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Pseudokallisthenes bei Moses von Khoren.
Vdll J. Oildemeister.
Im Kleckeisens .iiilirbüclieni für l'hilol. CXX.XI 1885 hat kür/,-
lich Hr. MÜliLER STRÜHING nachgewiesen, wie Thnkydides in
seinem all/ufarbenreichen Hericht über die Belagerung von Plataeae
wesentliche llmstilnde und Ausdrücke dem Herodot, bei dem sie in
ganz anderem Zusammenhange stehen , t'iitlehnt oder nachgebildet
bat (S. ;!12f ;i21. 324. 33J). 348). Es erinnerte das sofort
an oiu ilhuliches, uoch etwas stürkeres Verfahren des Moses vou
Khoren. Vou dem durcli Ammian genau bekannten Hergange bei
der Belagerung Tigranocerta's durch Sapor II 35!) wusste er nichts :
Ulli das zu verstecken uud seiner rhetorischen Neigung nachzugeben, uahm er ein Capitel des Pseudokallisthenes I, 4(i (c. 126. 127 arm.)
so gut wie wörtlicb , nur mit den wiegen dor Verschiedenheit dor
historischen Situation nöthigeu Abiinderungen und Auslassungen, in
sein Gescbichtswerk III, 2t!. 28 herüber. Den Sachverhalt, der
nieines Wissens noob nicht zur Sprache gebracht ist, lege icb — auf
ciue äussere Aiu'cguug lüer dar, indem ich die 'l'exte des (ie-
schichtsbuchs und der armenischen Uebersetzuug di^s Romans uud
zwar zu leichterer Uebersicht deutsch buchstiililich (ja ungelenk)
wiedergegeben eiuander g(>geuüberstellc. Was wörtlich überein¬
st iiiiiiit, ist gesperrt gednickt, das Zwi.sclicii.stehende, das uacb Lage
der Dinge verschieden lauten musste, ist durch Punkte bezeicbni^t
oder in Klammern kurz aiigedi^utet.
Moses III, 2(i. 28.
(Der in Tigraiiocei ta befeh¬
ligende Antiochus befahl vor Sa-
piir) zu schliesseu und nicht
allein den Eintritt weigerte er,
sondern aiuli nicbt Gesandte
M'liickti' IM' au ihn und nicht
die seiuigen innpfing er
l'seiidokall, ]i. (>4.
Z. 4. (Ale.xaudiM- zieht vor Tlie- lieii und di(^Thebaner) schlössen die Thore und nicht (lesandte s(ig;ir s c ll i c k t e ii s i e a ii i Ii II
|//»;t« öe^äiiti'oi.] ')....
1 0 *
(lildeiiieijiter , Psmdol.iiUwtJieneii l>ei Moses ron Kliuren, 89
28 Steigend auf dieMauer
schrieen sie ... . (Sapor ant¬
wortete:) 0 ihr tapfersten
unter den Armeniern, die ihr
euch selbst zusperrend ein¬
geschlossen habt zwischen
euren Mauern von Tigrano¬
certa und nach aussen Hohn¬
reden ausstösst! denn tapferer
Manner ist es im offnen
Feld und freiem Ort z u
kUmpfen und der Weiber
Werk ist sich selbst einzu¬
sperren einzuschliessen in
Furcht vor eintretenden
Kämpfen . . . . Und dem per¬
sischen Heer) befahl er rings
um die Stadt zu laufen
und mit Pfeilen die auf der
Mauer zu verwunden. (Und
die von Sapor gefangenen (irie¬
chen herankommend) stemm¬
ten mit grosser Gewalt an
die Mauer die s. g. Esel;
und es ist dies ein mecha¬
nisches Werkzeug mit Rä¬
dern, durch je dreier Männer
Stoss gelenkt und unten •''')
mit Aexten und Beilen mit
zwei Schneiden und Hacken
mit Schnäbeln, die Fundamente
zu höhlen. Und nut Hebeln
zerstörend wurden die von
dem Armenier Tigranes gefestig¬
ten und zusammengefügten Mauern gesjuengt niedergeworfen,
und Feuer wurde an di(^ Tliore
gebracht ") und nach a 11 1; n Sei-
t(in wurden Fcuei- und Steiue
und Pfeile und Lanzen
gese ll 1 eud ert , und verwun¬
det kehrten die Unsrigen wider¬
standslos den Klicken....
Und die Hand der Per¬
er ermüdete uicht, v i e 1 -
G. Steigend oben auf die
Mauer ... riefen sie ....
10 (Alexander sprach lächelnd:)
0 ihr tapferen Thebaner, wozu
zusperrend eingeschlossen
habt ihr euch innerhalb eurer
Mauer und nach ausserhalb
fordert ihr auf zu kilmpfen? ....
19 denn tapferer Männer
ist es im freien und offenen
Feld zu kämpfen und der
WeiberWerk ist sich selbst
einzusperren, einzu¬
schliessen in Furcht vor
eintretenden Kämpfen ').
Und (dies sagend) befahl er
(tausend Heitern) ringsum zu
laufen ausserhalb der Stadt
uud mit Pfeilen die') auf
den Mauern zu verwunden
30 (Er befahl) die s. g.
Widder mit grosser Gewalt
anzustemmen zur Zerstörang
der Mauern; 32 und es ist*)
dies eiu mechanisches Werk
mit R il d e r n durch dreier
Soldaten mächtigen Stoss ge¬
lenkt. 2.''). (Er befahl midereu
tausend,) mit Aexten und Bei¬
le n mit zwei Schärfen u n d
weit einschneidenden'') Hacken
lind sehr langen Hebeln d i e
Fund a nie ute zu höhlen. Und
die V o ll deu Hrüdern Amphion
und Zetliüs ') mit der Lyra zu-
saniiiienfügend an einander ge-
passten Steiue mit Hebeln zer¬
störend niederzuwerfen.
.... ().5, 5. Aller wärts {ndvrtj)
.schaifes Feuer und Steiue
Pfeile und Tjanzen wurden
geschleudert, von der Mauer
abia- fielen vorwuudet die The¬
baner — \oi bi xatiiQxovTO fii)
(hn'äfisvoi nvriTd(t<yeaö-r<i] '■*).
Aber die ausgestreckte Hand
d e r Makedonier ermüdete
Gildemeister, Pseudokallisthenes bei Mosens von Khoren.
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mordendes Eisen mitBlut
zu tränken.
nicht, vielmordendes Eisen
mit Blut zu tränken.
l't Es entspricht fitjjs Ss^dfieroi im cod. A. das LC wie der Armenier
nicht haben. 2) Den Worten; in Furclit vor eintretenden Kämpfen ent¬
sprechen die verstümmelten -Sivne toi>6 ftiklovxae, die C. Müller nicht in den Text aufgenommen und nicht zu ergänzen vorsucht hat. Man würde an oSvvas deuken, wenn das Genus dies zuliesse. 3) Die ausgefallene Accu¬
sativpartikel ist aus Moses herzustellen. 4) ättti gewiss richtige Lesart, wie auch bei L., gegen fn bei A. 5) Die Vorstellung, die Brechwerk¬
zeuge seien unten an den Widdern gewesen, ist zu absurd, als dass nicht ein Textfehler vermuthet werden mUsste. Vielleicht ist bloss ausgefallen „und er befahl" oder dergl. 6) /inxgoTOfios LC (nur -rnfiof). Das Wort fehlt bei Stephanus und im Mekhitaristen-Lexicon. 7) Den Zethos hat ausser
dem Armenier nur noch Leo. 81 nvg Si iaie nvlate npoaänreiv ging
in ALC schon einige Zeilen früher vorher; Moses hat es in dor Lesung der M histoii und zweier Handschriften bewahrt. 9) x«ti?();i;o»'TO hat nur A.
Eine Anspielung auf Pseudokallisthenes ist bei Moses 2, 13,
wo er kmz abweisend sagt : „Nektanebos , den einige den Vater
des Alexander sein lassen", längst bemerkt worden (Zacher Pseudo¬
kallisthenes p. 87; von Gutschmid Ueber die Glaubwürdigkeit des
Moses von Khoren. Berichte der sächs. Ges. d. Wiss. 1876 p. 15).
Ein literarischer Gebrauch des Romans folgt daraus nicht, da ihm
Kunde von der Legende sonst zugekommen sein konnte : ein solcher
wird vielmehr durch Vorstehendes erwiesen.
Allgemein wird zugestanden werden, dass die genaue Ueberein¬
kunft so vieler einer verschiedenen Uebertragung fähiger Ausdrücke
und Satzbildungen nicht Zufall sein kann und die beiderseitige
Unabhängigkeit ausschliesst; der eine Text ist aus dem anderen
genommen. Hat also Moses die armenische Uebersetzung benutzt oder
diese ihn? Letztere Annahme, dass er also eine griechische Hand¬
schrift vor sich gehabt, etwa auch weil bei ihm einige ächte Worte
mehr stehen, als bei dem Armenier, würde zu der Vorstellung
führen, der doch seiner und der griechischen Sprache mächtige
Interpret habe bei diesem Capitel zwei Capitel des Moses so ge¬
braucht, dass er sich dessen Ausdrücke selbst aus den Umstellungen
herausgesucht und in seine ganz dem griechischen Wortlaut folgende
Arbeit eingetragen habe. Hat nun also Moses vielmehr aus der
Uebersetzung geschöpft , so ist sie vor Abfassung des Geschichts¬
werks gemacht, und dadurch ist ein gesicherterer Zeitansatz ge¬
wonnen (nämlich , nach der bisherigen Annahme , die erste Hälfte
des fünften Jahrhunderts) , als der der Mekhitaristen , die aus dem
Stil ohne nähere Nachweisung vermutheten , sie stamme aus dem
fünften oder sechsten. Dieser Ansatz verliert freilich ganz an Werth,
wenn nach v, Gutsclimids Ausführung Encyclop, Brit. XVI , 862
die armenische Gescliiehte unter dem Namen des Moses erst 634
—42 geschrieben ist.
Ueber jene kleinen, im griechischen Text nachweisbaren Sätze,
die Moses mehr bietet , ist so zu urtheilen , dass sie gewiss im
Gildemeister, Pseudokallisthenes bei Moses von Khoren. 91
ursprünglichen Text der üebersetzung standen, aber in den viel
späteren Handschriften, aus denen die Ausgabe stammt, ausgefallen
sind , wie ähnliches vielfach sich in den griechischen Texten des
Romans zeigt. Moses würde uns also, was diese Kleinigkeiten be¬
trifft , einen früheren und ächteren Text bieten. Im Allgemeinen
bestätigt das kleine Stück , dass die Recension A zu Grunde liegt,
aber mehrfach mit der hier durch L repräsentirten Recension B
stimmt.
Pür die Kritik des armenischen Geschichtsbuchs ergiebt sich
noch eine weitere Wahmehmung. Der Mekhitaristentext entspricht
den Ausdrücken des Pseudokallisthenes genauer; an diesem Krite¬
rium gemessen erscheint der der Whiston'schen Ausgabe als der
weniger ursprüngliche, variirte. Dennoch finden sich in dieser (bei
den Mekhitaristen als handschriftliche Varianten angegeben) die
drei Worte, von denen oben Note 8 spricht, und die als ursprüng¬
liche Lesart bei Moses gelten müssen, da sie dem griechischen Text
des Pseudokallisthenes angehören. Merkwürdiger Weise werden sie
auch in der Uebersetzung desselben vermisst.
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Zusätzliches zu meiner Abhandlung: lieber die Ent¬
stehung der Qvetämbara und Digambara Sekten.
Von Hermann Jacobi.
Im 38. Bande dieser Zeitschrift hatie ich den (^vetämbara-
Bericht über die Entstehmig der Digambarasekte in der Iiitesten
mir damals bekannten Form mitgetheilt. Obschon ich bei der (ic¬
legenheit zu dem Schlüsse gelangt bin , für welchen ich nachher
einen neuen Stützpunkt hinzufügen werde , dass die Bodiya Sekte
nichts mit den Digambara zu thun hat, letztere vielmehr weit früher
sich von den (J!vetämbara getrennt haben , als jene Legeude will,
so glaube ich doch, dass es nicht ohne Interesse ist, die Geschichte
der genannten Legende weiter zu verfolgen. Hier/u setzt uns Ha¬
ribhadra's Commentar zum Avasyaka Sütra in Stand. Haribhadra
ist ein alter, sehr fruchtbarer Schriftsteller, von welchem uns viele
theils sehr umfangreiche Werke vorliegen. Nach der Tradition d(!r
.laina, die uns Klatt im Indian Anti(iuary IX, III mitgetheilt hat,
soll Haribhadra gar 1444 Werke geschriebeu haben und 10.55 A.V.
oder Sam. 585 (i. e 520 n. Chr.) gestorben sein. Wir werden
unten Gründe darlegen, welche an der Richtigkeit des chronologischen
Theiles dieser Angabe zweifeln lassen ; aber trotzdem ist nicht au-
zufechten , dass Haribhadra eiuer der ältesten (Kommentatoren ist,
die sich des Sanskrit zur Erklärung der heiligen Scbriften bedient
haben , und deren Werke auf uns gekonunen siud. In seinem
Commentare zum Ava(;yaka, den Weber in deu indischen Studien
XVII, 53 fgg. beschrieben hat , findeu sich eine grosse Auzahl von
Präkrit Legenden; unter diesen auch zu Avavyaka Nirukti S, 100
die von der Entstehung der Bodiya oder Botika Sekte. Nicht nur
inhaltlich, souderu auch zum Theil wörtlich stimmt die Krziihlung
Haribhadra's mit der Devendra's überiiin, allerdings mit eiuigen Ab¬
weichungen, die ich jetzt mit Bezugnahme auf den früher publieirten
Text aus Devendra's ('ou\mentar zum Uttarädhyayana Sütra auf¬
führen will. H.'s Text beginnt: Rahavirapuräin näma nagarain.
tattiia Divagartl ujjäuani. tattha Kanhä näma äyariyä samosadhä.
tattha ego sahassamaUo Sivabhüi uäina. Diirauf folgt mit Weg-