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Unsichtbare Sucht?

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Academic year: 2022

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EDITORIAL

ARS MEDICI 5 | 2018

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Lange Zeit galten Opioide bei chronischen Schmerzen als allerletztes Mittel, falls alle anderen Schmerzmedika- mente versagt hatten. Nur bei Krebspatienten im Endsta- dium war man weniger restriktiv. In allen anderen Fällen aber war die Furcht etlicher Ärztinnen und Ärzte gross, ihre Patienten durch eine Opioidverordnung geradewegs in die Sucht zu schicken. Schmerzmediziner, meist Anästhesisten oder Palliativmediziner, beklagten hingegen das unnötige Leiden der Patienten und betonten, dass die Suchtgefahr bei Beachtung bestimmter, recht einfacher Regeln gering sei. In den 1990er-Jahren verstärkte man dann in der Schweiz die Bemühungen, Opioide auch in der Therapie von Patienten mit chronischen, nicht krebsbedingten Schmer- zen zu etablieren.

Offenbar mit Erfolg, denn die Auswertung von Verord- nungsdaten der Helsana ergab für den Zeitraum von 2006 bis 2013 eine Steigerung des Gebrauchs starker Opioide um mehr als das Doppelte, nämlich 121 Prozent mehr Ver- ordnungen und einen um 117 Prozent gestiegenen Ver- brauch, ge messen in Morphinäquivalenten pro 100 000 Einwohner (1). Dieser Zuwachs sei hauptsächlich auf den vermehrten Gebrauch bei Patienten mit chronischen, nicht krebs bedingten Schmerzen zurückzuführen, heisst es dazu im Suchtpanorama Schweiz 2018 (2).

Schweizer Spitzenreiter bei den starken Opioiden war 2013 das Fentanyl (29% der verabreichten Morphinäquivalente), gefolgt von Buprenorophin (25%) und Oxycodon (21%).

Letzteres ist ein «Senkrechtstarter», denn der Oxycodon-

gebrauch stieg im Beobachtungszeitraum um sagenhafte 313 Prozent. Einen noch steileren Anstieg gab es zwar beim Methadon, dessen Anwendung in der Schmerztherapie aber in absoluten Zahlen nur von sehr selten auf selten stieg und hier nun gerade einmal 3 Prozent der verabreich- ten Morphinäquivalente ausmacht, gleichauf mit Hydro- morphon (3%) und noch weit unter Morphin (19%).

Vor gut zwanzig Jahren begann man auch in den USA, Opioide gegen chronische Schmerzen zu empfehlen, aller- dings in einem weitaus grösseren Ausmass als hierzulande und mithilfe äusserst fragwürdiger Marketingmassnahmen im US-amerikanischen Markt (3). Das Ergebnis: hundert- tausende von Abhängigen, zirka 50 000 Tote allein 2016 und als vorläufiger Höhepunkt die Verkündung eines «gesundheitspolitischen Notstands» durch Donald Trump im vergangenen Jahr.

In der Schweiz sei hingegen noch keine Zunahme von Sucht- problemen im Zusammenhang mit den Opioidmedikamen- ten festzustellen, und man deutet die stetige Steigerung des Opioidgebrauchs als verbesserte Schmerzbekämpfung (2).

Falls das tatsächlich so ist, wäre das eine gute Nachricht.

Ob das wirklich so ist, weiss aber leider niemand.

So sagte mir kürzlich ein Schweizer Suchtmediziner, dass es seiner Ansicht nach auch hierzulande ein Problem wegen der vermehrten Opioidverordnungen gebe. Dieses Sucht- problem werde bei uns nur nicht so offensichtlich wie in den USA, weil - anders als dort - in der Schweiz die Verord- nungen in der Regel einfach weiterlaufen, nicht gestoppt und von den Krankenkassen bezahlt werden. Er wolle diese liberale Verordnungspraxis zwar keinesfalls kritisieren – schliesslich sei es eine Katastrophe, bedürftigen Patienten eine hoch wirksame Schmerzlinderung zu verweigern –, aber man komme eben einfach nicht darum herum, solche Verordnungen immer wieder kritisch zu hinterfragen.

Renate Bonifer

1. Wertli MW et al.: Changes over time in prescription practices of pain medications in Switzerland between 2006 and 2013: an analysis of insu- rance claims. BMC Health Services Research 2017; 17: 167.

2. Schweizer Suchtpanorama 2018, publiziert am 13. Februar 2018, www.suchtschweiz.ch

3. Kohlenberg K: Betäubte Bürger. Die ZEIT, 17. Januar 2018.

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