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A284 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 530. Januar 2004
Die Transplantation (TX) ist ein etabliertes Therapiever- fahren bei Organversagen, von dem in Deutschland jähr- lich etwa 4 000 Patienten pro- fitieren. Aufgrund der Fort- schritte bei den operativen Techniken und bei der Be- herrschung akuter Absto- ßungsreaktionen haben sich die Herausforderungen auf die Nachsorge verlagert. Ein prognostisch limitierender Fak- tor ist unter anderem die er- höhte Krebsinzidenz. Schät- zungsweise jeder vierte bis fünfte TX-Patient entwickelt nach Aussage von Prof. Peter Neuhaus (Berlin) innerhalb von zehn Jahren eine maligne Neoplasie – die in etwa der Hälfte der Fälle nicht kurativ behandelbar ist.
Tumorerkrankungen
Die besten Daten liegen aus Australien/Neuseeland vor, wo seit 1965 ein Register für Patienten nach Nieren-TX be- steht (Grafik). Am häufigsten sind Hauttumoren, deren Inzi- denz in Europa allerdings – be- dingt durch die geringere UV- Strahlung – nur etwa halb so hoch ist.Als vergleichbar kann dagegen das Risiko für andere Krebsarten angesehen wer- den, wenn man von den Zah- len des niederländischen Regi- sters ausgeht. Einen Schwer- punkt bilden Malignome mit viraler Genese und lympho- gen-hämatologische System- erkrankungen, gefolgt von Karzinomen im urogenitalen, gastrointestinalen und bron- chopulmonalen Bereich.
Als entscheidender Promo- tor gilt die dauerhafte Hem- mung der körpereigenen Ab- wehr durch die für den Erhalt des transplantierten Organs erforderliche Immunsuppres- sion. Dieses generelle Pro- blem wird bei einigen TX- Patienten durch individuelle
Faktoren noch verstärkt. Ob- wohl Tumorerkrankungen – inklusive Hirntumoren – eine Kontraindikation darstellen, kann in einigen (wenn auch seltenen) Fällen die Krebsdis- position vom Organspender übertragen werden. Wesent- lich relevanter sind für Prof.
Karl-Walter Jauch (München) die Fälle, in denen es sich um die (Re-)Aktivierung eines ku- rativ behandelten oder okkul- ten Malignoms handelt.
Zur Häufigkeit gebe es bis- her nur wenige Daten. In einer eigenen Studie bei 382 Dialyse-Patienten hätten Ana- mnese und intensive Durch- untersuchung ergeben, dass fast jeder zehnte Nieren-TX- Anwärter betroffen und da- her ein potenzieller Kandidat gewesen sei. In diese Risiko- kategorie gehören auch Pati- enten, bei denen die TX zur
Tumortherapie durchgeführt wird. Das gilt im Wesentli- chen für Leberkarzinome, bei denen sich je nach Stadium Fünf-Jahres-Überlebensraten von 50 bis 70 Prozent errei- chen lassen.
In der Regel enthält die Immunsuppression nach TX ei- nen Calcineurininhibitor. Die Crux bei dieser bewährten Abstoßungsprophylaxe ist al-
lerdings, dass Ciclosporin und Tacrolimus nicht nur die kör- pereigene Abwehr gegen ein Tumorrezidiv oder die Ver- mehrung onkogener Viren schwächen, sondern offenbar auch direkte kanzerogene Ei- genschaften haben. In expe- rimentellen Untersuchungen wurde unter anderem nach- gewiesen, dass Cyclosporin Karzinomzellen zum Wachs- tum anregt und ihre Aggres- sivität verstärkt.
Neuere Studien weisen auf eine Hemmung von DNA- Reparaturmechanismen hin.
Der Effekt scheint dosisab- hängig zu sein. In verschiede- nen klinischen Studien wurde beobachtet, dass TX-Patien- ten unter niedrigen Cyclospo- rin-Dosen weniger Malignome entwickelten als unter hohen.
Eine Korrelation zwischen Rezidivfreiheit und Stärke der
Ciclosporin-Immunsuppression ließ sich bei Patienten, bei de- nen wegen hepatozellulärer Karzinome eine Lebertrans- plantation vorgenommen wur- de, erkennen.
Große Hoffnung setzt man auf die neue Substanzklasse der mTOR-Inhibitoren (mam- malian Target of Rapamycin).
Erster – bisher nur zur Be- handlung nach Nieren-TX –
zugelassener Vertreter ist Si- rolimus (Rapamune®). Der Vorteil liegt für Prof. Edward Geissler (Regensburg) darin, dass das innovative Wirkprin- zip nicht nur mit den zel- lulären Prozessen der kör- pereigenen Immunfunktion interferiert, sondern darüber hinaus auch Mechanismen hemmt, die zur Tumorangio- genese, zum Krebszellwachs- tum und zur Metastasierung führen. Dafür gebe es eine umfangreiche experimentelle Datenlage. Geissler betonte, dass alle Ergebnisse mit Do- sen erzielt worden seien, die sich auch in klinischen Studi- en zur Abstoßungsprophyla- xe bewährt hätten.
Für den Antitumoreffekt von Sirolimus sprechen auch die Daten der europäischen Zulassungsstudie. Alle Patien- ten hatten nach Nieren-TX zunächst eine Tripelprophyla- xe mit Cyclosporin, Sirolimus und Steroiden erhalten. Nach drei Monaten war dann die Randomiserung erfolgt: Ent- weder wurde das immunsup- pressive Regime unverändert fortgeführt (n = 215) oder Cy- closporin bei gleichzeitiger Er- höhung der Sirolimus- Dosis ausschleichend abgesetzt (n = 215). In der dreijährigen Nach- beobachtungsphase be- trage die Gesamttumor- inzidenz unter der Drei- erkombination 11,2 Pro- zent im Vergleich zu nur 5,6 Prozent unter Si- rolimus/Steroid, berich- tete Jauch. Dieser posi- tive Trend werde durch die gepoolte Auswer- tung mehrerer großer Sirolimus-Studien be- stätigt. Angesichts die- ser Ergebnisse werde jetzt in einigen Zentren in Europa und USA be- gonnen, TX-Patienten mit Tu- moren oder Tumoranamnese auf ein immunsuppressives Regime mit Sirolimus umzu- stellen. Gabriele Blaeser-Kiel
Pressekonferenz „Erhöhtes Krebsrisiko nach Organtransplantationen: Rapamu- ne®bringt neue Hoffnung“ beim World Congress 2003 of Nephrology in Berlin, Veranstalter: Wyeth-Pharma GmbH
Transplantationsnachsorge
Krebsrisiko durch innovative Immunsuppression reduzieren
Grafik 100%
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0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 Alle Tumoren
Hauttumoren Tumoren (ohne Haut) Vergleichspopulation
Kumulatives Tumorrisiko nach NTX
Jahre nach Transplantation
Zeitraum: 1965 bis September 2000; Patienten und Transplantatüberleben > 90 Tage; Quelle: ANZDATA Registry Unternehmen