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Außen- / Sicherheitspolitik Der Einsatz von Kampftruppen am Boden ist ausgeschlossen

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Außen- / Sicherheitspolitik

„Der Einsatz von Kampftruppen am Boden ist ausgeschlossen“

Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt in einem "Welt am Sonntag"-Interview, warum sie den Einsatz deutscher Soldaten im Libanon für wichtig und richtig hält. Zuallererst gehe es jedoch um eine politische Lösung des Nahost-Konflikts. Militärisches Engagement könne nur eine von vielen Komponenten sein. Zugleich stellte die Kanzlerin klar, Aktionen, die mit Blick auf den Schutz unserer Soldaten nicht verantwortbar seien, werde es nicht geben.

Lesen Sie hier das Interview mit Bundeskanzlerin Angela Merkel:

Welt am Sonntag: Frau Bundeskanzlerin, wird der Einsatz im Libanon der gefährlichste in der Geschichte der Bundeswehr?

Angela Merkel: Zuallererst geht es für mich um eine politische Lösung des Nahost- Konfliktes, und militärisches Engagement kann da nur eine von vielen Komponenten sein.

Jeder Auslandseinsatz der Bundeswehr ist mit ganz eigenen Risiken und Gefahren verbunden. Aber es ist doch offensichtlich, dass die Resolution 1701 des UN- Sicherheitsrates eine politische Ausnahmestellung hat. Denn zum ersten Mal will die Weltgemeinschaft in diesem Ausmaß einen Beitrag dazu leisten, diese Krisenregion zu befrieden. Ich habe am Donnerstag mit dem libanesischen Ministerpräsidenten Fuad Siniora telefoniert. Er war glücklich, dass zum ersten Mal seit über vierzig Jahren libanesische Truppen in den Süden seines Landes ziehen können. Das ist schon ein erster Schritt auf dem Weg zu einem wirklich souveränen Libanon, den wir vor kurzem nicht für möglich gehalten haben.

Welt am Sonntag: So wichtig, dafür das Leben deutscher Soldaten zu riskieren?

Merkel: Niemand in der Bundesregierung handelt leichtfertig. Was mit Blick auf den Schutz unserer Soldaten nicht verantwortbar ist, das machen wir nicht. Wir müssen jetzt den politischen Prozess mit größter Verantwortung voranbringen und nicht bloß auf die Gefahren blicken. Es geht darum, Frieden im Nahen Osten zu schaffen, das heißt das Existenzrecht Israels zu garantieren, einen souveränen Libanon zu sichern und den Konflikt Israel/Palästina im Sinne einer Zweistaaten-Lösung zu überwinden.

Welt am Sonntag: Auch um den Preis, Zinksärge mit toten deutschen Soldaten entgegennehmen zu müssen?

Merkel: Wir schicken unsere Soldaten nicht in ungewisse Abenteuer. Deutschland hat bei all seinen Auslandseinsätzen sehr verantwortlich gehandelt. Das wird auch dieses Mal so sein.

Welt am Sonntag: Wie wollen Sie das sicherstellen?

Merkel: Wir sind bekannt dafür, dass wir unsere Soldaten bestmöglich absichern, dass die medizinische Versorgung hervorragend ist. Trotz all dem haben wir leider auch erleben müssen, dass deutsche Soldaten - oft durch Unfälle - ums Leben gekommen sind, in Bosnien, in Afghanistan. Aber nicht kalkulierbare Risiken darf es nicht geben. Wir dürfen nicht in eine Lage kommen, in der wir sagen: Hätten wir das gewusst, hätten wir anders entschieden.

Welt am Sonntag: Wenn wir nun davon ausgehen, dass Deutschland Schiffe und Polizeitruppen stellt…

Merkel: Deutsche Polizeitruppen wird es nicht geben.

Welt am Sonntag: Es gibt keine Absicherung der Grenze durch deutsche Polizisten?

Merkel: Für jeden Schritt, den wir als Deutsche dort gehen, müssen drei Bedingungen erfüllt sein: 1. Die Einsatzbedingungen müssen stimmen. 2. Der Libanon muss zustimmen. 3. Der Deutsche Bundestag muss zustimmen. Der Libanon ist einverstanden, dass die seeseitige Absicherung der libanesischen Küste durch UN-Truppen erfolgen soll. Was die Sicherung der Landgrenzen und der Flughäfen anbelangt, ist das Land daran interessiert, dass wir die

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libanesischen Sicherheitskräfte, also Polizei und Zoll, beraten und ertüchtigen. Die Grenzen sollen aber von libanesischen Soldaten oder Polizisten gesichert werden.

Welt am Sonntag: Schaut man auf die Angebote der internationalen Gemeinschaft, würde die Seeseite bestens überwacht sein, die gefährliche Landgrenze aber unbewacht sein.

Merkel: Das kann man nicht sagen. Gegenwärtig gibt es eine israelische Seeblockade, um den Waffenschmuggel zu unterbinden. Die Aufhebung dieser Seeblockade ist eine der ganz wesentlichen Aufgaben. Durch die Seeblockade stockt die humanitäre Hilfe und kann die Ölpest im Mittelmeer nicht bekämpft werden.

Welt am Sonntag: Wird Israel dann die Seeblockade aufheben?

Merkel: Israel wird diese Blockade dann aufheben, wenn es weiß, dass es eine Kraft gibt, die Verletzungen des Waffenembargos unterbindet. Die Sicherheitsresolution verlangt, den Schmuggel von Waffen zu verhindern. Wir sind bereit, mit einem kompakten Marineverband die Seeraumüberwachung der libanesischen Küste sicherzustellen. Natürlich müssen noch die Regeln des Einsatzes geklärt werden.

Welt am Sonntag: Und was geschieht am Boden?

Merkel: Sicherlich müssen die Bodenkräfte der schon im Libanon stationierten Uno-Truppe Unifil verstärkt werden. Und Sie haben recht: Auf der Truppensteller-Konferenz am Donnerstag wiesen die Angebote in diesem Bereich noch erhebliche Lücken auf. Mit einer reinen seeseitigen Absicherung ist es nicht getan.

Welt am Sonntag: Müssen die Europäer stärker ran?

Merkel: Ich hoffe, dass der europäische Beitrag noch steigen wird. Wir würden es zum Beispiel begrüßen, wenn ein Land wie Italien sich substanziell beteiligt. Ich stehe in Kontakt mit meinen europäischen Kollegen. Wir arbeiten eng zusammen.

„Ich habe klar gesagt, dass der Einsatz von Kampftruppen am Boden für uns ausgeschlossen ist“

Welt am Sonntag: Heißt das denn, dass keine deutschen Soldaten das Land betreten werden?

Merkel: Ich habe klar gesagt, dass der Einsatz von Kampftruppen am Boden für uns ausgeschlossen ist. Das hat auch historische Gründe. Wir haben jetzt erst einmal die seeseitige Sicherung der libanesischen Grenze sowie Unterstützung für Zoll und Polizei angeboten. Ich kann aber nicht für alle Ewigkeit ausschließen, dass wir um logistische Leistungen, um Lufttransporte, um Aufklärung und dazu notwendige Hilfsmaßnahmen gebeten werden. Aber das steht jetzt nicht an. Im Übrigen hat UN-Generalsekretär Kofi Annan sich mir gegenüber sehr anerkennend über den möglichen deutschen Beitrag geäußert, den er für sehr hilfreich hält.

Welt am Sonntag: Wenn man wirklich Erfolg haben will, dann muss ein Teil der Uno-Truppe Unifil eine Kampftruppe sein.

Merkel: Unifil hat bisher ein sehr hilfloses Mandat gehabt. Keine Regierung wird bereit sein, unnötige Risiken für die eigenen Truppen hinzunehmen. Wichtig ist auch: Wie sieht der Libanon die Rolle der Unifil? Das muss noch geklärt werden.

Welt am Sonntag: Aber Kampfhandlungen lassen sich doch nicht ausschließen?

Merkel: Die Unifil hat zwar nicht den Auftrag, die Hisbollah zu entwaffnen, aber freilich kann es zu Kampfhandlungen kommen. Deshalb muss definiert werden, was geschieht, wenn Soldaten in solche Kämpfe geraten. Diese Regeln müssen noch erarbeitet werden. Die internationale Gemeinschaft hat sich mit der Resolution 1701 verpflichtet, diesen Prozess mitzugestalten und eine Lösung zu erreichen.

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Welt am Sonntag: So erfolgreich wie die nicht realisierte Resolution 1559, die schon im September 2004 die Entwaffnung der Hisbollah vorsah?

Merkel: In der Tat wurde diese Resolution und auch die Resolution 1680 nicht ausreichend umgesetzt. Das darf nicht wieder passieren, weil der politische Schaden immens sein würde.

Welt am Sonntag: Muss die Hisbollah entwaffnet werden?

Merkel: In der Resolution spielt die Entwaffnung der Hisbollah eine Rolle und wird der libanesischen Regierung als Aufgabe zugeordnet. Die internationale Gemeinschaft wird alles tun, damit sie diese Aufgabe auch lösen können wird.

Welt am Sonntag: Wer soll daran beteiligt sein?

Merkel: Alle regionalen Mitspieler, also auch Syrien, selbst wenn die Bedingungen dafür nach der völlig inakzeptablen Rede Präsident Assads schlecht sind. Dazu gehört auch, dass wir den Atomstreit mit dem Iran nicht aus den Augen verlieren dürfen. Schließlich gehört dazu die Lösung des Palästinenserkonflikts.

Welt am Sonntag: Wo sehen Sie die politische Perspektive für den Libanon in - sagen wir - zwei, drei Jahren?

Merkel: Die Regierung des Libanon muss die volle Souveränität über sein gesamtes Staatsgebiet ausüben können. Es muss ein Gewaltmonopol des Staates in allen Bereichen des Landes geben. In einem nächsten Schritt müssten sämtliche territorialen Streitigkeiten gelöst werden. Ein Stichwort sind die Schebaa-Farmen…

Welt am Sonntag: … die von Israel besetzt sind.

Merkel: Es müssen kurzum die schwärenden Wunden geheilt werden. Ich hoffe, dass der Libanon als multireligiöser und multiethnischer Staat ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen hinbekommt.

Welt am Sonntag: Soll die Hisbollah in eine politische Partei verwandelt werden?

Merkel: Die Hisbollah muss dazu gebracht werden, das Gewaltmonopol der libanesischen Regierung zu akzeptieren und das Existenzrecht Israels unmissverständlich anzuerkennen.

Welt am Sonntag: Sie haben den libanesischen Ministerpräsidenten erwähnt. Der libanesische Staatspräsident Lahoud hält die Hisbollah für die erfolgreichste arabische Armee. Wie bewerten Sie diese Aussage?

Merkel: Natürlich gibt es innerhalb Libanons verschiedene Gruppen und verschiedene Meinungen. Für mich sind die Aussagen meines Amtskollegen, des libanesischen Ministerpräsidenten Siniora, relevant, der die Exekutive im Libanon repräsentiert.

Welt am Sonntag: Sie haben die Geschichte als Begründung dafür genannt, keine deutschen Soldaten an die israelische Grenze zu schicken. Was heißt das konkret?

Merkel: Der Waffenstillstand hält zwar, ist aber fragil. Kampfhandlungen sind also nicht auszuschließen. Ich will aber nicht, dass deutsche Soldaten in Kampfhandlungen am Boden verwickelt werden könnten. Als Deutsche haben wir auch und vielleicht gerade in dieser Region eine Verantwortung zu tragen. Diese Verantwortung nehmen wir wahr, indem wir konkrete Hilfe anbieten, aber auch sagen, auf welchen Feldern wir uns zurückhalten wollen und werden.

„Wir können uns nicht heraushalten, weil wir eine historische Verantwortung gegenüber Israel haben“

Welt am Sonntag: Obwohl der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert Sie persönlich um deutsche Soldaten auch an der Grenze gebeten hat? Und die israelische Öffentlichkeit dafür Sympathie hat?

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Merkel: Ja, und während ich das sage, weiß ich, dass die Aussagen von Ehud Olmert ein bemerkenswerter Vertrauensbeweis waren. Sie haben gezeigt, welche Wertschätzung wir Deutschen in Israel erfahren. Ich habe mich über dieses Vertrauen in Deutschland gefreut.

Wir als Regierung wissen: Wir können uns nicht heraushalten, weil wir eine historische Verantwortung gegenüber Israel haben. Das Existenzrecht Israels gehört zur deutschen Staatsräson. Und deshalb leisten wir einen konkreten Beitrag zur Umsetzung der Resolution 1701.

Welt am Sonntag: Nehmen wir einmal an, es kommt zu Kämpfen auf See: Wird Deutschland dann nicht in den Nahost-Konflikt und den Kampf gegen den islamistischen Terror hineingezogen?

Merkel: Wir gehören doch jetzt schon zu den Ländern, die im Einsatz gegen den Terrorismus stehen. Wir sind in Afghanistan engagiert. Angst ist kein guter Ratgeber, wohl aber Verantwortungsbewusstsein gegenüber unseren Soldaten. Deshalb lege ich so viel Wert auf genaue Einsatzregeln. Unkalkulierbare Risiken darf es nicht geben. Aber wir dürfen und wollen vor dem Terrorismus nicht kapitulieren.

Welt am Sonntag: Wie lange soll der Einsatz im Nahen Osten dauern?

Merkel: Im Moment kann man das nicht abschließend sagen. Die Mission ist zunächst auf ein Jahr angelegt. Sie läuft darauf hinaus, den Libanon durch gezielte Hilfe in die Lage zu versetzen, sein Staatsgebiet selbst zu schützen. Die Dauer hängt an der Frage, wie erfolgreich der politische Prozess wird. Die Bundesregierung fühlt sich dafür verantwortlich, dass mit dem Uno-Einsatz ein Impuls für den gesamten Nahost-Friedensprozess verbunden ist.

Welt am Sonntag: Wie soll das geschehen?

Merkel: Das heißt für mich, zuallererst Israel/Palästina in den Blick zu nehmen. Wenn der Friedensplan der Roadmap gelingen und es zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommen könnte, wäre ein erhebliches Aggressionspotenzial in der Region verschwunden.

Welt am Sonntag: Ist das Verhalten Israels schuld an der gesamten Lage im Nahen Osten?

Merkel: Nein, aber fälschlicherweise wird der Konflikt immer wieder als Legitimierung von anderen Kräften benutzt, um Gewalt anzuwenden.

Welt am Sonntag: Sicherheitsexperten argumentieren, es handele sich um einen Stellvertreterkrieg oder um den ersten iranisch-israelischen Krieg. Was heißt das für die Unifil im Allgemeinen, für die Bundeswehr im Besonderen?

Merkel: Das finde ich sehr verkürzt. Es ist unbestritten, dass der Iran und in seinem Schlepptau auch Syrien offen das Ende der Existenz Israels fordern. Wir sehen, dass der Iran erhebliche Anstrengungen unternimmt, seinen Einfluss in der Region zu vergrößern. Die iranischen Waffenlieferungen an die Hisbollah haben eine neue Qualität in die Bedrohung Israels gebracht.

Welt am Sonntag: Wie soll die Weltgemeinschaft mit dem Iran umgehen?

Merkel: Das ist eine der zentralen Fragen, die mit der Befriedung der Region zu tun haben.

Deshalb hängt die Frage des Nuklearkonfliktes eng mit der Lösung des gegenwärtigen Konfliktes zusammen. Am 22. August will Teheran eine Antwort auf das Angebot des Westens geben. Wir alle hoffen auf eine positive Antwort des Iran. Sie wäre auch für die iranische Bevölkerung von allergrößtem Nutzen. Die Signale sind bisher extrem diffus. Die Weltgemeinschaft aber erwartet eine klare Antwort.

Welt am Sonntag: Was geschieht, wenn die Antwort negativ ausfällt und wir in eine schwere Konfrontation mit dem Iran gehen?

Merkel: Ich bewerte die Antwort dann, wenn sie vorliegt. Unsere Absicht ist es, den Konflikt mit dem Iran diplomatisch zu lösen. Die Uno hat dazu ein breites Instrumentarium.

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Welt am Sonntag: Würden Sie sich mit Blick auf den Iran das im Umlauf befindliche Wort vom "Islamo-Faschismus" zu eigen machen?

Merkel: Das ist nicht meine Sprache. Ich glaube, der Terrorismus ist die große Herausforderung dieses neuen Jahrhunderts. Wir haben es mit einer asymmetrischen Kriegsführung von Gruppen zu tun, die eine Eigenschaft haben, die wir aus den Zeiten des Kalten Krieges nicht kennen: Sie haben keine Angst vor der eigenen Vernichtung. Das stellt die freiheitlich-demokratische Gesellschaft, in der das Leben und die Würde der einzelnen Person einen ganz anderen Stellenwert hat, vor eine völlig neue Herausforderung.

Welt am Sonntag: Warum haben Sie den Brief aus Teheran nicht veröffentlicht, den der iranische Präsident Ahmadinedschad an Sie geschrieben hat?

Merkel: Er war in keiner Weise für die Lösung des Atom-Konfliktes relevant. Die Schmähungen, die auf die Leugnung des Holocausts und die Vernichtung Israels zielen, muss man nicht unter das Volk bringen.

Welt am Sonntag: Was haben Sie damit gemacht?

Merkel: Wir haben ihn in der außenpolitischen Abteilung des Bundeskanzleramtes zu den Akten genommen.

„Nie wieder Krieg und Menschenverachtung ist die Erfahrung, aus der wir heraus Politik machen“

Welt am Sonntag: Die Islamisten spotten, der Westen sei zu weich, eigene Opfer in dieser globalen Auseinandersetzung in Kauf zu nehmen. Haben sie recht?

Merkel: Zu der Grunderfahrung Europas im 20. Jahrhundert gehört, dass alles getan werden muss, um Kriege zu vermeiden, weil sie unendlich viel Leid bringen. Denken Sie an den Ersten Weltkrieg mit seinen Millionen von Toten, an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Der Gründungsimpuls des vereinten Europa nach 1945 war eindeutig: So darf es nicht mehr weitergehen. Und so ist es zum Glück in Europa nicht mehr weitergegangen. Nie wieder Krieg und Menschenverachtung ist die Erfahrung, aus der wir heraus Politik machen.

Und für diese Politik zu werben, das ist unsere Aufgabe.

Welt am Sonntag: Wie erfolgreich ist der Westen mit dieser Werbung?

Merkel: Der Westen muss mit einer großen inneren Überzeugung für seine Werte der Demokratie und Freiheit kämpfen, die wir uns unter großen Anstrengungen erarbeitet haben.

Wir werden mit Leidenschaft für unsere Werte eintreten. An dieser Leidenschaft wird sich bemessen, ob wir Eindruck machen.

Welt am Sonntag: Und, machen wir damit Eindruck?

Merkel: Mir ist sehr wichtig, dass der Westen gemeinsam auftritt. Aus diesem Grund habe ich sehr dafür geworben, dass gegenüber dem Iran gemeinsam ein überzeugendes Angebot gemacht wird. Ich glaube, dass die Uno ein Ort für solche Verhandlungen sein muss, auch wenn es mühselig ist. Die Politik des Irans versucht, die Legitimität der Uno zu untergraben.

Welt am Sonntag: Wie wollen Sie die Bevölkerung auf diesem Weg mitnehmen? Die Mehrheit ist gegen ein deutsches Engagement im Libanon.

Merkel: Wir haben uns als Bundesregierung entschlossen, auf die gesellschaftlichen Gruppen zuzugehen, auf die Gewerkschaften, auf die Kirchen, auf Arbeitgeber. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Grundkonsens, denn nur so können wir die Leidenschaft wecken, von der ich eben sprach. Aber: Wir wissen auch, dass viele fundamentale Entscheidungen der Bundesrepublik gefällt wurden, ohne dass die Mehrheit der Bevölkerung zunächst dafür war. Denken Sie an die Westbindung und die Wiederbewaffnung. Deshalb müssen Politiker aus innerer Überzeugung auch Richtungen vorgeben.

Welt am Sonntag: Und eine dieser Überzeugungen ist das Existenzrecht Israels?

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Merkel: Ich bin überzeugt, dass unsere besondere Verantwortung gegenüber Israel eine Rolle bei der breiten Meinungsbildung in Deutschland spielt. Außerdem ist jedem bewusst, dass die Region in der Nachbarschaft liegt und ihre Probleme auch uns konkret berühren können. Dabei erwarten die Menschen natürlich, dass unsere Missionen erfolgreich sind.

Welt am Sonntag: Braucht die Bundeswehr bei allen diesen Einsätzen mehr Geld?

Merkel: Ein zusätzlicher Einsatz wie der im Libanon kann natürlich zusätzliche Mittel erfordern. Das wird bei den Haushaltsberatungen 2007 eine Rolle spielen.

Welt am Sonntag: Ist die Bundeswehr schon für das 21. Jahrhundert gerüstet?

Merkel: Der Umbau der Bundeswehr ist ein langfristiger Prozess. Deutschland gehört zu den Staaten, die prozentual relativ wenig für die Verteidigung ausgeben. Auch darüber wird zu reden sein. Wenn wir wieder bessere wirtschaftliche Bedingungen haben, darf niemand denken: Der Verteidigungshaushalt wird weiter schrumpfen.

Welt am Sonntag: Bisher hörte man aus der Bundeswehr immer die Klage, dass sie an die Grenze der Belastbarkeit gekommen ist. Jetzt erklären einige ihrer Repräsentanten ihre Aufgeschlossenheit gegenüber dem Einsatz im Libanon.

Merkel: Es ist richtig, dass die Bundeswehr an einigen Stellen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gelangt ist, etwa was Sanitätsleistungen oder Hubschraubereinsätze angeht.

An anderen Stellen hat sie durchaus noch Reserven. Ich glaube nicht, dass wir irgendein Engagement beliebiger Größe ausfüllen können. Doch die Wichtigkeit dieses Einsatzes ist so evident, dass die Bundeswehr sich auch von allein dazu bereit erklärt hat. Das zeigt ihr Verantwortungsbewusstsein.

Welt am Sonntag: Warum spielt bei dem kommenden Einsatz nicht die Nato eine Rolle? Sie hat doch die Kampf-Erfahrung.

Merkel: Jede Mission muss auf Akzeptanz in der Region stoßen. Eine Nato-Mission würde in der Region nicht von allen Beteiligten akzeptiert werden.

Welt am Sonntag: Sie müssen nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Abgeordneten überzeugen. Wie optimistisch sind Sie?

Merkel: Wir haben am Donnerstag eine Unterrichtung der Bundesfraktionen gehabt, die von hoher Verantwortungsbereitschaft getragen war. Ich glaube, dass wir in einem intensiven Dialog mit den Abgeordneten eine Chance auf Zustimmung haben, wenn die jeweiligen Bedingungen stimmen. Es gibt zwei Fraktionen, die ausgeschlossen haben, dass sie einem deutschen Beitrag zustimmen werden.

Welt am Sonntag: ... die FDP und die Linkspartei…

Merkel: Das ist eine Festlegung, die man nur noch zur Kenntnis nehmen kann. Ich halte sie für falsch. Die anderen Fraktionen sind in einem intensiven Dialog.

Welt am Sonntag: Haben Sie zu spät in die Diskussion eingegriffen? War es ein Fehler, am Mittwoch in Bayreuth noch die "Götterdämmerung" zu hören?

Merkel: Nein. Die Parlamentsunterrichtung ist zum richtigen Zeitpunkt erfolgt, nämlich kurz vor der Truppensteller-Konferenz. Wir haben zugesagt, dass wir das Parlament weiter unterrichten. Alle Entscheidungen in dieser Einsatzfrage stehen unter Parlamentsvorbehalt.

Danach richten wir uns.

Welt am Sonntag: Wann rechnen Sie mit der großen Plenumsaussprache?

Merkel: Wenn es ein Mandat mit definitiven Einsatzregeln gibt, wird die Regierung schnell entscheiden, und dann wird es auch schnell eine Bundestagssitzung geben.

Welt am Sonntag: Wann beginnt die Mission?

Merkel: Wenn es nach dem Libanon geht, dann hätte sie gestern beginnen sollen. Sicher wird sie stufenweise beginnen. Wir haben uns jetzt entschieden, sofort humanitäre Hilfe zu

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leisten. Was die Wasserversorgung, das Technische Hilfswerk oder Hilfe bei der Ausbildung von Polizei und Zoll anbelangt, so werden wir sehr schnell handeln können - ohne militärische Komponente. Ein Erkundungsteam mit deutschen Experten ist gerade im Libanon, um festzustellen welchen Bedarf es eigentlich gibt.

Mit der CDU-Vorsitzenden, Bundeskanzlerin Angela Merkel, sprachen Margaret Heckel, Christoph Keese und Jacques Schuster. In: Welt am Sonntag vom 20.08.2006.

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