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„  Kleine Fächer wie die Wissen- schaftsgeschichte haben es schwer, sich im Dschungel der Bologna-Reformen zu behaupten.

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M E I N U N G

© 2019 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Physik Journal 18 (2019) Nr. 6 3

A

ls ich ab 1979 in Hamburg Physik studierte, konnte man dort „Geschichte der Naturwissenschaften und Technik“ (GNT) als Nebenfach zum Physikdiplom wählen.

Diese Kombinierbarkeit, übrigens zusätzlich in Richtung Philosophie bzw. Wissenschaftstheorie, war damals einer der Gründe für meine Studienortwahl. Ich habe jene Kom- bination immer als sinnvoll empfunden, weil sich die drei Felder gegenseitig befruchten und in der langen Geschichte der Physik immer wieder intensiv interagiert haben. Man versteht z. B. die Elektrodynamik besser, wenn man ihre Ge- schichte kennt, und ist besser in der Lage, die merkwürdigen Befunde der Quantenmechanik einzuordnen, wenn man von den vielen philosophischen Interpretationsansätzen weiß. Für beides ist aber in der Physikausbildung kein Platz, obwohl sich viele Physikstudierende dafür interessieren.

Inzwischen wäre diese Dreierkombination in Hamburg unmöglich – die Studiengänge wurden auf engere BA- und MA-Formate umgestrickt, die Professur für Geschichte der Physik wurde nach einer Pensionierung nicht wieder be- setzt und das Institut zu einer Arbeitsgruppe abgewertet.

An vielen Standorten passiert(e) Ähnliches – kleine Fächer wie die Wissenschaftsgeschichte, Philosophie der Physik oder ihre Didaktik haben es

schwer, sich im Dschungel der Bologna-Reformen zu behaupten. Wenn deren we- nige Professuren frei wer- den, erfolgt entweder keine Wiederbesetzung oder ihre Denomination wird geän-

dert in diffusere Richtungen wie Wissens geschichte. Wird dennoch eine physikhistorische Professur an einer physi- kalischen Fakultät neu geschaffen, so glauben die lokalen Fachvertreter, auf einen Physikhistoriker als Mitglied der Auswahlkommission verzichten zu können.

Im Studienatlas der Physik, den die Konferenz der Fachbereiche der Physik erarbeitet hat, taucht das Stich- wort „Geschichte der Physik“ unter interdisziplinären Studiengängen gar nicht auf, obwohl es etliche Standorte gibt (u. a. Flensburg, Frankfurt, Jena, München, Stutt gart, Wuppertal), in denen Physikgeschichte professionell ge- lehrt wird. In Stuttgart haben wir sogar einen eigenen BA-Studiengang GNT. Studierende der MINT-Fächer belegen unsere Veranstaltungen gerne und mit großem Erfolg. Die Rückmeldungen zeigen, dass die Studierenden die Möglichkeit, etwas über die Geschichte ihrer Fächer

zu lernen, als bereichernd empfinden. Früher hatte z. B.

das MPI für Physik einen Physikhistoriker, und einige größere Physik- und Mathematikinstitute leisteten sich Professuren für die Geschichte ihres Faches. Aber die- se Stellen sind mittlerweile umgewidmet worden.1) Der Zwang zur Profilbildung und die oft räumliche Trennung der Natur- und Geisteswissenschaften auf dem Campus stärken diese ungute Entkopplung.

Aber auch die Wissenschaftsgeschichte hat dazu beigetragen: Zielpublikum vieler meiner Fachkollegen sind nicht mehr die Naturwissenschaftler, aus deren Kreis das kleine Fach entstanden war,2) sondern Historiker oder Kulturwissenschaftler.

Mit dieser Verschiebung des Adressatenkreises ä n d e r n s i c h St i l und Zuschnitt der Publikationen, deren Anliegen und Fragen für Physiker oft nicht mehr einsichtig sind und die daher in jenem Kreis weniger Beachtung finden als früher. Umgekehrt werden die von historisch interessierten Naturwissenschaftlern verfassten Texte zur Physikgeschichte von meinen Fachkollegen häufig kritisiert, weil Defizite spürbar sind, die von mangelndem Training in historischen Arbeitsmethoden herrühren. Es droht ein wechselseitiges Desinteresse an weiterem Gedankenaustausch, dem es mit intensiviertem Dialog und der Bereitschaft, voneinander zu lernen, zu begegnen gilt. Im Rahmen von DPG-Tagungen zeigt der Fachverband Geschichte der Physik mit eigenen Sessions, Plenarvorträgen und Workshops Präsenz. Dort funktioniert der Dialog zwischen Physikern und Physik- historikern noch. Lokal könnten gemeinsame Lehr- oder Forschungsprojekte dazutreten – wie hier in Stuttgart zur Geschichte und Praxis der Materialforschung sowie von Forschungstechnologien.3)

Die unter der Rubrik „Meinung“ veröffentlichten Texte geben nicht in jedem Fall die Meinung der DPG wieder.

Auseinanderdriftende Felder?

Der Dialog zwischen Physik und Physikgeschichte muss gestärkt werden

Klaus Hentschel

Meine Meinung

Prof. Dr. Klaus Hentschel leitet seit 2006 den Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaf- ten und Technik an der Universität Stuttgart.

Er war 2001 bis 2012 stellvertr. Vorsitzender des Fachverbands Geschichte der Physik in der DPG, ist im Beirat von Physics in Perspective und war 2007 bis 2011 im Kuratorium des Physik Journals.

1) K. Hentschel, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 41, 367 (2018) 2) K. Hentschel, Annals of Science45, 73 (1988)

3) K. Hentschel (Hrsg.), Geschichte u. Praxis der Materialforschung, Diepholz (2016)

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schaftsgeschichte haben es

schwer, sich im Dschungel der

Bologna-Reformen zu behaupten.

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