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Archiv "Strafprozess gegen Transplantationsmediziner: Die Justiz betritt Neuland" (05.08.2013)

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A 1468 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 31–32

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5. August 2013

E

rstmals in Deutschland wird es einen Strafprozess geben wegen des Verdachts der Manipula- tion der Warteliste zur Organtrans- plantation. Das Schwurgericht am Landgericht Göttingen hat die An- klage der Staatsanwaltschaft Braun- schweig gegen einen 46-jährigen ehemaligen Oberarzt der Universi- tätsklinik Göttingen zur Hauptver- handlung zugelassen. Der Prozess soll am 19. August beginnen und wird mindestens bis Januar 2014 dauern: Es sind 22 Verhandlungs - tage angesetzt.

Der Leberchirurg wurde im Ja- nuar dieses Jahres wegen Fluchtge- fahr in Untersuchungshaft genom- men. Im Fall seiner Verurteilung drohe eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, teilte die Staats- anwaltschaft Braunschweig anläss- lich des Haftbefehls mit. Auch kom - me ein Berufsverbot in Betracht.

Anklage: Versuchter Totschlag Dem Mediziner wird versuchter Totschlag in elf Fällen und Körper- verletzung mit Todesfolge in drei Fällen zur Last gelegt. Er habe be- wusst wahrheitswidrig gegenüber der Vermittlungsstelle für postmor- tale Organe angegeben, dass Leber- kranke innerhalb von zwei Wochen vor der Anmeldung auf die Warte- liste zweimal hätten dialysiert wer- den müssen. Das Ziel: die Dring- lichkeit zur Transplantation zu er- höhen und sie bei der Organzutei- lung zu bevorzugen, heißt es in der Information der Staatsanwaltschaft Braunschweig zur Anklage.

Eine Dialysepflichtigkeit von Patienten mit schweren Leberer- krankungen erhöht den MELD- Score (model of endstage liver disease), nach dem die Dringlich- keit der Transplantation bewertet wird – maßgeblich für die Rangfol- ge der Patienten auf der Warteliste.

Außerdem habe der Arzt Patienten zur Transplantation angemeldet, bei denen die nach den Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) vorge- schriebene Alkoholkarenz von sechs Monaten nicht eingehalten und Blutwerte falsch angegeben worden seien. Die Falschangaben hätten die eigenen Patienten auf der Warteliste so weit nach oben rücken lassen, dass sie rasch ein Organ erhalten hätten und andere, schwerer Er- krankte möglicherweise deshalb starben. Den Tod übergangener Wartepatienten habe der Angeklag- te billigend in Kauf genommen.

Darauf gründe sich der Vorwurf des versuchten Totschlags. Und er habe drei Patienten eine Leber implan- tiert, obwohl sie nicht so krank wa- ren, dass dies erforderlich war, und Kontraindikationen bestanden. Die Operationen hätten den Tod herbei- geführt, so die Anklage. Bei einem Patienten sei dem Arzt bewusst ge- wesen sei, dass keine gesundheitli- chen Vorteile, sondern nur Risiken zu erwarten waren. Die Anklage geht von vorsätzlicher Körperver- letzung mit Todesfolge aus.

Die Anklage umfasst 156 Seiten.

Verhandelt werden nur Fälle zwi- schen 2009 und 2011, in denen der Arzt an der Universitätsklinik Göt- tingen gearbeitet hat. Wegen des Gewichts dieser Anklagepunkte bleiben weitere 21 Manipulations- und Indikationsfälle vorläufig un- berücksichtigt. Von diesem Straf- verfahren abgetrennt würden Er- mittlungen gegen vier weitere Me- diziner der Uniklinik Göttingen, bei denen der Verdacht einer Beteili- gung an Wartelistenmanipulationen bestehe, sagte Oberstaatsanwalt- schaft Klaus Ziehe zum Deutschen Ärzteblatt (DÄ). In Regensburg, wo der Angeklagte in den Jahren zuvor am Universitätsklinikum gearbeitet hatte, laufen noch Ermittlungen.

„Das Landgericht Göttingen be- tritt mit dem anstehenden Straf - prozess gegen den Transplantati- onsmediziner juristisches Neu- land“, kommentiert Prof. Dr. jur.

Ruth Rissing-van Saan, ehemalige Vorsitzende Richterin am Bundes- gerichtshof in Karlsruhe und Leite- rin der Vertrauensstelle Transplan- tationsmedizin bei der BÄK, das Universitätsklini-

kum Göttingen:

Der angeklagte Mediziner war dort leitender Oberarzt der Abteilung Trans- plantationschirurgie.

Fotos: DPA

STRAFPROZESS GEGEN TRANSPLANTATIONSMEDIZINER

Die Justiz betritt Neuland

Am Landgericht Göttingen soll in Kürze ein Strafverfahren gegen einen Leberchirurgen beginnen.

Der Verdacht: Manipulation von Daten für die Warteliste auf ein Organ und falsche Indikationen.

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 31–32

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5. August 2013 A 1469 anstehende Verfahren in Göttingen.

„Wenn das Gericht es als bewiesen ansehen würde, dass Daten absicht- lich manipuliert wurden mit dem Ziel, eigene Patienten auf der War- teliste für eine Leber nach vorn rü- cken zu lassen, wird die Kammer entscheiden müssen, ob dies im Sinne der Anklage als versuchter Totschlag zu werten ist, weil andere Wartepatienten in einer lebensbe- drohlichen Situation möglicherwei- se aus diesem Grund gestorben sind. Eine juristisch interessante Frage wird sein, ob ein solcher Straftatbestand erfüllt sein könnte, auch wenn sich aus der Warteliste kein einzelner, bestimmter Patient als Benachteiligter ergibt, sondern sich die Benachteiligten auf eine kleine Gruppe vermutlich Geschä- digter eingrenzen lässt.“

Die Anfang des Monats in Kraft getretenen Änderungen der Straf- vorschriften im Transplantationsge- setz (siehe Kasten) stünden mit die- ser Fragestellung nicht im Zusam- menhang. „Es handelt sich um unterschiedliche Rechtsgüter“, er- läuterte Rissing-van Saan. Bei dem neu gefassten § 19 werde ein Ur- kunds- oder Gesundheitszeugnisde- likt, nämlich ein absichtlich falsch erhobener, falsch dokumentierter oder übermittelter Gesundheitszu- stand im Kontext der Transplantati- onsmedizin strafbewehrt mit Geld- strafe oder Freiheitsentzug bis zu zwei Jahren. Bei Körperverletzung

mit Todesfolge aber oder Formen des Totschlags könne das Strafmaß viele Jahre betragen. „Allein dieser andere Strafrahmen macht deutlich, dass es sich hier um völlig unter- schiedliche Delikte handelt“, sagte die Expertin für Straf- und Strafpro- zessrecht.

Grundsätzlich habe der Staat ein Interesse sicherzustellen, dass das Fundament der Transplantations- medizin mit einer einheitlichen Warteliste, bei der jeder die gleiche Chance auf ein Organ habe, aber auch das gleiche Risiko trage, nicht berücksichtigt zu werden, gesichert und bewahrt werde.

Meist wird korrekt gearbeitet Das Argument einiger Transplanta- tionsmediziner, die Richtlinien der BÄK seien teilweise nicht eindeutig und könnten deshalb zu Fehlent- scheidungen führen, wies Rissing- van Saan, die auch als Sonderprüfe- rin in den Prüfungs- und Überwa- chungskommissionen arbeitet, zu- rück: „Entscheidungen, die durch die Richtlinien zu rechtfertigen sind und im Rahmen des individuellen Ermessens liegen, werden von uns nicht als schwere oder gar vorsätzli- che Verstöße gewertet, und nur um solche geht es hier. Der ganz über- wiegende Teil der Transplantations- mediziner arbeitet korrekt. Aber ei- nige Ärzte haben sich in der Ver- gangenheit sehr leichtfertig über Richtlinien hinweggesetzt.“ Die

Tatsache, dass Haftbeschwerden des Göttinger Arztes keinen Erfolg hatten und es einen Prozess geben wird, könne Einfluss auf weitere Verfahren mit ähnlichen Verdachts- fällen haben. Im Juni teilte die Staatsanwaltschaft Leipzig mit, sie ermittele gegen drei Transplantati- onsmediziner der Universitätsklinik Leipzig in 38 Fällen, in München ist ebenfalls die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Manipula- tion der Warteliste am Klinikum rechts der Isar eingeschaltet.

Die Deutsche Transplantations- gesellschaft (DTG) begrüße die Klärung der Sachverhalte und die juristische Aufarbeitung der Warte- listenmanipulationen, teilte der Vor- stand dem DÄ auf Anfrage mit. Die DTG-Mitgliedschaft des Arztes ru- he seit 2012, als Konsequenz der Vorbereitung des Strafverfahrens habe der DTG-Vorstand den Aus- schluss beschlossen. Satzungsge- mäß hätten darüber aber die Mit- glieder bei der Vollversammlung im September zu entscheiden.

Das Fehlverhalten einiger weni- ger Ärzte hat das Vertrauen in die Transplantationsmedizin stark be - schädigt. Die Zahl postmortaler Organspender 2012 und auch im ersten Halbjahr 2013 ist im Ver- gleich zu den jeweiligen Vorjahres- zeiträumen gesunken. Die umfas- senden, seither getroffenen Maß- nahmen und deren konsequente Umsetzung dürften aber Manipu - lationen der Warteliste effektiv entgegenwirken, so der Tenor einer Podiumsdiskussion mit BÄK-Prä- sident Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery und dem Vorstand der Deutschen Stiftung Organtrans- plantation, Dr. jur. Rainer Hess, beim baden-württembergischen Ärz - tetag in Reutlingen. Der Bericht der Prüfungs- und Überwachungs- kommissionen zu den Lebertrans- plantationsprogrammen für 2010 und 2011 werde voraussichtlich Anfang September vorgestellt, teil- te die BÄK mit. Die Zentren, an denen Richtlinienverstöße festge- stellt wurden, müssten aus rechtli- chen Gründen Gelegenheit zur Stellungnahme haben und die Ein- wendungen geprüft werden.

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Nach der Novellierung des Transplantationsgeset-

zes (TPG) 2012 sind am 1. August weitere Ände- rungen in Kraft getreten, die sich auch auf die An- meldung von Patienten auf die Warteliste bezie- hen. So wird § 10 (Transplanta-

tionszentren) ergänzt (Auszüge):

„Die . . . für die Organvermitt- lung erforderlichen Angaben sind von einem Arzt oder einer von diesem beauftragten Per- son zu erheben, zu dokumentie-

ren und an die Vermittlungsstelle . . . zu übermit- teln. Den in Satz 1 genannten Personen ist es ver- boten, für eine Meldung . . . den Gesundheitszu- stand eines Patienten unrichtig zu erheben oder unrichtig zu dokumentieren oder bei der Meldung

(an die Vermittlungsstelle; die Red.) einen unrichti- gen Gesundheitszustand eines Patienten zu über- mitteln, um Patienten bei der Führung der einheit- lichen Warteliste . . . zu bevorzugen.“ Die Strafvor- schriften in § 19 des TPG wer- den ergänzt. Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird nun bestraft, wer absichtlich den Gesundheitszu- stand eines Patienten unrichtig erhebt, dokumentiert oder über- mittelt. Durch eine weitere Änderung wird auch der Versuch unter Strafe gestellt. In der Begründung dazu heißt es: „Der Unwertgehalt des Versuchs entspricht dem Unwertgehalt des vollendeten De- likts. Daher muss auch dieser strafbar sein.“

STRAFBARKEIT VON DATENMANIPULATION

P O L I T I K

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