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Wille/Willensfreiheit 1. Philosophisch

1. Philosophisch

Wille/Willensfreiheit I 55

L Signifikanz des Willensfreiheitsproblems 2. Neuzeitliche Problemkritik 3. Grundlegende Freihei ts begriffe 4. Wille und Wollen 5. Willensfreiheit 6. Willensfreiheit und Determinismus

10 (Quelleniliteratur S.70)

1. Signifikanz des Willensfreiheitsproblems

Begriff und Realität der Willensfreiheit sind eines der großen Probleme der Mensch- heit, ein "Labyrinth" (Leibniz, Confessio 58f.160; ders., Hauptschriften2 II, 655f.; ders., Versuche3 8f.51), ein "Welträtsel" (du Bois-Reymond 159ff.174ff.) und somit eine der

L5 philosophischen Fragen, die offenbar "ewig sind" (von Wright, Normen 209). Von einer stetigen Erfolgs- und Fortschrittsgeschichte kann man gewiß nicht sprechen. Die un- überschau bare Menge der Schriften bestätigt das nur. Schon 1437 hat L. -->Valla dia- gnostiziert, daß es kaum "eine Frage gibt, deren Antwort mit größerer Dringlichkeit gewußt werden müßte und zugleich weniger gewußt wird" (Valla 62f.). Daran hat sich w bis heute wenig geändert.

1.1. Anthropologische Signifikanz

Traditionell gilt "Willensfreiheit" als eines der zentralen Merkmale, die für den Men- schen spezifisch sind. Ansatzweise bereits bei Philo (Imm IX,45 -47) und Epiktet (Dia- tribai II,lO) präsent, wird dieser Gedanke im späteren Judentum (-->Bild Gottes

!5 III.4.3.2.), vor allem aber in der Patristik (--> Irenäus von Lyon, haer. IV,37,4; 38,3 -4;

--> Tertullian, Mare. II,5,5; -->Origenes, princ. III,6,1; vgl. Cels. IV,22-30.81-83j VI,63;

VII,66; VIII,17; -->Gregor von Nyssa, or. catech., c. 5.31; horn. opif., c. 16; --> Johannes von Damaskus, f.o. II,12) und in der Scholastik (z. B. --> Thomas von Aquino, Summa contra gentiles III,111; S.th. I-II, prol. / q.1 a.1; II-lI, q.64 a.2 ad 3, a.5 ad 3; vgl.

10 I q .93) im Kontext der jüdisch-christlichen Gotteben bildlichkeitsthese entwickelt, partiell bereits verknüpft mit römischen Vorstellungen über die "Würde" des Menschen (vgl.

Trinkaus, Image 1,180-190; Meijering; Ebeling Hf3, 345-349; Pöschl, bes. 35-49; Pan- nenberg 11, 204f.220f.238-241j Benjamins Kap. II, bes. 51-53). Im späteren Mittelalter gewinnt er breitere Bedeutung, sichtbar bei Dante (Monarchia 1,12,6; Paradiso 5,19-24;

15 vgl. Purgatorio 16,67-78; 18,58-75) und in gebrochener Form Petrarca (Secreturn Ij De remediis utriusque fortunae 1,14; 11,93.118; vgl. Trinkaus, Image I, Kap. I u. IV).

Der --> Humanismus und die Philosophie der --> Renaissance setzen diese Entwicklung fort. Die Willensfreiheit gilt nun generell als Anthropologicum (Trinkaus, Image I, xx- xxii), erhält aber keineswegs die ihr oft zugeschriebene dominante und rein innerweltlich-

40 positive Bedeutung (vgl. ders., Problem 56ff.; The Renaissance Philosophy of Man 152f.;

Poppi 647ff.). Im Gegenteil, bei G. Manetti (vgl. 47f.64), Benedetto Morandi und Co- luccio Salutati (Trinkaus, Image I, 86ff.280f.; Poppi 645 f.) wird sie nur beiläufig ange- führt und in den einschlägigen Traktaten von Valla (bes. 97.119.127) und Pietro Pom- ponazzi (dazu Maier 41-104; Pine) sogar nur verbal oder eingeschränkt anerkannt.

45 Einzig bei G. -->Pico della Mirandola findet sich jene plakative, viel zitierte (von M.

-->Luther theologisch ironisierte, vgl. Ebeling 11/2, 468) These vom Menschen, der "in die Mitte der Welt gestellt" sei, um durch freien Willen "Former und Bildner seiner selbst" zu werden (vgl. Pico della Mirandola 8f.12f.). Modifiziert und meist ohne spe- ziellen Bezug auf die Willensfreiheit gibt es vergleichbare Thesen allenfalls noch bei

Krause und Gerhard Müller. Berlin [u.a.] : de Gruyter, 2004, S. 55-73

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-116331

URL: http://kops.ub.uni-konstanz.de/volltexte/2010/11633

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56 Wille/Willensfreiheit I

J.L. ->Vives (vgl. The Renaissance Philosophy of Man 388f.) und später bei l.G. v.

->Herder (Ursprung der Sprache 1,2; 11,1; Ideen IV,4), F. ->Schiller (V, 635f.792), J.G.

->Fichte (1/3, 388; 115, 40.82; 1/6, 209f.280.300.30Zf.), EW.J. ->Schelling (Abt. I, Bd. I, 388f.396) und in der ->Existenzphilosophie (vgl. Jaspers3 11, Kap. 6; Sartre IV, I). Meist

5 sind die anthropologischen Annahmen weniger anspruchsvoll, oft auch nur implizit, wie im Postulat eines vorpositiven Grundrechts auf -> Freiheit, das zum Teil auch auf die Willensfreiheit bezogen wird (vgl. S.Fr. v. ->Pufendorf, De jure naturae et gentium 11,2,3; I. ->Kant, GS VI, 237,420). Indirekt ergibt sich so auch eine Verbindung zum modernen Verfassungsrecht.

10 1.2. Praktische Signifikanz

1.2.1. Nur willensfreie Personen, so scheint es, lassen sich normativ ansprechen und eventuell durch Normen lenken (vgl. Seebaß, Aspekte; ders., Verantwortung). Ausgehend davon wird in der Philosophie zum Teil aus der Notwendigkeit von Normen auf die der Willensfreiheit geschlossen, traditionell und bis heute (z. B. Inwagen 188f.206ff.).

15 Umgekehrt wird deren Bestreitung auch zu moralkritischen Konklusionen verwendet (z. B. Nietzsehe 11, 395). Oder es wird erklärt, Willensfreiheit sei zwar theoretisch un- begründbar, praktisch aber nicht "wegzuvernünfteln" (Kant, GS IV, 455f.; vgl. III, 49Zf.) und eine permanente Herausforderung für die ->Vernunft (du Bois-Reymond 179ff.;

Planck6 165-168.309.312ff.). Manche Strafrechtstheoretiker postulieren sie sogar als

20 eine "staatsnotwendige Fiktion" (vgl. Dreher 35.53-59).

Kant dagegen sah in der Normgeltung einen positiven Freiheitsbeweis (vgl. Kant, GS IV, 450; V, 4 [Anm.].29-31; VI, 26 [Anm.],49 [Anm.].221j XXVIII/I, 269f.): Freiheit sei zwar die ratio essendi des kategorischen Imperativs, ratione cognoscendi aber komme diesem das Prius zu. Der Freiheitsbegriff bleibt dabei unangetastet, wird also selbst

25 nicht moralisch-praktisch spezifiziert. Doch schon die ersten Kant-Interpreten sind hier weitergegangen (kritisch dazu Reinhold II, 500f.518ff.; vgl. Bittner/Cramer 313ff.), mehr noch Schelling in seiner berühmt-berüchtigten Definition der Freiheit als "Vermögen des Guten und des Bösen" (Abt. I, Bd. VII, 352) oder G.W.E ->Hegel mit seiner These vom zu sich selbst gekommenen "wahrhaft" freien Willen, der mit "Notwendigkeit"

30 in der allgemeinen, rechtsförmig objektivierten "Sittlichkeit" aufgeht (Hegel, Rechtsphil.

§§ 7.21-33.142ff.; ders., Enzyklopädie §§ 480-487.513-515). Abgesehen von ihrem spe- kulativen Charakter sind solche Konzepte vor allem deshalb dubios, weil sie das kritische Potential der Willensfreiheit für die Normgeltung verschenken bzw. bewußt verschleiern.

Letzteres gilt auch für philosophische Versuche, den relevanten Willens freiheits begriff

35 direkt aus der bestehenden Zurechnungspraxis abzuleiten (Schlick Kap. VII; Ducasse 194.199f.; Nowell-Smith Kap. 20; Austin 180f.), denen die Rechtswissenschaft zum Teil gefolgt ist, manifest etwa in neueren deutschen Kommentaren zu § 136a StPO und

§ 104 BGB. Kelsen hat sogar platt erklärt, der Mensch werde nicht verantwortlich ge- macht, weil er frei ist, sondern sei frei, weil er verantwortlich gemacht wird (Kelsen,

40 Rechtslehre 102; ders., Essays 163). Wäre dem so, hätte das Willensfreiheitsproblem seine normativ-praktische Signifikanz verloren.

1.2.2. Praktisch signifikant ist es jedoch auch für das vornormative Selbstverständnis des Menschen als aktiver Urheber, nicht nur passiver "Bei ständer" oder "Durchgangs- station" in einem Geschehen, das ihn psychisch wie physisch einflußlos überrollt.

45 Schon die aktivische Redeform enthält offenbar eine Freiheitsvermutung (so Kant, GS XXVIII/I, 268f.j vgl. XVII, 462f.j Reid 13-18.21.269.274; kritisch Edwards 184ff.) und artikuliert ein Ich, das "nicht an einem anderen, und durch ein anderes, sondern für mich selbst Etwas seyn" will (Fichte 1/6, 209). Objektiv mag dies unhaltbar sein. Die subjektive Bedeutung der Willensfreiheit als Teil des praktischen Selbstverständnisses

50 aber wird weithin anerkannt. Das gilt für erklärte Gegner wie Th. -> Hobbes (Works V,79) und B. ->Spinoza (Opera 11, 88f.; BriefwechseP 236f.) ebenso wie für den vehe-

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menten Antispinozisten EH ... Jacobi (I, 20f.148.163 f.168) oder so unterschiedliche Den- ker wie R ... Descartes (Principia, I, 39041), G ... Berkeley (Alciphron VII, 21-23), Denis Diderot (I, 323ff.), Georg Christoph Lichtenberg (I, 694f.763.765; 11,276), ].W.

v ... Goethe (IX, 490f.), ].E ... Herbart (X, 284f.), Ch. Sigwart (IP, 152f.209-211), W.

5 ... Dilthey (I, 385) und H. Gomperz (72ff.). Die Liste ließe sich leicht verlängern, auch durch Vertreter aus ... Psychologie (z. B. Freud VI, 253f.; Ach, Willensakt 240- 244.248f.265; ders., Analyse 202f.), ... Soziologie (Simmel124f.), Ethologie (Eibl-Eibes- feldt3 130f.) und philosophischer Handlungstheorie (SearIe, Geist 96-99; Ginet 90f.).

Der locus classicus ist ... Aristoteles' Theorie der überlegten Wahl (npoaipGaz~) und

10 sein Begriff der "Freiwilligkeit" (bCODGIOV), der neben gegebenem Wissen auch verlangt, daß der Gesamtprozeß dem Menschen nieht nur von außen ([(mOev) zustößt, während er selbst nichts beiträgt (Ji'lJev GVJiß6)')"'ITal), sondern in ihm seinen Anfang nimmt

(dpX~ ev avrQ}), so daß sieh sagen läßt, das Geschehen stehe bei ihm (in' avrQ); vgl.

Aristoteles, eth. Nie. III,1-5; V,lO; eth. Eud.ll,7-10; magn. mol. 1,12-17; de an. m,7-

15 11; phys. VIII,1-5; zur Analyse Kenny, Theory). Dieses Konzept hat, zum Teil ergänzt durch Platonische Vorstellungen über die Selbstbewegung der ... Seele ( ... Plato, Phdr.

245c-246a; leg. 894b-897b), die antike Diskussion geprägt, sichtbar vor allem im Ari- stotelismus und in der stoischen Diskussion ( ... Stoa/Stoizismus/Neustoizismus) um das 8</>, ~Jifv (vgl. zu beiden Alexander v. Aphrodisias, fat., bes. c. 12-15.33.38), aber auch

20 im Platonismus (zentral ... Plotin, Enn. VI,8,1-7) und bei philosophischen Eklektikern wie Cicero (Fat., bes. XI,23-25j Tusc. I, 53-54) oder Origenes (or. VI,1-2j princ.

III,1,2-5; vgl. Benjamins 58-71). Die ... Scholastik hat es explizit aufgegriffen und mit der Augustinischen Willenstheorie verknüpft (z. B. Thomas v. Aquino, De veritate, q.24 a.1; S.th. I, q.83 a.1, q.103 a.3, a.8, q.104 ao4-5; I-lI, q.6 a.1). Auch im engeren Augu-

25 stinismus ( ... Augustinl Augustinismus) blieb das Konzept präsent (z. B. Jansen III, 614- 619). Implizit ist die gesamte Freiheitsdiskussion von ihm bestimmt, ablesbar z. B. an der Übersetzung von bcoDazor; mit "sponte" bzw. "spontan" (s.u. 5.5.). Manifest ist sein Einfluß bei G.W ... Leibniz (vgl. Confessio 80-83.174; ders., Schriften VII, 108f.;

ders., Versuche3 114.304.311), sowie in Teilen der neueren Handlungstheorie (z. B. Tay-

30 lor, Action II; Chisholm, Freedom; ders., Person Kap. 11; Thorp Kap. VI).

1.3. Theoretische Signifikanz

Auch die Freiheit, wahrheitsfähige Satzgehalte (Propositionen) und ihnen ontologisch korrespondierende Sachverhalte (vgl. Aristoteles, metaph. 1011 b 2M.) assertorisch be- jahen, verneinen oder unbeurteilt lassen zu können, ist Teil unseres aktiven Selbstver-

15 ständnisses. Zumindest indirekt kommt dabei auch der Wille ins Spiel. Denn die partielle Willentlichkeit von Leistungen wie diskursives Denken, aktives Sich-Erinnern oder Sich- Konzentrieren scheint unbestreitbar (anders Hobbes, Works IV, 19; Nietzsehe V, 30f.;

XIII, 67 f.; auch Luther, vgl. Ebeling 11/1, 19), samt ihres Einflusses auf die Erkenntnislage und die nachfolgende Willensbildung (vgl. Thomas v. Aquino, De malo, q.6 corp. I ad

10 7 lad 15; S.th. I-lI, q.10 a.2; Duns Scotus VIII, 355b; XIII, 460b-461b; XXVI, 340b- 341a).

Manche Autoren behaupten auch eine direkte assertorische Willenskontrolle, zumin- dest bei gravierender evidentieller Unklarheit. Das gilt zwar kaum für die pyrrhonische oder phänomenologische enox~ (vgl. Sextus Empiricus, Hyporyposes 1,12-13.20.22;

1.1 Husserl, Ideen, §§31-32), wohl aber für die stoische GVYKaraeeGl~ (prägnant Epiktet, Frgm. 9; Diatribai 1,17,21-23; IV, 1,69; 7,14j vgL Cicero, fat. XVII,39-XIX,45j Göder), Teile der scholastischen Urteilstheorie (z. B. Johannes Buridan [1300- nach 1358], vgl.

Saarinen 175 f.182) und in der Neuzeit besonders Descartes (Meditationes IV,8-17j Prin- cipia 1,31-44; Briefe 2. Mai 1644 u. 9. Februar 1645; vgl. Kenny, Descartes). Einen

50 absoluten "doxastischen Voluntarismus" freilich hat niemand vertreten. Abwegig er- scheint aber nicht nur dieser, sondern umgekehrt auch die pauschale Leugnung jeden Willenseinflusses durch Hobbes (Opera V, 270f.), Leibniz (Confessio 81.171f.j ders.,

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58 Wille/Willensfreiheit I

Hauptschriften' I, 223-226), Th. Reid (110ff.) oder Teile der Analytischen Philosophie (z.B. Armstrong 165ff.; Goldman 69f.). Denn ein partieller Einfluß ist unbestreitbar, selbst unter den restriktiven Vorgaben einer normativ-rationalen Entscheidungstheorie (Gosepath Kap. III) und allemal nicht beim unvoreingenommenen Blick auf die mensch-

5 liehe Urteilspraxis (Seebaß, Wollen [1993] 95ff.280ff.).

Zweifelhaft allerdings sind versuchte Freiheitsbeweise auf dieser Basis. Ein Argument, das die Verneinung der Möglichkeit, frei zu urteilen, als selbstwidersprüchlich hinstellt, geht schon auf Epikur zurück (Vatikan-Frgm. 40; Frgm. Peri physeos, 34,26-30) und ist später oft variiert worden (z. B. Kant, GS VIII, 14; J ames, Will 183; Popper, Universum

10 Kap. 24; Steinvorth). Durchschlagend ist es nicht (zur Kritik z. B. Lucas §§ 21- 22; Pothast Kap. VII), vor allem, weil es nicht ontologisch, sondern nur epistemisch ansetzt und sich auch antilibertär umkehren läßt (so schon Sextus Empiricus, Hypotyposes III,5, 19.23f.; Adversus physicos 1,204). Ähnliches gilt für noch anspruchsvollere Beweisver- suche, wie sie vor allem durch Kants These von der "Spontaneität" jeder Verstandes-

t5 tätigkeit und seine dunkle, vielumstrittene Bezeichnung der Willensfreiheit als "Schluß- stein" und Einheitsprinzip der theoretischen und praktischen Vernunft (GS V, 3f.; vgl.

47f.90f.106.121; III, 543; IV, 391) angeregt und im deutschen -+Idealismus spekulativ weitergeführt wurden.

2. Neuzeitliche Problemkritik

20 Insgesamt aber tritt das Problem in der Neuzeit zurück. Sein "labyrinthischer" Cha- rakter wird stärker empfunden als seine Dringlichkeit und führt zu wachsender Distan- zierung. Leidenschaftliche Diskussionen, wie sie zwischen D. -+Erasmus und Luther, im innerkatholischen "Gnadenstreit" und noch zwischen Bischof John Bramhall und Hobbes (Works V) geführt wurden, verlieren ihre Brisanz. Schon 1667 diagnostizierte

25 J. -+Milton "vain wisdom all, and false Philosophy" bei Denkern, die über "will, fixed fate, free will" brüteten "and found no end, in wand'ring mazes lost" (Milton, Paradise Lost 11,555-569) Passagen, die Schiller und Goethe (Briefe vom 31. Juli und 2. August 1799) dann mit Befremden und Gleichgültigkeit auch in der Sache lasen. Diese Haltung hat sich im 19. und 20. Jh. weitgehend durchgesetzt, theoretisch gestützt vor allem durch

30 drei historische bzw. kulturkritische Argumente:

2.1. Erstens wird geltend gemacht, Begriff und Problem der Willensfreiheit seien ein Produkt der Theologie, nicht der Philosophie. Von theologischer Seite geschieht dies auch mit verdecktem Stolz (z. B. Ebeling I, 316), von philosophischer meist in kritischer Absicht (z. B. Williams 228; Bennett 26f.). Vermutet wird hier vor allem das Interesse

35 an einer so zu begründenden -+ Theodizee (z. B. Schopenhauer, Werke VI, 105.112-114;

Gomperz Kap. III; Streminger 134). Doch diese Diagnose geht fehl. Sie entspringt vor allem der Unkenntnis des mehr als ambivalenten Verhältnisses der Theologie zur Wil- lensfreiheit, manifest in der einschlägigen Verurteilung des Pelagianismus (-+ Pelagius/

Pelagianischer Streit) ebenso wie der von Origenes (vgl. DH, 209.298.353.403ff.; Thomas

40 von Aquino, Summa contra gentiles III,89) oder -+ Abaelard (vgl. DH 721-739); Calvins genau umgekehrte These (Inst. 11, 2, 2ff.), die Kirchenväter hätten die Willensfreiheit von der Philosophie übernommen, ist z. B. für Origenes (princ. III, 1,1-5) recht plausibel.

Zudem liegen illusionäre (freilich auch von der Theologie immer wieder genährte, vgl.

Kreiner Kap. 9-10) Vorstellungen darüber zugrunde, was die Willensfreiheit für eine

45 rationale Theodizee überhaupt leisten kann.

Auch Ideologiekritik spielt eine Rolle. F. -+Nietzsche vor allem hat die gesamte Psy- chologie des Wollens und die Willensfreiheit als "das anrüchigste Theologen-Kunst- stück" bezeichnet, ersonnen entweder erst, um dem christlichen Gott und seinen macht- besessenen irdischen Stellvertretern ein "Recht zur Rache" zu schaffen (Nietzsehe VI,

50 95 f.; XIII, 425 f.), oder bereits, um den auf neue menschliche Heldentaten und Kata- strophen erpichten griechischen Göttern eine unüberraschende "deterministische Welt

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nicht zuzumuthen" (V, 302-305). Historisch ist all dies ebenso abwegig wie sachlich und argumentativ undurchdacht. Dennoch hat Nietzsches Kritik ein Lebensgefühl der Zeit getroffen und wesentlich dazu beigetragen, daß Wille und Willensfreiheit im 20. Jh.

in Mißkredit kamen.

2.2. Zweitens wird argumentiert, das klassische Griechentum habe noch keinen Be- griff von Willensfreiheit oder vom Willen gehabt. Dabei wird zum Teil auf Neuerungen schon im Begriff der römischen voluntas abgestellt (Sne1l6 24.172.229 u.ö.; ähnlich Poh- lenz, Stoa5 274.319f.), zum Teil auf solche der jüdisch-christlichen Weltvorstellung (Arendt II, 19ff.). Zentral aber ist der vermutete Gegensatz "Intellektualismus/Volun-

10 tarismus" (so u.a. McSorley 36f.; Dihle; Kahn; klassisch Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode H, 2), der auch auf den Streit um den scholastischen Aristotelismus bezogen wird und den vermeintlichen Sieg des "Voluntarismus" an der Wende zur Neuzeit (zur Korrektur Bourke Kap. IIIf.; bes. Saarinen). Verknüpft mit einer Grundsatzkritik an subjekt- und bewußtseinsphilosophischen Ansätzen ergibt sich daraus zum Teil auch

15 das Postulat, die später entwickelten "ungriechischen" Begriffe von Wille und Willens- freiheit zugunsten klassischer Aristotelischer Konzepte aufzugeben (z. B. Ryle 82f.; Ken- ny, Aristotle's Theory viif.).

Doch sprachliche Differenzen allein besagen nicht viel (vgL Dodds 170 Anm. 31;

Schmitt 117.272 Anm. 356; zum Gesamtproblem Seebaß, Problem, bes. Kap. VIII). Die

20 intellektualistischen Konnotationen von ßov:A.r, oder npoaiplxm:; z. B. beweisen nicht, daß Kernbestandteile unserer Rede vom Wollen fehlen. Entsprechendes gilt für eKOValOC;, (avr)e~ov(jlOC; und iJ.:A.e60epoc; (vgl. Pohlenz, Freiheit; Nestle; Krämer; Art. Freiheit. 11.

Antike Grundlagen: GGB 2 [1975] 426-435). Auch die explizite Rede vom "freien"

oder "unfreien Willen" ist zwar nicht besonders früh und oft belegt, aber immer noch

25 wesentlich früher als im jüdisch-christlichen Schrifttum (Aristoteles, magn. mor.

1188a30-35; Lukrez, De rerum natura 2,256; Cicero, Fat. IX,20; M.A. Labeo, nach Digesten III,5,18; vgl. ThesLL II,412f.). Phänomene freier und unfreier Willensbildung sind ohnehin früh bemerkt und kritisch reflektiert worden, beginnend bereits mit Homer (Lesky; Schmitt) und verstärkt bei den Tragikern, zum Teil auch im Kontext des Theo-

30 dizeeproblems (so z. B. Homer, Od. 1,32ff.; Euripides, Hipp. 1103ff.; Plato, resp. 379a- 380c). Gleiches gilt für das Problem der Akrasie ("Willensschwäche"), das keineswegs auf das intellektualistische Sokratische Paradigma beschränkt blieb (Seebaß, Akrasie), sowie für die differenzierten Analysen des inneren Zwangs und der strafrechtlichen Schuldminderung bei Plato (leg. 860c-872c ff.) und Aristoteles (eth. Nie. 1II,2.6-7;

35 V,lO; eth. Eud. II,9).

Fraglich ist allenfalls der Besitz eines starken, indeterministischen Freiheitsbegriffs.

Die Platonischen Schicksalsmythen (zentral resp. 614b-621d), die zum Teil in diesem Sinne verstanden wurden, geben ebensowenig her wie die Passagen zur Selbstbewegung der Seele (s.o. 1.2.2.). Manche Textstücke bei AristoteIes (bes. de mot. an. c. 6-8; vgl.

40 ph. VIIl,2-6; de an. IIl,7 -11) lassen sein Kriterium des "inneren Anfangs" (s.o. 1.2.2.) sogar als relativ und vereinbar mit einer mechanistischen Handlungserklärung erschei- nen, auch wenn eine reduktiv-physiologistische Deutung ausscheidet (Furley, Self-Mo- vers). Doch der Infragestellung der Entscheidungsfreiheit und des praktischen Selbst- verständnisses durch den Determinismus war er sich völlig bewußt (int. c. 9; metaph.

45 VI,3), ebenso der theoretischen Denkbarkeit unverursachter Willensbildung (vgl. eth.

Eud. VIII,2, bes. 1248a16-23). Deshalb wird Aristoteles von jeher gegensätzlich inter- pretiert (vgl. Loening Abschn. 18; FurIey, Studies 184ff.219-226; Sorabji x und Kap.

9 sowie 15). Zumindest das Problem einer starken Willensfreiheit aber kam bei ihm schon in den Blick, und spätestens seit Epikur (vgl. bes. Lukrez, De rerum natura 2,251

50 293) und seinen stoischen Gegnern gibt es darüber auch eine anhaltende, kontro- verse Debatte (vgl. Cicero, Fat.; Plutarch, moralia XIII/2; Alexander v. Aphrodisias, Fat.).

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60 Wille/Willensfreiheit I

2.3. Doch selbst wenn der späte und außerphilosophische Problemursprung feststün- de, bliebe sein sachliches Recht davon unberührt. Das dritte und stärkste Argument lautet denn auch, daß es bereits gelöst und obsolet sei. A. ~Schopenhauer vor allem (Werke VI, bes. 83) hat dies mit Verve geltend gemacht, und M. Schlick (155) hat nur

5 noch vom "sogenannten Problem der Willensfreiheit" als einer "Scheinfrage" gespro- chen. Vielfach gilt dies als Gemeinplatz (vgl. z. B. Davidson 63, aber auch von Wright, Freedom 5f.78f.; ders., Normen 210). Historisch wird dabei meist auf D. ~Hume,

John Locke (1632-1704) und Th. Hobbes zurückverwiesen, doch findet der fragliche Lösungsansatz sich schon bei Pomponazzi (Maier), in der Stoa und vor allem bei

10 ~ Augustin und im Augustinismus des Mittelalters (s.u. 6.2.). Ob mit ihm der Königsweg aus dem "Labyrinth" der Willensfreiheit gefunden ist, kann nur die systematische Pro- blemanalyse zeigen.

3. Grundlegende Freiheitsbegriffe

Benötigt wird eine genauere Explikation und interne Differenzierung der Schlüssel-

15 begriffe, vor allem des Freiheitsbegriffs. "Freiheit" und "frei" sind Positivworte, die gern besetzt und instrumentalisiert werden (vgl. Seebaß, Wert 759ff.). So wird "wahre Freiheit" ungeniert mit recht verstandener "Notwendigkeit" gleichgesetzt (HegeI, En- zyklopädie §§ 484.514, vgl. 158f.; Marx/Engels, Werke XX, 106), mit Autoritarismus bis hin zum "Kadavergehorsam" (vgl. James, Varieties 31Off.) oder, genau umgekehrt,

20 mit rücksichtsloser Gewalt (Nietzsehe VI, 139f.). Politische Propaganda und Produkt- werbung liefern triviale Beispiele. Um solcher Rabulistik nicht aufzusitzen, mufS man sich 1) auf den deskriptiven Gehalt des Begriffs konzentrieren und erst im Nachgang prüfen, ob bzw. in welchem Sinne und Umfang Freiheit wünschens- und normativ schüt- zenswert ist, und 2) theoretische Vorannahmen bei der Begriffsanalyse ausschalten, also

25 stets von der Umgangssprache ausgehen, nicht von entwickelten Freiheitskonzepten in Wissenschaft, Philosophie oder Theologie.

3.1. Hindernisfreiheit

Obwohl es von interessierter Seite (z. B. Hayek 16ff.424f.) immer wieder bestritten wird, erstreckt sich der Gattungsbegriff der Freiheit auch auf die außermenschliche Natur

30 ("freier Fall", "freie Valenzen", "Freigehege") und bedeutet etwa soviel wie "ungehin- dert" (vgl. Art. Frei, Freiheit: DWb 4/1 [1878] 94-125; Art. Hindern, Hindernis: ebd.

4/2 [1877J 1408-1411). In der Philosophie haben dies vor allem Hobbes (Opera II, 259;

Works 1II, 32f.116.196f.; V, 363ff.389ff.) und Schopenhauer (Werke VI, 43f.) richtig gesehen. Ähnliches gilt für die traditionelle Definition als Abwesenheit von Zwang, die

35 schon bei Aristoteles wenngleich auf den Menschen beschränkt - als Äquivalent von

er,'

aV7:1jj bzw.

dpxiJ ev

aV7:1jj (s.o. 1.2.2.) auftritt und vielfach als Gattungsbegriff ver- wendet wird. Denn auch die Rede von "Zwang" und "zwingen" geht über den mensch- lichen Bereich hinaus ("Zwanglauf", "Zwinge", "Zwinger") und bedient sich im Kern derselben Kriterien wie der Begriff der Hindernisfreiheit (Art. Zwang: DWb 16 [1954]

40 932-1292).

Dieser Begriff impliziert 1) einen umfassenden Möglichkeitsspielraum, der partiell oder vollständig eingeengt sein kann und dessen Verengung 2) bedeutet, dafS das so Gehinderte entweder 2a) nicht so sein oder sich 2b) nicht so entfalten kann, wie es das seinem" Wesen" bzw. seiner "Natur" nach eigentlich können sollte (vgl. Seebaß, Freiheit

45 223ff.). So sagen wir z. B. von einem FlufS, er könne nicht "frei fliefSen", weil er durch Gebirge oder künstlichen Uferbebauungen gehindert/gezwungen wird, nicht den ihm

"natürlichen" direkten Weg ins Tal zu nehmen. Ebenso gilt ein Metall als "schlacken- frei" , wenn seine chemisch wesentlichen Bestandteile rein vorliegen und ungehindert reagieren können.

(7)

3.2. Handlungsfreiheit

Eine spezifisch menschliche Form der Hindernisfreiheit ist die sog. "Handlungsfrei- heit", derzufolge ein Mensch genau dann bzw. in dem Maße frei ist, in dem er handeln kann, wie er will, wobei "Handeln" Unterlassen ebenso einschließt wie aktives Inter-

5 venieren. Seit der Antike bildet er einen Grundbegriff der politischen Philosophie (-+ Frei- heit III; VI), reicht aber weit über diese hinaus und ist in der Neuzeit generell domi- nierend. Der Möglichkeitsspielraum, der dabei (partiell) offen oder verschlossen sein kann, wird durch alle Sachverhalte (bzw. Satzgehalte, s.o. 1.3.) gebildet, auf die sich der Wille prinzipiell richten kann. Kriterium der "Wesensgemäßheit" ist der jeweilige

10 Wille selbst, so wie er faktisch ist oder sich weiterentwickelt. Handlungsfrei kann also auch ein Mensch sein, dessen Wollen vom Zufall abhängt, extern determiniert ist, ha- bituell fixiert oder automatisiert, unwiderstehlich affektbestimmt oder manipuliert durch Drogen, "Gehirnwäsche" oder massiven psychischen Druck. Umgekehrt gilt er auch dann als handlungsunfrei, wenn sein Wille sich auf ihm verschlossene Dinge richtet,

IS die eigentlich für ihn belanglos sind oder müßig (z. B. Geschehenes ungeschehen machen).

Freies Tun oder Nichttun müssen vom Willen abhängen. Das impliziert zweierlei.

Erstens muß das Wollen Einfluß auf das Geschehen besitzen, darf also nicht nur (wie in der neueren Literatur zum Teil behauptet, vgl. dazu Seebaß, Wollen [1993] 209ff.) den Status eines kausal irrelevanten Grundes haben, der das Handeln zwar "verstehbar"

20 macht, es aber nicht in seiner Genese erklärt und dem Verdacht (z. B. Nietzsches, vgl.

Nietzsche VI, 90-93; III, 108f.116) ausgesetzt ist, nur eine Rationalisierung ex post zu sein. Zweitens muß das Geschehen sich durch gegenteiliges Wollen ändern lassen, klas- sisch illustriert von Locke (Essay II, 21, 10) durch einen Menschen, der mit Willen in einem Zimmer bleibt, aber nicht frei ist, es zu verlassen. Diese zweite Bedingung ist

2S seit der Stoa oft bestritten worden (z. B. Epiktet, Diatribai IV,1,128-131; Hobbes, Works V, 272.288; Davidson 74f.; Frankfurt, Importance 1-10). Tatsächlich könnte sie weg- fallen, wenn feststünde, daß jedes faktische Wollen und jeweils nur dieses dem Menschen

"wesensgemäß" ist, begründet z. B. durch einen universalen theologischen Determinis- mus. Damit wäre sogar Spinozas prima fade rabulistische Definition von "Freiheit"

30 als Existieren und Handeln "nur aus der Notwendigkeit seiner Natur" nachvollziehbar (Spinoza, Opera II, 88f.; ders., BriefwechseP 235). Doch jenseits theologischer Vorgaben ist die Prämisse implausibel und zeigt, daß ein kompletter Verzicht auf ein Hinterfragen des faktischen Wollens auch keinen adäquaten Begriff des "freien HandeIns" liefern kann (so schon sehr klar Plotin, Enn. VI,8,1-7).

35 Vorausgesehene Folgen freier Handlungen gelten auch ohne situatives Anderskönnen oft als frei (z. B. Aristoteles, eth. Nie. III,7). Strenggenommen gibt es bei jeder Handlung Phasen bzw. Zeitpunkte, zu denen auch ein inzwischen geänderter Wille nichts mehr ändern könnte (Seebaß, Aspekte 409f.). Gleiches gilt für Verlauf und Ergebnis willens- getragener Überlegungen (Locke, Essay II, 21,47-50.71) und für das resultierende Wol-

ofO len selbst (Descartes, Brief 9. Februar 1645). Auch eine längerfristige, temporär unauf- heb bare Beschränkung des Handlungsspielraums durch eine selbst gegebene Regel oder gewählte Bindung an eine Person kann daher frei sein. (Hier liegt der positive Gehalt der sonst befremdlichen Rede Hegels von "konkreter Freiheit" als "begriffener Not- wendigkeit", vgl. bes. Rechtsphil. § 7, Zusatz.) Ihre Grenze findet solche "Freiheit ex

45 ante" allerdings einerseits am mangelnden Wissen über die Folgen (Seebaß, Wollen [1993]

198ff.j Aspekte 405ff.; s.a. unten 5.1.), andererseits an der personalen Dynamik von Individuen, die auch beinhaltet, daß frühere Willenshaltungen neu überdacht und even- tuell revidiert werden. Fehlende Handlungsspielräume, die früher nicht freiheitsbe- schränkend waren, können es deshalb später werden, und umgekehrt. Auch dies zwingt

50 zu kritischer Prüfung der jeweiligen Willenslage.

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62 Wille/Willensfreiheit I 4. Wille und Wollen

4.1. Das Substantiv" Wille" bezeichnet 1) den Inbegriff dessen, was jemand aktuell will, und 2) die bloße Fähigkeit, etwas zu wollen. Da der Besitz dieser Fähigkeit sich jedoch nur in der (wiederholten) Aktualisierung zeigen kann, führt das 2) auf das Verbum

5 "wollen" zurück. Ebendies gilt aber auch für 1). Denn auch latente, temporär unbewußte Willenshaltungen (wie ein lange gehegtes Berufsziel) beweisen ihre Existenz nur, wenn sie zeitweilig bewußt werden oder sich anderswie manifestieren - sei es direkt im Handeln bzw. aktiven Sich-Erinnern oder nur indirekt, vermittelt durch besondere (z. B. psycho- analytische) Maßnahmen. Das Substantiv "Wille" also ist insgesamt sekundär.

10 4.2. Primär ist nur das Verbum "wollen". Der radikale Behaviorismus wollte es ent- weder auf eine sekundäre ("adverbiale") Qualifikation (z. B. Wittgenstein I, 331; VII, 128.269f.; Ryle 88f., vgl. 199ff.) oder auf eine bestimmte, zielgerichtete Form von Ver- halten beziehen (z. B. Wittgenstein I, 183.465 f.; Ryle 93 f.; Gehlen12 147 f.; Skinner, Wis- senschaft 110ff.; ders., Behaviorismus 63ff.; Düker, Untersuchungen 11; ders., Wollen

15 13.81; Rensch 112). Aber auch viele Autoren, die es auf ein Ereignis vor dem Verhalten beziehen, haben betont, daß von "Wollen", anders als "Wünschen", erst die Rede sein kann, wenn es sich im Handlungsvollzug manifestiert (Hobbes, Opera 11, 95f.173f.;

ders., Works III, 48f.; V, 360.389; Locke, Essay 11, 21, 5.28.30; Schopenhauer, Werke VI, 56; RusseIl285f.; Kenny, Will4lf. u.v.a.). All diese Ansätze ignorieren den normalen

20 Sprachgebrauch, für den Wollen und Tun keineswegs immer zusammengehen (Seebaß, Wollen [t993] Kap. III,3). Allenfalls Verhaltensdispositionen, die manchmal, aber nicht immer aktualisiert sind, könnten dieser Kritik entgehen. Doch Explikationen dieser Art erweisen sich durchweg als inadäquat, besonders im Blick auf die Intentionalität jedes Wollens (Seebaß, Wollen [1993] 91-106.170-181). Daran scheitern freilich auch viele

25 mentalistische Willensbegriffe (kritischer überblick in Seebaß, Wollen [1993] 47f.49- 57.167-169). Sinnvoll ist nur der Rekurs auf das bewußte Wünschen, aufgefaßt als eine gefühlsneutrale optativische Einstellung, die ein Pendant zur assertorischen bildet und sich wie diese auf Sachverhalte (bzw. Satzgehalte, s.o. 1.3.) bezieht. Definiert sind beide durch gegenläufige "directions of fit" (Anscombe, Intention 4f.56f.; Searle, In-

30 tentionality 7-9.167ff.): Wenn Diskrepanzen bestehen, muß sich im assertorischen Falle die Einstellung nach der Wirklichkeit richten, im optativischen umgekehrt. Wer etwas glaubt oder behauptet, erhebt den Anspruch, daß es wahr bzw. wirklich ist, wer etwas wünscht oder will, daß es wirklich sein möge, was im Diskrepanzfalle eine entsprechende Anpassungsforderung nach sich zieht. Diese Forderung bleibt beim reinen Wünschen

35 abstrakt, während Wollen mehr beinhaltet. Die philosophische Tradition hat hier vor allem (zum Teil im direkten Rekurs auf die Aristotelische npoaipemr;, vgl. Thomas von Aquino, S.th. 1-11, q.8 a.1; q.13 a.5; Leibniz, Confessio 80-83; ders., Nouveaux Essais 11, 21,9; Brentano 11, 92.103) rationale Zusatzkriterien eingeführt wie Überlegen, Ent- scheiden oder Glauben, daß das Gewollte gut und durch eigenes Tun zu verwirklichen

40 ist. Doch der normale Sprachgebrauch deckt solche Zusätze nicht. Hier genügt eine motivationale Qualifikation, besonders die Disponiertheit zu Überlegungen, die eine etwaige Entscheidung zum Handeln vorbereiten (Seebaß, Wollen [1993] Kap. IV,6).

"Wollen" erweist sich somit als komplexer Terminus, der diverse Formen des Wünschens abdeckt, die (zeitweilig zumindest, s.o. 4.1.) bewußt und (mental zumindest) motivierend

45 sind.

5. Willensfreiheit

Ist ein Mensch nicht gehindert, sein Wollen - rein optativisch wie motivation al ge- sehen - "wesensgemäß" zu entwickeln, gilt er als willensfrei, andernfalls nicht. Schon der Spielraum möglicher Wünsche kann zwanghaft eingeengt sein. Doch auch wer frei

50 ist, etwas abstrakt zu wünschen, kann (durch psychotischen Zwang, Drogensucht, Folter u.a.) daran gehindert sein, es so bestimmend für sein praktisches Überlegen und hand-

(9)

lungsleitendes Wollen werden zu lassen, wie er dies eigentlich können sollte (vgl. o.

3.1.). Welche Kriterien dabei zugrundeliegen, ergibt sich aus den hauptsächlichen For- men, in denen Menschen in ihrer Willensbildung gehindert bzw. gezwungen sein können oder nicht:

5.1. Unwissenheit

Wissensdefekte liefern die meisten Beispiele. Wer als Tourist nicht weiß, welche At- traktionen sein Reiseziel bietet, oder wem ein Verkäufer sein volles Warenangebot vor- enthält, dem sind prinzipiell wählbare Zwecke in signifikanter Weise verschlossen. Ent- sprechendes gilt für wählbare Mittel, Folgen und Nebenfolgen. Ein Arzt z. B. oder Pa-

10 tient, der nicht alle Therapien und Nebenwirkungen kennt, trifft seine Wahl partiell willensunfrei. Unwissenheit kann eine Folge unterbliebenen Wissenserwerbes sein. Ge- schah dies bewußt und willensfrei, kann trotzdem "Willensfreiheit ex ante" vorliegen (vgl. o. 3.2.). Vieles aber bleibt uns auch ohne eigenes Zutun unbekannt und nicht alles davon (wenn auch zum Glück das meiste) ist für uns essentiell ohne Belang. Strengge-

15 nommen ist deshalb jede Willens bildung zu großen Teilen epistemisch willensunfrei.

Seit Plato (Prt. 352b-358c; leg. 860c-864c ff.) und Aristoteles (eth. Nic. III,2; V,lO) ist Wissen ein zentrales Freiheitskriterium. Dominant würde es, wenn alle menschlichen Zwecke festlägen und die Mittelwahl rein wissensabhängig erfolgte. Das wird vor allem in eudaimonistischer und hedonistischer Form oft vertreten. Von einer eigenständigen

!O "intellektuellen Freiheit" (Schopenhauer, Werke VI, 45.139-142) neben der Willensfrei- heit könnte aber auch dann keine Rede sein, und die Prämisse ist zudem falsch. Denn kein Mensch richtet sein Wollen stets an denselben vorgegebenen Zwecken aus oder wählt seine Mittel willenlos (vgl. Seebaß, Wollen [2000] 201-204). Selbst unterstellte Generalzwecke wie Glück, Lust, Nutzen o.ä. geben nicht immer den Ausschlag und es sind meist so inhaltsleer, daß sie faktisch mit dem zusammenfallen, was jemand wünscht

oder will. Eine Verabsolutierung des Wissenskriteriums also ist inadäquat.

5.2. Habituelle, emotive und normative Restriktionen

Auch der bekannte Spielraum möglicher Willensinhalte steht uns nicht immer offen.

Schon die antike Akrasiediskussion (s.o. 2.2.) hat Freiheitsbeschränkungen durch Träg-

10 heit, Affektüberwältigung und falsche soziale Rücksichten thematisiert (Euripides, Hipp., 375 - 387; Ovid, met. 7,7 - 21; vgl. Holzhausen) . Selbstzweifel, Angst, Melancholie oder Langeweile können die Fähigkeit zum bloßen Wünschen einschränken, Euphorie, Zorn, Ekel, Liebe, Rührung oder Geschmack die WiIlensbildung motivational belasten, obwohl Alternativen verfügbar sind. Gleiches gilt für Habituierungen, Automatismen

15 und Fixierungen auf moralische Normen, Rechtsprinzipien, private Regeln oder inter- nalisierte Autoritäten ("Über-Ich" bei S. ~Freud; politische "Flucht aus der Freiheit"

nach Fromm, Kap. 5-7).

Nicht alle so begründeten Restriktionen schränken uns "wesentlich" ein. So kann eine Bindung an Normen und Autoritäten auch hier (vgl. o. 3.2.) Ausdruck persönlicher

10 Selbstentfaltung sein, sofern sie freiwillig eingegangen und aufrechterhalten wird. Fi- xierte Willensbildungsverläufe sind zum Teil sogar freiheitsfördernd, da sie mental ent- lastend sind und neue Spielräume eröffnen. Besonders deutlich ist das beim rationalen Zwang. Wen zwingende Argumente zur Aufgabe alter Vorurteile bewegen, wird zwar in seiner Urteilsfreiheit (s.o. 1.3.), nicht aber in seiner Persönlichkeit essentiell einge-

15 schränkt. Erst recht gilt dies für das Prinzip der Widerspruchsfreiheit, das von jeher (vgl. Parmenides, FVS 28 B 1-2.6-7; Schmitt 103f.267 Anm. 319-322), nicht als Frei- heitsbeschränkung sondern Ermöglichung sinnvollen Urteilens aufgefaßt wird (vgl. Tu- gendhatIWolf Kap. 4). Dennoch hat man versucht, auch dieses Prinzip zu bestreiten und z. B. "parakonsistente Logiken" zu entwickeln (vgl. Art. parakonsistent/Parakon-

50 sistenz: EPhW 3 [1995] 47f.) oder zumindest den Intellekt Gottes ganz von ihm auszu- nehmen (Petrus Damiani nach W. Kühn, Art. Notwendigkeit. Mittelalter: HWP 6 [1984J

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64 Wille/Willensfreiheit I

963; Ockham 51). Aber auch wenn extreme Formen transrationaler Willensfreiheit außer Betracht bleiben, folgt daraus nicht, daß jede Willensbildung frei ist, die als theoretisch oder praktisch (s.o. 1.2.1.) "rational" gilt, zumal wenn dies nieht mehr beinhaltet als die tradierten "allgemeinen fixen Ideen, welche man die gesunde Vernunft tauft" (Büch- ner, Dantons Tod, IV,5).

5.3. Äußerer Zwang

Neben Formen des inneren (s.o. 5.1.-5.2.) kann auch äußerer Zwang die Willens- bildung tangieren. Dieser liegt vor bei Notstand sowie politischer, ökonomischer oder psychischer Nötigung bzw. Erpressung, mit fließenden Grenzen auch zu normalen Kauf-

10 und Tauschsituationen (so richtig z. B. Abaelard, Ethiea, c. 1-3; Kant, Vorlesung 38-44;

Sigwan IF, 198 f.). Bestimmte Optionen sind hier durch externe Koppelung erwünschter Sachverhalte mit unerwünschten, überwiegenden Folgen ausgeschlossen. Deshalb wird oft behauptet, nur die Freiheit des Handelns sei eingeschränkt, nicht die des Wollens (z. B. -+Anselm von Canterbury, Freiheitsschriften l04f.; Hobbes, Works III, 197; IV,

15 68f.; Wolff, Abt. 1, Bd. 11,318-322; Sartre IV, 1,3; Ducasse 196-198). Doch schon Aristoteles (eth. Nie. 1110a4-1110b9; eth. Eud. 1225a3-19) hat bemerkt, daß in gra- vierenden, nieht (ex ante, s.o. 3.2.) selbst verschuldeten Fällen von äußerem Zwang auch die Willensbildung tangiert ist, so daß das Ergebnis frei und unfrei zugleich er- scheint. Praktisch wird dem z. B. im "entschuldigenden Notstand" des Strafrechts Rech-

20 nung getragen, konzeptionell vor allem in der Augustinischen Willenstheorie (vgl. Saar- inen Kap. 2.1.), wo zum Teil sogar jede Willensbeteiligung an erzwungenem Handeln abgelehnt und nur ein nichtvolitionaler consensus anerkannt wird (Abaelard, Ethica, c.1-3).

Formal gleichen sich äußerer und innerer Zwang darin, daß Teile des eigenen Wün-

25 schens und Wollens ein abnormes Übergewicht über andere Teile bekommen, die für die Person ebenso wesentlich sind. Letzteres müßte man pauschal bestreiten, um darin keinen Verlust an Willensfreiheit zu sehen. Viele Autoren tun dies auch, indem sie z. B.

behaupten, der Wille könne als ein Vermögen, dem es wesenhaft sei, sich im Wollen oder Nichtwollen zu aktualisieren, gar nicht gezwungen werden (vgl. Karneades bei

30 Cicero, Fat. XI, 23-25; Petrus Lombardus, Sent. 11, d. 25, c. 8-9; Thomas v. Aquino, S.th. I, q.82 a.1 resp.; 1-11, q.6 a.4; Duns Scotus XIX, 218; Luther, WA 1,365f.; 18,635;

Calvin, Inst. 11,3,5; Wolff, Abt. 1, Bd. H, 319; Fiehte I, 148; HegeI, Rechtsph. §4). Doch wenn dies nicht nur erneut ein Ausdruck der Unwilligkeit sein soll, faktisches Wollen - sei es auch das mit dem momentan größten Gewicht auf seine" Wesensgemäßheit"

35 hin zu befragen (s.o. 3.2.), muß man es zusätzlich auszeichnen, ohne dabei auf ver- meintliche Generalzwecke oder ähnliches (s.o. 5.1.) zurückzufallen.

5.4. Willensfreiheit und höherstufiges Wollen

Denkbar ist hier der Rekurs auf ein Wollen höherer Stufe. Analog zum Schema der Handlungsfreiheit (s.o. 3.2.) kann jemand dann bzw. in dem Maße willensfrei sein, in

40 dem er "wollen kann, wie er will". Kritiker haben eingewandt, dieses Können sei stets und trivialerweise gegeben (Locke, Essay, 11,21,25.48; Leibniz, Hauptschriften1 1,225 f.;

Berkeley, Alciphron, VII, 22-23; Edwards 31; Schopenhauer, Werke VI, 46.58f.). Doch selbst in Fällen, wo beide Willenshaltungen W exakt denselben Sachverhalt s betreffen, ist Ws nicht dasselbe wie WWs. Deshalb wird oft hinzugefügt, Zustände der Form

45 WWs träten entweder niemals auf oder würden Ws formal implizieren. Beides ist im- plausibel, in optativischer Hinsicht (Apathie, Melancholie, vgl. o. 5.2.) wie in motiva- tionaler ("gute Vorsätze"). Die Stufung selbst erscheint unbestreitbar (vgl. Augustin, conf. VIII,5,1O; 8,20-24; trin. X, 11,18; Saarinen 46.51-57.66-71.85; Moore, Ethics [1978] 93-95; Ryle 148; Frankfurt, Importance 11-25; Kusser 139ff.; Seebaß, Wollen

50 [1993] 22lf.228f.; ders., Wollen [2000] 204ff.). Gravierend ist nur der Einwand, als Willensfreiheitskriterium führe sie in einen Regreß (Hobbes, Works IV, 69; Leibniz,

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Confessio 80f.96f.I72A.124; ders., Versuche3 123; Locke, Essay 11, 21, 23.25; Edwards 38-41.58f.80f.; Herbart IV, 167-169; Schopenhauer, Werke VI, 46f.; Ryle 84f.; Nowell- Smith 286f.; McCann 88 u.v.a.). Ein Regreß muß nicht entstehen, solange die Stufung finit ist. Infinit aber darf sie nicht werden. Das Modell der Handlungsfreiheit führt also

5 auf ein Wollen zurück, das so nicht mehr als frei zu erweisen ist. Benötigt wird eine prinzipiell andere Form der freien, selbstidentifikatorischen optativ ischen Stellungnahme (jaspers3 11, 165; Frankfurt, Importance 2lf.165-167; Seebaß, Wollen [2000] 196ff.).

Diese kann zum Teil auf Erfahrungen faktischer Wunsch befriedigung beruhen (Frank- furt, Importance 85ff.168f.; ders., Necessity 102ff.; Steinfath Kap. 5-6), behält jedoch

10 wegen der personalen Dynamik (s.o. 3.2.) stets ein Moment der originären Wahl zwischen zuvor offenen Möglichkeiten. Das bloße Faktum der Höherstufigkeit und das aufs Wollen übertragene Schema der Handlungsfreiheit reichen hier nicht mehr aus. Das, aber auch nur das, ist die Pointe des Regreßeinwands (so richtig Reid 263.265f.).

5.5. Willensfreiheit und Spontaneität

Nach dem Modell der Handlungsfreiheit wären Menschen nur relativ auf ein gege- benes (einfaches oder höherstufiges) Wollen bzw. Wünschen frei. Auch ihre Urheber- schaft (s.o. 1.2.2.) würde relativ. "Spontan" agierten sie weniger im Sinn von eKOVGIOC;

als von avrof.1,aroc;, das mechanistisch konnotiert ist. Ansatzweise zeigt sich das bereits bei Aristoteles (s.o. 2.2.), Thomas von Aquino (S.th. I, q.l03 a.8 resp.) oder Thomas o Bradwardine (Sylwanowicz 212 Anm. 54), explizit dann bei Hobbes (Works V,79.83f.

91 ff.350f.400). Auch mentale, willens bildende Prozesse gleichen nun der relativen "Spon- taneität" artifizieller Automaten (Spinoza, Opera 11, 66f.; Leibniz, Versuche3 123 f.376f.;

Baumgarten 272ff.), wobei Spinoza (Opera 11, 146 f. 170 f.262ff.; ders., BriefwechseP 236f.) und Hobbes (Opera I, 331-334; Works III, 38-40.48f) auch die bloße Epiphä-

5 nomenalität des Mentalen gegenüber dem Physischen anregen, die im -+ Materialismus des 18.119. Jh. programmatisch vertreten wird, von Nietzsche sogar (III, 108 f.; VI, 92ff.;

X, 65lf.) wie eine wissenschaftliche Tatsache, die seine Radikalkritik (s.o. 2.1.) unter- mauert, empirisch aber bis heute unbewiesen ist (vgl. Libet; Haggard/Eimer; Haggard/

Clark/Kalogeras) .

o Kant hat die Ersetzung jeder spontaneitas absoluta durch spontaneitas secundum quid bzw. automatica (GS XXVIII/l, 267f.285f.) abgelehnt und als oberflächliche Scheinlösung des Freiheitsproblems durch bloße "Wortklauberei" kritisiert (GS V, 96f.).

Tatsächlich ist schwer zu sehen, wie man die Idee der aktiven Urheberschaft retten kann, wenn das "spontane" Wollen als relativ bzw . letztlich kontingent, extern vermittelt

5 oder gar rein epiphänomenal gilt. Kant und noch klarer Reid (llf.38ff.267-272 u.ö.) haben deshalb auf einem Alternativkonzept zu dem der Handlungsfreiheit bestanden, bei dem ein freier Akteur (echte) Spontaneität dadurch beweist, daß er fähig ist, be- stimmte Geschehnisse, besonders solche des eigenen Wo liens bzw. Wünschens, "von selbst (sponte) anzufangen" (Kant, GS IV, 344; vgl. III, 310.363.377 u.ö.). Das impliziert o aber offenbar die Negation des Determinismus und wird daher oft bestritten.

6. Willensfreiheit und Determinismus 6.1. Determinismus

"Determinismus" ist eine Wortprägung der deutschen Philosophie des späteren 18. Jh.

(nicht erst des späteren 19. Jh., so irrig Cassirers 134ff. und Hacking), die an das la- steinische determinare anknüpft und besagt, daß alles Geschehen in Raum und Zeit

fixiert, d.h. alternativelos festgelegt ("determiniert") ist. Da diese Fixierung sich auf der Ebene der Satzgehalte ebenso zeigt wie auf der Ebene der korrespondierenden Sach- verhalte (s.o. 1.3.), hat das Wort (wie seine lateinische Wurzel seit der Scholastik) einen logisch-ontologischen Doppelsinn, der sich nicht nur auf die raumzeitliche Welt bezieht,

;0 sondern auch auf die Wahrheitswerte sprachlicher Weltbeschreibungen (zur Sache in-

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66 Wille/Willensfreiheit I

struktiv Kant, GS I, 391ff.; 11, 72-74). Durch das Kriterium der Alternativelosigkeit erweist sich "determiniert" zugleich als Äquivalent zu "notwendig" im allgemeinsten, erstmals von Aristoteles klar explizierten Sinne (metaph. 1015a20-1015b9.1072blO-13).

Deshalb erscheint der Determinismus oft als Nezessitarismus. Schon Aristoteles freilich hat klargestellt, daß die Gründe, warum etwas notwendig/determiniert ist oder nicht, ganz verschieden sein können, also keineswegs nur kausale oder formallogische ein- schließen. Diese Pluralität gilt für alle Modalbegriffe, also auch für Möglichkeit oder .... Kontingenz und den Begriff des Determinismus. Der Kausaldeterminismus ist nur eine von vielen Varianten.

10 Ob und in welcher Form unsere Welt deterministisch ist, bleibt trotz diverser Be- gründungsversuche bis heute umstritten und Glaubenssache. Das verbreitetste Pro-Ar- gument lautet, erfolgreiche kausal- bzw. nomologisch-deterministische Erklärungen in den Naturwissenschaften seien prinzipiell extrapolierbar. Doch selbst der Musterfall der klassischen Mechanik liefert dafür eigentlich keine Basis (Popper, Universum Kap.

15 111, 17; Earman Kap. III) und allemal nicht statistische physikalische Theorien wie die Quantenmechanik (s.u. 6.3.). Die unlimitierte Extrapolierbarkeit deterministischer Er- klärungs muster auf andere Felder, einschließlich des psychischen und sozio-kulturellen Bereichs, ist ohnehin bis heute science fiction, trotz aller Fortschritte in Künstlicher Intelligenz und Neurowissenschaften. Bewiesen wäre der Determinismus, wenn feststün-

20 de, daß alle Sätze über die Welt zeitlos fixierte Wahrheitswerte besitzen. Schon Aristoteles (int. c. 9) hat dies demonstriert und zugleich angedeutet (wenngleich in mißverständ- lichen und vielumstrittenen Formulierungen, vgl. Weidemann 300ff.), warum der richtig interpretierte Satz vom ausgeschlossenen Dritten keine solche Fixierung beinhaltet. Denn dieser besagt lediglich, daß jeder Satz nur den Wert "wahr" oder "falsch" annehmen

25 kann, falls er wahrheitsfixiert ist, nicht aber (wie das sog. "Bivalenzprinzip" nach Lu- kasiewicz), daß er dies durchweg ist.

Ein Grund auch für letzteres wäre die Allwissenheit Gottes, da Wissen offenbar Wahrheit impliziert. Um keine nezessitaristischen Konsequenzen ziehen zu müssen, hat sich die Theologie deshalb lange bemüht, die Stringenz des Aristotelischen Arguments

30 zu erschüttern. Unbeachtet blieb dabei (neben der Vielfalt relevanter Notwendigkeits- begriffe) vor allem die Tatsache, daß jede Fixierung der Wahrheits werte genügt, gleich- gültig ob aus logischen, kausalen oder anderen Gründen, einschließlich kontingenter (wie z.B. in der necessitas per accidens des William of Sherwood 34f.). Schon Luther (WA 18,617.722; 56,382ff.), aber auch Kant (GS I, 400) haben diesen Antinezessitarismus

35 deshalb zu Recht bespöttelt. Prinzipiell trifft dies auch die drei klassischen theologischen Lösungsansätze, d.h. Molinas scientia media (vgl. Molina 168f.186ff.; zur Kritik ebd.

68ff.; Leibniz, Versuche3117f.; Barth, KD 11/1, 648; Zagzebski 141ff.; Gaskin), Ockhams nichtnezessitierendes "weiches" Zukunftswissen (vgl. Ockham, bes. 51.57 f.90-92.112f.;

zur Kritik z. B. Widerker) und den Rekurs auf die göttliche Zeitlosigkeit, der dem spä-

40 teren Platonismus entstammt (vgl. Cicero, fat. XIV,31-33; Theiler 63; Beierwaltes 108ff.) und vielfach aufgegriffen wurde (z. B. von Boethius, Consolatio philosophiae, I. V; An- selm von Canterbury, Freiheitsschriften 270ff.; Thomas von Aquino, S.th. I, q.14 a.13 u.v.a.), wenn auch keineswegs einhellig (Duns Scotus, zitiert nach Söder 138ff.; zur Kritik ferner Valla; Zagzebski 43ff.). Denn was gewußt wird, gleichgültig aus welcher

45 Perspektive und auf welcher Basis, ist eben (anders als bloß Vermutetes oder Erratenes, vgl. Anscombe, Papers I, 53f.) wahrheitsfixiert und determiniert. Mit der Prämisse be- stehender Allwissenheit oder auch nur Allwißbarkeit (z. B. durch einen Laplaceschen

"Dämon") wäre der Determinismus/Nezessitarismus begründet.

6.2. Kompatibilitätsprobleme

50 Ob er mit Freiheit vereinbar wäre, ist in der Philosophie notorisch strittig. Die (seit James, Will 149) verbreitete schlichte Einteilung in "Kompatibilisten" und "Inkompa- tibilisten" ist allerdings irreführend, da der Streit nicht um ein Ja oder Nein zur selben

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These geht, sondern um das Verständnis der Schlüsselbegriffe (Seebaß, Freiheit 14ff.).

Signifikant ist die Stellung zum Fatalismus, den alle Seiten vermeiden möchten. "Kom- patibilisten" operieren mit einem Fatalismusbegriff, der die kausale Relevanz jedes Wol- lens und Handelns für die Zukunft bestreitet (vgl. Seebaß, Freiheit 7ff.). Doch diese

5 törichte und wohl von niemandem konsequent vertretene Version steht kaum zur De- batte. Der. aufgeklärte (echte) Fatalist behauptet nur, objektiv keine Kontrolle über den Gang der Dinge zu haben, weil dieser, einschließlich des eigenen Überlegens und Wollens, vorgängig determiniert ist. Dieses klassische Fatalismusargument bei Aristoteles (int.

c. 9; eth. Nie. 1112aI8-3l.1139b5-11; metaph. VI,3) hat R. Taylor 1962 in einer prä-

10 zisierten Version erneuert, an deren Widerlegung sich dutzende von Autoren vergeblich abgearbeitet haben (Taylor, Fatalism).

Der Determinist sollte also (falls er es als assertorisch Determinierter kann, vgl. o.

1.3.) den Fatalismus als die ihm rational angemessene Haltung anerkennen. Konsequente Verfechter wie die Stoiker haben dies auch getan. Das stoische Ergebungsprinzip (Seneca,

15 ep. 107,9-12; Epiktet, Diatribai IV,I,128-131; ench. 53; Mark Aurel, Ta eis heauton X,28), illustriert durch das Hundebild (SVF II,975), weckt allerdings den Verdacht, daß die hier paränetisch unterstellte Freiheit des Geistes durch Inkonsequenzen beim De- terminismus erschlichen wird. Nur das Walzenbild Chrysipps (SVF II,974.1000) und die stoische Theorie der "natürlichen Ursachen" (Sambursky 57ff.; Bobzien Kap. 6) sind

20 konzeptionell eindeutig, erregen aber begründete Zweifel, ob dieses Freiheitskonzept genügt (Alexander von Aphrodisias, fat. c. 13-15; Nemesios, nato horn. C. 35 u.v.a.).

Denn entweder muß man nun erneut auf die pauschale "Wesensgemäßheit" jedes fak- tischen Wollens zurückgreifen (s.o. 3.2.) oder den Freiheitsbegriff selbst der determini- stischen Hypothese anpassen.

25 Kritisch ist dabei vor allem die Bestimmung des relevanten Möglichkeitsspielraums (s.o. 3.1.). "Kompatibilisten" bestreiten die Annahme ihrer Gegner (Taylor, Fatalism 58; Inwagen 68ff. u.a.), daß Freiheit unfixierte Alternativen erfordert. Eine Extrempo- sition, historisch vertreten von Duns Scotus (vgl. Söder 92ff.171 ff.203) und Leibniz (Con- fessio 62ff.; Hauptschriften2 11, 654ff.; Textes, 418ff.; Versuche3 115 f.394f.; Schriften

30 II1, 400ff. u.ö.), begnügt sich sogar mit logischer Möglichkeit (= widerspruchs freier Denkbarkeit), d.h. einem Sinn von "Anderskönnen" (s.o. 3.2.), der derart schwach ist, daß auch Deterministen diesen Preis selten zahlen wollen. Kaum besser aber steht es, nüchtern betrachtet, mit der abstrakten naturgesetzlichen oder kausalen Denkbarkeit oder der bloßen Handlungsfähigkeit ohne Gelegenheit zu ihrer Anwendung (so Z. B.

35 Anse1m von Canterbury, Freiheitsschriften 74-83.96f.112f.; Aune; Saunders; Kenny, Will 155 f.; Gert/Duggan) bzw. der bloßen Gelegenheit ohne Fähigkeit (vgl. dazu Seebaß, Analyse 220ff.).

Die meisten Deterministen verfolgen daher einen Lösungsansatz, der auch von agnostischen "Kompatibilisten" (wie P.F. Strawson) favorisiert wird und den wahren

40 Grund für die neuzeitliche Problemverabschiedung liefert (s.o. 2.3.; vgl. Seebaß, Action).

Daß eine Person etwas tun oder wollen kann, soll danach lediglich heißen, daß es ge- schehen wird, wenn sie es will, und nicht geschehen, wenn sie es nicht will, gleichgültig ob und wie dieses Wollen determiniert ist. Diese konditionale Analyse des praktischen Könnens folgt dem Schema der Handlungsfreiheit (s.o. 3.2.) und soll die mit ihm ver-

45 bundene Relativierung (s.o. 5.5.) rechtfertigen. Zu ihren zahlreichen Anhängern gehören z. B. Anse1m von Canterbury (Cur deus homo II, 10), Locke (Essay II, 21), Schopenhauer (Werke VI, 56f.82) und Moore (Ethics [1978] 12f.84ff.). Ihr Stammvater aber ist Augu- stin, bei dem sich zugleich ein ingeniöses Argument findet, warum dieses Können beim Willen per se gegeben sein soll (Augustin, lib. III,14-41; civ. V,9-1O). Das Argument

50 scheitert jedoch schon formal (Rowe) und inhaltlich vor allem deshalb, weil es, wie die gesamte Analyse, entweder den modalen Sinn von "können" explikativ nicht erreicht oder selbst auf die verkappte Prämisse unfixierter Alternativen zurückgreift (Seebaß, Analyse).

(14)

68 Wille/Willensfreiheit I 6.3. Indeterministische Willensfreiheit

Auch manche Deterministen versuchen deshalb, den indeterministischen Konnota- tionen des freiheitsrelevanten "Könnens" Rechnung zu tragen. Einige stellen auf epi- stemische Indeterminiertheit ab mit dem Argument, diese sei subjektiv-praktisch (s.o.

5 1.2.2.) prinzipiell unüberwindlich (Planck6 139ff.301ff.334ff.; Popper, Indeterminism;

MacKay u.a.). Doch das bleibt zweifelhaft und würde allemal nicht mehr beweisen als die Systematizität subjektiver Täuschungen über objektiv nicht bestehende Freiheitsräu- me. Weiter geht Kants dualistischer Ansatz, für den Wollen und Handeln zwar empirisch determiniert und unfrei sind, transzendental jedoch (beweisbar durch die Moral, s.o.

10 1.2.1.) indeterministisch frei (Kant, GS III, 362-377; V, 93ff. u.a.). Dieses Konzept, das u.a. auch Schelling (Abt. I, Bd. VII, 383ff.) und Schopenhauer (Werke VI, 122f.133ff.) aufgegriffen haben, vermeidet den epistemischen Subjektivismus, allerdings um den Preis, daß raumzeitliche Phänomene nicht mehr als frei zu erweisen sind und ihre behauptete

"noumenale" Fundierung, die dies zu "denken" erlauben soll, notorisch dunkel bleibt.

15 Ohne eine Verbindung zur empirischen Wirklichkeit aber wäre jede Freiheitszuschrei- bung müßig bzw. eine Rationalisierung ohne Aussagekraft (vgl. o. 3.2.). Letzteres gilt z. B. für sprachdualistische Lösungsansätze, die lediglich auf die kategoriale Verschie- denheit von kausal erklärenden und rational verstehenden Beschreibungen abstellen (von Wright, Explanation; Kenny, Will 148ff.; Vendler 99ff.118ff. u.a.).

20 Ein stärkerer Freiheitsbegriff, der einen realen Spielraum voraussetzt, ist offenbar nur zu haben, wenn man den Determinismus verneint, auch für die physische Welt.

Spätestens seit der Entwicklung der Quantenmechanik ist dies auch wissenschaftlich wieder eine respektable Option, gleichgültig ob man den so begründeten Indeterminis- mus für ontologisch signifikant bzw. theoretisch dauerhaft hält oder nicht (vgl. dazu

25 Scheibe Kap. IV; Koch Kap. IX). Früh wurde hier, wenngleich nur abstrakt und spe- kulativ, auch eine Chance für die Willensfreiheit vermutet (vgl. Einstein/Born/Born 118.208.21Of.; Jordan; Compton; zur Kritik Frank 311ff.; Schrödinger). Inzwischen gibt es diverse physikalische und neurowissenschaftliche Konkretisierungsversuche (z. B. Ec- eies Kap. 9-10; Stapp, Mind Kap. 6; ders., Attention; Hameroff/Penrose; Mohrhoff) .

30 Sie sind, wie alle Hypothesen über die neurale Basis höherer mentaler Leistungen, em- pirisch ungesichert, defizient aber vor allem im Hinblick auf zwei entscheidende Fragen:

Kann ein indeterministisch freies Wollen Einfluß (3.2.) auf eine physische Welt be- sitzen, die weiterhin als nomologisch geschlossen gilt? Der Energieerhaltungssatz wird ja auch in der Quantenmechanik nicht aufgehoben und würde zwar nicht im (ex hy-

35 pothesi) indeterminierten Einzelfall, wohl aber dann verletzt, wenn die probabilistischen Gesetzmäßigkeiten selbst durch externe Interventionen (z. B. bewußte "Reduktionen der Wellenfunktion") verändert werden könnten, was sie bei freien, nicht nomologisch gebundenen Entscheidungen prinzipiell müßten (Loewer 1996, 103ff.; Mohrhoff 173f.).

Denkbar bleibt nur, die nomologische Geschlossenheit aufzugeben (Averill, Keating

40 1981; Mohrhoff 174ff.). Das ist der Preis, den man für einen psycho-physischen Inter- aktionismus, der den Epiphänomenalismus (5.5.) vermeidet, zahlen muß. Schon Leibniz (Versuche3 128-131.337; Monadologie, § 80; vgl. McLaughlin 1993) hat dies in seiner einschlägigen Kritik an Descartes' Erhaltungsannahmen gezeigt, und daran hat sich auch durch den Wechsel von deterministischen zu probabilistischen Gesetzen prinzipiell nichts

45 geändert.

Sind indeterminierte Ereignisse aber nicht per se zufallsbedingt und damit nicht freier, selbstbestimmter oder dem Fatalismus abträglicher als determinierte? Manche Quan- tenmodelle trifft dieser Einwand (z. B. Hameroff/Penrose). Andere suchen ihn durch die Annahme dirigierender mentaler Interventionen zu vermeiden (Stapp, Mind; ders., At-

50 tention; Mohrhoff). Das Zufallsproblem kehrt jedoch auf der Bewußtseinsebene wieder.

Die bloße Negation der Determiniertheit ist zwar keineswegs, wie die Gegner seit Epikur (s.o. 2.2.) immer wieder behaupten, gleichbedeutend mit akausaler "blinder Zufällig-

(15)

keit" (so richtig Lukrez, De rerum natura 2,284-287; Alexander von Aphrodisias, fat.

c. 15; Reid 292; James, Will 153ff.179f.; Taylor, Action 130f.; Popper, Knowledge 226ff.;

Lucas 58ff.; Inwagen 128f.). Sie genügt aber nicht, um diese Deutung auszuschließen.

Eine der klassischen Lösungen für das Problem einer präferenzlosen freien Wahl ("Bu-

5 ridans Esel") stellt sogar explizit auf sie ab (vgl. Bayle, Art. Buridan: DHC; Edwards 66ff.; Schopenhauer, Nachlaß I, 328f.; James, Principles II, 528ff.; Gomperz 101ff.; Re- scher). Der bloße Einbau indeterministischer Elemente in den Willensbildungsprozeß ergibt eben noch kein positives Freiheitsverständnis, wie auch jüngste Versuche dieser Art wieder gezeigt haben (Den nett Kap. 15; Wiggins Kap. 8; Kane; zur Kritik Guckes

10 Kap. 10). Benötigt wird vielmehr ein Konzept, das dem freien Akteur anstelle des "blin- den Zufalls" die Kontrolle über die offenen Spielräume zuweist.

6.4. Täterkausalität

Anknüpfend an Kant und Reid (s.o. 5.5.) bzw. Aristoteles (s.o. 1.2.2.; 2.2.), ist deshalb auch versucht worden, Phänomene des Wollens und Handelns dadurch als "wesensge-

15 mäß" und nicht zufällig für ihre Träger auszuweisen, daß diese als originäre Urheber für sie fungieren (Campbell Kap. I-lI; Taylor, Action I; Chisholm, Freedom; Person Kap. 11; Thorp Kap. VI u.a.). Vorgegebene kontingente und nichtkontingente (z. B. cha- rakterlich verfestigte oder ex ante willensfreie, vgl. o. 5.1.) epistemische und volitive Haltungen bleiben natürlich an der Willensbildung beteiligt. Sie determinieren sie aber

20 nicht, sondern sind prinzipiell offen für eine Wahl bzw. originäre optativische Stellung- nahme, die neben passiven, erfahrungsvermittelten (s.o. 5.4.) auch aktive Formen per- sonaler Dynamik ermöglichen. Aktionistische Begriffe von --+Kausalität überhaupt (z. B.

von Wright, Explanation) werden dazu nicht benötigt, wohl aber ein Kausalbegriff, der nur auf den Gedanken der "Produktivität" abstellt und sich den seit Hume dominie-

25 renden regularistischen oder konditionalistischen Reduktionsversuchen entzieht (vgl.

Taylor, Action Kap. 1-3; Anscombe, Papers II, 136; O'Connor 175). Er ist nicht an das ereigniskausale Modell gebunden und erlaubt es daher, Urheberschaft als direkte ("täterkausale") Relation der Person zu zeitgleichen Zuständen bzw. Prozessen ihrer selbst aufzufassen, zumindest auf einer elementarsten Ebene, d.h. beim originären Wün-

30 sehen oder Wollen (Clarke 192). Ereigniskausale Rückfragen und Zufallsvermutungen sind damit konzeptionell pointenlos.

Dies vor allem hat Gegner (gelegentlich sogar Vertreter, vgl. Bogdan 60ff.214f.) des Konzepts irritiert und seine breitere Akzeptanz verhindert. So wurde öfter eingewandt, täterkausale Verursachungen seien metaphysisch und mysteriös bzw. erwiesen sich ih-

35 rerseits entweder als akausal zufällig oder implizit abhängig von einem (vitiösen) kau- salen Regreß auf ein früheres Willensereignis (so schon Edwards 38-62.180ff. und Her- bart IV, 167-169, neuerlich Broad 301ff.; Davidson 52f.60f.; Hornsby 101; Inwagen 145; Ginet 13f. u.a.). Oder Personen könnten nur als Träger wirksamer Ereignisse "Tä- ter" genannt werden (Edwards 179ff.; Mill IX, 441.444; Broad 302; Goldman 81ff.

40 u.v.a.) bzw. seien mit solchen Ereignissen ganz oder partiell identisch, während der Täterkausalist ein Cartesianisches Ego oder gar eine (vitiös selbstreferentielle) creatio ex nihilo annehmen müßte (Nietzsehe V, 29-36.73.279f.; VI, 77.90f.; XII, 383f.; XIII, 53f.; Nowell-Smith 282f.; Nagel Kap. VII; G. Strawson Kap. 2; Pauen). All diese Kritiken gehen ins Leere. Sie verkennen entweder schon das Konzept oder entspringen der Fi-

45 xiertheit auf das ereigniskausale Paradigma bzw. der ihrerseits metaphysischen Prämisse, Trägerschaftsverhältnisse könnten nur passiv sein, niemals aktiv, d.h. produktiv-kausal qualifiziert (instruktiv hierzu Thorp 112ff.). Manche beruhen auch einfach auf deter- ministischen Vorurteilen, wie der alte und vor allem seit Leibniz (Versuche' 120 f.

312.437.442f. u.a.) immer wieder erneuerte Einwand, eine originäre Wahl oder ähnliches

50 sei unvereinbar mit einem Handeln aus Gründen (zur Kritik Reid, bes. 283-293; Chis- holm, Comments 628ff.; O'Connor 187ff.). Hält man sich strikt an das Konzept und beachtet, daß es keine Universalität beansprucht, relative Spontaneität (s.o. 5.5.) und

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