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Sprache Macht Diskriminierung, Spracht Macht Rassismus

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Academic year: 2022

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Sprache Macht Diskriminierung, Spracht Macht Rassismus Anne Broden

Einleitung

Bevor ich meinen Vortrag beginne, muss ich etwas zu meiner eigenen Sprache, ich könnte auch sa- gen: zu meiner eigenen unangemessenen Sprache sagen. Ich werde im Folgenden beispielsweise von

‚wir’ sprechen. Wer ist dieses ‚wir’? ‚Wir’ in diesem Hörsaal?, ‚wir’ Frauen?, ‚wir’ Akademikerinnen und Akademiker? Wenn ich im Folgenden von ‚wir’ spreche, dann habe ich die Menschen im Sinn, die hier in der Bundesrepublik Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben.

Hier vorne steht ein Mensch, eine in vielfacher Hinsicht der Mehrheit zugehörige Person. Als weiße, relativ gut gebildete Frau, die Arbeit hat und die hier sprechen darf, bin ich in einer privilegierten Position. Und aus dieser Position spreche ich nicht nur von ‚wir’ und ‚uns’, sondern auch von ‚sie’ und

‚ihnen’. Wer sind ‚sie’, wer ist das ‚ihnen’? Menschen mit Migrationshintergrund? People of color?

Ich meine damit Menschen, die von Rassismus negativ betroffen sein können, Menschen, die be- droht sind, rassistische Diskriminierung zu erleben oder sie bereits erlebt haben.

Mit dieser Einleitung will ich Sie darauf hinweisen, dass ich mit diesem Beitrag in ein Fettnäpfchen trete. Das Problem von Diskriminierung, hier von Rassismus und Sprache, von Rassismus in der Spra- che, fängt bereits hier an. Es gibt keine rassismusfreie Sprache, es gibt lediglich eine Sprache, die sich bemüht, möglichst diskriminierungsfrei zu sprechen, eine Sprache, die um die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sprechen, nicht zu verletzen, weiß.

Aber ich werde Worte benutzen, die uneindeutig sind, die Unterscheidungen erzeugen. Wenn ich von ‚wir’ und ‚ihnen’ sprechen, erzeuge ich Unterschiede zwischen ‚uns’ und ‚ihnen’. Wenn ich von

„Menschen mit Migrationshintergrund“ oder „PostmigrantInnen“ spreche, dann tue ich das wohl wissend, dass wir bei Menschen der 3. oder 4. Einwanderungsgeneration nicht mehr in angemesse- ner Weise von einem Migrationshintergrund sprechen können. Aber ich muss diese Menschen manchmal durch Sprache kennzeichnen, denn wenn ich dies nicht tun würde, wenn ich immer unter- schiedslos sprechen würde, so könnte ich nicht von den unterschiedlichen Erfahrungen der Men- schen reden. Ich kann nicht von Diskriminierungserfahrungen sprechen, ohne die Menschen, die von dieser Diskriminierung besonders betroffen sind, in irgendeiner Form zu benennen. Würde ich sie nicht benennen, müsste ich Diskrimierungserfahrungen und Rassismus verschweigen oder aber so tun, als wären wir unterschiedslos alle davon betroffen. Aber weiße US-BürgerInnen sind in diesem Land nicht von Rassismus betroffen. Schwarze Menschen, die seit Generationen in diesem Land le- ben, sehr wohl.

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Was bleibt, und dies ist gleich zu Beginn meines Vortrags, bevor ich überhaupt richtig eingestiegen bin, die Quintessens: was bleibt, ist der Versuch, sich um eine angemessenere, weniger rassistische, weniger diskriminierende Sprache zu bemühen.

„Dönermorde“? – Beispiele für ein problematisches Sprechen

„Und welch Aufschrei ginge durch Politik und Presse, würden in der Türkei serienmäßig deutsche Staatsbürger ermordet und man spräche dort von „Kartoffel-„ oder „Sauerkraut-Morden“. Kaum auszudenken.“ (Spiegel online, 16.11.2011)

„Sprache ist verräterisch, und im Fall der sogenannten Döner-Morde war sie es gleich mehrmals:

Denn nicht nur die Morde (…) werden mit der Metapher vom Imbissstand gleichzeitig verniedlicht und unsichtbar gemacht. Schließlich richten sich die Taten nicht gegen Mittagssnacks, sondern gegen Menschen. (…) Was da geschieht, ist eine symbolische Ausbürgerung. Die „Döner“-Toten gehören nicht „zu uns“. Sie sind die Anderen, die Fremden. (Zeit-online, 21.11.2011)

Soweit zwei selbstkritische Zeitungs- bzw. Webkommentare zum Sprachgebrauch (auch) der Medien in der Debatte um den NSU und den hoch problematischen Sprachgebrauch der Medien und der Verfolgungsbehörden im Kontext der neunen Morde an migrantischen Männern. Besonders interes- sant finde ich den Hinweis von Zeit-online, nämlich von „Ausbürgerung“ zu sprechen.

Ich halte diese Interpretation für zutreffend und möchte auf ein weiteres Beispiel von „rhetorischer Ausbürgerung“, wie ich es nenne, eingehen. Es sind die sog. Herkunftsdialoge. Sie kennen sie alle aus Smaltalksituation:

„Woher kommst Du?“ – „Aus Essen.“

„Nein, ich meine, ursprünglich?“ - „Ich bin in Essen geboren.“

„Aber Deine Eltern?“ - „Meine Mutter kommt auch aus Essen.“

„Aber Dein Vater?“ - „Mein Vater ist Italiener.“

„Aha ....“ - ...

Menschen mit einer „anderen“ Physiognomie, vielleicht mit einem leichten Akzent oder einem für den deutschen Sprachraum untypischen Namen kennen diese durchaus freundlich gemeinten, neu- gierigen, aber eben in ihrer unterschwelligen Konnotation durchaus problematischen Fragen. Und solche Fragen sind nur möglich, weil ‚wir’ auf ein ‚Wissen’ über Zugehörigkeit und Nicht-

Zugehörigkeit zurückgreifen, auf eine diesem Wissen zugrunde liegende Aufteilung der Gesellschaft in ein dazugehöriges ‚wir’ und ein nicht-dazugehöriges ‚sie’.

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Aus einer rassismustheoretischen Perspektive kann man sagen, dass diese Frage an Rassekonstrukti- onen anschließt, nämlich an Konstruktionen, in denen aufgrund von nationaler, ethnischer oder kul- tureller Herkunft Menschen zu Gruppen zusammengefasst werden, denen Eigenschaften zugewiesen werden, die sie als ‚fremd’, ‚unzugehörig’ oder gar ‚minderwertig’ bezeichnet werden.

Ich möchte noch etwas weiter auf diese Herkunftsdialoge eingehen und zwar anhand einer Postkar- tenaktion des Antidiskriminierungsbüros Leipzig, die den Herkunftsdialog aus der Perspektive eines Angesprochenen problematisiert:

Die Frage „Woher kommst du?“ ist aus rassismustheoretischer Perspektive eine Frage, die versucht, eine bestimmte Ordnung zu beschwören, in der eindeutig ausgesagt ist, wohin die Menschen gehö- ren. Wichtig ist: Um diese Ordnung herzustellen, ist, so die hier vertretene Rassismustheorie, nicht so etwas wie ein böser Wille erforderlich. Die Frage „Woher kommst du?“ ist zunächst eine ganz un- schuldige, ganz unverdächtige Frage, unverdächtig dessen, rassistisch zu sein. Und darum geht es auch gar nicht. Es geht nicht um die Frage der Intention. Vielmehr handelt es sich hier um einen be- stimmten gesellschaftlichen Wissensbestand und um eine Kultur, die durch den Wissensbestand zu einer machtvollen Kultur wird: Indem ‚wir‘ Fragen stellen, indem ‚wir’ Wahrnehmungen haben, in- dem ‚wir’ Gespräche führen, indem ‚wir’ Dinge sagen und andere Dinge nicht sagen, reproduzieren und wiederholen ‚wir’ die rassistischen Wissensbestände, die auf die Kategorien von dazugehörig und nicht-dazugehörig abheben. ‚Wir’ reproduzieren die rhetorische Ausbürgerung und teilen sie dem Gegenüber mit, denn ‚wir’ ‚wissen’, dass Deutsche, dass Menschen, die hier in diesem Land berechtigter Weise leben, ‚weiß’ sind, ein bestimmtes Spektrum von Haut-, Augen- und Haarfarbe aufweisen. ‚Wir’ ‚wissen’, dass „Ausländer“ nicht angemessen Deutsch können und ‚wir’ haben klare

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Vorstellungen davon, was ein „deutscher“ Name ist. Wir wissen zwar auch, dass es Migration gibt, dass Deutschland seit über 50 Jahren von sog. Gastarbeitern, die wir später Ausländer, dann auslän- dische Mitbürger und heute Menschen mit Migrationshintergrund genannt haben bzw. nennen, hier leben, aber so richtig gehören ‚sie’ eben doch nicht dazu. Die gesellschaftlichen Diskurse, die Reden in Parlamenten und an Stammtischen, die Berichterstattung in den Medien, die Familiengespräche, die Schulbücher, unser Liedergut und Kinderspiele sagen ‚uns’, dass ‚sie’ einer anderen Kultur ange- hören, dass ‚sie’ nicht ausreichend integriert seien, womöglich integrationsunfähig seien.

Eine zweite Postkarte des Antidiskriminierungsbüros Leipzig, die für uns interessant ist, problemati- siert eine andere Form rassistischer Sprache, rassistischer Zuschreibung:

Es wird ersichtlich, dass Rassismus nicht auf die Unterscheidung der Hautfarben im Sinne von schwarz und weiß, auf physiognomische Unterscheidungen beschränkt ist. Rassismus ist eine Ord- nung, in der der Kultur, dem Kulturbegriff, ein wichtiger Platz zukommt. Rassismus bringt Imaginati- onen hervor, die die Frage, wer zugehörig ist und wer nicht, nicht nur abhängig von physiognomi- schen Merkmalen beantwortet, sondern auch mit Bezug auf „Kultur“. Die zweite Postkarte ruft in Erinnerung, dass die Zuschreibung auf bestimmte kulturelle Fertigkeiten in rassismuskritischer Per- spektive als machtvolle Zuschreibung beschrieben und gesehen werden können. Und diese Zuschrei- bungen bestimmen, wer dazugehört und wer nicht, wer also mit einer rhetorischen Ausbürgerung rechnen muss, denn die Aussage „Sie sprechen aber gut Deutsch“ ist nur mit dem nicht ausgespro- chenen, aber für beide GesprächspartnerInnen implizierten und verstandenen Zusatz „…wo sie doch keine Deutsche sind“ zu verstehen. Ohne den mitgedachten Aspekt, dass die angesprochene Person Deutsch kann, obwohl sie nicht nach Deutschland gehört, machte dieses vermeintliche Lob ja sonst gar keinen Sinn.

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Diese rhetorische Ausbürgerung mutet auch auf dem Hintergrund der ständig geforderten Integrati- on so bizarr, ja zynisch an. Viele Migrierte haben für dieses Double-bind ein feines Gespür und wissen um die Vergeblichkeit ihrer Integrationsbemühungen. Ein Zitat meiner Kollegin Santina Battaglia, die zu Herkunftsdialogen forscht, schreibt: „In Deutschland wird ein fraglos Deutscher im Alltagsgespräch in der Regel nicht als Deutscher haftbar gemacht. Man sagt nicht: ‚Rechtsradikale haben ein Asylbe- werberheim angegriffen, was sagst denn du als Deutscher dazu?’ Der ‚Andere’ jedoch wird für seine natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit belangt – sei sie auch noch so prekär. ‚Der Iraner’ soll als Reprä- sentant aller Iraner die Handlungen selbst eines einzelnen anderen Iraners vertreten.“ (Battaglia 2007, 186)

Menschen iranischer Abstammung erleben, dass sie zur Atombombe, zu Ahmadinedschad (ehemali- ger Präsident der islamischen Republik Iran), zu iranischen Kultur befragt werden. Es wird ihnen selbstverständlich unterstellt, persisch zu sprechen. Wenn sie aber die verschiedenen Fragen nicht adäquat beantworten können, empfinden sie selbst oftmals Scham. Sie fühlen sich durch die Fragen deplaziert, ausgebürgert und können Fragen über das Land, dem sie zugewiesen werden, nicht an- gemessen antworten. Dass sie vielleicht eine dezidierte Position zum Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland haben, die Debatte über den Atomausstieg hier im Land intensiv verfolgen und Sauer- braten mit Rosinen, Rotkohl und Knödel lieben, spielt keine Rolle. Das Spiel um Herkunft können sie fast nur verlieren.

Ich will Sie nicht nur sensibilisieren für die Tücken der Sprache (auch im Sinne von Smaltalk und auch Bildersprache). Es geht mir nicht (nur) um ein Plädoyer für eine rassismussensible Sprache, es geht mir nicht nur um etwas Vorsicht in der Formulierung von zwar gut gemeinten, neugierigen Fragen, die durchaus verletzten können, es geht mir weniger um eine antirassistische Performance im Sinne politischer Korrektheit. Wenn ich sage, dass Sprache verletzen kann, dann wissen Sie das, denn die meisten (alle?) von uns hier im Raum wurden schon einmal in ihrem Leben durch Aussagen Anderer verletzt. Aber ich gehe weiter und sage: Sprache kann nicht nur verletzten, nicht nur ausbürgern, exkludieren, sie kann tödlich sein. Was ist damit gemeint?

Ein kleiner Exkurs in die Diskurstheorie

Ein Diskurs ist ein argumentativer Dialog, in dem über die Wahrheit von Behauptungen und die Legi- timität von Normen gesprochen wird. Die Teilnehmenden des Dialogs können ParlamentarierInnen sein oder JournalistInnen, der Stammtisch oder wir hier in diesem Vorlesungsraum, auch wir nehmen an dem Diskurs um Rassismus und Sprache teil, weil wir uns argumentativ mit diesem Thema ausei- nandersetzen. Und indem in den Medien, den Parlamenten, den Schulen und Universitäten oder in der Kneipe argumentiert wird, wird auch um die Wahrheit gerungen, um die Wahrheit, die die Ge-

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sellschaft, die wir bilden, als Wahrheit anerkennt oder die zumindest als mehrheitsfähig gilt. Der deutsche Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas würde Diskurs als eine Kommunikation im öf- fentlichen Raum definieren, als einen Versuch der Verständigung über problematische Geltungsan- sprüche. Der französische Philosoph und Sozialwissenschaftler Michel Foucault hat dagegen ein we- niger idealistisches Verständnis von Diskurs. Er untersuchte die Funktionsweise von Macht in den Diskursen. So ging er beispielsweise der Frage nach, welches in der Sprache aufscheinende Verständ- nis von Wirklichkeit einer jeweiligen Epoche zum Ausdruck gebracht wird, was sagbar ist, was gesagt werden soll, was nicht gesagt werden darf und von wem es wann in welcher Form gesagt werden darf (oder nicht gesagt werden darf). Die kritische Diskursanalyse (zum Beispiel Jürgen Link und Sieg- fried Jäger) schließt aus marxistischer Perspektive an den Diskursbegriff von Foucault an. Sie versteht unter Diskurs die institutionalisierte gesellschaftliche Redeweise, die das Handeln der Menschen bestimmt. Gegenstand der Analyse sind sowohl die Form als auch der Inhalt von Äußerungen. Und wie bei Foucault geht auch die kritische Diskursanalyse der Frage nach, was in den Redeweisen nicht gesagt wird oder sagbar ist.

Sehr vereinfacht formuliert, ist also ein Diskurs die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit einem Thema, beispielsweise mit dem Rechtsterrorismus. Diese Auseinandersetzung wird in den Medien, im Parlament, in den Behörden, am Abendbrottisch der Familie, am Arbeitsplatz, am Stammtisch und an vielen anderen Orten geführt. Die Worte, die Sätze, die Reden, die Artikel, die gesprochen, gehal- ten und geschrieben werden, sind wirkmächtig, also macht- und wirkungsvoll.

Wir benutzen Sprache, um unsere eigenen Gedanken zum Ausdruck zu bringen und um die Gedan- ken anderer zu hören – und bestenfalls auch zu verstehen. Gedanken wiederum sind Wissensbestän- de, sie können richtig oder falsch sein, aber wir haben uns diese Wissensbestände im Laufe unseres Lebens angeeignet und sie repräsentieren (zumindest teilweise) die Wissensbestände der Epoche und der Gegend, in der wir leben. Wenn die Menschen im Mittelalter glaubten, die Erde sei eine Scheibe, so wissen wir zwar heute, dass dieses Wissen faktisch falsch war, aber es gehörte damals zu den Wissensbeständen der Menschen. Woher kommen nun diese Wissensbestände? Es sind die ge- sellschaftlichen Diskurse, die uns als Wissenslieferant dienen, die uns vermitteln, was beispielsweise in den verschiedenen Wissenschaften erforscht wird, was die aktuellen Wissensbestände (richtige, aber auch falsche) sind. Wir als Teilnehmende des gesellschaftlichen Diskurses schnappen Teilaspek- te dieser Wissensbestände auf und bilden aus diesen Wissensbeständen unsere Ansichten und unse- re Interpretation der Welt. Wir entwickeln eine Position. Ein Wissensbestand, den wir aus dem Dis- kurs vielleicht aufnehmen, kann beispielsweise die Aussage sein, dass der Notarzt Marco nicht nach Deutschland gehört, dass physiognomisch anders aussehende Menschen kein Deutsch sprechen und dass in den vergangen Jahren von Rechtsextremen Döner ermordet wurden, nicht aber Menschen.

Wir entnehmen diese Wissensbestände den Medien, dem Web, den Eltern und LehrerInnen, den

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ParlamentarierInnen, den Schulbüchern. Aber Vorsicht: Der Hinweis auf den mittelalterlichen Wis- sensbestand, dass die Erde eine Scheibe sei, legt die Vermutung nahe, dass einzelne Wissensbestän- de nicht per se richtig sein müssen. Schulbücher, die Eltern, die Medien, die Respektpersonen geben nur das wieder, was im gesellschaftlichen Diskurs (bislang) als richtig dargestellt wird. Vielleicht den- ken die Menschen in 300 Jahren: Wie konnten die Menschen 2016 nur so unwissend, so dumm sein?

Die Mitte der Gesellschaft

Weil im heutigen gesellschaftlichen Migrationsdiskurs die Menschen selbst der 3. Einwanderungsge- neration immer noch als diejenigen, die anders sind, die fremd sind, die nicht dazugehören, darge- stellt werden, weil wir dies immer wieder hören, lesen, selbst sagen, vergewissern wir uns dieser vermeintlichen Wissensbestände immer auf’s Neue und sie werden wahr. Das Gerede, die Denunzia- tion, dass MigrantInnen nicht nach Deutschland gehören, setzt sich in unserem Bewusstsein fest, wir denken darüber gar nicht mehr nach, ‚wir’ ‚wissen’, dass ‚sie’ nicht hier hin gehören, und deswegen fragen ‚wir’ ja auch nach, woher ‚sie’ denn wohl kommen, denn ‚wir’ sind ja freundlich den Anderen gegenüber, freundlich und aufgeschlossen. Physiognomisch anders aussehende Menschen, z. B. Mar- co, gehören hier nicht her, und deswegen fragen ‚wir’ ‚sie’ nach ihrer Herkunft und sind irritiert, wenn die Antwort lautet: Ich komme aus Essen. Wir sind irritiert, wenn sie sich dem Herkunftsdialog entziehen. Wir sind empört, wenn wir auf Rassismus in Deutschland angesprochen werden, denn das gibt es angeblich seit dem Ende des Nationalsozialismus nicht mehr.

Wenn ich aber sage „Sprache Macht Rassismus“ oder auch „Sprache Macht Diskriminierung“, dann ist das darauf zurückzuführen, dass die gesellschaftlichen Diskurse machtvolle Diskurse sind. Und sie haben, so die Erkenntnisse der kritischen Diskursanalyse, Auswirkungen auf das Handeln der Men- schen.

Der frühere Finanzsenator von Berlin und ehemalige Vorstandsmitglied der Bundesbank Thilo Sarra- zin sagte: „Eine große Zahl an Arabern und Türken in dieser Stadt hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel, und es wird sich vermutlich auch keine Perspektive entwi- ckeln.“ Oder: „Große Teile der türkisch- und arabischstämmigen Bevölkerung in Berlin sind weder integrationswillig noch integrationsfähig“ (Sarrazin 2009, 197-201). Sarrazin ist nun ja kein Randstän- diger dieser Gesellschaft, er war in Berlin Senator, er war hoher Funktionär in der SPD und er war Vorstandsmitglied der Bundesbank. Sarrazin war ein Vorbild, ein schlechtes zwar, aber ihm kam auf- grund seines gesellschaftlichen Status Vorbildcharakter zu. Er war – und ist immer noch – ein hoch angesehener, gebildeter Mann, und wenn solch ein Mann, solch ein Vorbild derartige Äußerungen tätigt, dann hat dies eine andere Wirkung, als wenn eine Hausangestellte mit sog. Migrationshinter- grund spricht. Ihr würde kein Verlag einen Vertrag geben, ihr Buch, wenn es denn im Eigenverlag erschiene, würde in den Buchhandlungen nicht an prominenter Stelle ausgestellt werden, und die

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Medien würden keinen Vorabdruck bringen und nicht um ein Interview bitten. Wenn nun aber ein Thilo Sarrazin im öffentlichen Raum von dazugehörigen und nicht-dazugehörigen Menschen spricht, wenn er unterscheidet zwischen wirtschaftlich verwertbaren und nicht-verwertbaren Menschen, und wenn nach solchen Äußerungen kein Aufschrei durch die Gesellschaft geht, keine öffentliche Distan- zierung und Skandalisierung des Gesagten erfolgt, dann ist die brutalste Reaktion auf diese Rede der Mord an den vermeintlich nicht-verwertbaren Menschen, der Mord an physiognomisch anders aus- sehenden Menschen, an Obdachlosen. Die Mörder nehmen Sarrazin ernst. Sarrazin (oder andere rassistisch sprechende Menschen), der mangelnde Widerspruch zu seinen Thesen, der ihn hofierende gesellschaftliche Diskurs um Migration und Integration, dies alles bietet den Nährboden für rassisti- sche Morde.

(Juliane Karakayali hat die rassistisch motivierten Morde der vergangenen 25 Jahre in und die rassis- tisch aufgeladenen gesellschaftlichen Diskurse um Migration, Asyl und Integration verglichen und festgestellt, wenn die Debatten besonders rassistisch aufgeladen geführt wurden, wurden gleichzei- tig besonders viele Übergriffe auf Menschen bis hin zu Morden und Anschläge auf Asylbewerberhei- me etc. verzeichnet.)

Das also meint die kritische Diskursanalyse mit dem Hinweis, dass die gesellschaftlichen Diskurse praktische Konsequenzen zeitigen. Das meine ich mit dem Titel dieser Vorlesung: Sprache Macht Rassismus. Und das meint Victor Klemperer mit seinem berühmten Zitat: „Worte können sein wie winzige Arsendosen. Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“

Selbstreflexivität und Fehlerfreundlichkeit

Das Problem ist nicht nur der rechtsextreme Rand der Gesellschaft, das Problem sind auch die Dis- kurse in der Mitte der Gesellschaft. Deshalb insistiere ich auf einen selbstkritischen Umgang mit Sprache, deshalb insistiere ich auf eine Sprache, die sich bemüht, andere Menschen nicht herabzu- würdigen, nicht zu beleidigen, nicht zu verletzten. Ich plädiere damit nicht für den Einsatz der Moral- keule. Vielmehr möchte ich Sie, uns alle, dafür gewinnen, aufzupassen, was im öffentlichen Raum, im gesellschaftlichen Diskurs gesagt wird und was wir im alltäglichen Gespräch sagen. Wir sollten uns gegenseitig freundlich aber bestimmt darauf aufmerksam machen, wenn wir unangemessen spre- chen. Nicht Moral, sondern eine selbstreflexive und fehlerfreundliche Kultur der gegenseitigen Acht- samkeit wäre ein Siebenmeilenstiefel in der Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus.

Literatur

- Santina Battaglia (2007): Die Repräsentation des Anderen im Alltagsgespräch: Akte der natio- ethno-kulturellen Belangung im Kontext prekärer Zugehörigkeit, in: Anne Broden/Paul Mecheril:

Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft, 181-201.

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- Michel Foucault (1981): Archäologie des Wissens, Frankfurt a. M.

- Jürgen Habermas (1981): Theorie des kommunikativen Handelns (Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung; Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft), Frankfurt a. M.

- Siegfried Jäger (2004): Kritische Diskursanalyse: Eine Einführung, Münster - Victor Klemperer (131995): Lingua Tertii Imperii, Leipzig

- Thilo Sarrazin (2009): Interview, Lettre International, Nr. 86, 197-201.

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