DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
DER KOMMENTAR
D
ie Trommelei war unerträg- lich, und das Geschrei ist jetzt sehr groß. Dabei hätten wir allen Grund, unseren briti- schen Freunden dankbar dafür zu sein, daß sie in Brüssel einen küh- len Kopf bewahrt haben.Ob der Wald tatsächlich wegen der Belastung mit Stickoxiden (N0 x) in unseren Lüften stirbt, ist nur eine Hypothese. Eine interes- sante, zugegebenermaßen, die aber auch einer meßtechnischen Beurteilung keine besonderen Schwierigkeiten entgegenstellt und deshalb überprüfbar ist. Der Wald stirbt nicht erst seit gestern, und die Zeit für eine vernünftige Beurteilung der eigentlichen Schadstoffsituation ist allemal ge- geben.
Auch oxidationskatalytische Ver- unreinigungen wie die Peroxy- acylnitrate sind hier zu nennen.
Interessant ist die Triethylblei-Hy- pothese aus dem Heidelberger Max-Planck-Institut. Schließlich besteht bis heute noch keine Klar- heit, inwieweit der immense Ge- brauch von Pflanzenschutzmitteln in der weiträumigen Verbreitung eine Rolle spielt. Immerhin wird DDT am Nordpol gefunden. In be- stimmten Flechten, die sich als Schadstoffmonitoren eignen, kann man DDT im Voralpenraum nachweisen. Vermutlich wurde es abgeregnet, denn in größeren Mengen gebraucht wurde es dort wohl nie.
Wer jedoch den gegenwärtigen Sommer mit Aufmerksamkeit ver- folgt, weiß, daß umfangreiche Nie- derschläge im Alpen- und Voral- penraum - auch über den Gebirgs- kamm aus dem Süden kommen.
Wer sich für den intensiven Ein- satz der Chemie in Garten und Weinbau interessiert, soll einmal Südtirol bereisen.
Hinzu kommen die deletären Aus- wirkungen der Verbauung unse- rer Landschaft. Mittlerweile sind Wege, asphaltiert oder betoniert, bis in beachtliche Höhen unserer Gebirge gezogen worden. Sicher-
lich und nicht zuletzt aufgrund der Forstverwaltungen, die sich Er- leichterungen für die Holzwirt- schaft versprochen haben. Die da- bei unweigerlich ausgeführten Drainagen sollten unseren Land- schaftsbauern doch zu denken geben. Was das für die Pflanzen bedeutet, weiß niemand so recht.
Daß Beton den Pflanzen nicht un- bedingt förderlich ist, kann jeder in seinem eigenen Garten nach- prüfen.
Wer den deutschen Wald retten will, wird sich viele Fragen stellen
Der Wald stirbt nicht nur an Autoabgasen
lassen müssen. Zuallererst die:
Wie sind die regional unterschied- lichen Schädigungen zu erklä- ren? Wohl kaum als Folge der von weither gebrachten Luftverunrei- nigungen, die aus unseren Autos stammen.
Wenn es die Stickoxide sein soll- ten, dann wird man dem einfa- chen Mann auf der Straße, dem man jetzt einen noch nicht einmal ausgereiften Katalysator verpaßt, auch klarmachen müssen, warum unser Steuersystem Autos mit ge- ringem Hubraum bevorzugt. Ge- rade die Kleinwagen und Mittel- klassewagen, die das Gros der Wagen stellen, produzieren eine dementsprechend große Schad- stoffmenge. Zu den starken Ver- schmutzern gehören auch die Dieselfahrzeuge, die überhaupt nicht gereinigt werden und wenig- stens so viel NO. wie die „Benzi- ner" ausstoßen. Warum bleiben
„Brummis" ganz ungeschoren, zumal deren Ausstoß wegen des größeren Hubraums ein Vielfa- ches dessen ausmacht, was Per- sonenwagen emittieren. Zudem müßte der Bundesinnenminister
uns die vorenthaltenen Über- schlagsrechnungen zur Gesamt- produktion der Stickoxide der ein- zelnen Wagen-Gruppen noch prä- sentieren, nicht zu vergessen da- bei, bitte, vor allem die („Brum- mi"-)Gäste!
Da wir in einem Durchgangsland leben, tragen nämlich auch die vielen ausländischen Lastwagen auf unseren Straßen nicht unwe- sentlich zur Schadstoffproduktion bei. Hier müßte man ein, wenig- stens mit Österreich und der Schweiz sicherlich rasch zu lösen- des, Übereinkommen treffen, das eine weitestgehende Verlagerung des Transitverkehrs auf die Schie- ne vorsieht. Ein reizvoller Gedan- ke, was eine investive Politik und vor allen Dingen die Arbeitsplätze anbelangt. Denn mit dem gegen- wärtigen Management bei der Bundesbahn kann man dieses Problem wohl nicht befriedigend lösen. Vom Verkehr mit gefähr- lichen Gütern, der von der Straße weg müßte, ganz zu schweigen.
Was wir brauchen, ist etwas Zeit, um all diese Probleme zu durch- leuchten und Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Richtig wird es auch sein, darüber nachzuden- ken, wie man mit technischen Neuerungen (zum Beispiel der Magermotor) unsere Autos entgif- tet. Schon heute können viele Fahrzeuge auch ohne Katalysator mit bleifreiem Benzin fahren.
Hierzu müßte man die flächendek- kende Versorgung mit bleifreiem Benzin sichern, die wir hoffentlich bis 1990 erreicht haben. Ob Kata- lysator oder nicht, sind dies alle- mal Schritte in die richtige Rich- tung.
Vielleicht gelingt es dann auch unseren Autoproduzenten, Moto- ren zu entwickeln, die ohne Anti- klopfmittel auskommen. Ein Schildbürgerstreich wäre es aber, das Blei durch aromatische Koh- lenwasserstoffe zu ersetzen, die zwar den Bäumen nicht allzuviel antun, dafür aber um so mehr den Menschen gefährden.
Wolfgang Forth Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 33 vom 14. August 1985 (21) 2309