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Archiv "Nervenregeneration nach Rückenmarkstrauma: Fortschritte in der Neurobiologie, Perspektiven für die Klinik" (14.05.1999)

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Academic year: 2022

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(1)

lleine in Deutschland erleiden jährlich etwa 1 100 Menschen eine traumatische Quer- schnittlähmung (G. Exner, persönli- che Mitteilung). Durch die Fort- schritte in der Akut- und Rehabilita- tionsbehandlung konnte die Lebens- qualität dieser überwiegend jungen Patienten deutlich verbessert werden (10, 17); außerdem ist in den meisten Fällen die Lebenserwartung nicht we- sentlich eingeschränkt (10). Trotz- dem ist das Schicksal der bleibenden Behinderung nach Rückenmarks- trauma in seinem Kern noch un- gelöst. Denn die Ursachen der funk- tionell unzureichenden Nervenrege- neration im verletzten Zentralner- vensystem (ZNS) sind nur teilweise bekannt (3, 11, 28, 31, 35), und in der Klinik läßt sich dieses Regenerati- onsdefizit therapeutisch nicht beein- flussen. Vor diesem Hintergrund hat sich in den letzten zehn Jahren die ex- perimentelle Paraplegiologie als Schwerpunkt der neurotraumatologi- schen Forschung herauskristallisiert.

Mit innovativen Ansätzen und mo- dernen neurobiologischen Techniken werden in Tiermodellen die zel-

lulären und molekularen Reparatur- und Reorganisationsvorgänge nach spinalem Trauma studiert. Besonders intensiv werden die Mechanismen, die der unzureichenden Regenerati- on zentraler Nervenfasern (Axone) nach Rückenmarksverletzung zu- grunde liegen, erforscht und thera- peutische Strategien zur Förderung der zentralen Axonregeneration ent- wickelt (2, 3, 11, 28, 35, 38, 40).

Regeneration peripherer Nervenfasern

In den letzten Jahren haben sich auch die Kenntnisse über die Neuro- biologie der erfolgreichen Regenera- tion durchtrennter peripherer Ner- venfasern präzisiert (3, 7, 21, 27, 29):

Distal einer solchen Läsion degene- rieren die abgetrennten Axone, sie werden von Makrophagen aus dem Blut abgeräumt. Gleichzeitig entsteht in den Hüllstrukturen des distalen

Nervenstumpfs ein regenerationsför- derndes Milieu, das von den myelin- bildenden Schwannschen Zellen so- wie aktivierten Makrophagen und Fi- broblasten unter Mitwirkung der ex- trazellulären Matrix und zahlreicher anderer Moleküle generiert wird und den aussprossenden Axonen als Leit- schiene dient. Das neuronale Rege- nerationsprogramm wird in den Zell- körpern der axotomierten Nervenzel- len gesteuert. Dabei kommt es zur Expression von verschiedenen rege- nerationsassoziierten Molekülen, die über den axonalen Transport zu den Wachstumsfortsätzen der durch- trennten Nerven befördert und in den Aussprossungsprozeß integriert wer- den. In diesem Zusammenhang er- füllt das neuronale wachstumsassozi- ierte Protein GAP-43/B-50 eine Pro- tagonistenrolle (27). In enger Inter- aktion mit dem regenerationsför- dernden Milieu distal der Verletzung kommt es so zu einer axonalen Aus- sprossung über eine Strecke von etwa 1 mm täglich und schließlich zu einer Reinnervation des diskonnektierten Zielgewebes mit Wiederherstellung

der Funktion. !

A-1279

M E D I Z I N KURZBERICHT

Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 19, 14. Mai 1999 (51)

Nervenregeneration nach Rückenmarkstrauma

Fortschritte in der Neurobiologie, Perspektiven für die Klinik Wilhelm Nacimiento

In der aktuellen neurobiologischen Forschung wurden wichtige zelluläre und molekulare Mechanismen ent- schlüsselt, die dafür verantwortlich sind, daß im Gegensatz zur effizienten Regenerationsfähigkeit durchtrennter peri- pherer Nerven eine funktionell signifikante Nervenregene- ration im verletzten Zentralnervensystem (ZNS) ausbleibt.

Auf der Grundlage dieses Wissens konnten in Tierversu- chen verschiedene Interventionen zur Förderung der Axonregeneration im verletzten Rückenmark erfolgreich

erprobt werden. Wesentliche Prinzi- pien dieser klinisch noch nicht um-

setzbaren therapeutischen Strategien sind, neben der Anta- gonisierung myelinassoziierter wachstumshemmender Moleküle, die Applikation neurotropher Faktoren und die Transplantation von regenerationsfördernden zellulären Substraten.

Schlüsselwörter: Rückenmark, Trauma, Axon, Regenerati- on, motorische Restitution

ZUSAMMENFASSUNG

Neural Regeneration after Spinal Cord Injury:

Progress in Neurobiology and Clinical Perspectives Neurobiological research has recently identified important cellular and molecular mechanisms responsible for the lack of efficient nerve fibre regeneration in the central nervous system, which is in contrast to the successful repair of transected peripheral nerves. On the basis of this data, vari- ous intervention strategies have been developed in animal models, which effectively enhance axonal regeneration in

the traumatized spinal cord and induce partial functional recovery. Inactivation of myelin-as-

sociated growth inhibitors, application of neurotrophic fac- tors and transplantation of growth promoting substrates are the main principles of such experimental strategies. Al- though encouraging, they cannot be applied in the treatment of patients with spinal injury at the present.

Key words: Spinal cord, trauma, axonal regeneration, motor recovery

SUMMARY

A

Neurologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med.

Johannes Noth), Klinikum der Rheinisch-West- fälischen Technischen Hochschule, Aachen

(2)

Funktionell unzureichende Axonregeneration im ZNS

Im Gegensatz dazu wird nach Rückenmarksverletzung die Konti- nuität von Nervenfaserbündeln auf- und absteigender Projektionen inner- halb des ZNS unterbrochen, wo sich das gliale Milieu aus den myelinbil- denden Oligodendrozyten sowie aus Astrozyten und Mikrogliazellen zu- sammensetzt (3, 28, 35). Die degene- rierenden distalen Nervenfasern wer- den über einen längeren Zeitraum von Makrophagen abgeräumt. Zen- trale Neurone, deren Nervenfasern durchtrennt wurden, können zwar in ihren Zellkörpern über einen be- grenzten Zeitraum ein molekulares Regenerationsprogramm in Gang set- zen, dieses kann jedoch nicht in eine funktionell ausreichende Axonaus- sprossung umgesetzt werden (3, 28, 31, 34, 35, 42). Obwohl die Regenera- tionsbemühungen zentraler Neurone mit einer ausgeprägten lokalen Aus- sprossung zahlreicher Axone im un- mittelbaren Läsionsbereich des Rückenmarks assoziiert sind (5, 46), gelangen die axonalen Wachstums- fortsätze nicht über die Verletzungs- stelle hinaus, so daß eine Elongation in das denervierte Rückenmarksge- webe ausbleibt (35). Diese intensive, aber funktionell ungenügende Ner- venregeneration wird offenbar durch Schwannsche Zellen, die aus angren- zenden spinalen Wurzeln in die Pa- renchymwunde des Rückenmarks in- filtieren sowie durch lokale Entzün- dungsvorgänge gefördert und sogar in longitudinaler Richtung räumlich ori- entiert (5, 46). Nach mehreren Wo- chen entsteht im Wundbereich eine Narbe aus Astrozyten und mesenchy- malen Elementen, die als mechani- sche Barriere die Regenerationsvor- gänge endgültig behindert (3, 5, 23, 32, 39). Doch weshalb gelingt es den axo- nalen Wachstumsfortsätzen nicht in den früheren Phasen in das gesun- de Rückenmarksgewebe vorzudringen und in Richtung ihrer ursprünglichen Zielneurone auszusprossen? Dieses Defizit kann nur teilweise durch die mangelnde Intensität und Dauer des neuronalen Regenerationspro- gramms erklärt werden (3, 11). Offen- bar wird im verletzten adulten ZNS eine funktionell wirksame Nervenre-

generation maßgeblich dadurch ver- hindert, daß die Oligodendrozyten ubiquitär im Gehirn und im Rücken- mark wachstumshemmende Glyko- proteine exprimieren (18, 35). Diese am zentralen Myelin gebundenen, so- genannten „Nogo“-Moleküle (in An- spielung auf „no go“ im Englischen)

werden im Gegensatz zu den oben erwähnten lokalen Regenerations- barrieren im Wundbereich nicht als Folge der Verletzung produziert. Sie gehören vielmehr zur normalen Aus- stattung des gesamten ausgereiften ZNS von Säugern (35).

Wachstumsinhibition als Schutz vor

Fehlaussprossung?

Die allgegenwärtige Frage nach dem biologischen Sinn der funktionell unzureichenden Nervenregeneration im adulten ZNS kann bis heute nicht befriedigend beantwortet werden. Te-

leologische Erklärungsansätze gehen davon aus, daß die wachstumshem- menden myelinassoziierten Moleküle nach Beendigung der prä- und postna- talen Ausreifung des ZNS eine stabili- sierende Funktion auf die Integrität der neuronalen Verschaltungen im Gehirn und im Rückenmark ausüben,

die weitaus komplexer sind als die synaptischen Verbindungen und Endi- gungen im peripheren Nervensystem (28, 35). Eine solche Annahme impli- ziert, daß sich mögliche posttraumati- sche axonale Fehlaussprossungen im ZNS mit Innervation „falscher“ Neu- rone funktionell ungünstiger auswir- ken würden als überhaupt keine Rege- neration.

Anhand des Wissens über die zel- lulären und molekularen Mechanis- men, die sich unterstützend oder hem- mend auf die Nervenregeneration auswirken, wurden in Tierversuchen erfolgreiche therapeutische Strategi- en zur Förderung der zentralen Axon- regeneration im verletzten Rücken- A-1280

M E D I Z I N KURZBERICHT

(52) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 19, 14. Mai 1999 Kortikale Motoneurone

Nervenzelle im Nucleus ruber

1. Zellkörper axotomierter Neurone

Rubrospinale Projektion

2. Läsionsstelle

Peripherer Nerv

Muskel 3. Rückenmarksgewebe

distal der Läsion Nervenfasern der

Pyramidenbahnen

Degenerierte Axone

Spinales Motoneuron

Grafik Prinzipien der experimentellen Therapien

zur Regenerationsförderung durchtrenn- ter Nervenfasern nach Rückenmarkstrau- ma. Exemplarisch für die zahlreichen lä- sionierten zentralen Nervenfasern sind kortiko- und rubrospinale Projektionen dargestellt. Topographisch lassen sich fol- gende Angriffspunkte der im Text erläu- terten Interventionen definieren: ¿ Die Zellkörper der axotomierten ZNS-Neuro- ne: Neurotrophe Faktoren fördern das Überleben der Nervenzellen und die Ex- pression regenerationsassoziierter Gene, was zu einer Aussprossung verletzter Ner- venfasern führt. ÀDer unmittelbare Läsi- onsbereich: Transplantationen regenerati- onsfördernder zellulärer Substrate indu- zieren eine lokale Aussprossung durch- trennter Axone, die sich im Falle der GNO- Transplantation auch in das denervierte Rückenmark erstrecken. ÁDas Rücken- marksgewebe distal der Verletzung: Anti- körper gegen myelinassoziierte Wachs- tumsinhibitoren ermöglichen die lang- streckige Aussprossung weniger durch- trennter Axone mit funktionell signifikan- ter Reinnervation von Neuronen im de- nervierten Rückenmark. Kombinierte An- wendungen der skizzierten therapeuti- schen Strategien erwiesen sich im Experi- ment als besonders effizient. Eine klini- sche Anwendung dieser Konzepte ist aller- dings noch nicht absehbar. (GNO = Glia- zellen des N. olfactorius)

(3)

mark entwickelt (3, 11, 14, 28, 35). Bei diesen klinisch noch nicht anwendba- ren Interventionen werden im we- sentlichen folgende Prinzipien ver- folgt.

Mögliche

Therapiestrategien

Applikation oder Induktion neurotropher Faktoren

Neurotrophe Faktoren sind Sig- nalmoleküle, die sowohl die Differen- zierung als auch das Überleben und die Regeneration von Neuronen regu- lieren. Mehrere dieser systemspezi- fisch wirksamen Substanzen fördern nach experimentellem Rückenmark- strauma die Regeneration durch- trennter Axone, wenn sie exogen ap- pliziert werden (13, 20, 42, 47). Viel- versprechend sind Transplantationen genetisch modifizierter Zellen (Fibro- blasten und Gliazellen), die neurotro- phe Faktoren produzieren und sezer- nieren können (1, 14) sowie Gen- transfer-Techniken, bei denen durch Transfektion mit nicht replizieren- den Viren die regenerationsfördern- den Moleküle in bestimmte Neuro- nenpopulationen des ZNS einge- schleust werden (15, 36, 45, 47).

Inaktivierung myelinassoziierter Wachstumsinhibitoren

Durch intrathekale Applikation spezifischer Antikörper (IN-1) gegen diese „Nogo“-Moleküle kann eine langstreckige Aussprossung durch- trennter kortikospinaler Axone im verletzten Rückenmark der Ratte in- duziert werden, insbesondere wenn zusätzlich der neurotrophe Faktor NT-3 gegeben wird (4, 35, 37). Ob- wohl nur wenige (etwa fünf Prozent) der durchtrennten Pyramidenbahnfa- sern an dieser Regeneration beteiligt sind, können dadurch systemspezifi- sche motorische Funktionen restitu- iert werden, was darauf hindeutet, daß die aussprossenden Nervenfasern ihre ursprünglichen Zielneurone wie- derfinden und reinnervieren. Außer- dem wird nach einseitiger Durchtren- nung der Pyramidenbahn durch den Einsatz von IN-1-Antikörpern die Reorganisation intakt gebliebener

neuronaler Systeme intensiviert, was ebenfalls zur Erholung motorischer Funktionen beiträgt (43).

Transplantation peripherer Nerven

Bei der Ratte konnte ein beson- ders günstiges funktionelles Ergebnis beobachtet werden, wenn nach kom- pletter Rückenmarksdurchtrennung mit mikrochirurgischen Techniken mehrere Fragmente von Interkostal- nerven als Brücken implantiert wur- den, wobei definierte deszendierende motorische Bahnen proximal der Lä- sion mit der grauen Substanz distal der Läsion verbunden wurden (8, 28).

Die durchtrennten Axone deszendie- render Projektionen sprossen durch die Nervenbrücken hindurch und reinnervierten jenseits der Läsion spi- nale Neurone, was zur Wiedererlan- gung bestimmter motorischer Fähig- keiten führte.

Mikrotransplantation von Schwannschen Zellen oder Gliazellen

Die Erkenntnis, daß die Schwann- schen Zellen in den transplantierten Nerven eine Schlüsselrolle bei der Re- generationsförderung spielen (7, 41), führte zur Transplantation in vitro kul- tivierter Schwannscher Zellen in zahl- reichen spinalen Läsionsmodellen, wo- durch eine lokale Regeneration ver- schiedener Axonpopulationen im Wundbereich erzielt werden konnte (7, 30). Die Gliazellen des N. olfactori- us (GNO) besitzen ebenfalls regenera- tionsfördernde Eigenschaften. Durch- trennte Axone des Tractus cortico- spinalis können nach lokaler Trans- plantation von kultivierten GNO langstreckig durch das Transplantat hindurch in das denervierte Rücken- mark distal der Läsion aussprossen und zur Erholung spezifischer motori- scher Funktionen beitragen (22).

Transplantation von embryonalem oder fetalem Nervengewebe

Derartige myelinfreie Transplan- tate entfalten im verletzten Rücken- mark regenerationsfördernde Effekte auf durchtrennte Axone. Dabei kann

das Implantat als Brücke zwischen den beiden Enden der durchschnittenen Medulla spinalis fungieren, oder es dient als „Relais“, indem transplan- tierte Nervenzellen synaptische Kon- takte aus Axonen des Empfängers er- halten und ihrerseits zu Neuronen di- stal der Läsion projizieren (19, 33).

Serotonerge embryonale Nervenzel- len aus den Raphe-Kernen, die unter- halb einer kompletten Rückenmarks- durchtrennung implantiert werden, können aufgrund ihrer ausgeprägten Plastizitätseigenschaften nach distal in das gesunde Rückenmark einsprossen und sich mit intrinsischen spinalen Neuronen derart organisieren, daß un- abhängig von einer zerebralen Steue- rung elementare motorische und vege- tative Funktionen partiell restituiert werden (12, 14). In der Grafiksind die genannten experimentellen Interven- tionen schematisch zusammengefaßt.

Als besonders erfolgverspre- chend haben sich in Tierversuchen kombinierte Anwendungen der skiz- zierten Therapieansätze erwiesen, wo- bei der zusätzliche Einsatz von neuro- protektiven Pharmaka, auf die hier nicht näher eingegangen wird, eine wertvolle Ergänzung zu sein scheint (11, 14, 28). Trotzdem ist eine klinische Umsetzung dieser experimentellen Fortschritte noch nicht absehbar.

Zukunftsperspektiven

Um die Strategien zur Regenera- tionsförderung zentraler Axone den klinischen Erfordernissen anpassen zu können, ist eine genauere Kenntnis der spontan ablaufenden neuronalen, glialen und immunologischen Repa- ratur- und Reorganisationsvorgänge im verletzten Rückenmark erforder- lich. Dies wird zur Zeit sowohl tierex- perimentell als auch in post mortem menschlichem Gewebe intensiv er- forscht (6, 25, 38). Dabei muß das aus- geprägte Reorganisationspotential, das von intakt gebliebenen neurona- len Systemen ausgeht und bei inkom- pletten Rückenmarkläsionen zu einer signifikanten Erholung motorischer Funktionen beitragen kann, ausrei- chend berücksichtigt werden (16, 24–26, 38, 44).

Um den klinischen Einsatz von IN-1-Antikörpern, neurotrophen Fak- A-1281

M E D I Z I N KURZBERICHT

Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 19, 14. Mai 1999 (53)

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A-1282

M E D I Z I N KURZBERICHT/FÜR SIE REFERIERT

(54) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 19, 14. Mai 1999

In einer Londoner Unfallambu- lanz wurde untersucht, ob bei Patien- ten nach erlittenen Stürzen durch eine interdisziplinäre Abklärung weitere Stürze wirkungsvoll verhindert wer- den können. 397 Patienten im Alter von 65 Jahren oder darüber wurden in zwei Gruppen eingeteilt, bei 184 wur- de die Sturzursache intensiv abgeklärt und nötigenfalls behandelt, während 213 Patienten nur eine Behandlung ihrer Sturzfolge erhielten.

Innerhalb eines Folgejahres war es bei der Kontrollgruppe zu weiteren

510 Stürzen gekommen, wogegen dies in der Interventionsgruppe nur in 183 Fällen geschah. Neben der geringeren Sturzrate war bei der Interventions- gruppe die Rate an Krankenhausein- weisungen signifikant geringer. acc

Close J et al.: Prevention of falls in the elderly trial (PROFET): a randomised controlled trial. Lancet 1999; 353; 93–97.

Dr. Jacqueline Close, Clinical Age Re- search Unit, Dep. of Health Care of the Elderly, King’s College School of Medi- cine and Dentistry; London SE5 9PJ, England.

toren und Transplantationen bei quer- schnittverletzten Patienten realisieren zu können, müssen noch umfangrei- che methodische Probleme, insbeson- dere bezüglich der Applikationsweise, gelöst werden. Außerdem müssen un- erwünschte Nebenwirkungen und die hohen Kosten einkalkuliert werden (47).

Große Hoffnungen richten sich auf die Antikörper (IN-1) gegen die myelingebundenen Wachstumsinhibi- toren des ZNS (35, 37). Bei einer mög- lichen künftigen Anwendung in der Klinik muß berücksichtigt werden, daß die „Nogo“-Moleküle wahrscheinlich eine Schutzfunktion auf die Integrität der etablierten neuronalen Kontakte ausüben (35). Daher kann die Aus- schaltung der Wachstumsinhibitoren auch nachteilige Folgen für unverletzte Regionen des ZNS mit sich bringen. Es ist nicht bekannt, welche Interaktionen oder gar Interferenzen dabei zwischen den regenerierenden durchtrennten Nervenfasern und den sich reorgani- sierenden intakt gebliebenen Projek- tionen stattfinden. Die gleichen Vorbe- halte müssen auch im Zusammenhang mit dem Einsatz von neurotrophen Faktoren geäußert werden, wenn da- durch die physiologischen, myelinasso- ziierten Wachstumsbarrieren über- wunden und in verschiedenen, auch unverletzten Systemen des Gehirns und des Rückenmarks möglicherweise ungeordnete axonale Aussprossungen und Synapsenneubildungen mit patho- logischen funktionellen Auswirkungen induziert werden. Aufgrund dieser Problematik erscheint es sinnvoll, in erster Linie lokale und zeitlich limitier- te Applikations- und Therapiestrategi- en weiterzuentwickeln.

Ein vorrangiges Ziel der thera- peutischen Bemühungen ist die zumin- dest partielle Restitution motorischer Funktionen. Vielleicht wird es in Zu- kunft gelingen, neuronale Reorganisa- tion und Regeneration nach spinalem Trauma in die „richtigen Bahnen“ zu lenken und funktionell geeignete synaptische Kontakte im ZNS zu kon- solidieren, indem axonal regenerati- onsfördernde Interventionen mit ge- zieltem motorischen Training kombi- niert werden (9, 24). Vielleicht könnte sich daraus eine gemeinsame Heraus- forderung für die experimentelle Para- plegiologie und die Neurorehabilitati-

on entwickeln. Mehr als 50 Jahre nach den Pionierarbeiten des Neurologen und Neurochirurgen Ludwig Gutt- mann (17), der sich erstmals um eine konsequente Behandlung querschnitt- verletzter Patienten bemüht hat, zeich- net sich ein neues Ziel in der Paraple- giologie ab: Die bisherige Akut- und Rehabilitationsbehandlung soll durch eine zumindest partielle Nervenrege- neration im verletzten Rückenmark ergänzt werden. Niemand vermag heu- te zu beurteilen, wann ein solches Ziel erreicht werden kann. Im Interesse der betroffenen Patienten sollte auch nicht darüber spekuliert werden. Die kli- nisch orientierte neurobiologische Forschung auf diesem Gebiet muß in- tensiv, aber auch geduldig fortgesetzt werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1279–1282 [Heft 19]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers Priv.-Doz. Dr. med.

Wilhelm Nacimiento Leitender Oberarzt der Neurologischen Klinik Medizinische Fakultät der

Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule

Pauwelsstraße 30 52057 Aachen

Prophylaxe von Stürzen bei älteren Personen

Neue Daten der Framingham- Studie weisen erneut auf ein hohes Risiko einer unselektionierten Bevöl- kerung hin, eine koronare Herzerkran- kung (KHK) zu bekommen.

40jährige Männer, die zum Zeit- punkt der Erstuntersuchung keine KHK aufwiesen, zeigten in den folgen- den 25 Jahren ein Risiko von 48,6 Prozent für das Auftreten dieser Er- krankung, bei gleichaltrigen Frauen lag das Risiko bei 31,7 Prozent. Bei der Gruppe der 70jährigen, die bei Einschluß in die Studie keine KHK aufwies, lag das Risiko für die Folge- jahre für die Männer immer noch bei 34,9 und für die Frauen bei 24,2 Pro- zent.

Die Autoren betonen, daß trotz unauffälliger Eingangsbefunde bei den 40jährigen tatsächlich von diesen jeder zweite Mann und jede dritte Frau im Laufe ihres weiteren Lebens eine KHK entwickeln wird. Auch bei den Älteren ist bei jedem dritten Mann und jeder vierten Frau mit einer KHK zu rech- nen. Dementsprechend halten sie wei- tere Anstrengungen zur Primärprophy- laxe der KHK für angezeigt. acc

Lloys-Jones DM, Larson MG, Beiser A, Levy D: Lifetime risk of developing coronary heart disease. Lancet 1999; 353:

89–92.

Dr. Daniel Levy, Framingham Heart Stu- dy, 5 Thurber Street, Framingham, MA 01702, USA.

Koronare Herzerkrankung: Hohes Risiko

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