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Ferdinand-Gonseth-Gedenkstunde: Eidgenössische Technische Hochschule, Zürich, 12.November 1982

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Working Paper

Ferdinand-Gonseth-Gedenkstunde

Eidgenössische Technische Hochschule, Zürich, 12.November 1982

Author(s):

Gonseth, Ferdinand; Huber, Alfred Publication Date:

1983

Permanent Link:

https://doi.org/10.3929/ethz-a-000360682

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In Copyright - Non-Commercial Use Permitted

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ETH Library

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Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

Ferdlnand-Gonseth-Gedenkstunde

"

Freitag,

qen

12. November 1982

Beitriige ;: von Rektor Alfred Huber, Gerhard Huber, Fran~oisBonsack, Jean:Pierre Sydler, Eric-Michel Meyer und Beat Glaus

Zürich: fTH-Bibliothek 1983

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Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

Fe r d i n a n d - Gons e t h - Ge den k s tun d e

Freitag, den 12. November 1982

Beiträge von Rektor A1fred Huber, Gerhard Huber, Fran~ois Bonsack, Jean-Pierre Sydler, Eric-Michel Meyer und Beat G1aus.

Zürich: ETH-Bibliothek 1983

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Vorwort

Eröffnung: Alfred Huber

Dialektik der Offenheit: Gerhard Huber

Die Bedeutung des Begriffes 'Schema' für die Erkenntnis:

Fran~ois Bonsack

Ouverture de l'Exposition: Jean-pierre Sydler

Gonseth-Ausstellung

Stadtpräsident Emil Landolt und Ferdinand Gonseth, Zürich 1962 (Porträt)

Ueberblick

Hauptdaten von Ferdinand Gonseths Leben

Leitsätze der Philosophie Gonseths

Konzept Ferdinand Gonseths für einen Vortrag im Zürcher Lyceumsclub vom 17. Januar 1955 (Faksimile)

Ferdinand Gonseths Werke ~n der ETH-Bibliothek

Seite 3

4

6

12

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VORWORT

Am 12. November 1982 fand an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich eine Gedenkstunde zu Ehren des Mathematikers und Philosophen Ferdinand Gonseth (1890-1975) statt. Dieser war von 1929 bis 1960 hier Professor gewesen, zuletzt für höhere Mathematik und für Philosophie der Wissenschaften. Der Rektor der ETHZ, Professor A1fred Huber, eröff- nete die Feier und begrüsste namentlich die offiziellen Vertreter:

Regierungsrat Henri-Louis Favre für den Kanton Bern, Professor Werner Soerensen für den Kanton Neuenburg, Stadtrat Henri Mollet für die Stadt Bie1

sowie mehrere Abgeordnete kantonaler. eidgenössischer und anderer Insti- tutionen.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen zwei Vorträge: Gerhard Huber, Professor für Philosophie und Pädagogik an der ETHZ, sprach über

Gonseths "Dialektik der Offenheit", und Fran<;ois Bonsack, PD der Uni- versität Neuenburg, über "Die Bedeutung des Begriffes 'Schema' für die Erkenntnis". Einen zweiten Schwerpunkt bildete die von der ETH-Bib1io- thek gezeigte Ausstellung, welche von deren Direktor Jean-Pierre Syd1er eröffnet wurde. Sie war zum zehnten Gründungsjahrestag der "Association Ferdinand Gonseth" und des "Institut de la Methode" im Frühling 1982 in Bie1 aufgebaut und erstmals gezeigt worden. Namens der Gonseth-Vereini- gung ergriff Eric M. Meyer, Mitglied ihres Comite Centra1, Bie1, das Wort, um zu danken: dem Rektor der ETHZ und allen Beteiligten für die Durchführung der Feier, den Rednern und nicht zuletzt Professor Ernst Specker, dessen Begeisterung sie erst ermöglichte. Meyers Schlusswort möge auch diese kleine Einführung besch1iessen:

"Gdice au Poly, cher Professeur Gonseth, vous pouvez une fois de plus donner une 1e<;on et dia10guer - ceci par 1e biais de l'ex- position - avec ces Zurichois, car c'est dans ce milieu, au

sens bio1ogique du terme, que 1a plus grande partie des bases de votre philosophie ouverte a pris naissance."

Zürich, den 15. November 1982 Beat Glaus

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Rektor Alfred Huber

EROEFFNUNG

Meine erste Begegnung mit Professor Gonseth liegt jetzt genau vier Jahrzehnte zurück. Im Winter 1942/43 stand ich im dritten Semester als Bauingenieurstudent und besuchte Gonseths Vorlesung "Mathematik

111" (in deutscher Sprache). Dieser Kurs richtete sich an mehrere

Abteilungen gleichzeitig. Er fand grossen Zuspruch bei den Studenten, obwohl er nur für wenige Prüfungs fach war.

Gonseths Vortragsweise machte mir von allem Anfang an einen tiefen Eindruck: Er sprach zu uns mit leiser, aber deutlicher und eindring-

licher Stimme. Da er mehr Fragen zu stellen als Antworten zu geben schien, regte er mächtig zum Denken an. Er zog die Hörer ganz in sei- nen Bann, obwohl er sie nicht sehen, nicht in ihren Gesichtern nach Anzeichen des Verständnisses oder Unverständnisses Ausschau halten konnte. Schon damals war seine Sehkraft sehr schwach. Suchte er an der Tafel nach einer Formel, so sah es aus, als ob er ihrem Geruch nachginge. Diese Behinderung beeinträchtigte aber seine gewaltige Wir- kung als Lehrer in keiner Weise.

Professor Gonseth sprach langsam und benützte ein einfaches Vokabular (wir verdanken dies wohl der Tatsache, dass Deutsch für ihn eine Fremdsprache war). Wollte er etwas besonders betonen, weil es ihm wichtig schien, so wiederholte er es. Eine weitere Steigerung bestand darin, dass er es ein drittes Mal sagte, diesmal aber auf Französisch.

Dies geschah z.B., als er die Fourierreihe einer Funktion einführte, wobei er darauf hinwies, dass diese Reihe vielleicht nicht gegen die Funktion konvergiere, aber "nichts hindert uns daran" ••• "nichts hin- dert uns daran" ••• "rien ne nous empeche", die Fourierreihe einer Funktion so zu definieren. Dieser Hinweis auf die Freiheit des Mathe- matikers, über Sein oder Nichtsein der von ihm verwendeten Begriffe zu entscheiden, hat mich damals sehr beeindruckt und ist mir wohl deshalb im Gedächtnis haften geblieben.

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Ich habe Gonseth später noch lange gekannt, aber keine meiner Erinne- rungen an ihn ist so lebendig geblieben wie diese allererste, am wei- testen zurückliegende. Warum wohl? Vielleicht deshalb, weil er tiefe Menschlichkeit ausstrahlte und dies in einer bösen Zeit der Menschen- verachtung. Nicht dass er je darüber gesprochen hätte oder dass wir jungen Studenten uns dessen je bewusst gewesen wärenl Aber nie ist ein menschenverachtendes Wort über seine Lippen gekommen - und das war seinerzeit auch bei einem Professor keinesfalls selbstverständ-

lich. Was uns Studenten an ihm anzog und uns einen tiefen Respekt vor ihm abnötigte, war seine starke Persönlichkeit: Er ruhte in sich und liebte die Menschen.

Durch diese Gedenkstunde ehren wir einen grossen Wissenschafter, der weit über die ihm gesetzten räumlichen und zeitlichen Grenzen hinaus

gewirkt hat, und darüber hinaus einen feinen Menschen.

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Gerhard Huber

DIALEKTIK DER OFFENHEIT

Zur Wissenschaftsphilosophie Ferdinand Gonseths

Ferdinand Gonseth, an den die Ausstellung erinnert, die wir heute an der Stätte seines hauptsächlichen Wirkens eröffnen, war als Mathema- tiker und Wissenschaftsphilosoph eine Persönlichkeit höchst eigener Prägung. Seit seiner Studienzeit nahezu blind und des Lesens unfähig, war er in der Welt, durch die er sich hindurchtasten musste, für die Aufnahme geistiger Gehalte ganz auf das Hören angewiesen. Das Ge- schick solcher Deprivation vermochte ihn aber nicht auf sich selbst zurückzuwerfen, sondern er war zeit seines Lebens begierig auf mög- lichst vielfältigen Kontakt mit der Welt.

Früh schon wurde er durch seine intensive Beschäftigung mit Mathema- tik und Physik zur erkenntnistheoretischen Reflexion getrieben. Diese als Selbstbesinnung des Wissenschafters vollzogene Reflexion gewann ihre Substanz nicht sosehr aus Büchern, die man ihm vorlesen musste, als vielmehr aus dem Dialog, der unablässigen Diskussion mit den Mit- lebenden verschiedenster geistiger und wissenschaftlicher Herkunft.

In den von ihm organisierten Entretiens de Zurich, vor allem aber mit der Internationalen Zeitschrift für Philosophie der Erkenntnis

Dialectica, die er begründete und während dreissig Jahren herausgab, schuf er sich selber Foren für das unermüdlich geführte Gespräch. So ist ein Grundzug von Gonseths Persönlichkeit die Offenheit des Zuhö- rens, die aber weniger der Assimilation fremder Substanz als vielmehr in Auseinandersetzung und Abgrenzung der Entwicklung der eigenen galt.

Gonseth hat das Ergebnis seiner wissenschaftsphilosophischen Reflexion unter den Titel der Dialektik gestellt (der auch den Namen seiner Zeitschrift abgab). Philosophie ist für Gonseth die Dialektik des wis- senschaftlichen Erkenntnisprozesses. Philosophie macht diese Dialektik sichtbar, ja sie ist nichts anderes als deren Ausdrücklichkeit. Gonseth

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war als Mathematiker und als Mensch in der französischen kulturellen Tradition verwurzelt. Das wissenschaftsphilosophische Kernproblem - und damit folgt er dem Ansatz des Denkens, den Descartes dem neuzeit- lichen Philosophieren aufgeprägt hat - ist das Problem der Methode des Erkennens. Zwar hat Gonseth keinen Discours de la methode ge- schrieben, aber alle seine Aeusserungen und Publikationen sind Bruch- stücke eines solchen. Methodologie, das ist der Weg und das ist das Ziel der philosophischen Reflexion. Philosophie ist methodologische Besinnung. Als Resultat ergibt sich eine Dialektik, die die methodi- sche Struktur nicht nur des wissenschaftlichen Erkennens, sondern des menschlichen Erkennens überhaupt in all seinen Gestalten ausmacht:

sei es als alltägliche oder handwerklich-technische Praxis oder auch als Kunst.

Das Wort "Dialektik" hat seit Platon über Aristoteles und Kant, Regel und Marx bis heute eine grosse und überaus mannigfaltige Tradition.

Was versteht Gonseth unter Dialektik?

Gonseth denkt auf der Linie Descartes' und zugleich im Gegenzug zu ihm. Kartesisch ist die Suche nach der Methode und der Versuch zu ih- rer Explikation. Durchaus antikartesisch ist es, dass die wahre Metho- de nicht rationalistisch-deduktiv die Erkenntnis aus letzten oder er- sten Prinzipien ableiten kann, die im Idealfall vermöge ihrer innern Evidenz (ihrer Klarheit und Deutlichkeit) absolut gültig sind. Viel- mehr muss die Erkenntnis sich in ihrer Entwicklung grundsätzlich zur Erfahrung hin offenhalten, aus der ihr Neues zuwachsen und das bisher Erreichte bis zurück zu den ersten Prinzipien verändern kann. Dieser Prozess eines durch Erfahrung und deren Verarbeitung sich beständig entwickelnden und bereichernden, sich auch korrigierenden Erkennens ist für Gonseth das eigentlich "Dialektische".

Am prägnantesten hat er dies am Erkenntnismodell der Procedure des quatre phases dargestellt, dem Verfahren in vier Schritten, das in Je- dem Teil des Erkenntnisprozesses durchlaufen wird:

1. Am Anfang steht ein Problem, das in einer offenen Erkenntnissitua- tion sich stellt (etwa die Unstimmigkeiten der Elektrodynamik auf- grund der Aethertheorie für Einstein am Beginn des Jahrhunderts).

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2. wird dann eine Hypothese aufgestellt, die eine mögliche Lösung des Problems antizipiert (etwa die Hypothese der Speziellen Re- lativitätstheorie von 1905).

3. folgt eine Ueberprüfung der Hypothese mit geeigneten Mitteln (sowohl experimentell: Messung etwa der Zeitdilatation bei hoher Partikelgeschwindigkeit - wie auch theoretisch: Ausarbeitung der Minkowskischen Raum-Zeit-Union).

40 muss das Resultat (bei positivem Ausgang) in die anfängliche Er- kenntnissituation integriert werden (das bedeutet in unserem Bei- spiel nichts Geringeres als die Veränderung der Physik - über die Elektrodynamik hinaus - durch die nunmehr bestätigte relativisti- sche Theorie).

Die Dialektik der vier Phasen beschreibt die Weise, wie wissenschaft- liche Erkenntnis im gros sen und kleinen gewonnen wird und dadurch sich verändert. Das "Dialektische" daran ist, dass nicht nur ein neues Fol- gerungselement dem axiomatisch-deduktiven Aufbau hinzugefügt wird, son- dern dass dieser Aufbau bis hin zu den Prämissen, von denen bisher aus- gegangen wurde, sich in seinem Sinn mehr oder weniger verändert. Das Resultat wirkt zurück auf den Anfang und bewirkt eine Veränderung des Ganzen und seiner einzelnen Teile.

Solche dialektische Veränderung ist möglich, weil der Anfang selber grundsätzlich ein offener ist. Die Elektrodynamik vor Einstein (um bei diesem Beispiel zu bleiben) war kein absolut festes und bestimmtes Ge- bäude: dass Probleme bestehen, zeigt unmittelbar an, dass den Prinzipi- en selbst eine gewisse Unbestimmtheit anhaftet und sie einer Präzisie- rung bedürfen, deren Durchführung eine Modifikation eben dieser Prinzi- pien mit sich bringen kann. Während Descartes von eindeutig bestimmten, absoluten Grundsätzen ausgehen wollte, die zuerst festgelegt und dann unverrückbar festgehalten werden müssen, sieht Gonseth die Offenheit jeder Erkenntnissituation sowohl hinsichtlich der empirischen Inhalte wie der prinzipiellen theoretischen Struktur der wissenschaftlichen Fragestellung. Die Lösung eines wirklich interessanten Einzelproblems modifiziert in irgendeinem Grade auch die Struktur der wissenschaftli- chen Fragestellung, in deren Zusammenhang es sich einfügt.

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In all dem ist die Grundforderung der Gonsethschen Methodologie enthalten: ouverture

a

l'experience, Offenheit und immer neue Oeffnung zur Erfahrung hin. Diese Parole bedeutet kein Bekenntnis zum Empirismus. Gonseth weiss sehr wohl, dass jede Erkenntnis bei der Auseinandersetzung mit Erfahrungsinhalten stets auch von aprio- rischen Elementen ausgeht, von Elementen also, die der Erfahrung vorgängig und von ihr unabhängig sind. Aber diese Elemente, die in unserer Sprache, in den Denkformen und Prinzipien enthalten sind, haben nicht an und für sich schon eine volle, sondern nur eine re-

lative Bestimmtheit: S1e gelten nicht absolut, sondern nur bis auf weiteres. Sie müssen der offenen Konfrontation mit der Erfahrung ausgesetzt werden und sich durch diese so modifizieren lassen, dass sie zu ihrer erkenntnismässigen Bewältigung möglichst geeignet sind.

Erfahrung meint dabei nicht nur die sinnlich-experimentelle Empirie, sondern umfasst auch geistige Erfahrungen, wie sie im Umgang mit Theorien und begrifflichen Inhalten gemacht werden. Kriterium der Wahrheit dieser sprachlichen, diskursiven, theoretischen und aprio- rischen Elemente ist ihre Eignung zur erkenntnismässigen Bewältigung dessen, was in der stets offenen Erkenntnissituation dem unvoreinge- nommenen Blicke sich zeigt. Deshalb kann Gonseth seine erkenntnis- philosophische Position auch als Idoneismus bezeichnen.

Diese dialektische position bedeutet eine vermittelnde Stellungnahme zwischen Empirismus und Positivismus einerseits und Rationalismus und Apriorismus andererseits. Es gibt kein Absolutes, weder auf sei- ten des Apriori (von Begriffen und Prinzipien) noch auf seiten der Erfahrung (etwa in Gestalt der Protokollsätze). Es gibt nur das rela- tiv Geeignete in der jeweiligen offenen Erkenntnissituation, die Teil eines in Entwicklung begriffenen Ganzen ist. Die Gonsethsche Dialek- tik meint jenen Prozess, in dem diese jeweils geeigneten Erkenntnis- instrumente und Erfahrungsinhalte ausgearbeitet werden können.

Gonseth hat diese Erkenntnisphilosophie 1n seinen beiden Hauptwerken an zwei Hauptbeispielen dargelegt:

La geometrie et le probleme de l'espace (1953-1956): am Problem des Raumes, das 1n der Geometrie seine geeignete Bearbeitung er- fährt.

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Le probleme du temps, essai sur la methodologie de la recherche (1964): am Problem der Zeit, wie es sich 1m Zusammenhang der Zeitmessung und der sprachlichen Durch- dringung zeitlicher Gegebenheiten darstellt.

Raum und Zeit, nach Kant die mathematisch erkennbaren Grundstrukturen der physikalischen Realität, sind von Gonseth zum Feld der konkreten Bewährung seiner Methodologie gemacht worden.

Es ist hier nicht der Ort für eine kritische Würdigung von Gonseths Erkenntnisphilosophie. Hält man sie gegen die Grundpositionen, gegen die sich abgrenzend Gonseth seinen dialektischen Idoneismus entwik- kelt hat, wie auch neben die weiteren Entwicklungen, die seit dessen Ausarbeitung in diesem Felde stattgefunden haben, so kann man sagen:

Gonseths Wissenschaftsphilosophie stellt keine Sensation dar, weder damals noch heute. Aber sie gibt in der ihrem Urheber eigenen Weise ruhiger Besonnenheit und verhaltener Leidenschaft eine Rechenschaft vom Ganzen des wissenschaftlichen Erkennens, die den Extremen der em- piristischen Reduktion und der rationalistischen Verabsolutierung gleichermassen fernsteht. Dergestalt ist sie in der Lage, ohne dogma- tische Fixierung das Wesen des wissenschaftlichen Erkennens zu erhel- len. Gegenüber manchen Varianten heute dominierender Wissenschafts- philosophie zeichnet sie sich durch ihre Nähe zur Realität wissen- schaftlicher Forschung und dadurch aus, dass sie sich nicht an leere Subtilitäten logischer und sprachanalytischer Theorie verliert, wel- che mit dem Alltag der Wissenschaft längst keine Fühlung mehr hat.

Die wirkliche Mannigfaltigkeit der Wissenschaften hat in der Weite des grundlegenden Interpretationsschemas durchaus Platz.

Auf der andem Seite wäre freilich auch zu fragen, ob Gonseths Philo- sophie die philosophisch unabdingbare Radikalität besitzt. Ist sein Verständnis der Dialektik insbesondere dem gewachsen, was durch Thomas S. Kuhn und in seinem Gefolge als das Radikale eines Paradig- menwechsels im Gang wissenschaftlicher Revolutionen ans Licht gebracht worden ist? Zwar gilt bei Gonseth das Prinzip der Revisibilität: wis- senschaftliche Erkenntnisse sind unbegrenzt revidierbar bis hin zu den letzten Prinzipien, die ja nicht absolut, sondern nur vorläufig und bis auf weiteres gelten. Aber es bleibt doch fraglich, ob die

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Gonsethsche Offenheit der Prinzipien für jene Re-vision den Raum eröff- net, die nicht nur nachsieht und anpasst, sondern zu einem vielleicht nötigen Umsturz in den Fundamenten der Wissenschaft selbst führen kann, weil sie auf einer neuen Grundvision beruht. Solche revolutionäre Uur wälzung liegt nicht nur dem vermittelnd-ausgleichenden Temperament Gonseths eher fern. Sie ist wohl auch nicht vorgesehen in einem Ver- ständnis, das die Dialektik als geduldige Entwicklung eines hochgradig methodisch bewussten, durch die " technicite" des Verfahrens bestimmten Erkenntnisprozesses begreift.

Diese Frage und manche andere könnten nur aufgrund einer einlässliche- ren Auseinandersetzung mit Gonseths philosophischen Gedanken eine Ant- wort finden. Ich möchte wünschen, dass die Ausstellung, die hier ge-

zeigt wird, diesem oder jenem Betrachter, zumal aus der jungen Genera- tion, die von Gonseth nichts mehr weiss, zum Anstoss wird, sich auf eine solche Auseinandersetzung einzulassen.

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Fran<;ois Bonsack

DIE BEDEUTUNG DES BEGRIFFS 'SCHEMA' FUER DIE ERKENNTNIS

Ich werde hier nicht über den Menschen Gonseth sprechen, sondern über das, was für ihn vor allem wichtig war, nämlich sein philosophisches Werk. Ich verzichte auch darauf, Ihnen eine Uebersicht seines Werkes zu geben. In zwanzig Minuten könnte man die verschiedenen Themen sei- ner Philosophie nur streifen, und Sie hätten kaum etwas davon.

Das sind die Gründe, die mich dazu bewegen, einen wichtigen Punkt aus der Gedankenwelt Gonseths hervorzuheben und etwas ausführlicher zu be- handelno Jedoch hat dieser Punkt den Vorteil, dass man von ihm aus Einblicke in die übrige Philosophie Gonseths bekommt, so dass mein Vortrag doch nicht allzu einseitig wird.

Gonseth hat versucht, den Begriff Schema an einem Modell verständlich zu machen, nämlich am Beispiel der Kugel im Wald.*

"Aufgabe: Ein flaches Gebiet sei dicht und unregelmässig mit Bäumen bepflanzt. Eine grosse Kugel liege in diesem Walde an einer bestimm- ten Stelle. Sie soll hinausgerollt werden.

An Stelle von planlosen Versuchen, die Kugel hinauszurollen, können wir durch Denkarbeit die Aufgabe lösen.

Wir stellen zuerst ein gewisses Bild des Gebietes her. Der Ausgangs- stelle, wo die Kugel liegt, ordnen wir einen Punkt A etwa in der Mitte eines Zeichenblattes zu. Der Reihe nach soll jedem Baum auch ein Punkt nach dem folgenden Verfahren entsprechen: In der Nähe der Kugel wählt man drei Bäume so, dass das von ihnen gebildete Dreieck 1, 2, 3 wohl die Kugel, aber keinen andern Baum enthält. Auf das Zeichenblatt wird dann ein A enthaltendes Dreieck 1, 2, 3 eingetragen (nächste Seite Fig. 1). In nicht zu grosser Entfernung von der durch die Bäume 1 und

* "Elementare und nichteuklidische Geometrie"

Orell-Füssli (1956), S. 7-10.

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Fig. 2

l(i 1 7 - 1 8

,1(1 ' . 1')

19

I

"

11 1

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2 bestimmten "Geraden" wird ein vierter Baum so gewählt, dass das Drei- eck 1, 2, 4 keinen andern Baum enthält usw. So können wir den ganzen Wald als "Karte" abbilden.

Zu jedem numerierten Baume X bestimmen wir jetzt die Bäume Y l, Y

2, 0 • • , die von ihm um weniger als den Kugeldurchmesser d entfernt sind. In der Karte tragen wir rote (hier doppelte) Striche XY

l , XY

Z' ••• ein, welche die Bedeutung haben, dass die Kugel nicht zwischen den betreffenden Bäu- men durchgerollt werden kann.

Jetzt ist die Karte zum Gebrauch fertig. Für die Auffindung der mögli- chen Wege kann sie den Wald mit Vorteil ersetzen. Man wird zuerst unter- suchen, ob es geschlossene oder die ganze Karte durchquerende Linien gibt, die aus lauter solchen roten Strichen bestehen. Derartige Linien sind unpassierbar. Ist A im Innern einer geschlossenen roten Linie, so ist die Aufgabe unlösbare Die Karte kann längs der roten Linien aufge- schnitten werden. Zerfällt sie in verschiedene Stücke, so ist nur das Stück von Bedeutung, das A enthält. Weist dieses Stück einen Teil des Gebietsrandes auf, so ist die Aufgabe lösbar. Es wird sich dann ein Weg finden lassen, der keinen roten Strich überquert. Nachher kann der auf der Karte gefundene Weg in die Wirklichkeit übertragen werden. Wegen der entsprechenden Numerierung der Bäume und Kartenpunkte treten keine Schwierigkeiten auf.

Wir fragen uns nun: In welcher Beziehung stehen Wald und Karte zueinan- der?

Ein vollständig treues Bild ist die Karte auf jeden Fall nicht. Gewisse nicht übereinstimmende Merkmale sind augenscheinlich. ( ••• ) Eine derar-

tige Abbildung nennt man symbolisch. Der Punkt ist das Symbol für den Baum, eine Linie auf der Karte das Symbol für einen Weg im Walde. Die ganze Karte selbst ist ein Schema.

Die Uebereinstimmung zwischen Schema und Wirklichkeit geht doch so weit, dass gewisse Schlüsse, die nur auf Grund der Eigenschaften des Schemas gezogen werden, auch für die Wirklichkeit Geltung haben. So entspricht z.B. die Auffindung eines Weges auf der Karte einem solchen Schluss. ( ••• )

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Aus dem Beispiel ergeben sich folgende unentbehrliche Merkmale eines Schemas:

a) Gewisse Zeichen oder Symbole werden an Stelle von Gegenständen ein- geführt, z.B. Punkt an Stelle von Baum.

b) Gewisse Beziehungen der Symbole entsprechen eindeutig gewissen Be- ziehungen zwischen den symbolisch dargestellten Gegenständen. Dass zwei Punkte durch einen roten Strich verbunden sind, bedeutet z.B., dass das Intervall zwischen den entsprechenden Bäumen kleiner ist als d.

c) Schlüsse, die auf Grund des Schemas gezogen werden, sind nur dann zulässig, wenn jeder dabei vorkommende Schritt in die Wirklichkeit übersetzt werden kann." (Ende des Zitats)

Es muss unterstrichen werden, dass dieses Schema keine Karte im topo- graphischen Sinne ist. Natürlich wäre auch eine solche Karte schema- tisch, und in dieser Hinsicht unterscheidet sie sich von einem Flug- bild: Zum Beispiel sind die Strassen darin viel breiter gezeichnet, als der Massstab es vorschreiben würde, und die Ortschaften werden oft mit einem kleinen Kreis dargestellt, auch wenn sie gar nicht rund sind.

Aber an diese Symbolik sind wir so gewöhnt, dass wir sie gar nicht mehr als solche wahrnehmen.

Nein, die Karte ist für Gonseth der Landschaft zu ähnlich, und zwar ähnlich im geometrischen Sinno Und wichtig ist in seinem Schema, dass es die Längenverhältnisse des wirklichen Waldes gar nicht zu bewahren braucht: Lange Striche können kurze Abstände darstellen oder umgekehrt, und die Form der entsprechenden Dreiecke braucht nicht gleich zu sein.

Um diese Freiheit des Schemas der Wirklichkeit gegenüber zu illustrie- ren, habe ich ein zweites Schema desselben Waldes gezeichnet (S. 13, Fig.2), das ganz anders aussieht als das erste und bei dem z.B. der Weg aus dem Walde nicht mehr S-förmig, sondern gerade ist. Aber sonst entsprechen sich beide Schemata genau: Gleich gezeichnete Linien ver- binden gleich numerierte Punkte, zu jedem Dreieck im ersten gehört ein Dreieck im zweiten und natürlich auch im wirklichen Wald.

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Ein anderes Beispiel eines Schemas ist die Eisenbahnkarte, die als Spiel anlässlich der Einführung des Taktfahrplans herausgegeben wurde. Niemand wird behaupten, dass dies eine genaue Karte sei: Die Eisenbahnlinien sind sehr breit, zwei- oder dreifach mit Geraden oder weiten Kurven ge- zeichnet. Man sollte nicht etwa daraus schliessen, dass es keine Kurven auf der Gotthardlinie zwischen Zürich und Airolo hat oder dass es drei parallele Geleise gibt: eines für Intercityzüge, eines für Schnellzüge und e~nes für Regionalzüge. Die geographische Lage der Ortschaften und die Länge der Strecken sind auch nicht naturgetreu, aber selbstverständ- lich hat der Zeichner sie nicht allzustark verzerrt, damit man die Ort- schaften etwa an den gewohnten Stellen findet.

Zudem sind in dieser Karte noch zusätzliche Auskünfte eingetragen, die nicht geometrischer Natur sind und mit der Lage nichts zu tun haben: Die Minuten der Abfahrten, gewisse Haltestellen; z.B. kann man im Schema le-

sen, dass die Intercityzüge Bern-Zürich in Olten nicht halten.

Auch hier sieht man gut, wieviel ein solches Schema von einer biossen Verkleinerung der Landschaft abweicht, wieviel Freiheit es sich gegen- über der Wirklichkeit herausnehmen kann.

Was sind die Hauptmerkmale eines Schemas?

a) Auf eines haben wir schon hingewiesen: Es ist grob, beschränkt, oder

w~e Gonseth sagt "sonnnaire", man möchte sagen "schematisch". Das heisst, von der Fülle, dem Reichtum der Wirklichkeit lässt es einen grossen Teil fallen; es behält nur gerade das, was für unser Problem wichtig ist, nämlich ob der Abstand zwischen zwei Bäumen gross genug

ist oder nicht.

b) Es ist trotz seiner Verarmung brauchbar und nützlich: Es erlaubt, eine Lösung des wirklichen Problems zu finden (oder aber zu zeigen, dass es keine Lösung gibt).

c) Es kann verändert, verbessert, verfeinert werden. So wie es ist, er- möglicht es nur die Lösung weniger Probleme, z.B. ob man diese Kugel aus dem Wald herausrollen kann und auf welchem Weg. Oder ob der Baum

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Nr. 18 am Waldrand steht oder nicht. Aber vielleicht wären weitere Angaben wichtig: Wenn es mehrere Wege gibt, welcher ist kürzer?

Welcher ist flacher? Auf diese Frage vermag unser Schema keine Ant- wort zu geben. Aber es könnte z.B. mit Höhenkurven ergänzt oder im Massstab neu gezeichnet werden.

Für eine Kugel mit e~nem grösseren Durchmesser wäre unser Schema auch unbrauchbar, aber es lies se sich erweitern: Man könnte dort

e~ne andere Farbe brauchen, wo der Abstand zwischen den Bäumen die erste Kugel zwar durchgehen lässt, jedoch nicht die zweite.

d) Es ist relativ selbständig. Wenn man einmal das Schema hergestellt hat, braucht man den wirklichen Wald nicht mehr. Man kann zur näch- sten Wirtschaft gehen und dort bequem an einem Tisch die Lösung su- chen. Das wirkliche Problem hat sich in ein anderes Problem umgewan- delt, das man im Schema selbst behandeln kann.

Jedoch birgt diese Selbständigkeit des Schemas die Gefahr in sich, dass man dabei die Beziehung zur Wirklichkeit verliert und dass die Arbeit im Schema zum bIossen Spiel entartet.

Gonseth erzählt in "Les mathematiques et la realite" eine Fabel, in der ein Negerhäuptling sich eine Figur jedes seiner Krieger - sozu- sagen ein numerisches Schema - hatte machen lassen. Er schreibt:

"Unser Häuptling nahm am Bewegen seiner Figuren ein solches Interes- se, dass er sie schliesslich für sein bIosses Vergnügen manövrieren liess. Aus einem Tun, das sich nach äusseren Zwecken richtete, mach- te er ein Spiel, dessen Ziele und Regeln er nach Belieben wählte".

Sie werden vielleicht meinen~ "Was will er denn mit dem Schema? Was er davon gesagt hat, ist bis jetzt ziemlich trivial".

Freilich. Aber was Gonseth daraus macht, gibt etwas mehr zu denken. Er behauptet nämlich: Mathematische Theorien, wie z.B. die Geometrie, sei-

en Schemata.

D.h. unter anderem: Die Geometrie ist nicht nur eine autonome abstrakte

(20)

Theorie. Gewiss ist sie das auch. Hilbert hat das so weit gebracht, dass er aus Punkten, Geraden, Ebenen nur Kategorien von gewissen Ob- jekten macht, die durch nichts anderes bestimmt sind als durch die gegenseitigen Beziehungen, welche in den Axiomen ausgedrückt sind. Er verzichtet also darauf, diese Begriffe irgendwie zu beschreiben, z.B.

eine Linie als etwas, das wohl Länge, aber keine Breite hätte, oder als einen ideal dünnen Strich. Nein, ein Punkt ist nur ein unbestimm- tes Etwas, das auf Geraden, Ebenen oder zwischen anderen Punkten lie- gen kann. Sonst nichts.

Gonseth sagt: Diese Hilbertsche Geometrie ist nur ein Schema für Ge- bilde, die man auf ein Blatt Papier zeichnen oder im Raum konstruieren könnte. Die gesamte Geometrie ist hingegen so etwas wie eine Physik des Raumes. Es genügt nicht, im Schema zu arbeiten; man muss das, was man gefunden hat, mittels Korrespondenzregeln wieder in die Wirklich- keit übertragen.

Andererseits darf man auch nicht das Schema mit der Wirklichkeit iden- tifizieren, z.B. das, was in der abstrakten Geometrie 'Gerade' genannt wird, mit diesem Strich auf dem Blatt. Diese abstrakte Geometrie ist nur ein Schema, das von uns erfunden wurde, um gewisse Probleme zu lö-

sen, und es befasst sich nur einseitig mit einem verarmten Aspekt der Wirklichkeit.

D.h., für Gonseth ist die Mathematik kein majestätisches Gebäude, das ewig dasteht und uns Menschen zwingt, ihren Gesetzen zu gehorchen, son- dern sie ist nur ein Mittel für unsere Zwecke, über das wir Herr blei- ben und das wir auch anders gestalten können. Ja, wir müssen das Schema ändern, wenn es uns nicht erlaubt, das Erwartete zu erreichen. Wenn es sich zeigt, dass die galileische Kinematik - die nichts anderes ist als eine vierdimensionale Raumzeitgeometrie - unter gewissen Umständen ver- sagt, gehen wir über zur minkowskischen Raumzeitgeometrie, welche sowohl diese Ausnahmen wie auch das Altbekannte integriert.

Das heisst natürlich nicht, dass wir uns alles erlauben und jede Regel übertreten dürfen. Wenn wir uns einmal Regeln gegeben haben, müssen wir

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uns daran halten. Aber wir können alte Regeln durch neue, besser ange- passte ersetzen. Das für die Mathematik.

Aber dasselbe gilt für die Logik, in der Gonseth auch eine "Physik des beliebigen Objekts" gesehen hat. D.h., dass auch die Logik eine äussere

,

Bedeutung hat. Die Schlüsse, die sie zu ziehen erlaubt, sind in der e~

pirischen Welt für eine sehr weite Kategorie von Objekten tatsächlich gültig. Sie ist selbst ein Schema, das aus der Wirklichkeit abstrahiert wurde und deshalb auch in der Wirklichkeit anwendbar ist.

Die Idee des Schemas lässt sich sogar noch weiter für die Erkenntnis im Allgemeinen gebrauchen.

Gonseth meint, dass wir eigentlich nur mit Hilfe von Schemata erkennen.

Das bedeutet, dass unsere Wissenschaft nicht die Wirklichkeit an sich, in ihrem Reichtum, wiedergibt, sondern dass wir uns nur ein Schema da- von machen. Ein Schema, das immer unvollständig, provisorisch bleibt und von dem wir nie dogmatisch denken dürfen: "Jetzt haben wir die letz- te Wahrheit erfasst".

Das heisst aber wiederum nicht, dass Gonseth die wissenschaftliche Er- kenntnis verachtet. Sie ist unvollständig, offen, aber gerade durch ihre Offenheit, durch die Tatsache, dass sie an der Erfahrung ständig über- prüft wurde und dass man sich nicht scheute, das Alte zu korrigieren, hat sie einen Schatz von Erkenntnissen gesammelt, der alles andere an Vollständigkeit und Sicherheit weit übertrifft, was man mit einer ande- ren Einstellung hätte gewinnen können.

Gonseth sagt also~ Es ist das Beste, was wir haben, und wir müssen davon ausgehen. Aber es bleibt ein Schema, das wir uns für unsere Zwecke ein- gerichtet haben, und W1r dürfen es nicht verabsolutieren. Um ihn wört- lich zu zitieren:

"Der Geist, der erkennen will, nimmt eine vermittelnde Stellung e1n zwischen der Freiheit des Traumes und der absoluten Deter- minierthei t des Dings an sich."

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Jean-Pierre Sydler

OUVERTURE DE L'EXPOS1T10N

Les brillants et profonds exposes que nous venons d'entendre nous ont menes dans les spheres philosophiques ou se plaisait Gonseth. Ou il se plaisait aussi, devrais-je preciser, car il aimait egalement etre a ce niveau plus prosaique que represente l'enseignement des mathematiques

aux nouveaux etudiants du Poly. Certains d'entre vous l'ont connu. 1ls se souviennent de sa competence, mais aussi de sa gentillesse, de sa voix un peu etrange, de son esprit ironique. Meme si ses yeux etaient caches sous d'epaisses lunettes noires, on y devinait souvent un eclair de malice. Mais c'est de son talent pedagogique qu'il faudrait parler.

Pour commencer son cours d'axiomatique, il demandait aux ignorants que nous etions ce qu'est une ligne droite; il prenait ensuite un plaisir evident a refuter toutes nos reponses que nous croyions fort intelli- gentes et a batir sur ces ruines ce qui allait mener a l'idonelsme.

C'est pour avoir un contact un peu plus direct et plus prolonge avec l'homme et avec son oeuvre que l'Association Gonseth a organise une ex- postion.

11 n'est pas necessaire que je vous en explique le sens et la structu- re. Elle est petite et parle d'elle-meme. On y montre l'environnement geographique et scientifique de Gonseth. Quelques documents racontent sa vie. Et l'on arrive a ses publications que prolongent les travaux de l'Association Gonseth. Quant a la philosophie, elle ne peut etre que suggeree par quelques messages. Je voudrais n'en rappeler qu'un seul, le premier que vous verrez, et qui, pour moi, caracterise l'ouverture d'esprit de M. Gonseth et de son oeuvre: "Le dialogue commence par la rencontre de l'autre, c.-a.-d. d'un homme qui ne pense pas comme moi."

(23)

Stadtpräsident Emi1 Lando1t und Ferdinand Gonseth, Zürich 1962

(24)

GONSETH - AUSSTELLUNG

in der ETH-Bibliothek Zürich

vom 12. November 1982 bis 15. Februar 1983

UEBERBLICK

Die ursprünglich in Biel aufgebaute und dort erstmals gezeigte Aus- stellung führte den Betrachter mit bescheidenen Anschauungsmitteln durch Leben, Werk und Wirken Ferdinand Gonseths. An Plakatwänden luden Leitsätze des Philosophen zum Nachdenken ein (vgl. S. 24).

Eine erste Vitrine war dem Werdenden gewidmet; Photographien und Dokumente erinnerten an Gonseths Jugend in Sonvilier, seine Gymna- sialjahre in St.-Imier und La Chaux-de-Fonds, die Studien .an der ETH Zürich. Die mittleren drei Schaufenster galten der reifen Per- sönlichkeit: dem Lehrer und Forscher Gonseth. Neben dem veröffent- lichten Werke setzten Handschriften Akzente: so die getreue Vorle- sungsnachschrift eines Schülers (Max Schüepp, der spätere Meteoro- loge) und Korrespondenzen mit Bernays oder Piaget. Ferner wurde auf den Fortbestand von Gonseths Werk hingewiesen: auf die von ihm ge- gründete Zeitschrift i1Dialectica", die seinen Namen tragende Ver- einigung, das "Institut de la Methode" in Biel und deren Aktivitä- ten. Schaukästen schliesslich zeigten die mathematische Fabel von der Kugel im Walde (vgl. S. 13) sowie Zeitungsausschnitte und weite- re Druckschriften.

(25)

HAUPTDATEN VON F. GONSETHS LEBEN

1890

1910-1914

1915-1920 1915 1917

1920

1920-1929

1929-1960

1947-1960 1947

1968

1971

1975

Geboren in Sonvi1ier am 22. September,

als Sohn von Ferdinand und Marie Gonseth-Bourquin

Schulen ebendort sowie in St.-Imier und La-Chaux~de-Fonds

Studium an der ETH Zürich

(Fachlehrer in Mathematik und Physik, trotz schwerer Sehbehinderung)

Assistent an der ETH

Promotion, bei Ko11ros und Grossmann

Heirat mit Marguerite Jacot am 11. August;

der Ehe entsprangen zwei Kinder Habilitation

ausserordent1icher Professor für angewandte Mathematik an der Universität Zürich

Professor für Geometrie an der UniversitätBem

Professor für höhere Mathematik an der ETH Zürich

auch für Philosophie der Wissenschaften Gründung der Zeitschrift "Dia1ectica"

(mit Pau1 Bernays und Gaston Bache1ard)

Tod der Gattin

Gründung der "Association Ferdinand Gonseth" und des

"Institut de 1a Methode" in Bie1

Tod 1n Lausanne am 17. Dezember.

(26)

LEITSAETZE DER PHILOSOPHIE F. GONSETHS

PHILOSOPHIE OUVERTE

Le DIALOGUE commence par la recontre de l'autre, c'est-a-dire d'un homme qui ne pense pas comme moi.

***

La tache qui incombe a la logique nIest pas de se limiter aux hypo- theses inattaquables, mais, dit Gonseth, "de decider quel est le schema logique adequat a la chose pensee".

***

"La methode des sciences et la methode selon laquelle elle peut etre etudiee ont un fond commun, repondent a une intention commune: elles se constituent sous la pression de l'experience de fa~on

a

pouvoir,

dans toute la mesure du possible, faire place

a

l'experience nouvel- le."

***

Pour Gonseth, la demonstration nIest pas une necessite. "Si, dit-il~

par un miracle inexplique, nous sommes entres en possession de teIle ou teIle notion, nous n'aurons pas

a

demontrer qu'elle existe, puis- que nous la possedons".

"Notre vie ne doit-elle pas s'eclairer d'une option d'ouverture

a

tout ce qu'il nous sera donne de vivre? Ce qui me parait sur, c'est qu'une philosophie, quelle qu'elle soit, procede a la mise en forme discursive du deploiement de certaines options fondamentales. Mais que celle de l'ouverture

a

l'experience lui manque, et rien ne pour- ra la retenir de se fermer sur un ensemble d'enonces dont la signi- fication ne pourra se renouveler et qui prendront de plus en plus figure d'affirmations arbitraires."

(27)

METHODOLOGIE OUVERTE

Ses quatre principes

1.

Le principe de REVISIBILITE: rien ne peut jamais etre decrete comme acheve et irreformable.

2.

Le principe de STRUCTURALITE (ou, primitivement, de dualite: theorie et experience) qui reconna1t la coexistence necessaire de l'intuitif, de l'experimental et du rationnel.

3.

Le principe de TECHNICITE, c'est-a-dire l'element instrumental ou l'outil, l'instrument appara1t comme le prolongement naturel et neces- saire de la main ou, plus generalement, de nos facultes humaines d'ap- prehension sensorielle ou mentale immediates.

4.

Le principe d'INTEGRALITE (ou de solidarite) qui reconna1t l'interde- pendance des differentes parties de la connaissance scientifique du monde.

1947

(28)

Les quatre phases de la methode

La premiere phase de la methode est celle de l'EMERGENCE du probleme.

Pour qu'une probleme emerge, il faut qu'une question soit aper~ue et puisse etre formulee avec une certaine precision.

La seconde phase de la procedure est celle de l'ENONCIATION D'UNE HYPOTHESE. 11 appartiendra au chercheur d'imaginer, d'inventer, un enonce ou un schema, lesquels ne decouleront pas necessairement des donnees, parfois contradictoires, du probleme.

La troisieme phase de la procedure est ce11e de 1a MISE A L'EPREUVE DE L'HYPOTHESE. Pour e1aborer une hypothese plausible, il faut natu- rellement chercher

a

tenir compte au mieux de toute l'information dont on dispose au depart.

La quatrieme phase de la methode est ce1le du RETOUR A LA SITUATION DE DEPART. Si la mise

a

l'epreuve avait deva10rise l'hypothese, tout serait

a

recommencer. Si en revanche l'hypothese se trouve valorisee, i1 conviendra de revenir

a

la situation de depart pour y integrer, cette fois avec 1e statut d'une information eprouvee, l'hypothese nouve11e et l'experience

a

1aquel1e elle a donne 1ieu.

1954/55

(29)

Konzept Ferdinand Gonseths für einen Vortrag im Zürcher Lyceumsc1ub vom 17. Januar 1955.

(30)

FERDINAND GONSETHS WERKE IN DER ETH-BIBLIOTHEK

Ers te Aus gaben

1915/16

Etude synthetique et applications de l'apolarite (These de doctorat EPF). Geneve, Kundig 1916

1926

Les Fondements des mathematiques. De la geometrie

d'Euclide

a

la relativite generale et

a

l'intuitionnisme.

Paris. Blanchard

1933 ff.

(mit Paul Marti:) Planimetrie (Leitfaden, Aufgabensamm- lung, Ergebnisse). Mathematisches Unterrichtswerk für höhere Mittelschulen, Bd.1-3 (versch.Aufl.). Zürich, Orell Füssli

1936

Les Mathematiques et la realite. Essai sur la methode axiomatique. Paris, Alcan

1937

Qu'est-ce que la Logique? Paris, Hermann (Actualites scientifiques et industrielles, 524)

1939

Philosophie mathematique. Paris, Hermann (Actualites scientifiques et industrielles, 837)

1941

Les Entretiens de Zurich sur les fondements et la methode des Sciences mathematiques, 6-9 decembre 1938. Exposes et discussions publies par le president des debats. Zurich, Leemann

Bestellnummer TH

76 080 und Diss ETH 139

77 301

729 052 (ältere Aufl.:

710 349 710 350 710 351)

79 005

911 923

79 753

79 948

(31)

1942

(avec Samuel Gagnebin:) Geometrie plane. Lausanne, Payot

1943

Die Dialektisierung der Erkenntnis. Zürich, Polygraphi- scher Verlag (Kultur- und staatswissenschaftl. Schriften der ETH, 33)

1944

Determinisme et libre arbitre. Entretiens recueillis et rediges par H.-S. Gagnebin. NeuehateI, Griffon

1945 ss.

La geometrie et le probleme de l'espace. Vols.1-6, 1944- 1956. NeuehateI, Griffon

1947 ss.

Dialectica. Revue internationale de Philosophie de la connaissance. Vol.l, 1947 ss.

1948

(mit Marcel Rueff:) Analytische Geometrie der Ebene in moderner Behandlung. Bern, Haupt

1954

Philosophie neo-scolastique et philosophie ouverte. En- tretiens du Centre romain de comparaison et de synthese.

Paris, Presses Universitaires de France.

1956

Elementare und nichteuklidische Geometrie in axiomati- scher Darstellung und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit.

Zürich, Orell Füssli

Bestellnunnner TH

79 018

P 99 822: 33

914 635

917 146 (dt.)

710 500

P 914 729

725 473

918 756

7 Conv 1472

(32)

1960

La Metaphysique et l'ouverture

a

l'experience.

Seconds entretiens de Rome (1955). Paris, Presses Universitaires de France

1964

Le probleme du temps; essai sur la methodologie de la recherche. Neuchatel, Griffon

1975

Le Referentiel, univers oblige de mediatisation.

Lausanne, L'Age d'Homme

***

Etude de philosophie des sciences; en hommage

a

F. Gonseth

a

l'occasion de son 60- anniversaire.e Neuchatel, Griffon 1950 (Bibliotheque scientifique, 20)

Edmond Bertholet: La philosophie des sciences de Ferdinand Gonseth. Lausanne, L'Age d'Homme 1968

Ferdinand Gonseth;

a

l'occasion de son 80g anniver- saire, par E. Bertholet e.a. Bruxelles 1970 (Revue internationale de philosophie, 93-94)

***

Bestellnummer TH

922 256

925 715

723 990 (engl.)

939 371

711 494

929 665

933 991

(33)

Unveröffentlichtes

Die ETH-Bibliothek besitzt nur einige wenige Autographen. Dagegen verfügt das Departement des manuscrits der Bibliotheque cantonale et universitaire de Lausanne seit 1979 über einen namhaften "Fonds Ferdinand Gonseth" sowie einen "Fonds Dialectica", denen unsere Ausstellung wesentliche Stücke verdankt.

(34)

Typoskript:

Offset:

Christa Kübart Reprozentrale ETHZ

Zürich: ETH-Bibliothek (Wiss.-hist. Sammlungen), 15. Februar 1983

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