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Archiv "Arbeitsrecht: Eine Klinik – zwei Tarifverträge" (28.08.2006)

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A2268 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 34–35⏐⏐28. August 2006

S T A T U S

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ust als der vom Marburger Bund (MB) initiierte Streik an den kommunalen Kran- kenhäusern Anfang August seinen Höhepunkt erreichte, einigte sich Verdi mit der Ver- einigung kommunaler Arbeit- geberverbände (VKA) auf ei- ne krankenhaus- und auch ärz- tespezifische Eckpunkterege- lung für die kommunalen Kli- niken. Inzwischen haben der MB und die VKA ihre Ta- rifverhandlungen fortgesetzt.

Kommt es zu einem Tarifab- schluss, stellt sich die Frage, welcher der beiden Verträge für die Ärzte in kommunalen Kliniken gilt. Das gleiche Pro- blem tritt bereits an den Uni- kliniken auf. Denn auch die Ta- rifgemeinschaft deutscher Län- der hat sowohl mit Verdi als auch mit dem MB Tarifverträ- ge geschlossen, deren Gel- tungsbereich Ärzte umfasst.

„Ein Betrieb, ein Tarif“

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) vertritt in ständiger Rechtspre- chung die Ansicht, dass bei der- artigen Tarifpluralitäten der Grundsatz „ein Betrieb, ein Ta- rif“ gilt. Nach dem Prinzip der Tarifeinheit soll in einem Be- trieb nur ein Tarifvertrag zur Anwendung kommen. Dahin- ter steht das Bestreben,Rechts- sicherheit zu gewährleisten und den Arbeitgeber davor zu bewahren, in seinem Betrieb mehrere Tarifverträge anwen- den zu müssen. Die Frage, wel- cher der Verträge Anwendung findet, entscheidet das BAG nach dem Spezialitätsprinzip.

Es soll der Tarifvertrag gelten, der nach der Eigenart und den besonderen Bedürfnissen des Betriebes und der in ihm be- schäftigten Arbeitnehmer nach der Zielsetzung des Betriebes und der zur Erreichung dieses Ziels verlangten und geleiste- ten Arbeit am meisten ent- spricht. Im Zweifel ist dies der- jenige, der für die meisten Be- schäftigten gilt.

Sofern sowohl zwischen Verdi als auch dem MB mit denselben Arbeitgeberverbän- den ein Tarifvertrag für das Klinikpersonal abgeschlossen wird, stehen diese Tarifverträ- ge im Konkurrenzverhältnis zueinander. Nach dem Prinzip der Tarifeinheit gilt in der Kli- nik jedoch nur ein Tarifvertrag, und zwar der speziellere. Auf die Beschäftigten der ganzen Klinik bezogen, stellt sich der Verdi-Vertrag als fachlich ein- schlägig dar. Denn wenn man die Spezialität daran fest- macht, welche Beschäftigten die Mehrheit stellen, so ist der Verdi-Vertrag der vorrangige, weil Ärzte in der Klinik in der Minderheit sind. Der Verdi- Tarifvertrag würde gelten.

Etwas anderes ergibt sich, wenn es in der Klinik zwei Ar- beitgeber gibt.An Unikliniken in Baden-Württemberg etwa ist das Verwaltungs- und Pfle- gepersonal direkt bei der Kli- nik angestellt, wohingegen die Ärzte Angestellte des Landes sind. In einer derartigen Kon- stellation gilt das Prinzip der Tarifeinheit laut BAG nicht, so dass von vornherein zwei Ta- rifverträge im Betrieb, einer für das Verwaltungs- und Pfle- gepersonal, einer für die Ärz- teschaft, zur Anwendung kom- men. Innerhalb der Ärzte- schaft würde nach dem Prinzip der Tarifeinheit und dem Spezialitätsprinzip der MB- Tarifvertrag gelten, weil der MB die meisten Ärzte vertritt.

Die Rechtsprechung des BAG bedeutet im Regelfall, dass, wenn es nur einen Arbeit- geber in der Klinik gibt, für den beschäftigten Arzt der Verdi-Tarifvertrag gilt. Eine Ausnahme besteht dann, wenn der Arzt MB-Mitglied ist und im Arbeitsvertrag keine Ver- weisung auf einen Tarifvertrag vereinbart ist. Für den Arzt gilt dann kein Tarifvertrag.

Bei dieser Konstellation wird das Problem der aktuel- len Rechtsprechung deutlich.

Die Ärzte, die Mitglieder jener Gewerkschaft sind, deren Ta- rifvertrag verdrängt wird und bei denen der geltende Tarif- vertrag nicht extra einzelver- traglich einbezogen wurde, ste- hen ohne Tarifvertrag da. Vor- aussetzung für die individuelle Anwendbarkeit des Tarifver- trages ist nämlich – abgesehen vom Fall der einzelvertragli- chen Miteinbeziehung des gel- tenden Tarifvertrags – die Ta- rifbindung, also die Mitglied- schaft bei der Gewerkschaft, deren Tarifvertrag gilt. Dieses Ergebnis ist unbefriedigend und wirft die Frage auf, ob die Möglichkeit eines Nebenein- anders von Tarifverträgen be- stehen kann.

Spartentarifvertrag

Das BAG hat 2004 Spartenta- rifverträge für zulässig erklärt.

Danach können Tarifverträge für eine abgrenzbare Berufs- gruppe mit speziellem Inhalt vereinbart werden. Ausdrück- lich für die Ärzte bestätigt hat dies das Landesarbeitsgericht Köln in seinem Beschluss vom 12. Dezember 2005. Es wurde als zulässig angesehen, wenn Arbeitnehmer, die Spezial- funktionen innehaben, einem anderen Tarifvertrag unterlie- gen als die Mehrheit der übri- gen Arbeitnehmer. Tarifver- träge mit einem spezielleren Inhalt dürfen danach neben Grundverträgen im selben Be- trieb angewendet werden. Der speziellere Inhalt kann sich da- bei daraus ergeben, dass ein Teil der Belegschaft, der hoch spezialisiert und herausgeho- ben ist, anders behandelt wird.

Dieses Ergebnis ist über- zeugend und steht im Einklang mit dem Grundgesetz (GG).

Artikel 9 Abs. 3 GG garantiert die kollektive und individuelle Koalitionsfreiheit. Zu dem Kernbereich der kollektiven Koalitionsfreiheit gehört die Vielfalt von Koalitionen und deren Möglichkeit zum Ab-

schluss von Tarifverträgen. Die Koalitionsfreiheit ist jedoch verletzt, wenn Tarifverträge einzelner tariffähiger Gewerk- schaften verdrängt würden und ihnen so der Abschluss von Tarifverträgen praktisch unmöglich gemacht werden würde.

Auch der einzelne Beschäf- tigte ist durch das Prinzip der Tarifeinheit in seiner Koaliti- onsfreiheit verletzt. Wird der Tarifvertrag der Gewerk- schaft, der er angehört, von ei- nem spezielleren Tarifvertrag verdrängt, so steht er ohne Ta- rifschutz da. Seine Ausübung des Koalitionsrechts geht so- mit ins Leere. Will der Arbeit- nehmer dies vermeiden, so ist er gezwungen, die Gewerk- schaft zu wechseln. De facto wäre damit die Freiheit, zu ent- scheiden, welcher Koalition man sich anschließt, erheblich eingeschränkt.

Aus diesen Gründen ist ein vom MB abgeschlossener Spartentarifvertrag für die Ärzte anzuerkennen. Mehrere Fälle sind denkbar:

>Der Arzt ist weder Ge- werkschaftsmitglied, noch ist ein Tarifvertrag in das Arbeits- verhältnis miteinbezogen: Es gilt kein Tarifvertrag.

>Der Arzt ist kein Ge- werkschaftsmitglied, aber ein- zelvertraglich ist der geltende Tarifvertrag miteinbezogen:

Es gilt der speziellere Sparten- tarifvertrag des MB.

>Der Arzt ist Verdi-Mit- glied, es gibt keine tarifvertrag- liche Verweisung im Arbeits- vertrag: Hier dürfte der Verdi- Tarifvertrag gelten, weil eine Schutzlosigkeit des Tarifge- bundenen, dessen Tarifvertrag im Betrieb Anwendung findet, zu vermeiden ist.

> Der Arzt ist Verdi-Mit- glied, es gibt eine tarifvertragli- che Verweisung: Es dürfte der Verdi-Tarifvertrag gelten.

>Der Arzt ist MB-Mitglied, es besteht eine Einbeziehung des geltenden Tarifvertrages:

Es gilt der MB-Tarifvertrag.

>Der Arzt ist MB-Mitglied, es besteht keine tarifvertragli- che Verweisung: Es gilt der MB-Tarifvertrag.RA Lorenz Mayr RA Celia Plieth E-Mail: mayr@mayrrecht.de

Arbeitsrecht

Eine Klinik – zwei Tarifverträge

Foto:dpa

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