Mikroökonomie 1
Prof. Dr. Martin Kocher
Sommersemester 2009
Kapitel 1 Einführung
Vor- und Nachbereitung:
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Frank, Chapter 1
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Übungsblatt 1
1.1 Knappheit
Ökonomie (griech. oikonomía)
= Lehre des Haushalts / der Verwaltung Haushalt muss entscheiden,
● welche Aufgaben jedes Haushaltsmitglied übernimmt
● zum Kauf welcher Güter das Haushaltsbudget verwendet wird
● wie diese Güter unter den Haushaltsmitglieder verteilt werden Ganz analog muss jede Gesellschaft entscheiden,
● wie die verfügbaren Ressourcen zur Produktion von Gütern eingesetzt werden
● welche Güter produziert oder durch Tausch erworben werden
● wer welche Güter konsumiert
Knappheit der Ressourcen:
Wenn eine Ressource für einen Zweck verwendet wird, steht sie für einen anderen nicht mehr zur Verfügung.
Alle ökonomischen Entscheidungen sind Abwägungen:
● Soll ich das eine oder das andere tun?
● Wie viel soll ich für den einen Zweck und wie viel für den anderen Zweck einsetzen?
Kosten und Nutzen müssen abgewogen und miteinander verglichen werden.
Im „Schlaraffenland“ benötigt man keine Ökonomie, weil es keine Knappheit gibt.
1.2 Ökonomisches Denken
Sie müssen während Ihres Studiums vor allem lernen, systematisch, klar und präzise über ökonomische Fragen nachzudenken.
Wie Ökonomen über die Welt nachdenken, möchte ich an einigen Beispielen erläutern:
● Anreize
● Opportunitätskosten
● Versenkte (versunkene) Kosten
● Marginalanalyse
● Komparative Kostenvorteile
1.2.1 Anreize
Menschen reagieren auf Anreize.
Beispiel 1: Vorbereitung auf die Vorlesung
Wie wirken sich die folgenden Veränderungen auf Ihre Anreize aus, die Vorlesung regelmäßig vor- und nachzubereiten?
● es gibt (mehr) Kreditpunkte für die Vorlesung
● Vorlesung muss schon im ersten Semester bestanden werden
● Hausaufgaben werden korrigiert und bewertet
● sie lernen viele nette Kommilitonen kennen
● es gibt viele tolle Partys in Ihrer Umgebung
● die Studiengebühren steigen Aber, Vorsicht:
● Nicht alle Anreize sind materieller Natur
● Anreize können unerwünschte Nebeneffekte haben
1.2.2 Opportunitätskosten
Wenn ein rationales Individuum vor der Frage steht, ob es eine
bestimmte Handlung tun oder unterlassen sollte, wird es den Nutzen dieser Handlung mit seinen Kosten vergleichen.
Beispiel 2: Skifahren
Es ist ein strahlend blauer Sonntag mit idealen
Wintersportbedingungen. Sie haben die Möglichkeit, eine Tagestour zum Skifahren auf der Zugspitze zu machen.
● Der Busunternehmer verlangt einen Pauschaltarif von € 40 für Fahrt und Skipass.
● Ihr Nutzen aus einem Tag Skifahren ist, in Geldeinheiten
gemessen, € 60, d.h.: Wenn Sie vor der Wahl stehen, ob Sie
Skifahren sollen und dafür € 60 bezahlen, oder zu Hause bleiben und nichts bezahlen, dann sind Sie gerade indifferent.
Frage: Sollen Sie zum Skifahren gehen?
Diese Frage können wir nicht beantworten, solange wir nicht wissen, was Sie sonst an diesem Tag gemacht hätten.
Die Frage ist nicht:
● „Soll ich Handlung A tun?“, sondern
● „Soll ich Handlung A oder Handlung B wählen“, wobei B die nächstbeste Alternative ist.
Wenn die Alternative darin besteht, zu Hause zu bleiben und nichts zu bezahlen, dann sollten Sie zum Skifahren gehen. Warum?
Aber vielleicht gibt es noch andere, bessere Alternativen.
Fall 1: Wenn Sie nicht Skifahren, besichtigen Sie die Alte Pinakothek.
● Der Eintritt kostet sonntags € 1.
● Sie wären bereit, bis zu € 10 für den Besuch der Alten Pinakothek zu zahlen, anstatt zu Hause zu bleiben und nichts zu bezahlen.
Was sollten Sie tun?
Beachten Sie: Die Kosten des Skifahrens bestehen hier nicht nur aus den Kosten der Busfahrt, sondern auch aus den Opportunitätskosten des entgangenen Museumsbesuches.
Fall 2: Wenn Sie nicht zum Skifahren gehen, helfen Sie einer Bekannten, ihren Computer zu installieren.
● Die Bekannte besteht darauf, Ihnen dafür € 30,- zu bezahlen.
● Dieser Job ist Ihnen aber nicht unangenehm. Wenn die Bekannte Ihnen nichts bezahlen würde, wären Sie gerade indifferent, ob Sie Ihrer Bekannten helfen oder zu Hause bleiben sollen.
Was sollten Sie tun?
Worin bestehen hier die Opportunitätskosten des Skifahrens?
Fall 3: Wenn Sie nicht zum Skifahren gehen, arbeiten Sie als Aushilfe bei McDonalds.
● Dort können Sie € 60 verdienen.
● Aber die Arbeit dort ist anstrengend und unangenehm. Wenn
McDonalds weniger als € 50 bezahlen würde, würden Sie den Job nicht in Erwägung ziehen. Bei einem Lohn von € 50 sind Sie
gerade indifferent, ob Sie für MacDonalds arbeiten oder zu Hause bleiben und nichts verdienen sollten.
Was sollten Sie tun?
Beispiel 3: Nebenjob
Ihnen wird ein Job in einer Druckerei in Pasing angeboten:
● jede Woche 6 Stunden Aushilfs- und Lagerarbeiten
● zusätzliche Fahrtzeit: insgesamt 2 Stunden
● Arbeit ist nicht besonders schwer, aber auch nicht besonders interessant.
● Entlohnung: € 240 pro Monat (€ 10 pro Stunde).
Kosten-Nutzen Analyse:
Nutzen: € 240 pro Monat. Ihre „Grundversorgung“ in Höhe von € 600 sei durch Eltern und/oder Bafög gesichert, aber Sie haben nur wenig Geld für „Extras“ (z.B. Urlaub, Kleidung, Freizeit, Auto, etc.)
Kosten: 8 Stunden Arbeitszeit pro Woche.
Was sind die Kosten von 8 Stunden Arbeitszeit?
Das hängt davon ab, was Sie sonst in dieser Zeit getan hätten.
Einfachster Fall: Sie würden sonst in dieser Zeit studieren.
● Das Studieren und das Arbeiten in der Druckerei empfinden Sie als gleich anstrengend.
● Keine unmittelbaren Kosten der Arbeit, aber:
● Das Studium verlängert sich.
– Sie arbeiten 40 Stunden in der Woche.
– Davon stehen jetzt nur noch 32 Stunden für das Studium zur Verfügung.
– Bei 40 Stunden Studium pro Woche dauert das Studium 8 Semester.
– Bei 32 Stunden dauert es 10 Semester.
Also verlängert sich das Studium um 1 Jahr!
Kosten und Nutzen der Studienzeitverlängerung:
● In 5 Jahren verdienen Sie in der Druckerei 240*12*5 = 14.400
● Sie würden im 5. Jahr aber ca. € 25.000 (netto) verdienen, wenn Sie Ihr Studium schon nach 4 Jahren abgeschlossen hätten.
Zusätzliche Kosten von Dritten:
● Ihre Eltern müssen ein zusätzliches Jahr Ihren Unterhalt zahlen (€
7200)
● Der Staat zahlt ein zusätzliches Jahr Ihre Ausbildungskosten (ca. € 2000).
● Dem Staat gehen für ein Jahr Ihre Steuern und Sozialabgaben verloren (ca. € 5.000 Steuern plus € 10.000 Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zu den Sozialversicherungen).
Welche dieser Kosten sollten Sie bei Ihrer Entscheidung berücksichtigen?
Folgt daraus, dass Sie auf keinen Fall während des Studiums arbeiten sollten?
Nein, aber der Job sollte neben der Bezahlung sonstige erhebliche Vorteile bieten, z.B.:
● Sie arbeiten als studentische Hilfskraft oder als Tutor
=> keine Fahrtzeiten, eigener Arbeitsplatz in der Uni, Kontakt zu Professor und Assistenten, Sie lernen etwas für Ihr Studium.
● Sie arbeiten für ein Unternehmen, bei dem Sie später gerne eingestellt werden möchten
=> wichtige Kontakte, erste Berufserfahrung.
● Sie arbeiten in einem Bereich, der Ihr Hobby ist
=> Arbeit macht sehr viel Spaß, Arbeitszeit geht nicht zulasten des Studiums sondern der Freizeit.
Wenn das alles nicht der Fall ist, sollten Sie besser studieren (und eventuell einen Kredit aufnehmen).
1.2.3 Versenkte (versunkene) Kosten (Concorde fallacy)
In den obigen Beispielen lagen Opportunitätskosten vor, die oft
übersehen werden, bei der Entscheidungsfindung aber berücksichtigt werden müssen.
Jetzt geht es um Kosten, die oft berücksichtigt werden, aber ignoriert werden sollten.
Beispiel 4: Sie haben sich spontan entschlossen, am Wochenende Freunde in Hamburg besuchen. Sie überlegen, ob Sie mit der Bahn oder mit dem eigenen Auto fahren sollen. Die einfache Entfernung beträgt 825 km. Sie haben vor zwei Wochen eine BahnCard 25 gekauft.
Die Bahnfahrt kostet
● für BahnCard 25: € 50
● Rückfahrkarte im ICE mit BahnCard 25: €183
● für U- und S-Bahnen € 4,20 in Hamburg.
Kosten für die Autofahrt:
● Benzinkosten für 1650 km (8l/100km, € 1,50/l): € 198
● anteilige Wartungskosten: € 10
● anteilige Kosten für Steuer und Versicherung (bei 15.000 km Fahrleistung pro Jahr): € 90
Fragen:
● Ist es billiger mit der Bahn oder mit dem Auto zu fahren?
● Die BahnCard 50 kostet für Studenten € 110. Damit würde sich der Fahrpreis auf € 122,00 reduzieren. Lohnt es sich, jetzt wegen der Fahrt nach Hamburg die BahnCard 50 zu kaufen?
Beachten Sie:
● Einige Kosten entstehen Ihnen völlig unabhängig davon, welches Verkehrsmittel Sie nehmen. Sie sind zum Zeitpunkt der
Entscheidungsfindung bereits „versenkt“, d.h., sie können durch Ihre Entscheidung nicht wieder rückgängig gemacht werden und dürfen darum bei der Entscheidungsfindung auch nicht
berücksichtigt werden.
● Bei einem Benzinpreis von €1,20/l wäre das Auto günstiger gewesen. Aber: Während der Bahnfahrt können Sie im Varian
schmökern und sich auf die VWL 1 Vorlesung vorbereiten, während die Zeit des Autofahrens verloren ist. Wenn Sie den (geldwerten) Nutzen dieses Zeitgewinns in das Kalkül einbeziehen, sollten Sie auf jeden Fall mit der Bahn fahren.
Fallstudie: Der Chunnel
Margaret Thatcher und Francois Mitterand gaben 1984 grünes Licht für den Bau eines Eisenbahntunnels unter dem Ärmelkanal, der von privaten Investoren finanziert werden sollte.
Beim Beginn des Projekts 1987 rechneten die Investoren mit Kosten von insgesamt 3 Mrd. Pfund und (auf die Gegenwart
abdiskontierten) Erlösen von ca. 4 Mrd. Pfund, also einem Gewinn von ca. 1 Mrd. Pfund.
1990 stellte sich heraus, dass diese Prognosen zu optimistisch
waren. Die Gesamtkosten waren auf 4,5 Mrd. Pfund gestiegen, von denen 2,5 Mrd. Pfund bereits verbaut waren.
● Sollte der Tunnel trotzdem weiter gebaut werden?
● Sollten die Banken weitere Kredite geben, auch wenn die schon gewährten Kredite nicht zurückgezahlt werden können?
● Sollte die Tunnelgesellschaft ihre Preise für die Benutzung des Tunnels erhöhen?
1.2.4 Marginalanalyse
In den obigen Beispielen ging es um Ja/Nein - Entscheidungen:
● Sollen Sie X tun oder nicht?
Häufig geht es aber um eine quantitative Entscheidung:
● Wieviel von X sollen Sie tun?
Beispiel 6: Sie wollen einen Kurzurlaub in London machen. Ihre Eltern wollen Ihnen das Flugticket schenken. Unterkunft und Verpflegung
müssen Sie jedoch selbst finanzieren.
● Bei Ihrem Reiseveranstalter können Sie selbst entscheiden, wie lange Sie in London bleiben wollen. Die Kosten pro Tag sind € 100.
Frage: Wie viele Tage London sollten Sie buchen?
Beachten Sie:
Um diese Frage beantworten zu können, müssen Sie nicht nur wissen, was Ihr Nutzen aus diesem Paket der viertägigen Reise ist. Sie müssen sich auch fragen, was Ihr Grenznutzen aus jedem einzelnen Tag ist.
Grenzkosten Grenznutzen
5. Tag 4. Tag 3. Tag 2. Tag 1. Tag
Tag
600 540 460 350 200
Nutzen Nutzen -
Kosten
Bevor Sie buchen, schlägt Ihnen Ihr Reiseveranstalter ein Paket vor:
4 Tage London für nur € 390.
marginale Zahlungs- bereitschaft
Menge
€ 200
€ 100
1 2 3 4 5
Abb. 1.1: Der marginale Nutzen
Fazit:
● Obwohl Ihr Gesamtnutzen auch bei fünf oder vier Tagen London höher ist als die jeweiligen Gesamtkosten, sollten Sie nur drei Tage buchen, weil der vierte und fünfte Tag weniger zusätzlichen Nutzen stiften als sie kosten.
● Entscheidend ist der Vergleich des Grenznutzens der letzten konsumierten Einheit mit den Grenzkosten dieser Einheit. Wenn der Grenznutzen höher ist als die Grenzkosten, sollte diese Einheit noch gekauft werden, sonst nicht.
● Bei dem Pauschalpaket kann man die Zahl der Tage nicht verändern. Hier muss man den Nettonutzen aus dem
Pauschalpaket mit dem Nettonutzen der besten individuell gewählten Reise vergleichen.
1.2.5 Komparative Kostenvorteile
In diesem Kapitel geht es um die Vorteile des Handels. Das folgende Beispiel geht (in seiner Struktur) auf David Ricardo (1772-1823) zurück.
Beispiel 7: Robinson Crusoe ist auf eine entlegene Insel verschlagen worden. Auf der Nachbarinsel lebt Freitag, der sich den
Lebensbedingungen der Südsee schon sehr gut angepasst hat.
Auf den Inseln der Südsee gibt es nur die Möglichkeit zu fischen oder Kokosnüsse zu sammeln. Freitag ist Robinson in beiden Tätigkeiten überlegen:
● Freitag kann an einem Tag entweder 10 Fische fangen oder 20 Kokosnüsse sammeln.
● Robinson kann an einem Tag nur entweder 6 Fische fangen oder 16 Kokosnüsse sammeln.
Frage: Sollten Robinson und Freitag miteinander Handel treiben?
Fall 1 (Autarkie):
Betrachten wir zunächst den Fall, dass jeder für sich allein arbeitet und konsumiert. Nehmen wir an, dass in diesem Fall jeder die Hälfte seiner Arbeitszeit für das Fischen und die andere Hälfte für das Sammeln von Kokosnüssen einsetzen wird.
Produktion pro Woche (5 Tage-Woche):
Kokosnüsse Fische
90 40
Summen
40 15
Robinson
50 25
Freitag
Fall 2 (Handel):
Angenommen, Freitag und Robinson einigen sich darauf, dass
Robinson nur Kokosnüsse sammelt. Freitag geht an 4 Tagen in der Woche zum Fischen und sammelt an einem Tag Kokosnüsse.
Die beiden einigen sich, die Produktion wie folgt zu teilen:
Kokosnüsse Fische
Produktion
100 40
Summen
80 0
Robinson
20 40
Freitag
45 15
Robinson
55 25
Freitag
Fazit: Obwohl Freitag dem Robinson in beiden Tätigkeiten überlegen ist, können sich sowohl Freitag als auch Robinson durch diesen Handel besser stellen! Warum?
● Wenn Freitag anderthalb Tage für Robinson zum Fischfang geht, dann hat Robinson zweieinhalb Tage Zeit, um zusätzliche
Kokosnüsse zu sammeln.
● In zweieinhalb Tagen kann er aber mehr Kokosnüsse sammeln, als Freitag in anderthalb Tagen gesammelt hätte.
Beachten Sie:
● Freitag hat einen absoluten Kostenvorteil in beiden Tätigkeiten,
● aber Robinson hat einen relativen (oder komparativen) Kostenvorteil beim Sammeln von Kokosnüssen.
Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis, die erklärt, warum Handel selbst dann gewinnbringend ist, wenn einer der Handelspartner bei der
Produktion aller Güter höhere Kosten hat!
Jeder Mensch (jedes Land) hat in wenigstens einer Tätigkeit einen
relativen Kostenvorteil gegenüber jedem beliebigen anderen Menschen (jedem beliebigen anderen Land).
=> Handel bringt immer Vorteile durch Spezialisierung!
Beispiele:
● Angela Merkel kann nicht nur besser Kabinettsitzungen leiten sondern auch besser tippen als ihre Sekretärin. Sollte sie
deswegen ihre Briefe selber tippen?
● Handel mit Entwicklungsländern: In Deutschland kostet sowohl die Produktion von Autos als auch die von Textilien weniger Arbeitszeit als in China. Trotzdem gibt es Handelsgewinne, wenn sich
Deutschland auf die Produktion von Autos und China auf die Produktion von Textilien spezialisiert.
1.3 Die Volkswirtschaftslehre
1.3.1 Einordnung in die Wirtschaftswissenschaften V
olkswirtschaftslehre:● erklärt das ökonomische Verhalten der Menschen.
● untersucht, wie das Verhalten einzelner Menschen über Märkte, in Unternehmen oder in anderen Institutionen koordiniert wird.
● fragt, wodurch Verhaltensänderungen der Menschen bewirkt werden und welche gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen sie haben.
● sucht nach Mechanismen, mit denen Markt- und/oder
Staatsversagen verringert werden und die Wohlfahrt der Menschen erhöht werden kann.
Betriebswirtschaftslehre:
● fragt, wie ein Unternehmen organisiert werden sollte, um bestimmte Ziele zu erreichen (z.B. Gewinnmaximierung, Kostenminimierung) entwickelt konkrete Instrumente, die sich an den Bedürfnissen der
VWL und BWL verwenden oft ähnliche Methoden und beschäftigen sich oft mit eng verwandten Fragen.
Aber der Blickwinkel ist ein anderer:
● In der VWL geht es in erster Linie darum, das wirtschaftliche
Verhalten der Menschen zu verstehen und zu erklären. Außerdem fragt sich der Volkswirt, unter welchen Umständen man das
Wirtschaftsgeschehen sich selbst überlassen sollte und wann es durch Eingriffe des Staates verbessert werden kann.
● Die BWL betrachtet das Wirtschaftsgeschehen dagegen aus der Perspektive eines Unternehmens und fragt, wie das Unternehmen auf die gegebenen Bedingungen optimal reagieren sollte.
Dennoch gibt es viele Überschneidungen und gemeinsame Interessen, insbesondere im Bereich der Mikroökonomie, der Finanzierungstheorie, der Theorie strategischer Entscheidungen, etc.
1.3.2 Teilgebiete der Volkswirtschaftslehre
● Mikroökonomik: geht grundsätzlich vom einzelnen Individuum aus, und versucht alle zu erklärenden Phänomene auf individuelle Entscheidungen zurückzuführen.
● Makroökonomik: versucht die Entwicklung von Aggregaten zu erklären (z.B. des Sozialprodukts, der Beschäftigung, der Inflation) und geht dabei oft von Annahmen über die Aggregate aus.
Im Grundstudium sieht es oft so aus, als hätten Mikro- und
Makroökonomik nicht viel miteinander gemein. Dieser Eindruck ist jedoch falsch:
● Die moderne Makroökonomik basiert auf mikroökonomischen Fundamenten und lässt sich methodisch kaum noch von der Mikroökonomik unterscheiden.
● Umgekehrt hat die moderne Mikroökonomik viele wichtige
Einige Teildisziplinen der VWL:
● Industrieökonomik
● Außenhandelstheorie
● Finanzwissenschaft
● Konjunktur- und Wachstumstheorie
● Arbeitsmarktökonomie
● Finanzmarktökonomie
● Verhaltensökonomie
● Wirtschaftsgeschichte
● Spieltheorie
● Empirische Ökonomie (Ökonometrie)
● Experimentelle Wirtschaftsforschung
1.4 Methodik der Volkswirtschaftslehre
1.4.1 Wissenschaftliche Methode
Die VWL möchte das wirtschaftliche Geschehen verstehen, um korrekte Vorhersagen zu machen, wie sich Veränderungen der äußeren
Umstände auf die Wirtschaft auswirken.
Ökonominnen und Ökonomen
● entwerfen Theorien, die die grundsätzliche Zusammenhänge erfassen
● bauen Modelle, die Theorien mit spezifischen Annahmen verbinden und auf konkrete Probleme anwenden
● sammeln und analysieren Daten
● machen Experimente
1.4.2 Modelle und Annahmen
Theorien und Modelle sind vereinfachte Darstellungen der Realität.
Sie versuchen, die wesentlichen Wirkungszusammenhänge zu
erfassen und von weniger wichtigen Zusammenhängen zu abstrahieren.
Wenn ein Modell alle Aspekte der Realität widerspiegeln würde, wäre es wie ein Landkarte im Maßstab 1:1. Es wäre völlig nutzlos!
Jedes Modell ist „unrealistisch“ und basiert auf vereinfachenden Annahmen.
Ein Modell ist ein gutes Modell, wenn es gute Vorhersagen macht, auch wenn seine Annahmen idealisiert sind.
Analogie zur Gravitationstheorie
● Keine Reibung, Vakuum
● Massepunkte
● Beschränkung Anziehungskraft zwischen zwei Körpern
1.4.3 Die Rolle der Mathematik
Fast alle Modelle, die wir verwenden, sind formale Modelle, die mit Hilfe der Mathematik formuliert sind.
Formales Modell:
● stellt eine Reihe von Annahmen auf
● leitet aus diesen Annahmen mit Hilfe der formalen Logik und der Mathematik Schlussfolgerungen ab. (Werden auch Implikationen, Theoreme, Sätze, etc. genannt)
Beachten Sie:
● Jede korrekte Argumentation leitet aus Annahmen Schlussfolgerungen nach den Regeln der Logik ab!
● Das gilt für ökonomische Modelle ebenso wie für Leitartikel, Parteitagsreden oder Stammtischdiskussionen.
Die Aufgabe eines formalen Modells ist es:
● Alle impliziten Annahmen explizit zu machen.
● Sicherzustellen, dass die Argumentation tatsächlich logisch korrekt ist und keine Widersprüche enthält.
● Implikationen aufzudecken, die wir sonst vielleicht übersehen hätten.
Wenn die Implikationen mit den beobachteten realen Phänomenen übereinstimmen, sagen wir: „Das Modell ist konsistent mit den
gemachten Beobachtungen“.
Wenn das Modell regelmäßig gute Vorhersagen macht, sagen wir: “Das Modell erklärt das beobachtete Verhalten“.
Ein Modell kann aber nie verifiziert werden (Induktionsproblem).
1.4.4 Die Rationalitätsannahme
● Wirtschaftssubjekte versuchen, durch optimale Wahl ihrer Entscheidungsvariablen einen möglichst hohen “Nutzen“ zu erreichen.
● Dazu müssen oft sehr komplizierte Maximierungsprobleme gelöst werden. Offensichtlich sind nicht alle Menschen in der Lage, solche Maximierungsprobleme zu lösen. Aber: Sie verhalten sich in der Regel so, als ob sie in der Lage wären, diese Probleme zu lösen.
● Ebenso wenig sind die Menschen in der Lage, die komplizierten Differentialgleichungen zu lösen, die den Bewegungsablauf beim Fahrradfahren beschreiben. Trotzdem verhalten sie sich so, als ob sie dazu in der Lage wären (Milton Friedman).
● Ein Modell, dass von der idealisierenden Annahme vollkommener Rationalität ausgeht, kann in vielen Fällen ein nützliches Modell sein.
● In bestimmten Situationen müssen wir die Rationalitätsannahme jedoch aufgeben und beschränkt rationales Verhalten modellieren.
1.4.5 Empirische Überprüfung
In den Naturwissenschaften spielen Experimente zur Überprüfung wissenschaftlicher Theorien eine wichtige Rolle.
Beispiele:
● Werden Gegenstände mit unterschiedlicher Dichte gleich schnell von der Erde angezogen?
– Laborexperiment: Fallrohr mit Vakuum
● Ist Wirkstoff XY ein wirksames Mittel gegen Krebs?
– Feldexperiment: Auswahl einer repräsentativen Versuchspersonenpopulation
– zufällige Einteilung in eine Behandlungsgruppe (bekommt das Medikament) und eine Kontrollgruppe (bekommt Placebo)
– Wie unterscheidet sich der Krankheitsverlauf in den beiden Gruppen?
Ist das auch in der Volkswirtschaftslehre möglich?
Grundsätzlich ja!
● Labor- und Feldexperimente spielen in den letzten 20 Jahren eine zunehmend wichtige Rolle in der VWL
● Beispiele:
– Laborexperiment zu versenkten Kosten
– Feldexperimente zur Wirkung verschiedener arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen
● Wir werden gelegentlich Experimente in die Vorlesung einbauen (Marktexperiment in der Übung diese Woche!).
● Munich Experimental Laboratory for the Economic and Social Sciences (MELESSA, http://www.melessa.lmu.de/)
Aber:
● Problem der externen Validität (sind die Beobachtungen aus dem Labor auf die natürliche Umwelt übrtragbar?)
● In vielen Fällen sind Experimente aus ethischen, politischen oder praktischen Gründen nicht möglich (ähnlich wie in der Medizin, der
Empirische Feldstudien und Ökonometrie
Empirische Studien erheben Daten über tatsächliches wirtschaftliches Verhalten.
Dieses Verhalten unterliegt einer Fülle von verschiedenen Einflussfaktoren, die nicht isoliert betrachtet werden können.
Die Ökonometrie stellt ein sehr ausgefeiltes Schätz- und
Testinstrumentarium bereit, dass es in vielen Fällen ermöglicht, mit statistischen Verfahren bestimmte Effekte herauszurechnen.
Feldstudien und Experimente ergänzen sich:
● Feldstudien haben den Vorzug, dass sie mit Daten aus der „realen“
Welt arbeiten, während die Situation in Experimenten oft etwas künstlich ist.
● Auf der anderen Seite führen Feldstudien oft zu keinen eindeutigen Ergebnissen, weil die Annahmen der Theorie verletzt sind. In
Experimenten können dagegen Situationen geschaffen werden, die der Theorie sehr weitgehend entsprechen.
1.4.6 Positive vs. normative Aussagen
Positive Analyse untersucht „was ist“.
Beispiele:
● Führt die Einführung eines Mindestlohns zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit?
● Wen belastet die Einführung einer CO2-Steuer wie stark?
Normative Analyse untersucht „was sein soll“:
Beispiele:
● Sollte ein Mindestlohn eingeführt werden?
● Wie sollte eine CO2-Steuer ausgestaltet werden?
Normative Aussagen basieren auf Werturteilen, die explizit gemacht werden sollten!
1.4.7 Warum Ökonomen manchmal unterschiedlicher Meinung sind
● Ökonomen können über die empirische Gültigkeit alternativer
positiver Theorien über das Funktionieren der Wirtschaftswelt uneins sein.
● Ökonomen können unterschiedliche Werte und deshalb
unterschiedliche normative Wertvorstellungen darüber haben, was die Politik tun sollte.
● Ökonomen können in Wahrheit übereinstimmen, doch der Rat von Scharlatanen und Sonderlingen vernebelt den Konsens.
● Aber: In vielen positiven und normativen Fragen gibt es eine breite Übereinstimmung unter den meisten Ökonomen.