ANMERKUNGEN ZU DEN SPIELARTEN OSMANISCHER BIOGRAPHIENSAMMLUNGEN*
von Barbara Kellner-Heinkele, Hamburg
Fragestellung: Das vielfältige historische, biographische, kulturgeschichtliche und
Textmaterial der großen Biographiensammlungen osmanischer Dichter und Gelehr¬
ter hat diesen Werken einen festen Platz im Nachweisapparat der osmanistischen Literatur gesichert, auch wenn der Wissenschaftler selbst heute noch zumeist auf die nur mühsam erreichbaren Handschriftentexte angewiesen ist. Die Dichtertezkires
haben in den letzten Jahren sogar als Forschungsgegenstand Aufmerksamkeit ge¬
funden.
Mit diesen zwei vertrauten Kategorien ist das osmanische biographische Schrift¬
tum jedoch noch nicht erschöpft. Gerade der Versuch, die bisher weniger beachte¬
ten Spielarten zu verzeichnen und zu klassifizieren, führt zu einer Fragestellung, die
den Anstoß zu einer umfassenden Neubewertung dieser Gattung innerhalb der
osmanischen Literatur geben könnte:
1. Inwieweit folgt die osmanische Biographienschreibung der Tradition persischer und arabischer Vorbüder?
2. Welche Sparten erfreuten sich besonderer Beliebtheit?
3. Sind eigenständige Entwicklungen festzustellen?
4. Wo steht die osmanische Biographienschreibung irmerhalb der osmanischen
Historiographie und Literatur?
1. Die biographische Literatur in arabischer Sprache hat sich aus der Hadit-Wis- senschaft heraus zu einem eigenständigen Zweig der Historiographie entwickelt.
Beliebt waren neben Universalbiographiensammlungen, die verschiedenste Personen¬
kreise erfaßten, genauso Werke, die jeweüs nur einer Klasse (tabaka) gewidmet
waren, eben nur Gelehrten, Dichtern, Staatsmännern, Phüologen, Künstlern, Persön¬
lichkeiten einer bestimmten Stadt, etc.
Die Untergmppe der Heüigenviten (sog. Manäkib-Literatur) soll von den hier vor¬
gebrachten Überlegungen ausgeschlossen bleiben, da sie eher als frommes Werk
denn als Überliefemng von Fakten diente.
Die in persischer Sprache auf uns gekommenen Biographiensammlungen stam¬
men aus dem 13. bis 19. Jahrhundert und weisen die ganze Themen-und Formen¬
breite des arabischen Vorbüdes auf.
Fütert man die biographische Literatur der Osmanen aus unseren Nachschlage¬
werken (Handschriftenkataloge u.ä.), so lassen sich nicht weniger als 150 Grund¬
werke und Fortsetzungen (zeyl) nachweisen, Übersetzungen arabischer und persi¬
scher Werke, sowie Manäkib-Literatur nicht nütgerechnet, dabei sind längst noch
* Die ungekürzte Fassung dieses Referats erscheint inAnatolica VI (1978).
XX. Deutscher OrientaMstentag 1977 in Erlangen
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nicht ahe Handschriftenbestände, vor allem in der Türkei, erschlossen. Hierbei läßt sich erkennen, daß das Genre sich bei den Osmanen im 16. Jahrhundert entfaltete,
seine Blüte im 17., 18. Jahrhundert erlebte und die Tradition bis zum Ende des
19. Jahrhunderts bewahrte. Themen und Aufbaumuster des arabischen und persi¬
schen Vorbildes finden sich wieder.
2. In Anbetracht des vorhandenen Materials nimmt es wunder, daß keiner unse¬
rer Leitfäden zur osmanischen Literaturgeschichte oder auch keine der Antholo¬
gien, die Schöpfungen osmanischer Biographienschreiber als eigene Gattung vor¬
stellen, oder zumindest werden nur die Dichterbiographiensammlungen der
Erwähnung für würdig befunden. Die einzige Ausnahme macht meines Wissens der
1. Band von Agäh Sirri Levend's Handbuch Türk Edebiyati Tarihi (Ankara 1973),
in dem die verschiedenen Spielarten biographischer Literatur und ihre Werke —
allerdings nicht vollständig - aufgelistet, aber nicht analysiert sind.
Nicht ganz 50% der oben erwähnten 150 Titel machen die Lebensbeschreibun¬
gen von Ordensscheichen aus. Die Gmppe der Dichtertezkire- und Gelehrtenbio¬
graphiensammlungen beläuft sich auf etwa 1/5 der Gesamtzahl, wobei hervorgeho¬
ben sei, daß sich die Dichterbiographien schon bei den Osmanen besonderer Wert¬
schätzung erfreuten. Die weniger bekannten Spielarten sind mit ca. 50 Titeln vertre¬
ten. Aber gerade diese Untergruppe verleiht dem osmanischen biographischen
Schrifttum eine gewisse Eigenart.
3. In die Vielfalt der hier behandelten Personenkreise läßt sich durch Gmppie-
rung eine gewisse Überschaubarkeit bringen: Neben den nicht sehr zahlreichen
Herrscherviten (Sultane, Krunchane) finden sich jeweils mehrere unabhängige oder einander fortsetzende Werke über Reichswürdenträger (Großvezire, Re'isü 1-Küttäb,
Oberaufseher des Harems, etc.). Auch Angehörige des Gelehrtenstandes wie
Scheichülislame, Prediger, Müderris hatten ihre Biographen, wie auch die Vertreter
verschiedener Kunstzweige (Schönschreiber, Musiker, Kunsthandwerker) verewigt
wurden. Neben das Klassifikationsprinzip ,Stand oder Bemf tritt auch ein geogra¬
phisches, die bemerkenswerten Persönlichkeiten, die in einer bestimmten Stadt
(Bursa, Edirne, Amasya, etc.) wirkten und gestorben sind, haben nicht wenige
Autoren zu Biographiensammlungen angeregt.
4. Die Vielfältigkeit der oben angesprochenen noch weniger bekannten Bio¬
graphiensammlungen unterstreicht den im umfassendsten Sinne historischen
Quellenwert der osmanischen Biographienschreibung insgesamt und fordert zu einer literarhistorischen und klassifizierenden Untersuchung ihrer Zeugnisse als eigen¬
ständige Literaturgattung, die bisher aussteht, heraus, ein Unternehmen, das unter anderem über folgende Fragen Aufschluß anstreben könnte:
Welche Möglichkeiten gab es, ein Werk anzulegen?
Wie groß ist die Variationsbreite innerhalb des vorgegebenen Grundmusters für
eine einzelne Lebensbeschreibung?
Welcher Quellen bediente sich der Autor? Welche erwähnt er ausdrücklich?
Was war die Motivierang der Abfassung?
Inwieweit waren einzelne Autoren der Gattung Biographie besonders zugetan?
Sprache und Stil in einem gegebenen Werk, sowie deren Verhältnis zu anderen
biographischen Sammlungen, schließlich innerhalb des schriftstellerischen Werkes eines einzelnen Autors.
EXKLAVEN IN DER OSMANISCHEN VERWALTUNGSGLIEDERUNG
von Hans-Jürgen Kornrumpf, Stutensee
Es handelt sich hier um Teile einer osmanischen Provinz (Sandschak), die völlig
von dem Territorium einer oder mehrerer anderer Provinzen umgeben sind. Nicht
gemeint sind Reichsteile, die durch tributäre Staaten vom eigentlichen Staatsgebiet
getrennt waren, wie etwa um 1450 das Kernland von Bosnien' oder im 18. Jahrhun¬
dert Chotin^, auch nicht Territorien, die auf benachbarte Verwaltungseinheiten aufgeteilt wurden, wie z.B. die Nahiye Osad an der bosnisch-serbischen Grenze^ und ebenso Karagaäbäd/Karagaova in Mazedonien''. Die Gründe für das Vorhandensein solcher Exklaven sind verschieden und nachträglich nicht immer leicht anzugeben.
Oft gehen Exklaven auf vorosmanische Herrschaftsgebiete zurück und/oder besaßen
aufgrund wktschaftlicher Besonderheiten Privilegien oder eine gewisse Autonomie.
Gelegentlich scheinen auch, besonders nach der Verwaltungsreform von 1864/67,
geographische Unkenntnis und das Fehlen guter Karten Ursache zu sein'.
Im Folgenden werden drei Beispiele gegeben, eines aus der älteren Zeit, die ande¬
ren aus dem 19./20. Jahrhundert.
1. Zwei Exklaven des Sandschak Hudävendigär/Bursa im westlichen Anatolien
(vgl. Karte 1):
Nahiye und Kaza Kizilgatuzla an der Ägäis, wichtig wegen der Salinen bei Beh-
räm/Bayräm. Als Exklave vor 946/1539 belegt*, im 15. Jahrhundert jedoch noch
unter Karasi'.
Nähiyes und Kazas Bergama, Tarhäla etc. zwischen Karasi und Saruhän. Im 16.
Jahrhundert ebenfalls unter Bursa, hn 14. jedoch TeU von Karasi und zeitweUig von
Balikesri getrenntes eigenes Beylüc*.
1 H. SABANOVlt: Bosanski paXaluk. Sarajevo 1959, S. 35-41 sowie die Karte bei S. 32.
2 1767 fast gleichzeitig von Baron DE TOTT und C. NIEBUHR besucht: Memoirs of Baron de Tott II. London 1785, S. 8-12;C. Niebuhrs Reisebeschreibung nach Arabien etc. III. Ham¬
burg 1837, S. 211-14.
3 H. SABANOyit: Bosanski pasaluk, S. 135f. und 199 sowie die Karte bei S. 176.
4 Vgl. die Sälname's für Selänlk sowie die Reichsalmanache ab 1306/1888f.
5 Mehrere Beispiele hierfür gibt F. KANITZ: Donau-Bulgarien und der Balkan I-III. Leipzig 1875-79 (2. Auflage 1882), Sachregister, VII. Verwalhing.
6 Ba5,bakanlik Arjivi, Tapu Defteri No. 198; Mitteilung von N. GÖYÜNf . Aufgrund von Vakf registern bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu Bursa; mündliche Auskunft
von N. BELDICEANU. .
7 R. ANHEGGER u. H. INALCIK: Känünnäme-i suItänT ber müceb-i '^örf-i 'Osmäni. Ankara 1956, S. 30f ; N. BELDICEANU:* Les actes des premiers sultans etc. I. Paris - Le Haye 1960, S. 94 f
8 Vgl. u.a. i. H. UZUNf AR§ILI: Anadolu beylikleri ve Akkoyunlu, Karakoyunlu devletleri.
Ankara 1969, S. 99 u. lOlf
XX. Deutscher Orientahstentag 1977 in Erlangen