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Predigt beim Festgottesdienst zum „Sonntag der Völker“ im Linzer Mariendom.

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Umwelt- und Humanökologie

Predigt beim Festgottesdienst zum „Sonntag der Völker“

24. September 2017, Mariendom Linz

Wenn sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur begegnen, dann ist das verbunden mit Offenheit oder Zurückhaltung, Fremdheit oder Vertrautheit, Zutrauen oder Misstrauen.

Überall dort, wo unterschiedliche Überzeugungen, Werte, Lebensstile, kulturelle Eigenarten und Religionen aufeinandertreffen, ist die Tugend der Toleranz für ein friedliches Zusammen- leben der Menschen notwendig. Die Unverzichtbarkeit und die Bedeutung gelebter Toleranz werden umso größer, je mehr verbindende Traditionen zu zerbrechen drohen. Manche Ängste vor anderen Kulturen und Religionen in unserem Land haben vermutlich damit zu tun, dass wir selber vielfach unsere Wurzeln verloren haben. Toleranz beinhaltet Interesse am Neuen, Neugier gegenüber dem Fremden und Andersartigen. Sie beinhaltet auch die Fähigkeit, sich in die Situation des anderen hineinzudenken und hineinzufühlen, die Welt und auch sich selbst sozusagen mit den Augen des anderen sehen zu können. In der Begegnung mit anderen Kul- turen und Religionen können wir die Kostbarkeit und den Wert des eigenen Glaubens neu entdecken.

Das „Wir“ des Glaubens

„Der Katholizismus ist … die einzige Wirklichkeit, die, um zu sein, es nicht nötig hat, sich ent- gegenzusetzen, also alles andere als eine ‚geschlossene Gesellschaft‘. … Die Kirche ist über- all zu Hause und jeder soll sich in der Kirche zu Hause fühlen können. So trägt der auferstan- dene Herr, wenn er sich seinen Freunden kundtut, das Gesicht aller Rassen, und jeder hört ihn in seiner eigenen Sprache.“ (Henri de Lubac) Wir sind eine Sympathie- und Schicksals- gemeinschaft, eine Solidargemeinschaft mit den Italienern und Griechen, den Franzosen, Por- tugiesen und Spaniern, den Polen und Rumänen, den Menschen aus Afrika, Asien oder Lateinamerika. In der Kirche sind das ja nicht Fremde oder Ausländer. Die Reichweite des Liebesgebotes endet nicht an der Landesgrenze. Gibt es dieses „Wir“ des Glaubens mit den Menschen in Lateinamerika, Indien oder Afrika? Die Katholische Kirche hat sich in den letzten 100 Jahren grundlegend verändert. Die Gesamtkirche überwand die vorwiegend europäische Prägung. Das Christentum bekam mehr und mehr eine universale Gestalt. Das ist eine große Bereicherung und wir können viel von den jungen Kirchen lernen und empfangen. Das kann aber auch als Kränkung empfunden werden. „Wir“ in Österreich oder auch in Europa sind nicht mehr das Maß aller Dinge.

In unseren Diözesen leben und arbeiten Brasilianer, Mexikaner, Afrikaner, Inder, Polen, Schweizer, Kroaten, Slowenen, Bosnier, Albaner, Ungarn, Rumänen, Ukrainer, Vietnamesen, aus den Philippinen, Chile und Peru, es gibt eine Farsi (persische) Gemeinde, katholische Roma, christliche Kopten, Serben, Griechen … Durch sie wird Weltkirche hier bei uns erlebbar.

Diese Menschen sind nicht einfach Lückenbüßer, sondern tragen Verantwortung für die Wei- tergabe von Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Verkündigung des Evangeliums würde ohne sie jetzt schon auf schwachen Füßen stehen. Wir brauchen als Ortskirche den lebendigen Aus- tausch mit anderen Ländern und Kontinenten. Es geht um ein gegenseitiges Geben und Emp- fangen im Glauben und auch von materiellen Gütern, von Bildung, von Begabungen und Zeit.

Katholisch sein bedeutet: Christen unterschiedlichster Kulturen und Traditionen können sich als Schwestern und Brüder im Glauben entdecken. Sie können miteinander erfahren, wie sehr

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unser Glaube befreien, zu Solidarität inspirieren und die Welt verändern kann. Wir dürfen und sollen einander sagen, was für uns selbst geistlicher Lebensreichtum geworden ist. Wir kön- nen uns gegenseitig zur Quelle zurückführen, die diesen Reichtum immer neu speist: das Evangelium, Jesus Christus selbst.

Ist das gerecht?

Im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg des Herrn (Mt 20,1–16) ist die Rede davon ist, wie der Hausherr an einem Tag nacheinander fünf Arbeitergruppen in seinem Weinberg ein- stellt und ihnen zum Tagesabschluss den gleichen vereinbarten Lohn unabhängig von der Arbeitszeit bezahlt. Als sich einer von jenen, die am längsten gearbeitet haben, über die krasse Ungerechtigkeit einer solchen Bezahlung beschwert, erwidert der Herr streng: „Habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin!

So werden die Letzten die Ersten und die ersten die Letzten sein“ (Mt 20,15 f.). Ist Gott un- gerecht?

Wenn sich die Wege kreuzen

Wenn sich die Wege von Menschen kreuzen, was passiert da? Was geschieht, wenn Alt und Jung aufeinander treffen: ein Crash oder gar ein Krieg zwischen den Generationen? Oder ist jeder auf sich allein gestellt, lassen alle einander im Stich. Sind Generationen heute allein unterwegs oder wird es ein Miteinander auf dem Weg? Zu viele ziehen sich auf sich selbst zurück, zu viele sind auf sich selbst gestellt. Und es wird gar nicht so wenig Konkurrenz auf- gebaut und gelebt. Was heißt das für die Pflege, für die Chancen in der Bildung, für die Auf- teilung von Erwerbsarbeit und Erziehung oder auch für den Wohnraum?

Was passiert, wenn Arm und Reich aufeinanderprallen: die große Absicherung und Abschot- tung der Reichen, der Kampf aller gegen alle? Was ist das Ergebnis der Einen Welt von Nord und Süd: die Ausbeutung und Unterdrückung, der große Hunger, wie wir ihn in Syrien oder auch in Afrika beklagen und zu bekämpfen haben? Was löst es aus, wenn sich Afrika auf den Weg nach Europa macht? Wird das Mittelmeer zum großen Friedhof, Europa zur großen Fes- tung? Oder ist es einfach Gleichgültigkeit, die uns unempfindlich gegen die Schreie der ande- ren macht.1

Was geschieht, wenn Religionen und Kulturen zusammen leben (müssen)? Gewalt im Namen Gottes? Oder ist Verachtung, Geringschätzung das Prinzip? Manche sprechen in Anlehnung an den „Clash of civilisation“ vom „Crash der Kulturen“ mit der Folge, dass sich die einzelnen Ethnien und Gruppen gettoisieren und versuchen, die jeweils eigenen Interessen mit Macht durchzusetzen. Wenn sich Wege von Völkern kreuzen, was passiert da? Wir können nicht (mehr) miteinander! Eine Folge des Ersten Weltkriegs war die sich ausbreitende Vorstellung, dass unterschiedliche Menschen nicht zusammenleben können. In „homogenen Nationen“

gab es keinen Raum für andere oder für Minderheiten. Es verfestigte sich die Überzeugung, dass man nie mehr mit anderen zusammenleben wolle. Der andere, der sich von der eigenen Gruppe unterscheidet und mit dem man jahrhundertelang zusammenlebte, dieser andere wird zum Feind, weil er als Angehöriger einer anderen Nation, einer anderen Ethnie oder einer anderen Religion angesehen wird. Wir können nicht miteinander?

Die Religion, in der die Menschwerdung Gottes geglaubt und bekannt wird, begegnet dem Zeitgenossen, dem gegenwärtigen Menschen, so meditiert Paul VI. am Ende des Zweiten

1 Papst Franziskus, Besuch auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa 8. Juli 2013.

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Vatikanischen Konzils. „Was ist geschehen? Ein Zusammenstoß, ein Kampf, ein Anathem?

Es hätte sein können, aber es ist nicht geschehen. Die alte Geschichte vom Samariter wurde zum Beispiel für die Geisteshaltung des Konzils. Eine ganz große Sympathie hat es ganz und gar durchdrungen.“ (Paul VI.)2 Es gehört zur Spiritualität des Konzils, dass „Freude und Hoff- nung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi sind. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.“ (GS 1)

Ist das gerecht?

Ist es gerecht, wenn wir das Gleichnis auf unsere Gesellschaft und unsere Welt übertragen, auf die Frage der Arbeitszeit, der Arbeitslosigkeit in Zeiten von Industrie 4.0, in Zeiten der Migration und Fluchtbewegungen? Jesus geht es um eine größere Gerechtigkeit, die auf das gute Leben zielt. Dazu gehört Empathie für die Voraussetzungen im Leben anderer und auch die Sorge um den ganzen Weinberg. Die Tugend der Gerechtigkeit öffnet die Perspektive: Es geht nicht (nur) um die Frage, ob ich das bekomme, was ich fordere oder zu brauchen meine, sondern wie auch die anderen zu einem guten Leben kommen können und wie der Garten der Schöpfung für kommende Generationen blühen kann.

Sind unsere Arbeitszeiten und auch die Gehälter und Löhne familiengerecht? Und wie schaut es mit den Verletzten, mit den Schwachen aus, die von vorneherein schlechte Startbedingun- gen haben? Papst Franziskus lenkt am heutigen Sonntag der Völker unseren Blick auf die unbegleiteten minderjährigen Migranten und Flüchtlinge. „Unter den Migranten bilden die Kin- der dagegen die verletzlichste Gruppe, denn während sie ihre ersten Schritte ins Leben tun, sind sie kaum sichtbar und haben keine Stimme: Ohne Sicherheit und Dokumente sind sie vor den Augen der Welt verborgen; ohne Erwachsene, die sie begleiten, können sie nicht ihre Stimme erheben und sich Gehör verschaffen. Auf diese Weise enden die minderjährigen Mig- ranten leicht auf den untersten Stufen der menschlichen Verelendung, wo Gesetzlosigkeit und Gewalt die Zukunft allzu vieler Unschuldiger in einer einzigen Stichflamme verbrennen, wäh- rend es sehr schwer ist, das Netz des Missbrauchs Minderjähriger zu zerreißen.“3

Gottes Sorge gilt dem Weinberg und denen, die zu kurz kommen. Wir dürfen das Gleichnis ökologisch, sozial und human lesen. „Die Kirche hat eine Verantwortung für die Schöpfung und muss diese Verantwortung auch öffentlich geltend machen. Und wenn sie das tut, muss sie nicht nur die Erde, das Wasser und die Luft als Gaben der Schöpfung verteidigen, die allen gehören. Sie muss vor allem den Menschen gegen seine Selbstzerstörung schützen. Es muss so etwas wie eine richtig verstandene Ökologie des Menschen geben. Die Beschädigung der Natur hängt nämlich eng mit der Kultur zusammen, die das menschliche Zusammenleben ge- staltet. Wenn in der Gesellschaft die ‚Humanökologie‘ respektiert wird, profitiert davon auch die Umweltökologie.“4

+ Manfred Scheuer Bischof von Linz

2 Paul VI., Ansprache in der Öffentlichen Sitzung des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils (/. Dezember 1965), in: Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils: Theologische Zusammenschau und Perspektiven, in: Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, hg. von Peter Hünermann und Bernd Jochen Hilberath, Freiburg i. B. 2006, Bd. 5, 565-571, hier 568f.

3 Botschaft von Papst Franziskus zum 103. Welttag des Migranten und Flüchtlings 17.1.2017.

4 Benedikt XVI. Caritas in Veritate Nr. 51.

Referenzen

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