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Archiv "Bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE)" (26.07.1990)

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DAS EDIT RIAL

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Bovine spongiforme

Enzephalopathie (BSE)

Eine neue

Scrapie- oder Kuru-ähnliche Infektionskrankheit

Anton Mayr

u den epidemiologischen Reizthe- men in der Infektiologie gehörten schon immer sich plötzlich in einer Population ausbreitende, bisher nicht bekannte Erreger. So trat zum Beispiel 1978 ein bis dahin nicht bekanntes Par- vovirus beim Hund auf, das sich schnell ausbrei- tete und zu der heute bekannten, bei Welpen oftmals tödlich verlaufenden Parvovirose des Hundes führte. Durch DNA-Fingerprinting ließ sich nachweisen, daß dieses neue Parvovirus des Hundes (CPV2) wahrscheinlich durch Rekombi- nation zwischen dem Panleukopenie-Virus der Katze und dem Nerz-Enteritis-Virus entstand.

Ein weiteres, aktuelles Beispiel für die Entste- hung neuer Infektionserreger durch Rekombina- tion zwischen verwandten Viren ist die sich seit 1965 erstmals seuchenhaft ausbreitende feline infektiöse Peritonitis. Hier wird eine Rekombi- nation zwischen dem Virus der transmissiblen Gastroenteritis des Schweines und einem noch nicht bekannten Virus angenommen.

Was beweisen diese Beispiele? Nur eines, daß die Entstehung neuer Infektionserreger über Mutationen stets möglich ist, und daß es sich dabei um einen in der Natur vollkommen normalen, evolutionären Vorgang handelt. Das heißt, alles in der belebten Natur, der Mensch, das Tier und die Infektionserreger eingeschlos- sen, sind ein Produkt der sich ständig wandeln- den Evolution. Die Gentechnologie lehrt uns da- bei mit ihren neuen Nachweismethoden aber gleichzeitig, welch ausschlaggebende Rolle in dieser Evolution die Umwelt und das Verhalten der lebenden Materie spielt. Besonders wichtig

sind diese Gegebenheiten, wenn wir die Um- schichtungen bei Zoonoseerregern studieren, die neue Seuchenformen auslösen.

Eine derartige neue Seuchenform stellt die seit 1985 in Großbritannien aufgetretene bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) dar. Es handelt sich dabei um eine neu diagnostizierte Krankheit, die in die Gruppe der übertragbaren, chronisch-degenerativen, spongiformen Enze- phalopathien gehört. Die bekanntesten Vertre- ter dieser Gruppe sind Scrapie bei Schaf und Ziege (Traberkrankheit), die Jakob-Creutzfeldt- Krankheit und Kuru beim Menschen und die übertragbare Nerzenzephalopathie.

Bei all diesen Krankheiten sind als infekti- öses Agens beziehungsweise pathologisches Sub- strat dem Scrapieagens ähnliche, infektiöse Pa- thogene nachgewiesen worden. Die Inkubations- zeit in dieser sehr einheitlichen Krankheitsgrup- pe beträgt unter natürlichen Bedingungen 4 bis 30 Jahre.

Der Scrapie-Erreger soll nach dem bisheri- gen Wissensstand ein sogenanntes Prion (Prote- inaceus infectious particle), also ein infektiöses, sehr resistentes Protein mit einem Molekularge- wicht um 50 000, sein. Eine assoziierte Nuklein- säure wurde bisher nicht gefunden, es wird aber danach gesucht. Die einzelnen Prions lagern sich zu Stäbchen (Fibrillen, „rods") zusammen mit ei- nem Durchmesser von 10 bis 20 nm und einer Länge von 100 bis 200 nm. Ein einzelnes Stäb- chen besteht aus mehr als 1000 Prion-Proteinen.

Die Prion-Stäbchen aggregieren in geeigneten Wirtszellen des ZNS zu sogenannten amyloiden Plaques.

Dt. Ärztebl. 87, Heft 30, 26. Juli 1990 (51) A-2317

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Für die Synthese der Prion-Proteine kodiert wahrscheinlich eine komplementäre Wirts-DNS, die in dem Wirtszellgenom lokalisiert ist und auf eine noch nicht bekannte Weise aktiviert wird.

Eventuell stimuliert das Prion-Protein seine ei- gene Synthese. Das Prion-Protein beziehungs- weise das Scrapie-assoziierte Protein wird im in- fizierten Individuum jedenfalls als wirtseigenes Protein synthetisiert und deshalb immunologisch als „Fremdeiweiß" nicht erkannt.

Die BSE ist vor 1985 noch nie beobachtet worden. Die erste offizielle Diagnose erfolgte im Oktober 1986. Seit dieser Zeit haben die Mel- dungen über Neuerkrankungen zugenommen.

Im Juni 1987 waren es 10 Fälle pro Monat, An- fang 1988 70 Fälle, Ende 1988 nahezu 300 Aus- brüche pro Monat und im letzten Jahr 160 Fälle pro Woche.

Die erstmalige Übertragung auf das Rind scheint durch Verfütterung von Tierkörpermehl, das Scrapie-Erreger enthielt, wahrscheinlich schon mehrere Jahre vorher erfolgt zu sein. Die Erreger der spongiformen, degenerativen Enze- phalopathien sind enorm resistent. Formalin ist unwirksam. Eine thermische Inaktivierung erfor- dert zirka 18 Minuten bei 134 bis 138° C, wobei Stammesunterschiede bestehen. In der frag- lichen Übertragungszeit 1981 bis 1982 scheinen die Betriebsbedingungen der Tierkörperverwer- tungsanlagen, die das Tierkörpermehl herstell- ten, geändert worden zu sein. In der gleichen Zeit stieg die Schafpopulation in England rapide an, wodurch vermehrt Schafkadaver der Tierkör- perbeseitigung zugeführt wurden.

Über die Epidemiologie der BSE ist noch wenig bekannt. Eine direkte Kontaktinfektion und eine vertikale Übertragung, zum Beispiel in- trauterin oder per Samen, ist bisher nicht bewie- sen. Für die indirekte Übertragung über massiv kontaminiertes Futter oder infizierte Nachge- burten gibt es jedoch zahlreiche Anhaltspunkte.

Experimentell ist die BSE (Gehirnmaterial er- krankter Rinder) auch parenteral (intrazerebral, intravenös, via Wunden, corneal) sowohl auf Kälber und Mäuse als auch auf Schafe übertra- gen worden. Die orale Infektion der Rinder scheint in den ersten sechs Lebensmonaten statt- zufinden. Die Inkubationszeit beträgt vier bis fünf Jahre, bevor es zum Ausbruch klinischer Er- scheinungen kommt. Ein direkter Kontakt mit Scrapie-infizierten Schafen ist unter natürlichen Bedingungen hierfür nicht notwendig.

Die Diagnose der BSE ist derzeit nur durch eine histologische und elektronenoptische Un-

tersuchung des Gehirns der gestorbenen oder als klinisch verdächtig getöteten Tiere möglich (amyloide Plaques, vakuoläre, spongiforme De- generation, fibrilläre Strukturen).

Die speziesübergreifende Übertragung des Scrapie-Agens kann möglicherweise zu einer Mutation des infektiösen Pathogens mit Er- schließung neuer Wirte führen. Zum Beispiel sind Mutationen des Scrapie-Erregers nach ein- zelnen Passagen in Mäusen experimentell nach- gewiesen. Bisher gibt es jedoch keinen Beweis dafür, daß vom Tier stammende Scrapie-ähn- liche Erreger auf den Menschen übertragen wer- den. Die Lebensmittelhygiene hat trotzdem fol- gende Vorsichtsmaßnahmen im EG-Bereich vor- geschlagen: aus BSE-befallenen und verdächti- gen Ländern oder Bezirken ist der Export von über sechs Monate alten, lebenden Rindern, von Tierkörpermehl, Knochen, Blutprodukten und inneren Organen, einschließlich Gehirn dieser Tiere, verboten. Erlaubt ist lediglich der Export von reinem Muskelfleisch, das heißt ohne Kno- chen, Lymphknoten oder Fett. Diese Regelung gilt sowohl für die Herstellung von Lebens- als auch von Futtermitteln. Damit soll auch der Ge- fahr einer Übertragung auf das Tier, zum Bei- spiel über pelletiertes Hunde- und Katzenfutter oder über Tierkörpermehl für Rinder und Schweine vorgebeugt werden.

Mögliche Zoonosen, ohne Schwarzmalerei zum Beispiel auch die BSE, werden die Medizin immer beschäftigen. Die Faszination, aber auch die Bedrohung, die von diesen Mensch und Tier schicksalhaft verbindenden Infektionen und Krankheiten ausgeht, nimmt ständig zu, zu in dem Maße, als immer mehr Wechselwirkungen synergistischer wie antagonistischer Art auf der molekularen, zellulären, speziesbezogenen wie biozoenotischen Ebene entdeckt werden. Letzt- lich führt uns dies zu der Erkenntnis, daß es in Wirklichkeit keine Grenzen auf dem Gebiet der Infektionsmedizin gibt.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. vet.

Dr. med. vet. h. c. mult. Anton Mayr Vorstand des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchen- medizin der Tierärztlichen Fakultät der Universität München

Veterinärstraße 13 8000 München 22

A-2318 (52) Dt. Ärztebl. 87, Heft 30, 26. Juli 1990

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