A 164 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 110|
Heft 5|
1. Februar 2013ORGANSPENDESKANDALE
Grundproblem ist der Kausalitätsnachweis
Können Verstöße von Transplantationsmedizinern strafrechtlich
geahndet werden? Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht, Albrecht Wienke, hält dies für schwierig.
D
ie Meldungen über Unregel- mäßigkeiten bei der Organ- vergabe reißen nicht ab. So berich- tete die „Süddeutsche Zeitung“ am 18. Januar, dass es am Münchener Klinikum rechts der Isar knapp 30 Verstöße gegen die Richtlinien für Lebertransplantationen gegeben ha- be. Angesichts der jüngsten Organ- spendeskandale forderte der SPD- Fraktionsvorsitzende, Frank-Walter Steinmeier, korrupte Ärzte mit här- teren Strafen zu belegen. Auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) rechnet damit, „dass es in den bekannten Fällen zu straf- rechtlichen Konsequenzen kommt“.Das Bundesministerium für Ge- sundheit (BMG) werde noch im Ja- nuar ein „rechtstatsächliches Gut-
achten in Auftrag geben, um zu klä- ren, ob und welche Änderungen in den bestehenden Straf- und Buß- geldnormen sowie den berufsrecht- lichen Regelungen der Bundes- ärzteordnung und der Länder not- wendig sind, um in der Vergangen- heit festgestellte Verstöße entspre- chend sanktionieren zu können. In Abhängigkeit von dem Ergebnis dieses Gutachtens wird über erfor- derliche Anpassungen zu entschei- den sein“, teilte das BMG dem Deutschen Ärzteblatt mit.
Mögliche Verdunklungsgefahr Neben München hat es auch an den Unikliniken in Göttingen, Regens- burg und Leipzig Unregelmäßigkei- ten gegeben. Inzwischen wurde der
ehemals leitende Transplantations- chirurg der Universitätsmedizin Göttingen festgenommen. Er sitzt wegen dringenden Tatverdachts des versuchten Totschlags in neun Fäl- len sowie in jeweils einem Fall der schweren Körperverletzung und der Körperverletzung mit Todes - folge in Untersuchungshaft, teilte die Staatsanwaltschaft Braunschweig mit (dazu DÄ, Heft 3/2013). Die Universität Göttingen sieht sich „in ihrem schnellen Handeln bestätigt“.
Der Rechtsanwalt des beschul - digten Chirurgen, der Strafrechtler Prof. Dr. jur. Steffen Stern, hat Be- schwerde gegen den Haftbefehl eingelegt. Es gebe unter anderem keinen Anlass, Fluchtgefahr zu un- terstellen, wie es die Staatsanwalt- schaft tue.
Der Kölner Rechtsanwalt und Präsident der Deutschen Gesell- schaft für Medizinrecht, Dr. jur.
Albrecht Wienke, hält es allerdings für möglich, dass in diesem Fall Verdunklungsgefahr bestehe. Und ob der Mediziner letztendlich be- straft wird, ist ungewiss. Wienke hält eine strafrechtliche Verfol- gung der Fälle für schwierig, weil
„die Kausalitätsfrage immer ein Problem bleibt“ (dazu „Drei Fra- gen an . . .“) Das ist auch einer der Gründe, warum sich Wienke zu - folge die Staatsanwaltschaften zu- rückhaltend verhalten. In Regens- burg soll derselbe Arzt ebenfalls in zahlreichen Fällen Patienten - daten manipuliert haben. Dort er- mittelt die Staatsanwaltschaft aber lediglich wegen Verstoßes gegen das Transplantationsgesetz, wo- nach nur dann eine Haftstrafe droht, wenn mit Organen gehandelt
wurde.
▄
Gisela Klinkhammer Kann man Transplantations-
medizinern die Manipulation von Patientendaten über- haupt nachweisen und, wenn ja, kann man sie strafrecht- lich verfolgen?
Wienke: Man muss bei der Strafbarkeitsbeurteilung eine Kausalität nachweisen, und diesen Kausalitätsnachweis zu erbringen, ist sehr schwierig.
Derjenige, der dafür sorgt, dass andere in der Liste weiter nach vorne rücken, belastet diejenigen, die auf der Liste bisher weiter vorne standen und dadurch weiter zurückfal- len. Einzelfälle wird man mög- licherweise nachvollziehen
können. Allerdings bleibt die Kausalitätsfrage immer ein Problem.
Warum bewerten die Staatsanwaltschaften die Fälle unterschiedlich?
Wienke: Die Staatsanwalt- schaften sind meines Erach- tens zurückhaltend, was die strafrechtliche Beurteilung von Körperverletzungs- und Tö- tungsdelikten angeht, weil eben diese Kausalitätsproble- me bestehen. Deshalb suchen sie häufig nach wirtschaftli- chen Faktoren, die den Betrof- fenen dann sehr viel einfacher überführen können.
Glauben Sie, dass das nur die Spitze des Eisbergs war?
Wienke: Meines Erachtens führt in der Regel der zuneh- mende ökonomische Druck Mediziner dazu, dass sie zu sol- chen Verzweiflungstaten grei- fen. Ein anderes Problem zeigt sich bei der Zertifizierung der Transplantationszentren. Die Zertifizierungsvoraussetzungen werden relativ hoch geschraubt, und derjenige, der dann nicht über eine bestimmte Mindest- zahl von Fällen verfügt, verliert die Zertifizierung und wird kaum wahrgenommen. Das ist nicht nur bei den Transplanta - tionszentren ein Problem.
3 FRAGEN AN . . .
Dr. jur. Albrecht Wienke, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht