Reihenentwicklungen zur Berechnung des Wiener Bogens der O ¨ BB
Peter Schuhr, Frankfurt am Main
Kurzfassung
Die O¨ sterreichischen Bundesbahnen (O¨BB) verwenden den sogenannten Wiener Bogen. Dieser U¨bergangsbogen basiert auf einem Polynom 7. Ordnung fu¨r die Kru¨mmung der Schwerpunktbahn des Fahrzeugs sowie auf der sich aus der Rotation dieses Fahrzeugs ergebenden Abweichung des Gleisverlaufs von der Schwerpunktbahn. In diesem Beitrag werden Reihenentwicklungen hergeleitet, die eine exakte und effiziente Berechnung des Wiener Bogens ermo¨glichen.
Abstract
The Austrian Federal Railways (O¨ BB) use the so-called Vienna Arc. This transition curve is based upon a polynomial of 7thdegree for the curvature of the vehicle’s centre-of-mass trajectory as well as its offset to the railtrack which results from the rotation of this vehicle. In the article series expansions for an exact and efficient calculation of the Vienna arc are developed.
1. Kru¨mmungsbilder verschiedener U¨ bergangsbogen
Zur Berechnung eines U¨ bergangsbogens (Abb.
1), d. h. zur Ermittlung vont; yundxausRA; RE; l undL, wird die Kru¨mmungslinie (Abb. 2) k¼KAþ ðKEKAÞ F ð1Þ beno¨tigt. Sie definiert bei den konventionellen U¨ bergangsbogen regelma¨ßig unmittelbar die Lage des Gleises, kann sich jedoch alternativ
auf die Schwerpunktbahn beziehen (z. B. RUCH 1903).
U¨ bergangsbogen zwischen einer Geraden und einem Kreisbogen bzw. einem Kreisbogen und einer Geraden sind als Sonderfa¨lle mit KA¼0 bzw. KE¼0 in (1) enthalten. Daru¨ber hinaus sind die Kru¨mmungen von Rechtsbogen positiv und von Linksbogen negativ anzusetzen.
In diesem Fall gilt (1) auch fu¨r Gegenbogen.
UA¨ ¼Anfangspunkt des ¨Ubergangsbogens UE¨ ¼Endpunkt des ¨Ubergangsbogens RA ¼Radius in ¨UA
RE ¼Radius in ¨UE
L ¼Gesamtl ¨ange zwischen ¨UA und ¨UE Z ¼Zwischenpunkt
l ¼Teill ¨ange zwischen ¨UA und Z
t ¼Richtungswinkel zwischen den Tangenten in ¨UA und Z y; x¼auf ¨UA und Tangente in ¨UA bezogene kartesische
Koordinaten von Z
Abb. 1:U¨ bergangsbogen
KA¼ 1 RA
¼Kr ¨ummung in ¨UA KE¼ 1
RE
¼Kr ¨ummung in ¨UE k ¼Kr ¨ummung in Z
Abb. 2:Kru¨mmungslinie zwischen zwei Kreisen Die Interpolationsfunktion F in (1) kann mit Polynomansa¨tzen ungerader Ordnung angesetzt werden. Das Polynom 1. Ordnung
F¼ l
L ð2Þ
definiert die geradlinige Kru¨mmungslinie der Klothoide. Das Polynom 3. Ordnung
F¼ 2 l L
3
þ3 l L
2
ð3Þ
liegt dem U¨ bergangsbogen von BLOSS 1936 zugrunde. Seine Form weicht nur wenig vom U¨ bergangsbogen mit cosinusfo¨rmiger Kru¨m- mungslinie (VOJACEK 1868) ab. Das Polynom 5. Ordnung
F¼6 l L
5
15 l L
4
þ10 l L
3
ð4Þ
(WATOREK 1907 und LANGE 1937) hat starke A¨ hnlichkeit mit der sinusfo¨rmig modulierten Kru¨mmungslinie (KLEIN 1937). Das Polynom 7.
Ordnung F¼ 20 l
L
7
þ70 l L
6
84 l L
5
þ35 l L
4
(5) definiert die Schwerpunktbahn des Wiener Bogens (PRESLE 2006, Seite 12). Die Reihe kann mit Polynomen 9. Ordnung
F¼70 l L
9
315 l L
8
þ540 l L
7
420 l L
6
þ126 l L
5
(6)
usw. jeweils so erga¨nzt werden, dass fu¨r Poly- nome n. Ordnung dien12
. Ableitung die letzte stetige ist und alle vorherigen sogar stetig differenzierbar sind.
Polynome gerader Ordnung sind dagegen nicht geeignet, die Kru¨mmungslinie mit einer einzigen Funktion zu beschreiben. Die Kru¨m- mungslinie des U¨ bergangsbogens nach HEL- MERT 1872, der fru¨her mit der biquadratischen Parabel angena¨hert wurde, benutzt jedoch zwei quadratische Parabeln, die an den Enden U¨ A und U¨ E (Abb. 2) beginnen und sich in der Mitte treffen.
2. Wiener Bogen 2.1 U¨ berho¨hungsrampe
Die Vera¨nderung der U¨ berho¨hung beginnt bei U¨A und endet bei U¨ E (Abb. 1). Aus den Anfangs- und Endu¨berho¨hungenuAunduEerrechnen sich die dazugeho¨rigen Querneigungen (Abb. 3)
a
A¼arcsinuAs uA
s ð7Þ
und
a
E¼arcsinuEs uE
s ; ð8Þ
die das gleiche Vorzeichen erhalten wie die jeweiligen Kru¨mmungen.
S ¼Schwerpunkt RS¼Rechte Schiene LS¼Linke Schiene
G ¼Gleis (im Regelfall = Mitte zwischen RS und LS)
a
¼QuerneigungkS ¼(Horizontal-)Kr ¨ummung in S vT ¼Trassierungs-Geschwindigkeit
¼Fahrgeschwindigkeit ohne Lateralbeschleunigung g ¼Erdbeschleunigung
s ¼Schienenabstand zwischen RS und LS
¼1:500 f ¨ur Regelspurbahnen der Spurweite 1.435 h ¼Schwerpunkth ¨ohe ¨uber dem (quergeneigten) Gleis
¼Abstand von G nach S u ¼Uberh ¨ohung¨
Abb. 3:Schwerpunkt und quergeneigtes Gleis Die Querneigungen bzw. die zugrunde liegen- den U¨ berho¨hungen sind stets so auszuwa¨hlen, dass die Bedingung
KA
a
E¼KEa
A; ð9Þdie fu¨r U¨ bergangsbogen zwischen Kreisen auch durch
KA
KE
¼
a
Aa
Eð10Þ
ausgedru¨ckt werden kann, eingehalten wird.
Die U¨ berho¨hung, genauer die Querneigung, beeinflusst den Grundriss. Sie muss deshalb vor der Berechnung des Grundrisses bekannt sein.
Jede nachtra¨gliche Vera¨nderung erfordert eine Neuberechnung des Grundrisses.
Die U¨ berho¨hung errechnet sich innerhalb des U¨ bergangsbogens in Analogie zu (1) u¨ber die Querneigung
a
¼a
Aþ ða
Ea
AÞ F ð11Þ mitF nach (5) zuu¼ssin
a
sa
: ð12Þ2.2 Gesamtansatz
Beim Wiener Bogen definiert die Kru¨mmungslinie (vgl. (1))
kS¼KAþ ðKEKAÞ F ð13Þ
mitFnach (5) die Schwerpunktbahn im Grundriss.
Dem außerhalb der Geraden vom Schwer- punkt abweichenden Gleis (Abb. 3) liegt der (Gesamt-)Ansatz (HASSLINGER 2005, Gleichung (3) auf Seite 229)
v2T kGþhd2
a
dl2
g
a
¼0; ð14Þmit kG¼ Kru¨mmung des Gleises, zugrunde.
Daraus folgt kG¼
a
gv2Thd2
a
dl2 ¼kShd2
a
dl2 ¼
¼kSh
a
00ð15Þ
mitkS¼ Kru¨mmung der Schwerpunktbahn bzw.
mit (11) und (13)
kG¼KAþ ðKEKAÞ Fh ð
a
Ea
AÞ d2F dl2 ¼¼KAþKFh
a
F00: (16) Die aus der Rotation um den Schwerpunkt resultierende Gleislage im Grundriss weicht um hsina
ha
(Abb. 3) von der origina¨ren Schwerpunktbahn ab. Der Verschiebungsbetrag la¨sst sich wegen der ohnehin erforderlichen Berechnung kartesischer Koordinaten u¨ber eine zweifache Integration der Kru¨mmung (vgl. 2.3 und 2.4) indirekt u¨ber die in (14) bis (16) enthalteneKru¨mmungskorrektur (Verschiebung nach au- ßen!)
k¼ hd2
a
dl2 ð17Þ
berechnen.
2.3 Richtungswinkel Mit den Ableitungen von (5) dF
dlL¼F0L¼ 140 l L
6
þ420 l L
5
420 l L
4
þ140 l L
3
(18)
und d2F
dl2 L2¼F00L2¼ 840 l L
5
þ2100 l L
4
1680 l L
3
þ420 l L
2
(19)
folgt u¨ber
t¼ Zl
0
kGdl ð20Þ
mitkG nach (16) der Richtungswinkel zu
t¼KAlþKL 2:5 l L
8
þ
þ10 l L
7
14 l L
6
þ7 l L
5! þ
þh
a
L 140 l L
6
420 l L
5
þ
þ420 l L
4
140 l L
3!
: (21)
Aus (21) ergibt sich
t¼a1l1þa2l2þa3l3þa4l4þ
þa5l5þa6l6þa7l7þa8l8 (22)
mit
a1¼KA; a2¼0;
a3¼ 140h
a
L4 ; a4¼420h
a
L5 ; a5¼7K
L4 420h
a
L6 ; a6¼140h
a
L7 14K L5 ; a7¼10K
L6 und a8¼ 2:5K
L7 : (23)
2.4 Kartesische Koordinaten
Mit den Richtungswinkeln t nach (22) und (23) lassen sich die Zwischenwerte
sint¼ X
m¼1;3;5:::
ð1Þðm1Þ=2 m!
X8m
n¼m
am;nln !
ð24Þ
und
cost¼1þ X
m¼2;4;6:::
ð1Þm=2 m!
X8m
n¼m
am;nln !
ð25Þ
mit
a1;n¼an f ¨ur n¼1;2;3. . .8 am;n¼nmþ1P
i¼1
am1;niai
f ¨ur m2 und n¼m; mþ1. . .mþ6
¼P8
i¼1
am1;niai
f ¨ur m2 und n¼mþ7. . .8m7
¼ P8
i¼n8mþ8
am1;niai
f ¨ur m2 und n¼8m6;8m5. . .8m (26) ermitteln. Die gesuchten Reihenentwicklungen zur Berechnung der Koordinaten ergeben sich daraus zu
y¼Rl
0
sintdl¼
¼ P
m¼1;3;5:::
ð1Þðm1Þ=2 m!
P
8m n¼m
am;nlnþ1nþ1
(27) und
x¼Rl
0
costdl¼
¼lþ P
m¼2;4;6:::
ð1Þm=2 m!
P
8m n¼m
am;nnþ1lnþ1
: (28)
3. Ausblick
In dieser Abhandlung werden Reihenentwick- lungen hergeleitet, die als gu¨nstige Alternative zu numerischen Integrationsverfahren (z. B.
SCHUHR 1986) bzw. geeigneten Anfangswert- problemen (z. B. JORDAN–ENGELN und REUT- TER 1982) zur Berechnung des Wiener Bogens geeignet sind.
Literaturverzeichnis
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Taschenbuch der Mathematik. Harri Deutsch Verlag, Zu¨rich und Frankfurt(M), 6. Auflage (1966).
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Organ fu¨r die Fortschritte des Eisenbahnwesens, Neue Folge 74 (1937) 22,417...418.
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doc/307/RTCA01022006.pdf
[9]RUCH, O.: Uebergangsbogen. Organ fu¨r die Fort- schritte des Eisenbahnwesens, Neue Folge 40 (1903) 3, 59...62 und 4,71...74.
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[12]VOJACEK, L.: Ueberho¨hung der Geleise in Curven.
Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure 12 (1868) 10,617...624.
[13]WATOREK, K.: U¨ bergangsbogen. Organ fu¨r die Fortschritte des Eisenbahnwesens, Neue Folge 44 (1907) 9,186...189 und 10,205...208.
Anschrift des Autors
Prof. Dr.-Ing. Peter Schuhr:Fachhochschule Frankfurt am Main, Fachbereich 1, Nibelungenplatz 1, D-60318 Frankfurt am Main. Email: schuhr@fb1.fh–frankfurt.de