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Food-Waste reduzieren – die einfachste Klimaschutzmassnahme? | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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FOOD-WASTE

Die Volkswirtschaft   11 / 2021 39

Food-Waste reduzieren – die einfachste Klimaschutzmassnahme?

Weggeworfenes Gemüse, Brot und Fleisch belasten die Umwelt stark. Der Bundesrat erarbeitet deshalb einen Aktionsplan, um Food-Waste in der Schweiz einzudämmen. 

Saskia Sanders, Laura Tschümperlin

J

edes Jahr werden in der Schweiz 2,8 Millio- nen Tonnen Lebensmittel weggeworfen – verursacht durch den Konsum. Damit könnte man 150 000 Lastwagen füllen, die aneinan- dergereiht eine Kolonne von Zürich bis nach Madrid ergäben. Diese vermeidbaren Lebens- mittelabfälle oder -verluste («Food-Waste») entstehen entlang der gesamten Wertschöp- fungskette – beispielsweise beim Bauern, in der Fabrik, im Laden, zu Hause oder im Res-

Abstract  Durch den Schweizer Konsum gehen pro Person und Jahr 330 Kilogramm essbare Lebensmittel zwischen Acker und Teller verloren. Das macht rund ein Vier- tel der durch die Ernährung verursachten Umweltbelastung der Schweiz aus und ent- spricht etwa der halben Umweltbelastung des motorisierten Individualverkehrs der Schweiz. Die Vermeidung von Food-Waste ist eine wichtige und effektive Massnah- me für Umwelt- und Klimaschutz. Deshalb enthält die UNO-Agenda 2030 für nachhal- tige Entwicklung ein konkretes Ziel dazu: die Halbierung der Lebensmittelabfälle bis 2030. Damit die Schweiz dieses Ziel erreicht, erarbeitet der Bundesrat einen Aktions- plan gegen die Lebensmittelverschwendung.

taurant. Nicht zum Food-Waste zählen die unvermeidbaren Lebensmittelabfälle, die bei- spielsweise beim Rüsten entstehen.

Am Anfang der Lebensmittelkette – in der Landwirtschaft – fallen 20 Prozent der Le- bensmittelverluste an. Die Ursachen sind da- bei teilweise auf nachgelagerte Stufen zu- rückzuführen. Strenge Handelsnormen füh- ren zum Aussortieren von Produkten, oder die Nachfrage deckt sich nicht mit dem zu

grossen Angebot, welches gerade bei Frisch- produkten auch stark vom Wetter abhän- gig ist. Verluste können ebenfalls entstehen, wenn die Ernte aus technischen Gründen nicht voll eingefahren oder verarbeitet wer- den kann oder Produkte bei der Ernte oder der Lagerung beschädigt werden.

Die lebensmittelverarbeitende Indust- rie hat einen Anteil von 35 Prozent an den vermeidbaren Lebensmittelverlusten der Schweiz. Der Hauptgrund dafür ist ein fehlen- der oder zu kleiner Absatzmarkt für Neben- produkte, die bei der Verarbeitung entste- hen. Ein Beispiel für solch ein Nebenprodukt ist Kleie, die beim Mahlen von Getreide ent- steht: Beim Weissmehl wird nur der innere Teil des Getreidekorns verwendet, die Scha- le hingegen, welche das Getreidekorn umgibt

Ein Mitarbeiter von «Äss-Bar», eines Projekts gegen Food-Waste, holt altes Brot in einer Bäckerei in Zürich ab.

KEYSTONE

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40 Die Volkswirtschaft  11 / 2021

Abb. 2: Umweltbelastung von Food-Waste pro Kopf (2017) und wertvolle Ballaststoffe, Vitamine und

Mineralien beinhaltet, bleibt als Kleie übrig.

Beim Vollkornmehl wird hingegen auch die Schale gemahlen. Vollkornbrot ist also nicht nur gesünder, sondern verantwortet auch weniger Food-Waste.

Marktmacht nutzen

Im Gross- und Detailhandel fällt mit einem Anteil von 10 Prozent vergleichsweise we- nig Food-Waste an. Gründe für die Abfäl- le sind unter anderem ungenaue Kenntnis- se über die schwankende Nachfrage, ästhe- tische Präferenzen bei Frischwaren sowie eine immer grössere Sortimentsauswahl, die bis Ladenschluss gewährleistet sein will. Dies ist insbesondere bei frischem Brot proble- matisch, da so viel Überschuss anfällt, dass auch Spendenorganisationen nicht alles ge- brauchen können. Dank ihrer Marktmacht können die grossen Detailhändler den Food- Waste entlang der ganzen Wertschöpfungs- kette beeinflussen.

Der Gastronomiesektor hat einen Anteil von 7 Prozent am Food-Waste. Hier gehören unter anderem ungenaue Gästeprognosen und Warenbestellungen, zu grosse Portions- grössen und das Kundenverhalten zu den Ursachen: Bei einem Buffet à discrétion ist die Gefahr beispielsweise gross, dass zu viel ge- schöpft wird und es am Ende Tellerreste gibt.

Oder ein grosses Menüangebot führt zu mehr Küchenabfällen als eine kleine Auswahl.

Eine wichtige Rolle im Kampf gegen Food- Waste nehmen die Haushalte ein: Ihr Anteil an den vermeidbaren Lebensmittelabfällen liegt bei 28 Prozent. Pro Personen werden in den Haushalten jährlich 90 Kilogramm Esswaren weggeworfen. Unüberlegte Einkäufe, falsche Lagerung oder nicht verwertete Resten kos- ten jede Person jährlich im Durchschnitt über 600 Franken.

Beitrag zum Klima

Über die gesamte Wertschöpfungskette hin- weg betrachtet, hat Frischgemüse den gröss- ten Anteil an den Lebensmittelabfällen: Pro Kopf werfen wir in der Schweiz jedes Jahr 104 Kilogramm an Gemüse und Kartoffeln weg, oder sie bleiben bereits auf dem Feld liegen (siehe Abbildung 1). An zweiter Stelle folgt Käse, wobei insbesondere das Nebenpro- dukt Molke ins Gewicht fällt, das in der Kä- serei entsteht. Dahinter finden sich Brote und Backwaren (insbesondere Müllereiverluste) sowie exotische Früchte.

Jedes weggeworfene Lebensmittel ist je- doch nicht nur eine Verschwendung von

Nährstoffen, sondern führt auch zu unnöti- ger Umweltbelastung. Zum Anbau von Le- bensmitteln und zur Haltung von Nutztieren werden beispielsweise Land und Wasser be- nötigt. Dabei belasten Pflanzenschutzmittel Böden, Gewässer und Lebewesen. Und bei der Rinderzucht entstehen klimawirksame Verdauungsgase wie Methan. Zudem werden zur Produktion von Futtermitteln tropische Regenwälder abgeholzt, was mit vielen gra-

vierenden Konsequenzen wie beispielswei- se Biodiversitätsverlust und Freisetzung von Kohlenstoff, welcher in Bäumen und Biomas- se gespeichert ist, einhergeht. Des Weiteren werden von der Bewirtschaftung der Felder über den Transport, die Lagerung und die Verarbeitung von Lebensmitteln bis zur Zu- bereitung von Mahlzeiten entlang der ge- samten Wertschöpfungskette fossile Brenn- stoffe eingesetzt, die ebenfalls Emissionen Abb. 1: Food-Waste pro Kopf verursacht durch Schweizer Konsum (2017)

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0 Zucker

Eier

Frischobst und Beeren Exotische Früchte

Pflanzliche Öle, Fette, Nüsse/Samen Fisch und Meeresfrüchte Stärkebeilagen (Reis, Pasta, usw.) Milchprodukte (ausser Käse)

Kaffee und Kakao Käse (inkl. Molke) Brote und Backwaren Gemüse und Kartoffeln

Fleisch

10

25 20

50 30

75 40

100 125 150 175 200 225

Kilogramm pro Person und Jahr

in 1000 Umweltbelastungspunkten pro Person und Jahr

50 60 70 80 90 100

250 110

275   Landwirtschaft        Handel        Verarbeitung        Gastronomie        Detailhandel        Haushalte

  Landwirtschaft        Handel        Verarbeitung        Gastronomie        Detailhandel        Haushalte

BERETTA UND HELLWEG (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFTBERETTA UND HELLWEG (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Umweltbelastung, die durch die anfallenden Food-Waste-Mengen pro Person und Jahr aufgrund des Schweizer Konsums entlang der Lebensmittelkette verursacht wird (gemessen in Umweltbelastungs- punkten). Bei der Verarbeitung von Zucker und pflanzlichen Ölen fallen die Nebenprodukte Zuckermelasse und Presskuchen an, die als besonders effiziente Futtermittel genutzt werden können und dadurch die Umweltbelastung der Produktion einer herkömmlichen Futtermischung zu kompensieren vermögen.

Zucker Eier

Frischobst und Beeren Exotische Früchte

Pflanzliche Öle, Fette, Nüsse/Samen Fisch und Meeresfrüchte Stärkebeilagen (Reis, Pasta, usw.) Milchprodukte (ausser Käse) Kaffee und Kakao Käse (inkl. Molke) Brote und Backwaren Gemüse und Kartoffeln Fleisch

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Literatur

Beretta, C. und Hellweg, S. (2019). Lebensmittelverluste in der Schweiz: Mengen und Umweltbelastung. Wis- senschaftlicher Schlussbericht, ETH Zürich. Studie im Auftrag des BAFU, Oktober.

Saskia Sanders

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Sektion Konsum und Produkte, Bundesamt für Umwelt (Bafu), Ittigen BE

Laura Tschümperlin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Sektion Konsum und Produkte, Bundesamt für Umwelt (Bafu), Ittigen BE

verursachen. Würde nur so viel produziert, wie auch konsumiert wird, könnten diese Umwelteinwirkungen vermieden werden.

Um die zahlreichen Umwelteinwirkungen in Relation zueinander zu setzen, werden sie in der Einheit Umweltbelastungspunkte (UBP) festgehalten: Genauso wie sich die Herstel- lungskosten eines Produkts in Franken be- rechnen lassen und sich aus verschiedenen Aspekten wie Rohstoffpreisen und Lohnkos- ten zusammensetzen, lassen sich Umweltein- wirkungen wie beispielsweise der Verbrauch von Wasser sowie die Emissionen von Pflan- zenschutzmitteln in UBP ausdrücken.

Die grösste Umweltbelastung entsteht durch weggeworfenes Fleisch (siehe Abbil- dung 2), obwohl Fleisch mengenmässig – im Vergleich zu Gemüse – viel weniger ins Ge- wicht fällt. Dies ist vor allem auf den hohen Flächenbedarf und die Methanemissionen zurückzuführen. Auch die Produktion von Kaffee und Kakao in tropischen Gebieten ist flächenintensiv.

Am Ende der Wertschöpfungskette – also in den Haushalten und in der Gastronomie – fällt die Umweltbelastung grundsätzlich am grössten aus. Denn die Lebensmittel wur- den bereits transportiert, gekühlt, verarbei- tet und zubereitet.

Die Reduktion von Food-Waste ist also eine effektive Massnahme, um unseren Fuss- abdruck zu verringern und das Klima zu schützen. Bereits mit einer Halbierung der vermeidbaren Lebensmittelverluste können die Umweltbelastung und die Treibhausgas- emissionen, die im Zusammenhang mit unse- rer Ernährung verursacht werden, um 10 bis 15 Prozent reduziert werden.

Vielfältige Lösungsansätze

Food-Waste ist ein Problem mit vielen Ursa- chen und Akteuren und erfordert vielfälti- ge Lösungsansätze. Entlang der ganzen Le- bensmittelkette wurden bereits Massnah- men ergriffen: In der Landwirtschaft werden unverkaufte Produkte wo möglich direkt an Endkonsumenten verkauft. Im Detailhandel werden Gemüse und Früchte, welche nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, unter neuen Labels angeboten, wodurch Kunden sensibilisiert werden. Molke wird zu

Molkenproteinpulver als Nahrungsergänzung für Sportler weiterverarbeitet. Für die Gast- ronomie wurden verschiedene digitale Hilfs- mittel, wie beispielsweise Prognosetools, entwickelt, und die Brancheninitiative United Against Waste unterstützt Gastronomen mit einem Coachingangebot dabei, Lebensmit- telabfälle zu reduzieren.

Zur Sensibilisierung der Haushalte hat die Umweltorganisation Pusch die Informations- kampagne «Save Food. Fight Waste» ins Le- ben gerufen. Diese vermittelt die wichtigs- ten Massnahmen zur Vermeidung von Food- Waste im Haushalt: Einkäufe planen, gute Lagerung, richtige Interpretation von Halt- barkeitsdaten und verschiedene Verwer- tungsmöglichkeiten von Lebensmitteln. Die Kampagne wird durch eine breite Allianz von über 70 Organisationen getragen, unter ih- nen wichtige Verbände und Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft sowie Behörden, Stiftungen, Konsumenten- und Umweltorga- nisationen. Auch das Bundesamt für Umwelt (Bafu), das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) sowie das Bundesamt für Lebensmit- telsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sind Partner. Auf diesen Projekten gilt es nun auf- zubauen.

Aktionsplan des Bundesrats

Die Bedeutung der Reduktion von Food- Waste ist auch der internationalen Politik bewusst. Die UNO-Agenda 2030 für nach- haltige Entwicklung enthält deshalb ein kon- kretes Ziel dazu: die Halbierung der Lebens- mittelabfälle bis 2030. Mit der Annahme des Postulats 18.3829 der GLP-Nationalrätin Isa- belle Chevalley im März 2020 hat der Bun- desrat den Auftrag erhalten, einen Aktions- plan zu erarbeiten, damit dieses Ziel auch in der Schweiz erreicht wird. Die Federführung für die Erarbeitung liegt beim Bafu. Es wur- de eine Auslegeordnung der bestehenden Massnahmen gemacht und verschiedene Lösungsansätze mit Akteuren der Lebens- mittelwirtschaft diskutiert. Die Verabschie- dung des Aktionsplans durch den Bundesrat ist für Anfang 2022 vorgesehen. Auch die EU will bis Ende 2023 verbindliche Food- Waste- Reduktionsziele für die Mitgliedsstaaten festlegen.

Neben den Massnahmen ist auch das Mo- nitoring ein wichtiger Bestandteil des Ak- tionsplans des Bundesrats. Die Fortschritte sollen regelmässig aufgezeigt werden, und anhand der Daten können weitere wichtige Massnahmen identifiziert sowie deren Wir- kung evaluiert werden. Messungen in Unter- nehmen helfen auch, Mitarbeitende und Führungspersonen zu sensibilisieren und zu motivieren, sich eigene Reduktionsziele zu setzen.

Mit einem Food-Waste-Tagebuch lässt sich das auch leicht im eigenen Haushalt tes- ten. Hängen Sie einfach ein Blatt Papier an den Kühlschrank und notieren Sie alles, was Sie wegwerfen. Motivieren Sie auch Freunde und Familie, dasselbe zu tun, und sprechen Sie darüber. Niemand möchte Lebensmittel wegwerfen, aber allen passiert es. Gemein- sam können wir das ändern.

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