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Auf Distanz zum Gew öhnlichen

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Academic year: 2022

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Der ästhetische Diskurs grenzt ästhetische Erfahrung von All­

tagserfahrung ab. Die Annähe­

r u n g der zwei W a h r n e h m u n g s ­ welten diskutierte der 7. Kongress der Deutschen Gesellschaft f ü r Ästhetik unter dem Titel „Ästhe­

tik u n d Alltagserfahrung".

• „Mit welchen M e t h o d e n lässt sich die ästhetische Erfahrung zum Alltag ö f f n e n , o h n e dabei den Alltag als große Kunst zu werten?" Mit dieser Frage eröffnete der Präsident der Deutschen Gesellschaft f ü r Ästhetik, Lambert Wiesing, den 7. Kon­

gress der Gesellschaft zum Thema Ästhe­

tik und Alltagserfahrung in Jena. Die Ein­

beziehung der Alltagserfahrung könne, so Wiesing, neben der Natur­ und Kunst­

e r f a h r u n g die Weite ästhetischer Empfin­

dungen deutlich machen. Hintergrund und zugleich Anlass f ü r rege Diskussio­

nen lieferte die immer noch Maßstäbe setzende Aussage Immanuel Kants, wo­

nach sich ästhetische Erfahrung durch interessenloses Wohlgefallen auszeichne, während im Alltag Funktionalität u n d Nützlichkeit beziehungsweise lebenswelt­

liches Interesse dominiere. Dass dem ent­

gegen heute die Grenzen zwischen beiden Erfahrungswelten verwischen und ent­

sprechend eine Annäherung erkennbar wird, m a c h t e n zahlreiche wissenschaftli­

che Beiträge deutlich.

Die s c h ö n e n Dinge

Was unterscheidet die ästhetische Erfah­

rung des Alltags von der eines Kunst­

werks? Grundlegend zeigte sich in zahl­

reichen Tagungsbeiträgen, dass insbeson­

dere die Qualität eine andere ist. Statt einem Verstehen arbeite die ästhetische Erfahrung im Alltag insbesondere dem Genuss zu und gebe dem Leben derart ei­

nen „Schimmer" beziehungsweise „eine Ahnung weniger Momente geglückten Le­

bens", so Konrad Paul Liessmann in sei­

nem Eröffnungsvortrag über die schönen Dinge. Dass diese Erfahrung im Alltag auch zur Überwindung der Existenzangst beiträgt, indem eine Übereinstimmung von Ich und Welt eröffnet werde, legte Jo­

sef Früchtl am Beispiel des Films dar. Ge­

leistet werde dies durch das Vertrauen, das die Zuschauer den Akteuren, seien es Brad Pitt oder George Clooney, schenken. Es er­

mögliche eine Erfahrung, „als ob" eine Be­

ziehung zwischen Ich und Welt bestehe.

Petra Leutner veranschaulichte, wie sehr auch die Mode dem „als ob" gerecht wird.

Wobei deren affektive Kraft eine sakrale Aufladung der Mode erlaube. Sie kann, so Leutner, als die Grundlage für eine Sucht nach permanentem Konsum angesehen werden. Das Spiel der Mode, das ursprüng­

lich ein interessenloses Wohlgefallen er­

mögliche, werde durch Ökonomisierung und deren Techniken zum „must have" er­

höht. Statt einer Entlastung von Wahrheit und Moral finde eine Belastung statt und das Ich reduziere sich auf Wünsche. Dass Mode, von Moderedakteuren „irritierend"

inszeniert, auch die Möglichkeit bietet, dem „must have" zu entgehen und statt­

dessen dem eigenen Begehren zu begegnen, und damit Freiräume schaffen kann, zeigte dagegen Dagmar Venohr.

Das Gewöhnliche des Alltags zu durch­

brechen, könne als eine besondere Leis­

tung der ästhetischen Erfahrung angese­

hen werden, dies verdeutlichte Mirjam Schaub am Beispiel des Horrors im Splat­

ter­Film sowie in der romantischen Komö­

die. Beiden Genres gelänge es, die Uner­

träglichkeit des Gewöhnlichen (Stanley Cavell) zu durchbrechen, indem sie den individuellen Schutzraum jedes Einzelnen durchstoßen, sodass das Vertraute un­

heimlich werde. Hierdurch entstehe eine Distanz, die die im Alltag als unerträglich e m p f u n d e n e Nähe (des Gewöhnlichen) kompensiere.

Ästhetische Einstellung

W e n n sowohl die Kunst als auch der All­

tag ästhetische Erfahrungen ermöglichen,

wie k o m m t es d a n n zu deren Differenzie­

rung? Hängt das im Wesentlichen „nur"

von der ästhetischen Einstellung ab? Wer­

den Objekte erst d a n n kunstwürdig, wenn sie von einem Fachvertreter als solche he­

rausgestellt werden? Die Analyse von Gottfried Gabriel zur politischen Ikono­

grafie von Briefmarken legte dies indirekt nahe. Bernadette Collenberg­Plotnikov schloss sich dem an, indem sie heraus­

stellte, dass Objekte erst d a n n Kunststa­

tus erhalten, wenn sie von Mitgliedern der Kunstwelt interpretiert, ausgestellt und somit musealisiert werden. Doch be­

sitzt nicht das Designobjekt als solches bereits Kunstwürdigkeit, da es durch seine f o r m ­ und damit handlungsbestimmende Kraft ebenso Welt erschließend wirken kann, wie Kathrin Busch hervorhob?

Bei genauer Betrachtung scheinen tat­

sächlich Distanz schaffende M o m e n t e über die Art der Präsentation von Objek­

ten ­ seien sie museal oder kommerziell ­

nötig, u m eine Trennung etwa von Kunst und Design zu vollziehen. D e n n n u r an­

satzweise, so lassen die Beiträge deutlich werden, können ästhetische Erfahrungen gegen Alltagsbestimmungen wie Nützlich­

keit, Funktionalität und lebensweltliches Interesse angehen und tragen dem ent­

gegen letztlich eher zu deren Verschleie­

rung bei. Constanze Peres betonte ent­

sprechend die Unruhe stiftende und Diskrepanzen erzeugende Kraft der ästhe­

tischen Erfahrung von Kunst. Sie löse ent­

gegen der Harmonie, die die Schönheit von Alltagsgegenständen bestimme, ein

„Immer­wieder­sehen­Wollen" aus. Sehr deutlich stellten sich Wolfgang Ullrich und Ludger Schwarte dazu. Die zu beob­

achtende Ästhetisierung der Alltagswelt fördere eher eine Entfremdung zwischen Ich und Welt. So sprach Ersterer von

„Doping durch Design" beziehungsweise

„Placebo­Effekten von Produkten". Ent­

sprechend mag sich der Radfahrer durch seinen Fahrradhelm schnellerfühlen und die Studentin nach morgendlichem Ge­

brauch ihres Sport­Active­Showergels tat­

sächlich aktiver, doch der Alltag werde damit negiert und romantisiert. Schwarte schloss sich indirekt dieser Beobachtung an und wertete die Ästhetisierung der All­

tagswelt als „Konsum der Entfremdung".

Ästhetik übernehme hier eine gesellschaft­

liche Funktion, in der Fest und Alltag u n ­ terschiedslos geworden sind und das Leben insofern von einer Ereignisreihe bestimmt wird. Im alltäglichen „Bloß­Fühlen", f ü r das Kant mit seiner Definition der ästheti­

schen Erfahrung die Grundlage gelegt ha­

be, werde Lebenszeit konsumiert und als Freiheit „verkauft". Doch Handeln und Denken als wahrhaftig ästhetische Ratio­

nalität liegt nach Schwarte in Anlehnung an Adorno im „Sinn des Unmöglichen", wonach „im Leben wieder etwas riskiert werden muss". Auch zukünftig lässt dieser Ansatz auf lebhafte Diskussionen nicht n u r zu Kant, sondern entgegen der auf der Tagung größtenteils vollzogenen Annähe­

rung von Kunst und Alltag schließen. In dem Fokus auf „Experimentelle Ästhetik", die das Thema der nächsten Tagung in Zü­

rich sein soll, wie Schwarte zum Abschluss des Kongresses in Jena als neu gewählter Präsident der Gesellschaft ankündigte, klingt dieser Impuls bereits an.

Elke Beilfuß, Martina Sauer

w w w . d g a e . d e

• Zu den Autorinnen

D i e K u n s t w i s s e n s c h a f t l e r i n Dr. Phil. Martina Sauer f o r s c h t u n d v e rö f f e n t l i c h t zu den The­

m e n Ästhetik u n d Bildtheorie. Elke Beilfuß M.

A., K u l t u r w i s s e n s c h a f t l e r i n , arbeitet derzeit an ihrer D i s s e r t a t i o n , die sich d e m T h e m a Aus­

stellen v o n D e s i g n o b j e k t e n w i d m e t . Beide Au­

t o r i n n e n sind w i s s e n s c h a f t l i c h e Mitarbeiterin­

n e n für G e s c h i c h t e u n d Theorie des D e s i g n s an der B a u h a u s ­ U n i v e r s i t ä t Weimar.

G e s c h i c h t e / T h e o r i e

Auf Distanz zum Gewöhnlichen

Originalveröffentlichung in: Design-Report, Nr. 1 (2009), S. 72

Referenzen

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