Manifest
Beschäftigungspolitik für Frauen - eine nationale und europäische Aufgabe
Zukunftsweisend - gleichgestellt!
Beschäftigungsgipfel zur Gleichstellung von Frauen am 26. Mai 1998 in Bonn, Bad Godesberg
Mit der Einführung des Euro am 1. Januar 1999 ist die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa vollzogen. Bei der Einhaltung der Maastricht-Kriterien ist eine konsequente Beschäftigungspolitik für Frauen und Männer in vielen EU-Staaten auf der Strecke geblieben. Die von der Bundesregierung erzwungene restriktive Umsetzung dieser Kriterien für die Teilnahme an der Währungsunion hat in Deutschland zum Abbau von Sozialleistungen geführt und die Massenarbeitslosigkeit erhöht. Das von der
Bundesregierung 1996 beschlossene sogenannte ”Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung” hat den Kahlschlag im sozialen Bereich verstärkt. Die Kürzungen der Sozialstandards haben aber den Arbeitsmarkt nicht belebt. Statt dessen wurde die Gleichstellung von Frauen zurückgeworfen und ihre Arbeits- und Lebensbedingungen wurden verschlechtert.
In vielen Mitgliedsstaaten der EU stieg zwar die Beschäftigung aber auch die
Arbeitslosigkeit von Frauen kontinuierlich an. Obwohl die Mehrzahl der in den letzten Jahren neu entstandenen Arbeitsplätze mit Frauen besetzt wurden, führte die
steigende Erwerbstätigkeit von Frauen nicht zu ihrer Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Denn sie sind vielfach in geringer qualifizierten und entlohnten Teilzeitarbeitsverhältnissen und überdurchschnittlich in Formen ungesicherter Beschäftigung tätig. Im Zuge des deutschen Einigungsprozesses wurde die
Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Westen nicht weiterentwickelt, statt dessen sind die Arbeitsmarktchancen für Frauen im Osten dramatisch gesunken. Dies darf kein Vorbild für Europa werden. Frauen dürfen nicht die Verliererinnen des
europäischen Integrationsprozesses sein.
Wir wollen eine aktive Beschäftigungspolitik und soziale Mindeststandards in Deutschland und Europa. Ein breites Bündnis für Arbeit, in dem internationale Erfahrungen berücksichtigt sind und in das Frauen und Männer gleichermaßen einbezogen sind, ist unerläßlich
Die Massenarbeitslosigkeit ist in einem Europa der Wirtschafts- und Währungsunion nicht mehr allein mit einzelstaatlichen Maßnahmen zu bewältigen. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie sich für eine europäische Beschäftigungspolitik mit
qualitativen und quantitativen Ziel- und Zeitvorgaben einsetzt und diese in nationale Politik umsetzt. Europäische Beschäftigungskonzepte müssen stärker in den Mitglieds- staaten verankert werden. Dies gilt auch und gerade für Gleichstellungspolitik als
Querschnittsaufgabe. Eine Ausgrenzung von Frauen aus Wirtschaft und Politik läuft der Entwicklung eines freien und demokratischen Europa zuwider.
Deswegen muß Gleichstellung von vornherein in allen Politikbereichen sowie in Gesetzen und Maßnahmen verankert und umgesetzt werden:
Arbeitszeitpolitik neu ausrichten Die Umverteilung von Arbeit ist nicht nur aus wirtschafts- und
beschäftigungspolitischen Gründen ge- boten, sondern Voraussetzung für Chancengleichheit und für die Humanisierung der Arbeits- und
Lebensbedingungen. Deregulierung und verlängerte Arbeitszeiten wirken diesem Ziel entgegen. Deswegen muß der Gesetzgeber Rahmenbedingungen
schaffen, die eine gerechte Verteilung von Arbeit begünstigen. Hierfür sind alle
Formen der Arbeitszeitverkürzung, insbesondere die Verkürzung der
Wochenarbeitszeit und die Umverteilung von Arbeit insgesamt zu nutzen. Bei der Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle müssen die Beschäftigten ihre
Arbeitszeitinteressen einbringen und verwirklichen können. Teilzeit für Frauen und Vollzeit für Männer ist keine
solidarische Lösung. Gleichberechtigte Teilhabe an Arbeit und Einkommen ist die Zukunft.
Erstausbildung sichern
Der Ausbildungsplatznotstand hat für Mädchen katastrophale Auswirkungen. Sie werden in schlechtbezahlte Berufe
gedrängt, die wenig Chancen bieten oder müssen in schulischen Maßnahmen Warteschleifen ziehen, bis sie einen
Ausbildungsplatz finden. Wir fordern einen gesetzlichen Lastenausgleich zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Be- trieben. Erstausbildung muß auch für Mädchen eine Zukunft bieten.
Vorausschauende Arbeitsmarktpolitik befördern
Arbeitsmarktpolitik muß schon in der Phase einer abzusehenden
Arbeitsplatzgefährdung ansetzen.
Geeignete Strategien zur Sicherung von Arbeitsplätzen oder für die Entwicklung von Alternativen bedürfen einer
detaillierten Analyse der Beschäftigten- struktur in gefährdeten Unternehmen und
Regionen. Darüber hinaus brauchen wir ein Arbeitsförderungsgesetz, dessen Instrumente eine aktive Arbeitsmarktpolitik ermöglichen und die Lebensbedingungen von Frauen berücksichtigen. Der öffentlich geförderte Arbeitsmarkt wird auf lange Sicht notwendig sein. Dieser muß
existenzsichernde und sinnvolle Arbeit für Frauen und Männer anbieten. Eine hinrei- chende und kontinuierliche Finanzierung einer aktiven Arbeitsmarktpolitik ist eine Zukunftsinvestition.
Frauengerechte Strukturpolitik verankern
Strukturpolitik muß sich an den Interessen von Frauen und Männern an
existenzsichernder Arbeit in ihren
Regionen orientieren, d. h. vorhandene Ar- beitsplätze sichern und neue
Dauerarbeitsplätze schaffen. Eine frauengerechte Regional- und Struk- turpolitik setzt voraus, den
Lebenszusammenhang von Frauen zu berücksichtigen und die Maßnahmen, Programme und Instrumente darauf abzustimmen. Die Zielvorgaben der EU- Strukturfonds, Chancengleichheit für Frauen zu erreichen, sind in nationale und regionale Politik umzusetzen. Nur mit der Verzahnung dieser Politikfelder ist eine innovative Beschäftigungspolitik für Frauen und Männer zu erzielen. Eine konsequente Beteiligung und Mitbestimmung der
Sozialpartner und der Gleichstellungsin- stanzen eröffnen Chancen für die Zukunft.
Steuer- und Sozialsysteme überprüfen
Ziel muß die soziale und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen sein: Die Sozialversicherungssysteme und
Steuergesetze müssen daher dem Grund- satz der Chancengleichheit für Frauen gerecht werden. Die allein vom
erwerbstätigen Ehepartner abgeleiteten Ansprüche sind abzubauen zugunsten von Regelungen, die die Erwerbstätigkeit von Frauen nicht bestrafen. Dies ist
ein Gebot der Gerechtigkeit.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muß für Männer und Frauen möglich sein.
Die hierauf zielenden Maßnahmen sind so zu gestalten, daß Männer wie Frauen sie gleichermaßen in Anspruch nehmen können. Für beide Elternteile muß die selbstbestimmte Beteiligung am
Erwerbsleben und eine existenzsichernde materielle und soziale Absicherung
gewährleistet sein. Mit einem flächendeckenden und qualitativ hochwertigen ganztägigen Be-
treuungsangebot für Kinder aller Altersstufen können bessere
Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Wer Erwerbstätigkeit wegen
Kindererziehung oder der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger reduziert, muß das Recht auf Teilzeitarbeit mit Rückkehrgarantie und finanziellem Ausgleich erhalten. Der in der
europäischen Richtlinie zum Elternurlaub verankerte individuelle nicht übertragbare Anspruch auf flexible Erziehungszeiten ist in nationales Recht umzusetzen.
Vereinbarkeit ermöglicht ein
partnerschaftliches Leben mit Kindern.
Erklärtes Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion ist es, den Wohlstand in Europa insgesamt zu vermehren. Ob die Menschen aller Regionen Europas an diesem Wohlstand gleichermaßen teilhaben können, hängt entscheidend von den politischen Rahmenbedingungen ab. Deshalb ist es notwendig, nicht nur
verbindliche soziale und ökologische Mindeststandards auszubauen, sondern auch sicherzustellen, daß das Ziel der Gleichstellung für Frauen und Männer aus dem Amsterdamer Vertrag verwirklicht wird.