Institut für Therapieforschung München
Charakteristika jugendlicher Rauschtrinker
in Bayern
Ludwig Kraus & Stefanie Müller Fachtagung:
„Was kommt nach der Notaufnahme?
Das alkoholspezifische Präventionsprojekt HaLT in Bayern.“
03. Mai 2010, München
Institut für Therapieforschung München
Übersicht
● Ist die Zunahme von Akutbehandlungen von Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen
−
eine Folge zunehmenden Alkoholkonsums ?− oder hat dies andere Ursachen ?
● Fünf Thesen
● Empirische Ergebnisse
− Internationale Studien
− Studien in Deutschland
− HaLT-Projekt Bayern
Institut für Therapieforschung München
Hintergrund
●
Alkoholkonsum ist ein zentraler Risikofaktor für Morbidität und Mortalität
− neben Trinkmenge v.a. Trinkmuster, d.h. Rauschtrinken
− akute Folgen (Unfälle, Gewalt)
(z.B. Miller et al., 2007; Rehm et al., 2003)
− erhöhtes Risiko für Abhängigkeitsentwicklung (z.B. Robin et al., 1998; Bühler et al., 2004)
●
Zunahme der Akutbehandlung von Alkoholintoxikationen seit ca. 2000 um ?? %
●
Problematische Entwicklung oder Artefakt?
Institut für Therapieforschung München
9514 11466
12794 14105
16423
19449 19423 23165
25709
0 5000 10000 15000 20000 25000 30000
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Statistisches Bundesamt, 2010
Stationäre Behandlung akuter Alkoholintoxikation für
die Altersgruppe der 10-20 Jährigen (Diagnose
F10.0)
Institut für Therapieforschung München
Thesen
(1) Jugendliche trinken generell mehr (2) Jugendliche trinken riskanter
(3) Mehr Jugendliche zeigen Symptome alkoholbezogener Störungen
(4) Jugendliche, die wegen akuter Alkoholvergiftung im KH behandelt werden, zeigen auffällige Charakteristika (5) Jugendliche haben Ihr Trinkverhalten geändert
- Zunahme von Alkoholkonsum im öffentlichen Raum - Zunahme des Trinkens vor dem Ausgehen
(6) Die Bereitschaft in der Bevölkerung bei akuter Alkoholvergiftung, Hilfe zu rufen, hat zugenommen
Institut für Therapieforschung München
Veränderungen des Alkoholkonsums
- International -
Institut für Therapieforschung München
Durchschnittlicher Alkoholkonsum bei letzter Trinkgelegenheit in Zentiliter reinen Alkohols
ESPAD 15-16 Jahre (Hibell et al., 2009)
Institut für Therapieforschung München
Veränderung des Alkoholkonsums:
12-Monats Prävalenz
ESPAD 15-16 Jahre (Hibell et al., 2009)
Institut für Therapieforschung München
Veränderung im Konsum von 5+ Einheiten Alkohol zu einer Gelegenheit
ESPAD 15-16 Jahre
(Hibell et al., 2009) Germany
Institut für Therapieforschung München
Veränderungen des Alkoholkonsums
- Deutschland -
Institut für Therapieforschung München
Veränderungen des Alkoholkonsums
30-Tage-Prävalenz, 2003-2007
85.0 80.0
85.6 81.8
84.5 78.4
83.3 74.0
87.8
82.8 83.7 80.5
83.6 78.4
% 25%
50%
75%
100%
Gesamt Jungen Mädchen HS RS GY GS
2003 2007
ESPAD 9.-10. Klasse (Kraus et al., 2004, 2009)
Institut für Therapieforschung München
8,6 10,0
1,71,4 5,6
2,1 5,4
3,6
1,92,1 0,70,8
2,3 1,4
2,11,8
% 2%
4%
6%
8%
10%
12%
2003 2007
Jungen Mädchen
Wein
Bier Alko Spirit Bier Wein Alko Spirit Sig! Sig!
Sig!
Veränderungen häufigen Alkoholkonsums
20+ Konsumtage im letzten Monat
ESPAD 9.-10. Klasse (Kraus et al., 2004, 2009)
Institut für Therapieforschung München
Veränderungen des Alkoholkonsums
mindestens wöchentlicher Konsum, 2004-2008
Drogenaffinitätsstudie 12-25 Jahre (BZgA, 2008)
Institut für Therapieforschung München
Veränderungen des Alkoholkonsums
mindestens wöchentlicher Konsum, 2004-2008
26.0
22.7
26.7
21.8
16.1
14.3
16.2
12.8
% 5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
2004 2005 2007 2008
Jungen Mädchen
Drogenaffinitätsstudie 12-17 Jahre (BZgA, 2008)
Institut für Therapieforschung München
Veränderungen mindestens riskanten Alkoholkonsums in der letzten Woche
>12/24g Reinalkohol pro Tag
9,7 10,3
8,7
10,0 10,6 10,6 10,1 9,8
11,5 12,0
7,4 9,0
10,2 10,3
% 3%
6%
9%
12%
15%
Gesamt Jungen Mädchen HS RS GY GS
2003 2007
ESPAD 9.-10. Klasse (Kraus et al., 2004, 2009)
Institut für Therapieforschung München
Veränderungen des Rauschtrinkens
Mindestens einmal in den letzten 30 Tagen
59,158,6 63,0 63,5
55,3 54,2 64,7
58,6
63,3 63,0 50,753,4
63,1 63,0
% 25%
50%
75%
100%
Gesamt Jungen Mädchen HS RS GY GS
2003 2007
ESPAD 9.-10. Klasse (Kraus et al., 2004, 2009)
Institut für Therapieforschung München
Veränderungen des Rauschtrinkens
Mindestens einmal in den letzten 30 Tagen
26.3
23.8
30.7
23.0 18.7
15.2
20.1
17.7
% 5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
2004 2005 2007 2008
Jungen Mädchen
Drogenaffinitätsstudie 12-17 Jahre (BZgA, 2008)
Institut für Therapieforschung München
Fazit Thesen
Zunahme jugendlichen Alkoholkonsums International und in Deutschland ?
(1) Jugendliche trinken generell mehr
Keine Evidenz
(2) Jugendliche trinken riskanter
Keine Evidenz
Institut für Therapieforschung München
Veränderungen in der Versorgung - Deutschland -
Institut für Therapieforschung München
307
475 431
615 564
901 744
1.027 861
1.123
786
1.330 1293 1.943
0 400 800 1200 1600 2000
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Hauptdiagnose Einzeldiagnose
Suchthilfestatistik (Sonntag & Gerschel-Pfeiffer, 2009)
Alkoholbezogene Diagnosen in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen
10-17-Jährige Zugänge und Beender
Institut für Therapieforschung München
2
8 8 12 11 11 14
53
17 67
24 115
23 85
0 20 40 60 80 100 120
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Hauptdiagnose Einzeldiagnose
Alkoholbezogene Diagnosen in stationären Suchthilfeeinrichtungen
10-17-Jährige Zugänge und Beender
Suchthilfestatistik (Sonntag & Gerschel-Pfeiffer, 2009)
Institut für Therapieforschung München
Alkoholbezogene Diagnosen bei Jugendlichen in der Allgemeinbevölkerung
15-17-Jährige in Berlin und Rheinland-Pfalz
Kraus et al., 2008
DSM-IV alkoholbezogene Störungen (ESA, 2000/06)
Jahr
DSM-IV 2000 2006 sig
Abhängigkeit 2,85 3,96 p=0.508
Missbrauch 3,52 7,62 p=0.081
Institut für Therapieforschung München
Fazit These
(3) Mehr Jugendliche zeigen Symptome alkoholbezogener Störungen?
Geringe Evidenz
Institut für Therapieforschung München
Versorgung
Akute Alkoholvergiftung
- Bayern -
Institut für Therapieforschung München
Datenerhebung im Zuge des HaLT Projektes
• Erhebung: in x Kliniken und Krankenhäusern in y Städten
• Zeitraum: Dezember 2007 bis Dezember 2009
• Fragebogen und Interview: Anonym, Patienten mit Alkoholvergiftung
- Klinikpersonal: Alkoholspiegel, Zustand bei Aufnahme etc.
- Sozialarbeiter: Informationen zur aktuellen Alkohol- intoxikation etc.
Akute Alkoholvergiftung bei Jugendlichen
Design
Münchner Ärzte gegen Jugendalkoholismus und HaLT-Projekt Bayern
Institut für Therapieforschung München
Akute Alkoholvergiftung bei Jugendlichen
Ergebnisse
Geschlecht
Jungen 56 % Männlich
Mädchen 44 % Männlich
Alter 15,8(Mittelwert)
12-14 21,4 %
15-17 70,3 %
18-20 8,0 %
21-23 0,3 %
Status
Schüler 82 %
Azubi 13 %
Erwerbstätig 0,6 %
Arbeitslos 0,9 %
Sonst 3,5 %
Soziodemografie (n = 889)
Institut für Therapieforschung München
Zustand bei Einlieferung (n = 889)
BAK 1,5 Promille
Mit Absicht betrunken 34,7%
Zum Trinken gedrängt 14,5%
Wiederholte Einlieferung 11,3 %
Akute Alkoholvergiftung bei Jugendlichen
Ergebnisse
Institut für Therapieforschung München
Stichprobe
Schulsituation Akutbehandlung Schüler (ESPAD)1)
Hauptschule 42,2 37,8
Realschule 28,6 30,0
Gymnasium 29.2 30,2
Schulsituation (n=889)
1)Europäische Schülerstudie in Deutschland 2007(ESPAD); Kraus et al. 2009
Akute Alkoholvergiftung bei Jugendlichen
Ergebnisse
Institut für Therapieforschung München
Stichprobe
Akutbehandlung 1) Schüler (ESPAD) 2)
Kein Konsum (letzte 30 Tage) 21,7 % 17,7 %
Häufigkeit Konsum (Tage) 3,1 6,1
Gramm pro Trinktag (gr Reinalkohol) 53,6 32,8
Gramm pro Tag (gr Reinalkohol) 6,9 10,4
Rauschtrinken 5+ (Tage, letzte 30 Tage) 1,5 2,6 Alkoholintoxikation (Tage, letzte 12 Monate) 4,6 3,2
Alter erste Intoxikation (Jahre) 14,2 14,2
Drogenkonsum (12 M) 16,3 % 17,5 %
Regelmäßiger Drogenkonsum (12 M) 5,8 % 4,8 %
1)n=889
2)Europäische Schülerstudie in Deutschland 2007(ESPAD); Kraus et al. 2009
Akute Alkoholvergiftung bei Jugendlichen
Ergebnisse
Institut für Therapieforschung München
Fazit These
(4) Jugendliche, die wegen akuter Alkoholvergiftung im KH behandelt werden, zeigen auffällige Charakteristika
Evidenz
Es liegt eine Gruppen von Jugendlichen vor, deren Konsummuster sich von denen anderer Jugendlicher unterscheiden: seltener Konsum, aber wenn, dann wird viel getrunken
Institut für Therapieforschung München
Trinkkontext (n=889) Trinkkontext
Zu Hause 4,3 %
Wohnung von Freunden 20,2 % Diskothek/Gaststätte 13,0 % Unterwegs/Draußen 49,7 % Öffentliche Veranstaltung 12,0 %
Akute Alkoholvergiftung bei Jugendlichen
Ergebnisse
Institut für Therapieforschung München
Fazit These
(5) Jugendliche haben Ihr Trinkverhalten geändert
- Zunahme von Alkoholkonsum im öffentlichen Raum Evidenz aus dem HaLt Projekt
Jugendliche scheinen Alkohol verstärkt im öffentlichen Raum zu trinken. Dies erhöht im Fall einer Intoxikation die
Wahrscheinlichkeit, externe Hilfe zu bekommen
Institut für Therapieforschung München
Fazit These
(6) Die Bereitschaft in der Bevölkerung bei akuter Alkoholvergiftung, Hilfe zu rufen, hat zugenommen
Keine Evidenz, aber möglich
Institut für Therapieforschung München
Anzahl 10-20 Jährige 9,7 Mio.
Schätzung von Intoxikationen/Monat/Pers.
mit einem BAK von ca. 1.8 Promille 2,6 mal (ESPAD 5+)
Summe aller Intoxikationen /Jahr (minus 50%) 150 Mio.
Akutbehandlungen im KH 23 0165
Geschätzter Anteil von Akutbehandlungen
an allen Intoxikationen 0,02 %
Akute Alkoholvergiftung bei Jugendlichen
Hochrechnung
Institut für Therapieforschung München
Schlussfolgerungen I
Thesen
(1) Jugendliche trinken generell mehr
Studien bei Jugendlichen zeigen keine Zunahme des Alkoholkonsums; Trends deuten eher in die andere Richtung (2) Jugendliche trinken riskanter
Studien bei Jugendlichen zeigen keine Zunahme riskanter Konsummuster; Trends deuten eher auf keine
Veränderungen hin
Institut für Therapieforschung München
Schlussfolgerungen II
Thesen
(3) Mehr Jugendliche zeigen Symptome alkoholbezogener Störungen Dazu gibt es kaum vergleichbare Daten; Die Zunahme von
Jugendlichen mit alkoholbezogenen Störungen in Einrichtungen der ambulanten Suchthilfe dürfte eher mit Veränderungen des Zugangs oder Änderungen der Nachfrage im Zusammenhang mit Schule, Eltern etc. zusammenhängen
(4) Jugendliche, die wegen akuter Alkoholvergiftung im KH behandelt werden, zeigen auffällige Charakteristika
Vergleiche zwischen Jugendlichen in Akutbehandlung und anderen Jugendlichen zeigen kaum Unterschiede in relevanten Parametern des Substanzkonsums. Er zeigt sich aber, dass diese Jugendlichen als Gesamtgruppe eher selten Alkohol trinken, bei diesen Anlässen aber mehr Alkohol zu sich nehmen. Im Durchschnitt trinken sie aber weniger als andere Jugendliche
Institut für Therapieforschung München
Schlussfolgerungen III
Thesen
(5) Jugendliche haben Ihr Trinkverhalten geändert - Zunahme von Alkoholkonsum im öffentlichen Raum
Dazu gibt es kaum vergleichbare Daten; Die Jugendlichen in
Akutbehandlung tranken Alkohol verstärkt im öffentlichen Raum. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Hilfen durch die Ambulanz oder den Notarzt in Anspruch genommen werden
(6) Die Bereitschaft in der Bevölkerung bei akuter Alkoholvergiftung, Hilfe zu rufen, hat zugenommen
Dazu gibt es überhaupt keine Daten. Diese Alternativhypothese kann weder bestätigt noch verworfen werden
Institut für Therapieforschung München
Schlussfolgerungen IV
Thesen
Alternativhypothesen
- Zunahme von Alkoholkonsum im öffentlichen Raum
- Die Bereitschaft in der Bevölkerung bei akuter Alkoholvergiftung, Hilfe zu rufen, hat zugenommen
Die Zunahme von Akutbehandlung intoxikierter Jugendlicher lässt sich interpretieren als erhöhte Wahrscheinlichkeit, Hilfen durch Ambulanz/Notarzt zu bekommen.
Unter dieser Alternativhypothese wäre die Zunahme von
Akutbehandlungen als erfolgreiche schnelle und adäquate Soforthilfe sowie als erfolgreiche präventive Maßnahme (HaLT) zu interpretieren.
Mehr Jugendliche finden Zugang zu Akutversorgung und Prävention.
Institut für Therapieforschung München