Fachbereich der Akademie in Kopenhagen verbracht habe. Dort habe ich gelernt, eine Komposition zu arrangieren, und ich glaube, diese neuen Werke zeigen das...

Die Bilder, die Du benutzt, egal ob das Emblem eines Fallschirms, ein schwarzer Panther, Mann oder Frau, ein Tattoo mit “follow’ darauf geschrieben, haben alle eine bestimmte Bedeutung. Beziehst du dich auf diese Referenzen, um eine Geschichte zu erzählen, oder ist es die Form, die dich interessiert?

Im Grunde ist es eine Mischung. Von einigen Motiven benutze ich die Bedeutung, aber bei anderen interessiert mich nur die Form oder die Gestalt.

Gibt es eine tiefere Bedeutung in jedem Werk?

Meine Gemälde sind fragmentiert. Es gibt keine übergreifende Botschaft. Ich möchte ein Gemälde schaffen, keine Botschaft vermitteln.

Für wen malst Du?

Für mich selbst. Ich beabsichtige nicht irgendjemanden von irgendetwas zu überzeugen. Aber ich selbst brauche einen Spiegel, eine Reflexion. Das Bild muss zurückprallen. Meine Gemälde sollen als Bilder funktionieren, sonst nichts. Natürlich kann der Betrachter die verschiedenen Bedeutungsebenen zerlegen, aber ich flechte keine Botschaft in meine Werke, damit andere sie finden.

Jedes Werk sollte eine Harmonie von Farbe und Form sein?

Farbe und Form, genau. Sonst nichts.

Was sind deine Quellen?

Zeitschriften, Bücher oder das Internet und manchmal funktioniert ein Bild als Inspirationsquelle für andere Bilder.

Für das nächste Bild, oder auch Teile davon für das Gemälde selbst?

Beides.

Und Du arbeitest in Serien?

Nun ja, nicht streng genommen. Mein Ausgangspunkt ist, dass ich versuche jedes Bild individuell zu malen. Ich habe Vorbehalte gegenüber der Produktion von Serien, da die Werke dazu neigen sich zu ähneln. In einer Ausstellung möchte ich vermeiden, dass die Bilder zu abhängig voneinander werden. Ich produziere sie im gleichen Zeitraum, dann lasse ich sie zusammen arbeiten, aber ich möchte, dass sie ihre Individualität behalten.

Jetzt gerade lehnen in Deinem Atelier zwei Bilder gegen die Wand. Benutzt Du sie als Inspiration für einander, indem sie nebeneinander stehen?

Ich versuche meinen Arbeitsplatz sauber zu halten. Normalerweise sind alle Bilder weggeräumt, bevor ich mit einer neuen Arbeit beginne. Ich mag es, wenn mein Blickfeld ungestört ist. Ich möchte mich auf ein Bild konzentrieren. Ich brauche die Individualität im Prozess. Anderenfalls frage ich mich bei jedem einzelnen Bild, ob es fertig ist.

Du machst Dir Sorgen, ob ein Bild fertig ist?

Wenn andere Bilder herumstehen, kann es passieren, dass ich bewusst versuche, das neue Bild in dem Maße zu vervollständigen, wie das Vorangegangene, was dazu führen würde, dass ich eine lasche Kopie des vorherigen Bildes schaffen würde.

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Führt dich das in Versuchung, etwas am alten Bild ändern zu wollen?

Nein.

Würdest du von einem Bild zum anderen wechseln? Würdest du an zwei Werken gleichzeitig arbeiten?

Nein, definitiv nicht.

Wenn ein Bild fertig ist, ist es fertig?

Ja.

Wie entscheidest du das?

Ich weiß es einfach. Es ist ein Gefühl. Ich sehe es.

Ich kann Spuren von Lowbrow Art in deiner Kunst entdecken: Die Tattoos, die Schriftzüge und eine gewisse Grobheit. Welche Künstler haben dich beeinflusst?

Es ist offensichtlich, dass Lowbrow Art einen Einfluss hat. Ich mag die raue Art von Handgemachtem, das ohne große Fertigkeiten erschaffen wurde. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit von Malcolm Morley. Ich mag die Art und Weise, wie er die Spontanität eines kleinen Aquarells auf eine große Leinwand transportiert. Das ist kein einfaches Unterfangen ist. Obwohl viele meiner Leinwände rau und wild aussehen, sind einige Motive in klein gemalt und dann auf die Leinwand projiziert.

Aber deine Arbeit ähnelt nicht erkennbar der von Malcolm Morley.

Nun ja, ich male nicht wie er und ich versuche auch nicht, ihn zu imitieren.

Also integrierst du gewisse Elemente seiner Arbeitsweise in deinen Arbeitsprozess?

Ja.

Ich sehe deutlich auch Spuren der Pop Art…

Sicher. Andy Warhol war auch ein wichtiger Einfluss für mich.

Deine letzte Serie war sehr gegenständlich, wohingegen die neueren Werke deutlich abstrakter sind. Ich sehe hier viel mehr übermalte Schichten, während in den Aquarellen die Schichten sichtbar blieben, denn die Farbe war durchscheinend.

Das ist richtig.

Durch den Einsatz von Acrylfarbe hast du die Möglichkeit, etwas zu übermalen. Mit Wasserfarben ist dies nicht so einfach.

Es ist nahezu unmöglich.

Offensichtlich ändert dies etwas. Erzähl‘ mir davon.

Wenn du einen Pinselstrich mit Ölfarbe machst, sieht die Farbe auf der Leinwand stumpf aus, also musst du einige Male darüber malen, um einen Körper hineinzubekommen. Wenn du einen Pinselstrich mit Aquarellfarbe auf Papier machst, hat es sofort eine Frische die ich wirklich gern mag. Meine neuen Acrylarbeiten haben auch eine Frische in der Pinselführung, so dass ich nicht jeden Pinselstrich mehrmals wiederholen muss. Die Tattoo-Bilder befassten sich hauptsächlich mit Volumen. Die Motive und Figuren hatten schattierte Ränder. Die neuen Acrylarbeiten versuchen nicht, Tiefe oder Form zu schaffen. Ich versuche, keine Illusion von Raum zu erzeugen. Die Gemälde sind flach, aber Tiefe entsteht durch die verschiedenen Schichten und die verschiedenen Motiven, die überlappen.

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Da Acrylfarbe deutlich weniger transparent ist, neigt man dazu seine Arbeitsschritte zu verdecken. Etwas das Du gemalt hast, ist einfach zu übermalen, wohingegen Deine Aquarelle sehr ehrlich und offen sind. Fühlst Du Dich ungeschützter, wenn Du mit Wasserfarbe malst?

Ich finde die Arbeit mit Acrylfarbe offener, da ich hier mehr von mir selbst vermitteln kann.

Aber du versteckst viel.

Ich finde so kann ich meine Idee schneller auf die Leinwand bringen. Das ist ein sehr befreiender Prozess.

Also malst du jede Schicht sehr schnell?

Die Schichten trocknen sehr schnell und das ist ein wichtiger Punkt für mich.

Nichtsdestotrotz gibt es immer noch die Vorbereitungszeit. Du sagtest, dass die Unmittelbarkeit wichtig sei, aber ein Emblem auf die Leinwand zu übertragen ist zeitaufwendig. Was machst du in der Zeit? Fragst du Dich, ob das Bild ein gutes oder schlechtes ist? Würdest Du Dich gern von der Zeit befreien können und einfach Farbe auf die rohe Leinwand spritzen?

Nein, denn ich behalte gern die Kontrolle. Bis zu einem gewissen Grad vertraue ich auf Zufall, aber eine sehr kontrollierte Form von Zufall. Ich bin sehr überlegt in allem, was ich tue, daher unterstützt die Vorbereitungszeit für mich den Malprozess.

Deine Aquarelle waren sehr horizontal, sie waren sehr groß und hatten ein ungewöhnliches Format. Deine aktuelle Serie beinhaltet auch einige sehr großformatige Werke. Warum brauchst Du diese Größe?

Gute Frage. Ich möchte maximalen Stand, um maximale Kraft zu zeigen.

Verspürst Du ab und an den Drang nach einem radikalen Kurswechsel – z.B.Video- oder Konzeptkunst?

Nicht wirklich, aber böte sich mir die Möglichkeit, drehte ich einen Film. Aber nicht konzeptueller als das, was ich ohnehin jetzt schon tue.

Es scheint, dass Du in deiner Arbeit recht ruhelos bist. Du wechselst zwischen verschiedenen Medien, von Aquarellen zu Radierungen, Ölfarbe zu Acryl. Du hast sogar einige Künstlerbücher gestaltet.

Die verschiedenen Dinge befruchten einander. Ich habe immer überschüssige Energie, Motive und Sachen die ich ausprobieren will, deshalb wechsle ich oft die Gattungen.

Allgemein scheint Geschwindigkeit eine wichtige Rolle zu spielen: Die Geschwindigkeit mit der Du ein Werk vollenden kannst.

Ja. Ich mag es dynamisch, jedes Werk hat seine eigene Dynamik und braucht vollste Konzentration. Es muss in einem Wurf fertig gestellt werden.

erstmals veröffentlicht in:

Follow You Follow Me, Ausstellungskatalog, hrsg. / ed. Bourouina Gallery, Berlin 2011

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Kay Heymer

Matrosen und Gefangene

Es geht also immer noch. Nach den zuletzt immer schneller aufeinander folgenden Wellen einander abwechselnder malerischer Fülle und malerischer Askese erscheint hier wieder ein figürlicher Maler und demonstriert voller Kraft und Ideenreichtum, dass das letzte Bild wohl nie gemalt werden wird und dass die Malerei ihre Fähigkeit zur Selbsterneuerung nicht verlieren wird.

Die Bildwelt von Adam Saks ist erfüllt von zahllosen funkelnden Details, vertrauten und fremden Motiven, die an Kindheitserlebnisse und Abenteuer denken lassen. Hier ist wieder ein Maler zu entdecken, der auf die Wirkung von Erzählungen vertraut und sich nicht in reinen Formalismen erschöpft.

Die eigenwillige Bildsprache von Adam Saks ruft ungewöhnliche Verbündete und Vorbilder ins Gedächtnis – Seeleute und Gefangene, Außenseiter der Gesellschaft, romantische Eskapisten, Menschen voller Sehnsucht nach exotischen Entdeckungen und Erlebnissen, Unangepaßte, Träumer, Visionäre und Phantasten.

Zu seinen Lieblingsmotiven gehören Tätowierungen – aus einer Zeit und aus einem sozialen Umfeld, in dem Tätowierungen nicht bloßer Körperdekor war, sondern Kommunikationsmittel und persönlichster Besitz. Hans Prinzhorns zweitwichtigstes Buch Bildnerei der Gefangenen (1926) handelt von derartigen, rohen aber unverfälschten Bildern.

Die Sympathie des Malers gilt den Außenseitern, einfachen Menschen, Heranwachsenden und ihrer Phantasie. Seine Zeichnungen feiern die Intensität des Lebens, in dem Schönheit und Hässlichkeit, Freude und Schmerz, Sex und Tod nur Augenblicke sind. David Hockney hat mir einmal erzählt, er langweile sich nie. Er könne auch in eine leere Zimmerecke schauen und dabei etwas Interessantes entdecken, das sich zu schildern lohnt. Die Zeichnungen von Adam Saks sind leidenschaftlich und bunt genug, um diese Behauptung zu belegen.

Die Zeichnungen von Adam Saks sind in unserer postmedialen Zeit entstanden, gemacht von einem Künstler, der im Zeitalter des Zappens und der Verfügbarkeit der vielseitigsten Informationen durch das Internet aufgewachsen ist. Dennoch sind diese Buntstiftzeichnungen so elementar und direkt, dass sie im Vergleich zu den technischen Bildern in elektrisch erleuchteten Glaskisten (die gerade aussterben) oder flatscreens (die den Stand der Technik repräsentieren) archaisch wirken. Sie stehen ein für eine heute seltene, aber unverzichtbare Fähigkeit zur Konzentration, zu genauer Beobachtung und Langsamkeit.

Schon das 20. Jahrhundert, von dem wir uns im unumkehrbaren Lauf der Zeit immer weiter entfernen, war eine zerrissene Zeit, in der die Welt zerbrach, der große Zusammenhang verloren

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ging und nicht zuletzt angesichts der Katastrophen und Zerstörungen der Weltkriege und Herrschaftsdiktaturen die Künstler die Collage erfinden mussten, um einen angemessenen Ausdruck für diese bruchstückhafte Wirklichkeit zu finden.

Die Moderne hat Trümmer hinterlassen. Unsere Zeit ist immer noch mit dem Auflesen dieser Trümmer befasst. Da allerdings die Entfernungen geschrumpft sind und die Zentren verloren gingen, kann man nun überall anfangen, und das Exotische findet sich auch ganz in der Nähe.

Das Exotische ist eigentlich das Lebendige. Adam Saks zeichnet es auf, wo er es findet.

Ihn hat die Leichtigkeit und Schnelligkeit der Bilder von Malcolm Morley interessiert und geprägt – ein englischer Künstler, der auch zur See gefahren ist, und dessen kaleidoskopisch reiche Bildwelt fasziniert. Morleys großformatige Gemälde basieren oft auf Aquarellen, die minutiös vergrößert wurden, ohne ihre Frische und Unmittelbarkeit zu verlieren. Adam Saks erreicht Ähnliches in seinen Bildern und Zeichnungen.

Die Quellen seiner Zeichnungen sind äußerst vielseitig, reichen von Fernsehbildern und Fotos zu unmittelbarer Naturbeobachtung. Die Motive sind zum Teil exotisch – Tikis und Tattoos – und zum Teil vertraut banal. Inhaltlich zerrissen und unvereinbar scheinend bindet er seine Motive formal und über eine eigenwillig leuchtende Farbigkeit zusammen. Sie repräsentieren Saks’ Welt.

Das macht seine Arbeiten erkennbar, verleiht ihnen Identität.

Mich erinnern Adam Saks’ Buntstiftzeichnungen an die Briefe des amerikanischen Ex-Matrosen, Ex-Akrobaten, Schreiners und Bildhauers H. C. Westermann. Westermann erzählt in seinen gezeichneten Dramen von seiner Zeit als Seemann im Zweiten Weltkrieg, er berichtet über Leid, Tod und Sex mit einem anrührenden Humor und einer schockierenden Drastik, die auch heute noch – 50 Jahre später – unverbraucht und ansteckend wirkt.

Saks’ Zeichnungen teilen die Unverbrauchtheit und Frische mit Westermanns Blättern. Es ist jedoch nicht klar, ob Adam Saks von wirklichen Ereignissen erzählt oder ob seine Stimmungsbilder frei erfunden sind. Seine Zeichnungen stellen flexible Räume dar, in denen unterschiedliche Momente und Situationen erscheinen, die von jedem Betrachter anders kombiniert werden können. Adam Saks präsentiert Bausteine für Geschichten, zusammensetzen kann sie jeder selbst.

Ich glaube, dass die Zeichnungen von Adam Saks haltbar sein werden. Sie kreisen nicht nur um ihre eigene Gegenwart, sondern greifen weit zurück in die Geschichte der Bilder. Das hebt sie aus der unmittelbaren Gegenwart heraus. Sie werden nicht altern. Sie werden dank ihrer Primitivität auch niemals technologisch veralten können. Solange es an Kunst interessierte Betrachter gibt, werden sie aktuell bleiben können.

erstmals veröffentlicht in:

Sea Level, hrsg. / ed. Josef Kleinheinrich, Buchkunst Kleinheinrich, Münster 2009

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Bernd Koberling

Legionäre der Farbe

Neugierde trieb mich, Adam nach den Ektas zu fragen, die er mir 1996 nach Berlin schickte, um sich zu bewerben. Als ich sie wiedersah, überraschten sie mich durch ihre Präsenz und Klarheit.

Das eisige Blau und die Ockerwärme könnten einem Aquarell von heute entsprungen sein. Ist es möglich, dass jedes neue gute Bild, das ein Maler erschafft, die alten in einem besseren Licht erscheinen lässt – und natürlich auch umgekehrt? Adams frühe Arbeiten waren mir leichter, weicher und atmosphärischer in Erinnerung geblieben. Damals war ich beeindruckt, mit welcher Konsequenz er einen formalen Gedanken in einer Serie von 24 Bildern fantasievoll zu gestalten vermochte. Well, die einen haben es, die anderen nicht. Dann kam ein höflicher junger Mann aus der dänischen Hauptstadt, um sich vorzustellen. Entschieden hatte ich sowieso, ihn in meine Klasse aufzunehmen.

Nach reiflicher Zeit des Überlegens und unzusammenhängender Schreib- oder schreibender Deutungsversuche weiß ich jetzt, was sagbar ist und was nicht, auch, was ich nicht erklären kann, aber verstehe. Diesen Text will ich jetzt durchschreiben ohne viel wenn und aber.

Auch beim Malen muss jeder Pinselstrich sitzen. Dinge wollen besonnen überlegt sein, aber im Moment der Entscheidung schlägt der Pfau mit Souveränität sein großes, violettes Rad. Ohne die Farbe Violett wären Adams Aquarelle dem Ende aller Dinge nicht so nahe.

Auf einem langen Tisch liegen Postkarten, große Fotoabzüge der Aquarelle ausgebreitet. In den letzten Tagen sind sie zu guten Bekannten geworden, und ich habe sie zu Gruppen mit formaler, farbiger und inhaltlicher Zuordnung sortiert. Dabei entdeckte ich hinreißende Pärchen, Quartette, manche blieben besonders schöne Singles, für andere ließ sich beim besten Willen die vierte Karte nicht finden. Ja, denke ich immer wieder, in dieser Form wird die ganze Gruppe zu einer großen Geschichte, die keinen Anfang und kein Ende zu kennen scheint – ein Traumkartenspiel, bei dessen Entstehungsgeschichte viel Wasser in und aus dem Pinsel und viel Blut durch die Adern geflossen sein muss.

Es ist höchste Zeit, weiter zu schreiben, noch zögere ich und betrachte die Fotos und denke über den absoluten Unfrieden unseres Planeten nach. Seine Insassen, in ihrer ungestillten Sehnsucht, werden erbarmungslos verraten und verkauft.

Die hochglänzenden Bildoberflächen der Fotos scheinen sich plötzlich in gefährlich- schimmernde chemische Substanzen zu verwandeln. Zum Schreibtisch fliehend, höre ich ihre betörenden Stimmen, „Spiel mit uns, spiele mit uns, bitte lass uns nicht allein“. Benommen sitze ich am Schreibtisch, in meiner linken Hand halte ich drei Karten. Die Neonbeleuchtung hat zu Summen aufgehört, das Atmen fällt mir schwer. Wie abwesend betrachte ich das Spiel: Der kleine Fremdenlegionär auf der einen rührt die Trommel, oder hält er vielleicht doch einen Pinsel und die Trommel ist ein Bild ... mit dem Violett seiner Uniform überlebt er keinen Kampf, man würde ihn abschießen wie einen goldenen Hasen. Bei der anderen Karte kann ich nur dem Blau am unteren Rand vertrauen. Beim Betrachten der dritten Karte kehrt langsam wieder der Atem in meinen Körper zurück. Ich will zu Schreiben beginnen, aber eine eiserne Hand hält meinen Stift

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fest – feinste Farbpartikel rieseln aus dem Schmetterlingsflügel der tätowierten Brust des Mannes auf mein weißes Blatt Papier. Wie von selbst entstehen Buchstaben und ich erkenne das Wort

„Papillon“, die Gesichter von Steve McQueen und Dustin Hoffmann erscheinen in einer unwirklichen Farbigkeit.

Die wundersame Farbvision ist verschwunden, die drei Bildkarten befinden sich nicht mehr in meiner Hand, nur der Stift kratzt leise über das Papier. Ich bin allein mit dem weißen Blatt.

Ein klarer, blauer Morgenhimmel scheint über Berlin, und ich empfinde ein tiefes, blaues Wasserfarbenmeer. Ich muss an Island denken: Matrosen gekleidet, wie man Seeleute früher erkannte, überqueren einen kleinen Platz. Sie tragen einen schweren Anker mit einer langen Kette auf den Schultern. In der Ferne hält ein dreimastiges Segelschiff auf mich Kurs.

Adam erschafft sich malend ein Nachtsichtglas, um geheimnisvolle und nachdenkliche Bilder aus der Finsternis des Vergessens lebendig zu halten und um sie in Malerei zu verwandeln.

Adam besucht mich oft in meinem Atelier, ich besuche ihn, wenn neue Bilder da sind oder kurz bevor sie sein Atelier verlassen. Er arbeitet am Tag, ich in der Nacht. Nach getaner Arbeit kommt er gerne für eine Stunde oder zwei auf einen Tee. Ein Kuchenstück hat er immer, oft etwas zu zeigen dabei – mal ist es der Entwurf für den Umschlag einer Kunstzeitschrift, mal eine neue Graphik oder ein gerade entstandenes Künstlerbuch.

Adam ist ein ungewöhnlicher Arbeiter, er verfügt über eine ruhige Disziplin und ist völlig unprätentiös im Herstellen seiner Dinge. Er hat einen klaren, guten Kopf. Seine Kommentare zu meinen Bildern sind mir wichtig, ich bitte ihn oft darum. Unsere Freundschaft ist mit der Kunst verwurzelt, mit der Malerei und allen Themen und Unwägbarkeiten, die mit dem ästhetischen Leben verbunden sind. Ich liebe seinen Humor, sein Lachen ist das eines Fauns. Was die Menschen aneinander mögen hat mit der Ratio des braven Erklärens nichts zu tun – es leidet die Liebe und auch die Malerei.

Lass‘ eine Idee sein, wie sie will – wer die Abertausende und Millionen von Farbpartikeln, die auf einem Papierbogen im Sog des Wassers gebunden mit Gummiarabicum, Glyzerin, Honig und Ochsengalle zusammenfließen nicht mitempfindet, kann leicht ästhetischen Schiffbruch erleiden.

Stellt man sein Aquarell schräg auf, um überschüssiges Farbwasser mit einem saugfähigem Pinsel abzunehmen, kann es passieren, dass ein Ozean in eine schiefe Lage gerät und ganze Kontinente versinken.

Brachiale Gewalt und größtes Zartgefühl kennzeichnet die Sensibilität des wahren Abenteurers der Farbe. Im unfassbar Großen und dem fast Unsichtbaren offenbart sich ein universelles Schicksal – selbst auf einem Stück Papier. So reden wir, so sind unsere Diskussionen.

Ein Projekt, den gemeinsamen Marsch von meinem Kreuzberger Atelier zur Paris Bar in Charlottenburg haben wir immer noch vor uns. Gut, dass Adam nicht locker lässt. Beim Gedanken an Charlottenburg fällt mir plötzlich auf, dass Adam heute dort wohnt, wo einst meine Wiege stand, wo ich meine ersten Gehversuche machte, in unmittelbarerer Nähe zum Savignyplatz. Langsam begannen 1941die Bomben auf Berlin zu fallen. Mit meiner Mutter zog ich gen Osten zu Verwandten aufs Land ins Oderbruch. Im Februar 1945 flohen wir vor den Russen zurück nach Berlin. Die Sirenen heulten, die Bomben fielen. Mit der Großmutter rannte ich den nächstliegenden Luftschutzkeller. Um uns herum schien alles zu explodieren, ein ohrenbetäubendes Donnern, der Keller wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Die Wände standen schräg, vor Staub war nichts zu sehen. Die Luft wurde wieder klar, die dumpfe Angst blieb.

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Im Sommer 1959 sitze ich im Zug nach Schwedisch-Lappland. In Berlin waren die Spuren des Krieges noch längst nicht überwunden, der Schaden an den Menschen und ihrer Stadt war unermesslich. Wo einst ein Mittelpunkt des europäischen Lebens, sprangen jetzt wilde Kaninchen durch das Unkraut und die Leere der Sandwüste des Potsdamer Platzes. Morgens erreichte ich Stockholm und besuchte das Moderna Museet. In der Abenddämmerung bestieg ich den Zug nach Gällivare. Es wurde nicht mehr dunkel. Der Raum weitete sich, zum ersten mal sah ich Natur in ihrer Ursprünglichkeit. Immer erscheint mir diese Reise nach Lappland wie die Konstruktion eines unbekannten Glücks.

Auf der Teufelsinsel in Französisch-Guyana, beobachtet ein weißhaariger, früh gealterter Mann mit einem tätowierten Schmetterling auf seiner Brust aufmerksam den Rhythmus der Wellen. Aus mit Kokosnüssen gefüllten Säcken baut er zwei Flöße. Der Zeitpunkt der Flucht ist gekommen.

Dega zögert: „Du wirst sterben, Papillon!“. Die Freunde umarmen sich beim Abschied. Papillon springt, ein wahnsinniger Fall, in die sich brechende Brandung. Auf dem Floss mit Armen und Beinen rudern, erreicht er das offene Meer und treibt in die Freiheit.

erstmals veröffentlicht in:

Lonestar, Ausstellungskatalog, hrsg. / ed. Nordiska Akvarellmuseet, Skärhamn 2009

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Christian Malycha Sacré Nom de Dieu, Adam Saks ...

Geographers in Afric maps With savage pictures fill their gaps and over inhabitable downs place elephants for wants of towns ...

Jonathan Swift

Wie manch sich in fantastischen Ausschmückungen ergehender Landvermesser ist Adam Saks ein großer Bildermesser. Mit ausufernder Begeisterung lässt er sich durch Reiseberichte, exotische Naturalienkabinette, Heraldik- und Emblematakompendien, billige Comics oder Tätowiermagazine treiben, ja, er hat sogar selbst eine beachtliche Sammlung nautischer und militärischer Devotionalien zusammengetragen. Denn wie in vergangenen Zeiten unerforschte und zumeist unerreichbare Fernen in der Vorstellung wehmütig verschrobene Sehnsuchtsblüten austrieben1, so vermögen es die mitgebrachten und oftmals rätselhaft verschlossenen Reisesouvenire wie die übriggebliebenen Ausstaffierungen der ausgefahrenen Abenteurer – Orden und andere Habseligkeiten –, noch immer fantastische Funken zu schlagen. Bewahren sie doch, bei allem, was man über die Welt zu wissen meint, einen verlockend unausgefüllten Rest an Mysteriösem, der alles Mögliche sein könnte.

Saks’ Bilder und Papierarbeiten nun sind getragen von ebensolchen Möglichkeitsformen, sind abseitig und in schönster Haltlosigkeit angefüllt mit fremdvertrauten Land- und Küstenstrichen, derber Seemannsromantik, Tieren und grotesken Chimären, Schiffchen, verschlungenen Wappen und Schriftfetzen. Bei all dem handelt es sich trotzdem nicht um nostalgische Veduten. Die vermeintlichen Sehnsuchtsorte sind reine Bildorte, nahezu psychedelisch aufgefaltete Kaleidoskope voll Schauder und Schrecken. Zur topografischen Verunsicherung tritt eine ungleich größere Dislokation, denn der Bezug von Welt und Bild ist zutiefst fragwürdig geworden, zwischen beiden klafft ein unüberwindbarer Riss. So wie man meint, ist es nicht.

Saks lässt seine Bilder aus einer eindeutig voranschreitenden Narration herausfallen. Er verstümmelt und zerschichtet seine Motive zugunsten eines diskontinuierlichen und exzentrisch kreisenden Bildgeschehens, der unsteten Zwischenzeit eines überbordenden ‚entweder und oder’, in welcher alles mit allem und jedes mit jedem zusammengeht oder dies zumindest könnte.

Handgemalt und mit eindringlichem Gespür für die Fülle der Farbmaterie besitzen die Bilder zudem unterschiedlichste Strichgeschwindigkeiten aufwogend und drängend in den harsch

1 Dazu Joseph Conrad „Herz der Finsternis“, Frankfurt am Main 1996, S. 15: „Schon als kleiner Junge hatte ich eine Leidenschaft für Karten. Stundenlang guckte ich mir Südamerika oder Afrika oder Australien an und verlor mich in all den Herrlichkeiten der Entdeckungen. Damals gab es viele weiße Flecke auf der Erde, und wenn ich einen besonders verlockenden sah (aber verlockend sind sie alle), legte ich einen Finger darauf und sagte: Wenn ich groß bin, gehe ich dorthin.“

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vorgetragenen und grob zermalten Partien, ruhig daliegend in den sanft umstrichenen und gefassten. In diesem gegenstrebigen Aufeinanderprall von Stau und Schub, Setzung und Entsetzung, pausierender Suspenz und unruhigem Losbrechen bestehen sie so zuvorderst aus Motivbruch, der malerisch collagiert gewaltsam gegen- und ineinandergestrichen wird.

Gegen eine allzu vordringliche Buchstäblichkeit erzeugt Saks einen verheerenden „‚logical conflict’ [...] by dissipating their sense under a multiplicity of associations“2. Mit ornamentaler Besessenheit zerfleckt und vertupft er Motive wie Motivbedeutung, Parolen und Gestalten, lässt sie mit bildnerisch lautem Tumult auseinander driften, umher taumeln oder zerdehnt sie zu fledderigen Bändern, die sich in rauschenden Turbulenzen um-, bisweilen sogar selbst verschlingen. Sind seine Bilder, wenn schon nicht karnivor, doch zumindest ‚motivor’.

Im Zauder – mit einem Fuß auf See und einem an Land – halten sich Bilder wie SKINNED

STRANDED und SANS PITIÉ. Beständig hin- und hergerissen, abenteuern sie, liefern sich den lauernden Gefahren aus und scheinen doch gleichsam vor dem, was sie zeigen, zurückzuweichen.

Gerahmt von schartigen Felsen geben sie den Blick auf vom Pinselstrich wie mit Schnitten in den Farbkörper zerklüftete Fjorde oder Sunde frei, in welchen hingezeichnete Schiffe zerschellen, oder aber auf eine kleine, klippenumsäumte Anhöhe, auf der ein junger Matrose mit neckischem Käppchen und weißblaugestreiftem Leibchen an ein übermäßiges Kreuz geschlagen ist.

Anheimelnde Exotismen finden sich an diesen verkommenen Ufern keineswegs, unwirtlich und feindlich richten sich die Bilder auf.

Bestürzt stellt man über den unstimmigen Proportionen und entglittenen Orientierungen fest, dass Saks das gesamte Bild einem ‚Zauder der Form’ aussetzt. Der Blick wird gleich dem zerbrochenen Motivplunder inmitten der rauen Bildelemente umhergeworfen wie Treibgut, strandet bald hier, bald anderswo. Gnadenlos bindet sich naiver Wagemut an ermarterte Demut3, selbst die heilverheißenden Leuchttürme und das hochragende, felsumkränzte Kreuz verkehren sich in Schreckenssymbole, die alles andere als Erlösung bringen. Geradeso, wie Kant mit amüsiertem Schauder schrieb, dass „das Land der Wahrheit (ein reizender Name), umgeben [ist]

von einem weiten und stürmischen Oceane, dem eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank und manches bald wegschmelzende Eis neue Länder lügt und, indem es den auf Entdeckungen herumschwärmenden Seefahrer unaufhörlich mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn in Abenteuer verflechtet, von denen er niemals ablassen und sie doch auch niemals zu Ende bringen kann.“4

Die Natur, verkörpert etwa von einem bedrohlich stolzen Adler, hat sich vom Menschen abgewandt, gefahrvoll fügen sich Weltbild und Welt nicht länger und selbst ein noch so kultivierter Mensch passt nicht mehr in dieselbe. Über all diesem schweben in hartem Kontrast herausgemalte Augen, göttlich entrückte ‚alles sehende Augen’, mitunter nur wie die Schriftfetzen eingestreute ‚Rockeyes’ oder aber auch Albertis ‚fliegendes Auge’5, die bestürzungslos auf das Geschehen blicken und gleichermaßen dessen unentrinnbare Fatalität wie den bildnerischen Fatalismus, mit welchem Saks es soweit kommen lässt, in kindlich extravaganter Einfachheit offenbaren.

2 William Empson „Seven Types of Ambiguity“, New York 1966, S. 234.

3 Etwa Patrick Villiers ‚Abenteurer und Angestellte. Zur Geschichte der Freibeuterei’, in „Freibeuter.

Vierteljahreszeitschrift für Kultur und Politik“, Nr. 25 (Freibeuterei), herausgegeben von Klaus Wagenbach u.a., Berlin 1985, S. 58.

4 Immanuel Kant „Kritik der reinen Vernunft; Band 1“, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1974, S. 267-268.

5 Siehe beispielsweise Michael Baxandall ‚Alberti’s Cast of the Mind’, in „Words for Pictures. Seven papers on Renaissance Art and Criticism”, London 2003, S. 29; von John Badhams Film „Das fliegende Auge“ („Blue Thunder“) 1983 mit Roy Scheider und Malcolm McDowell ganz zu schweigen.

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Doch nicht nur den ‚Oceane’, auch die Wüste mit ihren gleißenden Trugbildern enthüllt Saks auf

ENTRÉ COMME UN MOUTON, SORTI COMME UN LION als ‚Sitze des Scheins’. Mitten ins karge Nichts der Leinwand hat er ein Stück Landschaft gestellt. Kulissenhaft tut sich dieses wüste Land entlang einer wittrig schroffen Bastionsmauer auf, die als sperrender Riegel Bild und Blick davon bewahrt, rücklings über die Horizontkante in noch unbekanntere Tiefe zu stürzen. Ihr wuchtiges Portal krönen zwei bullenhufige Türme, welche der fordernden, in umkritzelten Schriftblasen prangenden Losung, ‚als Schaf ein- und als Löwe auszutreten’, spürbare Vehemenz verleihen und die sprichwörtliche Scheidewegssituation umso machtvoller herausstellen.

Bei aller massiven Präsenz hält sich das Bild in einem steten Hin-und-Wider. Orientierungsfern schwebt es wie die beiden herbeigerufenen Dämonenkatzen, die wohl entfernte Verwandte von Lewis Carrolls sich in Einem fortlächelnder Cheshire-Katze sein mögen, auf der Schwelle dieser malerischen Initiation. Jedwedes Ding erscheint als Paar. Diese Dopplung, leicht verrutscht oder verzogen, bringt für die Betrachtung allerdings keine spiegelhaft symmetrische Sicherheit. Es ist eine asymmetrische Balance, mit welcher Saks zwar keine endgültigen Entscheidungen zu-, doch alle Arten von Scheidungen, weiß verschlierenden Verzweigungen oder Konfrontationen freilässt: so etwa vor spitz getürmtem Felsengesteck die – mit einiger Psychedelie zu einem Wappen verschlungene – einträchtige Zwietracht von Sombreromexikaner und Schlange.

Saks setzt sämtliche seiner Bilder und somit auch den Betrachter mit großer Lust und Gewalt solch’ sich nicht lösenden Übergangsphänomenen aus, wo alle Wege überall hin führen könnten und dennoch immer wieder auf sich selbst zurückfallen. Auch RF lässt er diese bildnerischen ‚rites de passage’ durchexerzieren, jedoch bekommt die ganze Szenerie etwas Unheimliches. Man ahnt eine unterschwellige Gefahr, weiß man doch nicht, ob der Übertritt nun Schutz verspricht oder sich lauernd hinter dieser Initiation etwas weitaus Grauenvolleres verbirgt. Das Bild verschließt sich indes selbst. Ein irgendwie durch Obelisk, Fremdenlegionswappen oder Schranke angedeuteter Durchgang mag noch so offen vor Augen stehen, gleichwohl bleibt diese Passage unpassierbar. Vom Motivplunder wird sie verstellt und selbst die Katzenköpfe reihen sich wie zwei Fetische mit noch strahlenderem Grinsen darin ein. Das Bild verschließt sich, um sich um keinen Preis geschwätzig oder leichtfertig aufzugeben.

In schrundiger Unnahbarkeit ragen so auch die Felsen auf SANS PITIÉ und werfen sich im selben Augenblick mit amorphorganischen Auswüchsen zu zwei Löwen in wildem Sprung und einem Elefanten auf, ohne dass Gestein und Getier voneinander zu scheiden wären. Ausladend reißt die ungehemmte Farbmaterie die Fläche auf, drängt bedrohlich nah an die äußersten Grenzen des Bildes. Saks kehrt die übliche Blickrichtung gewissermaßen um. Denn indem er das Bild aggressiv den Betrachter angehen lässt, weicht dieser unwillkürlich vom Bild zurück. Zur Beruhigung aber gibt es zwar kein Feuerland und auch keine Langhalsgiraffen, dafür aber ‚Heia, Safari’ in Gestalt einer mentalen Projektionsnische rechts unten, wo, in gelenker Ungelenkheit hingezeichnet, zwischen hübsch gerüschten Palmen ein Jäger auf bezähmtem Elefanten dabei ist, einen wehrlosen Löwen zu erlegen, die Natur gewaltsam und mit visuell lautem ‚Puff!’ des Mündungsfeuers in ihre Schranken zu weisen. Fraglich bleibt in Beklemmung und Groteske, ob nun die Natur die Grausame ist oder nicht doch die kläglich sich überschätzende Selbstbehauptung des Menschen zerstörender wirkt.

Ein Entscheidungsdelirium, welches Saks in Papierarbeiten wie STRANDED SKINNED oder

KLEINE BLUME SCHMÜCKT noch taumelnder entfesselt. Abgewrackt stehen die Motivruinen als rohe Flecken auf porigem Grund, umrankt von ornamentalen Bändern, leichtsinnigen Girlanden und krude zerrenkten Schriftzügen. Die Worte mal groß, mal klein, mal laut, mal leise, mal in gewandtem Parlando, mal in stotternder Wiederholung gleiten, stocken oder springen dahin wie die Farbe und die kaskadengleichen Lineaturen. Bildnerisch bringt Saks die immens großen Blätter zum Zittern. Er entfacht eine nervöse Schwebe, welche selbst die Betrachtung erfasst.

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Und wie sich das Kindliche fortwährend an das Morbide kettet, so ist auch die ausgestellte Aggression eine doppelte.6 Wendet sie sich doch sowohl gegen alles Motivische, Bedeutsame, Erzählerische als auch mit verrissenem, geschlagenem, kratzendem und wühlendem Pinselstrich gegen das formal Malerische. So dass man inmitten des ganzen Aufruhrs froh um jedes weiße Loch und einen kurzen Moment der Ruhe ist, bevor einen die grazile Verkommenheit der vorgestellten Hafenkneipe mit leichtem leichten Mädchen und Heringsstilleben, Totenschädel, verruchten Revuegirls und Dämonen oder dem ans Kreuz geschlagenen aufseufzenden Matrosenbübchen hingerissen wird – ohne Halt, ohne Gott, der retten könnte, und auch ohne Meister.

Denn auf schimmerndem ‚Oceane’ oder in trügerischer Wüste besiegen die Bildfantasmen – Swifts ‚savage pictures’ – das Vernünftige. Gewaltig wie gewaltsam brechen sie sich Bahn, gnadenlos schrecken sie nicht einmal vor sich selbst zurück. Mit fataler Gelassenheit suchen sie die Vorstellungskraft heim, scheinen auf, vergehen und vergehen sich an sich. Motiv wandern und wandeln sich, verrutschen oder spiegeln sich, werden zermalt und zusammengestaucht, unentwegt aber von und zu Neuem ineinander gestrichen. Ruchlos gibt sich Adam Saks in seinen Bildern und ruchlos geben sich diese verschroben sperrigen, vernagelten, vollgepackten und anmutig bizarren Eskapaden.

erstmals veröffentlicht in:

Sacré Nom de Dieu!, Ausstellungskatalog, hrsg. / ed. Bourouina Gallery, Berlin 2009

6 Vergleiche Pierre Klossowski ’Das Androgyne in der sadianischen Repräsentation’, in “Lektüre zu de Sade“, herausgegeben von Bernhard Dieckmann und François Pescatore, Frankfurt am Main 1981, S. 113: “Das Perverse ist zugleich innen und außen. Wie das denn? Nicht zuerst, eigentlich gar nicht mittels der Gewalt, die bis zum Mord gehen kann, sondern durch die jedem gewalttätigen Akt vorangeschickte Imagination, d.h. durch das Primat des Imaginären über das Vernünftige.“

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