Musikstunde mit Katharina Eickhoff Donnerstag, 14. Juni 2012
Casanova – „Auch die schönste Frau ist an den Füßen zuende“.
Eine musikalische (Ver-)führung durch die Geschichte seines Lebens Teil IV
Indikativ
Der Tag, an dem Giacomo Casanova nach Paris zurückkehrte, ist in die Geschichtsbücher eingegangen.
Nicht Casanovas wegen, sondern weil an diesem 5. Januar 1757 ein Unglückswurm namens Damiens ein Attentat auf König Ludwig XV.
verübt hat.
Casanova ist nach seiner spektakulären Flucht aus den Bleikammern in Venedig nach Frankreich gegangen, weil er mit unfehlbarem Instinkt spürte, dass er in Paris, dieser Hauptstadt der Moden, der Hysterien und des Glamour, genügend Dummköpfe finden wird, die ihm sein
liebgewordenes Luxusleben finanzieren.
Casanovas Lebensmotto, sein Wahlspruch zu allen Zeiten, ist natürlich ein alter Lateiner:
„Nequicquam sapit qui sibi non sapit – Wer sich nicht selbst kennt, weiß gar nichts.“
Cicero.
Auf sich selber hält Casanova, was diese Selbstkenntnis betrifft, große Stücke – und den überwiegenden Rest der Menschheit hält er für
Dummköpfe, die es nicht anders verdient haben, als dass man sie schröpft und übers Ohr haut.
In dieser Phase seines Lebens, von der heute hier die Rede sein soll, tut er das ausgiebig – und verdient ziemlich viel Geld damit, das er alsbald wieder verliert.
„Ich bin ein detestabler Mensch, aber ich lege keinen Wert darauf, dass man das weiß...“.
Die Aufklärer, von denen zu Casanovas Zeit ganz Europa redete, haben damals mit ihrem scharfen Verstand das gemütlich-barmherzige
Halbdunkel, das in den Köpfen der Menschen herrschte, grell ausgeleuchtet – Voltaire, Rousseau, Diderot, d’Alembert und Co produzierten munter eine antireligiös- ironische Denkschrift nach der anderen, und infolgedessen hörte so mancher damals endgültig auf, an Gott und die Unsterblichkeit zu glauben. Aber weil ja irgend etwas diese Lücke füllen musste, glaubten die Leute stattdessen an Scharlatane, Quacksalber und Glücksversprecher, an Hochstapler, Okkultisten und Alleskönner – Gestalten vom Schlag eines Cagliostro oder eines Grafen von Saint Germain, beide sind Casanova über den Weg gelaufen , und er selber gehört ja auch zu ihnen, zu den Glücksrittern, die heute
Theatergeiger und morgen Diplomat sind, übermorgen im Kittchen sitzen und kurz drauf schon wieder mit dem Papst zu Mittag essen, polyglotte Zauberkünstler, die immer von irgendwo her Geld haben, immer bei den Mächtigen am Tisch sitzen, Stehaufmännchen, die grundsätzlich auf die Füße fallen und einfach nicht totzukriegen sind.
So einer ist unser Chevalier in der Blüte seiner Mannesjahre um 1760 in Paris – Casanova intrigiert, schmeichelt, verführt und zinnobert und glaubt dabei an nichts außer an sich selbst. Ein Existentialist avant la lettre, und in der Draufsicht von heute aus betrachtet gar nicht mal so furchtbar sympathisch...
„Wenn Gott uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat“, schreibt Voltaire in seinen Sottisen, „dann haben wir es ihm aber ordentlich heimgezahlt“.
3’00
CD T. 1 2’20
Rameau, Air pour les sauvages
Les Musiciens du Louvre, Marc Minkowski DG 9638911, LC 0173
...Air pour les sauvages, angeblich inspiriert von zwei tanzenden, aus der neuen Welt importierten Indianern – wobei man damals doch eigentlich gar nicht so weit hätte reisen müssen, um ein paar Wilde zu sehen...
Casanova kommt also im Januar 1757 zurück nach Paris, wofür sich aber empörenderweise erst mal niemand so recht interessiert, denn alle sind damit beschäftigt, über das Attentat an Ludwig XV. zu jammern.
„Damals bildeten sich die Franzosen noch ein, ihren König zu lieben, und zeigten es in übertriebener Weise“.
...mäkelt Casanova, und schreibt weiter:
„Im Grunde bleiben sich die Franzosen immer gleich. Diese Nation kann nicht anders als immer im Zustand des Aufruhrs leben; bei ihr ist nichts echt, alles ist nur Schein. Sie gleicht einem Schiff, das nichts als segeln will und dazu Wind braucht; und der Wind, der gerade bläst, ist immer gut.“
Man möchte hinzufügen, dass es, wenn das denn tatsächlich so ist, kein Wunder war, dass Casanova sich so gerne in Paris aufgehalten hat – denn er war ja ebenfalls ganz groß darin, sein Mäntelchen nach dem Wind zu hängen. Er hat dann zum Beispiel, von wegen „sauvages“, auch gar nichts dagegen, mit einem Grüppchen dieser flatterhaften
Zeitgenossen zur Hinrichtung des königlichen Attentäters zu gehen, weil man das in den eleganten Kreisen eben so machte. – Es war die letzte Hinrichtung durch Vierteilen in Frankreich, und vielleicht hat man diese Tötungsvariante hinterher deshalb ad acta gelegt, weil die Hinrichtung von Robert-Francois Damiens so unvorstellbar grausam war: Glühende Zangen, flüssiges Wachs, Pech, Blei, Schwefel und kochendes Öl – das volle Programm der Volksbelustigung kam da zum Einsatz, bevor das eigentliche Vierteilen losging, und Casanova und seine Freunde haben sich ein Fenster an der Place de Grève gemietet, um bei dieser sehr speziellen Sorte von Vergnügung dabeizusein, die Damen in der ersten Reihe, die Herren, Casanova und sein Spießgeselle Tiretta, hinter ihnen.
„Als Damiens gefoltert wurde und ich ihn brüllen hörte, obwohl nur noch die Hälfte seines Körpers übrig war, musste ich meine Augen abwenden;
aber die Lambertini und Madame X wandten sie nicht ab, und nicht etwa deshalb, weil sie grausame Herzen hatten. Sie sagten mir, und ich
musste vorgeben, es zu glauben, sie könnten für ein derartiges Scheusal nicht das geringste Mitleid empfinden, so sehr liebten sie Ludwig XV.
Allerdings nahm Tiretta Madame X während der ganzen Zeit der
Hinrichtung auf so seltsame Weise in Anspruch, dass sie möglicherweise nur seinetwegen nie wagte, sich zu rühren oder den Kopf abzuwenden.“
Tja – so war das damals, im reizenden Rokoko...Casanovas Memoiren zu lesen bedeutet auch, die dunklen Seiten dieser angeblich so
verspielten Epoche kennenzulernen, die in Wahrheit eine Zeit des schleichenden geistigen und moralischen Niedergangs gewesen ist.
Man beginnt jedenfalls zu verstehen, was der große Kurfürst Carl
Theodor von der Pfalz meinte, als er Ende der 1750-er Jahre an Voltaire schrieb:
„Dies gesittete, feingebildete Jahrhundert, das man als das Goldene bezeichnet hat, scheint mir Ähnlichkeit zu haben mit den Sirenen, deren obere Hälfte als reizende Nymphe sich zeigt, während die untere in einen grausigen Fischschwanz ausläuft.“
3’20
CD Disc III, T. 8 2’20
JP Rameau, Bruit de la mer et vents aus „Hippolyte et Aricie“
Les Arts Florissants, William Christie Erato 0630-15517-2, LC 0200
...der Auftritt des furchtbaren Seeungeheuers aus „Hippolyte et Aricie“, Jean-Philippe Rameaus erster Oper aus dem Jahr 1733, die zur Zeit von Casanovas zweitem Paris-Aufenthalt gerade wieder aus der Versenkung geholt und auf die Opernbühne gebracht wird, um im sogenannten
Buffonistenstreit als zu bewahrendes französisches Kulturgut in Stellung gebracht zu werden gegen die volksnahen Komödienopern der
italienischen Komponisten, die seit einer Weile auch in Paris so sagenhaft erfolgreich waren.
Casanova allerdings hat erst mal nicht allzu viel Zeit, in die Oper zu gehen, geschweige denn, sich an diesem etwas albernen Modestreit zu beteiligen, denn er bastelt konzentriert an seiner nächsten Karriere:
„Ich erkannte, dass ich, um es zu irgend etwas zu bringen, meine
gesamten körperlichen und geistigen Fähigkeiten einsetzen, die Großen und Mächtigen kennenlernen, klaren Verstand behalten und mich allen jenen anpassen musste, deren Wohlwollen mir von Nutzen sein konnte.“
In Nullkommanichts hat er sich mit einflussreichen Leuten bekannt gemacht, treibt sich auch öfter in Versailles herum und trifft die Pompadour wieder, die sich sofort an ihn als an den geistreichen Besucher erinnert, den sie vor vielen Jahren im Theater von
Fontainebleau kennengelernt hat. Casanovas beste Akquisition in
Sachen Karriere allerdings ist der Abbé de Bernis, ein guter Freund der Pompadour, der just, als Casanova nach Paris zurückkommt, gerade französischer Außenminister geworden ist, und der Casanovas nächster Gönner wird.
CD Disc 2, T. 2 1’06 JP Rameau, La Triomphante
Marcelle Meyer
EMI 5 68093 2, LC 6646
Besser hätte es gar nicht laufen können für Casanova. Der Minister de Bernis bringt ihn mit ein paar Leuten zusammen, die an einer
wunderbaren Idee laborieren: der Einrichtung einer Staatslotterie, mit der wieder Geld in die vom König arg gezauste Staatskasse kommen soll, bei der aber auch die Teilnehmer ordentliche Gewinne einstreichen können, und wo man als Lotteriebetreiber auch noch fabelhaften Profit machen kann.
Wetten aller Art sind ja der absolute Hype in jenen Jahren - „Das
Glücksspiel“, schreibt der für die Aufklärung philosophierende Baron de Montesquieu, „ist in Europa sehr verbreitet; die Spieler bilden einen eigenen Stand. Der Titel „Spieler“ ersetzt Herkunft, Vermögen,
Redlichkeit und erhebt alle, die ihn tragen, ungeprüft in den Rang von Ehrenmännern.“
Der Spieler und Ehrenmann Casanova jedenfalls macht sich die Idee mit der Lotterie zu eigen, entwirft flugs ein Organisationsschema und hat dann wenig später seinen großen Auftritt vor dem entscheidenden Komitee, das er – so was kann er ja – mit einer fabelhaften Rede über Psychologie und Mathematik, mit anscheinend hieb- und stichfesten Gewinnberechnungen und mitreißender Rhetorik davon überzeugt, dass so eine Lotterie eingerichtet werden muss, und dass er genau der
Richtige dafür ist, die Lose dann unter die Leute zu bringen.
Die Tatsache, dass in diesem Entscheidungsgremium auch Jean Le Rond d’Alembert saß, dieser immer vernünftige Mathematiker unter den Aufklärern, und dass auch der sich einwickeln ließ, zeigt nur, was für ein Charisma Casanova entwickeln konnte, wenn es drauf ankam.
Die Lotterie – Frankreichs erste Staatslotterie überhaupt – startet erfolgreich, Casanova eröffnet ein prunkvoll eingerichtetes Wettbüro in der Rue St. Denis, sein Ruf als Geldvermehrer vom Dienst macht schnell die Runde, und die Leute rennen ihm die Bude ein.
„In allen vornehmen Häusern, in denen ich verkehrte, oder im Foyer eines Theaters, gaben mir alle Leute, sobald sie meiner ansichtig wurden, Geld mit der Bitte, es nach Gutdünken für sie zu setzen und ihnen dafür Lose zu geben, da sie nichts davon verstünden. Ich trug stets große und kleine Lose bei mir, aus denen ich sie auswählen ließ, und kam mit den Taschen voll Gold nach Hause zurück. Die anderen Einnehmer genossen nicht dieses Vorrecht. Sie waren keine Leute, denen man nachlief. Ich war der einzige, der in einem Wagen fuhr, das gab mir Namen und Kredit. Paris war eine Stadt, und ist es heute noch, wo man alles nach dem äußeren Schein beurteilt.“
Dann war Casanova ja hier genau richtig. Jedenfalls markiert er
erfolgreich den vertrauenswürdigen Glücksbringer und ist in kürzester Zeit so reich wie noch nie in seinem Leben.
4’30
CD T. 2 4’10
Jean Joseph Cassanéa de Mondonville, Dominus regnavit, Motette Les Arts Florissants, William Christie
Erato 8180135
...ein Satz aus „Dominus regnavit“, einer der bemerkenswert
eigensinnigen Motetten von Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville – Mondonville war damals mit diesen Motetten einer der erfolgreichsten und bekanntesten Tonsetzer in Paris, nachdem man auf die Idee
gekommen war, die geistliche Musik aus den Kirchen in den Konzertsaal zu holen. Bei den sogenannten „Concerts Spirituels“ hat auch Casanova Mondonvilles Motetten gelauscht – allerdings wenig konzentriert, weil ihn gerade mal wieder eine Liebschaft beschäftigt hat.
Überhaupt, was ist eigentlich mit den Frauen?
Man muss feststellen, dass in dieser Phase in Casanovas Leben die bedeutsamen erotischen Rencontres weniger zu werden scheinen – und wenn es sie gibt, schleicht sich da langsam und kaum merklich ein
Unterton des Scheiterns ein. Als er sich in eine Mademoiselle
griechischer Abstammung verliebt, die einem anderen versprochen und von wieder einem anderen im vierten Monat schwanger ist, muss er zum ersten mal erleben, dass er ernsthaft abgewiesen wird.
Und zum ersten Mal wendet er eine List an, um doch noch zum Schuss zu kommen, indem er der Mademoiselle, die unbedingt ihr Kind
loswerden muss, einredet, man könne die Gebärmutter zwecks
Abstoßung mit einer Arznei behandeln, die im Moment des Applizierens mit frischem Sperma vermischt sein müsse. Eine ziemlich trübselige und aufwendige Lüge für ein bisschen Lust.
Womöglich resultieren aus solchen Erlebnissen dann die Überlegungen, die er in seinen Memoiren zum sogenannten Schwachen Geschlecht anstellt:
„Gelangen wir ans Ziel unserer Wünsche, werden wir die Frau mit Gewissheit nicht mehr begehren; denn man begehrt nicht, was man besitzt. Die Frauen haben also recht, wenn sie unserem Verlangen nicht nachgeben. Aber wenn das Verlangen beider Geschlechter gleich stark ist, warum geschieht es dann nie, dass sich ein Mann einer Frau
versagt? Der Grund kann nur in Folgendem liegen:
Dem Mann sind die Freuden, die er seiner Überzeugung nach dem geliebten Wesen schenkt, wichtiger als jene, die sie ihrerseits bei der Vereinigung zu schenken vermag. Aus diesem Grund drängt es ihn, sie zu beglücken. Der Frau, die in ihren eigenen Interessen befangen ist, müssen die erlebten Freuden wichtiger sein als jene, die sie schenkt;
deshalb schiebt sie die Hingabe hinaus, so lange sie kann, denn wenn sie sich ergibt, fürchtet sie, das zu verlieren, woran ihr am meisten liegt, ihre eigenen Freuden. Diese Einstellung entspricht der Natur des
weiblichen Geschlechts und ist der einzige Grund für die Koketterie, die man einer Frau mit Recht verzeiht...“.
Du liebe Güte. Hat da irgendwo jemand behauptet, Casanova sei ein Frauenkenner gewesen?
Immerhin hat er genug Selbstironie, um von peinlichen
Liebeskatastrophen offen zu erzählen, zum Beispiel jener, bei der er sich in Barbet, die kleine Gespielin des Grafen de la Tour d’Auvergne,
verguckt. Als der Graf ihn eines Abends in seinem Fiaker mitnimmt und das Mädchen wegen Platzmangels auf seinem Schoß zu sitzen kommt, glaubt Casanova sich am Ziel seiner Wünsche:
„In meiner Liebesglut gedachte ich die Gelegenheit auszunutzen, und ohne Zeit zu verlieren – denn der Kutscher fuhr schnell - , ergriff ich ihre Hand und gab ihr einen sanften Druck. Ich fühlte einen leisen
Gegendruck; o Glück! Ich zog sie an meine Lippen und bedeckte sie mit stummen zärtlichen Küssen. Ich war ungeduldig, sie von meiner Glut zu überzeugen, und ich glaubte, ihre Hand würde mir einen süßen Dienst nicht verweigern...aber im entscheidenden Augenblick sagte La Tour d’Auvergne zu mir: ‚Ich bin Ihnen recht dankbar für eine in Ihrem Lande übliche Höflichkeit, deren ich nicht mehr würdig zu sein glaubte;
hoffentlich ist es kein Missverständnis’. Betroffen von diesen
schrecklichen Worten streckte ich die Hand aus und fühlte – seinen Rockärmel.“
3’50
2’00
Trad., Ah vous dirai-je Maman
Claire Lefilliâtre, Le Poème Harmonique Alpha 513
Ah! Vous dirai-je, Maman – das in seiner Unschuld ausgesprochen aufreizende Liedchen kam in den 1750-er Jahren aus dem Nichts unter die Leute und war zu Casanovas Zeit in Paris schon in aller Munde.
Von der versehentlichen Fummelei in der Kutsche mit dem Grafen de La Tour d’Auvergne bleibt ihm immerhin der Graf als von da an guter
Freund, dem man auch gern schon mal ein paar Louis d’or vorschießt, weil der Edelmann notorisch pleite ist. Eines Tages macht der Gute
Casanova mit seiner Tante bekannt, einer Dame, die für die kommenden Jahre eine wichtige Rolle in Casanovas Leben spielen wird:
„Madame d’Urfé, eine schöne, wenn auch bejahrte Frau, empfing mich formvollendet mit der ganzen Ungezwungenheit des Hofes zur Zeit der Regentschaft.“
Die ach so „bejahrte“ Marquise Jeanne d’Urfé ist zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens Mitte fünfzig und eine reiche Witwe, die sich völlig dem Okkultismus verschrieben hat.
„Madame begann, mit mir über Chemie, Alchimie, Magie und alle sonstigen Gebiete zu sprechen, auf die sie versessen war. Als das
Gespräch auf das „Große Werk“ kam, sagte sie mit anmutigem Lächeln, sie besitze bereits den „Stein der Weisen“ und sei mit allen großen
Operationen vertraut...“.
Wie in Venedig der Senator Bragadin hält die schrullige Madame
Casanova für einen Eingeweihten in Sachen Alchemie. Das sogenannte
„Große Werk“ ist die Obsession ihres Lebens, und mit den beträchtlichen Reichtümern der uralten Familie ihres Gatten hat sie über die Jahre eine Menge magischen Firlefanz, von alten Manuskripten über Apparaturen bis zu wundertätigen Pülverchen angesammelt:
„Von der Bibliothek gelangten wir in ihr Laboratorium, das mich wirklich in Erstaunen setzte; sie zeigte mir einen Stoff, den sie bereits seit
fünfzehn Jahren auf dem Feuer hielt, und der noch vier oder fünf weitere Jahre darauf bleiben musste. Es war ein Streupulver, das innerhalb einer Minute die Umwandlung jedes Metalls in Gold bewirken sollte.“
Casanova jongliert auf gut Glück ein bisschen mit Zaubersprüchen, Pentagrammen und Numerologie, weil er ein schlaues Bürschchen ist, kann er immer schon erahnen, was die okkultistisch verzückte Marquise hören oder sehen will, den Rest dichtet sie sich in ihrem Wahn dazu und legt es ihm in den Mund, und am Ende des Tages glaubt sie, in
Casanova dem bedeutendsten Magier und wissendsten Adepten seiner Zeit begegnet zu sein.
„Als ich sie verließ, entführte ich ihre Seele, ihr Herz, ihren Geist und alles, was ihr an gesundem Menschenverstand noch verblieben war.“
CD Disc 1, T. 33 auf Zeit
JP Rameau, Les trois mains Marcelle Meyer
EMI 5 68094 2, LC 6646
Zu Casanovas Ehrenrettung muss man immerhin erwähnen, dass es ihm, wie er da so als alter Mann an seinen Memoiren schreibt,
wenigstens im Nachhinein leid tut, mit der armen Madame d’Urfé so ein groteskes Spiel getrieben zu haben – aber die Dame war ja sowieso nicht zu retten. Sagt er.
„Selbst wenn ich ihr in ehrlicher Offenheit gesagt hätte, dass alle ihre Ideen Hirngespinste seien, hätte sie es mir nicht geglaubt, und so zog ich es vor, mich treiben zu lassen. Mir konnte es nur angenehm sein, von einer Dame, die mit den größten Persönlichkeiten Frankreichs in
Verbindung stand und die durch ihre Wertpapiere noch reicher war als durch die 80 000 Francs Rente, die sie aus Grundbesitz und Häusern in Paris bezog, auch weiterhin für den bedeutendsten aller Rosenkreuzer und den mächtigsten aller Menschen gehalten zu werden.“
Um sich den Zugang zu all den schönen Annehmlichkeiten nicht zu verbauen, ist Casanova zu so ziemlich allem bereit und lässt sich noch nicht mal aus der Ruhe bringen, als die Dame ihm irgendwann
verkündet, ihr Genius habe ihr eingegeben, dass Casanova zwecks Bewahrung der ewigen Jugend ihre Seele in den Körper eines Knaben transferieren werde. Natürlich hat er keinen blassen Schimmer, wie so was gehen kann, aber er schleppt tatsächlich einen Teenager an, den er ihr zeigt, und vertröstet sie ansonsten immer weiter, bis sie – wohl zu ihrem Besten – irgendwann dann doch vom Glauben an ihn abfällt.
Die Sache mit der ewigen Jugend, die sich mittels irgend eines Zaubers herstellen lässt, hat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts viele beschäftigt. Pierre-Jean de Béranger, der ironische Chansondichter der Napoleon-Zeit, hat aus der auch zu seiner Zeit noch grassierenden Jugendsucht das schöne Lied „L’alchimiste“ gemacht, in dem ein Verzweifelter dem vermeintlichen Magier alle seine Reichtümer
verspricht: „Tout l’or pour toi, mais rends-moi mes beaux jours! – Alles Gold sei Dein, aber gib mir meine Jugend wieder!“
4’50
CD T. 2 3’43
Pierre-Jean de Béranger, L’Alchimiste Arnaud Marzorati, Freddy Eichelberger Alpha 131, LC fehlt
Casanova, dem man ja in Sachen Hochstapelei mittlerweile eigentlich nichts mehr vormachen kann, muss dann allerdings feststellen, dass er als Adept der Alchemie und als Fachmann für ewige Jugend der reinste Anfänger ist, als er am Tisch seiner durchgeknallten Marquise dem Grafen von Saint Germain begegnet.
Diese geheimnisvolle Gestalt ist bis heute ein Mythos, von dem esoterisch anfällige Zeitgenossen mit Tremolo in der Stimme
sprechen...Niemand weiß, wo er herkam, und das hat der angebliche Graf sich zunutze gemacht, indem er behauptete, er sei schon immer dagewesen. Oder zumindest schon viele Jahrhunderte lang – eben weil er das Geheimnis des ewigen Lebens enträtselt und sozusagen den Stein der Weisen verschluckt hatte. Nun war aber dieser seltsame Graf kein gewöhnlicher Scharlatan, denn anscheinend hatte er es nicht nötig, mit seinem Wunderwissen Geld zu machen. Jedenfalls hat er sich in Paris irrsinnig beliebt gemacht, indem er an die Damen der Gesellschaft kostenlos ein Wunderwasser verteilte, das sie angeblich in dem Zustand, in dem sie sich befanden, auf immer konservieren könne.
Zuerst aufgetaucht ist der rätselhafte Graf in den 1740-er Jahren in London, später wurde er in Wien gesehen, und ab 1756 war er dann in Paris zugange, wo er innerhalb kürzester Zeit einen sagenhaften
gesellschaftlichen Aufstieg hingelegt hat. Die Pompadour, die zur Befestigung ihres Maitressen-Status die persönliche
Vergnügungsministerin von Ludwig XV. war, ist auf den angeblich schon jahrhundertealten Grafen aufmerksam geworden und hat ihn als
Kuriosität in Versailles eingeführt. Der König war hin und weg und hat dem Zauberer im Trianon und später auch noch in Schloss Chambord an der Loire Alchemielabore eingerichtet, damit der in Ruhe forschen
konnte.
Das alles hat der Graf von Saint Germain, der sich auch gern mal Marquis de Betmar oder Graf Welldone nannte, einzig und allein durch sein anscheinend ungeheures Charisma erreicht – Casanova jedenfalls ist, wie alle anderen auch, fasziniert:
„Anstatt zu essen, redete dieser Mann von Anfang bis Ende der Mahlzeit, und ich hörte ihm mit größter Aufmerksamkeit zu, denn niemand sprach besser als er. Er hatte eine entschiedene Art zu
sprechen, die jedoch nicht missfiel, denn er war gelehrt, sprach fließend alle Sprachen, war sehr musikalisch, ein großer Kenner der Chemie, besaß angenehme Züge und verstand es, sich bei allen Frauen beliebt zu machen.“
Der Graf Saint Germain weiß natürlich, wie man sich interessant macht, er nimmt tatsächlich in der Öffentlichkeit nie auch nur einen Krümel zu sich und erzählt ausgesprochen realistisch Schnurren aus seinem
jahrhundertelangen Leben. Und ganz Paris mitsamt dem Hof draußen in Versailles hängt an seinen Lippen.
„Dieser überaus merkwürdige und zum frechsten aller Betrüger
geborene Mann behauptete ungestraft und nachlässig, er sei dreihundert Jahre alt, besitze die Universalmedizin und treibe mit der Natur, was er wolle; er schmelze Diamanten und mache aus zehn oder zwölf kleinen ohne Gewichtsverlust einen großen von vollkommener Reinheit...Trotz seiner Prahlereien, seiner Widersprüche und seiner offenkundigen Lügen brachte ich es nicht fertig, ihn unverschämt zu finden, gegen meinen Willen fand ich ihn verblüffend...“.
Casanova muss also neidlos zugeben, dass er in diesem verblüffenden Grafen seinen Meister gefunden hat. Wer der nun tatsächlich war, ist bis heute nicht geklärt, aber dass er der heimliche Spross irgend einer
bedeutenden Familie gewesen ist, ist zumindest wahrscheinlich. Die Pompadour hielt ihn für einen Bastard des Königs von Portugal, er selber behauptete gelegentlich, er sei ein heimlich in Italien erzogener Sohn des verfemten Ungarnfürsten Franz Rakoczy, dann gab es Leute, die schworen, er sei das illegitime Ergebnis einer Liaison zwischen der
letzten spanischen Habsburger-Königin Maria Anna und ihrem jüdischen Bankier.
Casanova glaubt, es besser zu wissen – der Graf von Saint Germain, meint er, sei in Wirklichkeit ein italienischer Geiger namens Catalani.
Ein begabter Musiker war der Graf in jedem Fall: In London ist er als virtuoser Geiger aufgetreten und hat auch immer wieder Kompositionen veröffentlicht. Nichts, was ihn sofort in die Charts der Musikgeschichte katapultiert hätte – aber handwerklich ordentlich gemachte Musik wie diese hier:
4’40
CD T. 3 3’40
Comte de Saint Germain, Seven Solos for Violin, Nr.IV Es-Dur, Adagio
Vom Grafen von St. Germain, dem „Mann, der niemals stirbt und alles weiß“, wie Voltaire ironisch in einem Brief an Friedrich den Großen schreibt, der den großen Geheimnistuer wiederum in seiner Antwort einen „Comte pour rire“ nennt, einen Grafen zum Lachen.
Die von der Sonne der Vernunft Beschienenen haben sich also nicht verführen lassen vom geheimnisvollen Grafen, alle anderen, inklusive Casanova, waren fasziniert, und diese Faszination hat angehalten:
Alle möglichen spiritistischen Vereinigungen berufen sich auf ihn, der Magier Cagliostro und angeblich auch der Wunderarzt Franz Anton Mesmer waren seine Schüler, noch Napoleon III. hat ein Dossier über ihn anlegen lassen, und als literarische Figur kommt er bei den
berühmtesten Autoren vor, bei Karl May und Alexandre Dumas, bei Puschkin, George Sand, Rilke und, zuletzt sehr eindrücklich, in Umberto Ecos Weltverschwörungs-Wälzer „Das Foucault’sche Pendel“.
Für Casanova ist der Graf von Saint Germain ein direkter Konkurrent, weil er auf den gleichen Feldern wildert wie unser Chevalier – der sich allerdings auch nicht über mangelnden Zuspruch beklagen kann. Ähnlich wie der Graf von Saint Germain wird auch Casanova bald von der
französischen Regierung entdeckt, die ihre politischen Ränkespiele im Ausland nie über offizielle Kanäle, sondern über geheime Missionen laufen lässt. Casanova wird zunächst mal von seinem Protektor, dem Außenminister de Bernis, als Spion nach Dünkirchen geschickt und macht seinen Job so gut, dass ihm die Regierung eine beeindruckende Gratifikation auszahlen lässt.
Später schickt man ihn für eine Finanztransaktion mit Staatsgeldern nach Amsterdam, und auch das macht er so geschickt, dass man ihm im Gegenzug die französische Staatsbürgerschaft samt Titel anbietet – was Casanova allerdings abgelehnt hat. Vielleicht, weil es seine Rastlosigkeit eingeschränkt hätte, vielleicht aber auch, weil er ja immer noch davon träumte, eines Tages wieder in seine Heimat Venedig zurückzukönnen.
2’10
CD Disc 1, T. 7 1’22
JP Rameau, Vénitienne Marcelle Meyer
EMI 5 68094 2, LC 6646
Weil er gerade so gut bei Kasse ist, eröffnet Casanova eine
Stoffmanufaktur, deren junge Arbeiterinnen er nur halb im Scherz seinen
„Harem“ nennt, und als reicher Geschäftsmann und Darling der Society kauft er sich ein Landhaus in „Petite Pologne“, einem idyllischen
Fleckchen in der Gegend des heutigen Bahnhofs Saint-Lazare, die
damals noch ländliche Vorstadt war. Dort eingeladen zu werden, ist dann bald „de rigueur“ in eleganten Kreisen. Und Casanova gibt mit
Schmackes den weltläufigen Lebemann:
„Der Aufwand, den ich in „Petite Pologne“ trieb, machte mein Landhaus berühmt. Man spach von den Tafelfreuden, die man dort genoss. In einem dunklen Zimmer ließ ich mit Reis Hühnchen mästen; sie waren weiß wie Schnee und von köstlichem Geschmack. Zu den Vorzügen der französischen Küche fügte ich noch hinzu, was alle übrigen Küchen Europas dem Feinschmecker an Gaumenkitzel bieten konnten. Meine Makkaroni al sugo, mein Reis, bald als Pilaf, bald als Risotto, und meine Olla Podrida machten von sich reden.“
Nicht bloß exquisit essen kann man beim fabelhaften Monsieur
Casanova draußen vor der Stadt, er stellt sein Haus auch für erotische Rencontres zur Verfügung, schließlich: wer sollte dafür mehr Verständnis haben als er...
„Damen von Stand und auch die Galanten kamen am Vormittag, um sich mit jungen Neulingen, die sich nicht zu reden getrauten, in meinen
Gärten zu ergehen, und ich tat, als sähe ich nichts...“.
Aber auch in dieser wohl erfolgreichsten Phase seines Lebens setzt sich bald Casanovas Hang zum Dummheiten-Machen durch.
Das Luxusleben in seinem Landhaus verschlingt Unsummen, dazu wirtschaftet er schlecht mit seinem Unternehmen, und dann gibt es da noch ein weiteres Fass ohne Boden:
„Ich gab schon für mein Haus in „Petite Pologne“ viel Geld aus, aber eine andere weit größere Ausgabe, von der niemand etwas wusste, rieb mich auf. Ich wurde auf alle meine Arbeiterinnen neugierig und fand an ihnen Geschmack, und da ich nicht die Geduld hatte, sie mir billig zu
beschaffen, ließen sie mich ihrerseits meine Neugier teuer bezahlen.
Das Beispiel der ersten genügte allen anderen, um Haus und Möbel zu beanspruchen, sobald sie merkten, dass sie mein Verlangen erweckt hatten.“
Das rüttelt dann doch ein wenig am Mythos Casanova: Er ist noch keine fünfunddreißig Jahre alt, da muss er schon zahlen für seinen Sex.
Es kommt dann, wie es kommen muss: Casanovas Unternehmen macht pleite, und seine Schulden bringen ihn mal wieder für ein paar Tage hinter Gitter. Zu allem Unglück hat sich sein Gönner, der Außenminister de Bernis, bei der Pompadour unbeliebt gemacht, so dass der König ihn aus dem Amt kickt und in ein Benediktinerkloster komplimentiert– damit hat Casanova seinen Schutz und Schirm in Paris verloren. In dieser Situation tut er das, was er am besten kann: Er flieht.
3’00
CD 2’16 Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville, Motette In exitu Israel 3. Satz
Les Arts Florissants, William Christie Erato 8180135