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Archiv "Dekokte aus chinesischen Kräutern" (11.03.1976)

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Wilfried Ruppert

Dekokte aus

chinesischen Kräutern

Kampo — die traditionelle japanische Medizin

Die traditionelle japanische Medizin wird auch heute noch (oder: wieder) gepflegt;

sie entstand aus chinesi- schen Einflüssen und eige- ner japanischer Entwick- lung. Kennzeichen dieser Medizin ist die indikationsbe- dingte Verordnung von Kräu- terextrakten.

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

BLICK

ÜBER DIE GRENZEN

Bei allen Fortschritten der Medizin wird immer wieder auf alte und fremdländische Arzneimittel zu- rückgegriffen. Teils aus Ratlosig- keit, teils aus Neugier und jetzt auch zum wissenschaftlichen Wir- kungsnachweis gelangten manche traditionsreiche Heilkünste nach Europa. Im folgenden soll das We- sentliche über die „Kampo"-Medi- zin aus Japan berichtet werden.

Etwa 1500 Jahre lang wurde die chi- nesische Medizin, gebunden an den Buddhismus, in Japan praktiziert.

So wurde um 701 das T'ang-Sy- stern vollständig kopiert. In der Nara-Periode (um 750) erreichte die indische Heilkunst — gepaart mit östlicher und chinesischer Me- dizin — ihren Höhepunkt. Erst der Abbruch der offiziellen Beziehun- gen mit China (um 894) verhalf der japanischen Medizin zum Durch- bruch. Um 980 schreibt T. Yasuyori das erste Lehrbuch in Form eines Kompendiums der chinesischen Sui- und T'ang-Medizin. Die Selb- ständigkeit der Heilkunst beginnt dann um 1180 mit dem Kamakura- Shogunat. Unter den Ashikaga- Shogunen bildet sich eine Art „So- zialmedizin". Neue chinesische Einflüsse in der Ming-Zeit mischen sich mit dieser Medizin. Manase Dosan (um 1550) richtet die erste japanische Medizinschule auf eige- ne Kosten ein und verzichtet be- wußt auf jegliche religiöse Bin- dung. Seine Lehrmethode basiert auf der klinischen Erfahrung. Er legte damit den Grundstein für eine selbständige, unabhängige und tra- ditionelle Medizin, die man bis zur Edo-Periode als „Gosei-ha" be- zeichnet.

Unter dem Einfluß der Konfuzius- Religion tritt wieder Skepsis ge- genüber der Gosei-ha-Methode ein.

Vergleichsweise zu den Vorgängen der Renaissance in Europa zeich- net sich auch in Japan eine gewis- se Revolution auf dem medizini- schen Sektor ab. Der „progressive Arzt" verschreibt Drogen, die in der Han-Dynastie in China entstan- den. Daraus entwickelt sich das

„Koho-ha". Aus dieser Schule stammt die heute noch gebräuchli- che Bezeichnung Kampo, wobei

„kan" (japanisch) dem chinesi- schen „han" entspricht und „ho"

etwa „Methode" heißt.

Die Kampo-Methode stellt eine Sy- stem-Medizin dar, die einerseits auf der praktischen klinischen Er- fahrung des Arztes und anderer- seits auf überlieferten Methoden — dokumentiert im Shokanron der Han-Zeit — beruht. In der Folgezeit spaltet sich diese Schule: Yoshi- masu Todo entwickelt eine Art Ho- möopathie (1750), während Yama- waki-Toyo sich auf Beobachtungen bei der Sektion verlegt. Beide Leh- ren lassen Vergleiche mit Paracel- sus und Vesalius zu.

Westliche Medizin kam durch die Yamawaki-Schule nach Japan. Die erste dokumentierte Sektion in Ja- pan wurde 1754 ausgeführt. Dabei lag den Ärzten ein niederländi- sches Anatomiebuch vor, das sie zwar nicht lesen konnten, dessen detaillierte Zeichnungen jedoch verständlich waren. Man betrachtet Sugita Gernpaku (1733 bis 1817) als Urheber dieser Richtung.

Die Unzufriedenheit vieler Ärzte des 18. Jahrhunderts läßt unter

Ausnutzung der jeweiligen Vortei- le der Gosei-ha und Koho-ha die

„Setchu-hu"-Schule, das heißt die

„Kompromiß-Medizin", entstehen.

Anhänger dieser Schule beziehen die europäische Heilkunst in ihre Lehre ein. Aus der „Hanaoka"- Schule wird berichtet, daß ihre Ärzte 1805 innerhalb ihrer chirurgi- schen Gesellschaft die erste Ope- ration in Vollnarkose erfolgreich ausführten.

Gegen Ende der Edo-Periode liegt die Kampo-Medizin in den Händen der Anhänger der Koho-ha. Wis- senschaftliche Dokumentation stand jetzt im Vordergrund. Durch die Meiji-Reformen wurde diese traditionsreiche Medizin dann in den Hintergrund gedrängt.

Intuition und Perzeption in meister- licher Vollendung brachten dem Kampo-Arzt wohl Erfolge, aber es ließ sich daraus keine wissen- schaftlich stichhaltige Medizin auf- bauen. Seit 1895 kann daher kein Arzt nach einer alleinigen Ausbil- dung in Kampo mehr zugelassen werden. Wenn auch seit der gro- ßen medizinischen Reform von 1875 den Ärzten in therapeutischer Hinsicht keinerlei Restriktionen auferlegt wurden, so tritt die Kam- po-Medizin zusammen mit der Aku- punktur und Moxibustion mehr in den Hintergrund.

Mit der Extraktion des Ephedrins aus Kampo-Präparaten durch Na- gai Nagayoshi gewinnt die traditio- nelle Medizin zur Jahrhundertwen- de langsam wieder an Boden. Zwi-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 11 vom 11. März 1976 755

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Traditionelle japanische Medizin

schen 1910 und 1927 publizieren Wada Keijiro und sein Schüler Yu- moto Kyushin die ersten Arbeiten zur Kampo-Medizin in moderner Terminologie.

Während man an Universitäten bis heute Kampo nicht als Lehrfach in- tegriert hat, haben sich aus einer 1934 gegründeten privaten Ärzteor- ganisation für Kampo-Medizin eini- ge hundert Spezialisten unter den rund 100 000 japanischen praktizie- renden Ärzten behauptet.

Im Gegensatz zur Schulmedizin be- zeichnet man in der Kampo-Medi- zin keine Krankheit mit Namen, sondern betont das „Sho" (das heißt die Indikation).

Eine Kampo-Rezeptur von zwei oder mehreren Kräutern, deren Wirksamkeit durch jahrelange Be- obachtungen und Dokumentatio- nen nachgewiesen wurde, kann erst dann erfolgen, wenn eine oder mehrere typische Indikationsmerk- male für die Anwendung einer Sub- stanz vorliegen.

Nehmen wir als typisches Beispiel einen Dekokt (species puerariae), der mit „Kakkanto" bezeichnet ist.

Das heutige Kampo-Rezept lautet:

Kakkon (Radix Puerariae) 8 g Mas (Herba Ephedra) 4 g Shokyo (Rhizoma Zingiberis) 3 g Taiso (Fructus Zizyphi Jujubae) 4g Keishi (Cortex Cinamoni) 3g Shakuyaku (Radix Paeniae) 3 g Kanzo (Radix Glyzirrhizae) 2 g Diese sieben Ingredienzien werden in 500 ml Wasser auf 300 ml einge- dampft, filtriert und in Dosen von je 100 ml vor den Mahlzeiten langsam warm getrunken. Die einzelnen Be- standteile werden teils roh, teils getrocknet und teils zerstoßen, je nach Anweisung der alten Lehrbü- cher verwendet.

Die Indikationen dieses Kakkanto werden in den ursprünglichen Ar- beiten nach Transformation in mo- derne Terminologie folgenderma- ßen angegeben:

Fieber mit Schüttelfrost Kopfschmerz

Pulsbeschleunigung

Fehlende Perspiration (falls typi- sches Schwitzen beobachtet, be- steht hier eine Kontraindikation) Nackensteife

Unklare Diarrhöe

Eine Indikation für dieses Kakkanto besteht schon beim Vorhandensein eines der obengenannten Sympto- me. Nach unserer (westlichen) No- menklatur fallen verschiedene Krankheiten, von der Erkältung über Migräne, rheumatische Be- schwerden und Dysenterie bis zum Fieber und Schüttelfrost, in das In- dikationsgebiet. Erfahrungsgemäß wirkt dieser Dekokt mehr bei aku- ten Störungen als bei chronischen Beschwerden; bei letzteren kann diese Medizin bald Magen-Darm- Störungen hervorrufen.

An diesem Beispiel wird das Kon- zept des „Sho" als charakteristi- sches Merkmal der Pharmakothera- pie in der Kampo-Medizin erkenn- bar. Der Kampo-Arzt muß ein „Ho"

(also eine „Methode") finden, die zu dem jeweiligen „Sho" paßt. Das wird nur durch Erfahrung und lang- zeitige Betreuung der Patienten möglich. Die Beziehungen von

„Ho" und „Sho" lasen sich rein wissenschaftlich nicht begründen.

In Abhängigkeit von der Bedeutung einzelner Symptome im Krankheits- ablauf, von der Intensität und von den Reaktionen des ganzen Kör- pers ändert sich das „Sho". Dem- nach gibt es in der Kampo-Medizin auch nicht unsere pharmakologi- schen Klassifizierungen.

Im Laufe der Jahrhunderte hat die Kampo-Medizin nach Ursprüngen in China und Umwandlung in Ja- pan mit ihren Methoden und Dro- gen eine typisch japanische Tradi- tion auf medizinischem Gebiet auf- gebaut. Effektivität und einfache Durchführbarkeit lassen Kampo neben der modernen Medizin wei- terbestehen. Es fällt heute schwer, die ursprünglichen Ingredienzien in entsprechender Reinheit und Men- ge zu erhalten. Die pharmakologi-

schen Eigenschaften einzelner Substanzen wurden geklärt; die ei- nes Kampo-Dekoktes lassen sich jedoch nicht eindeutig mit moder- nen Analysenmethoden erfassen.

Ein unwiderlegbarer Vorteil der Kampo-Präparate besteht in ihrer natürlichen Struktur. Für uns bleibt es ein fernöstliches Geheimnis, wonach die Wirkung einer Kombi-

nation nicht der Summe der Einzel- wirkungen entspricht.

Während Akupunktur und Moxibu- stion mittlerweile auch in Europa angewendet werden, läßt sich Kampo nicht so leicht exportieren.

Nicht nur die schwierige Kräuter- beschaffung aus China, sondern auch die Aufbereitung und Kompo- sition der Dekokte verzögern eine Verbreitung der Kampo. Tägliche Unruhe und Hast verhindern auch die vorgeschriebene Applikation dieser Medizin: In Ruhe langsam den warmen Dekokt trinken! Hinzu kommt noch, daß die meisten Kam- po-Rezepturen eine starke depura- tive Wirkung haben.

Dennoch kann man in Japan be- reits heute einige in Massenpro- duktion als getrocknete Extrakte oder als Granula aufbereitete Kam- po-Präparate kaufen. Die Wirksam- keit dieser modernen Aufbereitun- gen ist jedoch erfahrungsgemäß wesentlich geringer als die der Ori- ginalpräparate.

Nicht zu vergessen ist vor allem der Kampo-Arzt, ohne dessen Er- fahrungen, Beobachtungsgabe und

Kenntnisse eine Kampo-Medizin unmöglich ist. Die weitere Entwick- lung des Kampo wird weniger von akademischen Fragen oder Wer- bung mittels Massenmedien, son- dern allein vom persönlichen Enga- gement einzelner Ärzte abhängen.

Vielleicht verhilft die derzeitige Nostalgiewelle auch der Kampo- Medizin zu weiterer Verbreitung und Anerkennung.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Wilfried Ruppert 1157-56 Okamoto Bairin Motoyama-cho, Higashinada-ku 658 Kobe/Japan

756 Heft 11 vom 11. März 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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