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Einvernahme und Befundaufnahme Workshop 2

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Academic year: 2022

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143 Lawinen und Recht

WSL Berichte, Heft 34, 2015

Einvernahme und Befundaufnahme Workshop 2

Fabienne Jelk, Patrik Bergamin, Stephan Harvey

Teilnehmende: etwa 50 Personen, mehrheitlich Polizisten und Juristen, vereinzelt Sachverständi- ge.

1 Einleitung

Bei der juristischen Aufarbeitung von Lawinen- unfällen spielen die Befundaufnahme und die Ein- vernahme beteiligter Personen eine sehr wichtige Rolle. Die Aufnahmen am Unfallort sowie die Fragen bei der Einvernahme müssen juristische, aber auch lawinentechnische Aspekte abdecken.

Sie sind neben den eigenen Beobachtungen an- lässlich des Augenscheins oft die einzigen Grund- lagen für den Sachverständigen beim Erstellen des Gutachtens. Der Sachverständige begutach- tet die Unfallstelle in der Regel unmittelbar nach dem Unfall, oft in Begleitung von Polizei und / oder Staatsanwalt. Bei den Einvernahmen ist er norma- lerweise nicht dabei (Abb. 1). Die Handhabung der Einvernahmen in der Praxis ist unterschiedlich. Es sind entweder Polizei oder der Staatsanwalt, wel- che die Fragen stellen. Nicht selten werden viele Fragen gestellt, welche zu Antworten mit «wenig Fleisch am Knochen» führen, oder die Formulie- rung der Fragen suggeriert unterschwellig gar eine Vorverurteilung. In diesem Workshop sollte über

essentielle Punkte für die Befundaufnahmen und die Einvernahme diskutiert werden. Obwohl jeder Lawinenunfall seine Besonderheiten hat, könnten Vorlagen und Checklisten Strafverfolgungsbe- hörden unterstützen.

1.1 Ziele

Rolle der Polizei und des Staatsanwalts bei der Einvernahme klarstellen und Handhabung in der Praxis diskutieren.

Inhalte definieren, welche Befundaufnahme und Einvernahmen abdecken müssen (aus lawinen- technischer und juristischer Sicht).

Juristische Aspekte der Einvernahme aufzeigen und Rollen der befragten Personen klären.

Checkliste für Befundaufnahme und Fragenkata- log für Einvernahme erarbeiten.

1.2 Ablauf

Impulsreferate (à je 10 Min.) mit anschliessen- der kurzer Diskussion.

1. P. Bergamin: Gesetzlicher Rahmen der Be- fundaufnahme und Einvernahme (Rolle der Polizei und des Staatsanwalts) in der Schweiz und Erfahrungen aus der Praxis

Abb. 1: Genereller, zeitlicher Ablauf von Befundaufnahme und Einvernahme nach einem Lawinenunfall.

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Tagungsband Internationales Seminar, Davos 2015

WSL Berichte, Heft 34, 2015 2. F. Jelk: Erfahrungen aus der Praxis bei Befund-

aufnahme und Einvernahme im Kanton Wallis 3. S. Harvey: Gutachterliche Betrachtung von Ein-

vernahmen mit Fallbeispielen

1.3 Arbeit in 2 Gruppen Themen:

Checkliste für Befundaufnahme aus Vorlage erar- beiten. Leitung: F. Jelk

Fragenkatalog für Einvernahmen aus Vorlage erar- beiten und juristische Aspekte der Befragung dis- kutieren. Leitung: P. Bergamin

1.4 Austausch der Gruppenarbeiten im Plenum

– Vorstellung der Resultate aus den Gruppen – Allgemeine Fragen beantworten

1.5 Resultate und Diskussionspunkte Rolle von Polizei und Staatsanwaltschaft Gemäss Strafprozessordnung in der Schweiz gilt Folgendes:

Bei schwerwiegenden Fällen muss die Staats- anwaltschaft ein Verfahren eröffnen; dieses ist parteiöffentlich. Die Staatsanwaltschaft führt die Befundaufnahme und die Einvernahmen durch.

Sie kann jedoch diese Aufgaben mit konkreten Anweisungen an die Polizei delegieren.

Allgemeines zur Befundaufnahme

Sofortige und fachkompetente Befundaufnahme ist sehr wichtig. Dies auch im Hinblick auf mög- liche zivilrechtliche Verfahren. Eine Lawinenfach- kompetenz der Polizei ist sehr wichtig, damit auch Beobachtungen zur Beurteilung der allgemeinen Lawinensituation und des Hanges, in dem die Lawine abging, richtig aufgenommen werden. Ein Fachexperte sollte beigezogen werden bei:

– Beteiligung von Bergführer, Skilehrer oder Tou- renleiter.

– Sobald die Lawine über eine geöffnete Strasse oder Piste ging.

– Vorliegen einer sonstigen Garantenstellung (faktischer Führer).

Bei der Besichtigung des Unfallortes hat die Poli- zei grundsätzlich dabei zu sein. Der Staatsanwalt begibt sich idealerweise zumindest dann vor Ort, wenn bei einem tödlichen Unfall der mögliche Gruppenverantwortliche überlebt hat oder wenn die Lawine über eine geöffnete Strasse oder Piste ging.

Probleme geben mitunter Fälle, in denen keine Befundaufnahme durchgeführt worden ist und nachträglich ein zivilrechtliches Verfahren eröffnet wird. Erwähnt wurde auch eine berufsgruppen- interne Befundaufnahme (z. B. Bergführer, um berufsspezifische Anliegen abzudecken).

Die Beschlagnahmung von Datenträgern ist mit dem Einverständnis der Betroffenen oder durch eine Verfügung des Staatsanwalts möglich.

Allgemeines zur Einvernahme

Die Befragungen erfolgen in der Schweiz vorerst im polizeilichen Ermittlungs- oder im staatsan- waltschaftlichen Untersuchungsverfahren. Im polizeilichen Ermittlungsverfahren unterscheidet man zwischen Beschuldigten und Auskunfts- personen, während das staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren zusätzlich die Zeugen kennt. Beschuldigte und Auskunftspersonen wer- den in den beiden Verfahrensabschnitten leicht unterschiedlich definiert (polizeiliches Ermitt- lungsverfahren: Auskunftspersonen sind alle, die nicht als Täter in Betracht fallen; staatsanwalt- schaftliches Untersuchungsverfahren: Auskunfts- personen sind unter anderem nicht beschuldigte Personen, die – im Gegensatz zum Zeugen – als Täter vorerst nicht ausgeschlossen werden kön- nen). Der Befragte ist zu Beginn der Einvernahme darauf hinzuweisen, in welcher Funktion er befragt wird. Ob im Einzelfall jemand als Beschuldigter oder Auskunftsperson bezeihungsweise Aus- kunftsperson oder Zeuge einzuvernehmen ist, kann in einer ersten Phase schwierig zu beurteilen sein und lässt mitunter einen gewissen Ermessen- spielraum zu.

Wenn die Auskunftsperson auch an den Vortagen im Unfallgebiet war, sollte auch auf die vorange- gangenen Tage eingegangen werden.

Bei der Bearbeitung des Fragenkatalogs wurden Fragen zum Thema Faktor Mensch aufgeworfen, die kontrovers aufgenommen wurden. Sie sind schwierig zu interpretieren und wurden deshalb nicht als Einzelpunkte im Fragenkatalog aufge- führt. Zum Beispiel:

– Wie war die Gruppendynamik, das Gruppen- klima?

– Wie beurteilte der Befragte intuitiv den Unfall- hang (Bauchgefühl)?

Die Einvernahme hat eine grosse Bedeutung bei der juristischen Aufarbeitung von Lawinenunfällen und ist auch für den Lawinensachverständigen eine wichtige Grundlage für die Verfassung eines Gutachtens.

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145 Lawinen und Recht

WSL Berichte, Heft 34, 2015

2 Checkliste Befundaufnahme

2.1 Legalinspektion / Autopsie

Worauf ist insbesondere bei der Legalinspek- tion zu achten?

– Vorliegen von traumatischen Verletzungen?

Polytrauma?

– Anzeichen auf Ersticken (bei den Rettungs- kräften abklären, ob die Person ganz- oder teil- verschüttet war, ob die Atemwege frei waren, Vorliegen einer Atemhöhle)?

– Anzeichen auf Unterkühlung?

Wann wird eine Autopsie angeordnet?

– Bei Vorliegen einer möglichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit (Bergführer, Skilehrer, Tou- renleiter, Lawine über Piste oder Strasse) und einem weiteren Umstand (z. B. möglicher Herz- infarkt, unklarer Unfallhergang).

– Sobald sich die Frage stellt, ob es Fehler oder Verzögerungen bei der Rettung oder medizini- sche Behandlungsfehler gab.

2.2 Fotodokumentation In eine Fotodokumentation gehört:

– Lawinenfeld als Ganzes, Übersicht – Anrissgebiet

– Verschüttungsort (falls möglich), Fundort des Verschütteten

– Spuren in das Lawinenfeld und aus dem Lawinenfeld

– Ort, wo die Piste verlassen wurde (Abschran- kungen, Warntafeln)

– Ort, wo Personen standen als die Lawine ausgelöst wurde

– Gewählte Route

– Umgebung (weitere frische Lawinen, Schnee- oberfläche, andere Spuren usw.)

– Informationen in den Tal- und Bergstationen (Lawinenwarntafeln, Lawinenwarnleuchten usw.) – Ausrüstungsgegenstände

– Fotos von Rettungsaktion

– Fotos aufgenommen durch die Beteiligten (nur mit Einverständnis der Beteiligten oder Verfügung Staatsanwalt)

2.3 Welche lawinentechnischen

Erhebungen sollten getätigt werden?

– Grösse, Ausmass und Art der Lawine – Auslöseort, Steilheit und Exposition des

Hanges

– Schneebeschaffenheit generell (Oberfläche, Variabilität, allgemeine Konsistenz, Einsink- tiefe, Neuschnee, Triebschnee, Feuchtigkeit)

– Schneedeckenaufbau am Anriss (Schwach- schicht, in der Lawine losbrach, Schichtung) – Schneedeckenaufbau in der Umgebung

(Erkennbarkeit, Indizien), Stabilitätstest, Bezug zum Lagebericht

– Standort der Beteiligten bei Auslösung, Verschüttungsorte

– Spuren (Einfahrtsspuren, andere Spuren, frühere Spuren), unter Umständen mit GPS aufnehmen

– Auslöseart der Lawine? Spontan, durch Beteiligte oder durch Drittpersonen?

– Anzeichen für erhöhte Gefahr (z. B. Alarmzei- chen, frischer Triebschnee)

– Entspricht Gefahrenstufe im Bulletin der Gefahrenstufe in der Region

– Weitere Lawinen in der Region

– Rückverfolgung der Spuren über Stunden / Tage – Erhebung aller führungstaktischen Massnah-

men und der kommunizierten Informationen

3 Vorlage Fragenkatalog Einvernahme

Der Fragenkatalog umfasst viele Fragen. Er ist als Unterstützung für Strafverfolgungsbehörden ge- dacht und dient als «roter Faden». Jeder Lawinen- unfall hat seine Eigenheiten und erfordert daher die eine oder andere Zusatzfrage. Zudem können Fragen aus dem Katalog für einzelne Fälle und je nach Adressat irrelevant sein.

Gruppenzusammensetzung

– Wie setzte sich die Gruppe zusammen und wie kam es zu dieser Zusammensetzung? – woher kannte man sich? / frühere gemeinsame Touren? / inklusiv Organisatoren usw. ausser- halb der Gruppe

– Wie kam es zur Tour am Unfalltag? – wer hatte die Idee? / wer entschied, dass diese Tour gemacht wird?

– Erfahrung und Ausbildung der möglichen Verantwortlichen?

– Erfahrung und Ausbildung der übrigen Grup- penmitglieder?

– Inwiefern mussten die Teilnehmer für die Tour etwas bezahlen?, gegebenenfalls wem und wie viel?

– In welcher Form wurden die Ziele und Erwar- tungen der Teilnehmer geklärt?

– Welche Informationen zur Gruppe wurden eingeholt?

Tourenplanung (Route)

– Welche Tour bzw. Route wollte man am Unfalltag machen (inkl. ungefährer Zeitplan)?

einzeichnen auf Karte oder Fotos

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Tagungsband Internationales Seminar, Davos 2015

WSL Berichte, Heft 34, 2015 – Woher hatte der Befragte die Informationen

über die Tour und was war ihm über die Tour woher bekannt?

gegebenenfalls Beschlagnahme mitgeführte Dokumentationen

– Inwiefern wurden Alternativziele geplant und abgemacht?

Tourenplanung (Verhältnisse)

– Inwiefern wurde vor der Tour der Wetterbericht konsultiert und was ergaben diese Abklärun- – Wie hat man sich vor der Tour über die Lawi-gen?

nensituation informiert, und was ergaben diese Abklärungen?

Lawinenbulletin / Smartphone-App / usw.

Information über die Tour / Material

– Wie und in welchem Umfang hat der Gruppen- leiter die Gruppe über die Tour informiert?

– Was sagte der Tourenleiter den Teilnehmern bezüglich Lawinensituation und möglicher weiterer Gefahren?

– Welche Notfallausrüstung wurde von wem mitgeführt?

– Inwiefern wurden das Material und der Um- gang damit vor der Tour durch den Tourenlei- ter überprüft?

Tourenverlauf

– Wurden an den vorangegangenen Tagen ebenfalls Touren unternommen? Falls ja, welche und wie sind diese verlaufen?

– Konnte der Befragte während der Tour oder an den Vortagen Lawinenniedergänge feststellen?

Alter (frische oder 1–3 Tage alt)? Lawinenart (Schneebrettlawine, Gleitschneelawine, Lockerschneelawine)?

– Wie schätzte der Befragte die Lawinensituati- on vor Ort ein, und wie kam er zu dieser Einschätzung?

Tests vor Ort? / Schneebeschaffenheit? / Alarmzeichen? / Schneeoberfläche? / Abwei- chungen gegenüber Bulletin? / Temperaturver- lauf usw.

– Wetterverhältnisse während der Tour (z.B.

Sicht)? Gab es Veränderungen? Inwiefern wurden diese allenfalls berücksichtigt?

z. B. Tageszeitliche Erwärmung, einsetzen- der Niederschlag, Veränderung der Sicht, usw.

– Wurde während der Tour in der Gruppe über die Lawinensituation gesprochen, ggf. was?

– Beschreibung Tourenverlauf bis Unfall (inkl.

Zeitangaben)

einzeichnen auf der Karte / wer ging vor- aus? / bestehende Spuren? / wurde die Tour angespurt?

– Waren noch andere Gruppen auf der Route beziehungsweise im Gebiet?

– Waren andere Gruppen im Gebiet oder auf der gleichen Tour?

– Gab es Änderungen gegenüber der geplanten Route? Falls ja, aus welchem Grund?

– Auf Grund welcher Überlegungen wurde entschieden, den Unfallhang zu befahren / be- gehen? Und mit welcher Taktik?

– Wurden während der Tour Fotos oder Filme erstellt?

Anordnungen

– Wer traf vor und während der Tour die Ent- scheidungen und wie kamen diese zustande?

– Welche Anweisungen wurden bis zum Unfall von wem wie gegeben und inwiefern wurden diese Anordnungen befolgt?

Abstände / Einzelbefahrungen? / Besamm- lungsorte? / usw.

– Inwiefern waren die Gruppenmitglieder mit den Anweisungen einverstanden bzw. gab es diesbezügliche Konflikte?

Unfall

– Wie hat sich der Unfall aus der Sicht des Befragten zugetragen?

– Wo und wie wurde die Lawine ausgelöst?

– Wer hielt sich zum Unfallzeitpunkt wo auf?

– Rettungsverlauf? Eingesetzte Rettungsmit- tel / usw. gegebenenfalls Bestand eine Atem- höhle?

Variantenunfälle

– Spezifische zusätzliche Fragen bei Varianten- unfällen

– Wie wurde im Bahnbereich auf Lawinengefahr aufmerksam gemacht?

Lawinenwarnungen / usw.

– Wo wurde die Piste verlassen? Hatte es dort Spuren?

– Beschreibung der Signalisation an der Stelle, wo Piste verlassen wurde.

Pistenmarkierung / Warntafeln / Absperrseil, – Wie stark war das Gebiet resp. der Unfallhang usw.

zum Unfallzeitpunkt schon verspurt?

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