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Archiv "Indianerhilfe: Palmherzen statt Geld" (09.11.2007)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 45⏐⏐9. November 2007 A3131

S T A T U S

N

ach 30 Stunden auf der Fähre von Iquitos erreichen wir die Mündung des Rio Chambira in den Rio Marañón im peruanischen Amazonastiefland. In Wolken von Mücken laden wir kurz nach Mitter- nacht Lebensmittel, Medikamente und eine Kühlbox mit Impfstoffen an Bord des klinikeigenen Motor- boots. Nach einer kurzen Nacht auf dem Fußboden einer Hütte geht es im Morgengrauen vollbeladen wei- ter stromaufwärts. Zu beiden Seiten des Flusses ragen die grünen Wände des undurchdringlichen Regenwalds in die Höhe, unterbrochen hin und wieder von kleinen Ansiedlungen der Urarina-Indianer: Häuser, auf Stelzen gebaut und mit Palmblättern gedeckt. Die Frauen tragen rote Blu- sen und dunkle Röcke, viele von ih- nen wenden ihr Gesicht ab, wenn wir vorbeifahren. Einige Kinder

winken uns schüchtern zu. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir das Gelände der „Clinica Tucunare“, wo wir von zwei peruanischen Kran- kenschwestern und drei Arbeitern mit ihren Familien erwartet werden.

Diese Ansammlung von zehn Häu- sern soll also für die kommenden 18 Monate unser Arbeitsplatz und un- ser Zuhause sein.

Das Projekt des Freundeskreises Indianerhilfe e.V. (FKI, Internet:

www.indianerhilfe.de) besteht seit 1998. Auf Anfrage der Indianer- organisation CURCHA (Congreso Urarina del Rio Chambira y afluen- tes) wurde es in Absprache mit den peruanischen Gesundheitsbehörden ins Leben gerufen. Es beinhaltet die Bereithaltung medizinischer Ver- sorgung in einem zentral gelegenen Gesundheitsposten, die Ausbildung und Supervision von etwa 50 Ge- sundheitshelfern in 30 Dörfern und den regelmäßigen Besuch dieser Dörfer zum Behandeln von Kran- ken, Impfen und Verteilen von Me- dikamenten. Auch das Besprühen der Wohnhäuser zur Malariabe- kämpfung gehört zu den Aufgaben.

Der FKI ist eine durch Spenden fi- nanzierte unabhängige Organisation und seit knapp 50 Jahren mit klei-

nen, langfristig angelegten Projek- ten in lateinamerikanischen Län- dern aktiv. Sämtliche Projekte wer- den stets in enger Absprache mit den nationalen Gesundheitsbehörden ge- plant und realisiert. Ziel ist immer eine Eingliederung in das Gesund- heitssystem des jeweiligen Landes.

Der Gesundheitsposten „Clinica Tucunare“ wurde nach einem hier häufig vorkommenden Süßwasser- fisch benannt. Die Ausstattung der Klinik ist einfach und an die schwie- rigen klimatischen Bedingungen angepasst. Solarstrom zum Betrieb von Mikroskop, Funkgerät und Kühlschrank, ein Regenwassertank, zwei Boote mit Außenbordmotoren, ein tragbarer Stromgenerator für sonnenschwache Tage und mehrere Fässer mit Benzin. Das Mitarbeiter- team besteht, neben einem meist eu- ropäischem Ärztepaar, aus zwei pe- ruanischen Krankenschwestern und mehreren Arbeitern und Bootsfüh- rern, die mit ihren Familien auf dem Klinikgelände leben.

Die diagnostischen Möglichkei- ten sind minimal und umfassen die mikroskopische Untersuchung von Blutausstrichen auf Malaria und von Sputumausstrichen auf Tuber- kulose. Es gibt Schnellteste für HIV und Malaria und Urinteststreifen.

Für komplexere Krankheitsbilder und größere operative Eingriffe ist eine Verlegung in die Regional- hauptstadt Iquitos nötig. Ein Trans- port ist entweder mit dem Klinik- boot oder mit Unterstützung eines Hubschraubers der Erdölfirma Plus- petrol möglich.

Häufig vorkommende Krank- heitsbilder sind Durchfallerkran- kungen, Atemwegsinfekte, Malaria und Haut- und Wundinfektionen.

Die bis vor wenigen Jahren vorkom- menden Masern- und Keuchhus- tenepidemien sind wegen der regel- mäßigen Impfaktivität selten ge- worden. Die Tuberkulose findet man häufiger als vor einigen Jahren.

Schlangenbisse und auch Krankhei- ten wie Leishmaniose und Tetanus sind nicht selten. Mangelernährung unter den Kindern ist weitverbreitet, die Ernährung der Urarina-Indianer ist kohlenhydratlastig, es fehlt an Proteinen. Die Säuglingssterblich- keit ist hoch.

INDIANERHILFE

Palmherzen statt Geld

Die Autoren praktizierten 18 Monate im peruanischen Amazonastiefland.

Jäger und Samm- ler – die Urarina- Indianer leben in mit Palmblättern bedeckten Hütten und betreiben Tauschhandel mit Flusshändlern.

Zu viele Kohlenhydrate, zu wenige Proteine – Mangelernährung ist unter den Kindern der Urarina-Indianer weit verbreitet. Bei diesem zweijährigen Jungen geht sie einher mit Beinödemen.

Fotos:privat

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A3132 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 45⏐⏐9. November 2007

S T A T U S

Problematisch ist die gesamte Lo- gistik in dem Gebiet. Das letzte der betreuten Dörfer liegt zwei Tagesrei- sen mit dem Boot flußaufwärts; eine Kommunikation ist nicht möglich, weil es in den meisten Dörfern kein Funkgerät gibt. So bleiben die drei- monatigen Besuche, um Informatio- nen mit den Dörfern auszutauschen.

Abhängig während dieser Reisen ist man allerdings von dem Wasserstand des Flusses, der innerhalb weniger Tage derart fallen kann, dass Baum- stämme und Steine ein Fortkommen

mit dem Boot unmöglich machen.

Motoren für ihre Kanus haben die wenigsten der Urarinas, weshalb zur Fortbewegung nur das Ruder bleibt, was allerdings meist tagelange Rei- sen in die Klinik bedeutet. Viele Ura- rinas ziehen es daher vor, zunächst für einige Tage den Spontanverlauf einer Krankheit abzuwarten.

Ein wesentlicher Teil der Arbeit ist die Ausbildung von Gesundheits- helfern in den Dörfern. Diese sind jeweils vom Dorf gewählt und sol- len häufige Krankheiten erkennen und behandeln lernen. Malariathe- rapie nach Abnahme eines dicken Tropfens, die Indikationen und Do- sierung eines Antibiotikums, die korrekte Anwendung der Dreimo- natsspritze, die orale Rehydratation und einfache Hygieneregeln sind die wichtigsten Kapitel in den Kur- sen. Ein großes Problem ist hierbei

die Tatsache, dass knapp die Hälfte der Gesundheitshelfer (und etwa 95 Prozent der Gesamtbevölkerung) Analphabeten sind. Hat nun ein Ge- sundheitshelfer verstanden, dass die orangefarbigen, länglichen Tablet- ten Amoxicillin sind, so steht er vor einem schier unlösbaren Problem, wenn das Amoxicillin bei der nächs-

ten Lieferung weiß ist . . . Was macht er, wenn Paracetamol und Chloroquin beides runde und weiße Tabletten von gleicher Größe sind?

Wie viel ist eigentlich ein Viertel ei- ner Tablette?

Zur grundsätzlichen Vorgehens- weise des Freundeskreises India- nerhilfe e.V. gehört, für einen Teil der Medikamente eine Gegenleis- tung zu fordern. Dies kann auch in Form von Naturalien erfolgen, weil die Urarina Geld noch nicht nutzen. Dadurch soll ein Bewusst- sein für die Wertschätzung medizi- nischer Hilfe geschaffen werden.

Die Einwohner eines Dorfes müs- sen sich organisieren und für die Medikamente ihres Gesundheits- helfers zusammenlegen, um für die kommenden Wochen wieder aus- reichend Medizin in der Dorfapo- theke bereithalten zu können.

Durch diese Vorgehensweise möch- te der FKI eine langfristige Gesund- heitserziehung fördern und vermei- den, dass durch Verteilen von Gra- tismedizin eine noch größere Ab- hängigkeit der Bevölkerung ge- schaffen wird.

Problematisch wird sich in kom- menden Jahren ohne Zweifel eine zunehmende Verknappung der Roh- stoffe auswirken, mit denen die Ura- rina ihren Tauschhandel mit Fluss- händlern betreiben. Vor allem Tro- penhölzer, Palmherzen und Tierfelle sind zunehmend schwieriger zu er- halten. Die nötigen Fußmärsche durch den Regenwald werden im- mer länger. Die Urarina-Indianer sind es nicht gewohnt, Ackerbau zu betreiben, sie befinden sich in der Phase der Jäger und Sammler. Le- diglich Yucca und Kochbanane wer- den auf brandgerodeten Feldern an- gebaut. Die Flusshändler versorgen die Urarina derzeit noch mit Dingen wie Reis, Kochgeschirr, Werkzeu- gen, Seife, aber auch Alkohol in großen Mengen. Sie stellen außer- dem einen regelmäßigen Kontakt zur Außenwelt dar. Künftige Maß- nahmen des FKI werden sich auf die Selbstorganisation der Urarina und eine Schaffung von nachhaltiger Produktion in dem Gebiet konzen-

trieren. I

Eva Ackermann, Ärztin Malte Bräutigam, Arzt

RECHTSREPORT

Erprobung eines Medikaments:

umfangreiche ärztliche Aufklärung

Ein Patient muss vollständig über alle Nebenwir- kungen einer Behandlung aufgeklärt werden. Nur so kann er sich beispielsweise in einer Konflikt- situation entscheiden, wenn der Wunsch nach Linderung akuter Schmerzen mit der Gefahr ver- bunden ist, deshalb später erhebliche Gesund- heitsschäden hinnehmen zu müssen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.

Im zugrunde liegenden Fall machte die Kläge- rin einen Anspruch auf Zahlung von Schmer- zensgeld geltend. Während eines Krankenhaus- aufenthalts wurde ihr zur Behandlung einer Herz- arrhythmie das Medikament Cordarex (Amioda- ron) verabreicht. In der Pause zwischen einer durchgeführten und einer geplanten Myokard- szintigrafie erlitt sie einen Herzstillstand. Dieser konnte zwar innerhalb von zehn Minuten durch Reanimation beendet werden, führte jedoch zu schweren bleibenden Hirnschäden.

Nach Meinung der Sachverständigen ist das Medikament Cordarex, auf das probeweise von Propafenon umgestellt wurde, mit hoher Wahr- scheinlichkeit die Ursache für den bei der Kläge-

rin eingetretenen Herzstillstand gewesen. Diese Gefahr ist aber nach Meinung der Sachverständi- gen durch den Wechsel von Propafenon auf Cor- darex nicht gesteigert, sondern gesenkt worden.

Im Hinblick auf das Risiko eines möglichen Herz- stillstands seien die Ärzte daher nicht zu einer Einwilligungserklärung während der Erprobungs- phase verpflichtet gewesen, denn es habe schließlich kein gesteigertes Risiko vorgelegen.

Der Bundesgerichtshof ist den Sachverständi- gen nicht gefolgt. Nach seiner Auffassung ist der Patient über den Medikamentenwechsel, der mit anderen Risiken verbunden ist als der bisherige Einsatz der Medikamente, umfassend aufzu- klären. Entscheidend für die ärztliche Hinweis- pflicht ist nicht ein bestimmter Grad der Risiko- dichte, sondern vielmehr, ob das betreffende Ri- siko dem Eingriff spezifisch anhaftet und bei sei- ner Verwirklichung die Lebensführung des Pati- enten besonders belastet wäre. Deshalb ist auch bei äußerst seltenen Risiken aufzuklären. Die Ri- siken einer zuvor erfolgten ärztlichen Behandlung können somit nicht mit den Risiken der nunmehr vorgenommenen Behandlung verrechnet wer- den. (Urteil vom 17. April 2007, Az.: VI ZR

108/06) RA Barbara Berner

Viele Urarinas ziehen es vor, zunächst für einige Tage den

Spontanverlauf einer Krankheit abzuwarten.

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