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Kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes

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VG München, Urteil v. 29.05.2017 – M 17 K 17.31335 Titel:

Kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes Normenkette:

AsylG § 4 Leitsatz:

Die allgemeine Gefahrenlage in Afghanistan ist nicht geeignet, einen Ausländer als subsidiär Schutzberechtigten anzuerkennen, da eine einzelfallbezogene, individuelle und erhebliche Gefährdungssituation notwendig ist. (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Asylrecht, Herkunftsland: Afghanistan, Konfessionslos, Psychische Erkrankung, Abschiebung, Abschiebungsverbot

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand 1

Der Kläger ist Staatsangehöriger Afghanistans, Zugehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und nach eigenen Angaben konfessionslos. Er reiste im Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 25. August 2016 Asylantrag.

2

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … November 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, dass vor ca. fünf Jahren sein Vater, seine drei Schwestern und ein Bruder durch ein Attentat getötet worden sein, wodurch durch seine Mutter psychisch krank geworden sei.

Die Mutter habe ihn nicht mehr aus dem Haus lassen wollen, da sie Angst gehabt habe, dass er sie alleine lasse. Ein Neurologe habe ihr Medikamente verschrieben, manchmal habe er jedoch kein Geld gehabt, sodass er die Medikamente nicht habe kaufen können. In dieser Zeit sei ihre Krankheit immer schlimmer geworden und eines Tages habe sie gesagt, dass sie das Haus verkaufen und Afghanistan verlassen sollten. An der Grenze zum Iran habe er seine Mutter verloren. Er habe niemanden mehr in Afghanistan, sein dortiges Leben sei kaputt. Er sei nicht in ärztlicher Behandlung, nehme aber Schlaftabletten, ohne die er nicht schlafen könne.

3

Mit Bescheid vom 11. Januar 2017, zugestellt am 17. Januar 2017, erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die

Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).

4

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als

(2)

Familienangehörigen vor fünf Jahren bei einem Selbstmordattentat an einer Taxihaltestelle getötet worden seien. Sie seien somit Zufallsopfer des Anschlags gewesen. Aus dem Sachvortrag sei wieder eine

flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes

Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Aus dem Vorbringen des Klägers sei nicht ersichtlich, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Todesstrafe oder ein ernsthafter Schaden durch Folter, unmenschliche und/oder erniedrigende Behandlung drohe. Für keine der afghanischen Provinzen könne generell ein Gefährdungsgrad für Zivilpersonen angenommen werden, der die Feststellung einer erheblichen individuellen Gefahr allein aufgrund einer Rückkehr in das Herkunftsgebiet und Anwesenheit dort rechtfertige. Der Kläger komme aus …, wo kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt bestehe, der das Ausmaß für eine generelle Schutzgewährung erreiche. Das Selbstmordattentat, auf der sich der Kläger beziehe, liege nach seiner Aussage fünf Jahre zurück und stehe somit nicht in unmittelbarem

Zusammenhang mit seiner Flucht. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen

humanitären Bedingungen in Afghanistan führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Individuelle gefahrerhöhende Umstände lägen nicht vor. Es sei zu berücksichtigen, dass es dem Kläger nach eigenen Angaben auch vor der Ausreise während mehrerer Jahre gelungen sei, sich sein Auskommen zu sichern. Er gebe zudem an, dass er zwar keine Familie in Afghanistan habe, der Schleuser sich aber seine Bezahlung nicht vollständig in der Geldwechselstube abgeholt habe und sich dort somit immer noch 11.000,- $ befinden würden. Da er außerdem berichtet habe, dass er für das Haus 17.000,- $ bekommen habe, müsste er über 15.000,- $ verfügen. Er habe nach eigenen Angaben in Afghanistan gearbeitet, indem er Wasserrohre verlegt habe, beherrsche also ein Handwerk. Somit sei davon auszugehen, dass es dem Kläger gelingen werde, sich in Afghanistan eine Lebensgrundlage oberhalb des Existenzminimums zu schaffen. Dem Kläger drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben.

5

Hiergegen erhoben die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 24. Januar 2017, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am 26. Januar 2017, Klage und beantragten,

1. den Bescheid vom 11. Januar 2017 in Ziffern 1 und 3 bis 6 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

3. hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

4. hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, beim Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG als vorliegend festzustellen.

6

Zur Begründung wurde auf die Angaben des Klägers in seinem Asylverfahren Bezug genommen. Darüber hinaus werde auf die Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Afghanistan seit April 2016 verwiesen. Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt habe sich weiter ausgebreitet und die

Menschenrechtsverstöße sowie die Zahl der zivilen Opfer weiter zugenommen. Die Zahl der Binnenvertriebenen sei ebenfalls stark angestiegen und betrage nunmehr insgesamt über 1,7 Mio.

Menschen. Hinzu kämen die Hunderttausende vertriebener Flüchtlinge aus Pakistan und dem Iran, die die Lebenssituation für die in Afghanistan Lebenden verschlechtert hätten. Auf die Stellungnahme des UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern vom Dezember 2016 werde verwiesen.

7

Die Beklagte stellte keinen Antrag.

8

In der mündlichen Verhandlung stellte der Klägerbevollmächtigte die Anträge aus dem Schriftsatz vom 24.

Januar 2017 mit der Maßgabe, dass der Antrag unter Nr. 2 nicht gestellt wird. Zudem wurde ein Rezept vom

… Mai 2017 übergeben, wonach dem Kläger eine halbe Tablette Mirtazapin abends verordnet wurde.

9

(3)

Am … Mai 2017 übergab der Prozessbevollmächtigte zudem ein Attest von Dr. med. …, Fachärztin für Allgemeinmedizin, … … … Mai 2017, wonach der Kläger Mirtazapin 15 mg und Sedariston Kps. nehme.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19. Mai 2017 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Entscheidungsgründe 11

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 19. Mai 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagtenseite nicht erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur

mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).

12

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).

1. Die Beklagte hat zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG abgelehnt.

13

1.1 Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,

2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder

3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

14

1.2 Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Kläger in Afghanistan die Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Bestrafung droht.

15

a) Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen. Kriterien hierfür sind etwa die Art der Behandlung oder Bestrafung und der Zusammenhang, in dem sie erfolgt, die Art und Weise der Vollstreckung, ihre zeitliche Dauer, ihre physischen und geistigen Wirkungen sowie gegebenenfalls Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind darunter Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BA, U.v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/1 - juris Rn. 16; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylG Rn. 21-27 m.w.N.).

16

Der Ausländer hat stichhaltige Gründe für die Annahme darzulegen, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Der Maßstab der stichhaltigen Gründe entspricht dabei dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, wobei das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, müssen die für die Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht haben und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe der befürchteten Ereignisse

(4)

BW, U.v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 17 m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, § 4 AsylG Rn. 61 ff.

m.w.N.).

17

b) Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes sind vorliegend nicht erfüllt.

18

Der Kläger hat primär angegeben, dass sein Vater und seine Geschwister bei einem Attentat ums Leben gekommen seien. Da dieses Attentat aber vor über fünf Jahren stattfand und nicht die Familie des Klägers zum Ziel hatte, kann insoweit nicht von der Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 AsylG ausgegangen werden.

19

Sofern der Kläger geltend macht, dass er konfessionslos und deswegen gefährdet sei, insbesondere weil ein Mujaheddinführer, der streng gläubig sei, für die Regierung arbeite, kann dies zu keiner anderen Beurteilung führen. Zum einen ist das Vorbringen des Klägers insoweit widersprüchlich, als er einerseits ausführte, seit dem Tod seiner Familie keine Religion mehr zu wollen, andererseits aber angab, dass er überlege, eventuell zum Christentum zu konvertieren. Zum anderen ist auch nicht ersichtlich, warum ihn der Mujaheddinführer suchen und verfolgen sollte, nur weil der Kläger kein praktizierender Moslem ist. Zudem ist davon auszugehen und für den Kläger auch zumutbar, dass er sich in einer Großstadt, insbesondere in

… oder …, niederlassen wird. Es ist aber nicht erkennbar, wie ihn der Mujaheddinführer z.B. in der Millionenstadt … finden könnte, zumal in Afghanistan keine Meldepflicht besteht (vgl.

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan der Bundesrepublik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Stand 19.12.2016, S. 188; BayVGH, U.v. 20.1.2012 - 13a B 11.30427 - juris Rn. 28; VG Würzburg, U.v. 15.6.2016 - W 2 K 15.30769 - juris Rn. 25; VG Köln, U.v. 6.6.2014 - 14 K 6276/13.A - juris Rn. 42). Die Gefahr, dass der Kläger aufgespürt werden könnte, ist daher nicht beachtlich wahrscheinlich ist.

20

2.3 Auch eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG kann nicht angenommen werden:

21

a) Die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende - und damit allgemeine - Gefahr muss sich in der Person des Klägers so verdichtet haben, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt. Bezugspunkt für die Beurteilung der Bedrohung ist der tatsächliche Zielort des Ausländers, d.h. im vorliegenden Fall Jalalabad. Es ist dem Kläger aber auch zuzumuten, sich in … oder … niederzulassen (s.o. 1.2 b). Eine Individualisierung der Gefahr kann sich bei einem hohen Niveau

willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben, wie etwa berufsbedingter Nähe zu einer Gefahrenquelle oder einer bestimmten religiösen Zugehörigkeit (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 - juris Rn. 18). Derartige Umstände liegen in der Person des Klägers jedoch nicht vor, insbesondere ist er nicht zum Christentum konvertiert.

22

b) Beim Fehlen individueller gefahrerhöhender Umstände kann eine Individualisierung nur ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, was ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt voraussetzt (BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 - juris Rn. 19).

23

In … besteht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine existenzielle Gefährdung, insbesondere die Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben:

24

In der Zentralregion Afghanistans, zu der auch … gehört, wurden laut UNAMA

(www.unama.unmissions.org; Afghanistan - protection of civilians in armed conflict, annual report 2016) im Jahr 2016 2.348 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von insgesamt ca.

6,5 Millionen (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 - 3 A 140/16 - juris Rn. 32), ergibt sich ein Risiko von

(5)

1:2.768, verletzt oder getötet zu werden. Selbst bei einer Verdreifachung der UNAMA-Zahlen aufgrund einer hohen Dunkelziffer ergebe sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:922, was keine erhebliche individuelle Gefahr darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - Rn. 22).

25

Dem Kläger wäre es aber z.B. auch zumutbar, sich in … niederzulassen. In der westlichen Region, in der … liegt, gab es 836 Opfer. Bei einer Einwohnerzahl von ca. 3,5 Millionen ergibt sich ein Risiko von nur ca.

1:4.187 bzw. - bei Berücksichtigung der Dunkelziffer - von 1:1.396 (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 - 3 A 140/16 - juris Rn. 35 ff.).

26

Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Vierteljahresbericht von UNAMA vom 25.

April 2017. Danach wurden zwischen 1. Januar 2017 und 31. März 2017 2.181 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Hochgerechnet auf das Jahr ergäben sich damit 8.724 Opfer, so dass sich - bezogen auf die Bevölkerungszahl Afghanistans von ca. 33,3 Millionen (vgl. www.wikipedia.org) - ein Risiko von 1:3.817 bzw. 1:1.272 errechnet.

27

Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar entschieden, dass es neben der quantitativen Ermittlung des Risikos, in der Rückkehrprovinz verletzt oder getötet zu werden, auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung bedarf. Ist allerdings die Höhe des quantitativ festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens - wie hier - weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, vermöge sich das Unterbleiben einer wertenden Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht auszuwirken. Zudem sei die wertende Gesamtbetrachtung erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung der

Gefahrendichte möglich (U.v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - juris Rn. 24; 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 23;

27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 33).

28

Nach alledem ist es auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände in … und … nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden.

Zumindest für alleinstehende männliche Staatsangehörige besteht in Afghanistan keine extreme Gefahrenlage (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2017 - 13a ZB 16.30374 - juris Rn. 11).

29

c) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den aktuellen Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern vom Dezember 2016.

30

Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan deutlich verschlechtert habe. Es werde keine Unterscheidung von „sicheren“ und „unsicheren“ Gebieten vorgenommen, sondern die Bedrohung unter Einbeziehung sämtlicher individueller Aspekte des Einzelfalls bewertet. UNHCR ist der Auffassung, dass das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen sei. Es müsse ein starkes soziales Netzwerk im Gebiet der Neuansiedlung geben. Die

Wohnraumsituation sowie der Dienstleistungsbereich seien in … aufgrund der andauernden Primär- und Sekundärfluchtbewegungen extrem angespannt und auch in … halte sich eine große Zahl von

Binnenvertriebenen auf.

31

Abgesehen davon, dass auch bei der vom UNHCR geforderten Einbeziehung der individuellen Aspekte des Klägers nicht von einer Gefahr, aufgrund eines innerstaatlichen Konflikts getötet oder verletzt zu werden, auszugehen ist (s.o. a, b), beruht die Bewertung in den genannten Anmerkungen auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben, die sich nicht mit den oben (s. a, b) dargelegten Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an einen bewaffneten Konflikt und eine erhebliche individuelle Gefährdung decken. Konkrete bzw. neuere Zahlen oder Ausgangsdaten, die die bisherige Einschätzung des

Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das Gericht anschließt, in Frage stellen könnten, werden nicht genannt (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 - 13a ZB 17.30294 - juris Rn. 6 f.; B.v. 4.4.2017 - 13a ZB 17.30231 - juris Rn. 12; B.v. 28.3.2017 - 13a ZB 17.30212 - juris Rn. 5; B.v. 25.1.2017 - 13a ZB 16.30374 -

(6)

juris Rn. 11; B.v. 20.1.2017 - 13a ZB 16.30996 - juris Rn. 9; VG Augsburg, U.v.19.12.2016 - Au 5 K 16.

31939 - juris Rn. 42).

32

Basierend auf den oben dargelegten Zahlen ist auch bei einer Gesamtbetrachtung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem Kläger, bei dem keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen, ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG droht.

33

d) Schließlich kann auch der Umstand, dass einige Bundesländer hinsichtlich Afghanistans einen Abschiebestopp beschlossen haben, nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes führen. Denn diese Entscheidungen basieren auf politischen Erwägungen (BayVGH, B.v. 6.4.2017 - 13a ZB 17.30254 - juris Rn. 9).

34

3. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen nicht vor.

35

3.1 § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (vgl. z.B. VG Lüneburg, U.v.

6.2.2017, 3 A 140/16 - juris Rn. 53 m.w.N.). Ein Abschiebungsverbot infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt nur in Fällen ganz extremer Gewalt in Betracht und auch schlechte

humanitäre Bedingungen können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen. In Afghanistan ist die allgemeine bzw. humanitäre Lage aber nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde (vgl.

BayVGH, B.v. 11.4.2017 - 13a ZB 17.30294 - juris Rn. 5; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 - 3 A 140/16 - juris Rn. 55 ff.).

36

Arbeitsfähige, gesunde junge Männer - wie der Kläger - sind auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, so dass für alleinstehende männliche Staatsangehörige keine extreme Gefahrenlage besteht (BayVGH, B.v.

25.1.2017 - 13a ZB 16.30374 - juris Rn. 12; B.v. 23.1.2017 - 13a ZB 17.30044 - juris Rn. 5; B.v. 17.1.2017 - 13a ZB 16.30929 - juris Rn. 2; B.v. 22.12.2016 - 13a ZB 16.30684 - juris Rn. 7; U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris Rn. 17; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 - 3 A 140/16 - juris Rn. 60). Gerade Rückkehrer aus dem Westen sind dabei in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch die Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in Nachbarländer Afghanistans geflohen sind, wesentlich höher (BayVGH, U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris Rn. 21).

Hinzu kommt, dass der Kläger nach eigenen Angaben in Afghanistan Wasserrohre verlegt hat und damit über eine gewisse Berufserfahrung verfügt.

37

Auch aus dem vorgelegten Attest vom … Mai 2017 ist nicht ersichtlich, dass der Kläger in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt wäre.

38

3.2 Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG kann nicht bejaht werden.

39

a) Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssten nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.

Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Ausreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe

(7)

anderer befreien kann, der Ausländer somit gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).

40

Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige ist im Allgemeinen nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (in entsprechender Anwendung) führen würde (BayVGH, B.v. 11.4.2017 - 13a ZB 17.30294 - juris Rn. 5; B.v. 23.1.2017 - 13a ZB 17.30044 - juris Rn. 5). Wie bereits ausgeführt (s.o. 3.1), sind alleinstehende junge Männer auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiäre Unterstützung grundsätzlich in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten.

41

b) Auch die geltend gemachte Erkrankung des Klägers kann kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.

42

Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. dass eine wesentliche

Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten

verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 - 10 B 13/11 u.a. - juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 - 13a B 11.30064 - juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A - juris Rn.

56).

43

Diese Rechtsprechung hat in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.

44

Demnach kann hier nicht von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis ausgegangen werden:

45

In dem vorgelegten Attest vom … Mai 2017 wird lediglich bestätigt, dass der Kläger Mirtazapin und Sedariston nimmt und auch der Kläger selbst hat in der mündlichen Verhandlung nur angegeben, dass er traurig, müde und genervt sei, Schlafstörungen habe und ihm in der Höhe schwindelig sei. Eine

lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankung und damit eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG kann dem nicht entnommen werden.

46

4. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig.

47

5. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in Nr. 6 des Bescheids vom 11. Januar 2017 keinen rechtlichen Bedenken.

(8)

48

Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal die Klägerseite diesbezüglich keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.

49

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO bzw. - soweit die Klage teilweise zurückgenommen wurde - § 155 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

50

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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