ZUR INNEREN GLIEDERUNG DER OSMANISCHEN STADT
Von Klaus Kebisee, Beelin
Wenn wir uns im folgenden mit der Morphologie der osmanischen Stadt
befassen, ist cs uns nicht um die Herausarbeitung eines Idealtypus im Sinne
Max Webers zu tun'. Gleichwohl setzen wir voraus, daß es die osmanische
Stadt gibt, physiognomisch und funktionell wohlabsetzbar von ihren byzan¬
tinischen und seldschukisehen Vorläufern, einen Sonderfall der Islam-Stadt bildend.
Nikita ELissiiEF hat die Topographie la base reelle de la eile genannt*, und
so soll sich unsere Betrachtung zunächst dem Straßennetz zuwenden. Aus¬
führlicher ist die mahalle als Einzelgebilde und Teil des Stadtgefüges zu
erörtern. Der vorläufige Charakter unserer Bemerkungen liegt auf der Hand :
allgemeine Darstellungen des osmanischen Städtewesens fehlen*, die Mono¬
graphien beschränken sich im besten Fall auf die Aufzählung der mahalle-
' Orientalisten (Gbunebaum), Kunsthistoriker (Kuban) und Geographen
(Wirth) haben die wesentlichen Züge in der Struktur islamischer Städte hervor¬
gehoben. Eingehende Darstellungen der Birmengliederung syrischer Städte von
Sauvaget, Weuleessb und anderen Autoren beeinflußten die oben genannten
(mit Ausnahme Kubans) beträchtlich. Um die Quartier-Struktur zu verdeut¬
lichen, wurde die spätmittelalterliche hdra fast alleingültig gesetzt. Vgl. G . E. v.
Gbunebaum, Die islamische Stadt, in: Saeculum 6 (1955) 138-153; D. Kuban,
Anadolu-Türk jehri tarihi gelijmesi, sosyal ve fiziki özellikleri üzerinde bazi geliijmeler, in : Vakiflar dergisi 7 (1968) 53-73; E. Wirth, Die soziale Stellung und
Gliederung der Stadt im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts, in: Unter¬
suchungen zur gesellschaftlichen Struktur der mittelalterlichen Städte in Euro¬
pa, (Konstanz 1966) 403-427.
2 La description de Damas dTbn 'Asäkir (Damaskus 1959) IX.
* Neben den in Anm. 1 erwähnton Aufsätzen Kubans und Wirths (in denen
schwer erkennbar ist, welche Bestimmungselemente der von ihnen gezeichneten Städte spezifisch „anatolisch-türkisch" bzw. spätosmanisch sein sollen) ist an R.
Busch-Zantnbrs Pionierarbeit Zur Kenntnis der osmanischen Stadt, in : GZ 38
(1932) 1-12 zu erinnern. Bei Anerkennung dos „ .abstrakten' Zug(s) der morgen¬
iändischen Stadtlandschaft überhaupt" führt Busch-Zantner die Gostaltunter-
schiede zwischen der arabischen und osmamschen Stadt auf die „Eigenheit der
besiedelnden Menschen" zurück. Die Beziehung Wohnquartiere :Gesamtstadt wild nicht berührt. Dasselbe gilt für zwei Studien, die sich mit der Demographie
der Gesamtstadt, den Zünften, dem Stiftungsweson u. a. Themen auseinander¬
setzen (Ö.-L. Barkan, Quelques observations sur l'organisation öconomique et
sociale des villes ottomanes, des XVI^ et XVII^ siecles, in : Recueils Soc. Jean Bodin 7 (1955) 289-310; H. J. Kissling, Die türkische Stadt auf dem Balkan, in:
Die Stadt in Südosteuropa (München 1968) 72-83.
Zur inneren Gliederung der osmanischen Stadt 199
Namen, lokale Institutionen in den Provinzstädten sind wenig untersucht.
Stadtpläne, die alle feinen Verästelungen der Gassen vor den Regulierungen
des letzten Jahrhunderts wiedergeben sind so selten wie solche, in denen die
Namen der mahallät eingetragen sind*. Die Altstädte sind in der Türkischen
Repubhk wie in den übrigen Nachfolgestaaten des Osmanischen Reichs
verschwunden oder werden in naher Zukunft dahingehen, ohne daß Hoff¬
nung besteht, es würde sich eine für den notwendigen ,, Ensemble-Schutz"
Partei nehmende Öffentlichkeit bilden. Unsere Abhängigkeit von schrift¬
lichen Quellen ist demgemäß groß. Dabei steht dem Osmanisten nicht
annähernd die Fülle ortsgeschichtlicher Werke zur Verfügung wie dem
Erforscher des mittelalterlichen arabischen Städtewesens*. Dieser Mangel
wird freilich angesichts der großen Zahl an Städteschilderungen bei Meh-
MED-i 'ħiK, Hacci Halifa und Evliya Qelebi* weniger empfunden. Vor
allem aber dürfen wir Aufschlüsse aus archivalischen Quellen erwarten .
Diese sind zum ganz überwiegenden Teil unveröffentlicht ; trotzdem sind die
Nachrichten über die Bevölkerung, Topographie und Baugeschichte in den
publizierten osmanischen Urkunden noch lange nicht aufgearbeitet. Steuer¬
konskriptionsregister (tahrir defterleri) erfassen Namen, Anzahl, Größe (nach
Herdstellen = häne) und Konfessionszugehörigkeit der mahallät. Wichtig
sind Stiftungsurkunden als Originale und in den um die Formahen verkürz¬
ten evkdf defterleri. Hier finden wir Parzellenbeschreibungen, deren Aus¬
wertung die Rekonstruktion ganzer Viertel und Städte ermöglichen wird'.
Eine Fundgrube für das Studium des osmanischen AUtags bilden die Ka¬
diamtsregister (sicilldt). Die Durchsicht einer mehrjährigen Serie dürfte die
Quartiernamen des betreffenden Kadisitzes in großer Vollständigkeit erge-
* Beispiele: E. H. AyvBBDi, 19. asirda Istanbul haritasi (Istanbul 1958); J. v.
Hammers, Plan von Constantinopel . . . mit . . . der Angabe der Stadtviertel (Mahalle) . . . 1831, in: GOR, Bd 10 (Legende 641-648); A. I.^irkov, Grad Sofija
prez XVII vek (Sofia 1912), mit durch Zweifarbendruck zwischen dem Straßen¬
netz von 1887 (mahalle-Namen) und 1912 unterscheidenden Faltplan.
5 Ältere Lokalchroniken von der Zuverlässigkeit und dem Umfang 'Abdür-
bahmIn Hibbis Enisü'l-müsämirin (Edime, 17. Jh., Veröffentlichung durch
Sevim Üngün bevorstehend) sind nicht bekannt.
8 Das Seyähat-näme enthält neben zahlreichen Ortsbozeichnungen in den Grö¬
ßenordnungen sicher zutreffende mahalle-Zahlen. Vor der Veröffentlichung wei¬
terer defters werden diese für die Kenntnis der quantitativen und qualitativen
Demographie des Osmanenreichs zu berücksichtigen sein. Freilich sind Evliyäs
Zahlen in einigen Fällen (muslimische mahallät von Istanbul, Edirne, Sarajevo) unzutreffend, auch hält der Reisende semt und mahalle nicht immer auseinander.
' Als Quelle für die Kenntnis der Miltrostruktur einer Stadt leisten sie ähn¬
liches wie die byzantinischen Praktika. Mir ist nur ein Versuch bekannt, mit
Hüfe einer Stiftungsurkundo einen verschwundenen Baukomplex zu kartieren
(Z. V. Togans Faltplan zum Art. Hebat Vakfiyelere göre 'Ali §ir mahallesi, in:
lA, Bd 5).
200 Klaus Kbeiser
ben*. In den Annalen der beamteten Reichsgeschichtsschreiber (vah'a-nüvts)
trifft man außerhalb der Hauptstädte selten auf Topographica : bei der
Schilderung von Brand- oder Erdbebenschäden, festlichen Umzügen, der
Erbauung sultanischer Moscheen usw. In der Regel aber sind die solchen
Ereignissen gewidmeten litcrarisch-historiographischen Kleingattungen für
die Kenntnis der städtebaulichen Verhältnisse ergiebiger'.
Eine ungefähre Festlegung der mahallät im modernen Stadtplan"* ist
möghch, wenn man die Lage ihrer namengebenden Mittelpunkte (cdmi'l
m^cid, zäviye, türbe, medrese, Kirche usw.) kennt. Die Eintragung der
Quartiergrenzen wird erst am Ende eines Vergleichs von Sach- und Schrift¬
quellen erfolgen können". Offensichthch nimmt die mahalle im Netzwerk
des orientalischen Straßengrundrisses, in dem keine Masche der anderen
gleicht'*, eine oder mehrere dieser engen Flächen ein'*. Als Scheidelinien der
mahallät kommen vor allem die Durchgangsstraßen - tartk-i 'dmm — in
Frage, während ,, Privatstraßen" - tarik-i häss - die Wohnviertel erschlie¬
ßen'*. Eine weitergehende Einteilung der Straßentypen wird die Reit- und
* Kamil Sus, XVII ve XVIIIinci yüzyiUarda Balikesir §ehir hayati (Istanbul
1937), gründet in der Hauptsache auf sicilldt (maÄaWe-Namen S. 13). Auf eine
Reihe ganz unpublizierter Urkunden-Gruppen wie ta'mirät, in^ä'ät vmd k&^if
defterleri macht M. Erdoöan aufmerksam (Osmanli mimarisi tarihinin otantik
yazma kaynaklan, in: Vakiflar dergisi 6 (1965) 111-136).
° Vgl. etwa die Verwendung erzählenden Quellensohrifttums durch M. Cezar,
(Osmanli devrinde Istanbul yapilarinda tahribat yapan yanginlar ve tabii äfet- 1er, in: Türk San'ati Tarihi. Arajtirma ve Incelemeleri 1 (1963) 327-414). 'AbdI
Efendis Sür-näme (Hs. Lala Ismail 235/9) anläßlich der Beschneidungs- und
Hochzeitsfeierlichkeiten im Edirne Mehmeds IV. beschreibt die Stationen ver¬
schiedener Festzüge und damit den Verlauf von Hauptverkehrsadern der Stadt.
Zahlreiche topographische Daten enthält die Tarih-i cämi'-i serif -i Nür-i 'Osmani
(Beiheft zu T'OEM 1339 H.).
Die gegenwärtigen mahalleler entstanden aus der Zusammenlegung einer
größeren Gruppe ehemaliger mahallät und entsprechen etwa einem semt der
älteren Bezeichnungsweise. Meist tragen sie den Namen eines der Quartiere, aus
denen sie gebildet sind. Den selben Grundsätzen wie bei der Benennung von
Straßen folgt man gern in Neubau- und Gecekondu-Y\&e%e\n. (z. B. Hürriyet, Inö-
nü, Atatürk). Ein von der Türk Dil Kurumu vorgeschlagener Neologismus uram
als Appellativum für mahalle (Cep kilavuzu Istanbul 1935) konnte sich nicht
einbürgern.
" Topographisch-archäologische Pläne nach dem Vorbild von A. M. Schnei¬
ders Aufnahmen zweier Istanbuler Stadtteile fehlen (Die Blachernen, in : Oriens
4 (1951) 82-120; Yedikule und Umgebung, üi: Oriens 5 (1952) 197-208).
'2 Dieses schöne Bild stammt, wenn ich nicht irre, von Robert Mayer (s.
Anm. 21).
" Deutlich hervortretend im Stadtplan Sarajevos von 1882 (bei Mula Musta¬
fa Sevki BaSeskija, Ljetopis Hrsg. u. übers, v. M. Mujezinoviö (Sarajevo
1968), Erläuterungen zur Faltkarte S. 485-488).
'* Die Parzellenbeschreibungen der Stiftungsurkunden kennen nur diese bei¬
den Kategorien. ,, Privatstraßen" sind wohl auch die hin und her pendelnden
Zur inneren Gliederung der osmanischen Stadt 201
Fahrverkehr erlaubenden Verbindungswege von den gewöhnlichen Gassen
scheiden'*. Inwieweit erstere, oft vorosmanische Trassen benutzende Stra¬
ßen mit den Grenzen der semtler bzw. neväht zusammenfallen, ist vielleicht
nicht in allgemeiner Form zu beantworten".
Auch sonst stellt sich die Frage nach der Kontinuität, d. Ii. ,,ob die
Bildung von Sackgassen, die Auflösung der Stadtfläche in Viertel . . . auch in
den ähnlich engräumigcn byzantinischen Kastra schon erfolgt, war, als sich
die Mohammedaner ihrer bemächtigten"". In Edirne ist wie in tznik und
anderen Städten die Grundanlage nach cardo und decumanus noch gut zu
erkennen. Die kal'e wies bis ins 17. Jahrhundert eine geometrische
Straßenblockstruktur auf'*, ist also nicht das Ergebnis jüngerer Brandfelder-
Regulierungen". Auch aus den Straßenverzeichnissen Badi Ahmed Efendis
(gest. 1326 H.), Verfasser einer monumentalen Edirne-Chronik, wissen wir,
daß innerhalb der Mauern nur drei Sackgassen gezählt wurden, in ,,rein
osmanischen" Stadtteilen dagegen wesentlich mehr**. Ob die blind in Höfen
endenden Wohngassen bei der Parzellierung der Viertel stehen gebliebene
Feldstichwegc sind*' oder auf einen schubweise verlaufenden Besiedlungs¬
vorgang zurückgeführt werden müssen, bleibt offen. Ich neige allerdings
wegen gegenwärtigen Analogien zur zweiten Deutung**. Steuerpachten für
Torzölle mukäta'a-i resm-i bevväbi) zeigen, daß Straße, Mauer und Tor ihren
,, Suchstraßen", die vielleicht aus dem Zusammenwachsen von Sackgassen ent¬
standen.
'5 Die Hierarchie der Straßentypen in arabischen Städten stellt Sh. Tamabi in einer überaus anregenden Arbeit auf (Aspetti principali dell'urbanesimo musul¬
mano, in: Palladio N. S. 16 (1966) 45-82).
" Für Istanbul wird allgemein angenommen, daß sich sein Straßennetz in den
Grundzügen nicht verändert hat (B. Obebhummebs Art. Constantinopolis, in:
Pauly-Wissowa Bd. 6, sowie A. M. Schneider, Regionen und Quartiere in
Konstantinopel, in: Kleinasien und Byzanz (Berlin 1950) 149-158).
" E. Kirsten, Die byzantinische Stadt (Berichte zum XI. Internationalen
Byzantinisten-Kongreß) S. 31.
'* Evliya ^elebI (Hs. Bagdat köjkü 305 fol. 150a und gleichlautend 160a):
,, schachbrettartig" (sadranci nakf^).
" Einen Einblick in das Vorgehen der Stadtverwaltungen erlaubt der Plan
nach S. 408 bei Cbzab, Yanginlar a.a.O.: das neue geometrische Wohnblock¬
system (adalar-inaulae) wurde ohne Rücksicht auf Besitzverhältnisse über die
abgebrannte mahalle gelegt.
2° Riyäz-i belde-i Edirne (Hs. Edirne, ll Halk Kütüphanesi 121).
2' R. Mayeb, Byzantion, Konstantinupolis, Istanbul (Wien 1943) S. 10-12.
*2 G. Ritter über die Struktur türkischer (?ecei;o»!<iM-Siedlungen : „Diese laby- rinthischo, .introvertierte' Siedlungsstruktur . . . entspricht alttürkischer Sied¬
lungstradition, wie sie in den Dörfern und in den Altbau vierteln der Städte zu
beobachten ist". (Landflucht und Städtewachstum in der Türkei, in: Erdkunde 26 (1972) 177-196.
202 Klaus Kbeiser
Funktionszusammenhang nicht gelöst hatten**. Das Beispiel Edirnes ist für
die Frage nach der Fortdauer des Straßennetzes auch deshalb interessant,
weil bis ins 18. Jahrhundert intakt gebliebene Mauern** kal'e und ,, Vor¬
stadt" {varo§) voneinander trennten. Die ,, Vorstadt" mit ihrer ,, orien¬
talischen" Struktur übertraf im 17. Jahrhundert das Kastron flächenmäßig
um mehr als das Zwanzigfache**. Insofern werden wir Edirne nicht weniger
als Kolonialstadt ansprechen dürfen denn die ,, Neugründungen" im übrigen
Südosteuropa**. Andere Orte wie Sivas oder Konya blieben während der
Blütezeit des Osmamschen Reichs innerhalb des alten Mauerrings, oder - wie
z. B. in Iznik und Kayseri - die Bebauung extra muros war sporadisch. Die
von uns untersuchten Städte lassen, im Rahmen der physischen Bedingun¬
gen, keine bevorzugte Ausbreitungsrichtung, etwa hangaufwärts, erken¬
nen*'. Im Ergebnis präsentieren sich tatsächhch viele osmanische Städte
(und Dörfer) in Hügellage. Die Erweiterung d.i. die ,,Osmanisierung" der
von den Türken eroberten Städte vollzog sich in Quanten, die wir mit den
mahallät gleichsetzen können.
Da die Mehrheit der ma^Zfe-Namen** auf die Gründer oder Erneuerer
einer cämi'lmescid, medrese, zäviye bzw. auf andere Bauwerke oder Natur¬
eigentümlichkeiten des Ortes zurückgeht, sind weitreichende Schlüsse auf
die Herkunft der Bewohner, wie sie zahlreiche Dorfnamen erlauben**, selten
möglich. Bei der Deutung dieser Quartier bezeichuungen ist mit großer
Sorgfalt zu verfahren, in Istanbul** stellen sich die Dinge nicht so einfach dar
2ä M. T. GÖKBiLQiN, XV-XVI asirlarda Edirne ve Pa?a liväsi (Istanbul 1952)
S. 115-116: drei vorosmanische Tore und das Bäb-i cedid Murads II.
2* Belege aus abendländischen Reiseberichten lassen sich in engem zeitlichen Abstand beibringen.
25 Nach t. Tekbli, Osmanli Imparatorlugunda mokän organizasyonundaki
degi^meler, in: Belgelerle Türk tarihi dergisi 46 (Haziran 1971) 4-9.
28 ,, Neugründungen" ohne jede topographische Kontinuität zu antiken bzw.
mittelalterlichen Siedlungen sind sehwerlich belegbar. Für eine Untersuchung
kommen u. a. in Frage: Häs^köy, §umla, Kizilagag (Elchovo), Kannovasi (dazu
V. Paskaleva, Die bulgarische Stadt, in: Die Stadt in Südosteuropa (München
1968) 128-145 und die dort angegebene Literatur), Uzunköprü/Cisr-i Ergene.
Karapmar/Sultäniye und Tatar Pazar^ik.
2' Busch-Zantneb, Zur Kenntnis, a.a.O. S. 4, 12.
28 So weit ich sehe, hat sich S. Eyicb als einziger Forscher um die Typologie
innerstädtischer Ortsbezeichnungen bemüht (Istanbul'un mahalle ve semt adlari
hakkmda bir deneme, in: TM 14 (1964) 199-216), freihch ohne die Kategorien
semt und mahalle auseinander halten zu wollen.
2» Etwa H. Inalcik, The land surveys in the Ottoman empire as a source of
place-names, in : Belleten 20 (1956) 228-230: z. B. Saruhanlu, Mente§elü, Hamid- 1Ü.
„Edirneli Yahüdiler", ,,Tatarlar", ,, Belgrad kapisi" bezeichnen die Her¬
kunft der (ursprünglichen) moAaZZe-Bewohner, dagegen haben Namen wie ,,Akse-
ki" oder ,,Üsküplü" nichts mit Bevölkerungsgruppen zu tun (Hadikatü'l-cevä-
Zur inneren Gliederung der osmanischen Stadt 203
wie in Kara Pinar/Sultäniye*'. „Primäre" Viertelbildungen sind auch in der
Gegenwart zu beobachten, aus der Entfernung jedoch nur dann zu registrie¬
ren, wenn die neuen mahalleler Volks-, Stammes- oder (Herkunfts) Orts¬
namen tragen. Von türkischen Soziologen liegen Beschreibungen solcher
Neufestsetzungen von Stammesgruppen, Flüchtlingen oder sonst von An¬
fang an verbundener Gemeinschaften u. a. für Eregli (II : Zonguldak)** und
Ankara** vor.
Das byzantinische Konstantinopel kannte nur für die Hauptstraßen und
großen Plätze Namen, Wohnungen wurden nach dem vicus bezeichnet, ,,der
selber wieder nach einer Kirche, einem öffentlichen Gebäude oder dem Haus
eines Vornehmen benannt war", eine Parallele in den Grundsätzen der
Namensgebung, die A. M. Schneider auffiel. Derselbe Forscher verwies
auch auf den merkwürdigen Umstand, daß Stambul im 19. Jahrhundert
eben so viele mahallät zählte wie Byzanz vici^*. Wir kennen die in den
Kdnün-näme zum Ausdruck kommende Respektierung vorosmanischer Ver¬
hältnisse und können annehmen, daß die Türken Grenzen, Wohnbauten,
Gärten schonten wie sie die bestehenden gewohnheitsrechtlichen Einrichtim-
gen übernahmen.
Ungeklärt ist, inwieweit die verheerenden Flächenhrände die Straßen¬
führung veränderten. Jedenfalls blieben in Edirne wie Istanbul große Brand¬
plätze für Jahrzehnte unbebaut. Nach einem der Flächenhrände von 1782
siedelten die Betroffenen in anatolische und thrakische Städte um. Was
mi', S. 52 nach Bearbeitung v. T. Öz u.d.T. Istanbul camileri, Bd. 1 (Ankara
1962) S. 21 und B. H. Ayverdi, Fatih devri sonlarmda Istanbul mahalleleri,
§ehrin isk&ni ve nüfusu (Ankara 1958) Nr. 5, 174). Derartige, auf Evliya
zurückzuführende Irrtümer bei A. M. Schneider, Die Bevölkerung Konstanti¬
nopels im XV. Jahrhundert, in: Nachr. Akad. Wiss. Gött. Phil.-hist. Kl. 1949,
233-244.
" Neusiedler aus Nachbarstädten nannten ihre Quartiere Aksaräy, Lärende,
Nigde (Ö. L. Barkan, Osmanli imparatorlugunda bir iskän ve kolonizasyon
metodu olarak vakiflar ve temlikler, in: Vakiflar dergisi 2 (1942) 279-386; S. 355.
'2 M. KiRAY, Eregli - Agir sanayiden önce bir sahil kasabasi (Ankara 1964),
nach dem Referat von P. J. Magnarella, From villager to townsman in Turkey,
in: MEJ 24 (1970) 229-240.
*' R. Kele§, Eski Ankara'da bir §ehir tipolojisi (Ankara 1971) (Untersuchung
der gegenwärtigen Altstadt): Heute leben Tscherkessen, Albaner, Lazen in den
Oecekondua in engen Gruppierungen, bosnische Flüchtlinge des Jahres 1914
werden schon 10 Jahre später in der amtlichen Bezeichnung Bo§nak mahallesi
erkennbar (S. 113, 196). Unzugänglich blieb mir Kele?' S. 116 Anm. 57 zitierte Typologie der mahalleler von Izmir.
*< Topographica, in: BZ 41 (1941) 60-69. Hebt Schneider Parallelen des
Schauplatzes hervor, so hat S. Antoniadis auf Gemeinsamkeiten des byzantini¬
schen und osmanischen Straßenlebens verwiesen (La vie dans les rues de la
Constantinople byzantine comparee ä celle dTstanbul, in: Proceedings of the
twenty -second congress of orientalists (Leiden 1957) 532-533.
204 Klaus Kbeiser
immer aus ihrer unbeweglichen Habe wurde, der Zusammenhang der mahal-
lelikr war aufgelöst**. Uriel Heyd hat geschildert, wie Umsiedlungen im
Gefolge von Feuersbrünsten zur Zerstreuung jüdischer Konfessionsgemein¬
schaften, die bislang in strenger Abgeschiedenheit um ihre Synagoge lebten,
führten**. Heute versucht der Staat das viertelweise Zusammenleben von
,, tribal clusters" mit Gewalt zu brechen*'. Feuer und Erdbeben, Epidemien
und Eingriffe der Behörde waren die Kräfte, die dem engen Zusammenhalt
der Quartierbewohner entgegenwirkten.
Platzartige Aussparungen fehlen im feinen Maschenwerk der Straßen und
Gassen nicht vollständig. Sie entstehen absichtslos an den spitzwinkligen
Schnittpunkten größerer Radialstraßen. Bezeichnend sind Namen wie
Dört- (Beyoglu) oder Yediyolagzi (Edirne). Neben diesen unregelmäßig-viel¬
eckigen Plätzen fallen im Plan Gärten und Friedhöfe ins Auge. Die Grabstät¬
ten der tnahallät werden im Unterschied zu den großen mezärhk vor den
Toren hazire genannt. Die meisten sind nach der Übertragung an die
Belediye verschwunden. Wie die altosmanischen külliyes^ respektieren sie
das gegebene Straßennetz. Das gilt auch für die Fluchten jüngerer Wirt¬
schaftsbauten und külliyes^^. Die bis zu 10 ha großen sultanischen Moschee¬
bezirke bilden riesige, unorganische Einschlüsse im ?>iaÄaKe-Gefüge**.
Vor einer Betrachtung der Begriflfsmerkmale osmanischer mahallät wollen
wü' einige Größenangaben machen : das Durchschnittsquartier im Edirne*'
Süleymän Känüni's zählte 21 häne, die kleinste mahalle hatte drei, die größte
67 Herdstellen. Weitere Durchschnittswerte sind (in Klammern die Gesamt¬
zahl der mahallät) : Ankara** 24 häne (87), Erzurum** 29-30 (19), Kayseri**
»5 Bei Cezar, Yanginlar a.a.O. S. 365.
38 The Jewish communities of Istanbul in the seventeenth century, in : Oriens 6 (1953) 299-314.
3' Ein Beispiel aus Bagdad bei J. Gulick, Vülage and city : Cultural continui¬
ties in twentieth century Middle Eastern cultures, in: Middle Eastern cities
(Berkeley 1961) 122-153.
'8 Vgl. die Beschreibung der Ye§il küUiye in Bursa durch U. Vogt-Gökntl,
Osmanische Türkei (München 1966) S. 50-51.
39 Vom Rechteck weichen die Grundrisse von Hans und Karawansereis öfters
ab, die Außenhöfe von Moscheebezüken gelegentlich.
*" Morphologisch vergleichbar mit den großen Palast-und Klosteranlagen spät-
byzantinischer Zeit (s. A. M. Schneider, Regionen a.a.O. S. 150).
*i M. T. GÖKBiLGiN, Edime a.a.O. S. 36-64.
" N. GÖÖÜN9, Onaltinci yüzyilda Ankara, in : Belgelerle Türk tarihi dergisi 1 (Ekim 1967) 71-75.
" 1. H. KoNYALi, Erzurum tarihi (Istanbul 1960) S. 71-72 (im Jahre 1000 H.).
^* T. GÖKBiLoiN, XVI. asir ba§larmda Kayseri §ehri ve livasi, in: 60. Dogum
yüi münasebetiyle Zeki Velidi Togan'a Armagan (Istanbul 1950-1965) 93-108
(nur für muslimische Bewohner!).
Zur inneren Gliederung der osmamschen Stadt 205
31-32 (35), Isparta« 26-27 (17), Gehbolu« 24-25 (55), Manastir/Bitola" 4-5
(18). Nach einem von ö. L. Barkan vorgeschlagenem Schlüssel** errechnen
sich daraus rund 20 bis 200 Einwohner pro malialh, Werte, die sie als einen
Naehbarschaftsverband charakterisieren, der die persönliche, gegenseitige
Bekanntschaft der Quartierbewohner gewährleistet. Schlüsse von der mahal-
Ze-Zahl auf die Größe der Stadtbevölkerung sind angesichts der mittleren
Werte (20-30 häne je Quartier) beim Fehlen anderer Quellen*'möglich, wenn
auch nicht sonderlich genau. Größenschätzungen, die von der Gesamtzahl an
mesäcid einer Stadt ausgehen oder gar vom Areal der ,, Hauptmoschee" sind
dagegen kaum brauchbar**. Von den oben angeführten Einschlüssen im
mahalle-Getüge abgesehen ist die osmanische Stadt in Bebauungsdichte und
Bebauungshöhe recht einheitlich. Vielleicht darf man das Flächen Wachstum
einer Stadt in ein unmittelbares Verhältnis zur steigenden Einwohnerzahl
bringen. Wenn Edirne zwischen 1529 und 1609 um 119 mahallät auf 290
zunimmt, geht damit eine horizontale Ausdehnung der Stadt einher*'.
Im Istanbul der Fätih-Periode vollzog sich die Neubesiedlung durch
,, tropfenweise Auffüllung" der leerstehenden Quartiere**. Auch später sind
die wachsenden niahcdle-ZaMen zum Teil auf eine Verdichtung der inner¬
städtischen Siedlung zurückzuführen.
Solange die Städte, namentlich Istanbul, ihr Wachstum hauptsächhch
zuziehenden Provinzbewohnern verdankten**, waren ,,ländhche" Sozial¬
formen (z. B. dörfliche Binnenheirat) sicherlich dominierend. Wir kennen
*5 Z. Arikan, 16. yüzyilda Isparta, in: Belgelerle Türk tarihi dergisi 5 (§ubat 1968) 74-79.
*6 F. KuBTOÖLü, XVImci asnn ilk yarimmda Gelibolu, in: TM 5 (1935) 291-
306.
Turski dokumenti za istorijata na Makedonskiot narod, Serija prva Bd 3
(Skopje 1969) S. 204-205: für das Jahr 1639.
^8 Essai sur les donnees statistiques dos registres de rencensement dans l'Empi¬
re Ottoman aux XVe et XVI siecles, in: JESHO 1 (1959) 9-36.
*° Abendländische Größenangaben oder -vergleiche mit europäischen Städten
können für die Demographie des Osmanenreichs kaum herangezogen werden.
5" So (nach welcher Vorlage?) J. C. Russell, Die Bevölkerung Europas 500-
1500 (aus: The Fontana Economic History of Europe dt. hrsg. v. C. M. Cipolla
u. K. Borchabdt u.d.T. Bevölkerungsgeschichte Europas (München 1971) S.
13). Siehe auch unsere folgenden Anmerkungen zum Verhältnis cämi' -.mescid.
5' S.o. die Anm. 25 und 41. maÄ^fe-Vermehrungen können auch durch ,, Zell¬
teilung" einor mahalle mit mehreren mihräb erfolgen: Die mahalle-i 'imäret-i
Mihai Beg in Edirne, die neben dor namonsgebenden Freitagsmoschee im Jahre
935 H. zwei mescida einschloß, verlor 1018 H. die erste, bis ins 19. Jh. auch die
zweite mescid.. Beide wurden Mittelpunkte neuer mahallät (GÖKBiLGiN, Edirne,
a.a.O. S. 57 Anm. 108, Rif'at 'Osman, Edirne rehniimäsi (Edirne 1920) S. 23).
5* Wie Anm. 40.
5* Gegen Wibth, Stadt a.a. O. S. 424: „Im Orient . . . stammt der Stadtbewoh¬
ner in der Regel nicht vom Lande".
206 Klaus Rbbiser
administrative Maßnahmen gegen die Zuwanderung rumehscher Immigran¬
ten** wie Versuche, die Slum-Bildung an den Mauern Istanbuls rückgängig
zu machen**.
Die angeführte Vertrautheit der Quartierbewohner hat eine nach außen
gerichtete abwehrende Komponente: ,,In die Wohngassen der Wohnblöcke
kamen nm- die dort Wohnenden. Fremde, die hier gesehen wurden, galten
als Verirrte, oder als Zudringlinge oder als Hausierer, nicht als Passanten**."
Zwischen den mahallät bestehende zueinander und auseinander gerichtete
Beziehungen sind kamn beschrieben worden. Die sicillät defterleri enthalten
dazu manches Material; ich nenne eine Eintragung über die traditionelle
Quartier-Rivahtät des taslama in (Gazi-)Antep*'. Am Rande darf auf die
beziehungsreichen Bildungen des Türkischen mit dem Wort mahalle auf¬
merksam gemacht werden. In einer Weise zielen sie alle auf das volkstüm¬
liche, enge Milieu der Wohnviertel**. In diesem Sinne eines „quartier popu¬
laire" haben die Balkansprachen das Wort ausnahmslos übernommen**.
Wichtigstes, jedoch nicht notwendiges Bestimmungselement einer mus¬
limischen mahalle ist die mescid, seltener eine cämi', in den christlichen
Quartieren die Kirche, in den jüdischen die Synagoge. Die Stiftvmgsurkun-
den der Fätih-Feriode zeigen, daß die Gründimg einer mahalle nicht mit der
Anlage eines Bethauses verknüpft sein mußte**. Freihch war der Stadtaus¬
bau unter Süleymän Känüni so weit fortgeschritten, daß jeder mushmischen
mahalle wenigstens eine Moschee (cämi' oder mescid) zugeordnet war*'. Das
Bild Edirnes im 16. Jahrhundert ist ähnhch : auf 134 mahallät verteilen sich
168 mihräb. Zwei Drittel der Quartiere verfügten über die ,, Normalausstat¬
tung" einer osmanischen mahalle mit einer mescid, einem Imäm und einem
Mü'eszin^^. Nicht immer bedeutet das Vorhandensein einer mescid mit
5* R. BuLUT, 18. yüzjnlda Istanbul nüfusunun artmamasi i9in alman tedbirler, in: Belgelerle Türk tarihi dergisi 3 (Aralik 1967) 30-33. Hier ist auf das angekün¬
digte Werk von M. A. Cook, Population pressure in rural Anatolia 1450-1600
(London 1972), hinzuweisen. Uber die Ursachen des Bevölkerungswachstums moderner orientalischer Städte Guliok, Village und City, a.a.O. S. 152-153.
55 O. EaiNg, 250 yd önce Istanbul'da gecekondu-ka^ak in§aat-sahil yagmeisi
sorimlari ve ^areleri, in: Belgelerle Türk tarih dergisi 10 (Temmuz 1968) 54-58.
58 E. Egli, Geschichte des Städtebaus, Bd 2 (Erlenbach 1962) S. 259.
5' C. C. GÜZELBEY u. H. Ybtkin, Gaziantep §er'i mahkeme sicillerinden örnek- 1er (Cilt: 81-141) (Milädi 1729-1820) (Gaziantep 1970) S. 59-60.
58 Z. B. : mahalle Qocugu, m. karist, m. tavri, m. beyi.
58 Eür einen abweichenden Gebrauch im Sinne von kleinere Häusergruppe
entfernt von einer Ortschaft vgl. L. Fekete, Die Siyäqat-Schrift in der tüi-ki-
schen Finanzverwaltung, Bd 1 (Budapest 1955), S. 588 Anm. 37.
8" Ayverdi, Istanbul mahalleleri, a.a.O. S. 6.
" Ö. L. Barkan u. E. H. Ayverdi, Istanbul vakiflari tahrir defteri 953 (1546) tärihli (Istanbul 1970) passim.
82 Wie Anm. 41.
Zur inneren Gliederung der osmanischen Stadt 207
Personal, daß diese von rechtgläubigen Quartierbewohnern umgeben war.
Der Seyhü'l-Isläm Ebu's-Su'üd entschied in einem solchen Fall die Zwangs¬
enteignung der christlichen Behausungen«*.
Das Zerfallen in Quartiere macht das Miteinander der Religionsgruppen in
islamischen Städten zu einem Nebeneinander. Dies ist die Regel, jedoch
bestehen im osmanischen Kulturkreis zahlreiche Ausnahmen : Tärnovo hat
kurz nach der Eroberung im späten 15. Jahrhundert wenigstens ein türkisch¬
bulgarisches Viertel«*, die mahallät Mardins sind im 16. Jahrhundert so gut
wie ausnahmslos bikonfessionell««, in Ankara ist ein Zehntel der 84 mahallät
gemischt christlich-muslimisch««, die Griechen und Armenier leben im selben
Jahrhundert über ganz Kayseri verstreut«'. In Edirne teilte ein Zehntel der
christlichen Bevölkerung die mahalle mit Mushmen (in einem dejter heißt es :
häne-i gebrän der mahallät-i müslümänän). Innerhalb der KaVe scheint jedoch
die rund ein Sechstel der Gesamteinwohnerschaft zählende christliche Min¬
derheit das Übergewicht bekommen zu haben«*. Am Goldenen Horn lebten
Juden und Griechen zusammen im Stadtteil Fener«*. Diese Beispiele zeigen,
daß eine rigorose Quartiertrennung in hochosmanischer Zeit nicht bestand.
Bei den jüdischen zimmls mag die Absonderung stärker gewesen sein,
nachdem schon die byzantinischen Städte Ghettos kannten'«. Im großen und
ganzen waren die ünterschiede zwischen osmanischen mahallät und den
syrischen härät, jenen ,, abgedichteten" Stadtvierteln, wie sie u. a. Eliss^ieff und I. M. Lapidus beschrieben", beträchtlich. Die mahallät waren kultisch
(Fehlen der Freitagsmoschee in den meisten Fällen !) und wirtschaftlich (kein
Markt !) nicht ausgestattet, um in Krisenzeiten eine Eigenexistenz zu führen.
83 Atsiz, Istanbul kütüphanelerine göre Ebussuud bibliyografyasi (Istanbul
1967) S. 45.
"* B. CvETKOVA, Sur le sort de Tärnovo, capitale bvilgare au moyen äge, aprös sa priso par les Osmanlis, in: Byzantino-Bulgarica 2 (1966) 181-198.
65 N. GöYÜNg, XVI. yüzydda Mardin sancagi (Istanbul 1969) S. 97-106.
66 GÖÖÜN9, Ankara a.a.O.
GÖKBiLGiN, Kayseri a.a.O.
«* Wie Anm. 41.
6» Ebemya Qblebi Kömübcüyan, Istanbul tarihi (Istanbul 1952) S. 20.
Vgl. die Bedeutung von al-mahalla ,, quartier dos juifs" bzw. , .village juif
isolö" uach Dozy, Suppl. und von hdra ,,Judenvierter' (in Tunesien) nach H.
Wehb, Arabisches Wörterbuch, 3. Aufl. (Wiesbaden 1958).
'1 N. Elissäeff, Corporations de Damas sous Nür al-Din, in: Arabica 3 (1956)
61-79; S. 64: ,,L'insöcm'it6 ot le besoin d'entr'aido poussent alors les habitants de
Damas ä creer des quartiers juxtaposes, formant des compartiments etanches
pourvus des organes essentiels de la vie urbaine: mosquöe, bain, petit marche et four . . ." (Hervorhebung von mir). I. M. Lapidus, Muslim cities in the later
middle ages (Cambridge/Mass. 1967) S. 85-95; die härät schlössen sich nach
Lapidus nicht ständig, sondem allein ,,in time of trouble" voneinander ab.
„Thus many urban quarters were small, integrated communities . . ., they were
analogues of village communities inside the urban agglomeration" (S. 95).
208 Klaus Kreiser
Vor allem aber sind sie nicht durch Mauern voneinander getrennt'*. Wir
kömien sie am besten als Sozialgebilde begreifen, die ihre Angehörigen - wie
das Millet -System im großen! - vor Identitätsverlusten bewahrte. Die härät
der syrischen Großstädte, Jerusalems und Kairos übertrafen in spätmamlu-
kischer Zeit die mahallät der osmanischen Kernprovinzen an Einwohnern
wesentlich, entsprechend geringer war die Gesamtzahl an Quartieren'*.
Einige Städte Mittel- und Ostanatoliens gliederten sich bis kurz nach der
osmanischen Eroberung in Viertel im Sinne von vier Stadteilen. Diese wichen
dann der Kleinform der mahallät, ein Vorgang, der sicherlich nicht als
Veränderung der physisch-materiellen Struktur zu begreifen ist. Vielmehr
wurden neue fiskalisch-administrative Emheiten geschaffen'*. Dieses Beispiel
warnt vor ungeprüften Schlüssen von dem Umfang der Verwaltungsbezirke
auf den sichtbaren Habitus der Stadt. Die Register setzen im übrigen auch
odalar bzw. bekär-hdne als steuerrechtliche Einheiten unterschiedslos in die
maÄaZZe-Listen'*. In Bursa und Edirne gelten die Leprösen-Wohnungen am
Rande der Stadt als eigene mahalle. Da wir die Ausstattung des Üsküdarer
Miskinler tekkesi mit cämi' und hammäm kennen, läßt sich die Bezeich¬
nungsweise verstehen'*.
Innerhalb der religiösen Scheidlinien zwischen den Stadtbewohnern ver¬
laufen solche der Sprache und Herkunft, die sich in den Registern des 16.
Jahrhunderts schon niederschlagen": Kayseri und Ankara kennen je ein
'2 So läßt sich Tamaris (Aspetti a. a. O. S. 62) ,,La relazione che e fra la cittä ed il quartiere complete sarebbe parallele alla relazione che e fra il quartiere ristretto e la casa" nicht auf das osmanische Stadtgefüge übertragen.
'3 Zahlen bei Lapidus, Cities a.a.O. S. 85. - Die mohallas der indischen Städte
sind keine Nachbarschaften mehr, denn sie haben mehrere Tausend oder Zehn¬
tausend Einwohner (J. Brush, The morphology of Indian cities, in: India's
urban future (Berkeley 1962) 57-70).
" Diyarbakir wird nach einem dejter von 1518 - wenige Jahre nach der
osmanischen Eroberung - in vier mahallät, benannt nach den Haupttoren der
Stadt, aufgeteilt. 1540 sehen wir allein 28 muslimische Quatiere, die sämtlich
nach einem von ihnen umschlossenem mihräb heißen (cami'jmescid, medrese
usw.), s. N. GööiJNg, Onaltmci ilk yansinda Diyarbakir, in: Belgelerle Türk
tarih dergisi 7 (Nisan 1968) 76-80. Im Kayseri des Jahres 1500 finden wir jede der
35 mahallät einem der vier Haupttore bzw. der Cämi'-i Lälä (extra muros[)
zugeordnet (GoKBiLGiN, Kayseri a.a.O.). Über die Binnengliederung seldschuki¬
scher Städte ist uns so gut wie nichts bekannt (s. Cl. Cahen, Pre-ottoman
Turkey (London 1968) S. 190-191).
'5 Zur Erfassung der nicht einem Familienverband angehörenden Junggesellen (mücerred).
'6 Eviivl ^ELEBi, Seyähat-nämc Bd 2 (Istanbul 1314 H.) S. 11, Rif'at
'Osman, Edirne a.a.O. S. 29, A. S. Ünvee, About the history of leproseries in
Turkey, in: Wiener Beiträge zur Geschichte der Medizin 2 (1948) 447-450.
" Die Schlußfolgerung des Geographen R. Stewig, daß die ,,Quartierstndc- tur" Izmits mit den ,,Armenierprogromen" und der Auswanderung der Griechen
Zur mneren Gliederung der osmanischen Stadt 209
Kurdenviertel'*. Im Zusammenhang mit „kurdischen", , .turkmenischen"
und ,,ba§kirischen" Quartieren in Städten des osmamschen Palästina hat B.
Lewis angemerkt: „How far the inhabitants of these quarters were still
recognizably Kurdish or Turcoman by Ottoman times is a matter for
conjecture"" - ein Satz, der für die Kritik solcher Namen von grundsätz¬
licher Gültigkeit ist. Vereinzelt treffen wir auf den umgekehrten Fall: ein
maÄaWe-Name wird (oft pejorativ) zur Bezeichnung einer ethnischen Grup¬
pe : etwa Sulukule(li) für Zigeuner*".
Die meisten maÄaWe-Namen erlauben keine Aussagen über die Verteilung
der Gewerbestandorte. Wir wissen nicht, wie stark die Wohnbevölkerung im
zentralen Geschäfts- und Gewerbeviertel war. Größere Städte hatten außer¬
dem ständige oder wöchentliche Nebenbazare, die kü^iik pazarlar, deren
Namen sich meist an eine mahalle- oder semt- Bezeichnung anlehnen. Inner¬
halb der Wohnstraßen blieb der mahalle sakkäsi (Wasserträger) der einzige
ambulante Händler*'. Der Fiskus verbannte den Lebensmittelverkauf aus
den mahallät, um sich die Marktsteuer {bäc-i bäzär) zu sichern**. Auffälliger¬
weise sind maÄaWe-Bezeichnungen nach der Gerber-Zunft (debbägtn, tabaklar,
tabak-hdne usw.) überaus häufig. Auf ein derartiges Quartier trafen wir in
allen untersuchten Städten, nicht nur in den größeren, sondern auch in
Dimetoka**, Valona**, Patras** und Trabzon**. Wir wissen, daß die Jünger
Ahi Evran's noch im 17. Jahrhundert eine Art Immunität behaupteten, die
den Zugriff der Rechtsorgane innerhalb ihrer Viertel einschränkte*', örtliche
Zusammenfassungen gleicher Handwerke in einer Straße sind selbstver-
aufgehoben wurde, ist deshalb mißverständlich. Auch innerhalb einor (theore¬
tisch) 100%-ig muslimischen Stadt bestanden ja mahallät (Izmit, Nordwestanato- lien, in: GZ 57 (1969) 268-285).
'* Wie Anm. 44 und Anm. 42.
'» Studies in Ottoman archives I, in: BSOAS 16 (1954) 469-501; S. 480.
8» C. KUDBET, Karagöz Bd 2 (Ankara 1968) S. 561 Anm. 180.
8' Abb. bei K. Tuchelt, Türkische Gewänder (Graz 1966) T. 163.
82 In einem sicillät defteri des 11. Jhs. H. heißt es: ,,. . . halä bazi kimesneler mücerred bac pazanni vermomek ifin terokelerin mahallätda hufyeten bey'edip"
(bei K. Su, Balikesir a.a.O. S. 57 Anm. 1).
88 GÖKBiLGiN, Edimo a.a.O. S. 71 Anm. 170.
8* F. Babingeb, Ewlijä Tschelebi's Reisewege in Albanien, in: Aufsätze und
Abhandlungen Bd 2 (München 1966) S. 74.
85 U. WoLFABT, Die Reisen des Evliya Öelebi durch die Morea (Phd. Diss.
München 1970) S. 34 Anm. 79.
88 M. T. GÖKBiLGiN, XVI. yüzyil bajlarinda Trabzon livasi ve Dogu Karadeniz bölgesi, in: Belleten 26 (1962) 293-337.
8' Evliya gELEBi, Seyähat-näme Bd 1 (a.a.O.) S. 595, Bd 3 (Istanbul 1314
H.) S. 463 (Anmerkungen dazu haben 'OsmAn Nüai [Ebgin], Ö. L. Babkan und
R. Lewis verfaßt, ohne weitere, die Immunitätsfrage berührende Quellen beizu¬
bringen).
15 Or.-Tag 1973
210 Klaus Kreiseb
ständlich die Regel, allein Namen wie „Köfteciler" oder Tarak9ilar" sind
kein Beleg, daß die betreffenden mahallät zu irgend einer Zeit von Köfte-
Köchen oder Kammachern bewohnt waren**. Die Berufe der mahalleliler
bzw. ihrer Väter sind in manchen Steuerregistern festgehalten**. Mit Hilfe
derartiger Listen wird sich L. jVLa.ssionons Wort von der jixM de la reparti¬
tion topographique des corps de müiers dans une cite islamique dUerminee^" für
den osmanischen Bereich überprüfen lassen.
Die Versorgung der Wohnquartiere mit Wasser leisteten neben den sakkd
vor allem Brunnen. Sie sind ein bevorzugtes Stittungsobjekt wenig bemittel¬
ter väkifs. Als Bestimmungselement der mahallät sind sie kennzeichnender
als mescid oder mekteV^. Das Wort mahalle mektebi ist zum Synonym für die
osmanische Knabenschule überhaupt geworden. Sie hat ihren Platz, wenn
nicht bei oder in der Moschee, dort, wo zwei Straßen aufeinanderstoßen**. Im
vergangenen Jahrhundert stimmte die Zahl der Istanbuler Schulen mit der
der Viertel fast überein**. Häufig war der Zinsertrag von Privatstiftungen
den Schul- und Waisenkindern des Quartiers zugedacht**.
Die Verbindung zwischen Stifterpersönlichkeit und seiner mahalle wird bei
der Institution des 'aväriz vakfi besonders deutlich**. Sein Ertrag diente
ursprünglich der Begleichung von Steuern, die maÄaWe-Bewohner wegen
Armut oder Krankheit nicht aufzubringen vermochten, später der Braut¬
ausstattung armer Mädchen, als Sterbekasse, für die Krankenpflege und
Reparatur beschädigter Wasserleitungen und Wege. Ein väktj der Zwanziger
Jahre des vergangenen Jahrhunderts löste den Zwiespalt zwischen bürger-
88 Diese Beispiele aus Edirne : beide mahallät gehen auf Einzelpersonen zurück (GÖKBiLGiN, Edirne a.a.O. S. 48, 57).
89 In den von B. Cvetkova bearbeiteten Listen (Tärnovo a.a.O.) erscheinen nur die Berufe der Väter, in anderen (Turski dokumenti a.a.O. Nr. 26) Urkunden auch die der Betroffenen.
8° Le corps de metiers et la cit6 islamique, in: Revue intemationale de sociolo¬
gie 28 (1920) 473-489.
81 B. Mantban, (Istanbul dans la seconde moitiö du XVII« siöcle (Paris 1962) S. 40 Anm. 3) schlägt vor, die Siedlungsweise mit der Verteilung von Briumen zu vergleichen.
92 Ö. Aksoy, Osmanli devri Istanbul sibyan mektepleri üzerine bir inceleme
(Istanbul 1968) S. 150-152.
98 Vor Ausrufung der Republik zählte Istanbul 364 mekteb (O. N. Ebgin,
Türkiye maarif tarihi 5 Bde, Istanbul 1939-1943) gegenüber 318 mahalle im
Jahre 1851 (nach S. Byzantios, Konatantinoupohs (Athen 1851) boi Schneider, Regionen a.a.O. S. 151).
9'' Beispiele sind die Urkundenabschriften in Babkan u. Ayvebdi, Tahrir
defteri a.a.O. Nr. 1871, 2252, 2497. In letztgenannter (S. 435) wird verfügt:
„Und wenn sich in dor Schule keine Waisen befinden, möge (der Überscbußbe-
trag) den Waisen in der mahalle der Stifterin oder in den benachbarten zugedacht werden".
95 Zum Begriff vgl. den Art. AVARIZ, in: lA Bd 2.
Zur inneren Gliederung der osmanischen Stadt 211
licher Verbundenheit mit seiner Heimatstadt Tekirdag und der herkömm¬
lichen Anhänglichkeit an seine mahalle, indem er den größten Teil der Zinsen
des vakfierten Kapitals für sein Quartier, den Rest für die 21 übrigen
bestimmte". Auch die Wohltaten einer sultanischen Stiftung wie einer
Armenküche konnten gelegentlich außer dem Tmäret-Personal und ,,den
Armen" den Bewohnern der Nachbar-maÄaKe zugute kommen". Trotz
längst erfolgter Kommunalisierung der 'Avdriz-K.Siasen besteht die Institu¬
tion in den Elendsgebieten (für Sterbekosten, Fahrten ins Heimatdorf, Hilfe
für Neuankömmlinge) weiter**.
Wir sehen die muhalle ahältsi gemeinsam Gesuche an die Behörde richten**
und sich gegenseitig Bürgschaft leisten"**. In sehädet-näm£ aUer Art bestäti¬
gen sie ihre Identität (man nennt diese Dokumente auch mahalle 'Um ü
haberiY^^. In unzähligen Stiftungsurkunden lautet die Bedingung, die Auf¬
sicht (tevliyet) einer vertrauenswürdigen Person der cemA'at-t mahalle zu
übertragen'**. Im 16. Jahrhundert stellten die Viertel ihre Nachtwächter in
Istanbul selbst'**, während in Erzurum die Ladenbesitzer des Marktes,
nicht der mahalldt, dafür sorgten'**.
Bis in die Tanzlmät-lEiTpoche hinein war der Imäm bzw. der christliche oder
jüdische Geistliche ?naÄaZ/e-Vorstand. Die Ablösung der Imdme wird in der
historischen Literatur meist mit einem Satz des Lütfi begründet: ,,Es
wurden, um die Nachlässigkeiten der Imdm^ zu verhindern, in jeder mahalle
jeweils zwei angesehene Persönlichkeiten als erster und zweiter muhtär
bestimmt"'**. Inzwischen hat M. (üadirci Ursachen und Wirkungen der
»' H. B. KuNTEB, Türk vakiflan ve vakfiyeleri üzerine mücmel bir etüd, in:
Vakiflar dergisi 1 (1938) 103-129; S. 122.
*' So bei Edirnes Muradiye (nach 'Abdübbahmän HiBBt, Enisü'l-Müsämirin, Hs. Üniversite 451 fol. lla-b).
** P. Suzuki, Encounters with Istanbul: urban peasants and village peasants, in: Journal of comparative sociology 5 (1964) 208-216.
9' Zahlreiche Belege in den mühimme defterleri-Ausziigen, die Ahmed Ref Ik
(Ahmet Refik Altinay) veröffentlichte (z. B. in: Onimcu 'asr-i hicride Istanbul hayati (Istanbul 1333 H.) S. 55, dt. Übers, v. G. Jacob (Kiel 1920) Nr. 66; S. 64-
66 (Nr. 79); Türk mimarlari (Istanbul 1936) S. 82-83; 95-96; S. 104; Türk
idaresinde Bulgaristan (Istanbul 1933) S. 31 (Nr. 43), S. 40 (Nr. 62). Meist ist von
Bauangelegenheiten die Rede. Öfters ist es den mahalle ahälisi um die Entfer¬
nung zweifelhafter Frauenzimmer, Weinschenken usw. zu tun.
'°° Beispiele in : Turski dokumenti a. a. O. wie Anm. 89 und Nr. 278.
101 ygi_ Pakai.in s.v. §ehadetname.
'02 Beispiel aus Barkan u. Ayvebdi, Tahrir defteri (a.a.O.) : „nezäret cemä'at-t mahalle ihtiyär etdügi kimesneye ola" (S. 15 Nr. III).
L. Bassano, Costumi et i modi particolari della vita de'Turchi (Rom 1545)
15b (S. 38 in der Faksimile-Ausgabe München 1963).
Ö. L. Babkan, Kanunlar S. 69-70 über die 'aaesiye.
'»5 AgMED LüTFi, Tärih, 8 Bde (Istanbul 1290-1328 H.), Bd 2, S. 173 (vgl.
auch Bd 5, S. 35 zu den Ereignissen des Jahres 1251 H.).
212 Klaus Kbeisbb
neuen mMÄifJrZtÄ;-Organisation kurz beschrieben, wir begnügen uns mit einem
Verweis auf seine Arbeit'"*.
Die Binnengliederung der osmanischen Stadt besaß höhere Ordnungen
über der mahallät-'Ebene, freilich sind diese wenig erforscht. Wir kennen zwar
die Zuständigkeit des Imäms für die ,,Kasuahen", wissen aber nicht, ob so
etwas wie ein Parochialzwang bestand. Die neväht-'FAnteilxing Istanbuls (13
nähiye ohne die Biläd-i seiäse) entsprach einem verwaltungsrechtlichen
Bedürfnis. Anderswo mögen den nevväb zugeordnete Bezirke innerhalb der
Städte bestanden haben, sind mir jedoch nicht bekannt. Jedenfalls waren die
nähiye keine ,, Sprengel" der Freitagsmoscheen, da die Smnme der cevämi'
Istanbuls wesentlich über die 13 neväht hinausging. Die Pluralität der
Freitagsmoscheen bei den Osmanen hat die dezentrahsierende Tendenz in
der Stadtstruktur verstärkt'*'. Gleichwohl scheint uns ein Verständnis der
osmanischen Stadt als ,, collection of villages"'** verfehlt. Die Erwerbsweise
der mahalleliler war schließlich eine städtische, und die Städte kannten
keinen Bewohner, der nicht in eine mahalle gehörte. Die Beispiele von
solidarischen Handlungen und Einrichtungen der Quartierbewohner wie
ihrer rechtlichen und fiskalischen Gleichstellung haben gezeigt, daß wir es
mit einem entwickelten Sozialgebilde zu tun haben, das längst nicht die
ihm zukommende Aufmerksamkeit erhalten hat.
S. E. SiYAVUSGtL sah in der Leinwand des Schattenspiels (Küstert mey-
d&ni) die Abstraktion einer Istanbuler mahalle. Er teilt denn auch die
Figuren des klassischen Karagöz in mahallenin yerlileri, solche, die aus dem
Viertel sind, und Fremde auf. Das Quartier nennt er mit Recht die einzige
wirkliche Einheit des sozialen Lebens im osmanischen Reich"". Ein Weg zu
einer Gesamtschau führt freilich über eine Reihe von Monographien wichti¬
ger und typischer Städte. Vorerst müssen wir mit diesen verstreuten An¬
merkungen Vorlieb nehmen.
106 Türkiye'demuhtarhktejkilätininkurulmasiüzerine bir inceleme, in: Belle¬
ten 34 (1970) 409-420. ^adirci zeigt, daß die neuen Änrter vor allem auf Kosten der Macht der a'yän geschaffen wurden.
"" Die ülu cämi' vor- und frühosmanischer Jahrhunderte hatte möglicherwei¬
se ,, Kathedralfunktion". Einzige mir bekannte Diskussion der Frage durch D.
Kuban, Anadolu-Türk §ehri, a.a.O. S. 70-71. Die Plurahtät der Freitagsmo¬
scheen bestand schon in den Metropolen der mittelalterlichen arabischen Staaten (s. O. Gbabab, The architecture of the Middle Eastern city from past to present:
the case of the mosque in Middle Eastern cities (Berkeley 1969) 26-42).
'"* G. Goodwin, A history of Ottoman architecture (London 1971) S. 451.
'»» Karagöz (Istanbul 1941), S. 144-188.
DIE BEDEUTUNG DER MAMLUKISCHEN HERALDIK
FÜR DIE KUNSTGESCHICHTE*
Von Michael Meinecke, Kaieo
Mit 3 Abbildungen und 2 Tafeln
Die Aufgabe der Kunstgeschichte, Stilentwicklungen aufzuzeigen, mit
deren Hilfe etwa kulturhistorische Querverbindungen zwischen verschiede¬
nen Kunstlandschaften definiert werden können, wird häufig durch geringe
Überlieferung eindeutig datierter und lokalisierter Kunstwerke erschwert.
Diese Schwierigkeit mag begründen, warum auch für die Zeit der Mam-
lukenherrschaft in Ägypten und Syrien (648/1250 - 922/1517) eine Darstel¬
lung der kunsthistorischen Entwicklung der einzelnen Kunstgattungen noch
weitgehend aussteht. Hier könnte jedoch mit der systematischen Auswer¬
tung der auf zahlreichen mamlukischen Kunstwerken auftretenden Heraldik
eine wertvolle Datierungshilfe für die genauere Einordnung auch anepigra-
phischer Kunstwerke gewonnen werden.
Mit Wappen, die der herrschenden Oberschicht und damit dem Personen¬
kreis vorbehalten blieben, der in erster Linie als Auftraggeber für Kunst¬
gegenstände hervortrat, wurde der persönliche Besitz der einzelnen Würden¬
träger gekennzeichnet. So sagt al-Qalqasandi' : ,, Jeder Amir, ob groß oder
* Vorliegender Beitrag ist als Ergänzung meines Aufsatzes ,, Zur mamlukischen Heraldik" (in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung
Kairo XXVIII/2, 1972, S. 213-287, T LII-LXVII; i. f. zitiert: Heraldik 1972)
gedacht. Abgesehen von einigen Nachträgen und Korrekturen zu dem dort
zusammengefaßten Material liegt hier der Schwerpunkt auf der Entwicklimgs-
struktur der mamlukischen Heraldik und den von zeitgenössischen Historio¬
graphen überlieferten Hinweisen zum Wappenbrauch. Zahlreiche Anregungen
hierzu verdanke ich Ulbich Haarmann (Freiburg), der auch die in Anm. 1,23,
42,43,46,59,67,94 genannten Textpassagen übersetzte. Die Vorlagen für Fig. 1
wurden von Heinrich Welz (Berlin) angefertigt ; Fig. 2 und 3 basieren auf L. A.
Mayer: Saracenic Heraldry, a survey, Oxford 1933 (i. f. abgekürzt: Mayer,
Heraldry), Schautafel S. 30. Alle fotografischen Aufnahmen vom Verfasser. Die
Wappenscherben auf Abb. 5 imd 6 stammen aus der von Kurt Munzel (Gar¬
ching) dem Orient-Institut der Deutschen Morgeniändischen Gesellschaft in
Beirut gestifteten Sammlung; das Keramikfragment auf Abb. 1 befindet sich im
Besitz von Eberhard Kuhnt (Borm).
* Kitäb subh al-a'ää fi sinä'at al-inää', Ed. Kairo IV, S. 61:21-62:5; vgl. die
Übersetzung von M. Gaudefroy-Demombynes : La Syrie a l'öpoque des Mame-
louks, Paris 1923, S.xcii f. Anm. 2; nur ein kurzer Auszug bei Mayeb, Heraldry 1933, S. 3.