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Das System der Lokalverwaltung im Vereinigten Königreich

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WORKING PAPER 8/2003

Das System der Lokalverwaltung im Vereinigten Königreich

A. Univ.-Prof. Dr. Kurt Promberger Dr. Josef Bernhart Mag. Iris Rauskala

In Kooperation mit:

Universität Innsbruck Europäische Akademie Bozen Zentrum für Verwaltungsmanagement Abteilung Public Management

Universitätsstraße 15 Drususallee 1

A – 6020 Innsbruck, Austria I – 39100 Bozen, Italien

++43 (0)512 507-7601 ++39 (0)471 055 400

www.verwaltungsmanagement.at www.eurac.edu verwaltungsmanagement@uibk.ac.at info4@eurac.edu

(2)

Inhaltsverzeichnis

1. Einbettung der Lokalverwaltung ... 1

1.1 Politisches System des Vereinigten Königreichs ... 1

1.2 Charakteristiken der Lokalverwaltungen ... 2

1.3 Gesetzlicher Status der Lokalverwaltungen... 3

1.3.1 Beschränkter Freiraum durch "Ultra Vires" ... 3

1.3.2 Lokal relevante Gesetze ... 4

1.4 Organisationen und Interessensvertretung der Lokalverwaltung ... 5

1.5 Historische Entwicklung der Lokalverwaltungen ... 6

1.6 Legitimation lokaler Verwaltungen ... 7

2. Organisation im Wandel... 9

2.1 Der Council - die Ratsversammlung ... 9

2.2 Rolle und Aufgaben der Ratsmitglieder ... 10

2.3 Komitees... 10

2.3.1 Funktionen ... 10

2.3.2 Arten von Komitees ... 11

2.4 Wahlen zum Council... 12

2.5 Verwaltungsbedienstete... 12

2.6 Paradigmenwechsel in der internen Verwaltungskultur ... 13

2.7 Fragmentierung... 14

2.7.1 Bildung... 14

2.7.2 Öffentliches Wohnungswesen... 15

2.7.3 Sozialleistungen und -dienste... 15

3. Struktur der lokalen Körperschaften... 16

3.1 England ... 16

3.1.1 Städtische Bezirke und Distrikte ... 16

3.1.2 Ländliche Gebiete ... 18

3.2 Local Government Review ... 18

3.3 Wales, Schottland und Nordirland... 19

(3)

4. Aufgaben lokaler Körperschaften ... 19

4.1 Leistungserstellung durch County und Distrikt ... 22

4.2 Zusammenarbeit und Agency-Agreements ... 22

5. Finanzierung der Lokalverwaltungen... 24

5.1 Lokale Steuern ... 24

5.1.1 Council-Steuer... 24

5.1.2 Gewerbekapitalsteuer... 25

5.2 Zuschüsse der zentralstaatlichen Regierung ... 25

5.3 Gebühren, Benutzerentgelte und andere Einnahmen ... 26

6. Aufsichtsorgane der Lokalverwaltung... 27

6.1 Zentralstaatliche Regierung... 27

6.2 Audit Commission... 27

6.3 Local Government Ombudsman ... 29

7. Reformen des öffentlichen Sektors ... 29

7.1 Ausformung des New Public Managements im Vereinigten Königreich ... 29

7.2 Reformen auf lokaler Ebene ... 30

7.2.1 Reformtrends... 31

7.2.1.1 Finanzielle Einschränkungen und fiskalischer Druck ... 31

7.2.1.2 Leistungsmanagement und Best Value ... 32

7.2.1.3 Aufrechterhaltung der Kundenorientierung... 32

7.2.1.4 Wiederbelebung der lokalen Politik ... 33

7.2.2. Aktuelle Reformen: Modern Local Government ... 34

7.2.2.1 Neue politische Strukturen:... 35

7.2.2.2 Verbesserung der lokalen Demokratie ... 36

7.2.2.3 Verbesserung der lokalen finanziellen Rechenschaft... 37

7.2.2.4 Neuer „Verhaltenskodex“ für Räte und Bedienstete ... 37

7.2.2.5 Verbesserungen lokaler Leistungen durch Best Value... 37

Quellenverzeichnis...iii

Literatur...iii

Internetquellen... iv

(4)

1. Einbettung der Lokalverwaltung

1.1 Politisches System des Vereinigten Königreichs

Das vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland ist ein zentralistischer Einheitsstaat. Das politische System wird vom Prinzip des Majorz1 dominiert. Die zwei Hauptparteien sind die konservative (Conservatives) und die Arbeiterpartei (Labour), mit einer Anzahl weiterer kleiner Parteien, von denen die wichtigste die Partei der Liberalen (Liberal Democrats) ist. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden alle Regierungen entweder von Labour oder Conservative gebildet. Die Regierung (Cabinet) beschäftigt sich hauptsächlich mit dem politischen Zusammenhalt der Kabinettsmitglieder und der Verabschiedung neuer Programme und Politiken. Die meisten Programme werden aber außerhalb des Regierungskabinetts erstellt, entweder in Ministerien oder in Regierungskomitees. Die Exekutive ist machtvoll und bekommt den Rücken durch strenge Parteidisziplin im Unterhaus gestärkt. Normalerweise ist es für sie kein Problem, Gesetzesentwürfe zu verabschieden. Das Oberhaus hat heute kaum noch Bedeutung.

Die administrative Kultur orientiert sich am öffentlichen Interesse, wobei Gleichbehandlung und Fairness die wichtigsten Handlungsdoktrinen sind.2 Das Modell des öffentlichen Interesses schreibt dem Staat im Vergleich zum kontinentaleuropäischen Modell des Rechtsstaats eine weniger extensive, weniger dominante Rolle in der Gesellschaft zu. Die Staatsmacht ist auf das absolut notwendige Maß zu beschränken, und die obersten Vertreter werden ständig durch das Parlament und andere Wege zur öffentlichen Rechenschaft gezogen.3

Zwischen lokaler und zentraler Ebene gibt es (noch) keine regionale Körperschaft, Tendenzen in diese Richtung sind aber erkennbar.4 Mit dem Regierungswechsel 1997 haben sich politische und institutionelle Änderungen und neue Möglichkeiten des Zusammenspiels supranationaler, nationaler und subnationaler Akteure ergeben.5 Die Regierung hat in der Schaffung der acht Regional Development Agencies (deren Mitglieder nicht gewählt, sondern ernannt werden) 1999, der Greater London Authority 2000 und den Volksversammlungen in Schottland, Wales und Nordirland erste, in ihrer Vielzahl beinahe schon inflationäre Schritte zur Anerkennung und Förderung regionaler Interessen gesetzt.6 Die Europäische Union macht Druck zu vermehrter regionaler Zusammenarbeit und auch die Notwendigkeit der regionalen Kooperation in wirtschaftlichen und infrastrukturellen Angelegenheiten zur Verbesserung der Standorte verstärkt die Tendenz hin zu einer fest verankerten regionalen Ebene.7 Angedacht werden auch schon regionale, direkt gewählte Volksversammlungen im restlichen England.8

1 "Regierungsmechanismus zur Austragung sozialer und politischer Konflikte in demokratisch verfassten Gruppen und Gesellschaften. Aus dem lateinischen entlehnter Begriff für das Mehrheitsprinzip." Holtmann, S. 369

2 Vgl. Pollitt/Bouckaert, S. 42

3 Ebenda, S. 53

4 Vgl. OECD, Online in Internet URL:

http://www.oecd.org/puma/country/uk.htm#PumareportswithasectionontheUK

5 Siehe Pearce, S. 16, 18

6 DETR, Online in Internet URL: http://www.local-regions.detr.gov.uk/lgwp/ (Stand: 11.04.01). Die gesamte nordirische Exekutive wurde allerdings mit 14.Oktober 2002 wieder suspendiert und die Kontrolle über die irischen Angelegenheiten liegt seither en gros beim Minister für Nordirland, Dr. John Reid MP, und seinem Kabinett. Vgl.

z.B. Online in Internet: URL: http://www.nio.gov.uk/press/021015pf.htm, auch: Online in Internet: URL:

http://www.nio.gov.uk/issues/policing.htm

7 Vgl. Clarke, S. 19

8 Online in Internet URL: http://www.lgiu.gov.uk/tolls/factssearch (Stand: 15.01.2001)

(5)

Einige Kommentatoren befürchten über diese Entwicklungen hin bereits das Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs.9

1.2 Charakteristiken der Lokalverwaltungen

Einige Merkmale sind für die lokalen Körperschaften besonders charakteristisch und unterscheiden sie klar von anderen öffentlichen Organisationen des Vereinigten Königreichs:10

(1) Wahl der politischen Repräsentanten der lokalen Körperschaften durch die lokale Bevölkerung: Die gewählten Volksvertreter bilden die lokale Ratsversammlung. Diese bestimmt örtliche Politiken, überwacht die lokale Verwaltung und ernennt die obersten Verwaltungsbediensteten. In diesem Sinne sind britische lokale Körperschaften mit den österreichischen Kommunalverwaltungen vergleichbar.11

(2) Die Lokalverwaltungen sind multi-funktional: Eine Lokalverwaltung hat ein vielseitiges Aufgabenspektrum, angefangen bei Aufrechterhaltung der örtlichen Infrastruktur (Straßenbau und -erhaltung, Müllabfuhr, Straßenbeleuchtung, etc.), über Wohnungswesen, Schulwesen, Sozialdienste, bis hin zum Sicherheitswesen. Im Unterschied dazu sind die "Quangos"12 oder für den lokalen Bereich die "Qualgos" nur für einen klar begrenzten Aufgabenbereich oder auch nur für eine Aufgabe zuständig (so in etwa die Wasserbehörden, die britische Post, die lokalen Gesundheitsbehörden, die selbständigen Krankenhäuser, etc.)

(3) Die Lokalverwaltungen sind in der Erfüllung ihrer Aufgaben auf ihr lokales Gebiet begrenzt:

Sie sind nur für die Leistungserbringung in ihrem eigenen Gebiet zuständig und verantwortlich.

(4) Die Lokalverwaltung besitzt eine relativ klare Struktur: Diese besteht entweder aus einem zweispurigen System (34 Counties und 238 dazugehörigen Distrikten) oder aus 169 Einheitsverwaltungen. Diese zusammen ergeben die "prinzipalen" lokalen Verwaltungen.

Dazu kommt in vielen Landesteilen eine Art dritte Spur, die sehr kleinen Kirchenbezirke, Kommunen oder kleinsten Stadtverwaltungen, die kaum politisches Gewicht haben und nur im geringen Umfang öffentliche Leistungen erstellen.

(5) Die lokalen Körperschaften werden durch den parlamentarischen Willen gebildet und könnten so theoretisch auch jederzeit wieder abgeschafft werden: Da in Großbritannien nur das Parlament souverän ist, führen die lokalen Körperschaften ihre Existenz und rechtlichen Befugnisse auf den Willen des Gesetzgebers zurück.13

9 So z.B. Guardian, Online in Internet URL: http://www.guardian.co.uk/Archive/Article/0,4273,3812862,00.html (Stand: 19.07.01)

10 Vgl. Byrne, S. 2f

11 Die Bezeichnung "kommunale Körperschaften" oder "Kommunalverwaltung" ist aber für das Vereinigte Königreich nicht passend, weil die Körperschaften in ihrer flächenmäßigen Ausdehnung mit deutschen Landkreisen oder unseren Bezirken vergleichbar sind. Ausnahmen sind jene lokalen Körperschaften, deren Gebiet sich mehr oder weniger mit einer Stadtbegrenzung deckt - so etwa die "Metropolitans", die städtischen Distrikte in Mittel- und Nordengland, oder auch die Bezirke Londons. Diese würden Kommunalverwaltungen in unserem Sinn entsprechen.

12 "Quango" ist die Abkürzung für "Quasi-autonomous, non-governmental organization", ist also eine zu einem hohen Grad unabhängige und nur dem zuständigen Minister für ihr Handeln verantwortliche (halb)öffentliche Organisation. (Analog dazu sind „Qualgos“ Organisationen, die im Umfeld der Lokalverwaltungen operieren und/oder ehemals lokale Aufgaben übernommen haben.) Die Mitglieder der Leitungsgremien werden vom Minister ernannt. Dieser Trend ist vergleichbar mit der massenweisen Ausgliederung der Agencies unter der "Next Steps"- Initiative während der 90er Jahre. Der zentrale Gedanke der Initiative ist die „Agencification“ (Bildung semi- autonomer Organisationen, die für die Operationalisierung von Politikvorgaben zuständig sind). Dies bezieht sich auf die klassische Doktrin des New Public Management, das eine Distanzierung der Politik von den ausführenden Tätigkeiten fordert.

13 Es wäre aber falsch, die lokalen Körperschaften nur als Agenten der Regierung zu bezeichnen. Die lokale Ebene arbeitet in Partnerschaft mit Ministerialabteilungen und verfügt außerdem über historische gewachsene Freiheiten, mit denen der Begriff der lokalen Selbstverwaltung gerechtfertigt werden kann. Vgl. Byrne, S. 4

(6)

(6) Lokale Körperschaften heben ihre eigenen Steuern ein: diese umfassen eine Steuer auf den Immobilienbesitz der lokalen Bevölkerung und eine Steuer, die vom lokalen Gewerbe entrichtet werden muss. Obwohl die lokalen Steuereinnahmen bei weitem nicht die wichtigste Finanzquelle der lokalen Körperschaften sind, gestatten sie doch einen Grad an lokaler Selbständigkeit.

1.3 Gesetzlicher Status der Lokalverwaltungen

Das Vereinigte Königreich hat eine lange Tradition in der demokratischen lokalen Selbstverwaltung. Lokale Verwaltungen und das lokale politische System bilden neben der zentralstaatlichen Verwaltung die zweite körperschaftliche Ebene. Lokale Körperschaften sind der nationalen Ebene untergeordnet und besitzen keine originäre demokratietheoretische Legitimation.14 Sie sind durch den parlamentarischen Willen geschaffen und können jederzeit per Gesetz aufgelöst werden.15 Obwohl man die lokale Ebene nicht als unabhängige Körperschaft im föderalen Sinne bezeichnen kann, gab es bisher dennoch auch keine zentralstaatliche Ministerialabteilung, die die Koordination und Verbindung lokaler und zentraler Ziele über die Grenzen eines Ressorts hinaus übernommen hätte.16

1.3.1 Beschränkter Freiraum durch "Ultra Vires"

Die Aufgaben der Lokalverwaltungen werden in Gesetzen oder ministeriellen Anordnungen festgelegt. Als gesetzlich geschaffene Gebilde unterliegen die lokalen Körperschaften der

„Ultra Vires“ - Doktrin17. Sollten lokale Körperschaften ohne gesetzlichen Auftrag tätig werden, handeln sie ungesetzlich ("ultra vires"). Jedes Zivilgericht kann diese Handlungen dann aufheben und handelnde Personen zur Verantwortung ziehen. Nur innerhalb der oben genannten engen gesetzlichen Grenzen besitzen die lokalen Körperschaften eine Art allgemeine Zuständigkeit.18 Das Lokalverwaltungs-Gesetz von 1972 besagt allerdings, dass lokale Körperschaften legal handeln, wenn sie Aktivitäten zur sinnvollen Unterstützung oder Durchführung der gesetzlich explizit geregelten Aufgaben unternehmen.19

14 D.h., sie genießen keine verfassungsgesetzliche Verankerung und daher auch keine verfassungsmäßig garantierte Legitimierung. Vgl. Sturm, S. 247

15 Besonders kritisch erwies sich diese Tatsache im Sommer 1991, als die Regierung Major laut über die vollkommene Abschaffung der lokalen Ebene nachdachte. Vgl. Elcock/Minouge, in: McCourt/Minouge, S. 91

16 Das Verhältnis zwischen Zentralregierung und den Gebietskörperschaften wird von Bulpitt als "dual politiy"

bezeichnet. Es bestand lange Zeit in der Trennung zwischen der "hohen Politik" auf der nationalen und der

"niedrigen Politik" auf lokaler Ebene. In diesem Rahmen konnte die lokale Selbstverwaltung keine größere Eigenständigkeit gewinnen. Vgl. Benz, S. 9. Aufgrund der Schwierigkeit, heutige Probleme des modernen Wohlfahrtsstaates mit diesem Ansatz zu lösen, wird jedoch seit der Ära Blair versucht, das Verhältnis zwischen der lokalen und der nationalen Ebene partnerschaftlicher und kollaborativer zu gestalten. Ein Ansatz dazu ist die Schaffung des Office of the Deputy Prime Minister, welches als zentralstaatliches Ministerialbüro im Mai 2002 organisiert wurde und die Lokalverwaltung generell und einige lokale Aufgaben speziell in seinem Verantwortungsbereich inne hat (z.B. Politikagenden des Wohnungswesens, Planungsaufgaben, regionale Dezentralisierung/Regionalisierung, Feuerwehr im Speziellen). Zusätzlich übernimmt das ODPM koordinierende Aufgaben als verantwortliche Stelle für die Social Exclusion Unit (soziale Ausgrenzung), die Neighbourhood Renewal Unit (Wiederbelebung von Wohngegenden/Stadtteilen) und die Regierungsabteilungen für die Regionen.

Vgl. http://www.odpm.gov.uk/stellent/groups/odpm_about/documents/sectionhomepage/odpm_about_page.hcsp (Stand: 21.10.2003)

17 Diese besagt, dass die Lokalverwaltungen als gesetzlich geschaffenes Gebilde auch nur gesetzlich bestimmte Aufgaben wahrnehmen können, oder solche Aufgaben, die von gesetzlichen Grundlagen sinnvoll und logisch abgeleitet werden können. Dieser Status ist historisch gewachsen und leitet sich noch von jenen ad hoc geschaffenen Behörden ab, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur zur Erfüllung spezieller Aufgaben gebildet wurden. Es gibt keine spezielle gesetzliche Anerkennung der politischen Funktion lokaler Körperschaften (als Interessensvertreter ihrer Wählerschaft). Vgl. Norton, S. 356f, 373 Im Gegensatz dazu können Privatpersonen im Vereinigten Königreich alles tun, was nicht gesetzlich verboten ist. Vgl. Byrne, S. 75

18 Vgl. Benz, S. 21

19 So z.B. Mitarbeiterschulung, Ankauf von Vermögenswerten und Arbeitsgerät, etc. Vgl. Byrne, S 75

(7)

1.3.2 Lokal relevante Gesetze

Gesetze regeln zwingend durchzuführende Pflichten und allfällige weitere, freiwillig zu unternehmende Aufgaben. In Public Acts (Gesetze mit öffentlich-rechtlichem Charakter) werden jene Aufgaben konkretisiert, die die lokalen Verwaltungen obligatorisch (mandatory) in Zusammenarbeit mit der zentralstaatlichen Verwaltung oder für diese erledigt (so z.B. Bau und Unterhalt lokaler Schulen; Unterrichtswesen, Sozialdienste und Gesundheitseinrichtungen, Müllabfuhr und Straßenbeleuchtung, Bebauungspläne und Budgetierung).20 Die Handlungen und Entscheidungen der Lokalverwaltung werden für diese zwingenden Aufgaben nicht nur vom Parlament, sondern auch von Ministern und Beamten der zentralstaatlichen Verwaltung überwacht. In permissiven und adoptiven21 Gesetzen werden jene Aktivitäten beschrieben, die eine lokale Verwaltung ausüben kann (so z.B.

Unterhalt von Freizeitanlagen). Diese erlauben größeren Handlungsspielraum für die lokalen Verwaltungen ohne zentralstaatliche Einmischung. Zudem gibt es privatrechtliche Gesetze (Private Acts), die nur für einzelne Behörden oder Behördengruppen Geltung haben.22 Lokale Körperschaften können – mit eingeschränkter Gültigkeit auf ihr eigenes Gebiet - über zusätzliche Regelungen zu einem Hauptgesetzestext auch Verordnungen (sogenannte bye- laws23) bewirken, die gewisse Handlungen untersagen, wie z.B. Radfahrverbot in bestimmten Zonen, Hundeverbot auf öffentlichen Stränden und Parkanlagen, Alkoholverbot in Parks usw.24 Diese Verordnungen müssen vom für lokale Angelegenheiten zuständigen Minister erlassen werden.25 Sie sind mit den öffentlich-/privatrechtlichen Gesetzen zwar verwandt, können aber schneller beschlossen werden, da sie auch inhaltlich begrenzter sind ("negativ" in dem Sinne, dass im Unterschied zu den Gesetzen, die Handlungskompetenzen zuweisen, gewisse Handlungen nur untersagt werden können).

20 In Public Acts wird der Großteil der lokal relevanten Angelegenheiten bestimmt. Manche sind ausschließlich für die lokalen Körperschaften relevant (Lokalverwaltungsgesetze), andere betreffen eine Funktion oder einen Fachbereich und regeln die Aufgabenverteilung zwischen lokalen Verwaltungen und Ministerien oder anderen öffentlichen Organisationen (z.B. das Bildungsgesetz von 1944 oder das Gesundheitsgesetz von 1946) Vgl. Byrne, S. 79

21 "Enabling acts" oder adoptive Gesetze finden in einer bestimmten lokalen Körperschaft erst ab dem Zeitpunkt ihrer Implementierung Gültigkeit. Vgl. Byrne, S. 75, 79

22 Die Initiative zu einem Private Act muss von einer lokalen Verwaltung oder einer Gruppe lokaler Verwaltungen ausgehen (dies gilt außerhalb der öffentlichen Domäne auch für eine Gruppe von Privatpersonen oder ein Unternehmen), ist lang und kostspielig und daher ein eher selten verwendetes Instrumentarium. Siehe Punnett, S.

409f

23

Byelaw Hauptgesetzestext

Vermeidung und Regulierung von Lärmemissionen Lokalverwaltungsgesetz 1972 (§ 235)

Öffentliche Gehwege und Freizeitanlagen Gesetz zu öffentlichen Gesundheit 1875 (§ 164) Vergnügungsparks, Unterhaltungslokale, etc. Gesetz zur öffentlichen Gesundheit 1961 (§ 75), ergänzt

durch Lokalverwaltungsgesetz 1976

Küste und Promenaden Abänderung zu Gesetzen zur öffentlichen Gesundheit von 1907 (§ 82 und 83)

Öffentliche Bäder Gesetz zur öffentlichen Gesundheit 1936 (§ 231)

Märkte Nahrungsmittelgesetz 1984 (§ 60)

Frisöre Gesetz zur öffentlichen Gesundheit 1961 (§ 77)

24 Vgl. Office of the Deputy Prime Minister, Online in Internet URL (Stand: 27.10.2003)

http://www.odpm.gov.uk/stellent/groups/odpm_localgov/documents/page/odpm_locgov_605049.hcsp

25 Der Minister selbst kann in sogenannten Orders den Wirkungsbereich lokaler Verwaltungen ausdehnen. Solche Anordnungen müssen vom Parlament bestätigt werden, finden dort jedoch nur selten Ablehnung. Für viele Bereiche, wie z.B. lokalen öffentlichen Verkehr oder Zwangsverkäufe, hat der Minister alleinige Entscheidungsbefugnis und kann auf Antrag einer lokalen Verwaltung sofort eine Anordnung erlassen. Siehe Byrne, S. 80

(8)

Gesetzes- quellen

Public Acts adoptive/

permissive Gesetze

Private Acts Verordnungen (Byelaws)

ministerielle Anordnungen

Geltungs-

bereich alle lokalen zwingend:

Verwaltungen

wahlweise:

alle lokalen Verwaltungen

eine (Gruppe von) lokale(n) Verwaltung(en)

einer (Gruppe von) lokalen Verwaltung(en)

eine lokale Verwaltung

Art Gesetz Gesetz Gesetz ministerielle

Verordnung ministerielle Anordnung mit Zustimmung des

Parlaments Inhalt Aufgaben und

Angelegenheiten der Lokal- verwaltungen

Aufgaben mit breitem Ermessens-

Spielraum

spezielle Anliegen/

Einzelfälle

spezielle Anliegen/

Einzelfälle

spezielle Anliegen/

Einzelfälle Tabelle1: Gesetzesquellen: Inhalt und Geltungsbereiche

1.4 Organisationen und Interessensvertretung der Lokalverwaltung

Das Netzwerk an Organisationen und Behörden, die Leistungen auf lokaler Ebene anbieten, fällt heute unter den Begriff der Local Governance. Der Bergriffswandel von Local Government zu Local Governance weist darauf hin, dass heute eine Vielzahl an Organisationen in lokalen Belangen mitsprechen und entscheiden. Die Entscheidungen über die Bereitstellung von öffentlichen lokalen Leistungen findet heute neben der "klassischen"

Ratsversammlung der Lokalverwaltung (Local Authority) auch noch durch lokale Gesundheitsbehörden, zentralstaatliche Ministerialabteilungen, Organisationen des privaten und dritten Sektors, Joint Ventures und dem großen Bereich der Qualgos und Quangos26 statt.

26 Qualgos sind quasi-lokale öffentliche Organisationen, die eine Form der Quangos darstellen. Sie sind beinahe selbständige Ausschüsse für spezielle Aufgaben im Bereich der lokalen Verwaltung. Ihre Mitglieder werden im Unterschied zu den Ratsversammlungen nicht gewählt, sondern von Ministern ernannt. Beispiele sind Polizei und Feuerwehren und lokale Verkehrsbetriebe.

Im Unterschied dazu sind Quangos semi-autonomen Special Purpose Agencies mit einem jeweils sehr begrenzten Aufgabenbereich ("special purpose") im Feld der zentralstaatlichen Regierung. Beispiele sind NHS Trusts (Krankenhäuser), Universitäten, das nationale Tourismusbüro, die Regionalen Entwicklungsbüros, die Kommission für Museen, das Schulinspektorat (OFSTED) usw. Es gibt zwischen 5000 und 6.500 solcher Organisationen, die für rund ein Fünftel der öffentlichen Ausgaben verantwortlich sind. Ihre Mitarbeiter sind Vertragsbedienstete. Vgl.

Byrne, S. 1, 5-6

(9)

Abb. 1: Vom Local Government zur Local Governance

Dazu kommt eine Anzahl an mit der Lokalverwaltung zusammenarbeitenden Organisationen (z.B. im Bereich der Leistungsmessung), die die Partnerorganisationen der Lokalverwaltung sind,27 und repräsentative Organisationen, die im Namen einer Lokalverwaltung tätig werden.

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind die Interessensvertreter die wichtigsten Vermittler zwischen den Lokalverwaltungen und der Regierung (da es ja bis Blair keine Ministerialabteilung gab, die die zentralen und lokalen Interessen koordinierte) und spielen eine bedeutende Rolle bei Beratung, Konsultation und Meinungsaustausch zwischen der Öffentlichkeit, der Regierung, dem Parlament, außenstehenden Interessensgruppen und internationalen Organisationen.

1.5 Historische Entwicklung der Lokalverwaltungen

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die britische zentralstaatliche Regierung im Vergleich zur lokalen Selbstverwaltung nur wenige Aufgaben.28 Seit dem 19. Jahrhundert ist jedoch ein stetiger Niedergang der politischen Bedeutung der Lokalverwaltung im Zuge von Zentralisierungstendenzen und Ausweitung der zentralstaatlichen Kontrolle zu beobachten - ein Grund, weswegen Großbritannien heute eigentlich als zentralisierter Einheitsstaat eingeordnet wird, obwohl die lokale Selbstverwaltung das ursprüngliche Modell der Staatsorganisation ist.29

Die Wurzeln der lokalen Verwaltung reichen bis ins Frühmittelalter. Die Lokalverwaltung der Neuzeit erhielt viele Aufgabengebiete ad hoc als Reaktion auf den Regelungs- und Versorgungsbedarf, der mit der industriellen Revolution aufkam.30 Wo bestehende Stadtverwaltungen die speziellen Aufgaben nicht übernehmen konnten, wurden dafür zuständige Behörden geschaffen. Das dieserart entstehende System war stark fragmentiert,

27 Z.B. alle Organisationen, mit denen Kontrakte für die Leistungserstellung bestehen, aber auch die Welsh Office, Scottish Office, Audit Commission und Scottish Accounts Commission;

28 Auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung, Verwaltung der Kolonien, Außenhandel und Aufrechterhaltung öffentlicher Ordnung und Sicherheit. Selbst Ordnungsfunktionen wurden teilweise von örtlichen Stellen wahrgenommen. Benz, S. 2

29 Vgl. Benz, S. 2.

30 Z.B. 1834: Gesetz zur Unterstützung der Armen, 1848 und 1878: Gesundheitswesen, 1870: Schulgesetz; Vgl.

Punnett, S. 412

Local Government

Ratsversammlung (Council) Lokale Verwaltung

(Local Authority)

Local Governance

Ratsversammlung Lokale Verwaltung Ministerialabteilungen

Joint Ventures Quangos und Qualgos Private und Non-Profit

(10)

mit einer beinahe unüberschaubaren Anzahl lokaler Einheiten, die sowohl in demographischen Charakteristiken als auch in ihrer Größe sehr unterschiedlich waren. Diese Struktur funktionierte außerhalb jeglicher gesetzlicher Regelung.31 1894 wurde im Rahmen einer ersten Verwaltungsreform die Vereinheitlichung der Struktur durchgeführt, um die Lokalverwaltung effektiver zu gestalten. Ein dem heutigen zweispurigen (two-tier) System vergleichbare, wenn auch komplexere Struktur entstand.32 Die Periode zwischen 1890 und 1930 gilt als das "goldene Zeitalter" der britischen Lokalverwaltung. Sie etablierte sich als direkte Leistungserstellerin für eine rapide steigende Anzahl an Aufgaben.

Die Ära nach dem zweiten Weltkrieg war geprägt von der Ausdehnung des Wohlfahrtsstaates.

Bis Ende der 70er Jahre wurden die sprunghaft steigenden Ausgaben der lokalen Körperschaften von sich ständig erhöhenden Finanzzuweisungen der Zentralregierung aufgefangen. Die Lokalverwaltungen waren Teil des etablierten Systems, verabsäumten es aber zusehends, ihre Aufgabenbereiche vor zentralstaatlichen Eingriffen zu schützen und ihre Einflussmöglichkeiten zu wahren.33

Die konservativen Regierungen unter Thatcher und Major verzichteten großteils darauf, die lokale Ebene in der Politik-Konzipierung zu berücksichtigen und kontrollierten die lokalen Körperschaften verstärkt über Ausgaben und Marktmechanismen.34 Der Druck stieg während der 80er Jahre an, als die Labour Partei die Oberhand in den meisten Landkreisen gewinnen konnten und sich zu einer echten Opposition gegenüber zentralstaatlichen Programmen entwickelte.35 Während dieser Zeit wurden an die 60 Gesetze, die die lokalen Kompetenzen beschnitten, beschlossen.36 Die lokalen Reformen dienten daher mindestens so stark dem Zugewinn zentralstaatlicher Kontrolle, wie auch dem verbesserten Einsatz der Ressourcen und wirkungsvollem Verwaltungshandeln.

1.6 Legitimation lokaler Verwaltungen

Warum braucht der zentralistische Einheitsstaat Großbritannien die lokale Ebene? Leach et al.37 unterscheiden zwischen drei Dimensionen der Legitimation38 für die britischen Lokalverwaltungen:

31 Vgl. Gill/Ironside/Seifert, Online in Internet URL: http://panopticon.csustan.edu/cpa99/html/gill.html (Stand:

25.10.01)

32 1835 Municipal Corporations Act; County Councils: 1888 Local Government Act, District Councils: 1894 Local Government Act;

33 Arbeitslosenunterstützung (1934), Krankenhäuser (1946), Unterstützung Mittelloser; Kontrolle über Flussverschmutzung (1948), etwa zur selben Zeit Elektrizität- und Gasversorgung; Wasserversorgung und - aufbereitung und Abwasserreinigung (1974) und Londons öffentliche Verkehrsbetriebe (1984). Vgl. Norton, S. 353 Diese Bereiche wurden von der zentralstaatlichen Regierung an sich gezogen und teilweise in halböffentliche Organisationen überleitetet. Vgl. Benz, S. 21

34 Vgl. Norton, S. 368f

35 Diese Entwicklung verschärfte sich durch die Wahl vieler junger Ratsmitglieder, deren sozialistische Einstellung radikaler war als jene der Generation davor. Vgl. Elcock/Minouge, S. 91

36 Ebenda

37 Vgl. Leach, S. 26f

38 Verschiedene Autoren führen weitere Gründe an. Byrne z.B. geht auf die bessere Effizienz der lokalen Ebene bei der Administration diverser Aufgaben ein. So kennen lokale Politiker die lokalen Probleme besser und können diese effizienter angehen. Außerdem ergibt sich aus der Multifunktionalität der lokalen Ebene, dass koordinierende Maßnahmen leichter möglich sind, als es dies für die Ministerialabteilungen in London wäre. Vgl. Byrne, S. 9f

(11)

(1) Politische und gesetzliche Legitimation:

Die lokale Ebene als politische Institution legitimiert sich anhand von vier Prinzipien:

− Die lokale Ebene bedeutet eine Diffusion politischer Macht in einem prinzipiell zentralistischen Staat.

− Die lokale Ebene bildet die Basis für politische Partizipation. Bürger beteiligen sich über das aktive und passive Wahlrecht an der Entscheidung lokaler Fragestellungen.

− Die lokale Ebene hat eine ausbildende Rolle für den politischen Nachwuchs.

− Auf lokaler Ebene können lokale Bedürfnisse besser identifiziert und besser befriedigt werden, als dies der zentralstaatlichen Regierung möglich wäre.

(2) Wirtschaftliche Legitimation:

Hier kommt der von R. Musgrave39 entwickelte finanzwissenschaftliche Ansatz des öffentlichen Sektors mit seinen Hauptaufgaben der Allokation, Distribution und Stabilisation zum Tragen. Die traditionelle Ansicht ist, dass sich die lokale Ebene hauptsächlich mit der Allokation knapper Ressourcen angesichts von Marktversagen beschäftigen sollte, während die letzten zwei Jahrzehnte gezeigt haben, dass auch ein stärkeres Augenmaß auf Stabilisation der Wirtschaft und Distribution der Güter in der lokalen Wirtschaft erforderlich ist.

Abb. 2: Dimensionen lokaler Körperschaften

(3) Soziogeografische Legitimation

Die Ideen von räumlicher Nähe (im politischen und wirtschaftlichen Sinne), Dezentralisierung und Gemeinwesen haben in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt und großes Interesse geerntet. Aufgabe der lokalen Politik ist es, die pluralen Interessen ihrer mehr oder weniger heterogenen lokalen Gesellschaft im Gleichgewicht zu halten. Der lokalen Politik und der lokalen Verwaltung ist es eher möglich, ein Gefühl der lokalen Identität zu schaffen, als der zentralstaatlichen Regierung in London.

39 Vgl. Lane, S. 51

politisch-gesetzliche Dimension a) Diffusion pol. Macht b) politische Partizipation c) politischer Nachwuchs d) größere Nähe zum

Bürger

ökonomische Dimension

(1) Stabilisation (2) Allokation (3) Distribution

soziogeografische Dimension

(1) räumliche Nähe (2) Dezentralisierung (3) Gemeinschaft

(12)

Jede dieser drei Legitimierungen lässt beträchtlichen Raum für Interpretation und Positionierung offen. Die zentralstaatlichen Regierungen seit 1983 haben stark auf die ökonomische Dimension der Lokalverwaltung und hierbei vor allem auf die Effizienzverbesserungen in der Leistungserstellung gesetzt, während der politischen Funktion der lokalen Ebene kaum Bedeutung zugemessen wurde.40 Dem Gemeinwesen kam bis zur Reorganisation der lokalen Verwaltungen so gut wie keine Bedeutung zu, während sich lokale Verwaltungen selber auf die politische und ökonomische Dimension konzentriert haben. Beim Gemeinwesen zeigt sich ein stark fragmentiertes Bild.

2. Organisation im Wandel

Die lokalen Körperschaften waren seit jeher stetigen Änderungen unterworfen. Was die letzten Jahre aber kennzeichnet, ist die Geschwindigkeit und die Art der Änderungen. Durch die Notwendigkeit der Anpassung an geänderte ökonomische und soziodemographische Rahmenbedingungen ergeben sich Fragen bezüglich der Organisationsweise und den Managementmethoden in den lokalen Körperschaften sowie auch bezüglich des Verhältnisses von lokaler und zentralstaatlicher Ebene zueinander.41

2.1 Der Council - die Ratsversammlung

Das Lokalverwaltungsgesetz 1970 formierte die lokale Ebene als körperschaftliche Einheiten, in denen die Ratsversammlung, der Council, als kollektives Entscheidungsorgan etabliert wurde. Der Council determiniert die örtlichen Programme und Prioritäten. Die Mitglieder der Ratsversammlung wählen aus ihrer Mitte einen Ratsvorsitzenden42, üblicherweise den Führer der stimmenstärksten Partei. Koalitionen sind nicht unüblich. Eine Beeinflussung der lokalen Politik durch zentralstaatliche Parteiorgane ist nicht bekannt, da die lokale Parteipolitik von der nationalen stark unabhängig ist.

Alle lokalen Entscheidungen werden grundsätzlich kollektiv vom gesamten Council getroffen. Es ist jedoch üblich, dass die Ratsversammlung Kompetenzen an Gruppen (Komitees) oder an Einzelpersonen (Abteilungsleiter der Verwaltung43) delegiert, da die Ratsversammlungen zu groß sind und/oder über zu geringes Fachwissen verfügen, um in allen Fällen qualifizierte Entscheidungen zu treffen.44 Daher beschäftigt sich die volle Rastversammlung zumeist nur mit:

(1) Abstimmung über und Verabschiedung von Vorlagen, die in Arbeitskomitees vorbereitet wurden; und

(2) Diskussion, Analyse und Empfehlungen für und über die Fachberichte der Komitees.

40 Vgl. Wilson/Game, S. 327

41 Vgl. Davis, 1996, S. 9

42 Dieser hat den zeremoniellen Namen eines "Bürgermeisters" ("Mayor"; in Schottland "Provost"; in Städten mit einer königlichen Charter (Cities) auch "Lord Mayor" oder "Lord Provost".

43 An den Sitzungen der Ratsversammlung nehmen prinzipiell auch die Abteilungsleiter der Verwaltung teil, um auf dem neuesten Stand der Fachdebatten zu sein und/oder Auskunft in Fachfragen zu geben.

44 Vgl. Byrne, S. 9f

(13)

2.2 Rolle und Aufgaben der Ratsmitglieder

Die Aufgabenzuteilung für den Council (Struktur der Komitees, Ressortzuteilung) wird in der Geschäftsordnung einer Ratsversammlung festgelegt oder ad hoc bestimmt. Der Vorsitzende der Ratsversammlung und die Vorsitzenden der einzelnen Komitees (unterstützt durch die Verwaltungsspitze) bilden de facto die Exekutive.45

Die Aufgaben eines Ratsmitgliedes sind nicht gesetzlich festgelegt. Sie hängen zum Großteil von den lokalen Gewohnheiten ab und finden sich daher in der Geschäftsordnung der Ratsversammlung. Die einzelnen von einem Ratsmitglied übernommenen Rollen sind teilweise konkurrierend und überschneidend:

(1) Repräsentant: Normalerweise hat ein Ratsmitglied gute Kontakte zu seinem Wahlkreis.

Ratsmitglieder sehen sich deswegen oft als Mediator zwischen den Interessen ihrer Wählerschaft und jenen der lokalen Körperschaft.

(2) Ombudsmann: In dieser Aufgabe müssen sich Ratsmitglieder mit allen ihnen zugetragenen Problemen ihrer Wählerschaft beschäftigen.46

(3) Manager: Begleitende Ergebniskontrolle des Leistungserstellungsprozesses und der allgemeinen Administration der Lokalverwaltung. Dazu gehört auch die Evaluation von Kontrakten bzw. ausgeschriebenen Leistungen.

(4) Politik-Konzipierung: Bündelung von Bedürfnissen zu Programmen und Plänen; begleitende Evaluation des Erreichten.

(5) Politiker: In diese Rolle fließen zuvor genannte Aspekte ein, vor allem Politik-Formulierung und Ressourcenallokation, aber auch Kontakt zur Wählerschaft und allgemeine PR-Aufgaben.

2.3 Komitees

Die Ratsmitglieder verrichten ihre Facharbeit in Komitees und Subkomitees. Die Komitees werden dabei nach den Wünschen der Ratsmitglieder, nach parteipolitischen Gesichtspunkten, nach Erfahrung und Alter zusammengestellt. Die Größe der Komitees hängt von den jeweiligen Gewohnheiten einer Körperschaft ab.

2.3.1 Funktionen

Zu den Funktionen der Komitees gehören:47

(1) Fachverantwortung für ein Ressort der Lokalverwaltung

(2) Formulierung von Programmen für das Ressort und somit wichtiger Beitrag zu den Entscheidungsgrundlagen des Rates

(3) Begleitende Ergebniskontrolle für dieses Gebiet (teilweise mit der Ratsversammlung)

Die Komitees werden von den höheren Verwaltungsbediensteten (Officers) beraten und stehen im engen Kontakt mit den betreffenden Beschäftigten in der Verwaltung. Die Vorsitzenden der Komitees delegieren die Entscheidungskompetenz in Routineangelegenheiten oft an den Leiter einer Verwaltungsabteilung oder andere Mitarbeiter.

45 Vgl. Norton, S. 383f

46 Diese Rolle gestattet auch nicht, die vom New Public Management geforderte „Steuerung auf Abstand“ und Heraushaltung der Politik aus dem Tagesgeschäft der Verwaltung umfassend umzusetzen.

47 Vgl. Byrne, S. 243f

(14)

Abb. 3: Komiteestruktur der lokalen Körperschaften als Bindeglied zwischen Politik und Verwaltung (Quelle: in Anlehnung an Byrne, S. 240)

Die Komitees berichten in der Ratsversammlung über aktuelle Entwicklungen und Diskussionen. Wenn das Komitee mit Entscheidungsbefugnis ausgestattet wurde, sind die Berichte nur informativer Natur. Komitees, die auf Entscheidungen der gesamten Ratsversammlungen angewiesen sind, können in ihrem Arbeitstempo und Zeitplan beträchtlich gebremst werden.48 Zusätzlich zu den Komitees und Unterarbeitsgruppen gibt es noch informellere Zusammenkünfte, wie ad hoc-Arbeitsgruppen zwischen einzelnen Ratsmitgliedern, Mitgliedern und Verwaltungsbediensteten, etc.49

2.3.2 Arten von Komitees

(1) Horizontale und vertikale Komitees: Komitees, die sich nur mit einem Fachbereich beschäftigen (wie z.B. Schulwesen oder Wohnungswesen), sind vertikal organisiert, während jene, die sich mit einem Querschnittsbereich beschäftigen (z.B. Personal, Finanzen), funktionale oder horizontale Komitees genannt werden.

(2) Ad hoc eingerichtete oder permanente Komitees: Ad hoc Komitees werden auf einen Anlass bezogen eingeführt und wieder abgeschafft, während die permanenten Komitees fixer Bestandteil lokaler Körperschaften sind. Sie erfüllen Aufgaben unter (1).

(3) Gemeinsame Komitees: sogenannte "Joint Committees" werden von zwei oder mehr Körperschaften gebildet, wenn Interesse an einer gemeinschaftlichen Aufgabenerfüllung besteht. Für Counties und dazugehörige Distrikte ist es üblich, solche Komitees z.B. für die Feuerwehr50 eingerichtet zu haben. Sie werden fallweise auch "boards"51 oder "authorities"

genannt und können somit obligatorischer Natur sein.

48 Das ist auch einer der wichtigsten Kritikpunkte der Regierung Blair I an der Komiteestruktur.

49 Vgl. Norton, S. 387f

50 Früher war auch der Polizeidienst als Unterkomitee einer Lokalverwaltung verankert. Dies hat sich aber 1996 geändert. Seitdem sind Polizeikomitees eigenständige Einheiten, die mit Ratsmitgliedern, Friedensrichtern und mit vom Innenminister Ernannten besetzt werden.

51 Joint Boards haben gegenüber Komitees jedoch den einen Unterschied, dass sie vom Minister oder dem Parlament gesetzlich verankert werden, also in den Bereich der „Qualgos“ fallen. Sie werden somit auch nicht nur mit lokal gewählten Repräsentanten besetzt, sondern auch mit Ernannten des Ministers. Solche Organisationen werden dafür

Council

Chief- Officer

C 1

Depart- ment 1

Chief- Officer

C 2

Depart- ment 2

Chief- Officer

C n

Depart- ment n

Ratsversammlung Komitees und

Subkomitees/

Unterarbeitsgruppen Abteilungsleiter Abteilungen

(15)

(4) Obligatorische Komitees: zu den Komitees, die lokale Körperschaften durch ihre eigene Geschäftsordnung einrichten können, kommen einige gesetzlich zwingend vorgesehene, obligatorische Komitees. Deren Anzahl wird jedoch immer geringer.

2.4 Wahlen zum Council

Die einzelnen Formen von lokalen Einheiten unterscheiden sich in der Anzahl der gewählten Vertreter, der Councilors. Counties bestehen üblicherweise aus 60 bis 100 Vertretern, ein Distrikt aus 50 bis 80 Mitgliedern und Community- oder Parish-Councils aus 5 bis 25 Mitgliedern.

Wahlen zu den Ratsversammlungen der Counties und Londoner Bezirke finden alle vier Jahre statt. Das Gebiet wird dabei in Wahlbezirke unterteilt und aus jedem Bezirk wird ein Repräsentant in den Rat entsandt. Städtische Distrikte sind ebenso in Bezirke geteilt, wobei jeweils drei Repräsentanten einen Bezirk in der Ratsversammlung vertreten. Ein Drittel der Sitze der Ratsversammlung (ein Repräsentant aus jedem Bezirk) kommt in je drei aufeinander folgenden Jahren zur Wahl, im darauf folgenden vierten Jahr finden keine Wahlen statt.

Ländliche Distrikte können wählen, ob sie dem Wahlmodell der Counties oder jenem der städtischen Distrikte folgen, und in Kirchenbezirken wird alle vier Jahre gewählt. Der Rat der neuen Einheitsbehörden wird jedes dritte Jahr neu ermittelt.

Tabelle 2: Wahlen zu den Councils52 (Quelle: in Anlehnung an Byrne, S. 136f)

2.5 Verwaltungsbedienstete

Die lokale Ebene beschäftigte im Jahr 2000 rund 2 Millionen Mitarbeiter (im Vergleich dazu hatte die zentralstaatliche Verwaltung zum gleichen Zeitpunkt rund 500.000 Beschäftigte), deren Löhne und Gehälter rund 60% der gesamten Ausgaben der lokalen Körperschaften ausmachten. Zu den Angestellten der lokalen Verwaltungen gehören angefangen beim Dienststellenleiter (Chief Executive) über die Abteilungsleiter und deren Mitarbeiter auch die Lehrer in den lokal unterhaltenen Schulen, die Manager der lokalen öffentlichen Unternehmen, die Beschäftigten in den lokalen Transportunternehmen und die Arbeitnehmer

kritisiert, dass sie zur öffentlichen Verwirrung beitragen, zur Fragmentierung lokaler Körperschaften führen und den lokalen Spielraum zugunsten zentraler Kontrolle und Mitbestimmung vermindern. Vgl. Byrne, S. 108f

52 Bei den mit Fragezeichen gekennzeichneten Jahren ist aufgrund der Umstrukturierung der Lokalverwaltungen in Wales und Schottland eine Neuorganisation der Wahlen möglich.

1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

Englische Counties . . . * . . . * . . .

Städtische Distrikte 1/3 1/3 1/3 . 1/3 1/3 1/3 . 1/3 1/3 1/3

Einige Einheitsbehörden 1/3 1/3 1/3 . 1/3 1/3 1/3 . 1/3 1/3 1/3

Einige Distrikte 1/3 1/3 1/3 . 1/3 1/3 1/3 . 1/3 1/3 1/3

Mehrzahl der Distrikte . * . . . * . . . * .

Mehrzahl der Einheitsbehörden . * . . . * . . . * .

Englische/Walisische Kommunen . * . . . * . . . * .

Londoner Bezirke * . . . * . . . * . .

Greater London Authority (GLA) . . . . . . * . . . *

Walisische Einheitsbehörden . * . . . * . . . * ?

Schottische Einheitsbehörden . * . . . * . . * ? ?

(16)

in den lokalen direkten Leistungserstellungseinheiten (Direct Labour Organisations, DLO)53. Lokalverwaltungen waren bis zum Zeitpunkt der sich verschlimmernden Haushaltslage stolz darauf, gute Dienstgeber zu sein und zusätzlich zur sicheren Beschäftigung oft bessere Bezahlung und Konditionen anbieten zu können, als die Privatwirtschaft.54

Jede lokale Körperschaft ist für ihre eigenen Personalangelegenheiten zuständig. Eine zentralstaatliche Personalstelle für lokale Mitarbeiter gibt es nicht. Entscheidungen über Einstellung oder Entlassung werden vor Ort getroffen. Gewisse Positionen (bestimmte Abteilungsleiter) müssen gesetzlich zwingend besetzt werden, ansonsten gibt es wenige zentralstaatliche Bestimmungen über die Anzahl der von den Lokalverwaltungen zu beschäftigenden Mitarbeiter. Lokal Beschäftigte dürfen aufgrund ihrer Dienstzugehörigkeit zum lokalen Dienstgeber auch nicht in einen anderen Landesteil versetzt werden, wie das in der zentralstaatlichen Verwaltung möglich und üblich ist. Aufgrund der traditionell starken Gewerkschaften konnten Beschäftigungskonditionen und Lohnniveaus für die gesamte lokale Ebene weitestgehend harmonisiert werden, was aber im Zuge des Niedergangs des gewerkschaftlichen Einflusses und mit dem Aufkommen der leistungsorientierten Bezahlung und des Kontraktmanagements wieder einer verstärkten Dynamisierung unterworfen ist.

2.6 Paradigmenwechsel in der internen Verwaltungskultur

Das traditionelle System der Lokalverwaltung basierte auf einer starken Annahme der lokalen Autarkie. Lokale Verwaltungen erstellten die öffentlichen Leistungen nach ihren Vorstellungen und griffen dabei auf eigenes Personal und Ressourcen zurück. Autarke Verhältnisse führten zu einem sicheren und vorhersehbaren Umfeld. Die negativen Aspekte dieser Kultur umschlossen einen zu engen Fokus auf die Leistungserstellungsprozesse, ohne auf die Wünsche und Bedürfnisse der lokalen Leistungsnutzer einzugehen. Zudem wurde die politische Rolle der lokalen Ebene lange vernachlässigt.

Tabelle 3: Paradigmenwechsel in der Lokalverwaltung

(Quelle: in Anlehnung an Stewart (1995) in Painter/Isaac-Henry, S. 165)

Die Impulse zur Veränderung der internen Organisation lagen bei der verstärkten zentralstaatlichen Kontrolle, gekoppelt mit der (zwangsweisen) Einführung von Instrumenten des New Public Management, wie Performancemanagement, Marktmechanismen und

53 Die "Direct Labour Organisations" oder "Direct Service Organisations" sind einer Abteilung der Lokalverwaltung zugehörige Leistungserstellungseinheiten, z.B. für Straßenbau oder Gebäudeerhaltung, Müllabfuhr und Grünanlagenpflege.

54 Vgl. Davis, S. 10f

Alte Paradigmen Neue Trends

Autarke Organisationen "multi-agency" Ansatz

Uniformität der Leistungen Kundenorientierung, Qualitätsmanagement direkte Kontrolle über Leistungserstellung Pluralität der Anbeiter ("mixed economy") Leistungsbestimmung durch Berufsgruppen Entwicklung von operativem und strategischem

Management

Bürokratie und Hierarchie Unternehmergeist und Kontraktmanagement

Prozeßorientierung Leistungsmanagement und Ergebnisse

(17)

Kontraktmanagement.55 Allen gemein sind ein klareres Rollenbild und Verständnis über die Aufgaben der lokalen Ebene, vermehrte Formalisierung durch Standards und Zielvereinbarungen und damit einhergehende umfassende Änderungen im operativen Management.

2.7 Fragmentierung

Die traditionelle Rolle der Lokalverwaltungen als autarke lokale Leistungsersteller wurde durch Politiken der konservativen Regierungen attackiert, die durch den Slogan "Rolling back the State" zusammengefasst werden können. Das Ausmaß dieser Einflüsse war lange Zeit wegen der unkoordinierten Einführungsweise und der partiellen, inkrementellen Veränderungen nicht voll erkennbar. Die Richtung der Veränderungen ging jedoch hin zum schrittweisen Entzug von Verantwortungsbereichen aus dem Einfluss von gewählten lokalen Repräsentanten und Übergabe der Bereiche an Quangos oder Qualgos. Zu den am meisten betroffenen Aufgabenbereichen gehören unter anderen:56

2.7.1 Bildung

Der britische Schulsektor umfasst rund 9,5 Millionen Schüler in rund 35.000 Schulen (davon 5.000 höherbildende Schulen). Der Schulbesuch ist in öffentlichen Schulen kostenlos.57 Die öffentlichen Schulen werden von den lokalen Bildungsbehörden (Local Education Authorities, LEAs) mit Ressourcen ausgestattet. Auch jene Schulen, die von privaten und Non-Profit Organisationen (üblicherweise kirchlichen Institutionen) gegründet, aber nicht mehr betrieben werden,58 erhalten ihre Ressourcen von den lokalen Bildungsbehörden.

Mit dem Bildungsreformgesetz von 1988 wurden weitreichende Veränderungen initiiert.

Neben der Entwicklung eines national einheitlichen, verpflichtenden Lehrplanes59 waren die wichtigsten Änderungen:

Dezentrale Budgets: Schulbudgets werden an einen Ausschuss delegiert, in dem ab sofort neben den Repräsentanten der lokalen Ratsversammlung auch Elternvertreter und Vertreter der lokalen Wirtschaft sitzen. Diese entscheiden über Personalfragen und den Ankauf von Leistungen von den lokalen Schulbehörden mittels Kontrakten;60

Möglichkeit des Opting Out: Nach einer Abstimmung unter den Elternvertretern können sich die Ausschüsse von der lokalen Finanzzuweisung lossagen und erhalten ab diesem Zeitpunkt ihre finanziellen Mittel direkt durch die Funding Agency for Schools von der zentralstaatlichen Verwaltung. Das Bildungsgesetz von 1993 gibt dem Bildungsminister direkte Kontrolle über Schulen, die sich für Opting Out entschieden haben und entfernt diese somit aus dem Einflussbereich der Lokalverwaltungen;

55 Vgl. Davis, S. 11f

56 Vgl. Davis, S. 16f

57 Vgl. British Council, Online in Internet URL: http://www.britcoun.org/governance/manag/reform/psref11.htm (Stand: 19.07.01)

58 Die Gründungsorganisationen behalten sich oft das Recht auf erhebliche Entscheidungsbefugnisse ein. Vgl. Byrne, S. 97

59 National einheitliche Lehrpläne sollen dazu beitragen, dass das Bildungsniveau national auf einen annähernd gleichen Stand gebracht wird bzw. die Abschlusszeugnisse und generell die Schulen besser bezüglich des Notendurchschnitts miteinander verglichen werden können.

60 Dies ist eine Form der Quasi-Märkte, die auch im NHS zu finden sind. Dezentrale Einheiten können mit den ihnen zur Verfügung gestellten Budgets entweder bei der ihnen übergeordneten Einheit Leistungen "einkaufen", oder sich an private Anbieter wenden, wenn ihnen deren Angebot günstiger erscheint.

(18)

Bildung von Quangos: Überleitung von rund 500 technischen Lehrgängen und Colleges aus der Verantwortung der LEAs hin zur Quasi-Selbständigkeit als Quangos unter den Bildungsreformgesetzen von 1988 und 1993.

2.7.2 Öffentliches Wohnungswesen

Die generelle Verantwortung lokaler Körperschaften im Bereich des öffentlichen Wohnungswesens liegt beim Bau und der regelmäßigen Instandhaltung der öffentlichen Wohnanlagen.61 Diese Aufgaben sind besonders wichtig im Hinblick auf die gesellschaftliche Tragweite des sozialen Wohnbaus und der Wohnqualität (erschwinglicher Wohnraum für einkommensschwache Teile der Bevölkerung; Revitalisierungsprojekte in verwahrlosten Wohngebieten, Vermeidung der Abwanderung aus und/oder Verslumung von Wohngebieten).

Opting Out:

Mieterversammlungen von lokalen Wohnanlagen können entscheiden, ob die Kontrolle über ihre Siedlung bei der lokalen Körperschaft bleibt oder aber auf genossenschaftliche Mietervereinigungen oder private Eigentümer übergehen soll. Die Intention der Regierung war die Verbesserung der Qualität des lokalen Wohnungswesens (Instandhaltung, Reparaturen, etc.) durch private Investoren.62 Auch hier ist ein großer Schritt hin zur Gewährleistungsverwaltung, einhergehend mit lokalem Kontrollverlust zu sehen.63

2.7.3 Sozialleistungen und -dienste

Während die Lokalverwaltungen im letzten Jahrhundert noch für die öffentliche Wohlfahrt ihrer Einwohner insgesamt zuständig waren, erbringen sie heute nur noch individuelle soziale Dienstleistungen.64 Die angebotenen Leistungen umfassen Pflegeheime und Tagesstätten für Kinder oder Unterbringung bei Pflegeltern; Tagespflege, Ausbildung und Werkstätten für Behinderte; Hauspflege, Haushaltshilfe und (Tages)Heime für ältere Menschen, zudem Sozialarbeiter und Streetworker.65 Bei Sozialdiensten verfolgten die Regierungen seit 1987 eine Politik der „mixed economy“, was effektiv einen großen Anstieg in der Zahl privater Leistungsanbieter bedeutet.

Zudem wurde eine Reihe von Programmen, die der städtischen Revitalisierung und/oder Entwicklung gewidmet sind, an halb-öffentliche Organisationen übergeleitet, wie Stadtentwicklungsorganisationen (urban development corporations). Sie erhielten Finanzierungs- und Planungsbefugnisse, die ehemals fest in der Hand lokaler Körperschaften waren.

61 Die lokalen Körperschaften sind im Besitz von rund 5 Millionen Häusern und Wohnungen. Vgl. Byrne, S. 103

62 Vgl. Guardian, Online in Internet URL: http://www.guardian.co.uk/Archive/Article/0,4273,4152200,00.html, (Stand: 15.03.01)

63 Die Mitbestimmung der Bürger - community empowerment - hat sich jedoch erhöht, da es leichter ist, auf die eigene Nachbarschaft Einfluss auszuüben, als auf das gesamte Wohnungswesen einer lokalen Körperschaft. Vgl. Webb, S.

64 6f Sowohl hinsichtlich der Aufgabenverteilung, als auch der Entscheidungs- und Ressourcenkompetenz ist in der britischen Sozialpolitik klarer als in anderen europäischen Staaten das Prinzip der Trennung zwischen zentralstaatlicher und lokaler Ebene verwirklicht worden. Die Lokalverwaltungen sind nicht in die Vergabe von Transferleistungen eingebunden, sondern ausschließlich für die unmittelbaren, individuellen sozialen Dienste zuständig. Die Entscheidung über die Gestaltung der sozialen Dienstleistungen liegt im Prinzip in der ausschließlichen Kompetenz der lokalen Verwaltungen. Vgl. Benz, S. 93f

65 Vgl. Byrne, S. 99f

(19)

Fragmentierung: Beispiel Birmingham

Die Fragmentierung lokaler Körperschaften führt teilweise zu absurden Entwicklungen. So ist die Verwaltung des städtischen Distrikts Birmingham (zweitgrößte Stadt des Landes) zersplittert in Stadtverwaltung, lokale Polizeibehörde, Gemeinschaftskomitees für Feuerwehr, öffentlichen Transport und Müllabfuhr, der Gesundheitsbehörde des Distrikts (health authority), der Familien-Gesundheitsstelle (family health service agency), den selbständigen Krankenhäusern, dem Arbeitsmarkt-Service (training and enterprise councils), den Ausschüssen für weiterbildende Colleges und zentralstaatlich finanzierte Schulen, einer Stadtentwicklungsorganisation, einem housing action trust und einem Ausschuss für City Challenge.66

Collinge und Leach (1995) befürchten, dass es den wenigsten lokalen Körperschaften bei einer so großen Zahl an beteiligten Organisationen, wie am Beispiel Birminghams ersichtlich, möglich ist, einen umfassenden, ganzheitlichen Ansatz für strategisches Management zu formulieren, geschweige denn, die Ziele der Einzelorganisationen auf eine lokale, zukunftsorientierte Strategie zu bündeln.67

Diese Entwicklungen stellen außerdem die nicht unbedeutende Frage der Rechenschaft dieser Organisationen gegenüber der lokalen Bevölkerung in den Fordergrund, da gewählte Repräsentanten zu den neu geschaffenen Organisationen zumeist - wenn überhaupt - nur beschränkten Zugang haben. Den lokalen Gemeinschaften bleibt bei Versagen der Organisationen nur die umständliche und zeitraubende Möglichkeit, über den jeweiligen zuständigen Minister gegen diese vorzugehen.

3. Struktur der lokalen Körperschaften

3.1 England

Seit der Reorganisation der Lokalverwaltung von 1972 besitzt England zwei Hauptstrukturen:

einerseits die städtischen Distrikte und Bezirke (Metropolitan Areas)68, andererseits ein zweispuriges (two-tier) System (Counties und Distrikte) in den ländlichen Gebieten.

3.1.1 Städtische Bezirke und Distrikte

London

In London und den sechs städtischen Ballungsgebieten (Metropolitans) existiert eine einheitliche Verwaltungsstruktur. In London wird sie von den 32 Londoner Bezirken (London Boroughs) und von der Corporation of the City of London69 erbracht. Im Weißbuch Modern Local Government - In Touch with the People wurde die Neugründung der Greater London Authority angeschnitten, die seit dem Jahr 2000 auch realisiert ist.70 Sie stellt eine über den

66 Vgl. The British Council, http://www.britcoun.org/governance/manag/reform/psref13.htm (Stand: 19.07.01)

67 Vgl. Painter/Isaac-Henry, S. 168

68 Die Metropolitans bilden durchgehend städtische Gebiete, die die Herzstücke der britischen Industrie und Wirtschaft umfassen.

69 Die Corporation of the City of London ist eine historische Körperschaft, die den Grenzen des mittelalterlichen Londons entspricht (heutiges Bankenviertel um St. Paul’s Cathedral, Vgl. Corporation of London, Online in Internet URL: http://www.cityoflondon.gov.uk/maps/boundary_map.htm (Stand: 20.10.2003)

70 Die Greater London Authority wurde ebenso wie die den Metropolitans übergeordneten 6 Counties 1986 von Prime Minister Thatcher aufgrund ideologischer und politischer Unstimmigkeiten kurzerhand abgeschafft. Die großen

(20)

Bezirken stehende, koordinierende strategische Behörde mit einem direkt gewählten Bürgermeister und einer Volksversammlung, also einer Art regionaler direkter Volksvertretung, dar. Das Gemeinschaftskomitee für Feuer- und Zivilschutz (Fire and Civil Defence Authority), das dem Innenministerium untersteht, und die Kommunalverkehrsbetriebe erfüllen weitere öffentliche Aufgaben in London.

Ballungsräume in England außerhalb Londons

Die sechs städtischen Ballungsräume bestehen aus 36 städtischen Distrikten (Metropolitan District Councils), die teilweise auch Borough oder City Council71 genannt werden. Ihnen sind obligatorische Gemeinschaftskomitees für Feuerwehr und öffentlichen Transport beigestellt (jeweils 6 – für jeden Ballungsraum ein Gemeinschaftskomitee). Diese sogenannten Joint Boards oder Authorities sind eigenständige Organisationen72, die jeweils einem Komitee von Ratsmitgliedern eines jeden der Distrikte verantwortlich sind. Abgesehen von diesen Sicherheitsdiensten erfüllen die Distrikte alle Aufgaben selber, kooperieren aber aufgrund der räumlichen Nähe bei vielen Leistungen.

Abb. 4: Struktur der lokalen Körperschaften nach 1986 (Quelle: in Anlehnung an Punnett, S. 417)73

städtischen Verwaltungen, die neben einigen Fachbereichen hauptsächlich koordinierende Funktion hatten, waren aus der Sicht der Conservatives zu machtvoll und widersetzten sich Thatchers Politik.

71 Borough oder City im Namen eines städtischen Verwaltungsbezirkes ist heute eine rein zeremonielle Bezeichnung und weist darauf hin, dass der Bezirk eine königliche Charter hat (und somit im Mittelalter über Autonomie verfügte) und von einem Bürgermeister regiert wird. Sämtliche mit einer Charter verbundene, neuzeitliche Kompetenzen wurden den Städten aber durch das Local Government Gesetz von 1972 entzogen. Vgl. Norton, S.

72 357 Die Joint Boards wurden 1985 gegründet und übernahmen die betreffenden Aufgaben von den Lokalverwaltungen.

Die Polizeibehörden unterstehen dem Innenministerium bzw. sind in ihren Leitungsausschüssen auch mit lokalen Ratsmitgliedern besetzt. Vgl. Norton, S. 367

73 1986 wurden das Greater London Council und die sechs Metropolitan Counties abgeschafft Heute gibt es das Greater London Council wieder, die sechs Metros aber nicht;

Struktur lokaler Körperschaften

Ländlich Struktur Städtisch Struktur 1. oder 2. 1. und 2.

Counties (34)

Distrikte (238)

Städtische Distrikte (Metropolitans)

(36)

Londoner Bezirke

(32)

City of London (1) Bezirke mit

einheitlicher Verwaltung

(47)

Greater London Authority

Communities/Parish Councils - mit Ratsversammlung (8000) oder - mit Gemeindeversammlung (2000)

Abbildung

Abb. 1: Vom Local Government zur Local Governance
Abb. 2: Dimensionen lokaler Körperschaften
Abb. 3: Komiteestruktur der lokalen Körperschaften als Bindeglied zwischen Politik und Verwaltung  (Quelle: in Anlehnung an Byrne, S
Tabelle 2: Wahlen zu den Councils 52  (Quelle: in Anlehnung an Byrne, S. 136f)
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