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cepStandpunkt

Der „Pakt für den Euro“ – Ein Fass ohne Boden

Was die Staats- und Regierungschefs am 24. März 2011 formal beschließen wollen, gefährdet mittelfristig die Existenz des Euros – Eine Grundsatzkritik

von

Lüder Gerken und Matthias Kullas

22. März 2011

Centrum für Europäische Politik (CEP) Kaiser-Joseph-Straße 266 | 79098 Freiburg Telefon 0761 38693-0 | www.cep.eu

(2)

Kernpunkte

► Die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone vom 11. März 2011 lösen die Probleme der Euro-Zone nicht, sondern bewirken das Gegenteil.

Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM)

► Der ESM ist zur Überwindung der Kreditwürdigkeitsprobleme der leistungsschwachen Euro- Volkswirtschaften nicht geeignet. Er vergrößert das eigentliche – realwirtschaftliche – Problem mangelnder Wettbewerbsfähigkeit sogar noch.

► Die dauerhafte Etablierung des ESM entlässt die Mitgliedstaaten aus ihrer fiskalischen Verant- wortung. Der Weg zur Transferunion ist damit frei.

► Die Bedingung, dass ESM-Kredite nur gewährt würden, wenn sie für die Stabilität der Euro- Zone „unerlässlich“ sind, ist keine: Jede drohende Zahlungsunfähigkeit eines Landes gefährdet aus Sicht der Politik diese Stabilität, da die „too-big-to-fail“-Problematik ungelöst ist. Das belegt der Bail-out Griechenlands, einer der kleinsten Volkswirtschaften der Euro-Zone.

► Die Beachtung der Vorgabe, dass ESM-Finanzhilfen nur gewährt würden, wenn das Empfänger- land sich „strengen Auflagen“ unterwerfe, ist zweifelhaft. Sie hängt maßgeblich von der Größe des notleidenden Landes und dessen Fähigkeit zur Bildung von Allianzen mit anderen leis- tungsschwachen Ländern ab.

► Für das Kreditvolumen des ESM von 500 Mrd. Euro haftet Deutschland mit einer Bareinlage und einer Garantie von 190 Mrd. Euro. Eine Inanspruchnahme der Garantien für die Gesamtsumme hat den Zusammenbruch aller Staatshaushalte in der Euro-Zone, einschließlich Deutschlands, zur Folge. Für 190 Mrd. Euro könnte jeder Hartz-IV-Haushalt – statt der kürzlich streitigen Auf- stockung um monatlich drei Euro – einen Einmalbetrag von 50.000 Euro erhalten.

„Pakt für den Euro“

► Der „Pakt für den Euro“ wird seine Aufgabe, die unverzichtbaren Reformen zur Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit leistungsschwacher Staaten durchzusetzen, nicht erfüllen.

► Der „Pakt für den Euro“ verharrt in Unverbindlichkeit:

– Er enthält – im Gegensatz zum Stabilitäts- und Wachstumspakt, der gleichwohl versagte – weder verpflichtende noch konkrete Zielvorgaben, geschweige denn Sanktionen.

– Die Wettbewerbsfähigkeit der leistungsschwachen Volkswirtschaften soll nicht herbeige- führt, sondern nur „gefördert“ werden.

– Jeder Euro-Staat entscheidet eigenverantwortlich über seine Reformpolitik.

– Der einzelne Euro-Staat muss die im Pakt als wesentlich angesehenen Fragen bei seiner na- tionalen Politikwahl nur „prüfen“.

– Der einzelne Euro-Staat verpflichtet sich nur zu jenen Reformen, die er selbst vorschlägt.

► Die Pflicht reformwilliger Staaten, reformunwillige oder -unfähige Staaten über ihre Vorhaben vorab zu konsultieren, wird die ohnehin schwache Erneuerungsfähigkeit Europas verringern.

(3)

Mittelfristige Folgen der Verabschiedung der Beschlüsse vom 11. März 2011

► Mit der Verabschiedung der Beschlüsse vom 11. März 2011 wird die letzte Chance vertan, die Schaffung eines Hilfsfonds zur finanziellen Stützung leistungsschwacher Volkswirtschaften an rigide Reformprogramme zu koppeln.

► Griechenland (unbeschadet der derzeitigen IWF-Auflagen) und Portugal, vermutlich auch Spa- nien und Italien, vielleicht sogar Frankreich werden den Rückstand in ihrer Wettbewerbsfähig- keit nicht beseitigen.

► Leistungsbilanzdefizite dieser Länder werden weiter bestehen, somit deren Verschuldung wei- ter zunehmen, die Bonität weiter abnehmen und die Risikoprämien für Kredite steigen. Diese Länder werden daher auf kurz oder lang Finanzhilfe vom ESM benötigen und fordern.

► Die Verweigerung von ESM-Krediten würde zur Insolvenz führen, die der ESM gemäß politi- schem Auftrag aber verhindern soll. Europa wird also regelmäßig „ultima-ratio“-Situationen er- leben, in denen der ESM Finanzhilfe gewährt. Die leistungsschwachen Euro-Länder werden diese dauerhaft in Anspruch nehmen.

► Je mehr Länder auf Finanzhilfen des ESM rekurrieren und je größer sie sind, desto weniger streng werden die damit verbundenen Auflagen ausfallen.

► Durch die beschriebene Entwicklung wird aus dem ESM eine permanente Verschuldungsfazili- tät, die Staatsanleihen leistungsschwacher Staaten aufkauft. Den Spielraum für diese Entwick- lung eröffnen bereits die Beschlüsse vom 11. März: Der ESM darf Staatsanleihen auf dem Pri- märmarkt ankaufen.

► Der ESM droht für die nordeuropäischen Staaten, allen voran Deutschland, zu einem Fass ohne Boden zu werden. Dies gefährdet die Stabilität der gesamten Euro-Zone existenziell.

Handlungsbedarf

► Die für den 24. März 2011 vorgesehene formelle Verabschiedung der politischen Beschlüsse vom 11. März 2011 sollte ausgesetzt werden.

(4)

Inhalt

Kernpunkte ... 2

1 Die Beschlüsse der Regierungschefs der Euro-Staaten vom 11. März 2011 ... 5

1.1 Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) ... 5

1.2 „Pakt für den Euro“ ... 5

2 Kurzbeschreibung der Problemlage in der Euro-Zone ... 6

3 Folgenabschätzung der Beschlüsse vom 11. März 2011 ... 7

3.1 Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) ... 7

3.2 „Pakt für den Euro“ ... 9

4 Mittelfristige Folgen der Beschlüsse vom 11. März 2011 für die Euro-Zone ... 11

5 Handlungsbedarf ... 12

(5)

1 Die Beschlüsse der Regierungschefs der Euro-Staaten vom 11. März 2011

Am 11. März 2011 trafen sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der 17 EU-Mitgliedstaaten, die den Euro eingeführt haben. Sie einigten sich politisch auf die Eckdaten für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und auf einen „Pakt für den Euro“. Die wesentlichen Inhalte sind:

1.1 Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM)

(1) Mit dem ESM wird ein auf Dauer angelegter Fonds für Finanzhilfen an Euro-Staaten geschaffen (S. 21).

(2) Der ESM wird ab 2013 einem Euro-Staat auf dessen Antrag Finanzhilfe gewähren. Vorausset- zung ist, dass die Regierungschefs dies einstimmig „zur Wahrung der Stabilität des Euro- Währungsgebiets“ für „unerlässlich“ erachten (S. 3).

(3) Die Finanzhilfe wird unter „strengen Auflagen“ gewährt (S. 3).

(4) Die Finanzhilfe kann gewährt werden (S. 3) a) als Darlehen oder

b) durch Ankauf von Staatsanleihen („Schuldtitel“) im Primärmarkt, um „höchstmögliche Kosteneffizienz“ zu erreichen.

(5) Der ESM erhält einen Kreditrahmen in Höhe von 500 Milliarden Euro. Der Kreditrahmen für die 2010 eingeführten Hilfsfonds – Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) der Euro- Staaten und Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus (ESFM) der EU –, die 2013 vom ESM abgelöst werden, wird auf 500 Milliarden Euro verdoppelt (S. 3).

1.2 „Pakt für den Euro“

(1) Ein „Pakt für den Euro“ soll (S. 5)

a) „eine neue Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung“ unter den Euro-Staaten er- reichen,

b) die Wettbewerbsfähigkeit verbessern,

c) dadurch „einen höheren Grad an Konvergenz“ erreichen.

(2) Die Euro-Staaten verpflichten sich, die erforderlichen Maßnahmen zur Erreichung der folgen- den Ziele zu ergreifen (S. 6):

a) Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, b) Förderung der Beschäftigung,

c) „weiterer Beitrag“ für langfristig tragfähige öffentliche Finanzen, d) Stärkung der Finanzstabilität.

      

1 Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets vom 11. März 2011.

(6)

(3) Die Euro-Staaten werden Reformmaßnahmen vorschlagen, zu denen sie sich verpflichten (S. 1, 7). Sie werden „jedes Jahr konkrete nationale Verpflichtungen eingehen“ (S. 6).

(4) Die Wahl der konkreten Maßnahmen „verbleibt in der Verantwortung des einzelnen Landes“

(S. 7). Die Wahl wird dadurch „geleitet“, dass „insbesondere“ die im Pakt für den Euro ange- sprochenen Fragen „geprüft“ werden (S. 11).

(5) Die Euro-Staaten werden

a) „sich an den Leistungsstärksten messen“ (S. 6),

b) „ihren jeweiligen konkreten Problemen Rechnung tragen“ (S. 6).

(6) Die Euro-Staaten verpflichten sich zu gegenseitigen Konsultationen, „bevor“ sie „wichtige Wirtschaftsreformen“ verabschieden, die „potentielle Übertragungseffekte“ haben (S. 6).

(7) Ins Auge gefasst werden „spezielle Instrumente und gemeinsame Initiativen“, um „sicherzu- stellen“, dass das „Wachstum im gesamten Euro-Währungsgebiet ausgewogen“ ist (S. 7) (8) Der „Pakt für den Euro“ soll am 24. März von den Staats- und Regierungschefs förmlich verab-

schiedet werden.

2 Kurzbeschreibung der Problemlage in der Euro-Zone

Die südeuropäischen Volkswirtschaften weisen seit Jahren Leistungsbilanzdefizite auf, da sie stetig mehr importieren als exportieren. Die Differenz – das Leistungsbilanzdefizit – haben sie bisher mit Krediten aus den Ländern mit Exportüberschüssen, vor allem aus Deutschland, finanziert. Um diese Kredite zurückzahlen zu können, müssten sie ihrerseits Exportüberschüsse erzielen. Dazu sind sie nicht imstande, weil ihre Unternehmen aufgrund massiver realwirtschaftlicher Ungleichgewichte, allem voran: erheblicher Unterschiede in den Lohnstückkosten, gegenüber den nordeuropäischen Unternehmen in der Summe nicht wettbewerbsfähig sind. Im Gegenteil: Diese Volkswirtschaften benötigen von Jahr zu Jahr, in dem die Leistungsbilanzdefizite fortbestehen, zusätzliche Kredite.

Die beschriebene Entwicklung hat 2010, beginnend mit Griechenland, dazu geführt, dass die Kre- ditwürdigkeit der betroffenen Länder rapide gefallen ist. Ohne neue Kredite aber sind sie zah- lungsunfähig. Um das zu verhindern, gewährten die Euro-Staaten, allen voran Deutschland, im Mai 2010 Griechenland Kredite in Höhe von 80 Mrd. Euro. Der deutsche Anteil betrug mit 22,4 Mrd Euro mehr als ein Viertel. Unmittelbar im Anschluss schufen sie einen zunächst als befristet deklarierten Kreditrahmen in Höhe von faktisch 250 Milliarden Euro für weitere Euro-Staaten, denen die Zah- lungsunfähigkeit droht. Beides war ein klarer Verstoß gegen europäisches Recht.2

Die Beschlüsse vom 11. März 2011 sollen dieser Problemlage Rechnung tragen: Der ESM soll in Zukunft notleidende Staaten mit Krediten versorgen können. Der „Pakt für den Euro“ soll die real- wirtschaftlichen Ungleichgewichte beseitigen, damit der ESM in Zukunft nicht in Anspruch ge- nommen werden muss.

      

2 Vgl. Jeck/van Roosebeke (2010): cepAnalyse Rechtsbruch durch Bail-out-Darlehen.

(7)

3 Folgenabschätzung der Beschlüsse vom 11. März 2011

Die politischen Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs der Eurozone vom 11. März 2011, die am 24. März 2011 formell verabschiedet werden sollen, lösen die gegenwärtigen Probleme inner- halb der Euro-Zone nicht. Sie bewirken das Gegenteil. Denn wann immer einem Euro-Staat die Insolvenz droht, kann er auf finanzielle Hilfen zählen.

3.1 Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM)

Ewigkeitsgarantie des ESM

Die dauerhafte Etablierung des ESM entlässt die Mitgliedstaaten aus ihrer fiskalischen Verantwor- tung. Die letzte Hemmschwelle auf dem Weg zur Transferunion wurde damit beseitigt, die „No- Bail-Out“-Klausel begraben.

Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Hilfen benötigt werden, ist mit der Etablierung des ESM gestie- gen. Wie Unternehmen gehen auch Staaten zu hohe Risiken ein, wenn sie Kosten sozialisieren kön- nen. So hat Irland in den vergangenen Jahren eine sehr aggressive und riskante Wachstumsstrate- gie verfolgt, die insbesondere auf einer niedrigen Körperschaftsteuer fußte. Die Etablierung des Rettungsfonds erhöht die Anreize für die Euro-Staaten, solche riskanten Strategien einzugehen, weil sie die Kosten nicht allein tragen müssen, sondern teilweise auf andere Staaten verlagern kön- nen.

Mit der Etablierung des ESM steigt aber nicht nur der Anreiz, riskante Wachstumsstrategien zu wählen. Ebenso erhöht sich der Anreiz, nötige Reformen zu verschleppen oder gar ganz zu unter- lassen, weil man darauf setzen kann, durch Finanzhilfen des ESM vor der resultierenden Insolvenz bewahrt zu werden. In jedem Fall nimmt die Reformbereitschaft ab. In welchem Umfang dies der Fall sein wird, hängt davon ab, wie hoch die Sanktionierung solchen Verhaltens ist. Sie bemisst sich nach den Auflagen, welche einem notleidenden Staat abverlangt werden (dazu s.u.).

Finanzhilfen nur zur Sicherung der Stabilität der Euro-Zone

Die Bedingung für ESM-Finanzhilfen, dass deren Gewährung für die Stabilität der Euro-Zone „uner- lässlich“ sein müsse, ist keine. Die Reaktionen auf die Bonitätsprobleme Griechenlands im Frühjahr 2010 haben belegt, dass selbst Zahlungsschwierigkeiten einer der kleinsten Volkswirtschaften der Euro-Zone eine Bankenkrise nach sich ziehen kann, die die Euro-Zone insgesamt in ihrer Existenz bedroht. Dies wird sich so lange nicht ändern, wie die „too big to fail“-Problematik großer Banken nicht gelöst ist. Sobald einem Land die Insolvenz mangels bezahlbarer Refinanzierungsoptionen am privaten Kapitalmarkt droht, werden daher die Euro-Staaten einstimmig den Krisenfall ausrufen und diesem Land ESM-Mittel zur Verfügung stellen.

Bindung der Finanzhilfen an „strenge Auflagen“

Aus dem gleichen Grund ist es eine hehre Vorstellung, dass Finanzhilfen nur unter „strengen Aufla- gen“ gewährt werden. Da oberstes Ziel des ESM die Sicherung der Euro-Zone als Ganzes ist, kön- nen es sich die zur Rettung entschlossenen Staaten gar nicht erlauben, bei drohender Insolvenz eines Euro-Staates die ESM-Hilfe zu versagen. Denn dann würde genau das eintreten, was der ESM verhindern soll. Dies schwächt die Verhandlungsposition des ESM und der hinter ihm stehenden Garantieländer erheblich gegenüber dem notleidenden Staat. In welchem Maße dieser rigide

(8)

Vorgaben verhindern kann, hängt nicht zuletzt von seiner Größe und von seiner Fähigkeit zur Bil- dung von Allianzen mit ebenfalls notleidenden Staaten ab. So gelang es Frankreich und Deutsch- land 2003 ohne weiteres, den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt, der die Staatsdefizite begrenzen sollte, gegen den Widerstand kleinerer Euro-Länder und der Europäischen Kommission zu makulieren.

Rigide Auflagen kann daher allenfalls der Internationale Währungsfonds gewährleisten, der über Kreditvergaben entscheiden kann, ohne von dem politischen Ziel beherrscht zu sein, eine Wäh- rungsunion zu schützen, und in dessen Gremien tatsächlich oder potentiell notleidende Staaten keinen dominierenden Einfluss besitzen.

Zwar sehen die Pläne für den ESM vor, dass Forderungen des ESM gegenüber privaten Gläubigern bevorrechtigt werden. Jedoch werden die privaten Kapitalanleger auch dies in ihre Zinsforderun- gen einpreisen. Die Folge ist, dass sich notleidende Staaten selbst im Falle einer ESM-Finanzhilfe nicht zu tragbaren Konditionen am Kapitalmarkt werden refinanzieren können. Der ESM bleibt dann auf sich allein gestellt.

Der ESM ist somit lediglich zur Überbrückung vorübergehender Liquiditätsprobleme eines Landes geeignet, jedoch nicht zur Überwindung der strukturellen, realwirtschaftlich bedingten Kreditwür- digkeitsprobleme, die die notleidenden Euro-Staaten durchweg besitzen. Auch die Euro-Staaten haben das erkannt. Sie wollen diesen strukturellen Mangel des ESM mit dem „Pakt für den Euro“

kompensieren (dazu s.u.).

Gewährung von Finanzhilfen

Die Gewährung von Finanzhilfen durch den ESM, sei es über die Vergabe von Darlehen oder über den Kauf von Staatsanleihen auf dem Primärmarkt, führt erstens dazu, dass der Refinanzierungszins seine Signalwirkung verliert. Die Refinanzierungskosten sind ein Indikator, der angibt, wie solvent ein Staat ist. Je höher die Zinsen, desto höher ist das Insolvenzrisiko eines Staates. Gewährt der ESM nun Finanzhilfen zu politisch festgelegten Konditionen, verringern sich damit die Refinanzierungs- kosten für den jeweiligen Mitgliedstaat. Eine Aussage, wie solvent ein Mitgliedstaat tatsächlich ist, ist so nicht mehr ohne Weiteres möglich.

Zweitens verringert sich mit den Refinanzierungskosten der marktliche Druck auf die Regierung eines Staates, fiskalische und wirtschaftliche Reformen durchzuführen. In der Folge wird der Kre- ditbedarf dieser Staaten höher ausfallen als ohne die Hilfe durch den ESM. Die Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Euro-Staaten sehen zwar vor, die Verringerung des Drucks von Seiten der Märkte durch politische Vorgaben auszugleichen, indem die ESM-Finanzhilfe an ein Sa- nierungsprogramm geknüpft wird. Die Erfahrungen mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt ha- ben jedoch gezeigt, dass dieses Vorgehen nicht erfolgversprechend ist. Kapitalmärkte können not- leidende Staaten wesentlich effektiver zu einschneidenden Sparmaßnahmen und Reformen veran- lassen, als dies eine politische Regelung vermag. So ist es jahrelang durch „politische Koordinie- rung“ auf EU-Ebene auch nicht gelungen, Griechenland oder Portugal zu einer soliden Haushalts- politik zu bewegen. Erst als der Druck der Kapitalmärkte anstieg und beide Mitgliedstaaten bei der Emission neuer Staatsanleihen deutliche Risikoaufschläge zahlen mussten, wurden ernsthafte Sparanstrengungen unternommen. Aus diesem Grund ist es schädlich, den Markt als Koordinati- onsinstrument zu schwächen.

Drittens ist zu befürchten, dass die ESM-Darlehen früher als nötig in Anspruch genommen werden, eben weil sich damit die Refinanzierungskosten senken lassen. Bisher beantragte nur Irland EFSF- Mittel, und zwar, weil die Refinanzierungskosten zu einer Schuldenspirale zu führen drohten, die letztlich in die Insolvenz Irlands gemündet hätte. Die Möglichkeit zur Gewährung von Finanzhilfen

(9)

zu politisch festgelegten Konditionen, die unter dem Marktzins liegen, macht es prinzipiell für alle Euro-Staaten attraktiv, diese Finanzhilfen auch in Anspruch zu nehmen, wenn deren Zinssatz nur ausreichend niedrig ist.

Insbesondere: Gewährung von Finanzhilfen durch Ankauf von Staatsanleihen

Besonders problematisch ist die Gewährung von Finanzhilfen durch den Ankauf von Staatsanlei- hen am Primärmarkt. Denn diese am 11. März beschlossene Option eröffnet bereits heute den Spielraum für spätere Wünsche, den ESM zu einer herkömmlichen Verschuldungsfazilität zu trans- formieren, bei der sich kreditbedürftige Staaten bedienen können. Je mehr Staaten den ESM in Anspruch nehmen, desto größer ist dafür die Wahrscheinlichkeit.

Aufstockung des Kreditrahmens auf 500 Milliarden Euro

Die beschlossene Erhöhung der effektiven Gesamtdarlehenskapazität der EFSF auf 440 Mrd. Euro (zuzüglich 60 Mrd. Euro des EFSM) sowie die Ausstattung des ESM mit einer effektiven Gesamtdar- lehenskapazität von 500 Mrd. Euro führen faktisch zu einer Verdoppelung des derzeitigen Kredit- rahmens. Für diese Summe muss die Bundesrepublik Deutschland mit Bareinlagen und Garantien in Höhe von 190 Mrd. Euro haften.

Dies sind astronomische Größenordnungen. Eine eventuelle Inanspruchnahme der Garantien über die Gesamtsumme wird den Zusammenbruch der Staatshaushalte in der gesamten Euro-Zone, einschließlich Deutschlands, zur Folge haben.

Wenn man die Summe von 190 Mrd. Euro, für die die Bundesrepublik Deutschland garantiert und haftet, an dem Streit in der deutschen Politik über die Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze um fünf oder um acht Euro pro Monat spiegelt, ergibt sich: Für die von Deutschland übernommene Garan- tie könnte man jedem Hartz-IV-Haushalt nicht 12 x 3 = 36 Euro, sondern einen Einmalbetrag von 50.000 Euro zur Verfügung stellen.

Auch zu einer Beruhigung der Finanzmärkte wird die Erhöhung nicht beitragen. Die Kapitalmärkte fordern höhere Risikoaufschläge, weil davon auszugehen ist, dass eine Umschuldung der notlei- denden Staaten, allen voran Griechenlands, Irlands und Portugals, unausweichlich ist. Diese Erwar- tung ist rational, eine Beruhigung der Kapitalmärkte mithin nicht möglich. Mit der Aufstockung erkaufen sich die Euro-Staaten bestenfalls etwas Zeit. So mag ein Rettungsschirm mit einem Volu- men von 500 Mrd. Euro auch Spanien oder Italien vorübergehend stützen können. Dauerhaft ist dies jedoch ohne rigide realwirtschaftliche Reformen nicht möglich. Dies sollte der von der Bundes- regierung geforderte „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ sicherstellen. Daraus wurde ein „Pakt für den Euro“.

3.2 „Pakt für den Euro“

Der dargelegte Befund, dass der ESM zur Lösung der in der Euro-Zone vorliegenden Probleme nicht taugt, rührt daher, dass er die realwirtschaftlichen Verwerfungen zwischen den Euro-Staaten, die sich seit Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion immer weiter aufgebaut haben, nicht beseitigen kann. Die Euro-Zone war und ist kein optimales Währungsgebiet, sondern ein durch politisches Wollen erzeugtes Konstrukt, bei dessen Schaffung (und seither) die ökonomi- schen Rahmenbedingungen vernachlässigt wurden.

(10)

Unverzichtbar für den Fortbestand der Euro-Zone sind grundlegende realwirtschaftliche Reformen in den notleidenden Staaten. Da diese zu spät kommen und im Zweifel auch nicht hinreichend konsequent eingefordert werden können, wenn ein Staat ESM-Darlehen benötigt (s.o), müssen sie vorab vereinbart werden, zeitgleich mit der Einrichtung des ESM-Kreditrahmens. Denn nur dann besteht Hoffnung, dass Finanzhilfen irgendwann überflüssig werden: Freiwillig wird kein Staat har- sche Reformen ergreifen, wenn er Darlehen vom ESM erhalten kann.

Daher hatte die Bundesregierung als Gegenleistung für ihre Zustimmung zum ESM dezidiert einen

„Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ gefordert. Über ihn sollten die notleidenden Staaten verpflichtet werden, konkrete Reformen zu ergreifen, um ihre Volkswirtschaften wettbewerbsfähig zu machen und so die Leistungsbilanzdefizite abzubauen.

Die Regierungschefs haben am 11. März allerdings keinen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ be- schlossen, sondern einen „Pakt für den Euro“. Die Namensänderung ist folgerichtig, denn wettbe- werbsfähig wird er die leistungsschwachen Euro-Länder nicht machen.

Unverbindlichkeit der Inhalte des „Pakts für den Euro“

Erstens verharrt der „Pakt für den Euro“ in Unverbindlichkeit und verbaler Ungenauigkeit.

(1) Schon der alte „Stabilitäts- und Wachstumspakt“, der die Euro-Staaten zur Staatshaushalts- disziplin hatte zwingen sollen, hat versagt. Und dies, obwohl er konkrete, verpflichtende Vorgaben für die Staaten enthält und obwohl er bei Verstößen Sanktionen vorsieht. Der

„Pakt für den Euro“ enthält keine verpflichtenden oderkonkreten Zielvorgaben. Zudem feh- len Sanktionen.

(2) Die Zielformulierungen des „Pakts für den Euro“ sind mehrdeutig: Der Pakt soll zwar die Wettbewerbsfähigkeit verbessern, aber dadurch auch „einen höheren Grad an Konver- genz“ erreichen. Unter „Konvergenz“ wird im Allgemeinen die gegenseitige Annäherung verstanden. Notleidende Staaten können sich mithin auf den „Pakt für den Euro“ berufen, wenn sie eine Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit etwa Deutschlands verlangen.

(3) Zwar verpflichten sich die Euro-Staaten, erforderliche Maßnahmen zur Erreichung be- stimmter Ziele zu ergreifen. Allerdings sind diese Ziele unbestimmt. So soll die Wettbe- werbsfähigkeit der nicht-wettbewerbsfähigen Staaten nicht etwa herbeigeführt, sondern nur „gefördert“ werden. Für tragfähige öffentliche Finanzen soll nur ein „weiterer Beitrag“

geleistet werden.

(4) Zwar sollen die Euro-Staaten sich zu Reformmaßnahmen verpflichten, aber nur in dem Um- fang, wie sie diese selbst vorschlagen.

(5) Die Entscheidung, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden, obliegt allein dem ein- zelnen Staat. Mehrfach wird in den Schlussfolgerungen ausdrücklich hervorgehoben, dass diese Entscheidung „in der Verantwortung jedes einzelnen Landes“ verbleibt. Dies bedeu- tet, dass es den anderen Staaten und auch der Gruppe der Euro-Staaten verwehrt wird, sich einzubringen.

(6) Der „Pakt für den Euro“ legt ausdrücklich fest, dass die im Pakt als wichtig angesehen Fra- gen bei der nationalen Politikwahl nur „geprüft“ werden müssen.

(7) Zwar sollen sich die Euro-Staaten bei ihrer nationalen Politikwahl „an den Leistungsstärks- ten messen“. Sie dürfen aber gleichzeitig „ihren jeweiligen konkreten Problemen Rechnung tragen“.

(11)

Der von den Staats- und Regierungschefs als Druckmittel auserkorene politische Gruppendruck kann konkrete verpflichtende Vorgaben und Sanktionen nicht ersetzen. Auch der Gruppendruck im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts hat nicht gewirkt. Er war sogar kontraproduktiv, da die Mehrheit der Mitgliedstaaten kein eigenes Interesse an einer rigiden Beschränkung der Staatsverschuldung hatte.

Behinderung reformwilliger Euro-Staaten durch die Pflicht zur vorherigen Konsultation Der „Pakt für den Euro“ wird aber nicht nur reformunwillige oder -unfähige Staaten vor durchgrei- fenden Reformen bewahren. Zweitens wird er reformwillige Staaten behindern: Höchst problema- tisch ist die Verpflichtung aller Euro-Staaten zu gegenseitigen Konsultationen, bevor ein Staat Wirt- schaftsreformen ergreift. Dies wird sich vor allem gegen die leistungsfähigen Volkswirtschaften richten, die zukünftig ihre Reformagenden mit den notleidenden Euro-Staaten abstimmen müssen.

Die Folge werden politische Händel sein mit dem Ergebnis weniger anspruchsvoller Reformen in den leistungsstarken Staaten. Die Anforderung „potentieller Übertragungseffekte“ ist keine, denn potentiell wird jede Reform Auswirkungen auf andere Staaten haben.

In dieselbe Richtung gehen die vorgesehenen „speziellen Instrumente und gemeinsamen Initiati- ven“, die ein „ausgewogenes“ Wachstum in der Euro-Zone „sicherstellen“ sollen. Unabhängig da- von, ob damit Subventionen und Förderprogramme oder die Konzertierung von Reformen ge- meint sind: Die bereits in den Zielen formulierte Konvergenz zwischen den Staaten wird auch hier zu einer Verschlechterung der relativen Wettbewerbsfähigkeit in den reformfreudigen Staaten führen.

Schaffung neuer Bürokratie

Die Koordinierung der Wirtschaftspolitiken wird bereits in ähnlicher Weise durch die Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters vorgenommen. In seiner gegenwärtigen Ausgestaltung erreicht der „Pakt für den Euro“ nicht mehr. Es wird lediglich zusätzliche Bürokratie geschaffen.

Sinnvoller als der „Pakt für den Euro“ wäre es daher, wenn die Mitgliedstaaten eine Selbstverpflich- tung abgäben, dass sie den Kommissionsempfehlungen folgen, die im Rahmen des Europäischen Semesters ausgesprochen werden.

4 Mittelfristige Folgen der Verabschiedung der Beschlüsse vom 11. März 2011 für die Euro-Zone

Mit der Verabschiedung der Beschlüsse vom 11. März 2011 wird die letzte Chance vertan, die Schaf- fung eines Hilfsfonds zur finanziellen Stützung leistungsschwacher Volkswirtschaften an rigide Reformprogramme zu koppeln.

Griechenland (unbeschadet der derzeitigen IWF-Auflagen) und Portugal, vermutlich auch Spanien und Italien, vielleicht sogar Frankreich werden den Rückstand in ihrer Wettbewerbsfähigkeit nicht beseitigen.

Leistungsbilanzdefizite dieser Länder werden weiter bestehen, somit deren Verschuldung weiter zunehmen, die Bonität weiter abnehmen und die Risikoprämien für Kredite steigen. Diese Länder werden daher auf kurz oder lang Finanzhilfen vom ESM benötigen und fordern.

Die Verweigerung von ESM-Krediten würde unausweichlich zur Insolvenz führen, die der ESM ge- mäß politischem Auftrag aber verhindern soll. Europa wird also regelmäßig

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„ultima-ratio“-Situationen erleben, in denen der ESM Finanzhilfe gewährt. Die nicht wettbewerbs- fähigen Euro-Länder werden diese dauerhaft in Anspruch nehmen.

Je mehr Länder auf Finanzhilfen des ESM rekurrieren und je größer sie sind, desto weniger streng werden die damit verbundenen Auflagen ausfallen.

Durch die beschriebene Entwicklung wird aus dem ESM eine permanente Verschuldungsfazilität, die Staatsanleihen leistungsschwacher Staaten aufkauft. Den Spielraum für diese Entwicklung er- öffnen bereits die Beschlüsse vom 11. März: Der ESM darf Staatsanleihen auf dem Primärmarkt an- kaufen.

Der ESM droht für die nordeuropäischen Staaten, allen voran Deutschland, zu einem Fass ohne Boden zu werden. Dies gefährdet die Stabilität der gesamten Euro-Zone existenziell.

5 Handlungsbedarf

Die für den 24. März 2011 vorgesehene formelle Verabschiedung der politischen Beschlüsse vom 11. März 2011 sollte ausgesetzt werden.

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