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Archiv "Arzneiverordnungs-Report '88: „Erhebliche Sparpotentiale“" (29.09.1988)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

AKTUELLE POLITIK

Arzneiverordnungs-Report '88:

„Erhebliche Sparpotentiale"

Der Arzneimittelmarkt in der Bundesrepublik ist von zwei gegenläufigen Tendenzen gekennzeichnet: Einerseits wuchs die Zahl der kassen-/vertragsärztlichen Verordnun- gen von Arzneimitteln („GKV-Arzneimittelmarkt") im ver- gangenen Jahr um 3,7 Prozent (1986: 3,3 Prozent) auf insge- samt rund 700 Millionen Verordnungen an; andererseits wurden den gesetzlichen Krankenkassen infolge des Trends zur vermehrten Verordnung preiswerter Generika

1987 rechnerisch Ausgaben von 1,3 Milliarden DM erspart.

D

ie Ausgaben der gesetzli- chen Krankenversiche- rung (GKV) für Medika- mente stiegen 1987 um 6,8 Prozent auf 19 Milliarden DM — ein Betrag, der fast gleichauf mit den Ausgaben der Krankenkassen für die ambulante kassenärztliche Tätig- keit selbst liegt. In den letzten Jah- ren waren die Ausgaben der Kran- kenkassen für die Versorgung der Versicherten mit Medikamenten um rund eine Milliarde DM angewach- sen. Der jüngste Ausgabenanstieg lag wiederum erheblich über dem Anstieg der Grundlohnsumme der Versicherten. Dabei ist zu berück- sichtigen, daß 1987 sich die Preisstei- gerungsrate mit 0,7 Prozent (Vor- jahr: 1,2 Prozent) infolge des (ver- längerten) Stabilitätsbeschlusses des Bundesverbandes der Pharmazeuti- schen Industrie geringfügig ab- flachte.

Aus dieser aktuellen Moment- aufnahme des GKV-Arzneimittel- marktes, bei dem detaillierte Daten zu den führenden 2000 Arzneimit- teln und pharmakologisch-therapeu- tische Kommentare zu 33 wichtigen Indikationsgebieten herangezogen wurden, schließt der „Arzneiver- ordnungs-Report '88": An der

„Arzneimittelfront" kann es noch keine Entwarnung geben; es besteht

„Handlungsbedarf", nicht so sehr für den Gesetzgeber, sondern viel- mehr für die gemeinsame Selbstver- waltung von Kassenärzten und

Krankenkassen, und noch mehr für jeden einzelnen — aber auch für den verantwortungsbewußten Patienten!

Aber, darauf machte Dr. Klaus Voelker, Vorsitzender der Kassen- ärztlichen Vereinigung Hamburg und Mitglied des Vorstandes der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, vor der Presse in Bonn auf- merksam: „In der Reduzierung oder Streichung aus der Verordnungsfä- higkeit liegen erhebliche Sparpoten- tiale, die weitaus größer sind, als die . . . Festbetragsregelungen für Arz- neimittel nach dem geplanten ‚Ge- sundhefts-Reformgesetz'. Die Grö- ßenordnung dieser Verordnungs- mengen verdeutlicht aber auch, daß die gemeinsame Selbstverwaltung aus Ärzten und Krankenkassen nicht aus eigener Kraft Fehlentwick- lungen durch Beeinflussung des Ver- ordnungsverhaltens der Kassenärzte korrigieren kann."

Mengenwachstum betrug 4,7 Prozent

So „dramatisch" die Entwick- lung auch beurteilt werden mag, dies muß berücksichtigt werden: Insge- samt wurde das Niveau der Arznei- mittelverordnungen 1987 gegenüber 1981 (als der „GKV-Arzneimittelin- dex" als Gemeinschaftsprojekt der Krankenkassen, der Kassenärzte- schaft und der Apotheker gestartet

wurde) um insgesamt 70 Millionen Verordnungen „zurückgefahren".

Allein die Tatsache, daß das Ver- ordnungsniveau heute bereits 10 Prozent unter dem Ausgangsniveau von 1981 liegt, dürfe nicht dazu ver- leiten, sich „zufrieden im Sessel zu- rückzulehnen" (Dr. Voelker). Den- noch, und dies erkennen zunehmend auch die Krankenkassen an: In kei- nem anderen Bereich war eine ge- zielte Kostendämpfung über sechs Jahre hin so erfolgreich wie gerade in der Pharmakotherapie, dem wich- tigsten Instrument der kassenärzt- lichen Versorgung.

Überdurchschnittlich legte das Verordnungsvolumen zu, von den Gutachtern in der therapeutischen Maßeinheit „definierte Tagesdosis"

(DDD) berechnet. Ihre Zahl erhöh- te sich um 4,7 Prozent (Vorjahr: 3,2 Prozent) auf 19,7 Milliarden.

„Übermedikation"

älterer Patienten?

Der Schwerpunkt der Arznei- mitteltherapie lag auch im vergange- nen Jahr vorwiegend bei den Men- schen im höheren Lebensalter. Nur 16 Prozent der Bevölkerung „kon- sumieren" fast die Hälfte aller Arz- neimittel, stellt der Report '88 fest.

Die Multimorbidität älterer Men- schen, die drastisch verbesserte Le- benserwartung, aber auch die zu- nehmende Neigung, jede gesund- heitliche Störung und Unpäßlichkeit auf Krankenschein medikamentös zu kurieren, müssen langfristig eher zu einer Zunahme als zu einer Ab- nahme der Verordnungsmenge füh- ren. Dieser Trend wird denn auch durch den Report bestätigt. In ho- hem Alter liegen die verordneten Herzmedikamente und Koronarmit-

tel vorn. Bei Patienten zwischen 15 und 20 Jahren kommen Antibiotika in die oberen Positionen der „Hit"- Dt. Ärztebl. 85, Heft 39, 29. September 1988 (19) A-2643

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Listen. Bei Kindern dominieren die Arzneimittel zur Karies- und Rachi- tisprophylaxe sowie Mittel, die ge- gen Erkältungskrankheiten einge- setzt werden. Bei Patienten zwi- schen 21 und 30 Jahren führt der Einsatz eines Schilddrüsenpräpara- tes, in der nächsten Altersklasse ste- hen zwei Schilddrüsenpräparate an den beiden ersten Plätzen.

Ein Mitherausgeber des Re- ports, Dr. Dieter Paffrath, Leiter des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO), mein- te, allein die quantitative Dimension des Arzneimittelverbrauchs im ho- hen Lebensalter sei gesundheits- und kostenpolitisch bedenklich. So würden an Patienten im Alter von mehr als 70 Jahren so viele Medika- mente verordnet, daß sie im statisti- schen Durchschnitt täglich drei ver- schiedene Arzneimittel einnehmen könnten. Da es sich nur um eine Durchschnittszahl handele, müsse man annehmen, daß vielfach 4, 5, 6 oder mehr Medikamente in Dauer- therapie verordnet würden.

Die Altersgruppe mit dem nied- rigsten Arzneimittelverbrauch bil- den die 10- bis 14jährigen Kinder.

Sie erhalten im Durchschnitt 88 Ta- gesdosen, also an 88 Tagen des Jah- res ein Arzneimittel. Das Maximum der Arzneimittelversorgung — es liegt bei 1256 DDD — wird in der Al- tersgruppe der über 90jährigen er- reicht.

Festgestellt wurde, daß in der Altersgruppe der 75- bis 79jährigen je Versicherten 30 Arzneipackungen im Gegenwert von rund 970 DM verordnet wurden. Dahinter verber- gen sich etwa tausend Tagesdosen, die in unterschiedlichen Mengen Kardiaka, Antihypertonika, Augen- mittel, Koronarmittel, durchblu- tungsfördernde Mittel, Schmerz- und Rheumamittel sowie Antidiabe- tika enthalten.

• Ein Drittel aller Arzneimittel

—wie Venenmittel, durchblutungs- fördernde Mittel, Antirheumatika, Koronarmittel, Dermatika, Analge- tika, Antihypertonika und Kardiaka

—, die sich in zusammen rund 6,5 Milliarden DM Ausgaben pro Jahr niederschlagen, werden fast aus- schließlich in der Altersgruppe ober- halb von 50 Jahren verordnet.

Der Arzneimittelverbrauch dif- feriert auch nach dem Geschlecht der Versicherten. Bei allen Arznei- mittelgruppen liegt der Verbrauch weiblicher Versicherter deutlich über dem der Männer — nämlich 429 Tagesdosen gegenüber 276 Tagesdo- sen bei Männern (Unterschied: 56 Prozent). Bei Psychopharmaka ver- brauchen Frauen sogar doppelt so viele Tagesdosen wie die Männer!

Insgesamt mutmaßen die Verfasser des Reports '88: „Die Tatsache, daß bei vielen älteren Patienten eine Dauertherapie mit zwei bis vier Arz- neimitteln durchgeführt wird — nicht eingerechnet die Selbstmedikation und die Medikamentenabgabe in Krankenhäusern —, stützt die Hypo- these einer erheblichen Übermedi- kation vor allem bei älteren Patien- ten." Besonders problematisch sei die Verordnung von Psychopharma- ka, Hypotonika und Sedativa für diese Altersgruppe. Ohne die letzt- genannten Verordnungsgruppen würden die übrigen verabreichten Medikamente ausreichen, um eben fünf Patienten dieser Altersgruppe dauerhaft zu therapieren.

Nur wenig

echte Novitäten

Bedenklich" sei die Tatsache, daß vom Bundesgesundheitsamt 1987 insgesamt 241 Fertigarznei- mittel (Vorjahr: 764) neu zugelassen wurden, unter denen sich lediglich 22 Mittel mit neuen Wirkstoffen be- fanden. Von diesen 22 Präparaten besaßen nur sieben Mittel das Prädi- kat einer neuartigen therapeutischen Relevanz oder zumindest pharma- kologisch verbesserte Qualitäten be- reits bekannter Wirkprinzipien.

Unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeitssteuerung ist die Zulassungspraxis des Bundesge- sundheitsamtes nicht ausreichend definiert. Fertigarzneimittel nur un- ter den Kriterien der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu prüfen, reicht keinesfalls aus. Es müssen vielmehr auch die Aspekte der The- rapierelevanz und des „komparati- ven Vorteils neuer Arzneimittel ge- genüber den bereits auf dem Markt

befindlichen Präparaten" unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten geprüft werden, betonte Dr. Voel- ker.

Der Report unterstellt wieder- um, daß die Krankenkassen jährlich rund 5 Milliarden DM (ein Viertel der Gesamtausgaben für Arznei- mittel) für 30 in ihrer Wirkung „um- strittene Arzneimittelgruppen" aus- geben. Hier sehen die Gutachter ein erhebliches Spar- und Rationalisie- rungspotential, das aber nicht durch bloße Festbetragsregelungen ausge- schöpft werden könne (so der Spre- cher der Ärzteschaft).

• Erheblich verstärkt hat sich der Trend zur Verordnung von Ge- nerika. Zweitanmelder-Präparate vereinigen inzwischen mehr als 35 Prozent des Umsatzes und sogar 45 Prozent der Verordnungen bei wirk- stoffgleichen Präparaten auf sich.

Bezogen auf den Gesamtmarkt er- reichten sie 1987 einen Anteil von 17,2 Prozent (Vorjahr: 15,2 Pro- zent). Gegenüber 1981 hat sich der Anteil der Verordnungen von Gene- rika von 1981 (6,1 Prozent) fast ver- dreifacht.

Prof. Dr. med. Ulrich Schwabe, Pharmakologisches Institut der Uni- versität Heidelberg, mutmaßt sogar, daß für den generika-fähigen Teil- markt von 37,7 Prozent des gesam- ten Arzneimittelmarktes ein zusätz- liches Einsparpotential von 1,6 Mil- liarden DM requiriert werden könne.

Allerdings, und dies ist der springende Punkt: Eine weitere Stei- gerung des Anteils von Zweitanmel- der-Präparaten hängt wesentlich da- von ab, wie die Unsicherheiten bei Ärzten und Apothekern über die Qualität, insbesondere die Bioäqui- valenz, beseitigt werden. Bis heute gibt es noch keinen exakten Bio- äquivalenz-Nachweis der Nachah- merpräparate bei der Zulassung. Al- lein bei 14 Wirkstoffen wurde festge- stellt, daß nur etwa bei der Hälfte die Bioäquivalenz hinreichend be- legt ist. Dr. Harald Clade

Ulrich Schwabe/Dietrich Paffrath (Hrsg.): Arz- neiverordnungs-Report '88, herausgegeben vom Wissenschaftlichen Institut der Ortskran- kenkassen, Band 4, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, New York, 1988, kartoniert, 503 Sei- ten, zahlr. Abbildungen und Tabellen, -28 DM

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A-2644 (20) Dt. Ärztebl. 85, Heft 39, 29. September 1988

Referenzen

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