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"Es wird nicht getötet werden" – Transgression und Ritual

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Academic year: 2022

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Seite 1 Schwimmer,1997

Digitalprint auf Kömatex, zweiteilig, je 100 x 90 cm

Seite 3 Schleier, 2001

Digitalprint auf Aludibond, 110 x 76 cm

»Es wird nicht getötet werden« - Transgression und Ritual

Christine Tauber Ein einzigartiges Beklemmungspotential zeichnet die Arbeiten von Heike Aumüller aus: Anonymisierte Szenerien, die an Orte von Gewaltverbrechen erinnern; Körper, die durch Masken gesichtslos gemacht, durch die Gegend geschleppt und damit auf ihre reine animalische Körperlichkeit reduziert werden; unentrinnbare, zwischen Opfer und Täter schwankende Konstellationen; zwanghafte Zweisamkeit;

Bewegungsabläufe, die zwischen Gewaltakt, Pornographie und magischer Handlung oszillieren und beim Betrachter Faszination und Schrecken zugleich erwecken. In aller Beklemmung aber dann auch immer Momente wie in Georges Batailles trans- gressiv-obszönem Romanwerk, in denen Groteskes und Absurdes aufblitzt, das zu einem markerschütternden nietzscheanischen Lachen reizt. So wie in Batailles

»Geschichte des Auges«, wenn Simone ihren Liebhaber in Ekstase versetzt, indem sie mit ihrem nackten Hintern Eier zerdrückt. Oder in der berühmten Szene in der Stierkampfarena, wenn sie in einer grauenhaft-grotesken Koinzidenz den Stierhoden im gleichen Augenblick in ihre Vagina schlüpfen lässt, in dem der Stier unten in der Arena das Auge des Toreros aufspießt.

Transgression ist ein Akt der Selbsterfahrung im Moment der bewußten Grenzüber- schreitung, ein Akt, der die Grenze des Ertragbaren durch die Überschreitung immer weiter hinausschiebt. Eine absolute Überschreitung ist nicht möglich, sie wäre das Ende von allem. Bataille unterscheidet in »LErotisme« zwei Formen der Transgression:

die unabsehbar-bedrohliche, weil uneingeschränkte Überschreitung einerseits, die in Orgie, Exzeß und Ekstase mündet; die »transgression limitee« andererseits, die ihrer- seits strengen Regeln unterworfen ist und die Möglichkeit zur Rückkehr zum kontrol- lierten, geordneten Handeln offenhält. Diese Regeln können sprachliche Klassifikationen sein, Strategien der Ordnung und Bändigung des Grauenvollen, wie sie der Marquis de Sade in seinen »120 Tagen von Sodom« scholastisch-obsessiv durchspielt. Sie können aber auch Regeln der künstlerischen Formgebung sein. Heike Aumüller läßt transgressives Potential im Moment unmittelbar vor seinem Unerträglichwerden in formalisierte Darstellung von Handeln umschlagen. Ihre Zur-Schau-Stellungen von

2 Originalveröffentlichung in: Karl Schmidt-Rottluff Stipendium (2003), S. 2-7

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Zellglas, 2000/01 Video, Monitorinstallation

Zellglas Installationsansicht, Videostills aus Zellglas, 2001

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Die beiden Protagonisten sind fast gänzlich in durchsichtiges Zellophan eingewickelt, lediglich einige wenige Stellen sind von der verbandartigen Umhüllung ausgespart. Die Transparenz des zumeist als Verpackungsmaterial eingesetzten, luftundurchlässigen Materials lenkt den Blick des Betrachters gezielt auf die nackte Haut der beiden.

Das Paar, an einem Unterarm und -schenkel miteinander »verwachsen« wie Siamesische Zwillinge, hüpft während der gesamten Dauer

des Videos angestrengt im Kreis.

Ein Monitor steht auf einem in der Wand befestigten Studio-Schwenkarm. Das weitere Equipment (Videoplayer, Aktiv-Lautsprecher) wird auf dem Boden in unmittelbarer Nähe des Monitors rechtwinklig zur Wand abgestellt. Die Kabelverbindungen liegen lose. »Zellglas« wird als loop präsentiert.

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Naß, 2000

Digitalprint auf Aludibond, 110 x 160 cm

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menschlichen Interaktionen - an denen sie immer selbst beteiligt ist schwanken zwischen Zwanghaftigkeit und strengster formalisierter Ordnung. Es sind kultartige, inszenierte Handlungskomplexe, deren Inhalte der Betrachter nur erahnen kann.

Sie rühren an seine tiefsten Ängste, an archetypische Erfahrungen wie in Märchen oder Träumen, und sie folgen ähnlichen Mechanismen der Verlangsamung und Verdichtung.

In den Photos von Heike Aumüller erfolgt diese Formalisierung durch Stillstellung:

Sie Zeigen erstarrte transgressive Momente im Modus absoluter Vereinzelung.

Bürgerliche Interieurs werden mit deformierten Körpern kontrastiert und entfalten sich erst dadurch in ihrer ganzen kleinlichen Bedrängnis. In den Videoarbeiten hingegen bändigt Ritualisierung von Handeln die Dämonen der Angst durch Wiederholung. Das Ritual nimmt ihnen ihren Schrecken, indem es immer und immer wieder die gleichen Bewegungsabläufe wiederholt. Der Loop ist die dem ritualisierten Handeln angemessene Präsentationsform. Durch Repetition überführt das Ritual hochaufgeladene, krisenhafte Ereignisse in routinisierte Abläufe, gibt sichtbar Form im Chaos der Emotionen. Magische Rituale beschwören und bannen die Dämonen durch analogisches Tun. Das Ergebnis dieses Bändigungsaktes, das Kunstwerk, zeigt in seiner spezifischen Formgebung Spuren der krisenhaften Erfahrung. Und es gibf jn seiner medialen Distanzierung dem Betrachter bei aller Beklemmung die Sicherheit, daß hier, mit Sylvia Plath zu sprechen, nicht getötet werden wird.

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