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Archiv "Panik auf deutschen Bühnen (I): Der unsichtbare Dritte" (25.05.1984)

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Ein Dominostein der Rockmusik: The Velvet Underground auf dem Cover ihrer zwei- ten Langspielplatte „White Light/White Heat" aus dem Jahre 1968: Lou Reed, Mau- reen Tucker, Sterling Morrison und John Cale

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Panik auf deutschen Bühnen (I)

Der unsichtbare

Dritte

Sein Einfluß auf drei Generationen Rockmusik hat John Cale in eine Art Prometheus-Position hineinmanövriert

Tatsächlich scheinen auch ihn die Götter nicht zu lieben, sonst wäre er wohl kaum 43 Jahre alt geworden

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inst begab es sich, daß Orson Welles einen Vor- trag vor einem unerwartet spärlich angetretenen Auditori- um halten sollte. Er begrüßte es mit den Worten: „Verehrte Zu- hörer, mein Name ist Orson Wel- les, Regisseur, Drehbuchautor, Schauspieler, Journalist, Radio- moderator und, selbstverständ- lich, Vortragsredner. Wie kommt es, daß ich so viel bin und Sie nur so wenige?" So oder so ähn- lich könnte auch ein Auftritt von John Cale beginnen, der als achtjähriges Talent bereits 1950 im BBC eigene Klavierkomposi- tionen aufführte und sich im

Laufe der Jahre einen uner- schütterlichen Anhängerkreis seiner Fähigkeiten als Produ- zent, Pianist, Bassist, Geiger, Gitarrist, Sänger und Lyriker schuf, mit dem er allerdings nur schwerlich größere Konzerthal- len füllen würde.

Sein größtes Hindernis für eine seinen Leistungen angemesse- ne Reputation ist es vermutlich, einfach schlicht John Cale statt etwa Ziggy Stardust zu heißen.

Sofern sein Name bei Nichtken- nern überhaupt Assoziationen weckt, so werden sie meistens fehlgeleitet zu einem swingen- den Oklahoma-Gitarristen glei- chen Namens, dessen Künstler- kürzel „J. J. Cale" in der Pop- welt wesentlich besser haften bleibt. Richtiger in der Spur liegt derjenige, der sich vom Na- mensklang her an den Avantgar- de-Senior John Cage erinnert fühlt, der John Cale kurzzeitig unter seine Fittiche nahm und ihn in seine Welt der E-Musik einführte. Er führte mit ihm ein Werk Eric Saties auf, bei dem das Hauptthema von dreizehn Pianisten in 36 Stunden 866 mal wiederholt wurde.

Dieses Kapitel liegt nunmehr zwanzig Jahre zurück; auf Cale angesprochen, erinnert sich John Cage nur noch unscharf an seinen ehemaligen Studenten, welcher mittlerweile auf dem Boden des Rock'n'Roll selber zum Vorbild von Vorbildern avanciert ist. Wie der zum Jah- reswechsel verstorbene Blues- gevatter Alexis Korner, dem Lehrmeister der Rolling Stones, leidet Cale dabei an dem Syn- drom, als vergessener Altmei- ster im Schatten von zeitweise ungleich populäreren Schülern zu stehen. Brian Eno, Patti Smith und lggy Pop waren die Namen der Haupteinflüsse de- nen die Bands der „New Wave"

in den späten 70ern nacheifer- ten. Nur wenige wußten damals um den Mann, der diese Idole ursprünglich an der Hand ge- nommen und ihnen zu einer ei- genen Identität verholfen hatte, 1716 (78) Heft 21 vom 25. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

der von der Klassik kam und dort- hin zuletzt 1982 mit den Arbeiten zu einer Symphonie vorüberge- hend zurückgekehrt war. Fünf Jahre lang vorher war es fast still um John Cale gewesen. Zwi- schen 1976 und 1980 veröffent- lichte er lediglich eine Live-LP und eine Maxi-Single. Letztere,

„Animal Justice" betitelt, ent- hielt mit „Hedda Gabler" ein un- gewöhnlich gelungenes Bei- spiel, den Speer'schen Geist von simpler Monumentalarchi- tektur im Dritten Reich in ein- drucksvolle musikalische Bah- nen zu lenken.

Heiligtum der Rockkritik:

The Velvet Underground

Seine konsequente Haltung, als Rockmusiker jegliche akademi- sche Vorbelastung links liegen zu lassen, entwickelte er vor al- lem bei der 1966 von Andy War- hol entdeckten Band „Velvet Underground". Unimitierbar stießen hier profunde Fähig- keiten, Dilettantismus, aggressi- ver Pioniergeist, menschliches Charisma und einfühlsame

Großstadtpoesie zu einer atem- beraubenden Fusion aufeinan- der. Musik bedeutete bei Velvet Underground niemals, peinlich perfekte Spielweise in HiFi-Qua- lität zu bieten, sondern Gefühls- atmosphäre umzusetzen.

Denkbar einfache Akkordhar- monien waren die Grundlage für einfache Liebeslieder und rea- listisch durchtränkte Porträts der Randexistenzen im Schmutz von New York City. Phänoty- pisch erschienen diese Songs auf Platte entweder in bildschö- nem Mittsechziger-Schlagerge- wand oder aber als wuchernde Adrenalinausstöße, Improvisa- tionen mit nie gänzlich kontrol- liertem Eigenleben, oft an der Grenze der psychischen Belast- barkeit. Das emotionale Stür- men und Drängen des Velvet- schen Rock'n'Roll ist bis zum heutigen Tage ein Ideal für viele Nachahmer geblieben.

Mit dem Erscheinen einer neuen LP Mitte 81 beendete Cale nicht nur seine eigene Veröffentli- chungspause, sondern startete auch eine mittlere Welle neu

anbrechender Tournee- und Schallplattenaktivitäten seiner Ex-Mitstreiter. Der Titel dieser LP, „Honi Soit qui mal y pense", wurde dabei symptomatisch für einen ungeschriebenen Kodex, mit dem jegliche ernstzuneh- mende Musikpresse dem Vel- vet-Mythos begegnet: Es schä- me sich, wer schlecht von ihnen denkt. Schon seit langem galt in der Kritikergilde dieselbe Unan- tastbarkeitsmaxime für John Cales orchestrale Liedersamm- lung „Paris 1919" aus dem Jahre 1973, für die sich der Filmwelt- kult um „Citizen Kane" — womit wir nochmal bei Orson Welles wären — als Vergleich förmlich aufdrängt.

Die Verhätschelung als Kritiker- liebling führte in der Berichter- stattung über John Cale dazu, ständig Superlative breitzutre- ten, was für die altersmäßig größtenteils reiferen Fans nach der mittlerweile abgeklungenen Artikelschwemme zu zwei kurz aufeinanderfolgenden Tour- neen 1983/84 auf die Dauer un- befriedigend und nervtötend wurde.

John Cale in Köln, lebendig und laut:

Vor Respekt und Ehrfurcht zitterte niemand, wohl aber brachten die Phon- zahlen so manch ei- nen dazu

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 21 vom 25. Mai 1984 (81) 1719

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Rockmusik: John Cale

Cale live '84:

Erdverbundenheit statt überzüchtetem Mythos

Bei seinem Februarauftritt '84 unter den reliefverzierten Säu- lenbögen im alten Wartesaal des Kölner Hauptbahnhofs ließ vie- les von der überrabiaten Velvet- Underground-Spielweise grü- ßen. Vieles, was dem Tiefgang seiner Songs bisweilen abträg- lich war. Die oft paranoide Natur seiner Texte, denen die Fach- zeitschrift Melody Maker einst die „Qualität Hitchcockscher Mysterien" attestierte, wurde durch die Konzerte im Vorjahr ungleich subtiler zum Ausdruck gebracht. Solo an Klavier und Gitarre in kleinen, verrauchten Sälen ließ John Cale wie ein Sa- loonentertainer nur die Faszina- tion seiner Person wirken. Wäh- rend der diesjährigen Konzert- reise hingegen dominierte eine amokläuferhaft offensive Er- scheinungsform seiner pessimi- stischen Betrachtungen zum großen und kleinen Weltgesche- hen. „John Cale and Band" war angesagt, und in der Tat bot sich das Musterbeispiel eines „grup- pendynamischen" Auftritts.

Wie bestellt und nicht abgeholt standen Dave Young (Gitarre), Andy Heermanns (Bass) und Dave Liechtenstein (Schlag- zeug) anfangs unprofessionell zurückhaltend auf der Bühne und sponnen sich nach und nach in eine fast schon ungeho- belt energiegeladene Spielfreu- de hinein, aus der Cale sie dann in den entscheidenden Momen- ten durch ein mimisches Signal wieder zum Thema zurückholte.

Er selbst führte an Piano und Gi- tarre durch eine alles andere als angestaubte Odyssee über ein- einhalb Jahrzehnte seines Schaffens, dessen Leitmotiv be- stens mit dem Songtitel „Fear is a Man's Best Friend" umschrie- ben ist. Diese Odyssee blieb bei aller Spontaneität frei von in- strumentalem Exhibitionismus.

Nicht nur, daß Cale seine aus al-

ten Tagen berüchtigte elektri- sche Viola zu Hause gelassen hatte, sondern auch die über- triebene Zurückhaltung von Vir- tuosität wirft die Frage auf, in- wieweit eigentlich seine einsti- gen Fingerfertigkeiten noch ru- dimentär vorhanden sind. Doch die Gruppendemokratie eska- lierte gegen Ende mehr und mehr zur Lärmdiktatur, die ei- nen aufschlußgebenden Licht- blick nicht zulassen wollte. Le- diglich der Erzähler Cale kam mit Elvis Presleys „Heartbreak Hotel" (als mittlerweile erklärt eigenständige Standarte), mit

„Chinese Envoy" und der obli- gatorischen Schlußnummer „I keep a Close Watch an this Heart of Mine" kurzzeitig solo an den Tasten zum Ausdruck — was im Soundgewitter des Abends ansonsten annähernd unmöglich war.

Ein diskographischer Einblick in 15 Jahre John Cale: The Velvet Underground & Nico/Produced by Andy Warhol (1967): Hätte Warhol diese Platte wirklich pro- duziert, wäre die leidige Frage, ob Künstler oder nicht, ein- für allemal geklärt. Hat er aber de facto nicht; zu bewundern bleibt seine Entdeckernase. — Paris

1919 (1973): Immergrünes Wun- derwerk in der Pufferzeit zwi- schen drei experimentellen Werken und drei konventionel- len Rock-LPs. — Fear (1974):

Trostpflaster für all jene, die im- mer noch nicht das Besondere an „Paris 1919" entdeckt haben.

— Music for a New Society (1982): Die kommerzielle Durch- schlagskraft von „Honi Soit"

fehlt hier, Chamäleon Cale marschiert in allen Schattierun- gen auf Pfaden, an denen die neue Gesellschaft momentan noch im Rap-Sumpf vorbei- schwimmt.

Anschrift des Verfassers:

Christian Köhl Beethovenstr. 14 5000 Köln 40

Panik auf deutschen Bühnen (II)

Tomatengericht

Bei einem Konzert des Heimat- sängers H. in S. störten mehrere Jugendliche die Veranstaltung durch Zwischenrufe. Einer unter ihnen warf Tomaten auf die Büh- ne. Der Künstler wurde zwar von den „Wurfgeschossen" nicht getroffen, erstattete aber den- noch Anzeige gegen den

„Schützen" wegen versuchter Körperverletzung und Beleidi- gung.

Der Angeklagte führte aus, daß es ihm ein leichtes gewesen wä- re, H. zu treffen, da er in der Deutschen Jugendhandballna- tionalmannschaft als ausge- zeichneter Torschütze gelte. Au- ßerdem habe er um jeder Verlet- zungsgefahr vorzubeugen, auch besonders weiche Tomaten aus- gewählt.

Das Jugendgericht verurteilte den Angeklagten nur wegen Be- leidigung. Es führte aus, daß zwar auch weiche Tomaten ge- eignet seien, in ihrer Verwen- dung als Wurfgeschosse das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich zu beein- trächtigen.

Eine versuchte Körperverlet- zung liege aber nicht vor, da der Angeklagte insoweit ohne Vor- satz gehandelt habe (er wollte und hat auch nicht getroffen).

Allerdings sei der Tatbestand der Beleidigung erfüllt, da H.

sich in seiner Ehre verletzt fühlte.

Das Gericht verurteilte den jugendlichen Angeklagten dazu, an einem Wochenende in der Küche des Kreiskrankenhauses S. Gemüse zu putzen.

Das „Tomatengericht" ist entnom- men aus „Sonate auf die Tomate"

von Bärbel Speck-Schifferer, Harle- kin Geschenke, Wandersmannstra- ße, 6200 Wiesbaden.

1720 (82) Heft 21 vom 25. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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