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Aktuelle Forschungsprojekte: Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung und herausforderndem Verhalten in stationären Wohneinrichtungen – Charakteristika, pädagogisches Handeln, freiheitsentziehende Maßnahmen

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Academic year: 2022

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AKTUELLE

FORSCHUNGSPROJEKTE

Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung und herausforderndem Verhalten in stationären Wohn- einrichtungen – Charakteristika, pädagogisches Handeln, freiheits- entziehende Maßnahmen

Wolfgang Dworschak 1, Andrea Kapfer 1, Christoph Ratz 2, Thomas Reiter 1

1 Universität Regensburg

2 Universität Würzburg

Im Dezember 2020 endete das dreijährige For- schungsvorhaben WiBIg (Wissenschaftliche Be- gleitung von intensivbetreuten Wohngruppen), ein Verbundprojekt der Lehrstühle für Pädagogik bei geistiger Behinderung an der Universität Re- gensburg und an der Julius-Maximilians-Univer- sität Würzburg. Das Projekt wurde aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales gefördert.

Hintergrund

Schon seit Jahren stellt der Personenkreis der Kin- der und Jugendlichen mit geistiger Behinderung und herausforderndem Verhalten die Sonder- und Heilpädagogik vor massive pädagogische Hand- lungsprobleme. So stellt herausforderndes Ver- halten einen enormen Risikofaktor in Bezug auf die körperliche Unversehrtheit aller Beteiligten, die Entwicklung, Bildung, Inklusion, Teilhabe und Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen dar.

Dabei ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit herausforderndem Verhalten in stationären Einrichtungen signifikant erhöht (Dworschak &

Reiter, 2017).

In der Arbeit mit diesem Personenkreis kommen zur Abwendung von Selbst- oder Fremdgefähr- dungen zum Teil auch restriktive Maßnahmen zur Anwendung (zum Beispiel Fixierungen, Zim- mereinschlüsse, sedierende Medikamente); im juristischen Kontext spricht man hier von ‚frei- heitsentziehenden Maßnahmen‘ (§ 1631 b BGB).

Im Zuge der medialen Berichterstattung über freiheitsentziehende Maßnahmen in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe in Bayern im

Jahr 2016 zeigte sich, dass in der Öffentlichkeit oftmals kein differenziertes Bild von dem Perso- nenkreis und der pädagogischen Arbeit mit ihm besteht.

Ziel- und Fragestellungen

Ziel dieses Forschungsvorhabens war es daher, einen Beitrag zu einem differenzierten Verständ- nis und einer differenzierten Diskussionsgrund- lage im Hinblick auf die folgenden Aspekte zu leisten:

n Charakteristika des Personenkreises: Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung und massivem herausforderndem Verhalten in sta- tionären Wohneinrichtungen

n Pädagogische Arbeits- und Reflexionsprozes- se im Kontext herausfordernden Verhaltens n Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen,

Bestrebungen der Reduktion, Entwicklung von Alternativen

Auf der Grundlage eines interaktionalen Verständ- nisses von herausforderndem Verhalten wurden die Kinder und Jugendlichen in ihren jeweiligen Lebenskontexten betrachtet und die verschie- denen beteiligten professionellen Systeme und Akteur / innen berücksichtigt. Ausgehend von den Ergebnissen sollten zudem empirisch fundierte Praxisimplikationen formuliert werden mit dem Ziel, einen Beitrag zur Verbesserung der pädago- gischen Praxis und somit auch der Lebenssitua- tion und -qualität der Kinder und Jugendlichen zu leisten.

Forschungsmethodisches Vorgehen

Das entwickelte Studiendesign kann als partizi- pativ ausgerichtete Form der Praxisforschung bezeichnet werden. Frage- und Problemstellun- gen aus der beruflichen Praxis wurden gemein- sam mit professionellen Akteur / innen mit dem Ziel beforscht, praxisrelevante Ergebnisse zu generieren (von Unger, 2014). Für die Teilnahme an dem Forschungsvorhaben konnten vier sta- tionäre Einrichtungen gewonnen werden, die einen Großteil der Intensivbetreuungsplätze in Bayern vorhalten.

VHN, 90. Jg., S. 233 –235 (2021) DOI 10.2378/vhn2021.art29d

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Um der Komplexität des Forschungsgegenstan- des und -feldes mit seinen vielfältigen Bedin- gungszusammenhängen gerecht zu werden, wur- de ein überwiegend qualitativer Zugang gewählt.

Zur Beantwortung der Fragestellungen kamen verschiedene Erhebungsmethoden zur Anwen- dung (Methodentriangulation): Feldaufenthal- te, Dokumentenanalysen, (halb-)standardisierte Instrumente, Gruppendiskussionen auf Gruppen- und Leitungsebene und Einzelinterviews mit Grup- penmitarbeitenden. Die Fragestellungen wurden größtenteils anhand von acht sogenannten Ein- zelfällen bearbeitet (Einzelfallstudien), die nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung ge- zielt ausgewählt wurden. Die Auswertung der qualitativen Daten erfolgte in Anlehnung an die inhaltlich-strukturierende qualitative Inhaltsana- lyse (Kuckartz, 2018) und an die komparative Ka- suistik (Jüttemann, 1990).

Der qualitative Teil der Studie wurde ergänzt durch eine standardisierte Fragebogenvollerhe- bung in den kooperierenden Einrichtungen zur Charakterisierung der Bewohnerschaft im Kinder- und Jugendwohnbereich (N = 129) und des Per- sonenkreises mit zugeschriebenem intensivpäd- agogischem Betreuungsbedarf (n = 80).

Ausgewählte Untersuchungsergebnisse

Im Folgenden wird knapp auf ausgewählte Unter- suchungsergebnisse eingegangen. Eine differen- zierte Darstellung findet sich im Forschungsband

‚Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung und herausforderndem Verhalten in stationären Wohneinrichtungen – Charakteristika, pädagogi- sches Handeln, freiheitsentziehende Maßnah- men‘, der in der edition bentheim erschienen ist (Reiter, Kapfer, Dworschak & Ratz, 2021).

Von den befragten Gruppenmitarbeitenden wur- den in den Interviews besonders physische Fremdaggressionen und selbstverletzende Ver- haltensweisen problematisiert. Diese scheinen besondere Handlungsprobleme darzustellen. Da- bei wird herausforderndes Verhalten von den Mitarbeitenden besonders häufig als Reaktion auf Anforderungen, Überforderung und Frustration, als Mittel zur Durchsetzung eigener Vorstellun- gen und als Ausdruck von Unsicherheit interpre- tiert. Auch einige Faktoren, welche als typische

Merkmale stationärer Settings bezeichnet wer- den können (zum Beispiel Personalfluktuation, Vielzahl an Bezugspersonen, hohes Reizniveau), wurden häufig als Risikofaktoren in Bezug auf die Genese herausfordernden Verhaltens genannt.

Hinsichtlich des pädagogischen Umgangs im Kontext herausfordernden Verhaltens konnten sowohl kontext- als auch individuumzentrierte Vorgehensweisen mit präventiver, interventiver und postventiver Zielrichtung identifiziert wer- den. Dabei kommt der präventiven Gestaltung des Kontextes eine besondere Bedeutung zu (zum Beispiel Entzerren des Gruppenalltags, Re- duzierung von Anforderungen, Ermöglichen von Orientierung). Insgesamt scheint das pädagogi- sche Handeln durch ein hohes Maß an Ambivalen- zen und widersprüchlichen Handlungsanforde- rungen geprägt zu sein. So konnten zahlreiche Spannungsverhältnisse, mit denen Mitarbeitende konfrontiert sind, rekonstruiert werden. Beispiel- haft kann hier ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen der Überforderung der Kinder und Ju- gendlichen durch Entwicklungsimpulse auf der einen Seite und der Vorenthaltung derselben zur Prävention herausfordernden Verhaltens auf der anderen Seite genannt werden.

Fragen nach dem Umgang mit Ambivalenzen und Dilemmata scheinen sich im Zusammenhang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in besonde- rer Weise zu stellen. So sehen sich Mitarbeitende häufig mit mehreren nicht zufriedenstellenden Handlungsoptionen konfrontiert. Häufig genannt wird in diesem Kontext ein Dilemma zwischen der Einschränkung der Handlungsfreiheit durch freiheitsentziehende Maßnahmen (zum Beispiel Zimmereinschlüsse) und den potenziell massiven Folgen für alle Beteiligten bei einer zu spät ange- wendeten freiheitsentziehenden Maßnahme.

Im Hinblick auf die Anwendung freiheitsentzie- hender Maßnahmen hat sich gezeigt, dass die- se zumindest teilweise vermieden oder reduziert werden können, zum Beispiel durch einen ho- hen Personalaufwand oder durch entsprechende räumliche Ressourcen. In einigen Fällen scheint eine gewisse Gewöhnung der Kinder und Jugend- lichen an die Anwendung von freiheitsentziehen- den Maßnahmen stattgefunden zu haben. Hier scheinen Entwöhnungsprozesse zum Teil mög-

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lich zu sein. Allerdings stoßen Mitarbeitende bei ihren Reduktionsbemühungen häufig auch an Grenzen. Dies scheint zum Beispiel dann der Fall zu sein, wenn sich Mitarbeitende unschlüssig im Hinblick auf die Bedingungszusammenhänge von herausforderndem Verhalten sind und die Inten- sität der Verhaltensweisen aufgrund der körper- lichen Voraussetzungen der Kinder und Jugend- lichen hoch ist.

Weitere Informationen und Literaturangaben können eingeholt werden bei:

Prof. Dr. Wolfgang Dworschak, Andrea Kapfer, Prof. Dr. Christoph Ratz, Thomas Reiter E-Mail: wolfgang.dworschak@ur.de andrea.kapfer@ur.de

christoph.ratz@uni-wuerzburg.de thomas-peter.reiter@ur.de

4., akt. u. erw. Auflage 2018.

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